Eduard Bauernfeld
Aus Alt- und Neu-Wien
Eduard Bauernfeld

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XIII.

(Die Reaction. – Alfred Becher. – Gustav Frank. – Welden. – Graf Stadion. – Bach. – Schmerling und die Februar-Verfassung.)

Was hilf der Schlendrian?
    Ergreift den Augenblick!
Dummheit war stets die schlimmste Politik!

Wien wurde während des lange andauernden Belagerungszustandes und unter Welden's Gouvernement beiläufig wie eine eroberte Stadt behandelt. An Einkerkerungen fehlte es ebensowenig als an Denunciationen. Auch die Hinrichtungen ließen nicht lange auf sich warten!

General Bem, den man am liebsten gepackt hätte, war verschwunden. Dieser polnische Revolutionär, tüchtige Soldat, auch sonst bedeutende Mann wurde in Wien und Debreczin (wo er die Honveds organisirte) kaum minder populär, als er es seinerzeit in Warschau gewesen. Er schlug später den General Puchner, ging dann mit Perczel nach dem Banate, drängte die Oesterreicher in die Walachei. Nach der Affaire bei Schäßburg trat er auf türkisches Gebiet und zum Islam über, hieß nun Murad Pascha. Am 16. Mai 1850 in Wien in effigie gehenkt, prangte sein Name in der Folge gelegentlich auf den Theaterzetteln einer Volksbühne, die den merkwürdigen Mann mit seinen wechselnden Schicksalen als Helden eines Spectakelstückes ausbeutete.

Am 9. November 1848 fiel in Wien als erstes Opfer Robert Blum. Er wurde erschossen, um dem Frankfurter Parlamente ein Paroli zu bieten. Am 16. folgte ihm Messenhauser in das Reich der Schatten, am 23. der musikalische Alfred Becher und der philosophisch-abstracte Jellinek. Des Letzteren Verbrechen waren ein paar radicale, nebenbei hegelisirende Journal-Artikel, die nur Wenige lasen und Niemand verstand, er selber kaum, Fürst Windischgrätz am allerwenigsten. Aber man brauchte auch einen Juden und hatte sonst gerade keinen zur Hand!

Das Schicksal Becher's betrübte mich aufs höchste. Der liebenswürdige Mensch hatte sich seit Jahren in unserem Freundeskreise eingebürgert und war mir treu und ergeben, wie kaum ein Zweiter. Als ich im Anfang der Vierziger-Jahre, wo meine eigene Productionskraft in ein Stocken gerathen war, die Uebersetzung der Romane von Boz-Dickens übernahm, hatte ich, mit Zustimmung des Verlegers, dem Freunde einen Theil der Arbeit übertragen. Doctor Becher, in Manchester geboren, hatte in Heidelberg und Göttingen studirt, war abwechselnd Advocat (in Elberfeld), Zeitungs-Redacteur, auch Professor einer musikalischen Akademie in London. Im Jahre 1841 war er nach Wien gekommen, wo er zumeist kritisch-musikalisch wirkte. Er war ein fertiger Engländer, zugleich ein sprachgewandter deutscher Stylist. Wir übersetzten mit einander partienweise, revidirten uns gegenseitig, doch mußte sich Freund Alfred in meinen Styl, in meine Darstellungsweise hineinschreiben, was ihm auch völlig gelang, so daß ich in dem gedruckten Romane hinterher kaum zu unterscheiden wußte, welche Capitel ursprünglich von ihm herrührten, welche von mir. Zwar von mir sind die meisten, daran ist kein Zweifel! Denn der treffliche Mann war Alles, nur nicht ausharrend fleißig, wie ich zu meinem Schrecken erfahren sollte. Im Sommer 1844 hatte ich mich nämlich für sechs Wochen aufs Land zurückgezogen, um den »deutschen Krieger« fertig zu bringen; Becher sollte inzwischen mein Boz-Pensum übernehmen, was er auch hoch und heilig zusagte. Nach meiner Rückkehr waren zwar die laufenden Correcturen zur Noth besorgt worden, sonst aber so gut wie nichts geschehen, wie ich's beiläufig vorausgesehen. Der gute Mensch war ein Schlenderer und ließ sich gerne gehen, wenn man ihm nicht beständig auf der Ferse saß. Freilich lagen ihm auch die Musik und seine Compositionen weit näher am Herzen, als die Geistesarbeit, die er mit mir theilen sollte. – »Wir Beide sind zu was Besserem geschaffen, als zum Uebersetzen!« Das war seine ganze Entschuldigung, als ich ihm seine Trägheit vorwarf.

Der originelle Mensch, lang, eckig, hochblond, nicht ohne Humor, dabei unstet, ohne rechten Lebenszweck, ohne eigentliches Ziel in den Tag hineindämmernd, hatte die Alluren eines ewigen Studenten, der Sinn für eine geregelte Thätigkeit fehlte ihm gänzlich. Dabei besaß er hübsche literarische, auch theoretisch-musikalische Kenntnisse, und demjenigen, was er Eigenes schuf, Anerkennung zu erringen, gebrach es ihm vielleicht nur an dem mehr als kühnen Auftreten eines Richard Wagner. Die demokratische Reclame und der junge königliche Gönner in München sind das halbe Talent dieses musikalischen Zukünftlers! – Becher lebte und webte eigentlich nur in der Musik. In der Kunst galt ihm Charakter und »Gesinnung«, wie er's nannte, weit mehr als Melodie und Wohllaut, ja als die eigentliche Poesie der Sache, wenn er auch nicht ausschließlich für Contrapunkt und Fugen schwärmte wie der kleine (Musik-) Graf Laurencin. So waren ihm Rossini und die Italiener geradezu verhaßt, Beethoven's neunte Symphonie und große Messe seine Ideale. In der Oper: »Fidelio«. Wir geriethen häufig in Streit über musikalische Dinge, obwol ich mich, ihm gegenüber, eigentlich nur als Dilettant und Schüler zum Meister verhalten konnte. Als er mir aber die dramatische Charakteristik des »Fidelio« himmelhoch über die in der »Zauberflöte« erheben wollte, da riß mir der Geduldfaden. »Du verstehst die Musik, aber du begreifst sie nicht!« rief ich ihm zu – »Du hast den musikalischen Verstand, nur keine rechten Ohren! Du hörst mit dem Kopfe, nicht mit der Seele, und humpelst an der Krücke des Systems und der Kritik! Mit Einem Wort: Du bist der, von welchem Shakspeare spricht:

»The man that hath no music in himself!«

Freund Becher ließ sich Alles sagen und lachte dazu. Auch wenn man sich über seine eigenen Compositionen lustig machte, nahm er das nicht übel. Eines seiner wunderlich klingenden, vielmehr ganz und gar nicht klingenden Streichquartette kam zur Production. In der zweiten Hälfte des letzten Satzes streicht das Violoncell vom Anfange bis zum Ende ohne Aufhören nichts als die Tonica und Dominante. Das erstaunte und summende Publicum konnte kaum das Lachen unterdrücken. Die Freunde hänselten den Compositeur über seine Schrulle. »Das versteht ihr nicht!« sagte er gutmüthig-geheimnißvoll mit dem feinen hannoveranischen »st«. Der Mann glaubte an seine Sendung. Er war der eigentliche Zukunftsmusiker. Grillparzer beschreibt Becher's Quartettleistungen in dem Epigramme:

»Dein Quartett klang, als ob Einer
Mit der Axt in schweren Schlägen,
Sammt drei Weibern, welche sägen,
Eine Klafter Holz verkleiner'!« –

Die etwas harten Verse mögen als Analogon der curiosen Musik gelten, welche hier auch rhythmisch, zugleich mit einem höchst glücklich gewählten Bilde wiederzugeben versucht wird. Helmesberger wollte in der Saison 1871/72 das verrufene Quartett als Curiosität wieder zur Aufführung bringen – allein bei den Proben gab man den Gedanken auf. –

Der gute Becher brauchte immer Geld. Noch im Juni 1848 kam er zu mir und verlangte einen Beitrag zur Gründung einer musikalischen Zeitung. Ich mußte ihm ins Gesicht lachen. »Du bist praktisch wie immer!« bemerkte ich ihm. »Jetzt, wo die Wogen der Politik himmelan schlagen, wo man nichts singt als: »Was ist des Deutschen Vaterland?« und »Was macht der lederne Herr Papa?« jetzt träumst du von einer musikalischen Zeitung!«

Becher meinte, die Sache würde sich machen, viele Freunde interessirten sich dafür, und ich sollte nur ausrücken. – Ich gab dem Freunde und ehemaligen literarischen Mitarbeiter, obwohl er längst über und über bezahlt war, noch eine allerletzte Abfindungssumme. Bereits im Juli erschien der »Radicale«. Becher's Name stand an der Spitze des Blattes. Er stürmte und raste wie kein Zweiter. Merkwürdig genug, daß der harmlose, kindliche Mensch im Laufe weniger Wochen ohne besondere Vermittlung aus dem Phantasienreiche der Töne plötzlich in das wild-phantastische Gebiet der Straßenpolitik übergegangen war. »Der ist zum Erschießen gut!« soll sich einer der Mitarbeiter des »Radicalen«, von Wien scheidend, geäußert haben. – Becher war gut versteckt und konnte sich retten – das Verhältniß mit einer Frau, von der er sich nicht zu trennen vermochte, führte seinen Untergang herbei. Wer ihn kannte, wird ihn bedauern, das ehrliche Herz, die schönen geistigen Gaben, die mit so vielen anderen Blüthen des»Völkerfrühlings« sanken und verwehten!

Das Militär-Gouvernement forschte allen politisch schwer Beinzichtigten nach, die sich, wie Kolisch, verborgen hielten, in der Folge glücklich entkamen. Unter denen, die dem Tode im vorhinein geweiht waren, befand sich einer meiner besten Kameraden, Gustav Ritter v. Franck (der Bruder des Generals), seinerzeit ein wohlhabender Mann, Schriftsteller, Doctor juris, abwechselnd Redacteur und Theater-Director, auch Lieutenant in der Armee, zuletzt einer der Hauptleute der Mobilgarde. Auf ihn wurde besonders gefahndet und die Polizei-Direction von der Militär-Behörde wiederholt aufgefordert, den gefährlichen Menschen »zu Stande zu bringen«, wie der amtliche Ausdruck lautet. Polizei-Director war damals der wohlwollende und humane Noë v. Nordberg, mir aus alter Zeit wohlgeneigt und verbunden. Er kannte mein Verhältniß zu Franck, der ihm selber nicht unbekannt war und den er höchst ungern »zu Stande« gebracht hätte. »Wir sehen hundertmal durch die Finger,« sagte mir Noë im Vertrauen, »aber auf den Franck hat man's abgesehen, und es wäre mir äußerst unlieb, wenn ihn meine Spione entdecken müßten.« – »Seien Sie unbesorgt,« versetzte ich; »unser Freund war sehr wohl geborgen, ich weiß auch wo. Uebrigens hab' ich ihn seit acht Tagen nicht wieder gesehen – er ist im Besitze eines wohlconditionirten Passes und muß längst den Belagerungs-Rayon überschritten haben.«

Desselben Tages, als ich im halben Abenddunkel nach Hause gehen wollte, trat in der Wallnerstraße ein großer stämmiger Mann auf mich zu. Er trug einen fest zugeknöpften Rock, den Cylinder de rigueur auf dem Kopfe. Das Gesicht war voll und frischroth, aber bartlos. Der Mann fixirte mich, vertrat mir den Weg. »Was wollen Sie von mir?« fragte ich, einen Schritt zurückweichend.

»Du kennst mich nicht?« sagte der Fremde, – »nicht wahr, ich bin gut verkleidet?« setzte er mit einer gewissen eitlen Befriedigung hinzu. Es war Franck, der sich den Vollbart abgeschoren hatte und der ohne Stürmer, Schärpe und Schleppsäbel, im Philisterrocke und mit dem runden Hute sich selber als eine andere Person erschien, sich auf die theatralische Metamorphose nicht wenig zu gute that. Ich war auf den Tod erschrocken, erzählte ihm von Noë, auch daß man auf ihn fahnde, beschwor ihn um des Himmels willen, sich nicht auf der Straße blicken zu lassen.

»Ich weiß Alles!« erwiderte der Freund mit Gemüthsruhe, – »kehre eben in mein Versteck zurück. Morgen Früh gehts nach Leipzig. Auf Wiedersehen!«

Wir schieden, sahen uns nicht wieder. Der Exilirte verkümmerte in der Folge in London mit Frau und Kind.

Inzwischen war das neue Ministerium zu Stande gekommen, mit dem Fürsten Felix Schwarzenberg an der Spitze. Stadion hatte das Innere übernommen, Bach die Justiz, Bruck den Handel. Eröffnung des Reichstages in Kremsier am 22. November. Am 2. December abdicirte Kaiser Ferdinand zu Gunsten seines achtzehnjährigen Neffen Franz Josef; der ungarische Krieg machte bald die russische Hilfe nöthig, die octroyirte Charte vom 4. März 1849 erfolgte – die Geschicke Oesterreichs fingen an, sich zu erfüllen.

Ich ließ die große Politik an mir vorübergehen, arbeitete im Stillen an meinem »Sickingen«. Daneben entstand ein kleines Lustspiel: »Ein neuer Mensch«, als Nachspiel zu »Großjährig«, durch die Stimmung und Strömung des Tages veranlaßt, sonst ohne Bedeutung. Holbein wagte nicht, das Stück zur Aufführung zu bringen, wies es einfach zurück. Ich beklagte mich über diese Engherzigkeit in einem mir befreundeten Haufe, schimpfte weidlich über die Theatercensur und Polizei, auch über die Militär-Dictatur. Der Hausherr, zugleich Hausarzt bei Welden, fragte mich, ob er mit dem Feldmarschall-Lieutenant über die Sache sprechen solle. »Was wird das helfen?« meinte ich verdrießlich, schlug mir die Sache aus dem Kopfe.

Am nächsten Morgen trat eine Ordonnanz zu mir ins Zimmer. Will man mich verhaften? dachte ich. Der Mann brachte aber ein Schreiben des Gouverneurs, welches ich leider als Autograph an einen der leidigen Sammler verschenkt habe. – »Der Feldmarschall-Lieutenant vernehme, daß ich mich beklage« – hieß es in dem Schreiben – »er nehme aber durchaus keinen Einfluß auf Theater und Censur – von seiner Seite sei also kein Hinderniß gegen die Aufführung meines Zeitgemäldes. Er sei übrigens immer bereit, sich mit einem verständigen Manne über die Sache zu besprechen« u. s. w. Dieser halben Einladung folgend, steckte ich mein Theater-Manuscript zu mir und suchte den Dictator sogleich in der Hofburg auf. Ich fand ihn von Ordonnanzen umgeben und von Bittstellern aller Art umstürmt. Doch ging es strammer und sicherer, kurz soldatischer zu, als damals bei Messenhauser in der Stallburg! – Welden ersuchte mich, ein wenig zu warten, expedirte die Leute, nahm dann den Hut – ob ich ihn begleiten wolle? – Wir gingen erst durch eine Reihe Prunkzimmer auf und ab. Ich sagte ihm: Wenn der Feldmarschall-Lieutenant als Gouverneur etwas gegen mein Stück einzuwenden habe, so müsse ich mich natürlich fügen, gegen die Censur Holbein's und der Polizei jedoch schlechterdings Einspruch thun. Welden gab mir Recht. Er kenne zwar das Lustspiel nicht, stellte es mir aber vollkommen frei, es aufführen zu lassen, wenn ich es für passend hielte. Ich versicherte dagegen, die Kleinigkeit sei zwar in freiheitlichem, jedoch zugleich in versöhnendem Sinne geschrieben – die Excellenz möge sich selber davon überzeugen, übrigens an dem Manuscript streichen lassen, was ihr beliebe. Welden betheuerte wiederholt, daß er an Censuriren nicht denke und die Sache vollkommen meinem Gutdünken überlasse. Er wolle das Lustspiel erst bei der Aufführung kennen lernen.

Wir sprachen dann von Oesterreich, dem zweifachen Kriege mit Ungarn und Italien, von der gegenwärtigen Situation. Ich muß es dem Soldaten zur Ehre nachsagen, daß er sich ziemlich correct constitutionell geäußert. Nur die Wiener, die ich nach Kräften zu vertheidigen suchte, schienen dem Haudegen ein Gräuel.

Wir waren gesprächsweise in den Schweizerhof und auf den Josephsplatz gelangt. »Ich gehe jetzt einen schweren Gang,« sagte mir Welden, – »ich muß einem Vater mittheilen, daß sein Sohn in Italien gefallen ist. Daran sind zuletzt auch die vermaledeiten Wiener und ihr Krakehlen schuld!«

Noch einmal übernahm ich die Vertheidigung meiner Landsleute, erinnerte den strengen Richter an die alte Zeit unter Kaiser Franz und Metternich, an die Unterdrückung des Geistes und Fortschrittes, an die darauffolgende schwache Regierung der alten Herren u. s. w. »Sie haben Recht!« versetzte der barsche Soldat – »wir waren im Grunde lauter Sch–kerle!« – »Das möge ein Jeder mit sich und seinem Gewissen ausmachen, ich für meinen Theil müsse gegen diese Bezeichnung protestiren,« versicherte ich dagegen. So schieden wir lachend und händeschüttelnd, gegenseitig mit einander zufrieden. –

Der »neue Mensch« kam am 17. April 1849 zur Aufführung. Beim Aufziehen des Vorhanges saßen Wilhelmi als »Blase« mit weißem Schnurbart, Mama Haizinger mit schwarzgelber und Louise Neumann als freiheitlich gesinntes deutsches Mädchen mit der rothen Cocarde auf der Bühne, welche stummen Gegensätze sogleich ein lautes Lachen hervorriefen. Die Scene, in welcher Beckmann-Schmerl das unter der Weste versteckte schwarzrothgoldene Band hervorzieht und das verpönte Lied: »Was ist des Deutschen Vaterland?« verstohlen sotto voce intonirt, machte Furore, wie auch alle Ausfälle auf die »Gutgesinnten«, nicht minder die versöhnenden ernsthaften Tiraden. Bei den Wiederholungen des Lustspieles machten aber die Galerien solch radicales Spectakel, daß es der oberste Kämmerer in der Folge für gerathen fand, das Anhängsel mitsammt dem Vorspiel für immer von dem Repertoire zu streichen. –

Im Mai 1849 hatte ich eine Unterredung mit dem Minister des Innern, dem Grafen Stadion. Dieser, zwar adelig, doch nicht hochtoryistisch gesinnt, war zugleich ehrlich constitutionell, dabei ein rastloser Arbeiter; auch besaß er die für einen Minister jener Zwitterzeiten gewiß seltene Eigenschaft, daß er nicht blos vom Tage auf den Tag bedacht war, sondern auch die Zukunft und die künftige Gestaltung des Reiches vor Augen hatte, dem er seine Dienste und seine leider nur zu früh erschöpften Kräfte aufopfernd geweiht. Er hatte die Organisation seines Ministeriums in einfachen, aber festen Zügen entworfen, dabei nichts übersehen, was immer in sein Ressort gehörte.

»Ich werde ungeheuer gehetzt, von Oben wie von Unten,« sagte er mir in vertraulichem Gespräche bei der Cigarre, – »aber das soll mich nicht mürbe machen! Seit der Schlacht von Novara ist der italienische Krieg so gut wie zu Ende, auch die Ungarn sammt ihrem Görgey können sich nicht lange mehr halten, so bekommen wir Luft bis zum Herbst. Ich bin fest entschlossen, die Theaterfrage bis dahin in die Hand zu nehmen. Das Theater ist wichtig und gehört unter's Ministerium. Wir brauchen auch zwei neue Häuser für Schauspiel und Oper und gescheitere Directoren als dieser zopfige alte Holbein. Hätten Sie Lust zu einer derlei Stellung? Aber vor allen Dingen: haben Sie Organisations-Talent?« –

Ich erwiederte dem Grafen eben so offen als er mich fragte. Unter einem Hofamte zu dienen, wäre nie mein Geschmack gewesen, unter dem Ministerium, das sei ein Anderes! Allein das eigentliche Regiewesen und tägliche Probehalten, das Theaterhandwerk überhaupt habe gleichfalls wenig Reiz für mich. Dagegen ließe ich mich gerne im Ministerium selbst für die Sache der Kunst verwenden, sei auch erbötig, einen tauglichen Director oder obersten Regisseur aufzufinden. Der Minister war damit einverstanden, und ich mußte noch versprechen, bis zum Herbst eine Denkschrift über das Theaterwesen vorzubereiten, auch das dermalen bestehende deutsche und ausländische Repertoire zu verzeichnen und was etwa darin noch aufzunehmen wäre.

Den ganzen Sommer und Herbst 1849 brachte ich in Stuppach nächst Gloggnitz bei meinem Freunde Gutherz (früher Deputirter des Frankfurter Parlaments) im Kreise einer Familie zu. Inzwischen war der arme Stadion bedeutend erkrankt. Bereits im August übernahm Bach das Innere, Schmerling die Justiz, Leo Thun Cultus und Unterricht.

Das Scheiden Stadion's, mir persönlich höchst unerwünscht, war auch für's Allgemeine ein wahrer Verlust. Man muß die Dinge nehmen wie sie sind. Ein liberal denkender und constitutionell gesinnter Aristokrat war in der Lage, nach Oben Manches durchzusetzen, weil man ihm Vertrauen entgegenbrachte und im vorhinein überzeugt war, daß er nichts Ungebührliches verlangen würde, sondern nur das Nothwendige und Unabweisliche, wenngleich Unliebsame.

»Nichts durch das Volk, Alles für das Volk!« ist eigentlich die Devise der Besseren aus den Adelskreisen, wie mir Fritz Schwarzenberg (der Landsknecht) vor dem Jahre 1848 wie oft vorgepredigt! Ein reiner Parvenu dagegen, der nicht nur aus dem Volke hervorgegangen, sondern sich auch mit Hilfe des Volkes emporgeschwungen, bleibt immer verdächtig, selbst wenn er den Machthabern dienen will. Ein derlei homo novus muß sich nicht selten versagen, eine liberale Maßregel anzurathen, um das kaum eingeschlummerte Mißtrauen gegen sich selbst und seinen dunklen Ursprung nicht aufs neue wachzurufen, und so ist er häufig gezwungen, zu laviren, einen günstigen Moment abzuwarten, inzwischen melden sich aber andere und dringendere Bedürfnisse, die erst halb begonnene, im besten Sinne unternommene Arbeit wird einstweilen zurückgelegt, verschleppt, ad calendas graecas verschoben. Die unteren Kreise, die von dieser schwierigen Stellung des Volksministers, auch von den Intriguen in den höheren Regionen keine Ahnung haben, schmollen nun mit ihrem ehemaligen Liebling, die Journale machen erst leise Anspielungen auf gewisse Wandlungen und Sinnesänderungen, die Andeutungen nehmen eine drohendere Gestalt an, verwandeln sich mälig in harte Vorwürfe und directe Anklagen – zuletzt wird der ehemalige Abgott der wankelmüthigen Menge offen und rücksichtslos angegriffen, geradezu als Abtrünniger und Verräther bezeichnet. »Du siehst nun, was an dem Volke ist, für welches du schwärmtest!« ruft man ihm höhnisch von Oben zu. Der Volksmann, erbittert über die Undankbarkeit seiner früheren Genossen, von seiner neuen Umgebung gehätschelt und angeschmeichelt, vergißt seinen Ursprung, seine früheren Pläne, seine vermittelnde Stellung zwischen Volk und Krone, er gibt sich, ja muß sich der Partei in die Hände geben, die ihn am Ruder erhält, mit deren Beihilfe er, wie er sich in verzeihlicher Selbsttäuschung vorsagt, noch manches Gute und Vernünftige durchsetzen und durchführen wird; er geht schließlich durch Dick und Dünn mit denen, die er anfangs bekämpfen wollen – und die Wandlung ist vollbracht, bevor man sich's versieht!

Ein ähnlicher Proceß ist leider mit einem meiner Ex-Freunde vorgegangen, der sein Portefeuille, von den Barricaden empfangen, im Bunde mit dem Clerus festzuhalten bemüht war – mit der neuen Devise: »In cruce spes mea!« Seine Hoffnung hatte ihn in der Folge getäuscht – er ist seit lange gezwungen, das freilich nicht schwer drückende Kreuz eines reichen Pensionsgehaltes auf sich zu nehmen. –

Im August 1849 hatte sich Görgey den Russen ergeben, Komorn capitulirte im September mit Bedingungen à la Venedig; im October erfolgte die Hinrichtung Batthyanyi's in Pest und die der ungarischen Generäle in Arad; durch die neue »Organisation« Ungarns wurde das Königreich beiläufig in eine österreichische Provinz umgewandelt. Auch ein neues Anlehen und die neue Gendarmerie waren glücklich zu Stande gekommen, das Ministerium fühlte sich überaus kräftig! Der arme Graf Stadion mit seinen theatralischen und anderen Organisationsplänen siechte dahin, sein glücklicher Nachfolger Bach, unter Schwarzenberg's Fittichen, arbeitete rastlos. Auch er hatte mir angetragen, das Theater-Referat im Ministerium des Innern zu übernehmen, ich lehnte ab. Die Dinge lagen jetzt anders. Die Anstellung hatte einen Beigeschmack von Censur und Polizei, der mir nicht recht munden wollte. Ueberdies war die Stellung, welche das Ministerium in der Theaterfrage den Hofämtern gegenüber einnahm, höchst schwankend und unsicher. »Weit eher könnt Ihr Oesterreich in eine Republik umwandeln, als Ihr die Hoftheater völlig unter euch bekommt!« sagte ich zu Bach, indem ich ihm zugleich eröffnete, daß der oberste Kämmerer mein neuestes Schauspiel: »Franz von Sickingen« zurückgewiesen habe. Ob das constitutionell sei? – Der Minister suchte mich zu beschwichtigen, Das Stück werde zur Darstellung gelangen, er verbürge sich dafür. Das war meine letzte Unterredung mit dem Freunde, den ich bald, nach seiner völligen Entpuppung, zu den verlornen zählen sollte. Wir waren Beide verlegen, die Unterhaltung stockte, war gezwungen, wir konnten gegenseitig kein Herz mehr zu einander fassen.

Der oberste Kämmerer Graf Lanckoronsky schrieb mir bald darauf eine lange Epistel (ohne Zweifel durch Bach veranlaßt), worin er mich ersucht, »einige Aenderungen« in meinem Schauspiele vorzunehmen, besonders in einer Scene, »wo die beiden Domherren aus eine das Priesterthum tief verletzende Art eingeführt werden.« »Bedenken Sie, Herr v. Bauernfeld – und ich in meiner Stellung muß es berücksichtigen«, heißt es weiter, – »daß Ihr Stück auf der Hofbühne eines katholischen Kaisers gegeben werden soll, wo solche Extreme doch vermieden werden müssen.«

Ich änderte beinahe gar nichts, und das Stück kam demungeachtet später zur Aufführung, mitsammt dem dicken Domherrn Beckmann, mit Martin Luther und dem Choral:

»Ein' feste Burg ist unser Gott.«

In Wien galt das Schauspiel für ungemein demokratisch, in Frankfurt und sonst wurde der Verfasser als altliberal oder reactionär verschrieen, weil »Sickingen«, eine Art früherer Gagern, den ihm von »Jäcklein« angebotenen Landsturm durchaus nicht annehmen will. – In politisch bewegten Zeiten ist schwer human oder auch nur historisch dichten.

Seit den Märztagen hatte ich mein Bureau bei der Lotto-Direction nicht wieder betreten, doch wurde mir im ganzen Verlaufe des Jahres 1848 mein Gehalt fortwährend ausbezahlt. Im Jahre 1849 erklärte ich meinem unmittelbaren Bureau-Chef und langjährigen persönlichen Freunde, dem wackeren Hofrath Spaun, zu wiederholtenmalen, daß ich jeden Dienst für immer aufgeben wolle, ließ auch von nun an meinen Gehalt zurück. Der Finanzminister Philipp Krauß aber, der mir wohlwollte, ließ mir fortwährend neue Urlaube ertheilen, mich auch durch die Lotto-Direction auffordern, meinen Gehalt weiterzubeziehen. Als ich endlich zu Anfang des Jahres 1851 mein Quiescirungs-Gesuch einreichte, ersuchte mich Hofrath Spaun, nur einstweilen ab und zu ins Bureau zu kommen, damit es nicht heiße, meine Dienstleistung habe seit Jahren völlig aufgehört. Ich aber war stützig, wollte nichts mehr von dem Beamtenwesen wissen. Mein Pensionsgesuch war in constitutionellem Sinne abgefaßt, auch fehlte es darin nicht an Rückblicken auf meine bisherige Laufbahn, wie an scharfen Seitenhieben auf das Protectionswesen und auf die Begünstigung, deren sich die Mittelmäßigkeit in Oesterreich von jeher zu erfreuen hatte und noch hätte. Der gute Philipp Krauß lachte dazu und trug in einem Vortrage an den Kaiser darauf an, mir »in Berücksichtigung meiner literarischen Verdienste« den ganzen Gehalt als Pension zu belassen. Ich hatte als Concipist der Lotto-Direction achthundert Gulden CM. Gehalt bezogen, einhundertzwanzig Gulden Quartiergeld, nebst einigen Ziehungs-Emolumenten. Meine Dienstzeit betrug im Februar 1851 im Ganzen vierundzwanzig Jahre und einige Monate, und erst nach vollen fünfundzwanzig Dienstjahren konnte ich Anspruch auf den halben Gehalt als Pensionsbetrag erheben, bis jetzt nur auf ein Drittheil. Man bewilligte mir nun ausnahmsweise den halben Gehalt mit 400 fl., da der noch günstigere Antrag des Finanzministers im Staatsrathe nicht durchging. Ich erklärte dem Minister, daß ich die 400 fl. nicht annehmen, nicht mehr ansprechen wollte, als das mir gebührende Drittheil mit 266 fl. 40 kr. – Das ginge nicht an, meinte Philipp Krauß, da es gegen die a. h. Entschließung verstoße. – »Nun gut«, erwiederte ich, »so weiß ich doch, was ein Schriftsteller in Oesterreich werth ist, nämlich 133 fl. 20 kr. – Ich machte mich auch anheischig, eine ausführliche Denkschrift: »De stipendiis literariis« für die Akademie der Wissenschaften auszuarbeiten, die mich in einer freiheitlichen Anwandlung des Bewegungsjahres 1848 zu ihrem correspondirenden Mitgliede ernannt hatte. Der immer heitere Krauß mußte lachen. So ging meine Beamtenlaufbahn zu Ende. Ich darf nicht unerwähnt lassen daß mir (ohne mein Zuthun) zwanzig Jahre später meine Pension auf tausend Gulden österr. Währung erhöht wurde. –

Im Jahre 1850 hatte der Krieg mit Preußen gedroht, das Silber war auf 65 gestiegen, alle Kaufläden wurden förmlich belagert, die Wiener Hausfrauen versorgten sich mit Reis, Zucker und Kaffee, als stünde der Feind bereits vor den Thoren – allein Schwarzenberg siegte in Olmütz über Manteuffel, und so war diese Angst bald zu Ende. Zu gleicher Zeit strebte der Präsident Louis Napoleon entschieden auf das Kaiserreich hin. Diese zweifache Situation hatte mir bei einem Lustspiele vorgeschwebt, welches die Deutschen zur Einheit mahnen und gegen das werdende neue Cäsarenthum protestiren sollte.

Das Preislustspiel: »Der kategorische Imperativ« kam im März 1851 zur Darstellung, doch ohne rechten Erfolg. Logen wie Parterre des Burgtheaters verhielten sich ziemlich gleichgiltig meinen politischen Lucubrationen gegenüber. Die Reaction feierte ihre Orgien; Literatur und Kunst standen im Hintertreffen. Unter dem Polizei-Director Weiß v. Starkenfels gab es große Juden- und Literaten-Verfolgungen, auch Ausweisungen. Gendarmen erschienen auf der Börse, um die Geschäfte zu überwachen, das Agio zu verbessern!? Man nahm auch einige Speculanten beim Kopf. Die Börse ist aber eine Macht für sich; sie macht zwar nicht Sonnenschein und Regen, sie zeigt das politische und finanzielle Wetter nur an. Und die guten Leute wollten das Barometer zerschlagen, um besseres Wetter herbeizuführen! Auch an anderen Thorheiten fehlte es nicht. Man machte sich viel mit Kopfbedeckungen und was darunter wächst zu schaffen, griff Leute auf der Straße auf, wenn sie lange Haare trugen, schnitt sie ihnen ab, setzte ihnen einen schäbigen Filz statt der Kappe oder des Calabresers auf das beschorene Haupt. Alle Maueranschläge waren streng verpönt, allein der Auftritt Lord Palmerston's wurde demungeachtet durch ein Straßenplacat verkündet und an einem hohen Feiertag obendrein! Das geschah nicht von Seite des Ministeriums, wie seine Seïden wenigstens behaupteten; vermuthlich durch einen »gutgesinnten« Privaten, darum sah man auch durch die Finger. Als am 1. Januar 1852 das Patent erschien, welches die März-Constitution vollkommen aufhob und wofür Bach das Großkreuz des Leopolds-Ordens bekam, forschte man ängstlich jeder Aeußerung, ja den Mienen jedes Privaten nach, und im Leseverein erschienen Polizei-Commissäre, um sich Stoff zu Stimmungsberichten zu holen. Dabei hatten wir zur Zeit von Schwarzenberg's Ableben so gut wie nichts erreicht! Weder in England noch in der Türkei hörte man auf uns, mit Preußen standen wir beiläufig auf dem alten Fuße der Entzweiung, der russische Einfluß in den Fürstenthümern wurde immer größer, und an unseren inneren Verhältnissen war seit vierthalb Jahren fruchtlos herumorganisirt worden. Die Einheit des Reiches stand nur auf dem Papier, zumeist bei dem Schmollen der Ungarn, nirgends Vertrauen, schlechte Valuta, beständiges Deficit. Die Ernennung des Grafen Buol-Schauenstein zum Minister des Auswärtigen war eben nicht geeignet, eine neue und bessere Aera herbeizuführen – es scheint, daß im Stillen der alte und pedantische Kübeck damals noch als geheimer Rathgeber fungirte. So kam der zweite December heran, welcher in der Folge den berühmten Neujahrsgruß an Baron Hübner und Oesterreich erließ, wodurch wir Mailands verlustig gingen. In meinem Tagebuche finde ich im Frühjahr 1860 die Stelle: »Die politische Situation weit schlimmer als vor einem Jahr. Oesterreich droht zu zerfallen. Das Venetianische ist meiner Meinung nach so gut verloren wie das Mailändische. In Ungarn ist beinahe offene Revolution, die Böhmen lauern, und die deutschen Provinzen sind unzufrieden – wo will das hinaus?« –

Dem Wiener Börsejubel, der im Jahre 1856 seinen Culminationspunkt erreicht hatte, dem gemeinschaftlichen Speculiren des Adels mit den Geldleuten wurde ein kleiner Dämpfer aufgesetzt durch die tragischen Schicksale des Directors der Creditanstalt, Richter, und des Finanzministers Bruck. Des Generals Eynatten ist neben diesen Männern wohl kaum zu erwähnen, da er sich eigentliche Unterschleife zu Schulden kommen ließ. Jene beiden Männer aber handelten bona fide und besaßen geniale Eigenschaften, obwohl man sie von einiger Schwindelei nicht völlig freisprechen kann.

Inzwischen hatte unser halbes Gehen mit den Westmächten, welches uns alle Welt zu Feinden machte, zugleich das ganze National-Anlehen verschluckt, und immer drohender gähnte der finanzielle Abgrund, in welchen der »verstärkte Reichsrath« als letzter Nothhelfer und als ein zweiter Curtius sich stürzen, ihn schließen sollte. Die geübte ungarische Suada trug dort den Sieg davon, und ich fühlte mich in meinem Aerger gedrängt, sogar meinen Freund und Gesinnungsgenossen Anton Auersperg politisch-poetisch anzugreifen. Das Diplom erschien, welches Niemanden befriedigte, am wenigsten die Ungarn, die rastlos an Bach's Sturze arbeiteten, welcher trotz Clerus und Concordat endlich fiel, aber ziemlich weich, in die Arme Roms. Die Schiller-Feier gab Veranlassung zu einer ungeheuren Demonstration zu Gunsten Schmerling's. Seit seinem freiwilligen Austreten aus dem Ministerium zur Zeit der heftigsten Reaction war er auf's neue populär geworden. Das Ministerium Schmerling und die »Februar-Verfassung« kamen nun zu Stande, der Reichsrath wurde eröffnet (ohne die Ungarn), und im Herrenhause tagten Gelehrte und Poeten mit Generalen, Fürsten und Grafen. Berger, Brestel, Brinz, Giskra, Hafner, Herbst, Kaiserfeld, Kuranda, Rechbauer, Schindler, meist bereits bekannte Größen, machten sich auch bald im neuen Abgeordneten-Hause bemerkbar.

Die Februar-Verfassung ist nicht ohne staatsmännischen Blick entworfen, und mit Umsicht und rastloser Thätigkeit war sie auch durchführbar, wenn man sich rechtzeitig zu Concessionen an die Ungarn herbeiließ, anstatt ihre Rechtscontinuität zu bestreiten und schlechterdings wegzuleugnen. Noch einmal, vielleicht zum letztenmale, war der Moment gekommen, ein einiges Oesterreich zu schaffen. Schmerling besaß anfangs eine unbestrittene Macht, und es scheint, daß er nur zuzugreifen brauchte, um seinen Entwurf ins Leben zu führen. An Energie fehlte es ihm nicht – das hatte er in Frankfurt bewiesen. Da handelte es sich freilich nur um die Energie zu einer einzelnen gewaltigen That, um eine rasche und augenblickliche Kraftäußerung, wie sie seinem eigentlichen soldatischen Naturell zusagte. Ein Minister muß aber, wie Bismarck, ebenso zähe und rücksichtslos als energisch sein, er muß rastlos arbeiten, sein festes Ziel stets im Auge haben, unablässig darauf hinsteuern, vor keinem Hindernisse zurückschrecken. Das gilt nach Oben wie nach Unten! Und ich glaube, nach beiden Richtungen – der Freund möge mir verzeihen – hat es der sonst treffliche Mann ein wenig versäumt. Er ist im rechten Augenblicke nach Oben nicht und fest entschieden aufgetreten, er hat sich im Abgeordnetenhause keine sichere und gegliederte Partei gebildet, er hat mit der Opposition geschmollt, sie theilweise geringschätzig behandelt, anstatt sie durch wahrhaft staatsmännische Handlungen zum Schweigen zu bringen. So wollte ein echtes constitutionelles Leben unter dem Regimente des Altliberalen nicht recht aufkommen, und Niemand wird behaupten, daß der freiheitlichen Richtung vom Februar 1861 bis September 1865, wo die Sistirung der Constitution erfolgte, irgend ein Vorschub geworden. Dagegen fallen in diese Jahre große politische Fehler: der Versuch des verunglückten Fürstentages in Frankfurt, der Gasteiner Vertrag, das Zusammengehen mit Preußen im schleswig-holstein'schen Kriege gegen alle Warnungen der vernünftigen Stimmen im Abgeordnetenhause. Daß Eszterhazy und die Ungarn längst insgeheim gegen Schmerling agitirten, ihm den Boden untergruben, hatte der offene Mann niemals glauben, noch auch zur rechter Zeit austreten wollen, wie ihm wohlwollende Freunde gerathen – so fiel er plötzlich ins Bodenlose, mußte doch die laufenden Geschäfte fortführen, nachdem Belcredi bereits ernannt war, wurde sogar genöthigt, die Thronrede mitanzuhören, die seiner Verfassung den Garaus machte. Ich bedaure den gefallenen Freund, der freilich nicht tapfer genug seine Position vertheidigt hat – aber wogegen Götter selbst vergebens kämpfen – –

Der Dualismus, in welchem sich Oesterreich dermalen befindet, wird nicht selten als der »Anfang des Endes« bezeichnet, und ein geistreicher Mann, zugleich witziger Kopf schlug deshalb vor, den Staatsmann, an dessen Namen sich die Zweitheilung des Gesammtreiches knüpft, zum Grafen »finis Austriae« zu ernennen. – Jedenfalls steht es außer Frage, daß man den Ungarn in irgend einer Weise und Form gerecht werden mußte, wie es andererseits unter Hohenwart klar geworden, daß der Versuch: Oesterreich föderalistisch und auf czechischer Grundlage gestalten zu wollen, zu endlosen inneren, wohl auch äußeren Kämpfen führen würde. Ein constitutionelles und freiheitliches Gesammt-Oesterreich war unter Bach möglich, auch noch unter Schmerling – doch nach mancher Verständigen Meinung nur mit möglichster Schonung der Eigenheiten der verschiedenen Kronländer und mehr oder minder unter deutscher Führung. Wenn Nationalitäten mit einander verbunden sind, die nicht auf gleicher Culturstufe stehen, dann ist es schlechterdings nothwendig, daß die vorgeschrittenste auch voran gehe. Die sogenannte »Gleichberechtigung« bis zur äußersten Consequenz durchgeführt, führt schließlich ad absurdum, und den Staat, welcher den Theilen das Ganze opfert, seinem unaufhaltbaren Verfalle entgegen.


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