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Tannhäuser erwachte aus seinen träumerischen Gedanken erst als der Wagen auf dem Rückweg vor dem Kasino hielt, wo man ausstieg, um den Spielern bei den Petits chevaux zuzusehen. Tannhäuser, der viel lieber zusah als selber spielte, stand hinter dem Stuhl der Göttin, die Goldstücke auf gute Nummern setzte. Tannhäuser fielen die Croupiers auf, scharmante, schöne und selbst dann noch entzückende junge Herren, wenn sie die Verluste der Spieler einstrichen. Diese graziösen Croupiers waren in schwarze Seide gekleidet, trugen weiße Glacés, lockere gelbe Perücken mit einem Federschmuck darin. Gar nichts erinnerte in diesen jungen Gesichtern und warmen klingenden Stimmen an die wirkliche Arroganz und lächerliche Wichtigtuerei und die abominable Häßlichkeit der Croupiers, wie man sie kennt. Besonders der Ausrufer der Gewinne war ganz entzückend. Er liebte leidenschaftlich seine Pferdchen, von deren Hodensäckchen er bereits die ganze Farbe geleckt hatte, und das war, wenn man mich fragen sollte, ob das alles sei, nicht ganz alles, denn der deutlich sichtbare Glanz an den kleinen Popos der Pferdchen sagte, daß auch ihnen des hübschen Croupiers begeisterte Liebe zuteil wurde.
Der Nachmittag lichtete durch die hohen, seidenverschlossenen Fenster auf das Gold der Wände, die Armleuchter, die Spiegel, den parkettierten Boden, die bemalte Decke, die um eine grüne Wiese sausenden Pferdchen, die elfenbeinen Rechen der Croupiers, die geschmückte, befrackte Menge der Spieler, und alles wurde warm und prächtig in diesem Lichte. Man servierte den Tee. Es sah reizend aus, wie manche samtene Dame an der Tasse nippte und dabei die Augen fest auf die herumjagenden Pferdchen hielt. Die sich nicht dafür interessierten, verließen den Spieltisch und nahmen im Tête-à-tête oder in Gesellschaft den Tee.
Tannhäuser fand das Kasino sehr anregend. War ja auch Ponchon ein Festarrangeur von ganz ungewöhnlicher Erfindung. Kein Tag, wo er nicht mit Neuem überraschte, wovon man sich, wie auch von der Art seines Talentes, durch Blättern in den alten Kasinoprogrammen überzeugen kann, – welche Menge von Balletten, Komödien, Komödie-Balletten, Konzerten, Bällen, Pantomimen, Rätselspielen, Zaubertheatern, Burlesken, Marionetten! Dieser Ponchon witterte neue Talente aus mit einem verblüffenden Spürsinn, und nicht wenige erste Darsteller und Sänger am Theater der Königin und in ihrem Opernhaus hatten im Kasino debütiert und hier ihren Ruf begründet.
Pièce de restistance dieses Nachmittages war eine Aufführung von Rossinis verehrungswürdigem Meisterwerk, dem Stabat Mater. Sie ging in dem Prunksaale der Printemps Parfumés vor sich und war eine unerhörte Mis-en-scène dieser köstlichen demodierten Pièce der Dekadenz, über deren Musik es liegt wie morbider Tau auf Wachsfrüchten, was Sänger sowohl wie Orchester zu höchster Delikatesse in der Tongebung steigert.
Spiridion sang die Altpartie der Jungfrau. Und er machte in der Tat eine Jungfrau voller Gnaden aus ihr. Um mit seinem starken Kostüm zu beginnen, waren die Schenkel bis hinauf zu den weiblich breiten Hüften in weiße Strümpfe mit rosa Zwickeln gesteckt, unten bis zur Mitte der Wade bedeckt von braunen Knopfschuhen aus Lackleder; um die hurenhaft üppigen Schenkel trug er dünne, scharlachrote Strumpfbänder. Die Ärmel seiner kurzen Reitjacke nach Jockeiart lösten sich in Falten und Volants, auf den Schultern lag ihm ein schwarzer Halskragen. Das Haar war grün gefärbt und gelockt, dem ähnlich, womit Luis de Morales, der Divino, seine gütig-zarten Madonnen schmückt, und es fiel, um das Oval der hohen, fettglänzenden Stirn sich scheitelnd, über Ohren und Wangen bis auf den Rücken. Des Altisten Gesicht war ein Traumspuk, erschreckend und zauberisch. Die großen schwarzen Augen lagen auf starken, blaugeäderten Säckchen, die ins Fette wollenden Wangen trugen Puder und Grübchen, der Mund war ein purpurrotes Rosenblatt, das Kinn voll Zartheit, der Ausdruck dieses Gesichts weibisch grausam. Großer Himmel, wie herrlich sah er aus und trug er vor! Er begleitete seinen Gesang mit rundenden Gesten der kleinen Hand, einer erregenden Bauchatmung, einem bebenden Zittern der trikotierten Beine und dem Gloria eines sich hebenden und senkenden Busens.
Die Begeisterung entlud sich in prasselnden Donner des Applauses. Claude und Clair warfen Rosen auf den tollen Burschen und trugen ihn im Triumph zwischen die Tische. Man erklärte sich von seinem Kostüm genotzüchtigt. Insonders die Männer rissen ihn in Stücke, schnappten nach seinen mächtigen, zitternden Hinterbacken. Ganz vergessen waren die petits chevaux.
Da nickte und fand auch schon der witzige Sup rechten Weg durch die fleischfarbnen Trikots und trieb sich rüstig bis ans Heft hinein, während alle Anhänger des egoistischen Kultes, Pudex, Cyril, Anquetin, Ballice, Cervo, Quadra, Senillé, Mellefont, Théodore, Le Vit und Maka um das Paar standen und knieten und es mit ihren warmen Sprés sättigten.
Am spätern Nachmittag schenkten Venus und der Chevalier dem Atelier de la Pine's eine kurze Visite, denn der Chevalier hatte große Lust, von dem Meister porträtiert zu werden. De la Pine's Ruf als Maler war von seinem Ruhme als Berater sehr gewachsen, denn alle Damen, die des Vergnügens an seiner letzten Kunst sich erinnerten, schenkten der andern einen wohlwollenden Seitenblick, mit der er seine Fêtes galantes gemalt hatte. De la Pine war was man einen Gaillard nennt und sein Atelier ein richtiges Bordell. Aber es brauchte sein bedeutendes Talent in Wahrheit dieser hurerischen und praktischen Beihilfe gar nicht, denn er war mit seinem Malpinsel nicht weniger stark und geschickt als mit seinem andern Pinsel. Als Venus und Tannhäuser seine Werkstatt betraten, stand der sehr kleine Maler inmitten von Freunden und Kennern, die sein letztes Bild bewunderten, eine kleine Leinwand, eines seiner entzückenden Lévers. Auf einem italienischen Balkon lehnte eine Dame und las einen Brief. Unter dem strohgelben Rock wurden die braunen Strümpfe, die weißen Schuhe sichtbar. Auf dem zu einem Knoten gebundenen Fuchshaar trug sie einen Florentiner Strohhut. Ihr zu Füßen lag ein reizender kleiner Japan-Hund, zu dem Fanny, der Liebling der Göttin, Modell lag. Auf der Ballustrade stand ein leerer Vogelkäfig offen. Im Hintergrund blaute morgendlich eine französische Landschaft. Baumgruppen auf Hügeln, Stück eines Flusses, ein Schloß.
De la Pine eilte herbei, die duftende Hand der Venus zu küssen, Tannhäuser aber machte eine große Verbeugung mit der Bitte, einige Bilder sich ansehen zu dürfen, worauf ihr der zwerghafte Künstler in seinen Atelier herumführte. Cosmé befand sich gerade unter den Anwesenden denn de la Pine malte sein Porträt das nebenbei ein Chef d'oeuvre zu werden versprach, wie es der von allen geliebte und bewunderte Cosmé auch verdiente. Er war Großmeister in seinem Fache, der so delikaten und wichtigen Kunst des Haardresses; dazu war er zuvorkommend und so sehr bescheiden, daß man ihn nie woanders sah und traf als wo man ihn brauchte. Dann wirkte er in seiner weißen Schürze, der schwarzen Atlasmaske und dem silbernen Kleid sehr gut im Räume. Und dann war er diskret. Der Maler hatte für Venus und den Chevalier ein kleines Souper vorbereitet und drang in Cosmé, daran teilzunehmen, aber der gute Coiffeur tat den Schwur, dies sei de trop und es kostete viele Mühe und eines auffordernden Wortes der Venus, daß er endlich annahm.
Es war eine reizende partie carrée! Der Maler festlich in Purpur, das Haar pompös gelockt, die schweren Augenlider bemalt, seine Bewegungen ein bißchen bei aller Ungeniertheit romantisch, erinnerte er ein bißchen an Maurel als Wolfram im zweiten Akt der Wagnerschen Oper. Venus trug eine hinreißende Toilette aus Camille' Hand, und sah aus wie K.... Tannhäuser war als Dame gekleidet, göttlich schön. Cosmé strahlte in Gold starrte in Krausen, glitzerte in schimmernden Knöpfen, das Gesicht gemalt, in großer Perücke; er sah aus wie der Marquis in einer komischer Oper