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Das elfte Kapitel, welches etwas enigmatisch von den Heiligen im Venusberg berichtet

Es waren, Tannhäuser erinnerte sich des Zusammenhanges und Anlasses nicht mehr, einmal während des Festes bei de la Pine Heilige des Hörselberges genannt worden; nur dieses Wort, unsere lieben Heiligen, und dies fiel dem Chevalier ein, als er sich am andern Morgen etwas erschöpft und Beschaulichkeit geneigter als sonst beim Frühstück einfand. Aber Priapusa verzog die vielen Wülste ihres Gesichtes zu einer abscheulichen Grimasse, als er nach der Bewandtnis der Heiligen fragte, und Venus öffnete erschreckt ein ganz klein wenig den Mund, so daß sich auf ihrer Stirn, eben noch lachend, eine kleine Falte Unmutes oder Sorge bildete. Der Chevalier entschuldigte sich aber gleich höflich, leider von etwas gesprochen zu haben, wovon man, wie er merke, nicht gern rede, und neigte seine Lippen über jene Stelle, wo die Brust der Göttin mit zärtlicher Verliebtheit, und nicht ohne ein einladendes Adieu zu sagen, unter die Achsel verschwindet. Ich werde de la Pine fragen, dachte er dabei. Er hatte ihm für den Nachmittag eine Sitzung versprochen.

»Ja, unsere liebe Frau vom Berge liebt es nicht, an jene ihrer treuesten Diener in der Untreue erinnert zu werden,« sagte de la Pine, während er die vibrierende Linie von Tannhäusers Profil mit dem Pinsel auf die Tafel zog. »Sie zittert für jeden ihrer Freunde, er könnte so ein Heiliger werden, wie man in diesem scharmanten Höllenhimmel des Berges dessen Pensionäre nennt, die hier wie Eremiten leben. Man will doch vor dem andern Himmel des großen Herrn nicht zurückstehn, vous-savez, und darum, wenn auch sonderbare, so immerhin unsere Heilige. Wieviele? Ich kenne vier oder fünf, aber es sollen ihrer mehr jenseits des Sees leben, geht das Gerücht, jeder in seinem Turm ganz komfortabel, aber nach einer Regel, ein bißchen mönchisch. Sie empfangen zum Beispiel nie eine Frau, was für unsere Damen so verlockend ist, daß sie manchmal Ausflüge nach den Türmen machen, um aber immer verschlossene Türen zu finden.«

De la Pine machte eine Pause, die Tannhäuser nicht unterbrechen wollte aus Höflichkeit gegen ein nun einmal dem Maler gehörendes Profil. Schon sprach wieder der Maler, weniger interessiert an dem Gegenstand als daran, dem Gesichte des Chevaliers die Spannung zu geben, die er für seine Malerei brauchte.

»Philosophisch gesprochen sind unsere Heiligen dem Begriffe nach das bißchen Metaphysik, das wir uns hier im Berge leisten können. Sie werden ja schon bemerkt haben, daß wir nur einen Kuppelhorizont besitzen und dementsprechend ist auch unsere Transzendenz eigentlich nur so. Eine kleine Koketterie. Selbst wenn unsere Heiligen von Gott reden sollten, geschähe das immer im Schatten des Mons de Venus, dem einzigen Gebirge dieses entzückenden Ortes, wie Sie wissen, mein lieber Chevalier. Sie machen übrigens ein so nachdenkliches Gesicht, daß es mich versucht, Ihnen einen Heiligenschein zu malen.« Und der Maler lächelte ein florentinisches Lächeln, als er hinzufügte: »Jetzt schon?«

»Ihre Bemerkungen waren so allgemeiner Art, verehrter Meister, daß ich das Eindeutige Ihrer Frage nicht recht verstehe,« sagte der Chevalier etwas verwirrt und wollte damit, daß er sein Spitzentuch leicht an die Stirne führte, andeuten, daß er die Sitzung beendet wünschte. Aber der Maler hatte bereits die Tafel von der Staffelei genommen und verkehrt an die Wand gestellt, was, geschah es gegen die Neugierde, nicht nötig gewesen wäre, denn Tannhäuser dachte gar nicht an das Bild, so wenig auf seiner Höhe fühlte er sich.

Man ging auf die weit in den Park springende Loggia, unter deren Zeltdach aus erbsengrüner Seide die zwölfjährige Palmyre, de la Pines kleinste Freundin vom Tage, den Tee gerichtet hatte.

»Nicht nur meine Fratze,« sagte der Maler, »ist eines Faunes der alten Zeit, der sich weigerte, unter das gekreuzte Holz zu treten. Mein Blut oder wie Sie das nennen wollen, ist so, daß es nicht einmal zu einem Heiligen unseres Berges was abgibt. Dann bin ich auch ein Maler, und der blasse Gedanke versucht mich nicht, auch nicht in der Gestalt der erschöpften Frauen im Nachher, denn ich mache mich, droht derlei von ferne, immer wieder frei davon bei den Kindern, die es treibt und die es treiben wie die Zicklein auf der Wiese, nur mit Freuden und ohne Vor- und Nachgedanken. Die Zehnjährige macht nie, küßt man sie, das tragische Gesicht, das wir an den Frauen erfahren nach ihrem achtzehnten Geburtstag, wenn sie glauben, nun begänne die Liebe.«

Tannhäuser bekam von dem, was de la Pine sagte, einen etwas faden Geschmack im Gaumen; er fand diesen und hätte auch jeden andern Versuch, die Lust der Sinne und das Selbstgenügen in dieser Lust mit Worten zu rechtfertigen, etwas lächerlich gefunden, weil hier Mühe der Worte auf einen Zweck gewandt war, den, hat man ihn einmal erkannt, jedes darauf gerichtete Wort verdächtig macht. Wie ridikül, dachte er, ist doch jeder Versuch, im Priapischen Sinn zu suchen oder ihm gar eine Philosophie zu geben außer einer sehr traurigen; diese vergnügliche des guten de la Pine ist direkt albern, wofür er nur Entschuldigung in dem verzeihlichen Umstand hat, daß er ein Maler ist, also nicht verpflichtet zu anständigem Denken.

Es war darum nicht Antwort, sondern eine Stelle solcher Gedanken, als der Chevalier sagte:

»Macchiavell hätte nie einen Heiligen aus sich machen können, auch mit bestem Willen dazu nicht. Wohl aber Franz von Assisi einen Macchiavell und Schlimmeres noch, denn der Florentiner war doch nur ein kleiner Kommis in den Bureaus der Politik, der Mann aus Assisi aber führte eine Armee von zwanzigtausend Mönchen und gab Millionen eine noch immer befolgte Regel.«

»Darüber werden Sie sich besser als mit mir mit unserm Heiligen Sholeros unterhalten können, mein lieber Chevalier, er ist recht stark in der Theologie –.«

»Nichts weiter?« fragte Tannhäuser interessiert.

»Keineswegs schwach in allem andern, denn um bei uns hier ein Heiliger zu werden, muß man sich noch sozusagen im Stande der phallischen Gnade befinden, anders entspräche ja dem Verdienste kein Opfer, und darauf legt auch unsere Dogmatik wert, daß man aus dem Können heraus verzichtet und eine Tugend nicht aus einem Zustand gewinnt, der faute des moyens Untugend gar nicht mehr in sich trägt als eine Möglichkeit.«

»Aber was ist es,« fragte mehr nachdenklich als auf Antwort neugierig der Chevalier, »was ist es, das solche Wandlung herbeiführt? Welcher Wegweiser steht da mit solcher Macht, daß er abzwingt vom reizend befundenen Wege in einen andern, der doch, wollen die Sinne immer noch den Galopp, recht schwierig und leicht gangbar doch nur für jene sein muß, die einen ausgeschlürften Leib am Stocke hinschleppen? Sagen Sie nicht Überdruß oder Ekel, denn das sind so kleine Hindernisse, immer wiederkehrend, daß man sie gewöhnt und leicht nimmt in einem Sprunge. Es muß was ganz anderes sein.«

»Ich rate nur. Vielleicht ist sichere Voraussicht solchen ausgeschlürften Leibes und die Angst davor so groß, daß sie die Wendung herbeiführen.«

»Das wäre dann nur eine hygienische Maßregel und recht schwächlich, um so Bedeutungvolles auszuwirken, wie es der völlige Verzicht ist. Angst müßte schon vor mehr sein als davor, bloß daß ein Tag käme, an dem man vor Ruinen steht und klagt. Und warum sollte, da die Vergänglichkeit des irdischen Leibes ein Wissen von früh auf ist, gerade diese Vergänglichkeit uns so sehr erschrecken, daß wir mitten im Tage auf den Tag verzichten für immer und für immer in die Nacht gehen? Wir sterben ein bißchen in jeder Umarmung, was wohl auch Teil des Vergnügens ist, das wir in ihr empfinden, sterben, um mit nachlassender Kraft Auferstehung zu erleben, – soll uns dies auf einmal so sehr erschrecken, daß wir auf dieses Immer-wieder-sterben verzichten, wo uns doch der Tod gewiß ist und das Leben mit dem Verzicht nicht gewonnen wird? Aus so engem Sehen kann sich solcher Umkreis des Schauens nicht auftun, wie ihn doch jene besitzen, die mitten aus dem Glück ihrer Sinne diesem Glück absagen, bevor sie von den Sinnen Absage bekommen.« Der Chevalier Tannhäuser hatte sich erhoben.

»Mir steht als Maler ein Recht darauf zu, keine profunden Gedanken zu haben und mich mit den Gemeinplätzen eines wie ich zugebe etwas gewöhnlichen Sensualismus zu begnügen. Ich bin das der Reizbarkeit meiner Augen schuldig. Meine Erklärung für jene Wende, die Sie so beschäftigt, wird Ihnen darum sicher nicht genügen, lieber Chevalier, denn sie bewegt sich im Lustkreis. Ich meine oder vielmehr ich vermute als eine Möglichkeit, daß der Ausübung der theologischen Tugenden eine Lust innewohnt größer als der Ausübung aller theologischen Laster. Darauf sind unsere Heiligen durch glückliche Umstände gekommen und wären also eigentlich um ihr größeres Vergnügen zu beneiden.«

»Wäre es so, mein lieber de la Pine, dann nennten Sie ihre bequemen Pensionäre Heilige ganz mit Unrecht, denn Glücklichkeit kann doch wohl nicht Zustand des Heiligen sein, sondern Verzweiflung. Der glückliche Mensch dieses Lebens ist doch sicher der von Gott fernste. Ich werde mir die seltsamen Herren ansehen.«

Ich werde sein Porträt nicht fertigmalen können, dachte de la Pine, als Tannhäuser gegangen war.

 


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