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Sechster Abend.
Lied und Spiel der Phääken.

Mit der Morgendämmerung erhob sich der König Alkinoos und sein ihm noch immer unbekannter Gast vom Lager. Beide gingen auf den Markt und setzten sich auf schön behauene Steine nieder, dergleichen rings umher für die phäakischen Fürsten aufgestellt waren, wenn sie sich zu einer allgemeinen Beratschlagung einfanden. Noch war niemand da; aber Athene ging schon, als Herold verkleidet, von Haus zu Haus, und indem sie die Neugier und Teilnahme der Phäaken für den seltenen Fremden erweckte, lud sie alle die Häupter zu schneller Versammlung ein. Da kamen sie in Scharen und erfüllten die Sitze, während das Volk sich in den Gängen durcheinander drängte und auf den Fremdling schaute, über dessen Geleitung die Fürsten beraten wollten. Er aber stand wie ein Gott unter ihnen, denn Athene hatte ihm Hoheit der Gestalt und Anmut verliehen, um ihm die Bewunderung und Liebe der Phäaken desto sicherer zu gewinnen.

Nachdem alle versammelt waren, nahm der König das Wort. »Hört mich an«, sprach er, ihr erlauchten Fürsten der Phäaken. Dieser Fremdling hier – ich kenne ihn nicht und weiß nicht, ob er vom Morgen oder vom Abend her zu uns gekommen ist, – hilfeflehend hat er mein Haus betreten und begehrt nun von uns weiter geleitet zu werden. Laßt uns also schnell daran denken; denn noch niemals ist jemand meinem Hause mit einer Bitte genahet, die ihm nicht gewährt worden wäre. Darum auf, ihr Jünglinge, versammelt euch, zweiundfünfzig an der Zahl, zieht ein gutbewährtes Schiff ins Meer und besorget alles, was dazu gehört. Dann kommt in meinen Palast, da will ich euch alle mit Speise und Trank versorgen. Ihr aber, ihr Fürsten, erfüllt mir eine andere Bitte. Folgt mir in meinen geräumigen Saal, daß wir den Fremdling noch einmal glänzend bewirten; und damit unserer Freude auch das Lied nicht fehle, rufet den göttlichen Sänger Demodokos herbei.«

So sprach der König und stand auf. Die Fürsten folgten ihm in sein Haus, und der Herold eilte zum Sänger; die Jünglinge aber begaben sich in den Hafen, um die Fahrt zu rüsten nach des Königs Befehl. Eilig zogen sie ein Schiff ins Meer, richteten den Mastbaum auf, hängten die Segelstangen mit den Segeln daran und knüpften die Ruder an lederne Riemen. Hierauf verfügten sie sich dem Gebote gemäß in den Palast, dessen Hallen, Höfe und Säle von Gästen wimmelten. Alkinoos gab aus seinen Ställen zwölf Schafe, acht Schweine und zwei Stiere zum besten, davon ließ sich schon ein tüchtiges Mahl bereiten. Die Jünglinge übernahmen das Geschäft des Schlachtens, und unterdessen erschien der abgeschickte Diener mit dem alten Sänger, der die Fürsten im Saale mit seinem Gesange erfreuen sollte.

Unter allen Völkern giebt es einzelne Menschen, die mit einem hellen Geiste eine ganz vorzügliche Stärke der Empfindung und Auffassung verbinden, in deren Seele sich alle Gegenstände lebhafter darstellen und fester eindrücken, und deren feiner, empfänglicher Sinn von einer schönen Gegend, von einer großen That und von allem, was andere Menschen oft nur flüchtig berührt, auf das lebhafteste ergriffen, entzückt und begeistert wird. Sie können dann die Begeisterung nicht in sich verschließen; was sie schön empfinden, wollen sie auch andern schön darstellen; was sie gerührt hat, das – wollen sie – soll auch andere Menschen rühren. Da genügt ihnen dann die Sprache des gewöhnlichen Lebens nicht mehr; sie reden gleichsam wie in einem holden Wahn, und ergehen sich in überraschenden Wendungen, neuen und gewählten Ausdrücken, kühnen, unerwarteten Gleichnissen. Solcher dichterischen Geister finden sich, ich wiederhole es, zu allen Zeiten, und ihr Wesen und Wirken offenbart sich oft am bedeutsamsten, wenn sie einem Volke von einfacherer Bildung angehören. Denn meistens sind sie da die eigentlichen Lehrer der Weisheit und die alleinigen Pfleger dessen, was wir Kunst nennen, mindestens sind sie stets auch Sänger. Ist daher ein Saitenspiel bereit, so wird ihre Rede ein begleitender Gesang, die Worte fügen sich wie ungesucht zu dem Takte der Musik, und so entsteht ein schöngemessener Vers, dessen Wohlklang die Begeisterung des Dichters nährt und erhöht und die Hörer desto lebhafter fesselt. Das Volk steht erstaunt und sieht in dem entzückten Sänger kaum noch einen Menschen; ein Gott scheint aus ihm zu sprechen; die Begeisterung, die ihn so wunderbar ergreift, muß ihm ein höheres Wesen einhauchen. Ja der Sänger selbst, indem er sich fähig fühlte alles, was er wollte, zu singen, war bei sich überzeugt, daß in diesem Augenblicke ein Gott sein Herz beherrsche.

Auch bei den Griechen gab es in den Zeiten, welche Homer uns schildert, Sänger, die als begnadigte Lieblinge der Götter besondere Ansprüche auf Verehrung und auf freundliche, achtungsvolle Behandlung hatten. Sie erscheinen bei den Festmahlen der Fürsten, verherrlichen den Ruhm der Vorfahren, und während sie dem Ehrgeize schmeicheln, bieten sie durch ihre Gesänge zugleich eine Schule der mannigfaltigsten Bildung. Ein solcher Sänger – Aöden nennt sie der Dichter – war auch Demodokos, den der Herold jetzt zu dem Hause des Alkinoos führen sollte.

Er war blind, aber sein Gedächtnis war voll von herrlichen Geschichten, die sein beredter Mund entzückend vorzutragen wußte, indes seine Hand kräftig die Saiten der Phorminx rührte. Dies war das Instrument, welches nicht bloß die Chortänze leitete, sondern auch bei dem Vortrage der Lieder angewendet wurde. Es diente dazu der Stimme die nötige Haltung zu geben und den Vortrag nicht bloß einzuleiten, sondern auch zu begleiten. So war der Vortrag der Heldenlieder einst bei den Arabern, so bei den Goten und Wandalen, bei unsern Vorfahren, und noch jetzt bei den Serben, die ein Saiteninstrument von dem einfachsten Bau, Gurla genannt, anwenden. Das gilt auch von der Phorminx, die mit Schafsaiten bezogen und bogenförmig gestaltet war.

Der Herold führte ihn sanft am Arme herbei, stellte ihm mitten im Kreise einen Sessel hin an eine Säule des Saals, und über seinem Haupte hängte er die Phorminx an einem Nagel auf, lenkte auch freundlich dem blinden Manne die Hand dahin, damit er nachher sie finden könnte. Dann setzte er einen Tisch mit Fleisch vor ihn hin, holte den Brotkorb herbei, mischte Wein für ihn und bediente ihn wie alle die übrigen Gäste. Als nun die Eßlust der Schmausenden gestillt war, griff der Sänger nach seiner Phorminx, um das Lied zu beginnen. Und nun erscholl sein Gesang, wie Schlachtruf und Waffengeklirr, zur Feier des Trojanerkriegs. Alles lauschte begeistert den Klängen, die tief in jedem Griechenherzen widerhallten. Da wandte sich sein Gesang, und nun pries er den Streit der beiden siegreichsten Führer, deren Ruhm vor allen leuchtete, des Achilleus und des Odysseus.

Das traf unsern Helden wie Schwertstreich. Die Erinnerung riß alle Wunden seines Herzens wieder auf; er zog den Mantel über das Haupt und verbarg sein Gesicht, damit die Phäaken seine Thränen nicht sahen. Erst als der Sänger schwieg, trocknete er sich schnell die Augen und nahm den Mantel von seinem Haupte. Aber sobald der Sänger wieder anhub, stürzten auch die Thränen wieder hervor, und seiner selber kaum mächtig, seufzte Odysseus tief auf. Das hörte Alkinoos, der ihm zunächst saß, aber schonend, als merke er's nicht, sprach er bei der nächsten Pause des Sängers zu seinen Gästen:

»Hört, Freunde, ich denke, jetzt hat Mahl und Gesang uns alle sattsam erfreuet. Laßt uns nun hinaus gehen und Kampfspiele versuchen, damit unser Gast auch darin die Geschicklichkeit der Phäaken erkenne und seinen Freunden zu Hause davon erzähle.«

Sogleich standen die Schmausenden alle auf und folgten dem Könige hinaus. Auch der blinde Sänger ging mit, nachdem ein treuer Diener ihm seine Phorminx abgenommen und sie an den Nagel gehängt, ihn selbst aber bei der Hand gefaßt hatte. Der Markt füllte sich wieder mit neuem Getümmel, die Fürsten setzten sich, rings umher stand das Volk, und die Jünglinge, welche ihre Kunst im Ringen, im Faustkampf, im Laufen und Werfen zeigen wollten, traten in den weiten Kreis hervor.

Zuerst versuchten sich drei Söhne des Königs, Laodamas, Halios und Klytoneos, im Wettlauf, von denen der letztere den Preis davon trug. Dann traten die starken Ringer auf, unter denen der tapfere Euryalos alle besiegte. Hierauf ließen sich die Springer sehen, auf welche die Scheibenwerfer folgten. Den Beschluß machten die Faustkämpfer, und in diesem gefährlichen Spiele behielt der schöne Laodamas die Oberhand.

»Hört, Freunde«, rief hierauf der junge mutige Mann, »wir wollen doch unsern Gast fragen, ob er nicht auch in Kämpfen geübt ist. Wahrlich! seine Gestalt ist edel; seht nur die hohe Brust, die Schenkel, die Arme und den starken sehnigen Nacken! Auch sein Wuchs verrät einen tüchtigen Mann, und alt ist er auch noch nicht. Das Unglück hat ihn nur so mitgenommen; denn wahrhaftig, ich kenne nichts, was einen Mann mürber zu machen im stände wäre, als das heillose Meerwasser, wenn einer auch noch so stark ist.«

»Schön«, erwiderte Euryalos, der Ringer; »das ist ein guter Einfall! Geh nur hin zu dem Manne und fordere ihn auf.«

Laodamas ging hin und forderte den Odysseus auf. Aber dieser lehnte es ab. »Ach«, sagte er, »mein Unglück liegt mir jetzt näher am Herzen als Kämpfe, und ich habe keinen andern Gedanken, als wie ich recht bald nach Hause kommen möchte. Ihr wißt nicht, was ich alles erduldet habe und wie tief Trübsal mich beugt.«

»Schon gut, mein Freund!« rief höhnisch der vorschnelle Euryalos, »Man sieht wohl, daß du dich auf so etwas nicht verstehst. Ein Kämpfer bist du nicht, aber vielleicht ein Aufseher auf einem Kaufmannsschiffe, der die Ladung besorgt, die Waren bewacht und die Gewinne berechnet; nicht wahr? ha ha ha!«

»Ei«, erwiderte mit finsterem Blick der edle Odysseus, »nicht fein war die Rede. Du scheinst mir ein übermütiger Gesell. Man sieht doch recht, wie verschieden die Götter ihre Gaben austeilen. Mancher Mann von unansehnlicher Gestalt ragt oft durch seinen Verstand hervor, und wenn er redet, erstaunt die Versammlung über seine treffenden Worte. Ein anderer dagegen von götterähnlichem Wuchs weiß oft nicht ein verständiges Wort herauszubringen. Sieh, so ist es mit dir bestellt. Du bist von trefflicher Schönheit, aber dein Witz will nicht viel sagen. Wahrlich wärst du nicht solch ein junger Thor, du hättest mich empört mit deiner unziemlichen Rede! Nein, glaube mir, ich bin kein Neuling im Wettkampfe; ich habe mich mit den Tapfersten gemessen, als ich noch jung war und Gram mich nicht niederbeugte. Denn ich habe erduldet, was nur ein Mensch erdulden kann, im Kampf der Feldschlacht wie in Sturm der Meereswogen. Aber wahrlich, so entkräftet ich auch bin, ich versuche den Wettkampf, zu dem du mich gefordert hast! Gebt her die Scheibe!«

Er nahm die schwerste der metallenen Wurfscheiben, welche da lagen, schwang sie am Riemen ein paarmal im Wirbel herum, und nun schleuderte er sie hoch in die Luft, daß sie weit, weit hinter den Scheiben der andern niederfiel.

Da lief einer der Zuschauer hin und steckte an dem Orte, wo die Scheibe liegen geblieben war, einen Pfahl zum Zeichen ein, und als er wieder zurückkam, rief er laut: »Das Mal findet wohl ein Blinder heraus im Tappen, so weit hat es die andern hinter sich gelassen. In dieser Kampfart kannst du sicher sein, fremder Mann, in dem Wurfe wird dir's hier keiner gleich thun!«

»Nun«, rief Odysseus, »schleudert mir doch nach, ihr Jünglinge! Und hat nun jemand noch Lust etwas anderes mit mir zu versuchen – sei's mit der Faust, im Ringen oder im Laufen – der komme her und wage es einmal; denn ihr habt mich höchlich beleidigt. Wohlan, ihr Phäaken, trete her, wer da will; ich stehe bereit zu allem. Sei's wer es sei, nur Alkinoos nicht; er ist mein Wirt, und ungezogen ist es zum Kampfe den Gastfreund herauszufordern, der uns speiset und beherbergt. Aber sonst verschmähe ich keinen der andern, und wahrlich mit der Furcht hat's gar keine Not. Ich will mich mit jedem versuchen im Wettstreit. In keinem Kampf der Männer bin ich unerfahren, und im Bogen spannen suche ich meinen Meister. Mitten aus der Schar der Feinde erziele ich meinen Mann, und er fällt gewiß. Ein Einziger nur hat mich darin übertroffen, als wir vor Troja lagen, Philoktet; aber unter allen andern Schützen behauptete ich den Vorrang. Auch mit dem Wurfspieße treffe ich, so weit kein anderer mit dem Pfeile reicht. Nur im Laufen könnte vielleicht einer von euch mir's zuvorthun, denn das stürmende Meer und die lange Entbehrung haben mich über die Maßen entkräftet.«

Jetzt schwiegen die Phäaken alle; keiner getrauete sich mehr den Helden herauszufordern. Da nahm der König das Wort und sprach:

»Lieber Fremdling, wir glauben deinen Worten; denn nicht aus Prahlsucht rühmst du dich, sondern weil der junge Mensch dort dich wirklich bitter gekränkt hat. Damit du indes zu Hause doch alles Gute von uns erzählen könntest, so höre mich an. Nicht Kämpfen und Ringen ist unser Stolz, aber das hat uns Zeus vor allen Völkern gegeben, rasch im Wettlauf und Meister der Schiffahrt zu sein. Auch lieben wir immerwährenden Schmaus und Saitenspiel und Tanz, schöne Kleider und warme Bäder. Wohlan denn, ihr phäakischen Tänzer, zeigt eure Künste, damit der Fremdling daheim sie verkünde. Hole doch einer des Demodokos Phorminx herbei, die noch in dem Saale hängt.«

Sogleich eilte ein Herold hin und holte die Phorminx. Die jungen Tänzer stellten sich in Ordnung und begannen mit Schwung und Sprung den künstlich gemessenen Tanz. Odysseus bewunderte ihre flügelschnellen Füße; er hatte so etwas noch nie gesehen. Lieblich begleitete die Musik die Bewegung der Tänzer, und rasch stimmte noch der alte Sänger ein lustiges Lied an, welches alle Zuhörer zu lautem Gelächter zwang. Als der Chortanz der Jünglinge eine Weile gedauert hatte, traten des Königs Söhne, Laodamas und Halios, einzeln hervor und erregten allgemeines Staunen. Einer warf einen wollenen Ball beinahe bis in die Wolken, und der andere fing ihn im Sprunge auf, so daß der Ball in seine Hand fiel, ehe des Tänzers Fuß noch die Erde berührte. Dann schwangen beide sich in mannigfaltigen nachahmenden Stellungen, und die Jünglinge rings umher klatschten mit den Händen dazu und erhoben freudigen Zuruf. Odysseus ergötzte sich sehr an den künstlichen Formen und Stellungen und machte dem Alkinoos darüber Lobsprüche, die den alten Mann in der Seele freuten. Er wollte nun einmal den Fremden recht glänzend entlassen, und darum schlug er jetzt in der Versammlung vor, jeder der zwölf phäakischen Fürsten solle dem Gaste ein Geschenk an Golde und ein schön gewirktes Ober- und Unterkleid geben, dazu wolle er selbst noch ein Übriges thun; so wolle man ihn fortsenden. Auch müsse noch der vorlaute Euryalos dem beleidigten Manne seine Schmähung abbitten und ihm ein Versöhnungsgeschenk reichen.

Alle stimmten dem Könige bei, und jeder schickte einen Herold nach Hause, um das Geschenk herbeizuholen. Und jetzt stand auch, zu seiner großen Ehre, der unbesonnene Jüngling auf und sprach:

»Alkinoos, mächtigster König, ja, ich habe mich an dem Fremdlinge vergangen, aber ich will ihn gern besänftigen, wie du gebietest. Siehe dies eherne Schwert will ich ihm schenken; es ist noch neu, das Heft ist von Silber und die Scheide von glänzendem Elfenbein. Gewiß, das wird ihm lieb sein.«

Er trat mit dem Schwerte vor Odysseus hin und sprach beschämt mit niedergesenkten Augen:

»Heil dir, fremder Mann; ist hier ein kränkendes Wort gefallen, so mögen es schnell die Winde verwehen. Dir aber wollen die Götter verleihen bald dein Haus und die Deinen wieder zu sehen, nachdem du so lange fern von der Heimat dich abgehärmt.«

»Lieber,« erwiderte Odysseus, »auch dir werde herzliche Freude und Heil von den Göttern. Möge dir dein Geschenk nicht wieder leid werden, womit du mich hast versöhnen wollen.« Er hängte das Schwert um die Schulter, und aller Groll war vergessen.

Indes war es Abend geworden. Die Diener kamen mit den Geschenken auf dem Markte an, legten sie alle zusammen und trugen sie dann in des Königs Wohnung. Dahin folgte auch die ganze Schar, und die Fürsten nahmen daselbst wieder, wie gewöhnlich, die rings im Saale aufgestellten Stühle ein, Alkinoos bat seine Gemahlin ein warmes Bad für den Gast bereiten zu lassen, und suchte die Geschenke aus, die er selbst für ihn bestimmt hatte.

Sogleich ward ein großer Kessel auf den Herd gesetzt. Die Mägde legten Holz an und schürten die Glut. Die Königin selber holte die kostbaren Geschenke herbei und packte sie wohlgeordnet in eine Lade, die Odysseus nachher verwahren sollte. Schlösser kannte man damals noch nicht, Odysseus half sich statt dessen mit einem künstlichen Knoten, den ihn einmal die zauberkundige Kirke schürzen gelehrt hatte. Jetzt kochte das Wasser im Kessel, und die Schaffnerin rief den Gast zum Bade. Er ging hinaus, entkleidete sich und stieg mit Wohlbehagen in die dampfende Wanne. Nachdem er sich wieder getrocknet hatte, salbten ihn die Mägde mit Öl und umhüllten ihn mit einem prächtigen Gewand und Mantel. Eben wollte er nun wieder zu den schmausenden Männern hineingehen, da fühlte er sich vor der Thür des Saales von sanften Händen aufgehalten. Es war die schöne Nausikaa, die er seit gestern nicht gesehen hatte; denn es ziemte sich für die Töchter des Hauses nicht sich unter jubelnden Männern blicken zu lassen. Still und züchtig mußten die griechischen Jungfrauen oben in ihrer Kammer beim Webstuhl oder bei der Spindel bleiben; und die gute Nausikaa hatte sich auch den ganzen Tag über nach dieser Sitte gehalten. Jetzt hatte sie die Anstalten zur Abreise des Fremdlings vernommen; da trieb sie das Herz den schönen Mann noch einmal zu sehen, der ihr gestern so bescheiden und so edel genahet war. Es war Abend – sie schlich sich leise hinunter und wartete seiner vor der Thür, wenn er aus dem Bade zurückkehren würde. Er kam, und Anmut strahlte aus seinem Gesichte; Würde und Kraft trug seine Schritte.

»Freude dir, Gast!« flüsterte sie. »Und – wenn du einst wieder in deiner Heimat bist, denke auch manchmal an mich; gedenke des Mädchens in Scheria, der du zuerst dein Leben verdanktest.« Sie schlug die Augen nieder und preßte die Thränen zurück.

»O gewähren mir die Götter nur das,« erwiderte sanft der Fremdling, »daß ich glücklich nach Hause komme, so will ich deiner täglich gedenken und deinen Namen wie einer Göttin Namen feiern; denn du hast mir das Leben gerettet, holde Jungfrau.«

Das Mädchen ging traurig auf ihr Zimmer. Odysseus trat wieder in den Saal, wo die Schmausenden saßen, und nahm auf seinem Sessel an der Seite des Alkinoos Platz. Jetzt eilten die Diener emsig umher, um auf die Tische das gebratene Fleisch zu legen und aus dem großen Mischkruge die Becher der Gäste ringsum zu füllen. Ein Herold leitete auch den ehrwürdigen Sänger an der Hand nach seinem Stuhle. Odysseus winkte jenem, schnitt dann von dem Fleische, welches man ihm als Ehrenteil vorgelegt hatte, ein fettes Rückenstück ab und sagte:

»Gieb doch dies dem Demodokos. So arm und elend ich auch jetzt bin, so möchte ich ihm doch gern Liebes erweisen; denn überall muß man den Sängern Achtung und Ehrfurcht beweisen, weil ja die Muse selbst sie belehrt hat und huldreich über ihnen waltet.«

Der Herold nahm das Stück Braten und drückte es dem blinden Sänger in die Hände. Demodokos empfing mit Freuden die Gabe und aß davon. Aber die andern auch streckten hastig die Hände nach dem leckern Mahle.

Nachdem der Hunger gestillt war, wandte sich Odysseus wieder an den Sänger und bat ihn, da er doch alle Abenteuer aus dem Trojanerkriege wisse, noch das eine von dem hölzernen Pferde zu singen, mit welchem Odysseus die Trojaner getäuscht habe. Da sang der Alte zum Klange der Phorminx die seltsame Mär, nicht ahnend, daß der Held, dessen List er feierte, an seiner Seite lauschend saß. Und jener fand, daß der Mann alles nach der Wahrheit schilderte, als wäre er selber zugegen gewesen, und der treffliche Gesang erschütterte abermals sein Herz, so daß er nicht ruhig aufsehen konnte, wie die andern Gaste, sondern oft seufzte und sich verstohlen die Thränen trocknen mußte. Alkinoos bemerkte es wieder, und mit derselben Schonung, wie das erste Mal, gebot er dem Sänger Stillschweigen und sprach zu den versammelten Gästen:

»Hört, ihr Fürsten der Phäaken, ich dachte, wir ließen jetzt den Sänger und die Phorminx ruhen; denn wahrlich nicht allen singt jener zur Freude. Unser Gast sitzt in Thränen, seitdem der Gesang ertönt; ihm scheint ein schwerer Gram an dem Herzen zu nagen. Laßt also den Sänger einhalten, damit wir alle fröhlich sein können; denn für den Gast ist ja doch alles bereitet, und lieb wie ein Bruder muß uns ein Fremdling sein, der uns mit Vertrauen nahet. Und nun sage du uns, Freund, ohne Ausflucht, was ich von dir zu wissen wünschte. Sprich, wie heißest du, und welchen Eltern und welchem Lande gehörst du an? Denn das müssen wir wissen, wenn wir dich geleiten sollen; und geleiten wollen wir dich gern, wenngleich ein altes Orakel uns droht, der eifersüchtige Poseidon werde einmal eins unserer Schiffe, wenn es von einer Begleitung zurückkomme, in den Meeresgrund versenken. Sage uns auch, wo überall du gewesen bist, und erzähle uns von den Menschen, die du angetroffen hast. Welche hast du noch wild und ohne Sitte gefunden, und wo hast du Völker gesehen, die Fremdlinge gern beherbergten und ehrfurchtsvolle Scheu vor den Göttern hatten? Erzähle uns alles, auch warum du geweint hast, als der Sänger von Troja sang. Hast du vielleicht auch bei jenem Unglückszuge einen Bruder oder Verwandten oder einen lieben Freund verloren? Ach, das ganze Elend war gewiß eine Götterschickung, und Troja hat untergehen, so viele Helden haben fallen müssen, um noch spät den künftigen Geschlechtern die Herzen zu rühren.«


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