Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehnter Abend.
Auf dem Boden der Heimat.

Noch waren alle Augen unverwandt auf den Erzähler gerichtet, der so wunderbare Schicksale und Abenteuer bestanden und sich aus allen mit so großer Kühnheit und Besonnenheit gerettet hatte. Alkinoos, wie reichlich er auch seinen Gast bereits beschenkt hatte, glaubte doch solch einen Mann noch höher ehren zu müssen und schlug daher vor, daß jeder der zwölf Fürsten noch ein dreifüßiges ehernes Geschirr und ein Becken zu den früheren Geschenken hinzufügen solle. Sie waren's alle zufrieden und verließen den Palast, um sich in ihren Wohnungen zur Ruhe zu begeben.

Mit dem Anbruch der Morgenröte waren sie wieder beisammen. Ein jeder kam mit seinem Geschenke, und Alkinoos selber stieg in das Schiff, besah es überall und ließ sich die Sachen hineinreichen, um sie an die bequemsten Orte unter den Ruderbänken zu packen, damit sie weder dem Odysseus noch den Rudernden im Wege stünden. Darauf versammelten sich alle die Fürsten und Edeln noch einmal zum Abschiedsopfer im Königspalaste, wo Alkinoos dem Zeus ein junges Rind opferte und das Fleisch davon seinen Gästen zum besten gab. Die Herolde mischten Wein, auch sang der treffliche Sänger wieder. Odysseus aber sehnte sich ungeduldig nach der Heimkehr und redete den König also an:

»Hochgepriesener Held Alkinoos, mächtigster König, und ihr übrigen Fürsten der Phäaken, entsendet mich jetzt, da alles vollbracht ist, was mein Herz sich gewünscht hat. Ich habe nun eine sichere Fahrt und werte Geschenke. Mögen mir die Götter eure Gaben segnen, und möchte ich zu Hause meine Gattin und alle Freunde wohlbehalten antreffen! Ihr aber, die ich jetzt verlasse, beglückt die Weiber eurer Jugend und die teuren Kinder lange in Freude! Die gütigen Götter mögen euch Heil und Tugend verleihen, und nimmer erhebe sich Böses im Volke!«

Allen gefiel diese herzliche und verständige Rede. Der König gab hierauf den Wink zum Aufbruch, doch mußte der Herold noch einmal zum letzten Sprengopfer den Gästen Wein herumreichen. Jeder sprengte von seinem Sitze den seligen Göttern mit halblautem Gebete. Da stand Odysseus auf, reichte seinen Becher der Arete zum Abschiedstrunke und sprach zu ihr die freundlichen Worte:

»Leb auf immer wohl, o Königin, bis Alter und Tod sanft über dich kommen, die ja allen Menschen bevorstehen. Jetzt muß ich von dir scheiden; du aber freue dich lange hier im Palaste deiner Kinder, deines Gemahls und deines Volkes.«

Er ging nun eilig davon, und ein Herold begleitete ihn an den Strand. Auch sandte die Königin noch drei Mägde, um ihm die saubern Gewänder und die Reisezehrung nachzutragen. Sie legten alles ordentlich im Schiffe beiseite, und für Odysseus breiteten sie auf dem Steuerdeck ein zottiges Fell und eine Decke aus, damit er ruhig schlafen könne. Nachdem sie alles besorgt hatten, stieg er selbst hinein und legte sich nieder; die Ruderer nahmen ihre Sitze ein, und, sich weit hintenüber beugend, schlugen sie kräftig mit ihren Rudern das Meer. Das Schiff glitt über die Fläche leicht wie ein Vogel. Odysseus aber sank in tiefen, tiefen Schlaf. Der tapfere Held, der so viele Thaten verrichtet, so viele Leiden erduldet hatte, da lag er nun gleich einem Toten und schlief so ruhig, als ob alle Leiden nur ein Traum gewesen wären.

Eben ging der Morgenstern auf – denn sie waren schon die ganze Nacht hindurch gefahren – als das Schiff in einer Bucht von Ithaka landete. Selbst der starke Stoß des auf den Kiessand laufenden Schiffes konnte den Helden nicht ermuntern, und die Jünglinge, die dem armen Dulder seinen Schlaf von Herzen gönnten, faßten leise die Zipfel des Unterbettes und des Leintuches, auf dem er ruhte, und trugen ihn so sanft ans Land. Auch die Geschenke packten sie schweigend aus und stellten sie neben ihn, abseits von dem Wege, unter einen Ölbaum, und dann setzten sie sich wieder in ihr Schiff und steuerten fröhlich nach Hause. Die Unglücklichen! sie entrannen der Rache Poseidons nicht. Er sah sie zurückfahren und versteinerte ihr Schiff wie einen Felsen im Meer, und um die Stadt der Phäaken türmte er einen hohen Felswall. So erfüllte sich an dem gutmütigen Volke die alte Weissagung.

Unterdessen erwachte Odysseus auf dem feuchten Boden. Er sah sich um; ein trüber Nebel umhüllte rings die wilde Gegend, und der Arme erkannte sein Vaterland nicht. »Wehe mir!« rief er aus, »an welches fremde Land haben mich diese trügerischen Männer ausgesetzt? Ist das die Treue der Phäaken? Wer mag hier wohnen? Unbändige, grausame Horden vielleicht! Wohin wende ich mich? Wo berge ich diese Güter? Ha, wäre ich nimmer zu diesen heimtückischen Phäaken gekommen! Aber Zeus möge es ihnen vergelten, daß sie solche Ungerechtigkeit an hilfebittenden Fremden üben. Gestohlen mag mir ohnehin genug sein. Ich will nur einmal nachzählen und alles durchmustern. – – Nein, daran fehlt nichts, das ist alles richtig. Ach! aber –«

Er wankte trostlos am Gestade umher und erforschte die Gegend. Da kam Athene in der Gestalt eines schönen Hirtenknaben auf ihn zu, einen Wurfspieß in der Hand und Sohlen an den Füßen. Freudig erblickte Odysseus den Knaben, ging ihm schnell entgegen und redete ihn an:

»Lieber, sei mir gegrüßt, da du mir zuerst hier im fremden Lande begegnest. Sei mir nicht feindlich gesinnt; denn wie zu einer Gottheit flehe ich zu dir und umfasse mit Demut dir die zarten Kniee. Vor allen Dingen sage mir, wo bin ich hier? Wie heißt das Land, und was für Männer bewohnen es? Ist es eine Insel oder eine vorragende Küste des festen Landes?«

»Du mußt wohl aus weiter Ferne kommen, Fremdling«, versetzte der Gefragte, »weil du dieses Land nicht kennst, denn wahrlich! es ist berühmt genug. Zwar ist's rauh und gebirgig und taugt nicht, um Rosse darauf zu tummeln, aber Getreide und Wein gedeiht hier trefflich, und an Rinder- und Schafherden ist ein reicher Segen. Bäche tränken das Land, und überall wuchert herrliche Waldung. Wahrhaftig, Ithakas Ruf ist bis Troja gedrungen, und das, sagen die Leute, liegt sehr weit vom achäischen Lande.«

»Ithakas Ruf!« Also war es wirklich Ithaka, wo der Zweifelnde stand? wirklich das liebe, lang ersehnte Vaterland? Welche Freude! Aber noch mißtrauend verbarg er seine Empfindung; er wollte noch nicht verraten sein. »Ja wohl«, sprach er kalt, »habe ich den Namen oft in Kreta, meiner Heimat, gehört. Flüchtig komme ich jetzo von dorther; phönikische Männer haben mich freundlich hierher geführt mit diesen Gütern; denn ich habe zu Hause einen Königssohn erschlagen, der mir meine Beute vom Trojanerkriege streitig machen wollte. Darum mußte ich Weib und Kind verlassen, und – –

»Schweig«, unterbrach ihn Athene, indem sie sich plötzlich in ein blühendes Mädchen verwandelte und ihn freundlich mit der Hand streichelte. »Du bist doch immer der Alte, und darum liebe ich dich eben und habe dich immer beschützt und dir auch anderer Liebe erworben, zumal bei den Phäaken. Spare bei mir die List, wir kennen uns ja; ich bin Pallas Athene und komme jetzt mit dir zu erwägen, wie du deine reichen Geschenke bergest und die übermütigen Freier in deinem Hause züchtigest. Denn sie treiben's nun schon drei Jahre lang und umwerben deine sittige Gattin mit Heiratsgeschenken. Aber sie verweigert es allen; sie hält nur dich im Herzen und sehnt sich unsäglich nach deiner Zurückkunft.«

»Ha wahrlich«, versetzte Odysseus, »es ist schwer, o Göttin, dich in menschlicher Hülle zu erkennen. Zwar bist du mir oft erschienen im Kampfe und in andern Nöten, aber verzeih, oft schien mir's in meinen letzten Drangsalen, als habest du mich verlassen und als sollte ich nie dich wiedersehen. Aber sage mir, wie kann das Ithaka sein! Ich erkenne noch immer nicht die wunderbare Gegend.«

»Ich habe dich nie vergessen«, antwortete die Göttin, »aber ich wollte nicht dem mächtigen Poseidon zuwider handeln, meinem erhabenen Oheim, der dich mit seiner Rache verfolgte. Auch wußte ich ja, daß gänzliches Verderben dir nie vom Schicksale bestimmt war; daher blieb ich ruhig. Jetzt endlich komme ich wieder, um dir zu raten. Aber damit du mir völlig trauest, so laß dir die Gegend zeigen. Siehe hier ist die Bucht, Phorkys, dem Seegott geweiht. Dort am Gestade grünt der weitschattende Ölbaum, den du als Knabe so oft erklettert; hier ist die weite Felsengrotte, in der du den Nymphen so manches Opfer gebracht hast; dort das Gebirge mit der dunkeln Waldung ist Neriton. – Besinnst du dich noch nicht?« So sprach sie und zerstreute die Nebel, so daß die Gegend hell vor ihm lag.

»Ja, ja!« rief er entzückt aus, fiel nieder auf sein Angesicht und küßte die heilige Muttererde und betete mit aufgehobenen Händen zu den Nymphen, den Schutzgöttinnen des Ortes, auf dem er stand. »Ja, dort ist die Grotte der Nymphen! Hohe Najaden, nicht hoffte ich mehr euch jemals wieder zu sehen. Aber seid mir nun im frommen Gebete herzlich begrüßt! Bald hoffe ich euch wieder dankbare Gaben, wie sonst, zu spenden, wenn mir des Zeus siegende Tochter Leben und Heil vergönnt und den lieben Sohn mir erhielt!«

Jetzt erinnerte ihn Athene, daß es nötig sei seine Kostbarkeiten zu verbergen, damit sie ihm nicht entwendet würden. Sie stieg zu dem Ende selbst in die Grotte, und Odysseus reichte ihr Stück für Stück sowohl von den feinen Gewändern als von den kostbaren Gefäßen zu. Sie verbarg alles sorgfältig in einem Winkel und wälzte einen Stein vor den niedrigen Eingang.

Dann ließ sie sich mit dem Helden unter dem alten Ölbaume nieder, noch ferner Rats mit ihm zu pflegen. So sehr sie ihm ihren Beistand versprach, so dringend empfahl sie ihm doch Vorsicht, weil der Freier über hundert seien. Vor allen Dingen meinte sie, dürfe niemand etwas von seiner Ankunft ahnen, bevor er nicht unter der Hand seine Freunde kennen gelernt und eine Anzahl zuverlässiger Anhänger heimlich auf seine Seite gebracht habe. Darum wolle sie seine Gestalt umwandeln, damit er allen unkenntlich sei, und ihm einen Anzug verschaffen, in welchem niemand auf der ganzen Insel den großen König erkennen solle. Sie berührte ihn darauf sanft mit dem Stabe, und sogleich schrumpfte das schwellende Fleisch und der schlanke Wuchs der Glieder zusammen, es verhärtete sich die Haut in grobe Runzeln, wie bei einem Greise, der stolze Nacken krümmte sich, das braune Haar fiel aus, und blöde wurden die feurigen Augen, die sonst von Mut und Heiterkeit strahlten. Aus den langen glänzenden Gewändern, die in weiten Falten seinen Leib umhüllten, wurde ein grober häßlicher Kittel, zerlumpt und garstig eingeräuchert, und als Mantel hängte sie ihm ein altes abgetragenes Hirschfell um. Den Bettleraufputz zu vollenden, verehrte sie ihm noch einen geflickten Ranzen an einem geflochtenen Tragbande und gab ihm einen knotigen Knittel in seine Hand.

In diesem Aufzuge befahl sie ihm den Sauhirten aufzusuchen, der einer der treuesten Anhänger des königlichen Hauses und ein Erzfeind der Freier sei, und von dem er bald mehr erfahren werde. Sie wolle unterdessen dem jungen Telemachos entgegeneilen, denn dieser kehre soeben von Sparta zurück, und schon laure auf ihn im Hinterhalte zu Schiffe die Schar der Freier. Allein sie werde ihre Anschläge vereiteln und hoffe den Jüngling bald seinem Vater wohlbehalten in die Arme zu führen.

So trennten sie sich. Odysseus aber erklomm den rauhen Pfad über die waldbewachsenen Berghöhen nach der Richtung hin, wo ihm Athene die Wohnung des braven Sauhirten Gumäos bezeichnet hatte. Dieser Mann war eigentlich der Oberaufseher der sämtlichen Schweineherden des Königs und hatte vier Knechte unter sich, denen das Austreiben und Hüten oblag, und die mit den gemästeten Tieren gewöhnlich erst abends spät aus den umliegenden Eichen- und Buchenwäldern nach Hause kamen. Auch war nach den Begriffen jener Zeit der alte Sauhirt gar kein verachteter Mann, und es war nichts weniger als schimpflich in seiner Gesellschaft zu sein. Odysseus selber hatte ihn ehedem wegen seiner Einsicht und Treue immer wert gehalten und freute sich auch jetzt insgeheim darauf den ehrlichen Mann wiederzusehen, aber er durfte sich vor der Hand noch nichts merken lassen.

Der alte Sauhirt hatte sich aus eigenem Antriebe, wider den Willen der Penelope, ein geräumiges Gehege und für seine Schweine zwölf große Kofen darin erbaut, wozu er die Steine mühsam zusammengeschleppt hatte. Der Zaun bestand teils aus festen Eichenpfählen, teils aus lebendigen Hagedornhecken. In dem Gehege stand seine eigene Hütte, ärmlich, aber bequem, und alles zeigte einen thätigen und ordnungsliebenden Haushalter. Leider war nur trotz seines Eifers eine große Verminderung der Tiere entstanden, denn schon seit drei Jahren hatte er täglich auf Befehl der Freier ein fettes Mastschwein nach der Stadt senden müssen, und das hatte allmählich selbst den fürstlichen Reichtum gewaltig beschränkt. Es waren ihrer nur noch dreihundert und sechzig.

Der wackere Sauhirt saß eben in der Halle vor seiner Hütte und schnitt sich aus einer Rindshaut Sohlen, sie unter die Füße zu binden, wenn er einmal nach der Stadt ginge. Neben ihm lagen vier große Hunde, wolfsähnlich von Ansehen. Als diese den Odysseus mit dem Bettlerranzen von weitem ankommen sahen, sprangen sie bellend auf und rannten ihm wütend entgegen. Er ließ absichtlich seinen Stab aus der Hand fallen und setzte sich ruhig nieder zur Erde, um so klüglich die Wut der Hunde zu bändigen. Dennoch hätten sie ihn vielleicht noch gepackt, wäre nicht der Sauhirt schnell hinter ihnen hergesprungen, indem er sie mit Rufen und Steinwerfen zum Gehorsam brachte. Er hatte in der Eile Leder und Messer aus der Hand geworfen und freute sich, daß er noch eben zur rechten Zeit erschienen war.

»Tausend!« rief er, »da fehlte nicht viel, so hätten dich die Bestien zerrissen, und ich müßte auf ewig den Vorwurf tragen. Ach, ich habe so schon Kummer und Trübsal genug; denn ich sitze hier und härme mich ab um meinen lieben Herrn, von dessen fettgemästeten Schweinen ich täglich den Schurken da drinnen das beste geben muß, indes er selbst vielleicht nicht das Brot hat und unter fremden Menschen wie ein Bettler umherirrt, wenn er ja noch leben und nicht vielleicht schon den Raubvögeln zum Fraße geworden sein sollte. Aber komm nur herein in meine Hütte, Alter, daß ich dir ein wenig Brot und Wein vorsetze und du mir dann nachher sagest, wer und von wo du bist, und was für traurige Schicksale dich in der Welt umhertreiben.«

Odysseus folgte dem Sauhirten in seine Hütte, wo ihm dieser sogleich statt der Polster ein Lager von zusammengehäuftem Laub und Reisig mit einem darüber gebreiteten zottigen Ziegenfelle zurecht machte. Odysseus freute sich des gastfreundlichen Empfanges und sprach: »Möge dir Zeus gewähren, Freund, was du am liebsten wünschest, da du mich so gutherzig aufnimmst!«

»Einen Gast muß man nicht verachten, Fremdling«, erwiderte der Sauhirt, und wenn er auch noch so gering wäre; denn alle Fremde und Darbende stehen ja unter dem Schutze des Zeus. Aber freilich, bei mir heißt's: arm und klein ist meine Gabe; denn du weißt wohl, ein Diener hat nicht viel zu verschenken, zumal so einer, wie ich, über den ein jüngeres Geschlecht als Herrscher waltet. Ja wenn mein alter Herr noch lebte und hier wäre auf der Insel, da hätte ich gute Zeit. Der hätte mich sorgfältig gepflegt und mir auf meine alten Tage ein kleines Eigentum gegeben dafür, daß ich ihm so lange treu gedient habe. Da hätte ich jetzt vielleicht ein Gütchen und ein liebes Eheweib und muntere Kinderchen. Aber der gute Herr ist dahin! O daß doch Helenas Stamm von Grund aus vertilgt würde, der so vielen tapfern Männern den Untergang gebracht hat!«

Mit diesen Worten schürzte er sich den langen Hirtenrock in die Höhe und ging in einen der Kofen, wo Spanferkel in Menge lagen. Davon nahm er zwei heraus, schlachtete sie, sengte die Borsten ab, zerschnitt das Fleisch in Stücke, steckte es auf Spieße, die er langsam am Feuer herumdrehte, und bestreute es fleißig mit weißem Mehl. Als es gar gebraten war, legte er die Stücke vor den Wanderer hin, holte dann Wein herbei und mischte ihn in hölzerner Kanne.

»Da, fremder Mann«, sprach er, »iß nun und trink, so gut wir Hirten es haben. Laß dir am jungen magern Fleisch genügen; denn die fetten Mastschweine sind für die Freier, die weder vor Göttern noch vor Menschen sich scheuen. Ich weiß es freilich nicht – sonst mißfällt doch den Göttern jede gewaltsame That, und nur Frömmigkeit und Billigkeit ehren sie; ja andere böse Menschen, selbst Räuber und Mörder, haben doch noch Scheu vor den Göttern, aber diese hier fürchten und achten nichts, und die Himmlischen zögern noch immer mit der Strafe. Ach, sie mögen wohl unter der Hand sichere Kunde haben, die Verruchten, daß Odysseus nicht mehr lebt, sonst würden sie nicht so frech seine Güter verprassen. Denn das geht Tag für Tag; die Hirten können nicht Schlachtvieh, die andern Diener nicht Brot und Wein genug für sie schaffen. Ach mein armer, armer Herr! Wahrlich er war der reichste an Gütern umher auf dem Lande und auf den Inseln. Kein König war so von den Göttern gesegnet. Außer mir dienten ihm noch drei Oberhirten, deren hatte jeder zwölf Herden unter sich: Rinder, Schafe und Ziegen. Ach, wie ist das alles jetzt geschmolzen!«

Dem auf jedes Wort begierig horchenden Odysseus empörte sich das Herz; aber er unterdrückte den Grimm, und als er sich stillschweigend mit Speise und Trank gelabt hatte und der Hirt ihm den Becher reichte, trank er scheinbar fröhlich und sprach:

»Wie wär' es, Freund, wenn ich dir Kunde von deinem Herrn, und zwar erfreuliche Kunde brächte? Nenne mir doch den mächtigen und reich begüterten Mann, welchem du dienst; vielleicht ist er von meiner Bekanntschaft, denn ich habe viel Menschen auf meinen weiten Reisen gesehen.«

»O still«, erwiderte der Sauhirte, »erspare dir diese Mühe! Solcher Kundenbringer haben wir schon zu viele hier gehabt, und weil es bekannt ist, wie emsig die gute Penelope, wo sie nur kann, nach ihrem Gemahl forscht, so stellt sich fast alle vier Wochen ein armer Landstreicher bei ihr ein, lügt ihr vor, wie und wo er den Odysseus selbst gesprochen habe, und verdient sich damit statt seines Kittels einen wärmenden Mantel und Leibrock. Willst du die auch erhalten, so geh nur hin und ersinne ein Märchen. Sie glaubt jedem leicht, was sie so sehnlich wünscht. Aber er wird nicht wiederkehren! Wer weiß, an welchem felsigen Gestade seine unbegrabenen Gebeine bleichen! Wehe mir! wehe! Nicht Vater noch Mutter habe ich so lieb gehabt und betraure sie nicht so sehr als den lieben, gütigen Herrn. Ach was sage ich Herrn? Wie einen Bruder hat er mich immer freundlich und liebreich behandelt, wie einen Bruder habe ich ihn immer geliebt!«

»Höre, Lieber«, sprach Odysseus, »weil du doch meinen bloßen Worten nicht trauest, so will ich's durch einen Eidschwur bekräftigen, daß dein Herr zurückkommen wird. Und ist er erschienen, so sollst du mir gleich zum Lohn für meine fröhliche Botschaft einen schönen Leibrock und Mantel schenken. Eher begehr' ich das nicht, wie sehr ich auch jetzt entblößt bin. Denn verhaßt wie der Tod ist mir der Elende, der Lügen schwatzt, um sich dadurch zu bereichern, drängte ihn der Mangel auch noch so sehr. Aber wohlan, so höre es denn Zeus und dieser gastliche Tisch hier und Odysseus' Herd, dem ich genaht bin, daß das alles geschehen wird, wie ich es jetzt verkündige: Wenn der jetzige Mond aufhört und der andre beginnt, wird Odysseus in seinem Hause sein und jeden züchtigen, der seine Gemahlin und seinen Sohn nicht geehrt hat!«

»Still, still, Greis«, fiel hier der Sauhirt ein; »ich werde dir so wenig den Lohn für deine Botschaft bezahlen, als Odysseus sein Haus betreten wird. Trink nur und rede von etwas anderem. Den Eid mögen dir die Götter vergeben. Ach! ich werde immer trauriger. Jetzt jammere ich wieder am meisten um Telemachos, dem ein böser Geist eingegeben hat nach Kunde von seinem Vater auf dem Meere herumzuirren, und nun höre ich gar, daß die schändlichen Freier ihm mit einem Schiffe auflauern, um ihn zu töten, wenn er zurückkommt. Der ist also auch dahin, und Arkeisios' herrlicher Stamm soll dann in Ithaka gänzlich aussterben! – Aber erzähle du mir doch auch etwas von deinen Abenteuern, und wie du hierher gekommen bist.«

Jetzt fing der erfindungsreiche Mann ein langes Lügengewebe an, worin er sich für den Sohn eines kretensischen Fürsten ausgab und viel von seiner ehemaligen Tapferkeit und Kriegslist rühmte. Er putzte seine Erzählung mit einer Menge auffallender Abenteuer auf, wie er bald große Ehre genossen habe, bald in Sklaverei geraten sei. In Troja war er natürlich auch gewesen und hatte da den Odysseus kennen gelernt, auch gute Waffengenossenschaft mit ihm gepflogen. Nachher wollte er wieder bei dem Könige der Thesproter etwas von ihm gehört haben; ja er versicherte, Odysseus habe diesen König eben verlassen, um des Orakels wegen eine Reise nach Dodona zu machen, gerade als er – der Bettler – daselbst angekommen sei, und was der Lügen mehr waren.

»Gewiß, es ist, wie ich dir sage«, fuhr der Erzähler fort, »als ich bei dem Thesproterkönig zu Gaste war, hatte Odysseus sich eben nach Dodona begeben und wurde bald wieder zurück erwartet. Da zeigten sie mir noch die mitgebrachten, teils erbeuteten, teils geschenkten Güter, die er dort in Verwahrung gelassen hatte, und ich erstaunte über den gewaltigen Reichtum, den wohl der Nachkomme im zehnten Gliede noch nicht verbraucht. Noch mehr! ich habe das Schiff gesehen, worauf ihn die Thesproter nach Hause senden wollten, sobald er von Dodona zurückkäme. Mich entsandte der König früher, weil ich schnell nach Dulichion zu fahren begehrte und gerade ein Kaufmannsschiff dahin abging. Ach, das war mein Verderben! Die Schurken auf dem Schiffe wollten ihren Vorteil von mir ziehen und mich irgendwo unterwegs als Sklaven verkaufen. Ich sah mich plötzlich von ihnen überwältigt, sie rissen mir den Mantel samt dem Rocke vom Leibe und hängten mir die schmutzigen Lumpen um, in denen du mich hier siehst, um mein edleres Ansehen zu verbergen. An Händen und Füßen banden sie mich darauf und ließen mich im Schiffsraume liegen. So kam das Schiff hierher nach Ithaka. Sie legten an, um auszusteigen und am Lande die Nachtkost zu genießen. Mich ließen sie hilflos im Schiffe. Aber es war, als ob ein Gott mir die Bande lösen half; sie gingen leicht auf, da ich's versuchte, und kaum fühlte ich mich frei, so ließ ich mich leise am Steuer hinunter, legte mich mit der Brust aufs Meer und schwamm seitwärts fort ans Gestade, heimlich und von keinem gesehen. Hier kroch ich in ein dickes Gebüsch und drückte mich an die Erde nieder. Bald darauf hörte ich sie fluchen und toben, daß ich entsprungen sei; sie liefen auch viel am Gestade umher, indessen mochten sie es doch nicht für ratsam halten tiefer ins Land zu gehen. Sie gaben also die Hoffnung auf mich wieder zu finden, und reisten ärgerlich weiter. Da habe ich mich denn so hergeschlichen, bis ich eine menschliche Wohnung ersah, und ich freue mich nur auf einen so verständigen Mann getroffen zu sein. Daran erkenne ich, daß die Götter die Erhaltung meines Lebens wollen.«

»Unglücklicher Fremdling«, versetzte der Sauhirt, »du hast mir das Herz bewegt. Aber sprich, warum hörst du nicht auf, mir vom Odysseus vorzufabeln, der doch nimmer wiederkehrt? Glaube mir, dieses Märchen habe ich schon so oft gehört, daß mich's verdrießt, wenn mich einer von neuem damit betrügen will. Damit wirst du dir meine Gunst nicht erschmeicheln, alter Mann; denn wenn ich dir Ehre erweise und Liebe, so thue ich das einzig aus Achtung vor dem gastlichen Zeus und aus Mitleid mit deinem Schicksale.«

»Nein«, rief Odysseus fast zürnend, »ich kann dich nicht in dem starren Unglauben lassen. Nicht einmal mein Schwur bewegt dich mir Glauben zu schenken! Höre mich an: wir wollen einen Vergleich machen. Ich bleibe hier, bis Odysseus kommt, und ist er da, so sendest du mich, wohl ausgestattet mit Mantel und Leibrock, nach Dulichion, wohin mein Herz verlangt. Kommt dein Herr nicht in der bestimmten Zeit, so sollst du mich mit deinen Knechten binden und von diesem Felsen da hinabstürzen, damit auch andere Bettler sich scheuen Unwahres zu schwatzen. Bist du nun zufrieden?«

»Behüten mich die Götter«, erwiderte der Sauhirt, »daß ich so etwas thäte! Das würde mir ein schönes Lob unter den Menschen erwerben, wenn ich einen armen Bittenden erst in die Hütte aufnähme und dann vom Felsen stürzte. Nimmer hätt' ich ja Freudigkeit nach solcher That zu Zeus zu beten!«

Unter diesen Gesprächen war der Abend herangekommen, und die Unterhirten kehrten mit ihren Herden zurück. Ein gewaltiges Grunzen erscholl rings umher, und es dauerte lange, ehe die borstigen Tiere alle in ihr Gehege hinein kamen. Als sie sich endlich gefügt hatten, befahl der Sauhirt den Knechten ein fettes fünfjähriges Mastschwein herbeizuholen; denn er meinte, ob die Freier nun unrechtmäßigerweise täglich eins verzehrten, oder ob er sich und seinem lieben Gaste auch einmal gütlich thue, das möchte wohl so ziemlich einerlei sein.

Während die Knechte draußen waren, spaltete er Holz und legte es an das Feuer. Als nun das Schwein ankam, schnitt er der Sitte gemäß zuerst das Stirnhaar ab und warf es den Göttern zu Ehren in die Flamme, wozu er ein leises Gebet sprach. Dann schlug er das Tier mit einem eichenen Knüttel, daß es niedersank. Nun schlachteten es die Knechte und vergaßen nicht die fetten Hüftenstücke den Göttern zu verbrennen. Darnach schnitten sie auch das andere Fleisch in Stücke, steckten es an Spieße, brieten es langsam und nahmen es dann wieder herunter.

Jetzt, da das Mahl bereitet war, ließ sich's der wackre Sauhirt angelegen sein eine gerechte Teilung zu treffen. Er machte sieben Portionen, die erste ward für die Nymphen und den Hermes hinausgetragen, die andern waren für seinen Gast, seine vier Knechte und für ihn selbst bestimmt. Odysseus bekam einen langen Schnitt von dem fetten Rückgrate, ein Ehrenstück, welches man allemal dem Gaste zu reichen pflegte. Dieser freute sich herzlich darüber und sprach: »Braver Eumäos, mögest du vom Zeus so geliebt werden, als von mir, da du mich so mit Wohlthaten überhäufst!«

»Iß, mein unglücklicher Freund«, erwiderte der gutmütige Mann, »und freue dich dessen, was du hast; denn die Götter gewähren und versagen uns dies und jenes, wie es ihrer Allmacht gefällt.«

Jetzt mischte er auch den Wein und sprengte den Göttern die ersten Tropfen. Dann reichte er dem Gaste den Becher. Einer der Knechte holte Brot herbei; derselbe räumte auch, nachdem sie alle gesättigt waren, die Überbleibsel wieder weg.

Inzwischen war es Nacht geworden, und ein stürmischer Westwind sauste kalt durch die Hütte. Draußen regnete es in Strömen, und finstere Wolken verhüllten alle Sterne. Odysseus fror in seinen Lumpen kläglich, und der Sauhirt schien nicht daran zu denken ihm seinen wärmenden Mantel abzutreten. Da ersann der Held einen Schwank, um zu versuchen, ob er ihn nicht durch List gewinnen könne.

»Hört einmal«, sprach er, »du Eumäos und ihr andern Hirten, weil mich eben der Wein heute so munter gemacht hat, so muß ich doch noch etwas Lustiges schwatzen. Es ist zwar nicht schicklich, daß ich es heraussage, aber weil ich einmal davon angefangen habe, so muß ich's wohl schon vollenden. Ich dachte so eben: wenn ich doch noch so rüstig und jugendlich wäre, als damals, da ich mit deinem Herrn vor Troja lag! und da fiel mir ein listiger Streich von Odysseus ein, womit er mir einmal aus großer Not half. Wir wollten uns eines Abends dicht an der Stadtmauer in einen Hinterhalt legen, Menelaos, Odysseus und ich; wir hatten aber nur wenig Leute mit uns genommen. Da kam die Nacht heran, und wir legten uns in dichtverwachsenes Gesträuch zwischen Röhricht und Sümpfen, Auf einmal wurde der Himmel trübe, und ein greulicher Nordwind pfiff uns durch die Haare Schnee stöberte wie Reif herunter und überzog uns die Schilde ganz mit Glatteis. Dabei war nun keiner übler daran als ich, denn die andern hatten alle ihre Mäntel bei sich; in diese wickelten sie sich und deckten ihre Schilde über die Schultern. So schliefen sie, ohne viel von dem Unwetter zu merken. Ich allein hatte unbedachtsamerweise keinen Mantel mitgenommen und mußte da im bloßen dünnen Leibrock in der Nasse liegen – wahrhaftig, die Zähne klapperten mir, und alle Glieder zitterten wie im Fieberfrost. Nach Mitternacht endlich, als ich's nicht länger aushalten konnte, stieß ich den Odysseus an, der mir zunächst lag, und sagte zu ihm: »Ach, ich sterbe fast vor Frost, ich habe keinen Mantel mitgenommen; hilf mir doch!« – »Still«, sagte er leise flüsternd, »der Not ist abzuhelfen.« Und nun räusperte er sich laut und schrie die andern vom Schlaf auf. »Hört Freunde«, rief er, »mich schreckte so eben ein bedenklicher Traum. Unser sind so wenige, und wir haben uns so weit von den Schiffen entfernt. Wenn doch einer geschwind zu Agamemnon liefe und ihm sagte, daß er uns Hilfe schickte.« Da war sogleich ein dienstfertiger Helfer bei der Hand, Thoas, Andrämons Sohn, der sprang hurtig auf und ließ seinen warmen Mantel liegen. Schnell warf mir Odysseus ihn zu, und ich hüllte mich lachend hinein und schlief sanft bis an den Morgen. – Seht, Freunde, da dacht' ich nun, wenn ich noch so stark und jugendlich wäre, wie damals, da gäbe mir vielleicht jetzt auch einer von euch einen Mantel zur Nacht, entweder aus Liebe, oder aus Scheu vor meiner Stärke. Aber freilich, der unansehnliche Mann in dem Gewande des Bettlers wird verachtet.«

Die Männer lachten, und der Sauhirt gewann den beredten Gast immer mehr lieb. »Höre«, sprach er, »du hast nicht unziemlich geredet; dein Gleichnis paßt sehr wohl. Darum will ich dir auch geben, was ich habe. Hier ist noch ein alter Mantel, nimm ihn für die Nacht, aber morgen mußt du ihn zurückgeben und deine Lumpen wieder umwerfen; denn wir Hirten haben nur wenige Kleider, und jeder braucht das seinige selbst. Kommt aber Telemachos zurück, so schenkt er dir gewiß eine ordentliche Kleidung und geleitet dich, wohin du verlangst.«

Indem er dies sprach, bereitete er dem Gaste am Feuer ein Lager von Schaf- und Ziegenfellen und legte ihm den Mantel zur Decke hin. Neben Odysseus legten sich die Knechte nieder, aber der Oberhirt schlief nicht in der Hütte, sondern seine Herden sorglich hütend, nahm er nahe dabei sein Lager in einer Felskluft, die ihn gegen den Nordwind schützte und sein ganzes Reich übersehen ließ. Odysseus freute sich innerlich der gewissenhaften Treue, womit der brave Mann die Güter seines abwesenden Herrn bewachte. Er sah, wie derselbe ein scharfes Schwert umgürtete, dann den dicken Mantel überwarf und zuletzt die schwere Lanze zur Hand nahm, um jeden Räuber abzuwehren. Zu seinem Lager nahm er nichts als ein zottiges Ziegenfell mit.


 << zurück weiter >>