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Schon seit längerer Zeit pflegte sich abends um die Stunde des Mahles in dem Hause des Odysseus ein Bettler einzufinden, Iros mit Namen, den die Freier gern beschenkten, weil er ihnen oft zum Ziel ihrer Späße diente, sich alles gefallen ließ, kleine Bestellungen übernahm und andere derartige Dienste verrichtete. Er war eine lange, hagere Gestalt, aber trotz der unersättlichen Gier, womit er täglich in dem fremden Hause sich mästete, hatte er doch keine Kraft in den Gliedern. Jetzt kam er eben herangeschritten und wunderte sich höchlich seinen Platz auf der Schwelle schon besetzt zu finden. Er sah den runzeligen, kahlköpfigen Greis mit Verachtung und Ärger an, und im Vertrauen auf seine Größe und auf den Beistand der Freier fuhr er den Nebenbuhler trotzig an:
»Weg hier von der Thür, oder ich schleppe dich bei den Beinen fort! Gleich aufgestanden! – Nun? wird's bald? – Höre, Kerl, mache, daß du fortkommst, oder es giebt einen Zweikampf zwischen uns beiden!«
Odysseus sah den kecken Wicht an und sprach mit finsterem Blicke: »Elender, was habe ich dir denn zu Leide gethan? Ich mißgönne dir ja gar nicht dein Geschenk und werde dich nicht darum bringen. Aber die Schwelle hat Raum genug für uns beide. Wahrlich, es steht dir schlecht an neidisch bei fremden Leuten zu sein, denn du scheinst mir ein armseliger Flüchtling, wie ich selber es bin. Und beim Zeus! von dem Faustkampfe schweige ganz still; denn so alt ich bin, so könnt' ich dir doch vielleicht im Zorne noch eins versetzen, daß du das Wiederkommen vergäßest. Da hätt' ich auf einmal Ruhe vor dir.« »Ei sieh, wie der Lump noch prahlt!« rief Iros erhitzt. »Wie einem Waschweibe geht ihm das Maul! Ha! du Schuft, ich will dir's gedenken; ich habe große Lust dir die Kinnbacken einzuschlagen, daß dir die Zähne auf die Erde fallen sollen! Komm her und gürte dich, daß alle Leute es sehen, wie ich dich zerschlagen werde. So ein alter Krüppel will mit einem jüngeren Manne den Kampf wagen! Ha ha ha!«
Bisher hatten die Freier vor ihrem eigenen Lärmen nichts von dem Bettlergezänk gehört; aber jetzt ward Antinoos, der zunächst an der Thür saß, aufmerksam, und als er den höhnenden Herausforderungen der beiden einen Augenblick zugehört hatte, wendete er sich mit schallendem Gelächter zu den andern Freiern und rief überlaut:
»Freunde, ich bitte euch, seht her! solch einen Spaß haben wir hier noch nicht erlebt! Der Fremde dort und Iros fordern sich auf die Faust! Kommt heran, wir wollen sie noch tüchtig gegeneinander hetzen!«
Alle lachten laut auf. »Ha ha ha! ein Bettlergefecht! Das müssen wir sehen! Nur zu! immer frisch!« Sie sprangen alle von ihren Plätzen auf und stellten sich rings um die beiden in einen weiten Kreis.
»Hört mich an!« rief Antinoos, »ich will euch etwas sagen: Hier sind noch Ziegenmagen, mit Blut und Fleisch und Fett gefüllt und auf glühenden Kohlen am Spieße gebraten. Wer von den beiden Boxern siegt, der soll sie haben und künftighin auch immer hier frei bei uns zechen und zehren; ja wir wollen ihm das Vorrecht geben, daß kein anderer Bettler diese Schwelle betreten darf.«
»Trefflich! ja, so soll's sein!« riefen sie alle beistimmend. »Nun schlagt zu! ha ha ha ha!«
Da stand Odysseus langsam auf, als wäre er lahm an allen Gliedern. »Liebe Herren«, sprach er mit erkünstelter Schüchternheit, »so ein alter Mann, den das Elend entkräftet hat, – es ist fast hart, daß der sich mit einem jüngeren messen soll, welcher so groß und wohlgenährt ist. Aber weil ihr doch solchen Preis darauf gesetzt habt, lieber Himmel, was würde ich da nicht wagen, da ich so arm und verlassen bin! Meinetwegen, ich thue es! Aber zuvor schwört mir, daß keiner dem Iros beistehen oder mir zum Schaden in den Kampf sich mischen will.«
Alle schwuren's, und zugleich trat Telemachos, jubelnd im Herzen, hervor und sprach: »Fürchte nichts, Alter, und wenn du dich sonst getraust, so treibe ihn frisch hinweg. Ich bin hier Wirt; wer dich verletzt, hat's mit mir zu thun und mit Antinoos und Eurymachos. Denn beide Helden sind meiner Meinung.«
Alle wiederholten die Zusage, und nun machte sich Odysseus fertig. Er gürtete seine Lumpen um die Mitte des Leibes zusammen, und erschien nach Kämpfersitte mit nackten Armen und Beinen, Und was für Gliedmaßen zeigten sich da! Kraftvollere Schenkel, schwellendere Arme, breitere Schultern hatte wohl der stärkste Jüngling in der Versammlung nicht aufzuweisen, als so eben der runzelige Greis aus seinen Lumpen hervorstreckte.
»Ei ei, du armer Iros«, dachte mancher jetzt, der es vorher nicht geglaubt hatte, »die Sache kann doch schlimm ablaufen!« Iros selber ahnete es fast, und gern hatte er sein erstes trotziges Wort zurückgenommen; aber leider war es gesprochen, und nun galt kein Zurücknehmen mehr. Da er noch immer zauderte, gürteten die Diener ihm die Kleider um den Leib und führten ihn hervor. Er zitterte an Händen und Füßen.
»Elender Wicht«, rief Antinoos, der sich durchaus das Schauspiel nicht versagen wollte, zornig aus, »du fürchtest dich vor dem alten greisen Manne, den das Elend so entkräftet hat? Ja fürwahr, ich schwöre dir's, wo du zurückweichst, so packe ich dich auf ein Schiff und schicke dich nach Epeiros, wo die Barbaren dir Nase und Ohren abschneiden sollen!«
Er riß ihn mit Gewalt auf den Platz. Das Gefecht begann. Da überlegte Odysseus, ob er dem Unglücklichen mit kräftiger Faust den Schädel einschlagen oder ob er ihn nur leicht mit mäßigem Hiebe zu Boden strecken solle. Er beschloß klüglich das letztere, damit nicht die überraschten Zuschauer vielleicht Argwohn schöpften.
Iros schlug aus und traf des Gegners Schulter; aber gleich darauf erhielt er von unten herauf einen fürchterlichen Faustschlag an die Kinnlade, daß der Backenknochen aus seinem Gelenk brach, die Zähne gegeneinander prallten und das helle Blut aus dem Munde stürzte. Mit entsetzlichem Geschrei sank er nieder, preßte beide Hände vor das Gesicht und schlug mit den Füßen vor Schmerz den Boden. Da erhoben die Freier ein unbändiges Gelächter. Aber Odysseus zog den Besiegten bei den Beinen hinaus in den Hof und setzte ihn dort in einen Winkel, mit dem Rücken gegen die Mauer gelehnt; seinen Stab holte er nach und gab ihm denselben in die Hand. »Hier sitze, mein guter Freund«, sprach er, »und verscheuche die Hunde und Schweine; vor allen Dingen aber werde nach der Züchtigung klüger.«
Er warf sich die Kleider wieder gehörig um Schultern und Lenden und hängte auch den Ranzen um, den häßlichen, geflickten, mit dem geflochtenen Tragbande. So ging er hinein und nahm seinen Platz auf der Schwelle ein. Da kamen sie alle lachend heran und schüttelten ihm die Hände. Antinoos legte ihm zuerst den Ziegenmagen wurstähnlichen Inhalts auf seinen Ranzen, wozu Amphinomos ihm zwei Brote aus dem Korbe reichte und einen Becher trefflichen Weines einschenkte, den er ihm mit herzlichem Handschlag zutrank und mit einem Glückwunsch auf bessere Zeiten begleitete. Amphinomos war ein braver Jüngling, bei weitem der beste unter den Freiern, darum zog ihn jetzt Odysseus gutmütig näher und sagte zu ihm mit sanfter Rede:
»Junger Mann, du scheinst mir von edlem, verständigem Sinne, so wie du aus edlem Geschlechte stammst. Ich weiß, auch dein Vater ist brav und hochberühmt unter den Fürsten auf Dulichion. Darum höre jetzt ein gut gemeintes Wort von mir und nimm es zu Herzen. Siehe, es ist auf Erden nichts so hinfällig und unbeständig als der Mensch. Wer heute steht, kann morgen fallen, und mancher Glückliche bedenkt nicht, wie plötzlich sich sein Schicksal wenden kann. Ach! und dasjenige Unglück ist immer das bitterste, das man selbst durch Leichtsinn verschuldet hat. Was ich in diesem Hause höre und sehe, ist heilloses, schreiendes Unrecht, und du bist mit unter den Übelthätern. Glaubst du, daß die Götter solchem Frevel ein gutes Ende gewahren werden? Nimmermehr! Sicher, sicher kehrt der zurück, den ihr tot glaubt, und zwar bald, und alle Erinnyen mit ihm. Ich sehe schon im Geiste die ganze ruchlose Schar ins Verderben stürzen. Darum bitte ich dich, Lieber, entferne dich von hier und kehre still in dein Haus zurück, ehe dich Odysseus' Rache erreicht.«
Der Jüngling schien nachdenkend und ging langsam an seinen Platz. Hätte er die Warnung beachtet! Aber die Verführung riß ihn hin, und er entrann dem Verderben nicht.
Früher schon, als dies im Saale vorging, hatte Athene, die eigentliche Rachegöttin der Freier, der Penelope den Gedanken in die Seele gelegt, sich den Freiern zu zeigen und dadurch ihre Begierde aufs höchste zu steigern. Die Göttin wollte zugleich ihrem Schützlinge, dem unbekannten Bettler, die Freude machen sein treffliches Weib in aller ihrer Hoheit und in dem reinen Glänze ihrer Unschuld und Treue zu sehen. Die schöne Penelope stieg hinab, ein köstliches Gewand um den schlanken Leib gehüllt und das Gesicht schamhaft mit einem langen Schleier bedeckt. Ihr zur Seite gingen zwei dienende Jungfrauen. Alle sahen sie mit bewundernden Blicken an, als sie majestätisch in den Saal trat, und jeder wünschte von ihr zum Gemahle erkoren zu werden. »Bei allen Göttern! Penelope«, rief Eurymachos, »könnten dich die sämtlichen Söhne Griechenlands so sehen, wahrlich, dein Palast würde noch voller von Freiern sein, als er schon ist; so weit übertriffst du alle andern Weiber an Schönheit des Körpers und an Adel der Seele.«
»Ach Eurymachos!« antwortete die sinnige Penelope, »mir ward ja wohl die Schönheit von den Göttern genommen, seitdem mein trauter Gemahl mit den Achäern gegen Troja zog. Wäre der mir wiedergegeben, so möchte ich mich wohl eines schöneren Lebens erfreuen, aber nun traure ich verlassen und von großer Not geängstigt. Damals, als er wegging, faßte er zum letztenmale meine Hand und sagte: Liebes Weib, nun muß ich in einen langen Krieg und in ein fernes Land ziehn. Ob ich wiederkehren oder fallen werde, wissen die Götter; denn man sagt, auch die Trojaner seien kriegskundige und tapfere Männer. Nimm du indessen, eine treue Gattin, des Hauses und unserer Güter wahr, pflege meinen Vater und meine Mutter und erziehe den Knaben zum Guten. Ist er ein verständiger Jüngling geworden, und ich bin noch nicht wieder zurück, dann mache ihm Platz im Hause und vermähle dich mit einem andern Manne. – Ach, damals dachte ich nicht, daß es so kommen würde; aber nun hat es doch zu meinem Schmerze das Schicksal so gelenkt, und schon naht sie, die gefürchtete Nacht der Vermählung! Ich unglückliche Frau! – Und wie werbt ihr um mich! Ganz gegen alle Sitte und Ordnung und Menschlichkeit! Sonst bringen Freier, die eines reichen Mannes Tochter begehren, selbst die Rinder und Schafe zum Schmause mit und laden die Verwandten der Braut dazu, dieser aber machen sie köstliche Geschenke, Doch wer hat je gehört, daß sie der Braut Vermögen verprassen und fremdes Gut ohne Vergeltung verschwenden?«
Als das die Freier hörten, entsandten sie sofort ihre Diener, um reiche Geschenke herbeizuholen, und wirklich bekam Penelope der herrlichen Sachen an Geschmeide und Kleidern so viele, als sonst wohl keine Braut zu bekommen pflegte.
Nachdem sie sich entfernt hatte, setzten die Freier ihre Spiele bis zum späten Abend fort. Niemand hätte es wohl dem alten Bettler auf der Schwelle angesehen, was sein Herz empfand, als er die Königin erblickte und ihre liebliche Stimme vernahm; wie alle die trüben Stunden, auf Kalypsos und Kirkes Inseln in Sehnsucht verweint, sich jetzt vor seine Seele drängten; und wie es ihm ins Herz schnitt das teure, zwanzig Jahre entbehrte und dennoch schuldlos wieder gefundene Weib nur so aus scheuer Ferne sehen zu können, sie nicht umarmen, ihr nicht sagen zu dürfen: siehe ich bin da, bin dein Gemahl! – Aber bis dahin war ihm noch viel Schmach und Mühsal vorbehalten.
Eben jetzt bei einbrechender Nacht beschimpften ihn die Mägde im Hause. Sie waren hereingekommen, um den Gästen Licht anzuzünden, das heißt nach damaliger Sitte Späne in Kohlenbecken auf hohen Gestellen anzubrennen, und setzten sich dann müßig daneben, um, wenn die Späne heruntergebrannt wären, frische aufzulegen; da sagte Odysseus, sie möchten doch lieber hinaufgehen zur Königin und spinnen oder Wolle kratzen, er wolle schon für die drei Feuerbecken sorgen, selbst wenn die Freier bis zum Morgen sitzen sollten. – Ei, da kam er übel an! Sie schimpften was sie konnten und ließen nicht nach, bis er aufstand und es dem Telemachos zu sagen drohte. Da fürchteten sie, er werde mit der Drohung Ernst machen und liefen eilig davon und machten ihm Platz; er aber versah das Geschäft mit allem Fleiß, und an den Feuerbecken sitzend beobachtete er genau aller Freier Thun und Reden.
So sehr es indessen schien, als habe er sich durch seinen glücklich bestandenen Faustkampf die Gunst der Freier erworben, so konnten sich doch die Übermütigen nicht lange des Neckens und Spottens enthalten. »Seht, Freunde«, rief Eurymachos lachend, »in dem Bettler steckt wahrlich ein verkappter Gott, dergleichen sich zuweilen den Wohnungen der Sterblichen nahen. Seht nur den Lichtglanz, der seine kahle Glatze umstrahlt; solcher Glanz ist nur den Unsterblichen eigen!«
Das Gelächter der übrigen ermunterte den Eurymachos in seinem Spaße fortzufahren, »Höre einmal, Alter«, rief er laut, »wenn du nur zu etwas zu gebrauchen und nicht an ein herumziehendes Schmarotzerleben gewöhnt wärest, so wüßte ich wohl etwas für dich. Was meinst du, verdingst du dich bei mir wohl zum Knechte, um das Feld zu bestellen, Baume zu pflanzen und Laub zur Streu einzutragen? Lohn sollte dir reichlich werden, auch wollte ich dir Kleider auf den Leib geben und Sohlen unter die Füße. Aber du wirst wohl lieber herumstreichen und bei Faulenzen und Betteln den gefräßigen Bauch füllen wollen?«
»O Eurymachos«, antwortete stolz der Verhöhnte, »sollten wir beide einmal auf dem Felde pflügend oder mähend um die Wette arbeiten, wer weiß, wer von uns den Preis davon trüge! wer weiß, wer am längsten Hunger und Durst erduldete, und wessen Bauch am ersten gefräßig genannt zu werden verdiente! Ja wahrlich, und ginge es zur Schlacht, und ich wäre gerüstet mit Helm und Harnisch, und Schwert und Schild wäre in meinen Händen: in den ersten Reihen der Kämpfer solltest du mich sehen, und ich würde nicht ermatten um des hungernden Magens willen. Aber du bist ein Trotzer, und dein Herz weiß nichts von Freundlichkeit, und weil du hier mit wenigen nur umgehst und unter vielen Schwächlingen der stärkste bist, so dünkst du dich wundergroß und gewaltig. Aber ich meine, wenn Odysseus hierher käme, so möchten wohl bald beide Thürflügel dir zu eng sein, um dem Tapfern zu entfliehen,«
»Hört, bei allen Göttern hört, wie dreist der Kerl spricht!« rief Eurymachos. »Elender, ich will dich lehren, mir zu trotzen!« Mit diesen Worten ergriff er zornig seinen Fußschemel und schleuderte ihn mit aller Kraft nach dem Odysseus. Der aber bückte sich geschwind und warf sich zu Amphinomos Füßen nieder. Da flog der Schemel über ihn hin und traf des Schenken rechten Arm, daß die Kanne ihm aus der Hand fiel und der Arme ein lautes Geschrei erhob und rückwärts zu Boden stürzte.
Alle Freier wurden unwillig und schmäheten den Fremden, der an allem Unfuge schuld sei. Aber Telemachos stand auf und ermahnte sie ruhig zu sein und still sein Haus zu verlassen, da ohnehin die Stunde des Schlafens gekommen sei. Der sanfte Amphinomos unterstützte diese Rede und redete allen gütlich zu, daß keiner die Worte mißbilligen konnte. Und sie gingen sämtlich, nachdem sie den Göttern die letzte Opferspende dargebracht hatten, ein jeglicher in seine Wohnung, um dort zu schlafen.