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Im Besitz einer so schönen Villa empfindet Baldinger auch das Verlangen, Gastfreundschaft zu üben. Professor Stedden mit Frau und die Herren Studenten sind eingeladen worden. Die noch das Gymnasium besuchenden Söhne werden aber in dem Schreiben nicht erwähnt; sie wären für einen mit den seltensten Kunstwerken ausgestatteten Neubau und einen Garten mit Teppichbeeten allzu gefährliche Gäste. Da aber diese fünf Steddens während der Ferien nicht in Kisten verpackt und kalt gestellt werden können, muß der Professor die freundliche Einladung für sich und seine Frau bestimmt ablehnen. Doch für die zwei Studenten wird sie mit Dank angenommen.
Ein zweiter Brief Baldingers ist nach Bromberg gegangen, und in der taktvollsten Weise wird für die Frau Amtsrat jedes Hindernis, das sie von der Reise abhalten könnte, beseitigt.
Hildchen strahlt vor Freude, und weil sie nur noch von Mariechen redet, bekommt Fräulein Schönchen sogar einen kleinen Eifersuchtsanfall.
»Mariechen soll nun auch einmal wie eine Dame leben und sich von allen Dienstmädchenplackereien erholen,« sagt Hildchen und plant im geheimen, sollte Papa keinen Einspruch erheben, Mariechen ganz an ihre Seite zu fesseln.
Da bringt ihr ein Brief große Enttäuschung: Mariechen hat eine Stellung an einem Genfer Pensionat angenommen. Die übermäßig angestrengte Lehrerin, die diese Stellung inne hatte, war erkrankt und mußte in die Heimat zurückkehren. Mariechen hatte sich entschlossen, sie zu ersetzen.
Hildchen befindet sich noch unter dem Banne dieser Enttäuschung und kann das Weinen nicht ganz unterdrücken, als die lieben Gäste eintreffen; aber Fe, schöner und strahlender noch als früher, küßt ihr die Thränen fort.
Ach diese Fe! Kaum angekommen, hat sie schon das ganze Haus in ihren Zauberkreis gebannt.
Der Kommerzienrat führt sie am Arm in sein Haus und stellt sie mit selbstgefälligem Lächeln als » meine Nichte« vor. Tante Mile ist von der Aufmerksamkeit, die Fe ihr schenkt, geradezu entzückt, und die gute Schönchen sitzt bis spät in die Nacht auf, um Fe einen weißen Rosenkranz anzufertigen. Sie ist begeistert von der Idee, das schöne Mädchen so geschmückt zu sehen, und spart keine Mühe. Das süße Lächeln, womit Fe den Kranz in Empfang nimmt, wird aber ihre einzige Belohnung sein; denn Fe verschließt ihn sogleich in ihren Koffer, mit dem Vorsatze, ihn niemals wieder herauszunehmen. Fe ist in ihrem Geschmack sehr »eigen«, und es fällt ihr natürlich nicht ein, sich aus Rücksicht für die »gute Schönchen« zu »verunstalten«.
»Hier kann man ungestraft unter Palmen wandeln,« sagt der Kommerzienrat und führt die lieben Gäste am andern Nachmittage in das Warmhaus.
Die Fenster und Thüren sind geöffnet, denn es ist ein heißer Sommertag; unter den schlanken Stämmen der Dattelpalmen, den ausgebreiteten Blättern der Fächerpalmen und Draceen ist der Kaffeetisch zurechtgemacht. Auf zierlichen gußeisernen Stühlen, mit Kissen belegt, nimmt die Gesellschaft Platz. Draußen stürzt ein Platzregen herunter und in der Ferne grollt der Donner. Das Plätzchen bietet im Augenblick jede Annehmlichkeit, die es sonst, bei eingeschlossener, feucht-heißer Luft, nicht immer zu geben vermag.
Die Unterhaltung dreht sich um Mariechen. Frau Amtsrat kann ihre Bewegung nicht ganz unterdrücken, als sie erzählt, wie sehr sich Mariechen auf das Wiedersehen mit Hildchen gefreut, und wie sie doch, als sich ihr unerwartet eine Stellung bot, nicht einen Augenblick gezögert habe, sie anzunehmen.
»Sie ist freilich vorderhand nur als Hilfslehrerin angestellt,« fährt Frau Amtsrat fort. »Sie hat ja das Zeugnis eines Konservatoriums nicht aufzuweisen; darum soll sie auch nur die Uebungen der Ausländerinnen leiten und diese während der Ferien beaufsichtigen, denn es sind in diesem Pensionate viele junge Mädchen aus Amerika und weiß Gott aus welchen fernen Ländern, die nicht nach Hause reisen können.«
»Das arme Mariechen!« seufzt Hildchen.
»Ach ja, ich fürchte, sie wird sehr an Heimweh leiden,« bestätigt Frau Amtsrat.
»Ich kann nicht begreifen, daß ihr Mariechen beklagt,« meint Fe mit ihrem süßesten Lächeln. »Sie hat sich immer nach einem Berufe gesehnt, darum glaube ich, daß sie sehr glücklich ist, die Stelle bekommen zu haben.«
»Mein liebes Kind, ich fürchte, Mariechen hat es uns nur nicht merken lassen, wie schwer es ihr wurde, sie anzunehmen.«
»Ach, Mama, alle ältern Mädchen, die keinen Mann gefunden haben, sehnen sich nach einem Berufe« – aber als sie das gesagt, errötet Fe – wie reizend ihr das Erröten steht! – beißt sich auf die Lippen und blickt wie entschuldigend nach Tante Mile und Fräulein Schönchen.
Mile lacht. »Ich, mein liebes Kind, habe mich nicht erst nach einem Berufe gesehnt, als ich in die Jahre kam; ich mußte schon mit fünfzehn Jahren in den Dienst gehen.«
»Und ich habe schon mit zwanzig Jahren mein Lehrerinnen-Examen gemacht,« erklärt mit unbefangenem Lächeln Fräulein Schönchen.
Fe sieht sehr erleichtert aus; dann nimmt ihr Gesichtchen aber einen bekümmerten Ausdruck an. »Wir werden Mariechen sehr vermissen, das weiß ich. Vielleicht wird sie mir am meisten fehlen; sie hat mich wirklich ein bißchen verwöhnt. Ein Dienstmädchen kann uns Mariechen nicht ersetzen; aber es ist wirklich besser so. Denke nur, Mamachen, wie peinlich es wäre, wenn ich im kommenden Winter in die Gesellschaft geführt würde, und Mariechen müßte dann immer allein zu Hause sitzen.«
»Das sieht beinahe so aus, als hätte Mariechen Platz gemacht, um Sie in Ihrem Vergnügen nicht zu stören,« meint Tante Mile, die Hände auf die Knie gestützt und mit ihren grauen Augen Fe scharf ansehend. Fe Du zu nennen, kann sich Mile nicht entschließen. »Die ist mir zu fein für das Du,« behauptet sie.
Fe errötet wieder. Der stete Farbenwechsel ist ein besonderer Reiz ihres lieblichen Gesichtchens. »In Bromberg wird niemand so was denken,« entgegnet sie unbefangen. »Mariechen ist ja ganz unbekannt; sie würde sich auch in Gesellschaft nicht wohl fühlen. Ihr fehlt – bitte, Mamachen, sieh mich nicht so vorwurfsvoll an – aber Mariechen fehlt wirklich aller gesellschaftliche Takt, und wenn sie in der Gesellschaft zurückgesetzt würde, wäre das für uns sehr traurig.«
Frau Amtsrat wirft auf Fe jetzt manchmal einen beinahe entsetzten Blick, wie jemand, der sich vor einer großen, einer sehr bittern Enttäuschung fürchtet.
Hildchen hat indes einen Entschluß gefaßt. »Weißt du, Papachen,« sagt sie, »da du mich doch einmal in ein Pensionat schicken willst, so möchte ich in dasselbe gehen, wo Mariechen Lehrerin ist.«
Fe sieht Hildchen verblüfft an und will etwas sagen; dann aber fällt ihr Blick auf Fräulein Schönchen und sie schluckt die Worte hinunter. Erst als sie später mit Hildchen allein ist, sagt sie: »Es würde mich ja für Mariechen sehr freuen, wenn sie mit dir zusammensein könnte; Mariechen hängt wirklich rührend an dir, und ich finde es geradezu reizend von dir, daß du auch Mariechen liebst; aber – ich weiß nicht – es wird doch komisch aussehen – Mariechen ist Lehrerin dort und bekommt Gehalt.«
Hildchen blickt Fe verständnislos an, allmählich erst begreift sie. »Findest du es eine Schande, daß Mariechen Geld verdient?« fragt Hildchen. »Du mußt es doch wissen, weshalb Mariechen die Stellung für Gehalt angenommen hat?« – Und zum erstenmal senkt Fe vor Hildchens ernsten Augen beschämt die ihren.
Im nächsten Augenblick aber schlingt sie ihre Arme um Hildchen: »Du herziges Ding! Ich finde es zu gut von dir; Mariechen wird als deine Cousine gleich ein ganz andres Ansehen bekommen! – Ach, Hildchen, ich wollte, ich wäre auch so gut wie du und Mariechen, aber für manche Menschen ist es sehr schwer, gut zu sein!« – Fes Blick streift den Spiegel und sie denkt: ich bin leider zu hübsch, um so gut wie Mariechen zu sein. Ist das aber meine Schuld?
Es war ein Glück, daß Baldinger Einsicht genug besessen hatte, seinem Freunde Steinbach und dem Architekten nicht nur unbeschränkten Kredit bei seinem Bankier zu geben, sondern auch unbegrenzte Freiheit hinsichtlich der Einrichtung. Er hätte einen Raffael nicht von einem Dürer unterscheiden können, und die bunten Artikel aus einem Bazar hätten ihm ebenso gefallen, wie die kostbarsten Gegenstände des Kunstgewerbes.
Jetzt aber erfreute er sich doch seines schönen Eigentums, und während er früher nichts nach der Eleganz seiner Umgebung fragte, schien er sich nun ganz ausschließlich dafür zu interessieren. Steinbach nannte das »die Villenkrankheit« und behauptete, daß sie fast bei jedem Besitzer einer neuerbauten Villa auftrete.
Jeder neue Ankömmling wurde durch das ganze Haus geführt; die Bewunderung aber kassierte Baldinger als wohlverdienten Lohn ein.
Fe geizt nicht mit dem Lobe, und es kommt ihr von Herzen; sie fühlt sich in diesen eleganten Räumen gleich wie zu Hause.
»Ein Tausendsasa, das Mädel!« sagt Baldinger; »Hildchen nimmt sich in den schönen Zimmern nicht halb so gut wie Fe aus; wenn aber Fe auf so 'nem türkischen Diwan lehnt, oder vor dem großen Spiegel steht – allemal ein schönes Bild! – Bin nur neugierig, was der Steinbach zu meiner Nichte sagen wird.« – Steinbach war gerade für ein paar Tage verreist.
Fe war gewöhnt, bewundert zu werden, und es würde ihr nur aufgefallen sein, hätte jemand ihrer Schönheit den schuldigen Tribut versagt. Denn Schönheit ist eine gefährliche Gabe des Himmels.
»Weißt du, Onkelchen,« sagt Fe und guckt den alten Herrn mit jenem Lächeln an, das nie erfolglos blieb – »in diesen Räumen müßte sich eine Gesellschaft reizend ausnehmen. Warum giebst du kein Einweihungsfest?«
»Donnerwetter, auf den Gedanken bin ich noch nicht gekommen!« ruft Baldinger. »Wäre am Ende gar nicht übel. – Nun was sagst du dazu, Hilde? – Aber das erkläre ich euch Mädeln, Steinbach müssen wir abwarten. Ohne Steinbach ist so 'n Fest ganz unmöglich.«
Fe sieht sich in Gedanken in einer »himmlischen« Toilette als Königin des Festes; die Kosten machen ihr keine Sorgen. Wenn Onkel ein Fest geben will, überlegt sie, muß er auch für eine schöne Ausstattung sorgen – selbstverständlich werden junge Mädchen in reizenden Anzügen die Gesellschaft am meisten schmücken.
Eine kleine Andeutung genügt. Baldinger ist in großmütigster Laune, und es wird beschlossen, daß schon am nächsten Morgen Frau Amtsrat und Fräulein Schönchen mit den beiden jungen Mädchen nach dem ersten Modemagazin fahren sollen, um die Stoffe auszusuchen und die Toiletten zu bestellen. Alle Damen des Hauses sollen bedacht werden; Tante Mile ist die einzige, die sich sträubt, doch darauf wird keine Rücksicht genommen.
Baldinger hat sich indes schon brieflich mit Steinbach in Verbindung gesetzt. Wer ein Fest geben will, bedarf der Gäste. Nun steht Baldinger zwar mit den meisten Großindustriellen Frankfurts und der nächsten Umgegend in Verbindung; Steinbach aber behauptet, daß der Kommerzienrat auch andre Kreise hereinziehen müsse, und so ist er genötigt, in der Beamten- und Gelehrtenwelt Besuche zu machen.
Walter wird von Hildchen gleich mit der frohen Neuigkeit empfangen, als er an diesem Tage von den Werken hereinkommt. Sie ist ungeheuer neugierig, was er für ein Gesicht machen wird, wenn sie ihm die schöne Fe vorstellt. Nun, sie hat die Genugthuung, daß er, wie alle, die das reizende Mädchen zum erstenmal sehen, von ihrem Anblick und der Anmut ihres Wesens ganz bezaubert scheint; immer und immer wieder weilt sein Blick auf Fe.
Mit der Zeit wird Hildchen aber die Bewunderung zuviel, ja es fängt an, sie zu ärgern, daß sich Walter so ausschließlich mit Fe beschäftigt. Endlich sagt sie: »Fes Schwester Mariechen ist meine beste Freundin, die habe ich schrecklich lieb, und die ist noch viel, viel besser als Fe; die Güte aber steht den Menschen nicht im Gesicht geschrieben, und hübsch ist Mariechen nicht.«
»So, so,« versetzt Walter, als ob ihn Hildchens Ansicht über Mariechen lebhaft interessierte. »Da müssen die Schwestern sehr verschieden sein. Ich gucke mir dieses schöne Gesicht immer und immer wieder an; aber es ist, als fehlte etwas darin, als fehlte gerade das, was Sie in Mariechens Zügen finden: in diesem Gesichte liegt eigentlich nur eine selbstgefällige Eitelkeit.«
Hildchens Hand legt sich auf seinen Arm, und fast erregt fragt sie: »Finden Sie das wirklich? Haben Sie deshalb Fe so aufmerksam angeguckt?« – Und dann atmet die kleine Hilde tief auf und fühlt, wie ihr Aerger schwindet.
»Nein, ich habe mir das Fräulein angesehen, weil ich es sehr schön finde; aber während des Betrachtens war mir …«
Hier nähert sich der Gegenstand dieser Unterhaltung; Fe schiebt ihren Arm in Hildchens Arm und fragt mit einem Blick auf Walter, ob sie nicht eine kleine Promenade durch den Garten machen wollten.
Alle drei wandeln in den wundervollen Anlagen umher, und Fe, die wie immer voll Bewunderung ist, kommt auf ihr Lieblingsthema – das Glück, reich zu sein.
»Es klingt vielleicht häßlich, aber ich beneide alle reichen Leute,« sagt sie mit ihrer süßen Stimme, die das Ohr wie Musik berührt. »Ach, es muß zu herrlich sein, wenn man sich alles kaufen kann, was man will! – Mache nicht gleich eine so verächtliche Miene, Hildchen; davon verstehst du nichts. Es ist so schrecklich, wenn man den ganzen Tag nur vom Sparen hören muß. Es legt sich wie ein Druck auf die Seele! Ich möchte ihn los sein! Ich wünschte nur, einmal aufatmen zu können!«
»Ich kann Ihrer Auffassung des Reichtums nicht beistimmen, Fräulein Goldeshofen,« entgegnet Walter sehr ernst.
»Natürlich,« fällt ihm Fe lachend in die Rede. »Sie würden sich wahrscheinlich nicht nach schönen Toiletten und nach Bällen, Konzerten und Theater sehnen. Sie sehen mir gerade so aus, als zögen Sie es vor, eine Reise um die Welt zu machen, Herr Roland.«
»Verzeihen Sie, aber Sie haben mich doch nicht ganz verstanden. Wie mir scheint, legt ein großer Reichtum dem, der ihn besitzt, große Verpflichtungen auf.«
»Natürlich!« ruft Fe, übermütig lächelnd. »Gerade darin stimmen wir überein. Onkel August ist jetzt entschieden die Verpflichtung auferlegt, ein Einweihungsfest zu geben und uns dazu schöne Toiletten zu schenken.«
Hildchen aber ist's, als wären Walters ernste Worte nicht an Fe, sondern an ihre Adresse gerichtet. Sie schaut mit den klugen Augen, die den Freund schon so oft fragend angeblickt haben, zu ihm auf und sagt: »Ich möchte gern wissen, wie Sie das meinen, Walter; ich habe Sie nicht ganz verstehen können.«
»Nun, ich meine, daß der Reichtum, wenn er keine andre Bestimmung hätte, als daß man sich damit schöne Kleider kaufte und allerlei Vergnügungen verschaffte, für einen Menschen, dem eine höher treibende Kraft in der Seele wohnt, doch nur ein armseliges Besitztum wäre.«
»Der reine Fastenprediger!« spottet Fe. »O, ich bitte Sie dringend, Herr Roland, daß Sie jetzt wenigstens Onkel keine Fastenpredigt halten, sonst bringen Sie ihn am Ende dahin, das schöne Fest aufzugeben; o bitte, bitte! Stecken Sie mit Ihrer Mönchsweisheit den guten Onkel nicht an.«
Wie diese Fe nur das Bitten versteht!
Für Hildchen ist es ein Schmerz, daß die Unterhaltung gerade jetzt durch andre unterbrochen wird, wo sie besonders interessant zu werden verspricht. Die Worte Walters lassen ihr gar keine Ruhe. Sie fühlt, daß er ihr etwas sagen wollte – ihr ganz allein – etwas, woran Fe keinen Teil haben kann; aber sie hat ihn nicht verstanden. Ist es in Walters Augen ein Unrecht, schöne Kleider zu tragen und Reisen zu machen? Ach, das wäre ja schrecklich, denkt Hildchen und liegt mit offenen Augen wach in ihrem Bette. »Ich ziehe viel lieber ein hübsches als ein häßliches Kleid an, und nichts macht mir so viel Vergnügen als eine Reise. Aber dahinter kommen muß ich, ich werde ihn das nächste Mal fragen, was er mit den schweren Verpflichtungen gemeint hat.«
Am nächsten Morgen fahren die vier Damen nach dem Kepplerschen Modemagazin. Fe, neben ihrer Mama im Fond des Wagens – Fräulein Schönchen hat den Platz abgelehnt – sieht so vornehm aus wie eine Prinzessin mit ihrem Hofstaate.
In dem Modemagazin entsteht, als die Damen eintreten, ein ordentlicher Aufruhr. Die jungen Commis laufen aus allen Winkeln herbei, die Chefs selbst treten herzu. Es wird keine Mühe gescheut, um den Geschmack der Damen zu befriedigen, und Berge von Stoffen häufen sich an.
Fräulein Schönchen sucht nicht sehr lange aus: sie wählt für Tante Mile und sich selbst einfache dunkle Seidenkleider und für Hildchen ein cremefarbenes gesticktes Mullkleidchen. Hildchen macht noch keine Umstände und ordnet sich in weiser Erkenntnis, daß ihr mit ihren sechzehn Jahren ein ausgesprochener Geschmack noch abgeht, bereitwillig dem Geschmack ihrer Erzieherin unter.
»Du wirst sehr hübsch aussehen,« prophezeit ihr die gute Schönchen. »Ich mache dir auch noch einen Kranz von Moosrosen.«
»Ach!« entfährt Hildchen unwillkürlich. Gleich aber, da sie fürchtet, Fräulein Schönchen ihre Abneigung gegen künstliche Kränze verraten zu haben, fragt sie bescheiden: »Finden Sie es denn passend, daß ich schon Blumen trage, Fräulein Schönchen? Ich kann noch nicht einmal tanzen, und es wird ja auch kein richtiger Ball sein.« – Sie hat die besten Gründe hervorgesucht, in der Hoffnung, daß doch einer von Fräulein Schönchen angenommen werden könnte.
»Aber, Herzenskind, ich verstehe nicht, weshalb du dich sträuben willst. Deine Cousine ist doch im gleichen Alter mit dir und wird einen Kranz von weißen Rosen tragen.«
Fe beschreibt soeben dem Chef einen wunderbaren Stoff, den sie auf der Durchreise in Berlin bemerkt und den zu tragen sie sich in ihr Köpfchen gesetzt hat. Der Herr hat sein Notizbuch gezogen. Fe kann zwar weder die Straße noch den Namen des Geschäftes angeben; aber sie ist ganz sicher, daß der gefällige Kaufmann ihren Wunsch erfüllen und den Stoff verschreiben wird.
Trotz dieser Unterhandlung hat Fe gehört, was Fräulein Schönchen soeben sagte, und wendet sich sofort zu ihr: »Der Rosenkranz ist ja entzückend, aber ich möchte mir ihn doch lieber für nächsten Winter aufheben; denn jetzt finde ich mich, wie auch Hildchen sagte, für Blumen noch zu jung.«
Hildchen bemerkt, daß es über Fräulein Schönchens Gesicht zuckt; die künstliche Blumenfabrikation ist nun einmal eine kleine Schwäche der sonst so vorzüglichen Dame.
Nein, denkt Hildchen, ich werde doch aus dummer Eitelkeit meine liebe Schönchen nicht kränken! – Und sich herzlich zu ihr wendend sagt Hildchen: »Wenn Sie es passend finden, Fräulein Schönchen, und wenn Ihnen der Kranz nicht zu viel Mühe macht, will ich ihn sehr gern tragen.«
»Wie könnte mir die Mühe zu groß sein, Herzenskind!« versichert die beglückte Erzieherin.
O du Engel! Was für ein aufopferungsvolles Herz! denkt Frau Amtsrat, und ihr ist, als ziehe bei diesem Gedanken ein Schmerzgefühl durch ihre Seele.
Ueber Fes niedliches Mäulchen aber zieht nur ein verächtliches – ein kaum sichtbares verächtliches Lächeln; doch die Verhandlungen, denen sie sich nach diesem Zwischenspiel wieder zuwendet, sind jetzt das wichtigste.
Es ist erstaunlich, welches Geschick in der Auswahl und wie viel Geschmack das junge Mädchen entwickelt; Fe ist vollkommen sicher in dem, was sie verlangt, und keine Ueberredung würde sie vermögen, etwas, das ihr nicht paßte, zu nehmen und vielleicht später den Kauf zu bereuen. Daß sie dem Personal eine solche Mühe verursacht, stört sie nicht: diese Menschen sind ja nur ihretwegen vorhanden; es ist ihre Aufgabe, den Geschmack der jungen Dame zu treffen.
Und sie siegt im Kaufmannsladen wie im Salon. Die Commis, die nicht den Vorzug genießen, das schöne Mädchen zu bedienen, beneiden die Kollegen, denen Fe Geduldsproben auferlegt.
Hildchen hat indes mit Fräulein Schönchen noch ein Anliegen zu verhandeln. »Finden Sie nicht, daß Klärchen immer etwas altmodisch aussieht? Sie würde bei Papas Fest am Ende ein bißchen abstechen. Vielleicht würde sie es nicht übelnehmen, wenn ich für sie auch ein gesticktes Mullkleid kaufte? Ich habe mein Taschengeld schon mitgebracht.« – Und sie zeigt ihr kleines Beutelchen verlegen vor; denn Hildchen ist noch nicht daran gewöhnt, Geschenke zu machen. Sie fürchtet sich, mit ihren Gaben aufdringlich zu erscheinen. Walters Worte von den Verpflichtungen des Reichtums schwirren ihr auch durch den Kopf; es ist ihr nicht ganz klar, ob sie in Walters Sinne handelt oder vielleicht dagegen.
Fräulein Schönchen nickt und sagt nur: »Das ist ein praktischer Einfall, Kind; aber du konntest es ja gleich sagen, als wir dein eignes Kleid aussuchten.«
Das Kleid für Klärchen wird aber gekauft und mit ihrer Adresse aus der Handlung direkt nach Wermsdorf geschickt.
Am Abend, als Hildchen noch wach im Bette liegt, wird ihr klar, was Walter gemeint habe.
Der liebe Gott hat ihr das viele Geld gar nicht gegeben, damit sie in der schönen Villa wohnen und sich prächtig putzen könne. Wenn sie es anwenden will, wie Gott es verlangt, bekommt sie ernste Arbeit. Bequemer wäre es freilich, bloß große Summen für Arme zu zeichnen; aber das Richtige wäre das nicht. Sie fängt an, Miles stilles Wirken zu begreifen. Ihr junges enthusiastisches Herz aber drängt sie weiter. Sie möchte einmal Großes schaffen.
»Endlich habe ich's doch gefunden,« denkt sie und atmet erleichtert auf. »Und Walter ist's, der mir den Weg gewiesen hat.«
Dann schläft sie ein.