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22. Ein Esel als Heiratsvermittler.

Steinbach war an den Ufern des Vierwaldstättersees ebenso zu Hause wie fast überall in Europa, und so überließ sich die kleine Gesellschaft willig seiner Führung und bessern Einsicht. Selbst der kleine Kommerzienrat ordnete sich ihm unter; nur Mile erhob Einspruch, als er für den folgenden Tag (man befand sich in Brunnen) zu einer Eselpartie nach dem Axenstein Anstalt getroffen hatte.

»Es macht Ihnen wohl Spaß, mich alte Frau auf einen Esel zu setzen, Steinbach?« brummte Mile. »Aber ich erkläre, daß ich auf so 'nen schlechten Spaß nicht eingehe.« – Und dabei blieb sie.

Baldinger, der seine Schwester ungern allein ließ, blickte Klärchen an; aber dieses junge Mädchen tändelte mit einem Kätzchen und schien von der ganzen Unterhaltung kein Wort gehört zu haben.

Schon früh am nächsten Morgen versammelten sich die Eseltreiber vor dem Hotel.

»Aber sieh einmal, Onkel Edi,« rief Hildchen, »da stehen ja nur vier Langohren; das ist eines zu wenig.«

»Es sind nur vier Esel bestellt worden,« erklärte Steinbach. »Deine Cousine versicherte mir gestern abend, sie werde bei Tante Mile bleiben; sie habe nur nicht darüber reden wollen, weil du dann gleich einen großen Lärm machen würdest.«

»Nun ist mir alle Freude an der Partie verdorben, Onkel Edi!«

»Denkst du, mir sei die Partie dadurch etwa angenehmer geworden?«

»Ach, dann wollen wir alle zu Hause bleiben.«

»Und dem Papa auch noch das Vergnügen verderben? Und was nur Tante Mile für ein Geschrei machen würde!«

»Aber du bist nicht böse auf Mariechen, Onkel Edi?«

»Weil sie wie immer ihre Pflicht einem Vergnügen vorzieht? Nein, Hildchen. Wäre es möglich, daß ihr Wert in meinen Augen noch stiege …«

»O Onkel Edi, nicht wahr, man muß sie lieb haben?«

»Das scheint das Unglück, das jedem Menschen begegnet, der in Mariechens Nähe kommt.«

»Wie? Du nennst es doch nur im Spaß ein Unglück?«

»Im Spaß? Nein, mir ist nicht spaßig, wenn ich an Mariechen denke. Ich komme mir dann ungeheuer alt vor, und das ist mir durchaus nicht spaßig.«

Hildchen schmiegte sich an ihn; sie standen auf der Altane, vor ihnen die grauen wogenden Morgennebel über dem See. »O lieber Onkel, du wirst jede Frau glücklich machen, wenn du auch nicht mehr jung bist.«

»Was ist denn heute in dich gefahren, Hilde? Wie kommst du darauf, so zu sprechen?« – Er streichelte zärtlich ihr Haar. – »Siehst du, es handelt sich nicht allein um mein Glück; ich könnte doch nicht auf Kosten eines andern Wesens mein Glück begründen.«

»In diesem Punkte, Onkelchen, bist du schief gewickelt. Denkst du, daß Mariechen auf Rosen gebettet ist? Was wird denn ihr Schicksal sein? Von ihrer Kindheit an bis jetzt hat sie nur für die Schwester gearbeitet und entbehrt, und so wird es weiter gehen, bis sie eine einsame alte Jungfer geworden ist.«

»Hilde!« Steinbach preßte das Kind an sein Herz. »Wer hat dich gelehrt, so mit mir zu reden?«

»O Onkel, weil ich dich liebe – und weil ich Mariechen liebe – und weil ich ganz gewiß weiß …«

»Na, da störe ich ja eine recht zärtliche Scene!« rief Baldinger. »Was soll mir das heißen? Hilde mit Thränen in den Augen – und Sie sehen ja auch ganz gerührt aus, Steinbach; da schlage doch ein Pferd drein …«

»Blicken Sie nur hinaus, lieber Freund,« versetzte Steinbach schnell gefaßt mit Laune. »Diese Natur ist so großartig, daß man davon bewegt wird. Sehen Sie nur diese Nebelmassen!«

»Na erlauben Sie mal, Steinbach, ich habe doch noch niemals gehört, daß man vom Nebel gerührt wird.«

»Ja, es ist merkwürdig, wie verschieden solche Naturereignisse auf die Menschen wirken,« behauptete Steinbach trocken.

Es wurde Zeit aufzubrechen.

Steinbach wußte, daß jeder Esel höfliche Behandlung verlangt. Er wußte deshalb mit seinem Grauen umzugehen. Baldinger aber wollte herrschen, und damit kam er bei seinem Esel schlecht an.

Im Grunde war es dem Esel nicht zu verdenken, wenn er sich weigerte, hundert Kilo zu tragen, und ungefähr so viel wog der Kommerzienrat. Das kluge Grauohr weigerte sich deshalb ganz entschieden, sich mit Baldinger in Bewegung zu setzen. Jeden Schlag des Führers, jedes Donnerwetter seines Reiters beantwortete der Esel durch Bocken.

Die friedlichen Esel mit Baldingers Begleitern bogen schon um die Ecke; sein Esel rührte sich nicht. Es ist nicht erbaulich, in einer solchen Lage auch noch hinter jedem Vorhange eines Hotels mit spöttischen Blicken beobachtet zu werden.

»Verwünschte Kreatur!« donnerte Baldinger und unterstützte diese Schmeichelei noch durch Stöße mit den Absätzen.

Eine so unwürdige Behandlung fühlte sich der Esel berechtigt zurückzuweisen: er machte einen Bocksprung, daß Baldinger das Gleichgewicht verlor und sich nur noch verzweifelt an die Mähne klammerte. Diesen Eingriff in seinen Halsschmuck schien der Esel für eine neue Gewaltthat zu halten, und ganz unerwartet lief er mit dem unglücklichen Kommerzienrat, dem Hören und Sehen verging, im Galopp davon. Schließlich konnte der Reiter seinen Sitz nicht länger behaupten und glitt herunter, bis er mit der staubigen Straße in unsanfte Berührung geriet; der von seiner Last befreite Esel aber suchte mit freudigem I-A das Weite.

Als sich Baldinger wieder aufgerappelt hatte, sah er eine Gesellschaft Touristen, die ungeheuer belustigt schienen – natürlich über ihn; seine eigne Gesellschaft aber, die abermals um eine Ecke gebogen war, erblickte er nicht.

Da kam vom Hotel her als rettender Engel Mariechen. »Du hast doch keinen Schaden genommen, Onkelchen?« rief das erschreckte Mädchen. »Ich habe alles vom Fenster aus gesehen.«

»Die Knochen sind noch ganz geblieben; aber meine Würde! Meine Würde ist in den Staub getreten, Mariechen, und wie ich stark vermute, gehörst auch du zu denen, die mich ausgelacht haben.«

»O Onkelchen!« – Und jetzt konnten sie beide gemeinschaftlich über das Abenteuer lachen.

Die Reisegesellschaft kehrte zurück, sobald sie Baldinger vermißte, auch der Treiber mit dem eingefangenen Langohr; aber Baldinger erklärte, nicht zehn Pferde brächten ihn wieder auf einen Esel.

»Nun, dann schafft nur schnell einen Damensattel herbei,« gebot Steinbach mit einem Eifer, der für Baldinger nicht sehr schmeichelhaft war; es sah fast so aus, als wäre der Konsul sehr zufrieden, Mariechen an seiner Statt bei der Partie zu sehen. Und da Mariechen nun keine Ursache mehr fand, Tante Mile Gesellschaft zu leisten, saß sie nach wenig Minuten auf dem jetzt ganz friedfertigen Esel. Tante Mile aber rief vom Balkon herunter: »Ich bitt' euch, Kinder, bleibt zu Hause; ihr seid heute schon einmal umgekehrt – gebt acht, es passiert noch was!«

Steinbach dagegen fand, daß die Zeichen nicht günstiger sein könnten, und trabte mit seinen drei jugendlichen Begleiterinnen vergnügt davon. Man kann einen Freund sehr hoch schätzen und es trotzdem als eine Gunst des Schicksals betrachten, wenn ihn ein bockender Esel abwirft. So heiter, so unterhaltend hatte selbst Hildchen den guten Onkel Edi noch niemals gesehen.

Die jungen Mädchen wurden von seiner Lustigkeit angesteckt; selbst die Führer grinsten vergnügt, in Erwartung eines besonders reichen Trinkgeldes; denn die Großmut des Konsuls Steinbach war hier schon bekannt.

»Onkel Edis Laune hat sich ja fabelhaft verbessert,« meinte Hildchen mit einem schlauen Gesicht. »Ich glaube, es thut ihm gar nicht leid, daß der boshafte Esel den armen Papa abgeworfen hat.«

»Was schwatzt die Kleine da? Will sie mich verdächtigen?« – Und mit grimmiger Miene schüttelte er sein Haupt gegen das lachende Mädchen.

Plötzlich veränderte sich ihr Ausdruck, Hildchen blickte ihn sehr ernst an. »Ich will dich nicht verdächtigen,« versicherte sie, »aber ich muß dich jetzt einmal um eine Erklärung bitten; denn du hast meine Freundin Mariechen beleidigt.«

»Mich soll der Herr Konsul beleidigt haben?« fragte Mariechen, die von Hildchens Unterhaltung mit ihm auf der Altane natürlich keine Ahnung hatte.

Steinbach war sofort an Hildchens Seite. »Nun, da muß ich doch bitten, daß du dich zuerst etwas deutlicher erklärst!« rief er mit großem Eifer.

»Das ist meine Absicht,« entgegnete Hildchen mit gutgespielter Würde. »Meiner Cousine Fe hast du sofort angeboten, daß sie dich Onkel nennen solle, aber gegen meine Cousine Mariechen bist du durchaus nicht so entgegenkommend gewesen; das hat Mariechen beleidigt. – Bitte, Mariechen, sage nichts dawider, du bist beleidigt – und da Mariechen meine beste Freundin ist, fühle ich mich gleichfalls beleidigt.«

Wie ernsthaft das lose Mädchen ihn anblickte! Einen Augenblick glaubte er wirklich an die Beleidigung; da verriet ihm ein Zucken ihrer Lippen den Schalk, und mit angenommener Strenge erwiderte er: »Diese Gunst bedaure ich deiner Freundin nicht gewähren zu können.«

Mariechen errötete. Sollte sie die gute Meinung dieses ausgezeichneten Mannes verscherzt haben?

Hildchen aber setzte das kleine Scharmützel tapfer fort. »Darum muß ich um so dringender eine Erklärung erbitten. Warum willst du diese Gunst meiner besten Freundin nicht gewähren? Vorausgesetzt, daß Mariechen es als eine Gunst betrachtet, Sie Onkel nennen zu dürfen, mein Herr Konsul.«

Steinbach ging auf ihren Ton ein. »Haben Sie vielleicht schon einmal gehört, mein kleines Fräulein, daß man unter gewissen Verhältnissen nicht gern den Onkel spielt?«

»Hm – ja – nein – Ich weiß nicht, wie du das meinst, Herr Konsul. Willst du vielleicht damit sagen, daß du nicht mehr mein Onkel bleiben willst?«

»Ewig der deine, Hildchen; aber bei deiner Freundin liegen die Verhältnisse doch anders.«

»Nun, da möchte ich wissen …« – Hildchen schien empört.

»Werden Sie mir vielleicht erklären, weshalb Sie mich als Nichte verschmähen, Herr Konsul?«

»Dazu haben Sie ein Recht, Fräulein Mariechen, und ich bin bereit, mich vor ihnen zu rechtfertigen.« – Steinbach leitete seinen Grauen neben den Esel, auf dem Mariechen saß. »Da mir der Onkel glücklicherweise in diesem Falle nicht angeboren wurde, ist es gewissermaßen in unser Belieben gestellt, Onkel und Nichte zu spielen; nicht wahr? Wie mir nun aus den Reden meiner angenommenen Nichte Hildchen hervorzugehen scheint, wären Sie so gütig gewesen, mich als Onkel anzunehmen. Leider bin ich aber nicht in der Lage, Sie als Nichte zu acceptieren, mein Fräulein.«

»So weit waren wir ja schon vorhin, Onkel Edi. Die Gründe! Du bist uns die Gründe schuldig.«

Hier flüsterte Klärchen Hildchen zu: »Offen gestanden begreife ich nicht, wie sich Mariechen so etwas bieten läßt!«

»Gestatten Sie mir, Ihnen diese Gründe darzulegen, Fräulein Mariechen?« – Sie nickte befangen; sie konnte weder aus Steinbach noch aus Hildchen klug werden.

»Sie müssen mir zugeben,« fuhr Steinbach jetzt fort, »daß es Fälle giebt, in denen ein Onkel genötigt ist, eine Nichte abzulehnen, weil sie ihm als Nichte nicht gefällt, oder vielmehr, um mich deutlicher auszusprechen, weil sie ihm so außerordentlich gut gefällt, daß er ihr gegenüber nicht eine Respektsperson sein möchte. Er zieht es vor, für sie etwas Besseres zu werden. Nehmen wir nun einmal an, daß gerade hier dieser Fall in Frage käme …«

»Ich glaube, dort blüht Enzian!« rief Hildchen plötzlich, und während sie auf die Stelle zeigte, erfaßte sie den Zügel von Klärchens Esel, um ihn zurückzuhalten.

»Ach, was geht mich denn der Enzian an!« meinte Klärchen ärgerlich. »Die Unterhaltung fing gerade an interessant zu werden, und nun sind die beiden voraus; ich kann kein Wort mehr verstehen. – Na, wenn ich wie Mariechen wäre, hätte ich dem Herrn Konsul lange ein Licht aufgesteckt, daß ich mir aus seiner Gunst nicht viel machte. Man muß doch wissen, was man sich schuldig ist! – Aber bitte, Hilde, laß meinen Esel doch endlich wieder los.«

Der Esel wurde frei, Hildchen aber fesselte Klärchen jetzt durch ihre Unterhaltung. Nein, was nur so ein Pensionsmädchen schwatzen kann! dachte Klärchen.

Hildchen schien sich auf einmal ganz außerordentlich für die Gegend zu interessieren: bald dieser bald jener Führer mußte ihr Auskunft geben; sie wollte von allen Verhältnissen unterrichtet werden. Indes beobachtete Klärchen, daß Steinbach und Mariechen schon zu weit vorausgeritten waren. Sie konnten nicht mehr eingeholt werden. Und sie hätte doch so gern gewußt, was er erzählte; denn er redete so lebhaft, als ob er Mariechen seine ganze Lebensgeschichte mitteilen wolle, ehe sie den Axenstein erreichten; Klärchen ärgerte sich die ganze Zeit über Hildchens gewaltsames Eingreifen, zeigte sich schweigsam und sah pikiert aus.

Bild: Fritz Bergen

»Hast du gesehen, Hildchen? Er hat sie geküßt …«

Steinbach und seine Begleiterin langten natürlich etwas früher vor dem Hotel an. Er sprang behend aus dem Sattel, schob Mariechens Führer beiseite und half ihr absteigen; dabei ruhte das liebe Mädchen einen Augenblick in seinen Armen, er bückte sich und da …

»Ach!« schrie Klärchen, »hast du's gesehen, Hildchen? Er hat sie geküßt. O, es ist empörend. Ich kann Mariechen nicht verstehen, wie sie sich so was gefallen läßt!«

»Bist du auch ganz sicher, daß du dich nicht getäuscht hast?« fragte Hildchen mit einer Miene, als würde sie einen solchen Kuß Onkel Edi niemals zutrauen.

Klärchen wurde unsicher. »Beschwören kann ich's nicht, aber mir ist gerade so gewesen, als wenn er sie geküßt hätte.«

»Man kann sich bei einer solchen Entfernung sehr leicht täuschen,« versicherte Hildchen weise. Und doch hatte das lose Mädchen dieselbe Beobachtung wie Klärchen gemacht, nur wollte sie nicht verraten, daß ihr ein im geheimen genährter Wunsch damit erfüllt worden war; denn ehe Tante Lavinia ihre Einwilligung gegeben hatte, konnte die Verlobung doch nicht bekannt gemacht werden.

Hildchen befand sich in der glücklichsten Stimmung; sie umarmte stürmisch Mariechen, die selig unter Thränen lächelte. Ja, Hildchen mußte sich bezwingen, nicht auch Onkel Edi stürmisch zu umarmen; aber sie drückte ihm wenigstens mit verständnisinnigem Blicke die Hand.

Man brauchte übrigens das Paar nur anzusehen, um alles, was zwischen ihnen vorgegangen war, zu erraten. Doch Klärchen bemerkte nichts von der gehobenen Stimmung der drei glücklichen Menschen; sie war wie gewöhnlich zu sehr mit ihrer eignen Person beschäftigt. Ihr Anzug war durch den langen Ritt in Unordnung geraten, das Diner entsprach nicht ihren Erwartungen, und schließlich verbesserte es auch nicht ihre Laune, daß die andern ihre kleinen Aergernisse und ihre Mißstimmung nicht zu berücksichtigen schienen.

Auf dem Heimwege wurden sie von einem jener Gewitter überrascht, wie sie in den Alpen oft so ganz plötzlich die Reisenden zu überfallen pflegen, und noch dazu in einer Gegend, die ihnen keinen Schutz bot.

»Tante Mile wird behaupten, daß wir dieses Wetter verschuldet haben,« erklärte Steinbach mit dem Nachklang der frohen Laune. »Wir haben unser Schicksal heraufbeschworen, weil wir heute früh umgekehrt sind.« – Doch sich zu Mariechen wendend setzte er leiser hinzu: »Trotz Sturm und Wetter war heute der glücklichste Tag meines Lebens.«

Der Weg war nicht ohne Gefahr, er führte ziemlich steil abwärts, dabei der heftige Sturm und ein Regen, der es kaum möglich machte, drei Schritt weit zu sehen; die zuckenden Blitze und der prasselnde Donner erschreckten überdem die Esel, die nicht vorwärts wollten. Die laute Lustigkeit war längst verstummt; ab und zu nur hörte man Klärchen angstvoll quietschen. Steinbach hatte seinen Grauen Mariechens Führer übergeben und geleitete sie selbst, dabei durch Zurufe und Versprechungen die andern Führer zur Vorsicht ermahnend.

Endlich war der gefahrvolle Teil des Weges überwunden; das Gewitter hatte nachgelassen, und sie erreichten die ersten Häuser von Brunnen. Hier aber erklärte Klärchen, das Hotel in einem so durchnäßten Anzuge unter keiner Bedingung zu betreten.

»Aber wir sehen ja alle wie Vogelscheuchen aus,« tröstete Hildchen.

»Natürlich gehen wir gleich auf unser Zimmer und kleiden uns um,« meinte Mariechen.

Klärchen aber schien zu glauben, daß sie für das Hotel eine Person von Wichtigkeit wäre und darum eine ganz besondere Rücksicht beanspruchen müsse. »Ich will in diesem Bauernhäuschen bleiben, bis mir trockene Kleider geschickt werden,« erklärte sie, »denn mir ist es nicht gleichgültig, was die Leute über mich reden.«

Worauf Steinbach etwas boshaft bemerkte: »Ja, es muß uns allerdings schmerzlich sein, daß die Leute uns nachsagen können, das Wetter habe uns gründlich durchweicht.«

Doch auch diese boshafte Bemerkung hinderte Klärchen nicht, abzusteigen und sich in das Häuschen zu flüchten.

Mile hatte indessen mit ihrer Angst das ganze Hotel in Aufregung versetzt. Aus den Fenstern winkte und rief man der durchnäßten Gesellschaft ein Willkommen entgegen.

Baldinger fragte etwas besorgt, ob Klärchen unterwegs verloren gegangen wäre, und Mile rief: »Habe ich's euch nicht prophezeit, daß die Partie schlimm ablaufen würde?«

»Nein, daß uns ein solches Glück widerfahren würde, hatten Sie nicht prophezeit, Tante Mile,« entgegnete Steinbach.

Mile guckte ihn von der Seite an, ob er nicht ein bißchen übergeschnappt wäre; da hatte er sie auch schon im Arm. »Jetzt gehöre ich in eure Familie!« rief er ihr zu.

»Kinder, ihr habt wohl gar Champagner getrunken!« fragte Baldinger verblüfft.

»Glücks-Champagner, Papa! Onkel Edi ist was geworden, was er niemals werden wollte …«

»Hildchen!«

»Ach, laßt es mich aussprechen! Ich halte es nicht länger aus. Onkel Edi und Mariechen werden Mann und Frau!«

Tante Mile mußte sich setzen; dann sagte sie, die Hände auf die Kniee gestützt: »Kinder, so was Vernünftiges hätt' ich euch wahrlich nicht zugetraut!«

Baldinger zeigte eine rührende Freude; so vergnügt war er nicht gewesen, als er sich mit Hildchens Mutter verlobte.

Darüber war aber Klärchen vergessen worden. Und als sie nun endlich herbeigeholt wurde, machte sie allerhand beleidigte Anspielungen und verschwand sehr bald in großer Verstimmung.

Das Telegramm mit bezahlter Rückantwort ging noch an demselben Abend ab und traf während der Nacht in Bromberg ein. Die gute Frau Amtsrat hatte zuerst einen großen Schreck und dann eine noch größere Freude. Mit zitternder Hand schrieb sie: »Meinen Segen, geliebte Kinder!« Darauf sank sie laut schluchzend auf die Kniee und dankte dem lieben Gott für dieses unerwartete Glück.

Auch Fe freute sich sehr. Aber es ist doch unbegreiflich, wie verschieden der Geschmack der Menschen ist, dachte sie. Mich hat Onkel Edi nicht leiden mögen, und Mariechen heiratet er!

Am andern Morgen wurde die Verlobung verkündet.

»Nun, was sagst du dazu, Klärchen? Hast du das gedacht?« fragte Hildchen. Aber wenn sie erwartete, daß Klärchen erstaunt sein würde, hatte sie sich verrechnet; es war eine von Klärchens bemerkenswerten Eigenschaften, daß sie von keinem Ereignisse überrascht werden konnte. »Nein, weißt du, ich habe das ja längst kommen sehen,« entgegnete sie völlig gefaßt. »Wenn man nicht blind gewesen ist, mußte man ja merken, worauf das hinauslief.«


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