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26. Vor dem Balle.

In Hildchens Ankleidezimmer herrschte noch das Chaos, ein ganz allerliebstes Chaos von Bändern, Blumen, Spitzen. Allmählich aber lichtete sich die Verwirrung, und die auf Ständern, Sesseln und Tischen zerstreuten Teile vereinigten sich um die niedliche Beherrscherin dieses Raumes wie die Planeten um die Sonne. Die Jungfer legte die letzte Hand ans Werk, und vor dem durch Armleuchter glänzend erhellten Venusspiegel stand Hildchen in voller Balltoilette. Sie bot einen ganz reizenden Anblick in ihrem duftigen Spitzenkleide, dessen Leibchen durch einen weißen Atlasgürtel gehalten wurde. Das einzig Phantastische an diesem Kostüm waren die das Haar schmückenden, mit einer Brillantagraffe befestigten weißen Federn.

»Bitte, rufen Sie jetzt Röse herein,« gebot Hildchen. »Ich will ihr sagen, wie sie Tante die kleine Ueberraschung aufbauen soll.« – Und sie legte dabei um das feine Handgelenk noch einige schmale Armbänder.

Die Jungfer hängte Hildchen den Domino von himmelblauem Atlas über, und nun betrat die junge Dame ihr niedliches Wohnzimmer, um sich dem Papa zu zeigen.

Der Anblick des guten Kommerzienrats war aber so komisch, daß Hildchen in lautes Lachen ausbrach, und die Jungfer geschwind den Kopf durch die Thür steckte.

»Lachst du vielleicht über mich?« fragte der Vater sehr erstaunt. Wenn er von seiner falschen Nase auch einen komischen Effekt erwartete, ausgelacht wollte er doch nicht werden.

»Aber, Papa – mit deiner roten Nase siehst du wie einer aus, der den Schnaps liebt, und dein Domino schleppt eine halbe Elle nach.«

»Wenn ich nur nicht zum Erkennen bin; das ist bei einem Maskenballe die Hauptsache.«

»Aber« – und Hildchen brach von neuem in Lachen aus – »die Nase macht dich ja nicht unkenntlich, Papa.«

Während die Jungfer den Domino umheftete, fand Baldinger Zeit, die Tochter zu betrachten. »Na, siehst ja recht gut aus – kann mit dir Staat machen. – Hm, hm! Ist wirklich ein Vergnügen, mit so 'ner Tochter auf den Ball zu gehen.«

Papas Laune ist ja bedeutend verbessert, dachte Hildchen. Sie ahnte nicht, daß an dieser Verbesserung ein Bouquet Veilchen und Maiglöckchen schuld war, das mit einer Karte von Walter Roland schon auf das liebe Mädchen wartete.

In dem Augenblick aber, wo Baldinger es seiner Tochter überreichen wollte, erschien Fritz mit einem zweiten Bouquet, steif, rund, groß und sehr kostbar; die Karte zeigte den Namen von Artur Loritz.

»Was ist da zu thun?« fragte Hildchen. »Wenn ich beide Sträuße nehme, sehe ich komisch aus.« – Und doch war die kleine Hexe schon ganz entschieden, welches Bouquet sie wählen würde; aber sie wollte sich dem Papa nicht verraten.

»Die Entscheidung liegt allerdings ganz in deiner Hand,« bemerkte Baldinger ernst und mit scharfem Blicke die Tochter beobachtend. »Sie ist möglicherweise für dein ganzes Leben bedeutungsvoll.«

Ein heißes Rot flammte über ihr Gesichtchen. »Der Strauß von Herrn Loritz ist ja viel prächtiger; aber Walter hat als Jugendfreund doch ein größeres Anrecht.« – Sie nahm den Strauß in die Hand. »Und sieh nur, Papa, ist es nicht hübsch von ihm, daß er gerade die Blumen wählte, mit denen er mich an jedem Geburtstage beschenkt hat?«

»Ja, darin liegt eine feine Aufmerksamkeit. – Möchte nur wissen, woher der Roland weiß, daß wir auf den Maskenball gehen?« – Und in Gedanken setzte er hinzu: Aus dem Menschen kann ich nicht klug werden.

Die Jungfer hängte jetzt ihrem Herrn den verkürzten Domino über, dann gingen Vater und Tochter, um sich der Tante zu zeigen.

»Fräulein, Sie sollen mal 'rauskommen; 's ist feiner Besuch da,« rief Röse und guckte in Miles Schlafstube, wo diese inmitten eines Krimskrams von Pappschachteln, umschnürten Paketchen, alten Flecken und so weiter mit hoffnungsloser und sehr verwirrter Miene saß.

Mile wand sich mit Mühe aus all dem Plunder hervor und betrat ihr Wohnzimmer.

Hildchen in schwarzer Halblarve und Baldinger mit dicker roter Nase erwarteten von der Tante bewundert zu werden. Baldinger verbeugte sich, und Hildchen machte ein tiefes Kompliment.

Röse drückte ihre Bewunderung durch lautes Lachen aus und schlug immer die Hände zusammen: »Ne, sehen Sie sich nur unsern Herrn an! Ne, und das Fräulein! Ne, sehen Sie sich nur unser Fräulein an!«

Mile aber dachte immer: Ja, aber wie soll ich mich nur verkleiden? – Und darüber fand sie kein Wort der Anerkennung.

Baldinger wurde ungeduldig. »Na, kennst du uns denn nicht mehr, Mile?«

»Wo werd' ich dich denn nicht erkennen, August! Aber die Hilde – da kann ich mich nicht genug wundern.«

»Das sag' ich auch. Mit der kann man Staat machen. – Aber nun komm, Hildchen, 's ist ja bald neun Uhr; wir werden die letzten sein.«

Hildchen hob zierlich ihren Spitzenbart, gab der Tante einen herzlichen Kuß und flüsterte: »Ich habe dir eine kleine Ueberraschung bereitet, Tantchen, weil du so ganz allein zu Hause bleibst,« – dann eilte sie dem Vater nach.

Hätte Mile erfahren, daß der Blumenstrauß in Hildchens Hand ein Geschenk Rolands war, ihr wäre ein Stein vom Herzen gefallen, und sie hätte sich der Geschenke Hildchens erfreuen dürfen; aber Baldinger fürchtete irgend ein unbedachtes Wort von Mile, und Hildchen war über den Jugendfreund nicht redselig – besonders nicht in diesem Augenblicke, wo sie mit Herzklopfen in der nächsten Stunde schon ein Wiedersehen mit ihm erhoffte.

Indes hatte die Jungfer in Miles Wohnzimmer die Lampe angebrannt und die von Hildchen besorgten Geschenke hübsch aufgebaut: einige blühende Blumen, ein schön gebundenes Buch, »Marlitts Geheimnis der alten Mamsell«, und einen Karton mit Süßigkeiten. »Und nun kommen Sie, Fräulein, und sehen Sie sich an, was Fräulein Hildchen Ihnen beschert hat,« bat sie.

Die Jungfer wie auch Röse waren auf Thränen und dankerfülltes Jammern gefaßt. Aber Mile sagte nur beinahe barsch: »Ich habe keine Zeit,« und lief stracks in ihre Schlafstube.

»Ne, aber Fräulein, was ist denn los?« fragte Röse, die ihr gefolgt war. »Sie haben doch unserm Fräulein nicht gar was übelgenommen?«

Anstatt einer Antwort richtete sich Mile auf und sagte: »Mache keine unnötigen Redensarten und thue, was ich dir sage. – Also jetzt geh in dem Herrn sein Zimmer; der Riegler hat ihm schwarze Dominos zur Auswahl geschickt, hole mir so 'nen Domino herüber.«

»Ne, auf was für Ideen Sie nur heute kommen, Fräulein? Was wollen Sie denn mit so 'nem Domino anfangen?«

»Ich habe dir doch gesagt, daß du den Mund halten sollst, Röse. Laß dich auch nicht etwa mit der Jungfer aufs Klatschen ein. Die Jungfer geht's gar nichts an, was ich hier vorhabe. Verstehst du?«

In diesem Augenblick gewahrte Röse, daß Mile aus verschiedenen Papieren eine schwarze Halblarve, einen großen Fächer und ein Paar weiße Handschuhe auspackte, und blieb mit offenem Munde stehen.

»Warum gehst du nicht?« rief Mile gereizt. »Es giebt noch mehr zu thun.« – Als aber Röse hinausging, wurde sie noch einmal zurückgerufen. »Du weißt besser als ich, wo mein weißgrundiges Perkalkleid liegt; ich meine das, was sich nicht mehr für mich paßt, wie du immer sagst.«

Jetzt wurde Röse die Sache doch bedenklich; aber sie dachte: Widerspruch regt sie noch mehr auf. – »Soll ich 'nen Stahl einlegen lassen, Fräulein? Das Kleid wird halt 'n bissel sehr zerknüllt sein.«

»Dazu ist keine Zeit; zieh's mit den Händen aus. Der Domino wird's schon zudecken.«

Also richtig, sie geht auf die Maskerade, dachte Röse und ging.

Ein heftiges Klingeln aber rief sie zurück. Mile stand, eine weiße Feder in der Hand, vor dem Spiegel. »Wenn ich nur wüßte, wie ich mir 'ne weiße Feder am Kopfe anmachen soll; ich habe ja nicht mehr als sieben Haare.«

»Müssen Sie denn partout 'ne Feder auf dem Kopfe placieren, Fräulein?«

»Danach hast du nicht zu fragen!«

Nachgeben ist das klügste, dachte Röse und schlug dann vor, daß sich Hildchens Pelzbarett wohl am besten für eine Feder eignen würde.

»So geh und hole mir's; aber mache schnell!«

Doch Röse lief in ihrer Besorgnis zuerst in die Küche und sagte zur Köchin: »Gießen Sie mal schnell 'ne Tasse Lindenblüte auf, aber tröpfeln Sie Citronensaft 'rein. Ich denk' mir halt, unser Fräulein muß nicht recht wohl sein.« Dann wendete sie sich zur Jungfer, die ihr Abendbrot verzehrte: »Und Sie sind wohl so gut und holen mir aus dem Herrn seiner Stube einen schwarzen Domino, und das Pelzbarettchen vom Fräulein; aber bitte, machen Sie schnell, ich bin gleich wieder hier und nehme die Sachen mit.«

Köchin und Jungfer blickten sich an.

»Legt sich Ihr Fräulein ins Bett oder geht sie auf den Maskenball?« fragte Hanne und goß den Thee auf.

»Ja, du lieber Gott, wenn ich das wüßte! Richtig ist's mit meinem Fräulein nicht; aber sie hat mir 's Reden ja verboten.«

Als Röse, beladen mit den bestellten Gegenständen, bei Mile eintrat, brachte sie den dampfenden Thee mit.

»Fräulein, wollen Sie nicht lieber 'ne Tasse Lindenblüte trinken?« – Röse blies nach jedem Worte in die Tasse. – »Ich bringe Sie dann ins Bett und Fritz kann gleich zum Doktor laufen; der Fritz ist eben aus dem Theater zurück.«

»Na ja, so muß es kommen! Jetzt halten sie mich schon für übergeschnappt! Ja, so muß es kommen!« Und während sie so klagte, zog sich Mile das ausgewaschene Perkalkleid über. – »Setze jetzt mal die Tasse weg und zieh mir 's Kleid 'runter, damit der schwarze Rock nicht vorguckt. Und wenn du wieder in die Küche klatschen gehst, kannst du sagen, ich brauchte keinen Thee, und verrückt wäre ich auch nicht.«

»Ach ne, Fräulein, so was denkt ja kein Mensch von Ihnen. Ich bildete mir nur ein, daß Sie nicht ganz richtig wären, weil Sie doch niemals auf 'ne Maskerade gegangen sind.«

»'s ist auch, Gott sei Dank, bis jetzt nicht notwendig gewesen. – Lange mir mal die Manschetten herüber; – Na, wo hast du denn die Manschetten hingekramt?«

Da nun fast jeder zu dieser eigentümlichen Toilette notwendige Gegenstand erst nach angstvollem Suchen gefunden wurde, steigerte sich Miles Aufregung, und es war nur ein Wunder, daß unter diesen Umständen überhaupt ein Anzug zustande kam.

Mile sah aus, als habe sie sich vorgenommen, auf diesem Maskenballe als komische Alte zu erscheinen, und als sei ihr diese Charaktermaske ausnehmend gelungen. Röses heimliches Lachen bewies, wie wirkungsvoll der Anzug war.

Bild: Fritz Bergen

Ganz ermattet saß Mile da und trank den Lindenblütenthee …

Da aber Röse wußte, daß es nicht in ihres Fräuleins Absicht lag, Lachen zu erregen, gab sie sich große Mühe, nicht damit herauszuplatzen; sie machte sich immer etwas hinter ihrem Rücken zu thun und krümmte sich nur zuweilen, als würde sie von Leibschmerzen gepeinigt.

Aber als Mile mit großer Selbstzufriedenheit fragte: »Na, wie sehe ich denn aus?« – war es Röse vor Lachen unmöglich zu antworten.

Da kam ihr ein rettender Gedanke; sie hängte Mile schnell den schwarzen Domino über. Unter dem eleganten, reich mit Schmelz und Spitzen garnierten Atlasmantel verschwand die komische Alte und Mile sah ganz stattlich aus.

»Und jetzt holt der Fritz eine Droschke, und du hängst dir gleich ein Tuch um, Röse; du fährst mit,« befahl Mile.

Ganz ermattet von der Anstrengung saß sie dann da, hielt das Eintrittsbillet, die Larve und den Fächer krampfhaft in der Hand, um nichts zu vergessen, und trank dabei, ohne es zu merken, den Lindenblütenthee aus. Als sie sich darauf hinunterbegab, begegnete sie zufällig erst der Jungfer, dann der Köchin, schließlich auch noch der Portiersfrau; denn während sich Mile einbildete, daß niemand ihr Vorhaben ahnte, wurde von den Küchenpolitikern lebhaft über die Maskerade des alten Fräuleins diskutiert.

Fritz stand schon neben der Droschke und riß mit unnatürlichem Eifer den Schlag auf. »Wohin, gnädiges Fräulein?« Und er versuchte unschuldig zu thun.

»Rechts um die Ecke,« gebot Mile und glaubte dabei sehr schlau zu handeln.

»Rechts um die Ecke!« rief Fritz grinsend dem Kutscher zu.

»Rechts um die Ecke?« fragte dieser kopfschüttelnd.

»Werde es Ihm dann schon sagen, Kutscher,« versetzte Mile, sich aus dem Wagen lehnend.

»Viel Vergnügen!« wagte Fritz zu bemerken, als er die Wagenthür schloß.

»Esel!« rief ihm Mile zu; doch diese freundschaftliche Bemerkung ging für Fritz durch Wagengerassel verloren.

Sobald sie ein paar Schritte gefahren waren, klopfte Mile ans Fenster und schrie so laut »Theater!«, daß es der Kutscher ohne Wiederholung verstand.

»Jetzt binde mir das elende Ding, die Larve, vor,« sagte Mile, und nachdem Röse das beim Schaukeln des Wagens schwierige Unternehmen ausgeführt hatte, gebot sie ihr: »Du bleibst mit meinem Pelzmantel in der Droschke sitzen, denn ich komme gleich wieder.«

Ein galonnierter Theaterdiener riß den Schlag auf und half Mile aussteigen. Röse aber blieb besorgt zurück. Wenn es mit ihrem Fräulein nicht richtig war, hatte Röse eigentlich die Pflicht, anstatt hier zu warten, den Hausarzt zu benachrichtigen; aber schließlich entschied sie sich doch fürs Bleiben, denn wenn Mile wirklich bald zurückkehrte und Röse nicht mit dem Pelze fand, war eine Erkältung unvermeidlich.


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