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Das Schicksal der Gracchen entschied sich in der Stadt Rom selbst, auf dem Forum und Kapitol. Nunmehr treten wir wieder aus der Enge auf die weite Fläche der Kriegsgeschichte hinaus. Die römischen Adler ziehen über die Alpen, über das Meer. Neue Figuren wandeln vor uns, deren Größe sich kaum in den Rahmen dieser Porträtaufnahmen fassen läßt. Man müßte mit Projektionsapparaten ihr Bild in Übergröße an die Wand werfen!
Volk und Senat. Durch die Gracchen war das Souveränitätsbewußtsein der Volksmasse in der Hauptstadt gewaltig gesteigert, und der Volkstribun war fast wie ein König. Hinfort stehen sich die zwei Parteien schroff gegenüber, die Volkspartei, die die Staatsverfassung jeden Augenblick durch Volksbeschlüsse abzuändern bei der Hand ist, und die konservativen Senatoren oder die »Optimaten«, die diese unruhig aufflutende Macht niederdrücken wollen und sich dabei ständig vor einem Tyrannen fürchten, der aus dem Volke emporsteigen könnte. Die Partei der Ritter hält vorläufig zur Volkspartei; denn Gaïus Gracchus hatte sie politisch konstituiert. Die Entartung des Pöbels steigert sich noch. Die Italiker, die italischen Landstädte aber stehen immer noch grollend beiseite. Dazu kommen nun auf einmal auswärtige Kriege! In Afrika vergreift sich der Beduinenkönig Jugurtha frech an Rom; Jugurthas Schwiegervater aber war König Bocchus von Mauretanien, und damit tritt Marokko, das ist Mauretanien, zum erstenmal in die Geschichte ein. Im Orient gründet der Sultan Mithridates ein neues Riesenreich, das Rom bedroht, und gegen die Alpen drängen die Germanen an, die Cimbern und Teutonen. Auch das Germanentum trat jetzt zuerst in die Geschichte ein. Diese wandernden, reisigen Völker mit ihren Wagenburgen – denn es waren ganze Völker – kamen von der holländischen Küste, vom Zuidersee und von der Jade, damals, als die Inseln Borkum und Wangeroog noch festes Land waren; die Nordsee hatte mit schrecklichen Springfluten ihr Land überspült, eine 73 große Katastrophe, die die ganze Küste zerriß, und die unglücklichen Völker suchten umsonst nach einer neuen Heimat. Im Kampf mit diesen Feinden wurde Marius groß und Sulla, Sulla, der große Reaktionär und Henkermeister. Gaïus Gracchus hatte in Rom zwei Jahre lang wie ein Monarch geherrscht, bloß kraft seiner Beredsamkeit und ohne Waffen. Jetzt klirren die Schwerter. Die Generalissimi halten die Masse in Schrecken, und das Heer schafft den Monarchen. Das hat mit Sulla, dem »Glücklichen«, begonnen.
Man kann diesen grauenhaft interessanten Menschen nicht, ohne Marius zu kennen, verstehen. Denn auch der Gegensatz ist belehrend.
Gaïus Marius, der Korporal und Haudegen, das Vorbild für die späteren Soldatenkaiser Maximin und Aurelian: wer hat nicht von ihm gehört? dem wilden Mann, vor dem Weiber und Kinder bange wurden? Er war eigentlich ein ganz gutmütiger Mensch, stammte aus ganz armen VerhältnissenVgl. Plutarch Marius 3., aus einer kleinen Landstelle bei Arpinum, also wohl volskisch-samnitisches Blut, ein echtes Naturkind wie der alte Cato, aber dabei ein Kraftmensch und Raufer, eckig, brüsk und bellend, wie ein Dorfhund. Er litt an Krampfadern; als ein Eingriff not tat, stellte er sich hin, ließ sie sich, so stehend, operieren und zuckte nicht: ein Cyklop mit finsterer Stirn und wildem Blick, mürrisch, gallig, mit dem ständigen bitteren Zug um den Mund; aber eine ehrliche Haut, ohne argen Trug und Habgier, im Umgang mit Frauen untadelig, vor allem von einer außerordentlichen, praktisch zufassenden Intelligenz: die Intelligenz eines Truppenführers ersten Ranges.
Damals ist ganz Rom moralisch verseucht; der Betrug herrscht, die Militärs sind feige und schlapp; König Jugurtha reiste, obschon er der erklärte Reichsfeind war, einfach nach Rom und bestach da an Ort und Stelle selbst die Senatoren, so viele er wollte. Jugurtha kannte seine Leute. Die feinen römischen Herren klopften sich auf den Geldsack und dachten: »was 74 kümmert uns Algier? wenn wir nur Geld bekommen!« Und die Cimbern und Teutonen, die gar keinen Kampf gewollt und nur um Wohnsitze baten, zertrümmerten ein römisches Heer nach dem andern: Schande über Schande! Da erschien Marius, dieser Naturbursche mit dem festen drohenden Blick, wie ein rettendes Wunder. Er sträubte sich mit Verachtung gegen alle sogenannte Bildung. Was sollte sie ihm? So, wie er war, gelangte er früh in das höchste Amt, in das Konsulat; er bewährte sich und wurde in rascher Folge sechsmal Konsul. Ja, eine der vornehmsten Patrizierfamilien gab ihm ihre Tochter zur Frau; Marius heiratete die Tochter eines Julius Cäsar.
Als junger Reitersmann war Marius mit in Spanien vor Numantia gewesen. Da hatte er die Ehre, mit seinem Feldherrn, dem berühmten Scipio Ämilianus, zusammen zu speisen, und Scipio wies geradezu mit dem Finger auf ihn: »dies ist der Mann der Zukunft.« Aber Marius war ganz nur Feldsoldat; auch noch als General blieb er ein guter Kamerad seiner Leute, der Gemeinen, hielt auf dem Marsch gleichen Schritt bei Hitze und Frost und hielt musterhaft Disziplin, nicht durch Strafen, sondern indem er die Truppen durch sein Beispiel beschämte. Das für alle Folgezeit Wichtigste aber ist, daß er damals das römische Heerwesen umschuf und an die Stelle des altmodischen Bürgerheeres, wo jeder Mann sich selbst auszurüsten hatte, jetzt das Söldnerheer setzte: neben den Aushebungen bei allgemeiner Dienstpflicht ein Anwerben für Geld. Es gibt also von jetzt an auch Berufssoldaten im Heer; und alles, was mittellos, strömte zum Werberuf seiner Herolde herbei. Seit Marius gibt es also in wachsender Menge die heimatlosen Berufssoldaten im Heer, die kein anderes Handwerk treiben und der Fahne ihr Leben weihen. Er schuf das abenteuernde Soldatenleben mit Korpsgeist, wie wir es aus Wallensteins Lager kennen.
So also, als Soldat, kam Marius zu seinem ersten Konsulat. Es waren die Kameraden selbst, es waren die Soldaten in Nordafrika, die ihn zum Konsul haben wollten. Nur er sollte 75 sie gegen König Jugurtha führen. Als Marius sich dazu bereit fand, hänselte ihn der damalige Konsul Metellus, ein hochvornehmer Mann, in bornierter Weise, als wäre Marius der Frosch, der sich aufblähte, um ein Stier zu werden. Der bleibende Groll des Gekränkten verfolgte den Metellus seitdem; denn Marius konnte ehrlich hassen.
Welch ein Triumph, als nun Jugurtha, der königliche Hochstapler, von ihm als Gefangener durch Roms Straßen geschleppt wird! Das war des Marius erster Triumph. Das Volk haßte den Jugurtha so, daß es ihm die Ohrringe aus den Ohren riß, so daß die Ohrläppchen mit abgerissen wurden. Das war im Jahre 104. Inzwischen aber währte, schon seit dem Jahre 113, am Alpenrand der Cimbern- und Teutonenkrieg. In großartig umsichtiger Weise hat Marius nun sogleich, vom Volk immer wieder zum Konsul gewählt, diese Riesenvölkerzüge in großen Schlachten gebändigt, ja, bis auf den letzten Mann vernichtet, bei Aquae Sextiae in der Provence im Jahre 102, bei Vercellae in Norditalien im Jahre 101 (bei der zweiten Schlacht teilte er Arbeit und Erfolg mit Lutatius Catulus). Die überlebenden Gefangenen, auch Weiber und Kinder, wurden in Rom verauktioniert. Das gab ein unerhörtes Marktgetriebe. Seitdem waren Germanen im antiken Sklavenhandel eine beliebte Ware.
Rom hatte vor diesen gigantischen Menschen gezittert wie die Kinder vor dem Gespenst, das sie fressen will. Jetzt lag Rom geradezu auf den Knien vor Marius. Man brachte ihm Dankopfer wie einem Gott. Er selbst aber – der sonst so frugale Mann – griff zum Humpen. Es heißt, er trank in jenen Tagen den Wein aus Eimern oder aus Bechern, so groß wie Champagnerkühler.
Er war im Rausch. Soll es uns wundern? Dieser ungehobelte Landsknecht, der sich auf sein gutes Schwert stützte, herrschte wie ein Halbgott in Rom, und er tat es vollkommen gesetzmäßig, sechsmal vom Volk zum Konsul gewählt, zum sechstenmal für das Jahr 100. Er fing an zu glauben, das müsse immer so weitergehen.
76 Aber zwölf Jahre lang regte sich nunmehr kein Landesfeind, und es gab keine Völkerschlachten zu schlagen. Was sollte Marius jetzt tun? In Zivil verstand er sich nicht zu benehmen. Einmal war er im Kriegsrock, der ihm behagte, erschienen, als er den Senat um sich versammelte. Er merkte, daß das Anstoß gab, und zog sich schnell um. In der Volksversammlung wurde er steif, verlegen und unbeholfen, denn seine rauhe Stimme, sein büffelhaft wilder Ausdruck genügten da nicht, wo Berufsdemagogen ihre Brandreden hielten. Und die Sache des faulen Stadtpöbels interessierte ihn auch wenig. Ja, er ist mit Recht gegen die demoralisierenden Kornverteilungen, gegen die Gratisernährung des Gassenvolks aufgetreten. Das ist wichtig und ist bezeichnend. Trotzdem aber war es natürlich, daß er im ganzen zur Volkspartei und nicht zum Senate hielt.
So war Marius wie ein Hammer, dem der Amboß fehlte: er sehnte sich nach einem Feldzug und konnte nicht dreinfahren.
Inzwischen aber regte sich in der Stadt ein anderer Mann, Lucius Cornelius Sulla. Schon sprach alles von ihm. Marius sollte zu seinem Kummer merken, daß es noch befähigtere Leute gab, als er.
Sulla, der Roué, der Glücksritter, ein wie anderer Mensch! Er war achtzehn Jahre jünger (Marius im Jahre 156, Sulla 138 geboren), echter Stadtrömer, hochvornehmes Blut, patrizisch, aber seine Eltern gänzlich verarmt. Aus Barmherzigkeit wurde der Knabe von Verwandten aufgezogen. Als junges Herrchen saß Sulla ziemlich ruppig auf einer Etage zur Miete für bloß 400 Mark (3000 Sestertii): Leute geringen Standes wohnten im selben Haus und zahlten mehr. Unbeobachtet, gedankenlos, liederlich und höchst vergnügt lebte er dahin, ein loser Vogel, mit zweideutigen Männern und Weibern, Mimen und Clowns und Tingeltangelpersonal: dabei er selbst riesig amüsant und zu jedem tollen Spaß aufgelegt. Es sollte sich zeigen, daß er selbst der größte Schauspieler war. Er hielt sich für schön; aber es war eine maskenhafte Schönheit, seine Erscheinung 77 unheimlich, trotz aller Ausgelassenheit. Denn er weinte auch leicht.
Ein Frauenzimmer, das zur unteren Halbwelt gehörte, starb und machte Sulla zu ihrem Erben. Dadurch kam er zunächst etwas zu Gelde; es war kein sauberes Geld. Dann beerbte er auch noch seine Stiefmutter.
So kam Sulla im Jahre 107 als blutjunger Offizier und Kriegskassenverwalter in den Krieg gegen Jugurtha nach Afrika. Da fraternisierte er mit den gemeinen Soldaten auf das lustigste, ein Ausbund der Vergnüglichkeit, und der Feldherr Marius mochte ihn gern, ja liebte ihn förmlich. Marius ehrte ihn mit dem Auftrag, zu König Bocchus nach Marokko zu reiten, um womöglich durch dessen Beihilfe Jugurtha selbst zu greifen. Das war ein rechtes Abenteuer für Sulla. Wüstenritt! Beduinen! Hinterhalte! Er mußte gewärtig sein, überfallen, geköpft zu werden, eventuell Nase und Ohren zu verlieren. Sulla liebte den Hazard; seine Art imponierte dem König Bocchus, und Bocchus spielte ihm den Jugurtha wirklich in die Hände. Ein kostbarer Fang! Marius freute sich neidlos daran. In Sulla aber erwachte ungemessene Eitelkeit: er ließ den Moment der Gefangennahme als Bild auf seinen Siegelring schneiden, und auf allen Briefen und Paketen, die er siegelte, konnte man jetzt ihn und den König Jugurtha sehen. Ein Mordskerl, das schien er sich und anderen. Dann hat er unter Marius auch noch gegen die Cimbern mit Auszeichnung gefochten, und er begann jetzt Tagebücher zu führen, mit genauen Angaben über Terrain, Zahl und Aufstellung der Truppen usw., woraus später seine Autobiographie hervorging. Sulla war einer der wenigen Fürsten, die ihr Leben selbst geschrieben haben.
In allen Kriegsdingen war Sulla klärlich Schüler des Marius. Er hatte das größte Nachahmungstalent (er war ja auch mit Schauspielern aufgewachsen), lernte rasch und übertraf immer seine Vorbilder.
78 Jetzt, im Jahre 92, erhielt er, nachdem er die Prätur bekleidet, das erste selbständige Kommando, und zwar in Kleinasien. Es war doch ein interessantes Leben: mit den Beduinen in Algier, mit den germanischen Wandervölkern sich herumzuschlagen und jetzt mit den prunkvollen Orientalen! Zunächst war seine Aufgabe, in Kappadozien irgendeinen vertriebenen König wieder einzusetzen, und das gelang ihm leicht. Nun regte sich damals aber zum erstenmal seit langen Zeiten wieder die persische Macht, im Königtum der Parther. Eine Gesandtschaft des Partherkönigs kam zu Sulla, und es gab eine diplomatische Verhandlung von orientalischer Feierlichkeit. Auch da spielte Sulla seine Rolle glänzend. Als den Satrapen und Pascha gab er sich. In der Mitte thronte er selbst, rechts ließ er den Parther, links den König von Armenien sitzen, und ein Menschenkenner, der ihn damals beobachtete, sagte: »man braucht diesen herrischen Menschen nur zu sehen, und man weiß: der wird einmal der Herr der Welt.« Dabei hielt aber Sulla dort seine Hände und seine Taschen offen und ließ sie sich beiläufig mit Gold füllen. Denn er brauchte immer Geld, und er war nicht blöde.
Da kam über Italien selbst die größte Erschütterung. Der Boden wankte unter dem stolzen Rom. Das Land Italien erhob sich gegen die Hauptstadt. Der alte Groll entlud sich endlich. Schon Gracchus hatte im Jahre 121 sämtlichen Italikern das gleiche Bürgerrecht der Hauptstadt geben wollen. Im Jahre 91 stellte ein anderer Volkstribun, Livius Drusus, noch einmal denselben Antrag. Der hirnlose römische Pöbel wollte davon auch jetzt nichts wissen, und Drusus kam um. Da erhoben sich die Landstädte einmütig zum Kampf. Man nennt dies den Sozialkrieg oder den Bundesgenossenkrieg. Es war das Jahr 90. Woher sollte Rom jetzt seine Soldaten nehmen? Rom hob jetzt Gallier und Spanier aus, um damit die eigenen Landsleute zu bändigen.
Für Sulla war das ein Gaudium; er hieb derb darein (er hat damals auch Pompeji am Vesuv erobert, und er siedelte 79 dort später seine Soldaten an). Marius dagegen zeigte sich lahm; ja, er war vielleicht wirklich lahm; es hieß, daß er an Rheuma litt, und man riet ihm, in die Bäder zu gehen. Die Hauptsache war: seinem Herzen war solch ein Krieg gegen die eigenen Landsleute zuwider; Marius hatte das Herz auf dem rechten Fleck. Wie kann man dies verkennen? In ihm selbst floß volskisches, samnitisches Blut. Er stand seiner innersten Neigung nach ohne Frage auf dem Standpunkt des Gracchus und des Livius Drusus, und er wollte das Blut seiner Brüder schonen.
Daher hatte Marius auch die berühmte Villa der Cornelia am Kap Misen käuflich erworben. Er lebte sonst so schlicht, hielt sich nicht einmal einen Koch; aber diese Villa, die wollte er haben; denn sie hatte der Mutter der Gracchen gehört. Er fühlte sich als Erbe der Gracchen.
Der Erfolg war, daß schließlich im Jahre 89 tatsächlich allen Italikern das römische Bürgerrecht zugesprochen wurde. Seitdem steht Roms Geschichte auf ganz anderem Boden. Sie ist von da an keine römische, sondern italische Geschichte. Und allmählich verbreitete sich auch wieder Wohlstand, Behagen und Glück über das ganze mißhandelte Land.
In Rom aber galt jetzt Sulla schon mehr als Marius, und die Rivalität der beiden Militärs war nicht mehr auszugleichen. Sulla wird im Jahre 88 Konsul und erhält als solcher den Oberbefehl gegen Mithridat. Da empörte sich des Marius Ehrgeiz. Für einen neuen großen Feldzug, meinte er, kam ihm der Oberbefehl zu.Marius hoffte dabei auf die Unterstützung der Italiker, die in die 35 Tribus aufgenommen werden sollten: Ihne V. 286. Ein Volksaufstand wird durch den Volkstribunen Sulpicius Rufus wirklich zu seinen Gunsten in Szene gesetzt: ein Aufstand gegen Sulla. Sulla irrte durch die Straßen. Er sah sich verfolgt. Wohin sich retten? Sein Leben stand in Gefahr. Es ist bezeichnend für seine tollkühne Klugheit, daß er sich geradeswegs in das Haus des Marius selbst begab; und Marius tat ihm wirklich nichts und ließ ihn unbehelligt aus Rom entweichen. Das war gewiß vornehm und gutherzig gehandelt.
Sulla. Münze. Nach Bernoulli, Röm. Ikonogr. I. Münztaf. I, 23.
Kleopatra. Münze. Nach Imhoof-Blumer, Hellenist. Porträts Taf. VII, 15.
Antonius. Münze. Nach Bernoulli, Röm. Ikonogr. I. Münztaf. IV, 85.
Mithridat. Münze. Nach Imhoof-Blumer, Hellenist. Porträts Taf. V,3.
Livia. Münze. Nach Bernoulli, Röm. Ikonogr. II, Taf. I, 32.
80 Sulla aber eilt zum Heer, das in Süditalien steht; das Heer huldigt ihm; er rückt mit dem Heer gegen Rom: unermeßliche Bestürzung! Die Stadt kann sich nicht wehren; Sulla selbst greift zur Fackel und droht Rom einzuäschern. Marius wird von ihm geächtet, Sulpicius hingerichtet, sonst aber kein Blut vergossen. Der Tyrann ist in Sulla erwacht, und er versteht zu herrschen. Er ordnet nach Gutdünken die staatlichen Verhältnisse und bricht sogleich in den Orient gegen König Mithridates auf.
Erst verhältnismäßig spät hat also Sulla seine große Stellung in der Geschichte gewonnen. Nur in den letzten zehn Jahren seines Lebens ist er wirklich alle überragend groß gewesen. Wie so manche Menschen des Altertums, fing er erst als Fünfzigjähriger an, sich seiner Vollkraft, seines Genies ganz bewußt zu werden.
Der kluge Mensch konnte sich's an den fünf Fingern abzählen, daß Rom gleich hinter seinem Rücken wieder in die Hände der Volkspartei fallen würde. Ihn ließ das kalt. Sulla wollte sich zunächst durch einen großen Krieg auf alle Fälle ein Heer heranbilden, das auf ihn allein schwor und durch das er später alles erzwingen konnte, ganz so wie es später Julius Cäsar machte. Und es gelang ihm. Vier Jahre währte der Kampf gegen Mithridat.
Mithridates war zwar kein zweiter Hannibal, aber er drohte es zu werden: ein asiatischer Despot im Land Pontus am Schwarzen Meer, verschmitzt, zäh und unternehmend, dabei ein Athlet an Körperkraft. Südrußlands Steppen, die Krim und Kolchis hatte er sich erobert, und, da er von den Wirrnissen in Italien hörte, drang er mit Wucht nach Westen vor und rief plötzlich den ganzen griechischen Orient zum Befreiungskampf gegen Rom auf. Lauter Griechen waren seine Diener und Helfer; Griechen seine Heerführer. Mithridat selbst aber ist der Barbar und Sultan, der zweiundzwanzig Sprachen spricht, immer Gift fürchtet, seinen Intimsten mißtraut und durch Verwandtenmord, Greuel und Schrecken seine Herrschaft festigt. Als er einen 81 geldgierigen römischen Herrn gefangen nahm, ließ er ihm ebenso sinnvoll wie grausam flüssiges Gold in den Rachen gießen; eine symbolische Marter. Dann aber organisierte er den Massenmord. So wie zu unseren Zeiten im Orient auf die verhaßten Armenier Razzia gemacht wurde, so haben damals die Griechen Kleinasiens an einem einzigen Tag 80 000, nach anderen 150 000 Römer mit Weibern und Kindern massakriert. Ein entsetzliches Gemetzel.
Der Krieg begann. Der König hatte ein Heer von märchenhafter Größe (die Zahlenangaben, die wir dafür erhalten, beruhen, wie zumeist, auf fröhlicher Übertreibung) nach Altgriechenland geworfen. Sogar Athen focht auf Mithridats Seite. Sulla blockierte und nahm erst Athen – es fiel ihm nicht leicht – und schlug dann jene riesigen Heerscharen selbst in Böotien in zwei großen Schlachten bei Chäronea und bei Orchomenos im Jahre 86 und 85, Schlachten, deren genaue Schilderung wir seiner eigenen Feder verdanken.
Die Leistung war um so großartiger, da Sulla gar keine Flotte hatte und ihm aus Rom weiter kein Pfennig Geld, keine Verstärkung nachgeschickt wurde; denn die Volkspartei hatte ihn inzwischen geächtet. Die Volkspartei herrschte wieder in Rom, und als ein vom Staat Geächteter hat Sulla den großen Krieg geführt. Aber er war durchaus nicht sentimental und bat sich die altheiligen Tempelschätze in Delphi und Olympia aus, um rasch Geld zu haben. Die Leute von Delphi erwiderten zwar auf seinen Brief, die Leier Apollos habe im Tempel gerauscht; das sei ein Zeichen, daß der Gott seine Schätze nicht hergeben wolle. Aber Sulla schrieb ulkend dagegen: »Im Gegenteil, meine Lieben. Der Gott freut sich offenbar, einem Sulla sein Geld zu geben. Darum klang die Leier.«
Er spielte auch jetzt Hazard und sprach es immer lachend aus. »ich will Felix heißen, d. i. der Glückliche. Das Glück ist mit mir; ich kann alles riskieren.« Aber seine Tatkraft und Wachsamkeit war ebenso groß wie sein Glück. Man sah ihn in der 82 Schlacht auf einem weißen Gaul, dem schnellsten Renner, und im Gewand trug er gern ein fingergroßes Apollobildchen; in Gefahr zog er den kleinen Gott aus dem Kleid und betete. »O Apollo, willst du den glücklichen Sulla hier umkommen lassen?«
Alles in allem genommen aber waren Sullas Schlachten, die ich erwähnte, eigentlich nichts so Außerordentliches; denn er kämpfte gegen gänzlich undiszipliniertes, buntscheckig zusammengelaufenes asiatisches Volk, das nur durch seinen bunten Aufputz blendeteWie miserabel Mithridats Heere damals waren, zeigt Plutarch im Lukull 7.. Auch die 90 Sichelwagen waren Bluff, weiter nichts. Waren es wirklich 120 000 Feinde, wie Sulla angab, so standen ihre Haufen sich doch nur gegenseitig im Wege; sie waren vollkommen manövrierunfähig. Wir brauchen nur etwa an die neueren Chinesenkriege des 19. Jahrhunderts zu denken, wo gleichfalls ganz geringe europäische Streitkräfte die chinesischen Hunderttausende zu Paaren trieben.
Der Friedensschluß ergab nicht mehr, als daß Mithridat in seine früheren Grenzen zurückging; Sulla hatte also nur einen Defensivkrieg geführt. Dabei traten sich nun endlich Sulla und der König auch persönlich gegenüber, in denen der Orient und Occident sich personifizierten, die beiden genialsten, die beiden schrecklichsten Herrscher ihrer Zeit: Sulla schneidend einsilbig, der König ungestüm beredt. Als Mithridat endlich in alle Forderungen gewilligt hatte, umarmte ihn Sulla und küßte ihn. Die Geschichtschreibung hat auch diesen Kuß verzeichnet; so sonderbar bedeutsam schien er ihr.
Aber wir haben Marius aus dem Auge verloren. Sein Stolz war auf einmal zu Boden geworfen. Wie ein Märchen klingt der Bericht von der Flucht des geächteten Marius. Berittene Häscher hinter ihm her: so irrt er bei Terracina an der italienischen Küste entlang; niemand will ihm Herberge geben, als wäre er ein Verbrecher; kein Segelboot wagt ihn aufzunehmen, oder man setzt ihn gleich wieder an Land. Da liegt er, trostlos einsam, hungernd am Strande, verkriecht sich in Wälder, der alte 68jährige Mann, bis er sich gar in einem Morast verstecken 83 muß, bis an den Hals im Wasser. Trotzdem wird er gefaßt, den Strick um den Hals hin- und hergezerrt. Ein cimbrischer Knecht soll ihn töten; der aber erschrickt vor des Marius glühenden Augen so heftig, daß ihm das Messer entsinkt. Endlich entkommt er auf abenteuerlicher Segelfahrt nach Afrika, Karthago. Er selbst hat das Wort geprägt: »Gaïus Marius auf den Trümmern von Karthago!« Denn auch sein eigenes Glück, das er sich erkämpft, war ja wie Karthago in Trümmer gegangen. Aber auch die römische Provinz Afrika duldete ihn nicht; wie ein gehetztes Wild irrt er auch hier an den sandigen Küsten entlang, Empörung im Herzen. Erst im Vasallenland des Königs von Numidien, da findet er Zuflucht; da kann er auch wieder Leute um sich sammeln. Und auf einmal ist er wieder in Italien, aber verwandelt. Der wackere Patriot ist jetzt auf einmal ein Rachedämon. So wie König Lear, da er verstoßen, wahnsinnig wurde, so der verstoßene Marius. Schnödester Undank war ihm widerfahren; denn er hatte seiner Vaterstadt treu gedient und sie nie gekränkt. Mit bewaffneten Knechten zieht er jetzt im Jahre 87 in Rom ein, noch immer in den Lumpen, die er auf der Flucht getragen, Haar und Bart verwildert, bemitleidenswert, aber furchtbar.
Gewalttätigkeiten waren seit dem Ende der Gracchen in Rom an der Tagesordnung. Die schöne Menschlichkeit und der Edelsinn, der milde Einfluß der griechischen Philosophie, der einen Scipio Africanus, der selbst die Gracchen gebändigt hatte, war dahin und wie eine schöne Sage verflogen. Wollte das Volk abstimmen, so warf der Senat, wenn es ihm so beliebte, die Stimmurnen einfach um; umgekehrt erschlug das Volk kurzerhand die Amtsbewerber, die ihm nicht genehm oder zuwider.So geschehen im Jahre 100. Besonders wildwütig waren die zwei Volkstribunen Saturninus und Glaucia; sie kamen gewaltsam ums Leben. Jetzt hatte der gewalttätige Konsul Cornelius Cinna in Rom geschaltet. Mit Cornelius Cinna im Bunde hielt nun Marius sein Strafgericht, fünf Tage lang, wie ein Totengott, der sein Opfer will. Mit 84 stierem Blick schritt er durch die Straßen. Alles kam unterwürfig heran, ihn zu begrüßen. Der, dessen Gruß er nicht annahm, wurde von seinen Leuten niedergestoßen, die Köpfe der Erschlagenen auf der Rednertribüne aufgestellt. Alles das klingt grausig genug; gleichwohl waren der Opfer nicht allzu viele. Auch hielt sich das Volk anständig und plünderte die Häuser der Getöteten nicht aus.Plutarch c. 43 u. 44.
Aber Marius' Nervensystem war vollständig zerrüttet. Er ergab sich dem Trunk, um seine fiebernde Erregung zu betäuben, verfiel bald in Delirium und starb. Ein getretener Löwe! Er hatte es sein Leben lang gut gemeint. Der Undank der Römer hat diesen großen Volksmann, der lauter und bieder wie wenige, moralisch und körperlich zerrüttet.
In staatsrechtlicher Hinsicht ist hervorzuheben, daß Marius in der Tat nie geplant hat, als Diktator oder König über die Bürger Roms zu herrschen, sondern nur auf gesetzmäßigem Wege durch fortgesetzte Konsulate, als der vom Volke Jahr für Jahr freiwillig immer neu erwählte Schützer und Helfer, die Führung der auswärtigen Kriege in der Hand behalten wollte. Denn das war von Jugend auf sein Sport, seine Liebhaberei und sein Ruhm gewesen.
Drei Jahre danach kam der Sieger Sulla aus dem Orient und landete in Brindisi mit seinem Heer, mit seiner Beute (im J. 83). Man hatte in Rom längst vor ihm Angst; denn man hatte ihn ja geächtet. Die Machthaber der Volkspartei schicken ihre Legionen gegen ihn aus. Aber Sulla, »der Fuchs«, wie man ihn nannte,Dieser volkstümliche Vergleich war keineswegs ein Lob; vgl. Aristoph. Frieden 1190: ἐν μάχῃ δ᾽ ἁλώπεκες. verstand es, wie keiner vor ihm, die Truppen des Gegners zu locken, zu ködern. Die ganzen Legionen gingen alsbald mit Kriegskasse und Feldzeichen zu ihm über, und der gegnerische Feldherr fand sich kläglich hilflos einsam in seinem Zelt. So eroberte Sulla jetzt seine Vaterstadt zum zweitenmal mit Gewalt.
Und nun begann die Metzelei. Woher die plötzliche, maßlos groteske Grausamkeit des Mannes? War es bloß Rache für 85 das, was Marius getan? Sulla kam aus dem Orient. Des Mithridates sultanischer Geist war in ihn übergegangen seit jenem Kuß, den Sulla dem Mithridat gegeben. Sulla, der Schauspieler, spielte jetzt den Massenschlächter in Rom. Unheimlich war schon sein Äußeres, sein Gesicht: weißer, kalkweißer Teint mit knallroten Backen oder vielmehr rot entzündeten Flecken. Er sah wie geschminkt aus, als hätte er rote und weiße Farbe dick aufgelegt. Ein Metzgergesicht! Dazu intensiv blaue Augen und ein stechender Blick.
Die Stadtvertreter wollen mit dem Sieger verhandeln und ziehen ihm entgegen. Um sie gebührend einzuschüchtern, läßt Sulla gleich als Vorspiel dessen, was hevorstand, in ihrer unmittelbarsten Nähe eine Massenhinrichtung vornehmen und 600 Soldaten abschlachten. Seitdem erstarrte alles vor Grauen. Es war im November 82. Dann ließ er sich zum Diktator ernennen, und es folgten die Metzeleien unter den angesehenen Bürgern und Parteimännern. Sulla machte kaltlächelnd öffentliche Anschläge, mit Namenlisten: heute werden die und die Männer umgebracht; am ersten Tag waren es nur 80, am nächsten 220 und so fort. Das nannte man die Proskriptionen. Wer einen Proskribierten verbirgt, ob er auch der Vater oder der Sohn ist, der muß mitsterben. Panik, Todesangst, Grauen, Entsetzen in allen Gassen! 4700 Bürger sind so ums Leben gebracht worden. Das Entsetzlichste: die kleine Festung Praeneste bei Rom hatte ihm noch bis zuletzt Widerstand geleistet; zwölftausend Soldaten lagen in der Stadt; Sulla ließ die 12 000 jungen Männer (es waren nicht etwa Provinzialen, sondern eingeborene Italiener) an einem Tag erbarmungslos niederhauen, bis auf den letzten. Die Feder zaudert das aufzuschreiben; das Eisen mußte stumpf werden, das solche Exekution verrichtete.
Das war der Stil Mithridats. Wer kann das verkennen? Der Schauspieler Sulla mimte jetzt den Sultan. In der Figur Sullas hat damals Mithridat Rom abgeschlachtet. Ganz wie dieser, umgab sich jetzt Sulla in Rom auch nur mit asiatischen 86 Griechen als Helfershelfern. Sultanisch auch seine Habgier, die zur Blutgier hinzukam; das Hausgut und Vermögen, auch die Sklaven der Gerichteten konfiszierte Sulla; sie wurden des Diktators Beute und Privatbesitz. Die betreffenden Sklaven ließ er dann frei; es waren an 10 000, und machte sie so als Libertinen zu seinen gefürchteten Helfershelfern, die nach ihm die Cornelier hießen. Daß unter diesen Zehntausend die Griechen und Asiaten vorherrschten, ist selbstverständlich. Diese Massenfreilassung bedeutete also nebenbei eine ungeheure Steigerung des asiatischen Blutes in der Bürgerschaft. Übrigens saß Sulla persönlich auf einem Gerüst oder Verkaufsstand (Bema) und verauktionierte schamlos zu Schleuderpreisen die erbeuteten Besitzungen, Mobilien und Immobilien, an seine Günstlinge, oft die gemeinsten Schufte, an Sänger, Schauspieler und Kurtisanen.
Einen dieser Günstlinge, den Chrysogonus, kennen wir durch Cicero genauer. Denn der junge 26jährige Cicero hat das alles miterlebt. Dieser gewesene Sklave Chrysogonus, auch er ein Asiate, behandelte die angesehenen römischen Herren wie seine Schuhputzer und trieb den unverschämtesten Luxus.
Natürlich feierte Sulla überdies seinen Sieg über Mithridat als Triumph mit gewaltigem Gepränge. Er deponierte den Zehnten seiner Beute im Herkulesheiligtum, und von da aus wurde eine Volksbewirtung veranstaltet, ein Schlemmen und Zechen, das durch viele Tage ging. Vorschrift war dabei, daß von solcher gleichsam heiligen Bewirtung, die vom Tempel ausging, am Abend keine Reste auf den Tischen bleiben durften, und so warf man das leckere Essen abends haufenweise in den nahen Tiberfluß. So überladen waren die Tafeln. Das Volk konnte es nicht bewältigen.
Drei Jahre lang blieb so Sulla der allmächtige Diktator. Wozu aber benutzte er seine Machtstellung? Er dachte nicht daran, eine Dynastie zu gründen. Das lag dieser Zeit noch fern. Wohl aber fühlte er sich berufen, Rom eine neue Verfassung 87 aufzuzwingen, und zwar in reaktionärem Sinne: eine Verfassung, in der er alle Leistungen der Gracchen aufhob, den Ritterstand wieder vollständig zurückdrängte, die Macht der Volkstribunen beschnitt, den Senatoren dagegen, die von jetzt an unabsetzbar sein sollten, die Macht und Gesetzgebung aufs neue in die Hand spielte: in der Tat eine große, systematisch durchdachte Arbeit. Von bleibendem Wert war dabei vor allem die Neugestaltung des Gerichtswesens.
Das war Sulla, der Glückliche, der erste Monarch Roms, der Vorgänger der Cäsaren, ein Mensch, frivol, blasiert, abgebrüht und in Gefühllosigkeit gepanzert. Eine ganz seltsame Natur. Umsonst sucht man eine weiche Stelle an ihm, irgendein Ideal, irgendeine tiefere Gemütsregung. Er hatte zwei Gesichter zur Verfügung: im öffentlichen Auftreten immerfort die starre Despotenmaske; sobald er sich zu Tisch setzte, war er immer noch der harmlose Possenreißer und joviale Tischgenosse, der keinen Spaß verdirbt. Wirklich Mensch war er vielleicht nur in seinem Verhältnis zur Metella, seiner vierten FrauPlutarch c. 6., die ihm zwei Zwillingskinder gab. Hat er sie nicht wirklich verehrt, so wollte er sie doch geehrt wissen. Als sie aus Rom entweichen mußte, kam sie zu Sulla nach Athen; es war die Zeit, als Sulla diese Stadt belagerte. Die stets spottlustigen Athener machten ihre Glossen über die feudale Dame, Sulla aber nahm tigerhaft blutige Rache dafür. Als Metella starb, da wußte er sich indessen doch zu trösten. Auf dem Forum in Rom sollte es gerade Gladiatorenkämpfe geben; d. h. auf dem offenen Marktplatz wurden da einige hundert Kriegsgefangene gezwungen, eine Schlacht aufzuführen, in der es wirklich um Leben und Tod ging. Das liebe Publikum, insbesondere die Römerinnen, wollten doch auch gelegentlich etwas Blut und einige Leichen sehen. Als Sulla sich unter die Zuschauer mischte, schritt eine junge vornehme Dame, Valeria, desselben Weges, und er fühlte zu seinem Erstaunen, daß sie ihn berührte, daß sie ihm ein Flöckchen oder Fäserchen Wolle von seiner Toga nahm. 88 »Pardon,« sagte sie; »wundre dich nicht; ich möchte nur ein kleines Flöckchen von deinem Glück besitzen.« Dann gab es, während der Vorstellung, während des Hetzgeschreies, des Sterberöchelns der Fechter, ein ständiges Kokettieren, Fixieren, Anlachen, verliebtes Augenspiel. Binnen kurzem war Valeria die fünfte Frau des 58jährigen. Aber Sulla kümmerte sich wenig um sie und trieb seine Liebeleien, wie in seiner Jugendzeit, mit dem Theatervolk vom Überbrettl und der Halbwelt nicht nur weiblichen Geschlechts.
Der große Macher und Staatserretter! der Mann der Überraschungen! Als er sein Verfassungswerk vollendet hatte, trat Sulla eines Tages zu aller Überraschung ins Privatleben zurück. Man staunte: nachdem er dem Volk die Tatsache persönlich mitgeteilt, wagte er es, ohne alle Bedeckung durch die Menschenmassen nach Haus zu gehen. Er vertraute blind auf sein Glück, und in der Tat: kein Dolch der Rache regte sich. Er wurde nicht niedergestochen. Geherrscht zu haben, eine Verfassung gegeben zu haben, das genügte seinem Ehrgeiz; die täglichen Mühen des »Regierens« waren ihm zu langweilig. Am Neapler Golf, nicht fern dem Posilipp, wo so viele schon süße Rast gesucht, wollte er jetzt privatisieren, etwas fischen und jagen und den Naturschwärmer spielen. Aber das Glück wollte es anders. Solche Poesie war zu gut für ihn. Ihn befiel dort sogleich eine gräßliche Krankheit, und er starb unter großer Pein rasch dahin, im Jahre 78. Noch drei Tage vor dem letzten Blutsturz schrieb er voll Ehrgeiz an seinen Memoiren.
Was blieb von ihm? Die Weltgeschichte ist gerecht. Kein Standbild, kaum ein Münzbild von Sulla ist erhalten, und auch sein großes Verfassungswerk wurde gleich nach seinem Tode vom Strom der Ereignisse großenteils wie weggeschwemmt. Aber man lernte von seinem Beispiel. Die großen Männer, die jetzt folgten, Pompejus, Julius Cäsar, Mark Anton, lernten jetzt, daß alle Gesetze, ob man sie auch in Erz graviert, nichts sind als Papier, das schon der nächste Tag durchlöchert, und daß 89 der Monarch in Rom, auf den alles wartete, nur durch Massenjustizmorde, durch Ausrottung der besseren bürgerlichen Häuser, sich seinen Platz erobern konnte. Weil Julius Cäsar dies unterließ, deshalb ist er selbst ermordet worden. Weil Mark Anton dem blutigen Beispiel Sullas folgte, deshalb ist das Kaisertum Roms unter Augustus endlich wirklich zustande gekommen. 90