Theodor Birt
Römische Charakterköpfe
Theodor Birt

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Hadrian

Auf den Kriegsfürsten Trajan, der in erfolgreichen Feldzügen die Grenzen des römischen Reichs über die Donau und über den Tigris hinausgeschoben, folgt ein Friedensfürst, und der Segen, der schon unter Trajan sich über das Innere des weiten Reichsgebietes ergoß, steigerte sich noch, verdoppelte sich noch. Dieser Friedensfürst war Hadrian.

Mit Hadrian tritt eins der größten Probleme des Altertums an uns heran. Jeder hat ihn anders aufgefaßt. Unsere Nachrichten sind dürftig und fadenscheinig, und sie heben dabei allerlei seltsame Widersprüche in seiner Natur hervor. Man kann sagen: in Hadrian sammelten sich noch einmal wie in einem Akkumulator alle geistigen Kräfte der antiken Kultur und versuchten durch ihn neu und von oben her, wie ein Regen des Glücks, der aus der Wolke kommt, auf die weite bildungsdurstige Welt zu wirken.

Der große Trajan, der rüstige muntere Haudegen, erkannte den krassen Gegensatz in der Natur Hadrians, der alles nur mit dem Handschuh der platonischen Liebe und der Ästhetik anfaßte, und er zögerte deshalb, Hadrian als Sohn zu adoptieren. Aber es steckte nicht nur ein wunderbarer Reichtum der Gaben und der Ziele, es steckte auch Tatkraft und Entschlossenheit in diesem jungen hochgewachsenen Manne.

Aelius Hadrianus war weitläufiger Neffe Trajans; sein Großvater hatte, wie es scheint, eine Tante Trajans zur Frau gehabt, und er stammte wie jener aus Spanien, von den Ufern des Guadalquivir; im J. 76 n. Chr. war er geboren, erhielt aber seine erste Erziehung in Rom und trieb da emsig Griechisch, nicht nur mit dem Geist, sondern auch mit dem Herzen, so daß man ihn scherzend das kleine Griechenkerlchen nannte. Trajan selbst wurde, als der Junge seinen Vater verlor, sein Vormund. 15jährig geht Hadrian nach Spanien zurück und lebt sich da tüchtig aus; denn er war ein robuster flotter Mensch, der der Jagd und Pürsche fröhnt ganz so wie sein Onkel. Er übertreibt das, und Trajan nimmt ihn nach Rom zurück; jetzt 285 tritt er in die altmodische Ämterkarriere ein, wird dann Offizier bei den Legionen an der Donau, lebt dabei munter darauf los und macht sogar Schulden. Da wird Trajan Kaiser Roms: große Überraschung! Hadrian eilt stracks, 22 Jahre alt, von der Donau nach Köln, um ihm die Glückwünsche seiner Truppen zu überbringen. Die letzte Strecke der Reise macht er als Schnelläufer zu Fuß, um anderen zuvorzukommen (es war alles intensiv bei ihm, und er ist immer ein Schnellreiser gewesen). Noch enger verband er sich dem Trajan, als er Sabina heiratete, eine Enkelin der Schwester des Kaisers. Zugleich aber verfiel er in eine jünglinghafte Bewunderung der Plotina, der Kaiserin selbst, der Frau Trajans. Der intelligenteste Jüngling seines Jahrhunderts hat diese philosophische Frau schrankenlos verehrt; sie muß es verdient haben.

Die Folge ist, daß Hadrian schon im Jahre 101 – 25jährig – den Kaiser Trajan im Senat vertritt, indem er da Reden vorliest. Aber seine lateinische Aussprache war so schlecht und von dem krächzend rauhen spanischen Jargon so beeinflußt, daß die feine römische Aristokratie des Senats den jungen Provinzialen auslachte. Sodann hat sich Hadrian in befehlender Stellung an den Kämpfen Trajans gegen die Daker und Parther nicht unrühmlich beteiligt. Aber er war inzwischen ein fertiger Mann in der höchsten Reife geworden, vierzig Jahre alt. Er hatte Zeit gehabt, sich innerlich zu vertiefen, sich seine Ideale festzulegen, und zeigte deutlich, daß er die Kriege, die nur geführt wurden, um groß dazustehen oder um das Militär zu beschäftigen und in Übung zu halten, mißbilligte.

Hadrian war Platoniker, Plato sein Lebensführer. Das folgt allein schon daraus, daß er in seiner bautenreichen Tiburtinischen Villa das Lykeion und die Akademie, nicht aber den Kepos und die Stoa nachgebildet hat.Offenbar hat schon Hadrian wie der spätere Neuplatonismus das Lyceum nur als eine Vorstufe und Vorschule zur Akademie aufgefaßt. Den landesüblichen, herben Stoizismus machte er nicht mit. Dafür war er zu genial, sein Schaffenstrieb, sein Kunstsinn zu rege. Er liebte auch gar zu sehr eine gute Küche.Fronta S. 226 ed. Naber. Man denke an den Platoniker Lukull zurück (oben S. 106 f.). Aber auch wer mit so offenen, hellen 286 Sinnen in die Welt schaut, auch wer das Lachen liebt und am Spiel mit dem Schönen triebhaft sich weidet, kann die Dinge dieser Welt als Denker philosophisch erfassen und ein Herz in sich tragen, das ein tiefer Ernst verschattet. Wie Hadrian gesonnen war, das zeigt uns schon sein Bart. Unter so vielen Unbärtigen trug er nahezu allein den Vollbart. Er brachte den Vollbart fortan in Mode. Seit Alexander dem Großen, also seit fünfhundert Jahren, ging ungefähr die ganze antike Welt mit glattrasiertem Gesicht.Genaueres hierüber Gellius III 4, 3; vgl. Friedländer z. Juvenal VI, 105. Nur die Philosophen machten davon eine Ausnahme, Plato, Zeno, Epikur, ebenso auch die Straßenprediger des Cynismus und ebenso auch die Christen. Der Bart war also ein Bekenntnis. Er war philosophisch und volkstümlich zugleich. Doch trug Hadrian ihn kurz geschnitten, ein Kompromiß zwischen dem Philosophen und Offizier. Trajan wird mit Verdruß darauf geblickt haben; und dazu machte dieser sein voraussichtlicher Nachfolger außerdem in allen Künsten und Wissenschaften, in geradezu beängstigender Vielseitigkeit.

Hadrian

Hadrian

Kolossalkopf. Rom, Vatikan. Nach Photographie Alinari.

Hadrian focht nicht nur ausgezeichnet, er trieb auch höhere Arithmetik und Geometrie, ja, auch die Sterndeutekunst; er musizierte und begleitete sich, wie Titus, selbst mit der Laute zum Gesang; er dichtete allerlei Versschnitzel und war obendarein philosophisch hochgelehrt. Als Architekt entwarf er z. T. selbst die Grundrisse seiner Bauten, als Maler malte er Stilleben, wie z. B. Kürbislauben (welch herrlicher Gegenstand!). Durch die Huldigungen seiner Umgebung wurde er offenbar kühn und eitel gemacht und glaubte alles zu können.Zum Beleg für die Vielseitigkeit Hadrians dient noch sein Werk »catachannae«, das mehrere Bücher umfaßte und sehr schwer verständlich schien. Da er darin den Antimachus nachahmte (Spartian 16, 2), kann es Spottpoesie schwerlich enthalten haben; »catachannae« sind Bäume, die mit verschiedenen Fruchtzweigen inokuliert sind. Offenbar war der Titel symbolisch; Hadrian selbst war solcher Baum, dem die verschiedensten Wissenszweige eingepfropft waren und der danach die mannigfaltigsten Früchte trägt. Dies kam in dem Werk zur Darstellung. Vielleicht behandelte also jedes der Bücher ein Wissensgebiet. Trajan merkt, daß dieser Herr Neffe sich augenscheinlich sehr wenig für die Annektion von Mesopotamien und der Tigrisländer interessiert. Aber Plotina schätzte Hadrian; sie verstand ihn; denn sie war selbst Philosophin, und als Trajan im Sterben wirklich noch die Adoption Hadrians vollzog, war das Plotinas Werk gewesen. Es war das Jahr 117.

Und nun gleich Hadrians erste Tat. Die Welt war starr; 287 noch war Trajan nicht begraben, da gibt Hadrian dessen ganze Eroberungen im Orient, Mesopotamien, Assyrien auf; auch in Armenien stellt er die früheren Verhältnisse wieder her. Trajans ganzer persischer Feldzug war damit annulliert. Die Parther flossen von Dank über. Friede, Friede war wieder in der Welt und nochmals Friede. »Wir haben Besseres zu tun, als Renommierkriege zu führen,« so dachte Hadrian. Das war das neue Programm. Die Kriegspartei am Hof schäumte Wut. Es waren das ausgezeichnete Generale, die Trajan herangezogen, und man kann sich allerdings ihre Stimmung denken. Der kennenswerteste unter ihnen war der Marokkaner-Häuptling Lusius Quietus. Hadrian aber geht nicht nach Rom, wo indessen Trajan als Toter seinen Triumphaleinzug hält (Trajans Statue stand dabei auf dem mit Schimmeln bespannten Wagen, als lebte er noch). Er nimmt vielmehr in Kleinasien die Huldigungen als neuer Monarch entgegen. Von da schickt er seine Generale aus, um die Aufstände in Marokko und bei den Donauvölkern rasch niederzuzwingen. Dem König der Roxolanen entschließt sich Hadrian sogar jährliche Summen zu zahlen, damit er Mösien oder die neue Provinz Dakien in Ruhe lasse. Die Kriegspartei, Lusius Quietus an der Spitze, will diesen unkriegerischen Kaiser nicht dulden; sie macht, während Hadrian auf der Jagd ist, einen Anschlag auf sein Leben; der Anschlag mißlingt. Die vier Hauptverschwörer werden in Italien aufgegriffen und dort vom Senat zu Tode gebracht. Damit ist gesagt, daß auch der Senat nicht für den Krieg war, daß er Hadrian und seine Friedenspläne billigte.

Erst im Jahre 118 kommt Hadrian nach Rom, und nun offenbarte sich, was er wollte und wofür er jene gewaltigen Opfer gebracht hatte. Eine Riesentätigkeit begann er zur Erneuerung der Verwaltung und Steigerung der sozialen Staatshilfe, und zwar für das ganze Reich, das immer noch groß genug war, um die Tätigkeit eines Herrschers zu ermüden. 288 Diese Reformen waren augenscheinlich sehr nötig, und Hadrians Kabinettsorder waren ganz sein eigenstes Eigentum; er bevormundete durch seine Reskripte die ausführenden Behörden vollständig und beaufsichtigte sie auf das peinlichste: ein Mensch, allen überlegen, wie König Friedrich der Große, der auch alles persönlich machte und von dessen Hirn die unsichtbaren Leitungsfäden gleichfalls bis in alle Winkel des Staates gingen. In der Tat, die Ähnlichkeit beider Männer wirkt schlagend in manchen Beziehungen. Auch Friedrich war Philosoph, auch Friedrich war Musiker und Dichter, wie Hadrian; wie Hadrian für das Griechentum, ganz ebenso schwärmte Friedrich für die französische Kultur; und wie Friedrich sagte, daß er nur ein Diener seiner Untertanen, so hat das ganz ebenso auch Hadrian gesagt: »Alles fürs Volk, nichts für mich« (populi rem esse, non suam). So war denn in Hadrian der Philosoph jetzt zum erstenmal König der Welt, wie einst Plato es gewollt. Hadrian hat sich in Hast und Eifer und in einem unbedingten Idealismus als Diener seines Reichs selbst aufgerieben.

Hadrian der Platoniker: erst wer ihn als solchen faßt, kann sein Wirken begreifen und in dem Vielen, umstürzend Neuen, das er bringt, den Plan entdecken. Der Mann hat nichts Geringeres gewollt, als den Idealstaat Platos in seiner Weise zu verwirklichen. Der Staat, der in den Büchern des Dichterphilosophen entworfen war, sollte kraft der römischen Kaisergewalt, endlich aus seinem papiernen Dasein erlöst, ins Leben treten, um alsogleich die ganze Menschheit zu umfassen. Plato hatte einst seinen Schüler, den Tyrannen Dionys in Syrakus, für sein Ideal gewinnen wollen; jetzt war Hadrian der Schüler, der wirklich zugriff. Nach den drei seelischen Funktionen des Verstandes, des Mutes und des Begehrens (Nus, Thymos und Epithymie) hatte Plato seinen Staat organisiert. So baut auch Hadrian sein Reich auf; der Philosoph ist Inhaber des Regiments; er ist der »Verstand«, der die Gesetze macht und ein Corpus iuris schafft; unter ihm steht als Helfer das 289 neu zu gestaltende Heerwesen, der Stand des »Mutes«, und der »begehrende« Kaufmannsstand, der fortan auch seinerseits der Reichsverwaltung dienen muß. Friede mit dem Ausland aber war die Voraussetzung des platonischen Staatsgebäudes; er ist es auch für Hadrian. Nur noch zur Verteidigung werden die Waffen geschmiedet.Vgl. Preußische Jahrbücher 1914 S. 541.

Betrachten wir einiges Einzelne, wodurch wir zugleich in manche Lebensverhältnisse lebendigeren Einblick erhalten; wie sich das Vorgetragene in alledem bestätigt, wird jeder ohne Hinweis bemerken. Schon Kaiser Augustus hatte damit begonnen, sich seine Beamten aus dem Ritterstand, d. h. aus den Männern der großen Kaufmannswelt zu wählen. Hadrian schaffte nun auch die Gepflogenheit der Kaiser ab, die Ministerposten nur mit ihren Privatdienern und Freigelassenen zu besetzen; er wählte Ritter auch für diese wichtigsten Ressorts. Dadurch steigerte er das Verantwortungsgefühl in den höheren Kreisen, und sie wurden nachhaltig in den Dienst des Staates gezogen. Alles, was Bildung hat, soll am Gemeinwesen beteiligt sein. Das späterhin herrschende besoldete höhere Beamtentum, eine vornehme Bureaukratie, hat er damit vorbereitet. Freilich verfeindete er sich damit den Senat der Hauptstadt, den hohen Adel, der für immer dadurch lahm gelegt war und auf das neue Verwaltungssystem mit Neid und scheelen Augen blickte. Die Senatsherren, die nicht über ihre sieben Hügel hinaussehen, versinken mehr und mehr in Nichtigkeit. Aber sie haben sich gerächt; sie haben zum Dank dafür in der Geschichtschreibung den Hadrian nach Möglichkeit schlecht gemacht und das Leben des Kaisers mit Tendenzlügen entstellt, von denen wir, um gerecht zu sein, hier gründlich absehen müssen.Dabei dient die Sonderung der Quellen als Grundlage, die O. Th. Schulz, Leben des Kaisers Hadrian, Leipzig 1904, gegeben hat.

Für das Eintreiben der Steuern fand der Kaiser ein unmittelbares Verfahren, das Zwischenhände und Veruntreuungen möglichst ausschloß. Zur Kontrolle der vielen Provinzialbeamten aber bildete er sich, um nicht »Spione« zu sagen, 290 kaiserliche Reporter (frumentarii) heran, die immer wie die Augen des Kaisers durch die Welt reisten und dem Herrscher berichteten, ob alle Landpfleger auch ihre Pflicht taten: eine Beaufsichtigung, die den hohen Beamten natürlich widerwärtig war, die aber im Interesse der Untertanen geschah. Denn dem leitenden »Verstand« im Staate durfte nichts entgehen. Die ganze Reichspost hat Hadrian ferner verstaatlicht und den Gemeinden die Last abgenommen. Dazu kamen seine peinlichen Militärreglements; unter anderem die Bestimmung, daß alle Offiziere im Reichsheer womöglich Italiener sein sollten, womit in der buntscheckigen Armee die Einheit gesichert wurde. Auch sollten – beiläufig – die Offiziere nicht zu jung sein, sondern sie mußten schon einen Bart aufweisen können. Hadrian war der Protektor des Bartes.

Sodann die sozialen Dinge. Wir müssen uns gegenwärtig halten, daß der Militäretat die Staatskasse damals lange nicht so wie bei uns belastet hat. Denn das weite römische Reich, das doch mindestens zehnmal so groß wie unser Deutsches Reich war, hielt alles in allem nur etwa 250 000 Mann auf den Beinen. Die Staatsfinanz hatte also für andere Zwecke viel Geld übrig. Und die weiten Provinzen, vor allem die westlichen Länder, blühten wie noch nie; sie zahlten reichlich ihre Steuern.

Gleich Hadrians erste Handlung in Rom war ein großer Schuldenerlaß; auf dem Forum ließ er sämtliche Schuldbücher feierlich verbrennen; auf alle noch rückständigen Steuerzahlungen im Gesamtbetrage von zirka 190 Millionen Mark900 Millionen Sesterz. leistete der Staat damit Verzicht; die Flammen schlugen auf und zündeten in aller Herzen. Hadrian war ein Freund des Volkes. So hat er auch die Alimentationen, die Kinderfürsorge großen Stils, fortgesetzt. Es war vielfach Sitte, daß wohlhabende Leute, wenn sie starben, den Kaiser mit Vermächtnissen bedachten; Legate solcher Bürger, die Kinder hatten, nahm Hadrian nicht an. Für den Schutz der Sklaven gegen die Willkür der 291 Herren ist er zuerst im Sinn der Menschlichkeit mit Gesetzen aufgetreten; und das war epochemachend. Im selben Geiste hat er das Gladiatorenwesen, das Dirnenwesen bewacht und eingeschränkt. Er verbot auch, daß in den Thermen Frauen und Männer zusammen badeten, eine großstädtische Unsitte, die immer wieder einriß, die dann noch das ganze Mittelalter überdauerte, bekanntlich auch noch in unseren ehrbaren deutschen Städten des 16. Jahrhunderts blühte und auch heut wieder das Gaudium der »gebildeten« Welt ist; nur unsere Bauern genieren sich noch. Hadrian badete selbst gern in den Volksbädern mit und sorgte gelegentlich dafür, daß die Leute auch ihr Badetuch hatten. Er liebte es, dem Volksmann zutraulich auf die Schulter zu klopfen und mit ihm irgendwie seinen unschuldigen Spaß zu treiben. Und so schlicht war sein Auftreten durchweg; stehend empfing er seine Gäste, machte Krankenbesuche bei geringen Leuten, haßte die Protzen und die Wucherer; denen aber, die ohne Verschulden in Not gerieten, gab er aus Trieb jede Hilfe. So begreift man, daß er auch keine Anklagen wegen Majestätsbeleidigung mehr duldete; es war wie unter Trajan: kein Mensch in der weiten Welt wurde aus solchen Anlässen verfolgt oder behelligt. Aber auch keine Christenverfolgung geschah, im Gegenteil: in Athen ließ sich Hadrian eine Rechtfertigungsschrift der dortigen Christen überreichenHieronymus epist. 70, 4.; die Christen blickten mit heißem Dank auf ihn und verstiegen sich später zu der Behauptung, Hadrian selbst sei heimlich ein Christ gewesen.

Aber er hielt es in Rom nur drei Jahre aus. Was sollte er da? Mit den hochwürdigen Senatoren zeitlebens verbindliche Redewendungen austauschen und dem Stadtpöbel Tierhetzen geben, um sich anjubeln zu lassen? Die Welt ist weit und alle, alle hatten das Recht auf ihn. Die Provinzen standen jetzt dem Lande Italien gleich; aber fast nie ruhte des Kaisers Auge auf ihnen. Da die Provinzen nicht zur Regierung pilgern können, muß die Regierung zu den Provinzen gehen. So begann Hadrian sein Reiseleben, die Feldzüge des Friedens. Er ist, wie Friedrich der Große, das große Modell 292 des reisenden Monarchen gewesen. Sein Kabinett, den ganzen Regierungsapparat, führte er überall mit sich durch die Länder, zeitweilig auch seine Frau Sabina. Könnten wir dem großen Wanderer folgen, die ganze, wundervoll kulturgepflegte, in Fruchtfeldern und Bauten prangende Welt vom Tajo bis zum Tigris, von der Themse bis zum Nil würde sich vor uns auftun. Aber wir müßten dabei, wie Hadrian, jeden Klimawechsel, Sonnenglut und Frost, Regen, Wüstenwind und den Nebel von London ertragen, und Hadrian reiste zudem noch ohne Hut!

Schon im Jahre 119 war er in Kampanien; Kampanien litt wohl noch, seit vierzig Jahren, an den Nachwirkungen des Vesuvausbruchs, und er überschüttete das Ländchen mit Wohltaten. Im Jahre 121 aber begann sein großer Auszug. Er trieb vorher eifrig Reiselektüre und suchte dann, als wäre er ein Engländer von heute, an jedem Orte alle denkwürdigen Stätten auf, erpicht darauf, alles wirklich zu sehen, an Bauten und Heilquellen und seltenen Tieren und Stätten, wo ein frommer Mensch gelebt. Zunächst ging es in das schöne Frankreich, dann an den Rhein, zur Grenzwacht der germanischen Legionen. Da widmete er sich dem Limes, den er vom Rhein eine gewaltige Strecke bis zur Donau hinüberführte, und der Disziplin des Heeres mit Paraden und Manövrierübungen. Er war auf den Drill wie versessen und gegen das Heer ein eiserner Herr; selbst die Prätorianer wagten sich nicht zu rühren, und der Grund dafür ist leicht zu finden. Er sah eine lange Friedensperiode, wie sie auch in der Tat gefolgt ist, voraus; ja, er wollte ihn selbst, den ewigen Frieden, aber einen bewaffneten; das Militär durfte nicht in Untätigkeit erschlaffen. So zeigte er sich selbst rüstig und ungeschmückt; kein goldenes Schloß am Gürtel, kein elfenbeinerner Degengriff; zwanzig Kilometer marschierte er in Waffen und aß mit den Gemeinen die Kasernenkost, Schinken und Käse, wozu man eine Limonade trank, die aus Essig und Wasser und eingeschlagenen Eiern bestand (posca). Vor seinen Augen wurden dann von den Leuten 293 gelegentlich allerlei Bravourstücke vollführt: ein Soldat durchschwimmt vollbewaffnet die Donau; derselbe schießt einen Pfeil und trifft denselben Pfeil in der Luft mit dem nächsten Pfeil.Anthologia Latina 660; dazu Carmina epigraphica 427; die Sache geschah erst etwas später, als Hadrian nach Pannonien kam.

Dasselbe Interesse trieb ihn sodann nach England, das von Schottland her ständig bedroht wurde; um England zu sichern, errichtete dort Hadrian den bekannten Hadrianswall, einen achtzig Meilen langes Limes, der von der Mündung des Tyneflusses aus anhob. Sabina, die Kaiserin, war auch mit dort, die kinderlose Frau, eine mißmutige Dame, von mürrischem Wesen. Sie hat aus ihrer großen gesellschaftlichen Stellung nichts zu machen gewußt. Hadrian war mißtrauisch, und man hinterbrachte ihm, daß Sabina mit seinen höchsten Hofbeamten allzu vertraulich verkehre. Sogleich gab er diesen Männern den Abschied. Einer von ihnen war kein geringerer als Sueton, der Kaiserbiograph. Aber von Sabina schied er sich nicht. Dieser ungeliebten Frau, die er mit sich durchs Leben schleppte, dankte es Hadrian, daß er ein so einsamer Mensch blieb; aber er hörte nicht auf, sie öffentlich zu ehren.

Sabina

Sabina

Büste. Rom, R. Museo nazionale romano. Nach Photographie Alinari.

Weiter führte ihn seine Reise nach der Provence und sodann nach Spanien. Dort geschah es, daß ein gemeiner Arbeitsmann, ein Unfreier, auf Hadrian ein Attentat verübte. Hadrian ließ den Menschen ruhig festnehmen, stellte fest, daß es ein Verrückter war, und übergab ihn dem Arzt zur psychischen Behandlung. Weiter nichts. Wie vollkommen modern! Sein Verhalten machte mit Recht großes Aufsehen.

Auf einmal aber ist er schon im fernsten Asien, da es mit den immer unruhigen Parthern am Euphrat wichtige Dinge zu verhandeln gab. Und nun pilgert er vom Euphrat westwärts durch das städtereiche asiatische Land zurück, überall dort vom Griechentum umgeben, bis er in Athen zuerst einige Rast und Ruhe findet.

Von hundert und aberhundert Stadtgemeinden hat der Kaiser auf dieser gewaltigen Rundreise sorglichst Kenntnis 294 genommen, ihre Bedürfnisse geprüft und Hilfe und wieder Hilfe geschaffen. Viele erhaltene Inschriften nennen ihn uns als Wohltäter der Städte; überall heißt er der Restitutor. Das betraf den Straßenbau, die verfallenden Heiligtümer, die versandeten Häfen, die pekuniäre Sicherung der gottesdienstlichen Volksfeste, Getreidespenden, Wasserleitungen, Nymphäen oder öffentliche Brunnen und so fort. Er reiste, kann man sagen, als Heiland durch die Welt; denn das ist es, was das Altertum unter Heiland, Soter, verstanden hat; er brachte Heil und verlangte nichts für sich: ein Segen wie von oben; und er war allgegenwärtig, wie ein Gott. Dergleichen war noch nie gesehen worden.

Das Schönste für ihn selbst und für seine Seele war sein Aufenthalt in Athen (im Jahre 125 ff.). So wie die Religion des modernen Menschen das Christentum ist, so war die Pflege der griechischen Geisteskultur in Philosophie und Kunst die Religion Hadrians. Die Einheit und Verbreitung dieser Religion lag ihm am Herzen, und Athen war dafür das Zentrum, die heilige Stadt. In Athen hat Hadrian geradezu einen neuen Stadtteil, die Hadrianstadt, gegründet, hat dort vor allem den seit siebenhundert Jahren unvollendet gebliebenen Zeustempel zu Füßen der Akropolis endlich glanzvoll ausgebaut und vollendet und dabei für den Osten der Welt ein Panhellenentum, ein Allgriechentum in Anbetung dieses höchsten Zeus in Athen geschaffen oder zu schaffen gesucht.Im Zusammenhang steht damit gewiß, daß Hadrian auf Cypern das Menschenopfer, das man dort seit Urzeiten noch immer dem Zeus darbrachte, abgeschafft hat: einziger Zeuge Lactanz Iustit. div. I 21. Dabei gestattete Hadrian nun aber ferner auch, daß die Griechen die Verehrung seiner eigenen Person mit diesem Zeusdienst verbanden und an ihn anschlossen. Ja, er hat dies offenbar gern gesehen.

Hadrian als Gott: lag darin ein Größenwahn? ein Wahnwitz des Kaisers? oder sollen wir gar von platter Eitelkeit reden? Wer das tut, vergißt, daß Trajan ja auch in Rom als Jupiter galt, und sollte dazu auch folgendes überlegen.

Hadrian hat diese seine göttliche Adoration nur bei den Griechen und Orientalen gern zugelassen oder begünstigt, seine 295 Italiener und den ganzen Occident hat er damit verschont. Ihm selbst und seiner Person stand solche Anbeterei durchaus fern, und er hatte dafür ganz gewiß nur ein sokratisches Lächeln. Aber der Orientale war es einmal seit Urzeiten so gewohnt, den Herrscher, sofern er Herrscher war, abgöttisch zu verehren, d. h. mit der Gottheit zu verknüpfen. Dem hat sich Hadrian allerdings ohne Bedenken anbequemt, ganz ebenso, wie es schon Kaiser Augustus dereinst getan hat. Diese Leute wollten neben dem höchsten Gott Zeus auch noch einen »Heiland« verehren; Hadrian verwehrte es ihnen nicht, ja, er gönnte es ihnen mit Freuden.

Dazu kommt, daß er selbst, wie schon gesagt wurde, allerorts schlicht und bescheiden aufgetreten ist und sich durchaus nicht etwa bonzenhaft als ein Dalailama und höheres Wesen aufgespielt hat. Im Gegenteil: er fühlte im Tiefsten das Gebrechliche alles Irdischen und hegte in sich selbst eine ehrliche Sehnsucht nach Gott und Ewigkeit und den Mächten über ihm. Daher ließ er sich als Mitglied in das Geheimkonventikel der Eleusinischen Weihen oder Mysterien aufnehmen, durch welche Mysterien die Seligkeit im Jenseits, das Elysium, jedem einzelnen, der sich sittenrein führt, zugesichert wurde. Das tat er, wie jeder bessere Spießbürger Athens.

Es ging überhaupt im zweiten Jahrhundert ein gesteigertes Suchen und Sehnen durch die Welt nach einer großen, neuen Religion, die da alle Herzen einigt und alles Menschliche an den Himmel bindet, und Hadrian, so überlegen er war, war doch nur ein Sohn seiner Zeit. Das Christentum berührte ihn noch nicht; aber es war damals aus dem persischen Land der Sonnendienst herübergekommen, der Dienst der ewig wiederauferstehenden Sonne (Sol invictus), der mit dem Christusdienst mehr Berührungen hat, als man glauben möchte und der uns in der Feier des »Sonntags« ein bleibendes Denkmal hinterlassen hat; denn unser Sonntag ist der Festtag der Sonne. Auch unser Weihnachtstag, der 25. Dezember, ist der 296 alte Geburtstag des Sonnengottes. Ohne Zweifel stand Hadrian dem nahe; denn nur so erklärt sich, daß er den Sol auf seine Münzen hat prägen lassen. Und zweimal hat dieser Weltenwanderer gewaltige Bergbesteigungen ausgeführt; auf Sizilien hat er den Ätna, an den Grenzen Arabiens hat er den heiligen Berg, mons Casius, bestiegen; schon jene Ätnabesteigung war für die Antike eine nahezu unerhörte Leistung. Aber er tat es beidemal nur, um dort oben die heilige Frühstunde, den Sonnenaufgang zu erleben. Auch auf seinen Münzen wird gerade der Sonnenaufgang dargestellt.Hierüber Usener, Rhein. Mus. 60, S. 471 und 472. Ihn leiteten dabei keine naturwissenschaftlichen Probleme (Vulkanismus, Messung der Atmosphären); er hatte rein religiöses Interesse. So wie Konstantin der Große, der vermeintliche Christ, sich als Helios hat verehren lassen – Helios aber ist die Sonne –, so hieß auch Hadrian bei den Orientalen Hadrianos HeliosVgl. J. Dürr, die Reisen des Kaisers Hadrian, Anhang 18 ff.; und der Zufall wollte, daß er selbst mit Familiennamen Älius Hadrianus hieß. In diesem Namen Älius erkannte man den Namen Helios wieder, so daß die Orthographie Helius (z. B. Helius Verus) für Älius in der Folgezeit geradezu in Aufnahme kam.In den Handschriften der Scriptores historiae Augustae Ist die Orthographie Helius für Aelius gewiß echt; sie stand sicher schon im Archetyp. Vielleicht hängt mit diesen Dingen auch zusammen, daß Hadrian das Kolossalbild des Sonnengottes in Rom mitten in den Verkehrsstraßen neu aufstellen ließ; er brauchte 24 Elefanten dazu, um den Koloß zu translocieren.

Aber Hadrian beruhigte sich nicht hierbei. Tatsache ist, daß er in vielen Städten leere Tempel oder Kapellen ohne jedes Gottesbild und augenscheinlich auch ohne jede zugehörige Priesterschaft und Weihinschriften errichten ließ. Wem galten sie? Einem Gott, den er noch suchte. Er suchte nach einer neuen höchsten Instanz für seine Gebete. Es hat dies mit dem »unbekannten Gott«, von dem Paulus in Athen die berühmten, geheimnisvollen Worte sprach, freilich nichts zu tun. Wohl aber taucht hier vor uns eine andere Gestalt auf; wir spüren den Einfluß des seltsamen Gottsuchers und Wundertäters Apollonius von Tyana. Dieser Mann, oft nichts als ein öder Schwätzer und dabei doch der Verkünder einer erstaunlich geläuterten Religiosität, hat auf alle Fälle seine Zeit durch sein frommes Predigen mächtig beeinflußt. Auch er 297 war wie Hadrian ein Weltenwanderer, dem es nicht Ruhe ließ, bis er alle klugen Menschen, alle Sitten der Länder der Welt kannte. Derselbe Apollonius aber lehrte damals, man solle Gott, dem einen, höchsten, zwar Tempel bauen, aber ihn mit keinem Namen nennen, mit keinen Darbringungen ihn behelligen; denn Gott braucht sie nicht. Bis zu Hadrian hinauf reichte die Wirkung dieser Predigt, und der Kaiser säumte nicht (er handelte immer rasch) und stellte die leeren Tempel, von denen ich berichtete, an die Straße!Vgl. Rheinisches Museum 69, S. 391 f. Später fabelte man natürlich, er habe sie für Christus bestimmt.Alexander Severus, cp. 43. Jedem, der sich für Religionsgeschichte interessiert, müssen doch diese Dinge wunderbar denkwürdig und unvergeßlich sein.

Bei alledem denke man nicht, daß Hadrian ein tiefsinniges Wesen zur Schau trug, etwa gar Visionen hatte oder sich in salbungsvollen Reden erging. Im Gegenteil: er war Ironiker und gab sich als lustige Person, liebte den übermütigen Scherz und den Humor, um sein Innerstes zu verbergen (es gibt viele Melancholiker, die dies tun) und täuschte seine Umgebung spielend über die Geheimnisse seines Herzens hinweg.

Seine Umgebung. Denn er brauchte Menschen, wenn auch nur, um sich ihnen überlegen zu fühlen, und sein Sach- und Personalgedächtnis war dabei erstaunlich. Mit allen erheblicheren Gelehrten, Dichtern und Künstlern seiner Zeit suchte er Berührung, Arrian, Plutarch und wie sie sonst heißen. Sie waren eigentlich sein einziger wirklicher Umgang, auch auf seinen Reisen. Ganz so hielt es Friedrich der Große. Daß Hadrian den edlen Platoniker Plutarch verehrte, ist mir gewiß, und nichts ehrt den Kaiser selbst so sehr, als seine intime Freundschaft mit Epiktet, dem größten Sittenlehrer und Erzieher jenes Jahrhunderts. Aber er foppte die weisen Herren gerne, zeigte sich souverän überlegen und setzte sie durch erstaunlich kluge Fragen in Verlegenheit.

Das Wichtigste dabei ist, daß er für gewisse Fächer feste Gehälter aussetzte, womit – in Plato's Sinn – die 298 Verstaatlichung des Unterrichtswesens, die Staatsschule begann. Alle Professoren, heißt es, wurden dabei zu wohlhabenden Leuten. Schien ihm einer zu unbefähigt, so enthob er ihn seines Amtes mit reichlicher Altersversorgung: woraus folgt, daß er selbst die Leistungen aller beurteilte. Diese Gelehrtenfürsorge gipfelte in der Gründung einer Universität in Rom, Athenaion genannt, mit einem weitausgedehnten Lehrgebäude. Von demselben Hadrian aber ist, auf juristischem Gebiet, die Begründung des Kaiserrechts ausgegangen. Ich nenne den großen Juristen Julian, der damals in 90 Büchern das römische Zivilrecht abhandelte; sein wichtigstes Lebenswerk aber war eine endgültige Redaktion der prätorischen Bestimmungen über das Gerichtswesen, Edictum perpetuum genannt, die durch die kaiserliche Autorität gedeckt, bis zu Justinian dauernde Gültigkeit behielt. Aber auch Hadrians eigene Rechtsentscheidungen waren berühmt; er wird uns volkstümlich wie ein zweiter Salomo geschildert.

Und neben dem bedeutsamen Ediktenwerk Julians, das äußerlich als winziges Buch auftrat, steht nun das Pantheon, das Pantheon in Rom.Auch in Athen baute Hadrian übrigens ein Pantheon. Man hat festgestellt, daß der herrliche Kuppelrundbau des Pantheon, den wir heut bewundern, nicht das Werk Agrippas, sondern das des Hadrian ist. Aber Hadrian war bescheiden, oder er besaß doch historische Ehrfurcht und ließ an der Front des Bauwerks den Namen des Agrippa stehen, der von einem früheren Bau noch an der Vorhalle haftete und den wir dort heute noch lesen. So hat dieser vielseitige Kaiser aber auch auf die Dekorationskunst, auch auf die Bildmeister der Marmorplastik ohne Frage persönlich bestimmende Einflüsse ausgeübt; zum wenigsten verändert sich ihr Charakter unter seiner Regierung wesentlich und eigentümlich.Ich verweise auf die Marmorplastik, in der die Bemalung aufhört und die Oberfläche deshalb sorglicher und realistischer bearbeitet, der Schliff verfeinert wird. Auch das Ausarbeiten der Pupille, das im ganzen erst unter den Antoninen Regel wird, beginnt schon auf dem Kolossalkopf Plotinas im Vatikan, der mutmaßlich unter Hadrian hergestellt wurde; s. Helbig, Führer Nr. 315. Auch die Münzen, die er prägen ließ, ragen durch künstlerische Ausführung hervor.

Wetterwendisch und unberechenbar, bald streng und abwartend, bald gütig und lieb soll Hadrian im Umgang mit 299 all diesen Vertretern der Kunst und Wissenschaft gewesen sein.Ein Beispiel ist noch Favorinus, gegen den er sich trotz einer Zwistigkeit, die entstand, nachsichtig und gütig zeigt (Philostrat Vitae soph. p. 9 ed. Kayser). Wie er tote Dichter ehrte, zeigt die poetische Inschrift bei Kaibe, carm. epigr. 1089. Welchen Ton er dabei anschlug, mag uns folgende kleine Gedichtprobe zeigen. Der Dichter Florus, ein Duodezpoet jener Zeit, hatte aus Rom an Hadrian, als der Kaiser in England stand, folgende lustigen Verse gerichtet.

    Ich möchte kein Kaiser sein;
Sonst müßte ich ja marschieren
Nach England, an den Rhein,
Wo Einem die Ohren frieren
Und Feinde sich erfrechen
Uns meuchlings zu erstechen.
    O nein, nein, nein,
Ich möchte kein Kaiser sein!Die Entsprechung der Hadrianverse scheint mir zu ergeben, daß das Florusstück etwa so zu ergänzen ist:

Ego nolo Caesar esse,
Ambulare per Britannos,
Scythicas pati pruinas,
(Gladios pati cuentos).

Hadrian schrieb gut gelaunt zurück:

    Ich möchte kein Florus sein.
Sonst würd' ich ja zu den Flaneuren
In Rom und im Kneipverein
Zur Stammgastrunde gehören.
Es würden mich gar die frechen
Moskitos in Rom zerstechen.
    O nein, nein, nein,
Ich möchte kein Florus sein.

Endlich, im Jahre 127, kam Hadrian von seiner Ätnabesteigung nach Rom zurück.Er war schon im J. 125 nach seiner ersten großen Orientreise zeitweilig in Tibur. (W. Weber »Untersuchungen zur Geschichte des Kaisers Hadrian« S. 195). Von da aus scheint er noch im selben Jahr 125 und 126 Sicilien bereist und dabei den Ätna bestiegen zu haben. Aber in Rom, da gab es nichts zu tun. Schon im Jahre 128 begann er eine neue Rundreise, und zwar jetzt wie im Rapidzuge. Seine Schnelligkeit war erstaunlich. Zuerst nach Algier und Marokko. Fünf Jahre hatte es dort in Nordafrika entsetzliche Dürre gegeben.»Fünf Jahre« ist eine Pauschzahl; s. Rhein. Museum 70, S. 254. Sobald Hadrian dort erscheint, fällt erquickender Regen, und das Volk huldigte und dankte ihm für dies Wunder. Auch dort in Afrika gründete er dann Städte, inspizierte das Heerwesen und die Grenzkastelle, um sogleich weiter nach dem fernen Osten abzugehen: Athen, dann Syrien, Damaskus, Samosata. Die Stadt Gaza förderte er so, daß sie von dieser Zeit eine neue Ära, eine neue Jahreszählung begann. Aber jetzt standen ihm zwei Erlebnisse bevor, die ihn erschütterten und ihm ans Herz 300 gingen. Zuerst Jerusalem. Hadrian hatte begonnen, das durch Titus zerstörte Jerusalem als römische Stadt wieder aufzubauen und auf dem Tempelberg, wo der Jehovatempel zerstört lag, einen Jupitertempel zu errichten. Das wurde der Anlaß zu einem neuen Aufstand der Juden, der den ganzen Osten der Welt mit Schrecken erfüllte. Schon unter Trajan hatten die Juden an den verschiedensten Plätzen Aufruhr geschürt, und zwar waren sie damals die Angreifer und von einem furchtbaren Blutdurst. Ihre Bevölkerungsziffer muß gewaltig gewesen sein. Heute sind etwa 11 Millionen Juden über den Erdball verstreut. Damals lebte dasselbe etliche Millionen starke Volk eng zusammengedrängt um die Küsten des östlichen Mittelmeerbeckens. So erklärt sich, daß sie in der Lage waren, Hunderttausende von Griechen totzuschlagen, und nicht nur zu töten, sondern zu zersägen und zu zerfleischen, wie das damals in Cypern und in der Cyrenaika geschehen ist. Jetzt, in den Jahren 130–135, sah sich Hadrian gezwungen, einen Vernichtungskampf zu führen, der seine doch weiche und empfindsame Seele tief betrübt haben muß. Auch hielt er sich selbst von der Sache möglichst fern. Sein Heerführer war Julius Severus, der in Palästina einrückte. Bar Kochba hieß der heldenhafte neue Vorkämpfer und Messias der Juden. Alle bewohnten Stätten im Land wurden jetzt zerstört. Das jüdische Volk hat sich seitdem nie wieder kriegerisch erhoben.

Ein äußerlich geringfügiges Ereignis kam dann hinzu. Es betrifft den Antinous. Hadrian reiste eben mit der Kaiserin Sabina in dem ältesten Götterlande Ägypten. Das war recht etwas für ihn. Da studierte er die Pylonen und Tempel und Pyramiden, schrieb eigenhändig am 21. November des Jahres 130 Gedenkworte an die MemnonssäuleKaibel Epigr. Nr. 988.; denn Memnon galt als Sohn der Morgenröte, die Hadrian verehrte. Auf einer Nilfahrt bei Kairo im Oktober 130 ertrank da sein junger Begleiter Antinous, ein von ihm geliebter, ja, schwärmerisch verehrter junger Grieche aus Bithynien. Wir erfahren von 301 diesem Antinous wenig; schon im Jahre 124 war Hadrian mit Sabina und ihm zusammen in Athen.Schulz S. 75. Interessanter ist die Löwenjagd, bei der der junge Mensch verwundet wurde; diese berühmte Löwenjagd Hadrians ist nicht nur auf einem der Reliefs am Konstantinsbogen dargestellt, sondern auch von Dichtern besungen worden. Auf einem ägyptischen Papyrusblatt, das als Flaschenverschluß gedient hat, haben sich 40 Verse daraus erhalten. Da lesen wir, daß Hadrian, der Jäger, in der Wüste den Löwen stellt und verwundet; aber er will dem Antinous die »Jagdehre« lassen; Antinous soll ihn töten. Beide sind beritten; die Bestie aber stürzt sich aufs Roß des Antinous, der in Gefahr gerät, und Hadrian führt dann den rettenden Todesstreich. Da wuchs, wie es in denselben Versen heißt, aus dem Blut des verwundeten Antinous eine Lotosblume empor, die danach die Antinousblume genannt wird.S. Röm. Mitteilungen Bd. 27 (1912) S. 97 ff.

Antinous

Antinous

Kopf einer Statue. Neapel, Museo nazionale. Nach Photographie Brogi.

Wäre dies Papyrusblatt nicht vor kurzem gefunden, wir wüßten von der Lebensführung des Antinous so gut wie nichts. Aber sein Name ist trotzdem allen seit langem wohlbekannt; er ist bei uns sogar zu einer Romanfigur geworden, und ein neugieriges Interesse hat sich an ihn geknüpft. Denn das Wunderbare ist geschehen, daß dieser fremdartig ernste Jüngling in vielen wunderschönen Marmorbildern weiterlebt und in allen Antikenmuseen der Welt uns entgegentritt. Der Kaiser Hadrian weinte über seinen Tod, heißt es, weichmütig, wie eine Mutter um ihr Kind weint (muliebriter), und »machte ihn zum Gott«. Der gedankenreiche philosophische Herr muß eine selten hohe Begabung oder eine seltene Abgeklärtheit und Tiefe des Wesens in diesem Jüngling gefunden haben – das ist bestimmt anzunehmen; sonst ist der ganze Hergang unerklärlich –, und er hatte Hoffnungen an Antinous gehängt, wer weiß, wie weit diese gingen?

Nach der Legende sollte Antinous gar auf der Nilfahrt für den Kaiser, um ihn zu retten, den Opfertod auf sich genommen 302 haben. Meistens ist er in den Bildwerken als Gott Dionys und immer mit dem Ausdruck verschatteter Schwermut dargestellt. Man hat diesen Ausdruck schwärmerisch gefunden. Das ist aber ganz irrig. Dieser junge Mensch schwärmt nicht, er trauert nur. Es ist einfach die Trauer darüber, daß schon die Jugend sterben muß, in diesem Jünglingsbild selbst zum Ausdruck gebracht. Man muß, um den gottgewordenen Antinous zu begreifen, tiefer gehen, und es ist das Nächstliegende, das Adonisfest der Griechen zu vergleichen. Da betrauerte man den frühen Tod des Adonis. »Osiris, Attis, Adonis sind Menschen gewesen, gestorben und als Götter auferstanden; wenn wir uns mit ihnen vereinigen, sie in uns aufnehmen oder sie anziehen, haben wir die Gewißheit der eigenen Unsterblichkeit.«R. Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen. S. 6. Der Adoniskult ist, meine ich, von Hadrian im Kultus des Antinous nachgeahmt und erneuert worden, und so wie an jenen, wird er auch an Antinous die Auferstehungshoffnung geknüpft haben. Daher trägt Antinous wie ein Frühlingsgott Blumen in der Hand; daher wird er mit dem ägyptischen Osiris, dem gleichfalls Auferstandenen, daher endlich und vor allem mit Bakchos oder Jakchos gleichgesetzt; denn dieser Bakchos war in den eleusinischen Mysterien der Gott der Unterwelt und des Erwachens aus dem Tode.S. A. Dieterich im Archiv für Religionswissenschaft XI, S. 173 ff.

Man sieht, die ganze Sachlage ist religionsgeschichtlich höchst eigenartig und interessant; denn dieser vom Papstkaiser Hadrian neu geschaffene junge Gott hat wirklich wohl ein volles Jahrhundert lang weithin und durchaus nicht nur in Ägypten Verehrung gefunden.Von über 30 griechischen Städten läßt sich nachweisen, daß sie sogar Münzen mit seinem Bilde prägten. Diese Münzen sind bisweilen durchlöchert und wurden als Schmuck getragen. Auch der Obelisk Barberini in Rom ist ein Antinousdenkmal; Heliogabalus schaffte ihn aus Ägypten nach Rom. Bilder und Inschrift dieses Obelisken aber besagen, daß Antinous, nachdem er in das Jenseits zu den Göttern einging, dort zu ihnen ein Gebet spricht zum Wohle des römischen Reiches und des Kaisers. Dies ist also die Fürbitte eines Mittlers; Antinous ist hier offiziell Gott und Heiland im Interesse des Reichs und seiner glücklichen Regierung. Vgl. G. Blume, in Mélanges d'archéologie et d'histoire 3r (1913) S. 65 ff. Der Kaiser hat die Antinousreligion eingeführt als Konkurrenz zur Christusreligion.

Das Vorstehende habe ich, wie ich erwähnen möchte, im Januar 1912 niedergeschrieben; die wunderbarste Bestätigung hat es bald danach durch die Ausgrabung der Stadt Antinoë erfahren, die Hadrian dem jungen Gott zu Ehren in Ägypten gründete. In überraschender Weise ist da ein vollständiges ägyptisches Pompeji aufgedeckt, und die Antinousverehrung 303 steht uns nun vor Augen; sie war dort dem Osiriskult nachgebildet. Die ganzen Priesterschaften, auch Priesterinnen, sind da als Mumien wohlerhalten aufgefunden worden, aber auch die Gebettexte, und wir erfahren, daß es sich in der Tat um ein Mysterium, um die »Passion« des Antinous handelte und daß da in feierlichen Reigen oder auch mit Hilfe von Marionetten sein Tod und seine Auferstehung alljährlich aufgeführt worden sind.Der französische Gelehrte Gayet hat in 17 Jahren Antinoë ausgegraben. Auch der Ort, wo das Grab des Antinous selbst sich befindet, ist von ihm festgestellt; gelingt es ihm, seine Grabungen fortzusetzen (es fehlte zunächst an Geld; dann kam der Krieg, der alles hemmte), so wird man dort den Leichnam des jungen Gottes wirklich finden und heben. Vgl. J. P. Lafitte in La Nature 1912 (Bd. 40) Nr. 2037. Zahlreiche Porträts in Wachsmalerei auf Mumienkartonnage oder auf Holz sind da gefunden; die Mumien im Priesterornat wunderbar erhalten; dazu Teppiche, Seidenstoffe usf. usf. Die Funde zeigen aber zugleich auch das Eindringen und Anwachsen des Christentums in Antinoë; seit dem Jahre 315 ist die Stadt ganz christlich geworden. Vgl. übrigens B. Kübler, Antinoupolis (Leipzig 1914) und schon W. Schwarz, Rhein. Museum 51 S. 636 f.

Anderswo, wie z. B. im Peloponnes, wurde Antinous dagegen, wie schon gesagt ist, nicht als Osiris, sondern als Bakchos oder Jakchos verehrt. Es ist aber festzuhalten, daß der Kaiser diesen neuen Gottesdienst vornehmlich für den griechischen Orient, nicht für Rom oder Spanien geschaffen hat. Es ist derselbe Orient, für den auch Hadrian selbst Gott war. Der Kaiser wollte selbst nicht göttlicher sein als dieser sein Pflegling, in dem er tatsächlich etwas Idealisches und Göttliches erkannt haben muß.Ähnlich urteilt auch Schulz S. 79 u. 115. Denn Hadrian war Schüler des Idealisten Plato und hat augenscheinlich den »Eros« des Plato im erziehenden Umgang mit Antinous geübt. Setzt man dies an und lag diese ernste Gesinnung zugrunde, so erklärt sich in diesen außerordentlichen Vorgängen alles oder doch vieles. Aber nur der Orient, nicht der Occident hatte dafür Verständnis.

Seitdem ist Hadrians Leben verdüstert, oder es liegt doch eine Schwermut über ihm. Im Jahre 132 feierte er noch ein großes Zentralfest des Hellenentums in Athen. Dann kehrte er im gleichen Jahre 132 abermals nach Rom zurück. Erst nach des Antinous Tod bemerkte er, daß er selbst alterte (er war jetzt 56 Jahre) und begann sich ernstlicher nach einem Nachfolger im Kaisertum umzusehen.

Bei Tivoli oder Tibur hatte er seit Jahren begonnen, sich jene berühmte Villa von unausdenkbarer Größe anzulegen, jene Hadriansvilla, das Wunderwerk launischer Prunksucht und fürstlicher Romantik, im Umfang von zirka 70 Hektar, in deren Trümmerfeld der Reisende noch heute traumumfangen 304 stundenlang umherschweift, wenn zwischen den zu Boden gestreuten Marmorresten Veilchenfelder blühen, die Eidechse geräuschlos über die niedergestürzten Gesimse huscht, die uns ansieht, als wüßte sie ein Geheimnis, und die halbzerbrochenen Mauern und die stummen Völker der Zypressen in das grelle jubelnde Sonnenlicht ihren tiefen, melancholischen Schatten werfen. Hier begann die Selbstsucht dieses sonst sich so aufopfernden Pflichtmenschen. Hier hat er sich mit einem üppigen Altersheim umgeben, mit phantastisch ersonnenen Bauten ägyptischen und griechischen Stils, Obelisken, Gemäldehallen, Tempeln, Theatern; alles mit Mosaiken und Statuen durchsät; es war gleichsam ein »Auszug« aus der gesamten antiken Kunst, ein Panoptikum seiner Reiseerinnerungen in Stein, in dem der vornehme Einsiedler unter tausend Hofschranzen dahinwandelte. Das Bedeutsamste unter diesen Bauten war erstlich eine Nachbildung der Akademie Platos, sodann eine Darstellung des Elysiums, der Unterwelt selber: denn in der Akademie Platos wurzelte sein eigenes Wesen, auf das Elysium hin stand seine Hoffnung; in dem Bezirk der Unterwelt hatte er auch ohne Frage das Bild seines Antinous als eines Rufers in das Jenseits aufgestellt.

Gleichzeitig über rüstete der Kaiser auch schon sein Grabmal, dem Marsfeld gegenüber, jenseits des Tiberstromes. Dies Grabmal heißt heute die Engelsburg. Die Engelsbrücke, die Hadrian gleichfalls gebaut hat, führt noch heut zu dem Grab hinüber. Es ist eine marmorbekleidete Festung, um die in späteren Zeiten, im sechsten, im sechzehnten Jahrhundert Goten und Spanier gefochten haben und die heute halb zertrümmert, doch immer noch zwischen den Häusern Roms wie ein Mammut zwischen Ameisen steht. Dies Kolossalgrab war bestimmt, den winzigen Aschenkrug Hadrians aufzunehmen, aber auch die seiner NachfolgerAuch der Kaiserin Sabina; sie starb zwei Jahre vor ihm., deren Zahl sich Hadrian wohl als endlos dachte. Es ist die mächtigste, wuchtigste Verherrlichung, die das römische Kaiseramt gefunden hat. Denn nicht 305 nur ein weltlicher Regent, sondern ein Gottsucher und ein Pontifex Maximus, einer der vornehmsten Päpste des Altertums legte sich dort zur Ruhe. Die Idee des Bauplans stammt von den monströsen Königsgräbern, den Pyramiden im Ägypterland. Aber Hadrian wählte statt der Pyramide die volle Rundform, die Kreisrundform des Grundrisses, die auch das Pantheon auszeichnet; denn der Kreis galt bei den Philosophen als Sinnbild der Ewigkeit, da er nirgends ein Ende hat. Erst nach seinem Tode wurde das Mausoleum Hadrians vollendet.

Ein schweres Leiden hat ihn in seinen Schlußjahren heimgesucht, und er merkte bald, daß es mit ihm zu Ende ging. Aber anfangs verließ ihn inmitten der Schmerzen sein Humor nicht, und er schrieb Verse wie die folgenden, die er an seine eigene freundliche Seele gerichtet hat:Dies simple Gedichtchen ist seltsam mißverstanden worden; man hätte sich der Worte der sterbenden Frau bei Cassius Dio 77, 16 erinnern sollen, die ganz ähnlich lauten: »o unglückliches Seelchen, eingezwängt in den argen Körper, nun komm heraus in die Freiheit« usf.; vgl. übrigens H. Hollstein, Rhein. Mus. 71 S. 406.

    Mein SeelchenDas Wort »Seelchen«, animula, ist echt philosophisch im Geist jener Zeit, als Selbstanrede; vgl. das ψυχάριον εἶ bei Mark Aurel IV 41 und sonst., freundliches Seelchen du,
So wanderlustig immerzu:
Der Leib war nur dein Gasthaus, und nun
Sollst du die letzte Reise tun
In jenes Reich,
Wo alles so öd' und fahl und bleich,
In jene Nacht,
Wo keiner mehr deine Späßchen belacht.

Dann aber steigerte sich sein Leiden zu der entsetzlichsten Pein, zu einem höllischen Martyrium. Umsonst flehte er, daß man ihn töten möchte. Als solcher Schwerkranker hat er dann noch für seinen Nachfolger gesorgt. Zuvor aber mußte er erleben, daß sein eigener Schwager, der alte, schon 90jährige Servianus und dessen Enkel, Hadrians Großneffe, Pedanius Fuscus, seinen wehrlosen Zustand benutzten, um öffentlich Anspruch auf die Nachfolge zu erheben. Dies bedeutete Rebellion, und Hadrian ließ beide töten. Die Not der Umstände hat ihn zu dieser einzig harten Tat getrieben. Bei der so wichtigen Entscheidung über die Nachfolge wollte er sich vollkommenste Selbständigkeit wahren, und Blutsverwandtschaft 306 gab nach seiner Meinung kein Anrecht auf das kaiserliche Erbe; sie war vielmehr ein Hindernis.

Hadrian adoptierte den 52jährigen, trefflichen Antoninus Pius an Sohnesstatt, und zwar unter der weisen Bedingung, daß dieser Antoninus seinerseits wieder den jungen Mark Aurel zu seinem Sohn und Nachfolger bestimmen sollte. So war auch das noch das Werk Hadrians, daß ein Goldmensch wie Mark Aurel später Kaiser Roms geworden ist. Sterbenskrank erschien Hadrian an seinem letzten Geburtstag selbst im Senat, dessen Zustimmung zu erwirken er für Pflicht hielt, und der Senat genehmigte des Kaisers Vorhaben. Dann suchte Hadrian, diese Wanderseele, Bajä auf, um noch einmal das Meer zu sehen, wo er, nach 21ljähriger Regierung, im Jahre 138 gestorben ist.Das Relief der Apotheose der Sabina steht im Conservatorenpalast in Rom; s. Helbig, Führer³ Nr. 990.

Sein entseelter Name aber flog wie ein schwermütiger Schatten, groß und fremd und angestaunt und unbegriffen wie ein Rätsel des Märchens, durch die Jahrhunderte von den Heiden zu den Christen. Der Selbstaufopferer, der absoluteste der absoluten Herrscher, hatte stolz und einsam über einer Welt gestanden, die ihn zu verstehen glaubte, wenn sie ihn anbetete, und die ihn zu erledigen und abzutun glaubte, wenn sie seine Vielseitigkeit und seine Schwächen bespöttelte oder gar ihn mit Schmutz bewarf.s. Schulz S. 113 Anm. 336. Hadrians Selbstlosigkeit ist so außerordentlich gewesen wie sein Selbstgefühl; seine Überhebung war so groß wie seine Liebe. Die Welt war klein für ihn; nur der Gott in ihm war groß. Das ist das Hadrianproblem, zu dessen Lösung hier ein schüchterner Versuch gegeben ist. Nur wer Hadrian versteht, kann sich berühmen, daß er ein Kenner des Altertums ist. 307

 


 


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