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Denken wir an die Volksfreundlichkeit des Titus zurück, so ist sein eigentlicher Nachfolger Kaiser Trajan, der in den Jahren 98–117 regierte, gewesen. Zugleich war aber Trajan auch Kriegsfürst, der erste Kriegsfürst und Sieger großen Stils unter den Kaisern Roms im Geist des Pompejus und ein Mehrer des Reichs, und dazu der »beste Mann«, wie alle, die ihn erlebt haben, versichern. Unter ihm gewann das römische Reich für ein paar Jahre seine größte Ausdehnung; es ist der Gipfel der römischen Geschichte.
Aber Trajan folgte nicht unmittelbar auf Titus. Erst mußten Vespasian und Titus einen Nachfolger eigenen Flavischen Blutes haben; es war ein Nachfolger, der das Prinzip der Erblichkeit der Monarchie unter Blutsverwandten wieder einmal als verderblich erwies. Auf Titus folgt im Jahre 81 für fünfzehn Jahre sein jüngerer Bruder Domitian.
Domitian
Büste. Rom, Antiquarium. Nach Arndt-Bruckmann, Griech. u. röm. Porträts 735. Phot. F. Bruckmann, München.
Dieser Domitian hatte immer tückisch und mit Neid auf seinen älteren Bruder gesehen; er beanspruchte nach des Vaters Tod Mitregent des Titus zu werden; er hatte ihm nach dem Leben getrachtet. Jetzt übernahm er als dritter Flavier den für das ganze Reich vortrefflich eingerichteten Regierungsapparat, der sich auch unter des Domitian Verwaltung zum Vorteil der Provinzen bewährte. Vor allem hat er, um das gesegnete Rheinland, das in Roms Händen war, und um Frankreich gegen die freien Germanen zu schützen, den Bau des sog. Limes begonnen, eine Grenzbefestigung, der die heutige Altertumsforschung sich eingehend widmet: Wall und Graben oder Mauer und Graben, dazu Palisaden; alle halbe Stunde ein Wachtturm; auch Kastelle in bestimmten Abständen: so zog sich die Grenzwehr, die Teufelsmauer oder der Heidengraben oder wie sie sonst bei uns im Volksmund heißt, von Andernach aus südwärts durch den Taunus, durch die Wetterau und weiter hin, indem sie schließlich große Teile von Baden, Schwaben und Franken umfaßte. Unter Domitian ist diese Grenzwehr 261 in der Main- und Taunusgegend zuerst in imponierender Weise zur Ausführung gelangt.
Daß der römische Kaiser selbst persönlich zu Felde zog, lag in seinem Beruf; denn er hieß imperator; er mußte diesem Titel genügen. Nero hatte das zu tun versäumt, und die Legionen verachteten ihn deshalb und stürzten ihn. So erklärt es sich, daß Domitian, obschon durchaus keine soldatische Natur, einen Eroberungszug gegen die Chatten, gegen unser Hessenland unternahm, auch nicht ohne einigen Erfolg; er gewann den Chatten wirklich einen Gebietsstreifen ab. Aber dies geschah nicht durch entscheidende Schlachten und Gefechte, sondern durch Anlage jenes Limes im Taunus von beträchtlicher Länge, durch den er sie allmählich zurückdrängte. Dieser Limes machte in der Kriegsgeschichte Epoche; denn daß Rom gegen die Deutschen fortan in der Defensive stand, wurde durch ihn festgelegt.
Mit mittelmäßigem Erfolge kämpfte Domitian auch gegen das gefährliche Volk der Daker an der unteren Donau und gegen die Markomannen. Trotz der schweren Verluste, die er dabei erlitt, feierte er in Rom prangende Triumphe, als hätte er großartig gesiegt, und überfüllte die Hauptstadt mit Straßenbögen und mit seinen eigenen Statuen aus Silber und Gold: ruhmsüchtig und prunksüchtig. Ein Herrscher muß vor allem bauen. So hat denn Domitian das unter Titus verbrannte Kapitol wieder aufgebaut und die großen öffentlichen Bibliotheken Roms, die gleichfalls verbrannt waren, auch die ganzen dabei zugrunde gegangenen Bücherbestände erneut. Wer Rom kennt, sei dabei an folgendes erinnert. Wer in Rom heut auf der Piazza Navona steht, die langgestreckt ist wie eine antike Rennbahn, der steht auf dem »Stadion« des Domitian, dem Kampfplatz für griechische Wettkämpfe, dessen Form sich da genau erhalten hat. Und wer heute in der Kirche S. Maria sopra Minerva steht, um dort den Christus des Michel Angelo zu betrachten, steht, wie schon der Name der Kirche verrät, 262 auf dem Boden eines antiken Minervatempels, den Domitian erbaute. Die Götter wechseln: der Minervadienst wurde durch diesen Kaiser merkwürdigerweise zur Hofreligion.
Dieser Kaiser dichtete zwar nicht; er hat nur eine Schrift über Pflege des Kopfhaares verfaßt. Aber er war doch Ästhet, wie Nero. Nero und Domitian sind die beiden Musikkaiser Roms, und das ist vielleicht das Denkwürdigste, was Domitian geleistet: er stiftete regelmäßige Wettkämpfe von Dichtern, von Rednern und Musikanten mit Preisverteilung auf dem Kapitol Roms. Die Dichterkrönung wurde durch ihn üblich, etwa so, wie wir heute Schillerpreise verteilen, eine staatliche Ermutigung der Poeten und Tonkünstler. Die Erinnerung daran hat weit gereicht; denn noch Petrarca und Tasso streben nach dem kapitolinischen Dichterlorbeer.
Und so blüht denn jetzt auch die Literatur in Rom Vor allem zwei Genies taten sich auf, Statius und Martial; aber beide Dichter kriechen vor dem Kaiser und verraten uns durch ihre unerhört maßlos schmeichlerischen Töne, daß es wieder einmal ein Tyrann ist, der herrscht. Martial, der Epigrammatiker, allerdings eine unvergeßliche Größe der Weltliteratur: er ist der Witzemacher Roms, frech und sittenlos, aber dabei graziös, prickelnd geistreich und unerschöpflich. Köstlich sind die Einblicke, die er uns in das heitere Leben der Zeit gewährt: Bäderwesen, Ballspiel, Gastgelage, Toilette, Parfümerien, Dauerreden der Advokaten, Ärzte uff. uff. Dabei fällt auf, daß Martial nie die Geistlichen und nie die Rechtsgelehrten verhöhnt, auch keine Konfession, weder Juden noch Christen jemals zum Ziel seiner flotten Angriffe macht.
Domitian, das ist der einsame Mann, der in seinem Marmorsaal sitzt und Fliegen spießt. Er faßte Liebe oder Zutrauen zu niemandem. Nur einen in Purpur gekleideten, jungen Zwerg mit einem Riesenkopf hatte er ständig um sich, auch wenn er in die Schauspiele ging, und sprach mit ihm über die ernsthaftesten Dinge. Anfangs hatte er sich maßvoll gezeigt, bald aber stand 263 er als ein zweiter Nero da: ein schöner Mensch, dem aber in der Aufwallung leicht das Blut ins Gesicht schoß. Titus und Vespasian hatten sich nach den Regierungsgrundsätzen des Augustus und des Seneca der Hilfe des Senats in wohlwollendster Weise bedient. Domitian vermochte das nicht; bedeutenden Männern gegenüber wurde er verlegen; er gehörte zu den eitlen Leuten mit starkem Eigenwillen, die einen Meinungsaustausch mit ebenbürtigen Personen nicht vertragen. Daher ist ihm der Senat unleidlich; er zeigt ihm seine Mißachtung, ja, hält ihn in Schrecken, indem er seine eigenen Machtbefugnisse steigert (Domitian ließ sich u. a. selbst dominus et deus nennen) und gab so ein Vorspiel für das sultanische Kaisertum des späteren Diokletian und Konstantin. Wenn Domitian als Zensor die Sittenpolizei in die Hand nahm, so tat der Sittenlose auch das nur, um damit das leichtlebige vornehme Publikum in Angst zu setzen. Eine Menge Tötungen aus geringfügigstem Anlaß nimmt er vor; die Majestätsbeleidigungsklagen erwachen wieder und das schreckliche Denunziantenwesen. Der kaiserliche Fiskus, Reichskasse und Privatkasse zugleich, ist immer leer, und der Kaiser tötet, um zu rauben. Der Ausdruck »Konfiskationen« wird jetzt gang und gebe, d. h. die Aneignung von Privatvermögen durch den Fiskus. Domitian veranstaltet auch eine große Stoikerhetze in Rom, eine Vorläuferin der späteren Christenverfolgungen. Alle freie Rede hört auf und damit zugleich alle Geschichtschreibung. Kein Historiker wagt mehr den Griffel zu rühren. Denn da war ein Hermogenes von Tarsus; den ließ Domitian wegen zu freier Äußerungen in seinem Geschichtswerk hinrichten, und nicht nur ihn, sondern auch alle Schreiber, die das Werk abgeschrieben und vervielfältigt hatten.
So wird er immer einsamer, wie das Raubtier, das sich am Tag verkriecht; er trägt seine Einsamkeit überallhin mit sich herum.Plinius Panegyr. 48. Auch den Gebrauch der Füße hat er verlerntPlinius 24., und man sieht ihn nur in seiner Sänfte durch die Straßen huschen. 264 Seine Menschenfurcht war ebenso groß wie sein Aberglaube, der Glaube an die Astrologie, der durch die Jahrhunderte geht und dem auch noch Wallenstein verfallen war. Auch Sueton, der uns Domitians Ende erzählt, glaubt an diese Wahrsagekunst. Der Kaiser hat immer vor Mördern Angst: da gibt ihm der Sterndeuter Askletarion genau Tag und Stunde an, an der er sterben wird. Domitian erschrickt zu Tode, aber er fragt den Mann: »Soll ich dir wirklich glauben, so sage, wie wird dein eigenes Ende sein?« Askletarion erwidert. »Mich werden demnächst die Hunde zerreißen.« Sogleich läßt Domitian den Menschen mit dem Schwert töten, und er hat jetzt die Sicherheit, daß er falsch weissagt; denn sein Ende war ein anderes. Aber siehe da, beim Begräbnis des Askletarion erhebt sich ein solches Unwetter, daß der Leichnam auf den Boden kollert, und die Hunde zerreißen ihn wirklich. Von jetzt an ist Domitian seines Schicksals sicher. Morgen um die elfte Stunde soll er sterben. Er weiß es. Der Seher hat es verkündet. Er springt nachts angstgepeitscht aus dem Bett. Der Morgen bricht an. Auf der Stirn hat er eine Warze; die drückt er sich auf, und es blutet. »Möge dies Blut heut genügen,« sagt er erschreckt. Die elfte Stunde naht; er horcht auf den Stundenausrufer im Palast. Der Ausrufer aber will den Kaiser absichtlich täuschen und ruft schon die zwölfte Stunde aus. Nun ist er froh und erleichtert; es ist schon Mittag; der gefährliche Zeitpunkt ist vorüber. Wohlgemut begibt er sich ins Toilettenzimmer, um sich umzukleiden. Da wird er mit sieben Stößen niedergemacht. Seine eigene Gattin, die Kaiserin Domitia Longina, leitete selbst die Verschwörung.In der Verurteilung des Charakters Domitians sind sich Plinius, Sueton, Juvenal und Philostrat (Apollonius von Tyana VI 1 ff.) einig. Gewiß hat dabei der Trieb mit eingewirkt, das Bild des regierenden Kaisers Trajan um so strahlender hervortreten zu lassen. Doch ist die völlige Übereinstimmung jener Zeugen auf alle Fälle belastend.
Domitia
Büste. Rom, Museo Capitolino. Nach Bernoulli, Röm. Ikonogr. II, 2. Taf. 20a.
Das Volk war gleichgültig; nur die Garde war entrüstet, der Senat aber frohlockte über den Tod; denn der Ermordete hatte keine Erben. Jetzt konnte der Senat über die Zukunft mitentscheiden, und es wurde zum erstenmal ein Kaiser aus seiner Mitte gewählt. Auch traf er eine gute Wahl. Es folgte jetzt eine fast hundertjährige Zeit des Segens, und die große 265 Epoche des Glücks für die Welt, für Orient und Occident, hebt an. Im Jahre 96 war es der Senat, der den Nerva zum Kaiser erhob, einen Rechtsgelehrten, freilich schon gut 60 Jahre alt und kränklich und ohne starke Willenskraft, aber einen Mann, der auf dem Boden der sittlich veredelten Neuzeit stand und der begriff, daß Herrschen so viel ist wie Dienen.
Nerva sah, daß Italien landwirtschaftlich hinter den übrigen Provinzen des Reiches zurückblieb; der Steuerdruck unter den Flaviern war dort zu groß gewesen. Domitian hatte diesen Rückgang dadurch aufzuhalten versucht, daß er den gesamten Provinzen außer Italien und sogar dem fernen Asien den Weinbau verbotPhilostrat Apollonius von Tyana VI 42.: ein undurchführbarer schnöder Eingriff in das Erwerbsleben jener Länder. Nerva ging anders vor; er warf große Summen aus, um in Italien neue Bauerngüter zu schaffen und die Abwanderung der italienischen Bevölkerung aufzuhalten, die damals nach der unteren Donau zu ging (davon hat, wie man glaubt, noch heut Rumänien seinen Namen). Außerdem machte der alte Nerva den Anfang mit dem Werk der sozialen Hilfe und rief die sog. Alimentationen ins Leben, d. h. die regelmäßige staatliche Hilfe für die Kindererziehung in den ärmeren Familien. Das waren ganz neue Ziele.
Aber die Garde tobte. Die Garde wollte Rache für die Ermordung des Kaisers Domitian. Um gegen sie seine Stellung zu stärken, adoptierte da Nerva den besten Soldaten des Reichs, Trajan, als Sohn und Nachfolger im Oktober des Jahres 97. Dann starb er, schon im Jahre 98, und Trajan war Kaiser Roms.
Trajan: wieviel drängt sich in diesem Namen zusammen. Ein Spanier; der erste Mensch aus der Provinz auf dem Kaiserthron: welch ungeheures Ereignis! Man kann sagen: mit Trajan wird die römische Geschichte zur Weltgeschichte; d. h. bisher war die Stadt Rom für alles, was geschieht, das Zentrum oder der Hintergrund, und wir waren eingeengt in den Gesichtskreis der einen großen Metropole. Jetzt werden plötzlich alle Wände weggeschoben, und grenzenlose Fernsicht umgibt uns.
266 Der neue Kaiser Trajan ist schon 43 Jahre alt (im Jahre 55 geboren). Er ist mit Plotina vermählt; ihre Ehe ist kinderlos, wie die Nervas es war. Das ist bedeutsam. Wie im monarchischen Staat die Thronfolge zu regeln sei, ob durch Erblichkeit oder Wahlkaisertum, ist ein altes Problem. In Rom hat sich die Erblichkeit der Krone auf das übelste bewährt; denn die kaiserlichen Familien degenerierten regelmäßig schon im zweiten Gliede. Daher kam jetzt ein Verfahren auf, wonach der regierende Herrscher seinen Nachfolger jedesmal durch Adoption ernennt. Er nimmt irgendeinen trefflichen Mann zum Sohne an; dieser setzt weiter dasselbe Verfahren fort.Die Vorzüge dieses Verfahrens setzt schon Tacitus in den Historien I 20 auseinander. Dabei werden zunächst nur kinderlose Männer oder doch solche adoptiert, die nur Töchter, keine Söhne haben. So ist das römische Kaisertum von Nerva bis zu Mark Aurel aus einer tüchtigen Hand in die andere gegangen.
Trajan
Büste. Rom, Vatikan. Nach Photographie Anderson.
Der neue Herrscher war aus dem schönen Italica (bei Sevilla) am Guadalquivir gebürtig und Abkomme einer römischen Kolonistenfamilie, die vor Zeiten nach Spanien gewandert war; handfest und voll Tätigkeitstrieb, an Wuchs alle überragend, mit ruhigem, festem und treuherzigem Ausdruck.Plin. 67. Die Marmorporträts Trajans, die wir besitzen, zeigen eine niedrige Stirn, weil das glatte Haar ins Gesicht gekämmt ist, und starken Hinterkopf, dabei ein paar gespannte Augen, als ob sie zielten, wie die Augen des David des Michel Angelo. In der Tat war Trajan auch ein großer Jäger und Alpenfex, der ohne alles Gefolge allein im Hochgebirge die Gemse und den Steinbock jagtPlin. 81.; als Soldat ein derber Draufgänger, der auch einen guten Trunk liebt; aber schon früh ergraut; und das gab seiner Erscheinung etwas Ehrwürdiges.
Unter Nerva hat Trajan in den germanischen Provinzen am Rhein gewirkt und dort seinen Ruf als Militärgouverneur begründet. In Köln erhält er, im Februar des Jahres 98, die Nachricht von Nervas Tod, geht aber alsdann nicht gleich nach Rom. Noch im Jahr 99 steht er an der Donau. Damals hat 267 er auch für das Emporkommen Baden-Badens und des ganzen umliegenden Neckarlandes bis nach Württemberg hinein alles Wichtigste getan, so auch die Landstraße mit dem gut römischen, festen Straßendamm von Mainz über Heidelberg nach Baden-Baden geführt. Erst dann kommt er nach Rom, und sein Einzug wird uns genau geschildert. Das Volk begrüßt ihn auf dem Kapitol nicht nur als Kaiser, sondern auch als Gott; er aber sagt: »Alles Gute kommt vom Jupiter, nicht von mir.« Wenn er betet, so betet er um Segen zuerst für den Senat, dann für das Reich, erst zuletzt auch für sich. Das ist ernst gemeint. Der Senat ist froh und fühlt sich freiPlin. 27 u. 36.: eine erfreuliche, wenn schon begrenzte Selbständigkeit, wie in den besten Zeiten.simulatio liberae civitatis Plin. 63, vgl. auch 54. Und dieser Kaiser geht nun wieder zu Fuß durch die Gassen selbst bei seinem feierlichen Einzug. Nur ein schmaler Streifen ist in den überfüllten Straßen für ihn ausgespart; da schreitet er ganz langsam hindurch, damit jeder ihn auch ordentlich betrachten kann, und die Kranken schleppen sich aus ihrem Bett herbei, um ihn einmal gesehen zu haben; denn sie glauben, schon sein Anblick heile ihre Krankheit (solche Heilkraft haben wir auch am Kaiser Vespasian bemerkt). Welche Leutseligkeit! Die senatorischen Beamten nennt dieser Kaiser seine KollegenPlin. 77. und als er pro forma Konsul wird, legt er wie jeder andere gewöhnliche Sterbliche den Amtseid ab, was sonst kein Kaiser für nötig hieltPlin. 64.; und zwar tat er es stehend vor seinem Amtsvorgänger, der sitzt. So hat er stets seine Helfer geehrt und sie nicht in den Schatten stellen wollen; er hat den Trieb zur »Sozialität« und ist »innocens«, er schadet niemandemPlin. 19 u. 28., wie Seneca in seiner Schrift »De clementia« es forderte. Aber die Denunzianten aus Domitians Zeit werden öffentlich gepeinigt und dann auf Schiffe verladen, die im Sturm ins Meer treiben. Plinius stand am Hafen und sah die Schiffe sich auf dem Meer zerstreuen, das in Schaumwellen ging.
Martial, dies kleine Menschlein, bisher der schmiegsame Anbeter Domitians, erhob sich sogleich mit großen Tönen zum 268 Wortführer der neuen Ära, um die Wahrheit der Gesinnung, die jetzt in Rom einzog, festlich zu begrüßen und die »Schmeichelreden« fortzujagenMartial X 72.:
Ihr armseligen Schmeichelreden, fort!
Eure abgenutzten Lippen soll'n jetzt schweigen.
»Herr Gott« ist am Hof jetzt ein verpöntes Wort,»Herr Gott« ist die Wiedergabe des dominus deus, die Domitian sich nennen ließ.
Und ihr sollt in Rom euch nicht mehr zeigen.
Zu den Morgenländern, zu den Persern geht,
Wo die Tiara herrscht: da kriecht und fleht,
Werft zu Füßen euch der Majestät,
Die da prunkt in farbigen Ornaten.
Unser neuer Fürst ist »Herr« nicht seiner Staaten.
Herr nicht, »Feldherr« nur läßt er sich nennen;
Nur als »Besten des Senats« soll'n wir ihn kennen.
Aus dem Orkus, aus dem Reich der Schatten
Bracht' er endlich uns die Wahrheit wieder,
Die wir jahrelang verloren hatten,
Die da schlicht ist, ungeschminkt und bieder.
Lerne, Rom, die Huldigungen sparen,
Die in schlimm'rer Zeit gebräuchlich waren.
Woher dieses ansprechend menschliche Verhalten, voll von Zutrauen? woher nahmen Nerva und Trajan ihr neues Herrscherideal? Die Antwort ist klar: von Seneca, dem großen Neubegründer der Menschenpflichten. Senecas Schrift über die fürstliche Gnade wurde denn doch nicht umsonst geschrieben; und Trajan respektierte auch den Menschen Seneca und sagte ausdrücklich rückblickend, am besten sei Rom vor ihm in den Jahren 54–60, und das sind eben Senecas Verwaltungsjahre, regiert worden. Auch Seneca war übrigens Südspanier von Herkunft. So ist es uns möglich, den verdeckten Verbindungsfaden, der von Augustus zu Seneca, von Seneca zu Titus und Trajan führt, freizulegen. Aus alledem erklärt sich auch, daß Herkules als besonderer Schutzheiliger Trajans galt, daß Plinius ihn mit Herkules vergleicht und Trajan statuarisch als Herkules dargestellt wurde; denn Herkules, der für die Menschheit sich abmüht und kämpft, um endlich Gott zu werden, ist 269 der Idealheld der Stoa.Daher auch das Herakleenfest Trajans u. a. Was W. Weber »Untersuchungen zur Geschichte des Kaisers Hadrian« S. 9 f. hierüber bringt, genügt nicht. Von Senecas Hercules Oetäus, der großen Programmdichtung, ist hierbei auszugehen. Weiteres E. Ackermann, Philologus Suppl.-Bd. X S. 418 f., wo freilich manches anders anzuordnen wäre. Es traf gut damit zusammen, daß Alexander der Große, mit dem Trajan sich gern verglich, sein Geschlecht von dem nämlichen Herakles ableitete. Es ist eine Freude zu sehen, wieviel das schriftstellerische Wirken eines hochgestellten Mannes, wie Seneca, zur moralischen Umgestaltung der Welt vermocht hat.
Der Stand der Finanzen, hören wir weiter, war jetzt vortrefflich. Der kaiserliche Fiskus kann alles Nötige zahlen, ohne dabei die Privatvermögen zu schröpfen; und für das Land Italien setzt nun Trajan die Wohltaten des Nerva fort, baut neue Verkehrsstraßen und Häfen, macht die Pontinischen Sümpfe passierbar und steigert weiter die Alimentationen. Es war eine große Kinderfreude in Rom, als er für 5000 Knaben die Erziehung auf die Staatskasse übernahm.Heut gibt es freilich ganz andere Zahlen. Die deutschen Armenverwaltungen haben für etwa ¼ Million unmündiger Kinder zu sorgen. Aber die Klagen gingen durch die Zeitungen (26. Oktober 1912). Die Kommune gibt das zu versorgende Kind an dasjenige Privathaus ab, das dafür am wenigsten Geld fordert; die Kinder werden also an den Mindestfordernden abgegeben, und die Sicherheit hinreichender Pflege fehlt. Durch dieses Vorgehen wurde die Anweisung Senecas verwirklicht, daß man dem Betteln vorbeugen soll; d. h. man soll so rasch geben, daß den Eltern das Bitten erspart wird.Plin. 26. Aber auch die Kornversorgung Roms ist jetzt so vortrefflich, daß, als Ägypten unter Mißernten leidet, die großen römischen Kornspeicher am Aventin dorthin reichlich Korn ablassen können.
Aber dieser Trajan ist zugleich Kriegsfürst, ein Mann des Eisens und seit langem der erste Berufssoldat, der das Reich regiert. In Germanien am Rhein hatte er, wie wir sahen, schon mächtig gewirkt, hatte Kastelle und Brücken gebaut, mit den Barbarenstämmen verhandelt und den Lehrsatz befolgt, den Tacitus gab, Zwietracht unter die Germanen zu säen, die unbesieglich sind, wenn sie einig sind. Jetzt, im Jahre 101 rufen den Trajan die Daker ins Feld, und jahrelang sieht niemand ihn mehr in Rom.
Die Daker saßen an der unteren Donau, am linken Stromesufer, in der Wallachei, Ostungarn und Siebenbürgen; ein mächtiges Gebiet; ihr König Dekebalus, einer der rührigsten Barbarenkönige, und dazu hellsten Verstandes, hatte sein Volk zu einer Weltmacht, ähnlich dem Partherreich, erhoben und machte auf das dreisteste Raubüberfälle ins römische Gebiet, Mösien, heut Bulgarien, in weite Strecken der Balkanhalbinsel. Domitian zahlte an Dekebalus, damit er sich ruhig hielt, einen 270 jährlichen Tribut, eine Schmach für Rom; ja, Domitian mußte ihm römische Techniker und Arbeitskräfte zur Verfügung stellen, die nun halfen, das dakische Land gegen Rom zu befestigen. Trajan bewies jetzt, in zwei schweren Kriegsgängen in den Jahren 101 bis 106, daß das römische Heerwesen immer noch unbesieglich. Zweimal ist Dekebalus besiegt, bis ans Karpathengebirge gehetzt, und er tötet sich selbst. Das römische Reich wird durch eine ausgedehnte neue Provinz Dakien bis in die Nähe der Karpathen erweitert, ein reiches Land, lockend und lohnend für Kolonisten, reich vor allem an Goldbergwerken. Seitdem hob sich auch in den serbisch-bulgarischen Ländern, die wir die europäische Türkei zu nennen gewohnt waren, damals Handel und Wandel, und das von Städten umgrenzte Schwarze Meer wird der Träger eines ergiebigen Warenaustausches nach dem Osten hin. Auch eine Menge Städte gründet Trajan in Bulgarien, die er stolz nach sich oder nach seiner Gattin und Schwester Trajanopel, Plotinopel, Marcianopel benennt, und noch heute besitzt das Donauland zahlreiche Denkmale jener Kriegszeiten: den 60 Kilometer langen Trajanswall in der Dobrudscha, an der rechten Uferseite der Donaumündung, drei bis sechs Meter hoch, mit Kastellen und Wachthäusern verstärkt; die Trajanstafel bei Orsowa am rechten serbischen Donauufer, im Jahre 102 zur Erinnerung an die Erbauung der Militärstraße längs der Donau errichtet. Vor allem erbaute Trajan schon im Jahre 102 in der Dobrudscha ein trotziges Siegesmonument, das die Eingeborenen dort heut Adamklissi nennen und dessen Rekonstruktion unsere Archäologen ausgiebig beschäftigt hat; denn es sind großartige Bauteile davon noch heute erhalten.
Inzwischen lebte man in Rom ein glückliches und beruhigtes Leben. Nero und Domitian waren endgültig vergessen. Der Dichter Martial fand keinen Anklang mehr und entwich aus Rom. Alle ruhmredige, großtönige Poesie hört auf. Statt dessen erhebt der mächtige Satiriker Juvenal jetzt seine grelle Stimme, um im Kapuzinerton und in schnaubendem Zorn 271 die vergangenen ruchlosen Zeiten zu geißeln; es ergreift vor allem der vornehm gemessene Tacitus, der Historiker, das Wort und schildert in scharfumrissenen, dunkelglühenden Bildern die Kaiser selbst, von Tiberius an; auf Tacitus folgt dann unmittelbar Sueton mit seinen Kaiserbiographien. Beide, Tacitus und Sueton, sind Bewunderer Trajans; beide schildern seine Vorgänger mit herber Strenge, d. h. so, wie Trajan sie aufgefaßt wissen wollte, und der freundliche Glanz der Gegenwart wurde um so leuchtender empfunden. Eben damals verfiel aber auch der jüngere Plinius auf den glücklichen Gedanken, Privatbriefe, die er geschrieben, seine fein und anmutig stilisierten Korrespondenzen, zu sammeln und herauszugeben, aus welchen Briefen wir nun recht ersehen können, wie es damals im lieben Rom herging. Wir lesen da von Hochzeiten, Verlöbnissen, Sensationsprozessen, Bädern und Villenbau, wohltätigen Stiftungen, Verhältnis des Hausherrn zur Dienerschaft, von jungen Männern, denen Plinius die besten Erfolge im Leben wünscht, Nachrufe für Verstorbene: welch erfreulicher Umgangskreis! Man sieht da fast lauter brave, ehrenfeste, anständige, prächtige Menschen. Gewiß, es gab außerdem immer noch viel gemeines Gesindel, wie in jeder Großstadt; aber es ist trotzdem nicht zu verkennen, daß die Standhöhe der Gesellschaft damals sich ganz erheblich gehoben, daß die Gesellschaft sich im besten Sinne vermenschlicht hat, in weiten Kreisen. Damals gab es auf der Bühne schon jene Nackttänze, wie man sie auch heutzutage bei uns betreibt. Es ist bezeichnend, daß es damals das Publikum war, das die Abschaffung der unsittlichen Nackttänze des Pantomimus vom Kaiser forderte.
Plotina
Kolossalkopf. Rom, Vatikan. Nach Photographie Anderson.
Eins aber enttäuscht unsere Erwartung, daß nämlich in diesen kaleidoskopischen Bildern, die Plinius bringt, die Kaiserin Plotina niemals auftritt, die doch, wie man meinen sollte, da sie im Kaiserpalast hauste, im Mittelpunkt des Lebens der Hauptstadt gestanden haben muß.Nur einmal kommt sie vor, wo Plinius einen Brief an sie zu befördern übernimmt. Ein Gastmahl bei Trajan selbst wird 6, 31 erwähnt. Sie war ganz bestimmt 272 eine bedeutende Frau, in ihrer Jugend auch schön (so zeigen sie die Münzen); aber sie trat gesellschaftlich noch bescheidener auf als ihr Mann und galt eben deshalb als das Ideal einer Frau. Wir lernen in ihr einmal eine der Stillen im Lande, eine Epikureerin im echten und edlen Sinne des Wortes kennen; denn Epikur schrieb vor, damit die Heiterkeit der Seele nicht leide, soll der Mensch in Abgeschlossenheit leben und sich von Staatsdingen möglichst fernhalten. Man bewahrte das Wort auf, das Plotina sprach, als sie zum erstenmal in den Kaiserpalast eintrat: »Möge ich einst im Tode dieses Haus so ohne Tadel der Menschen, wie ich es jetzt betrete, verlassen.«Besonders wird uns gerühmt, daß sie sich sogar mit ihrer Schwägerin Marciana, der Schwester des Kaisers, gut vertrug, die im selben Palast mit ihr wohnte und die Kinder hatte, während sie selbst kinderlos war. Die Schwester des Kaisers und die Frau des Kaisers, beide den geliebten Mann abgöttisch verehrend: bei jenem südländischen Temperament wollte es etwas heißen, wenn die beiden Frauen miteinander auskamen.
Als Trajan im Jahre 105 nach Rom zurückkommt, gibt es natürlich zuerst ein wundervolles Siegesfest, das, beispiellos unersättlich, 123 Tage andauert und bei dem in der Arena Tausende von Bestien umkommen und zehntausend Fechter, vor allem dakische Kriegsgefangene, ihre blutigen Fechterspiele geben. Aber Trajan fand keinen Historiker, der seinen dakischen Krieg würdig beschrieb.Ob der Militärarzt Kritan (Fragm. hist. gr. IV S. 343) dies würdig tat, steht dahin. Denn die, die ich nannte, waren anderweitig in Anspruch genommen. Daher gab er selbst ein Generalstabswerk heraus, das indes niemand las; so lakonisch trocken und unlesbar war es augenscheinlich abgefaßt. Aber er tat mehr: der Kaiser errichtete seine Trajanssäule, das großartigste Denkmal römischer bildender Kunst, das wir überhaupt kennen und das bis auf heute der vornehmste Schmuck der ewigen Stadt Rom ist. Genau 100 Fuß ragt sie über ihrem Sockel und ist von oben bis unten mit einem Bilderbuch umwickelt, das in 155 Bildern die Kriegsereignisse selbst 273 in größter Ausführlichkeit erzählt. Trajan hat, wie feststeht, den Kaiser Titus besonders verehrt; so hat er von ihm auch die Prachtliebe übernommen und leistete eben jetzt als Bauherr das Größte, um Rom zu verschönen.
Zwischen Kapitol und Quirinal schuf er durch Enteignung vieler Grundstücke einen riesigen freien Platz; das war das majestätische forum Trajani, ein Forum, dessen Größe verschieden abgeschätzt wird, bis zu 200 Meter im Quadrat. Um es herzustellen, mußte er den westlichen Ausläufer des Quirinalberges senkrecht abgraben, und zwar 100 Fuß tief. Wo früher die größte Enge herrschte, war mit diesem Durchstich eine wundervolle, an 200 Meter breite Durchgangsflur für den Menschenverkehr gewonnen, Luft, Luft in die beengte Hügelstadt. Diesen Platz umgrenzten dann Kolonnaden und allerlei Prachtbauten, u. a. zwei Bibliotheken, für griechische und für lateinische Bücher, alles schimmernd in bunten Marmorsorten und von Statuen erfüllt. Auch die Statue des Dekebalus, die jetzt in St. Petersburg ist, stand dort. Wer eine Vorstellung davon gewinnen will, denke an den Petersplatz in Rom mit den Berninischen Kolonnaden von etwa 300 Säulen. Erst hierdurch war Rom endgültig die schönste Stadt der antiken Welt. Als Konstantin der Große später seinen berühmten Konstantinsbogen errichtete, wußte er nichts Besseres zu tun, als unter anderem vom Trajansforum die Reliefs zu rauben, die seinen Bogen noch heute schmücken. Man muß wissen, daß die schönsten Reliefs am Konstantinsbogen nicht Konstantin, sondern den Trajan sowie weiter auch den Hadrian und Mark Aurel darstellen.
Zwischen die beiden Bibliotheken, die ich erwähnte, stellte Trajan nun endlich seine Trajanssäule, die erst im Jahre 113 fertig wurde. Wir müssen dabei, wie gesagt, an Kaiser Titus zurückdenken. Denn nach der Zerstörung Jerusalems ließ Titus bei seinem Triumph in Rom große buntgemalte Plakate auf Gestellen herumfahren, und das Volk sah auf diesen Bildern den ganzen Krieg vorgeführt, das Land Palästina selbst und 274 die Juden, wie sie kämpfen, wie sie fliehen, gefangen werden, den Tempelbrand, das Einstürzen der Häuser usw.Rheinisches Museum 63 S. 49. Ganz ebenso war auch das Relief an der Trajanssäule bunt bemalt. Titus war bescheidener und bot das ganze auf vergänglichem Material, Trajan war ruhmsüchtig wie ein ägyptischer Pharao, der seine Taten auf die Tempelwände für die Ewigkeit graviert, und wer mit seinem Blick hinaufglitt bis zur Höhe, konnte da den ganzen dakischen Krieg studieren, wie wir es noch heute tun. Damals stieg man zu diesem Zweck ohne Zweifel auf die flachen Dächer der benachbarten Bibliotheksgebäude; wir haben es heut bequemer. Denn die ganze Säule ist in Gips abgegossen worden, die Abgüsse wiederum photographiert.
Da befinden wir uns also an der Drau, Sau und Donau. Die Donau selbst wird uns sichtbar gemacht. Verschanzungen am Ufer werden gebaut. Flußschiffe bringen Proviant den Strom hinab, wobei man sieht, wie die Säcke mit Stricken zugebunden sind. Schiffsbrücken werden über den Strom gelegt, dann auch feste Pfahlbrücken. Auch Schuppen für Pferdefutter, Heu und Häcksel sind da. Hier stehen Soldaten auf Posten, dort sind sie auf dem Eilmarsch und tragen Speere, an deren Spitze ein Sack voll Zwieback hängt, tragen auch Ränzel mit Käse und anderem Proviant. Dazwischen die Adlerträger; Trompeter; Reiterei. Auch die Garde aus Rom ist mit dabei. Weiter der Zeltbau. Je zehn Soldaten hausen in einem Zelt, wobei wir lernen, daß der Helm von den Soldaten nie im Lager, sondern nur in der Schlacht getragen wurde. Weiter: Wasserschöpfen; die Rosse der Reiter zur Schwemme geführt; Kundschafter ausgeschickt. Die Majestät selbst, die sich zumeist zu Fuß bewegtVgl. Plin. cp. 14., hält eine Ansprache, inspiziert die Lagerarbeiten; hundertmal ist so der Kaiser zu sehen. Dann endlich Handgemenge, abgeschlagene Köpfe. Soldaten reiten durch den Fluß; Wagen werden erobert; Frauen und Kinder fliehen, und so ins Unendliche. Der Sieg führt den Kaiser nach dem Paß des Eisernen Tores, nach Siebenbürgen. Sarmizegethusa heißt 275 eine der Hauptstädte des Dekebalus; Trajan nennt sie hernach Ulpia Trajana; heute heißt sie Várhely.
Leider fehlen uns auf den Reliefs alle Beischriften und Namen, und wir können nur bisweilen erraten, wen diese oder jene Figur darstellt. Lusius Quietus hieß der Hauptfeldherr Trajans; er war von Herkunft ein Scheich aus Marokko, und man hat ihn auf diesen Bildern wiederzuerkennen geglaubt, wonach Trajan diesen Mann ganz wie seinesgleichen behandelt und ihn bei Beratungen ebenbürtig neben sich sitzen läßt.
Die Kunst, die diese Reliefs schuf, fesselt durch ihre Eigenart; sie ist gewiß gut künstlerischen Geistes, aber dabei naiv und kräftig realistisch. Nirgends lernen wir das römische Heerwesen in seiner Kompliziertheit und Großartigkeit so gut kennen wie durch sie; ebenso aber auch die fremden Nationen, die Daker, die barbarisch-germanischen Hilfsvölker Trajans und die wirklich ansehnliche Kultur, den gewaltigen Reichtum, der damals bei diesen Völkern von Ungarn bis nach Rumänien herrschte. So ist die Siegessäule nicht nur ein Kriegerdenkmal, sondern ein Kulturgeschichtsdenkmal ersten Ranges.
Sieben Jahre lang lag danach über dem Reich der Friede; ein stolzer Friede. Während dessen entwickelte Trajan seine gewaltige kolonisatorische und seine Bautätigkeit in den verschiedenen Provinzen. Die berühmte Brücke von Alcantara in Spanien ist dessen noch heut ein Denkmal. Eine europäische Riesenstraße führte er vom Schwarzen Meer durch Ungarn die ganze Donau entlang zum Rhein und nach Frankreich hindurch. Auch Afrika – Tunis, Algier – hat sich schon unter Trajan zu jener Selbstpflege und Pracht des Lebens erhoben, die uns jetzt seit Jahrzehnten aus den dortigen französischen Ausgrabungen (Timgad) entgegengetreten ist; es herrschte auch dort in den Städten ein erstaunlicher Wohlstand.
Damals begann Trajan, der selbst Provinziale von Herkunft war, damit, den Schwerpunkt des Reiches aus Rom in die Provinzen zu verlegen. Das ist das Bedeutsamste, und Rom 276 selbst sollte die Wirkung davon bald verspüren. Trajan ist es, der durchführte, daß das Reichsheer sich überhaupt nicht mehr aus Italien, sondern nur noch aus Gallien, Spanien, Germanien, Illyrien, Syrien rekrutierte; d. h. die Provinzen allein schützen sich hinfort selbst, ja, sie schützen auch Italien. Italien ist auf die Regimenter der Provinzialländer angewiesen. Nur unter den Offizieren sind noch Italiener. Woher wir das wissen? Wir werden darüber durch die zahlreichen Grabsteine von Soldaten belehrt, die gefunden sind und die vielfach die Heimatangabe enthalten. Es kam daher alles darauf an, für einen guten Nachwuchs römischer Mannschaften in den Provinzen, für eine Sicherung und Steigerung ihrer Kultur zu sorgen.Auf dem Trajansbogen in Benevent ist anscheinend diese Tatsache in einer symbolischen Szene verewigt. Je mehr dadurch das große Reich zu einer Einheit verwuchs, je mehr sank die Bedeutung des römischen hohen Senats, und die Teilnahme der Senatoren am Regiment wurde, bei aller Freundlichkeit des Herrschers, mehr und mehr illusorisch.
Nebenher gingen noch andere Verfügungen des Kaisers, unter denen uns eine besonders interessieren muß. Sie betrifft das Christentum oder besser die junge, aufkommende christliche Kirche, und zwar in Kleinasien. Denn in Kleinasien breitete sich die junge Kirche viel schneller aus als in Italien. Im Jahre 111 hören wir plötzlich von ihr. Plinius ist da der Verwalter Bithyniens und hat in der Stadt Nikomedien seinen Standort. Wir besitzen einen Haufen von Briefen Trajans, die er da auf Anfrage an diesen Verwalter Plinius richtete und die sachlich den trefflichsten Eindruck machen, wennschon sie im trockensten Kanzleistil abgefaßt sind. Wir sehen daraus wieder, wie die kaiserliche Regierung bestrebt ist, alle Verhältnisse im weiten Reich zu steigern; es handelt sich um Aquädukte, Turnanstalten, Herstellung von Wasserstraßen und Kanälen für den Warentransport u. a. m. Ratlos steht da Plinius der Christensache gegenüber; denn diese Christen bilden eine Gemeinde mit eigenen Beamten, eine Assoziation, und solche Assoziationen sind verboten. Das Vereinswesen war streng geregelt und vom Staat 277 beaufsichtigt. Plinius ist ein gründlicher und zugleich ein gutmütiger Mann; er dringt in die Geheimnisse der Gemeinde und findet sonst nichts Staatsgefährliches an ihr als den Trotz. Die da trotzig bleiben, läßt er tatsächlich hinrichten: viele aber fallen, als er ihnen die Strafe androht, von Christus ab und erzählen ihm dann, um ihn zu begütigen, daß die Christen eben nur Christus als Gott verehren, daß sie ferner Sonntagsmorgens in der Frühe zusammenkommen, ein Gemeindelied zusammen singen und sich durch Eid verpflichten, keine Sünde, keinen Diebstahl, keinen Ehebruch zu begehen; außerdem werde auch ein gemeinsames Mahl gehalten. Plinius sagt, die Göttertempel stünden – schon im Jahre 111 – unter dem Einfluß der christlichen Propaganda fast leer; aber jetzt werde wieder alles anders; die Propaganda sei aufgegeben.
Nun folgt Trajan und sein Kaiserwort. Er verfügte damals, was unendlich denkwürdig, daß der hartnäckige Christ zwar auch in Zukunft mit Tod zu strafen ist, daß die Regierung aber Konflikte ihrerseits nicht hervorrufen, die Sache möglichst unbeachtet lassen und sich nach dem, was diese Christen treiben, nicht weiter erkundigen soll. Dieser nach antiken Begriffen durchaus humane Grundsatz, der den Christen Verwicklungen ersparen will, weil diese schließlich doch auch für die Regierung unbequem sind und zu übermäßigem Blutvergießen Anlaß geben würden, dieser Grundsatz ist für mehr als hundert Jahre hernach maßgebende Richtschnur des römischen Kaisertums geblieben, und er hat vor allem geholfen, daß sich die Gemeinden bald genug als abgeschlossene Staaten im Staat festigten und daß die Bischöfe geradezu zu Machthabern neben den weltlichen Autoritäten wurden. Als die planvollen Christenverfolgungen begannen, war es zu spät; die ungeheuren Volksmassen ließen sich nicht mehr ausrotten, und jedes Martyrium steigerte nur den Andrang.
Dies die Christen. Noch viel langmütiger aber hat sich Trajan den Juden gezeigt; sie traten ihm selbst persönlich gegenüber, 278 und wir erleben geradezu eine Szene, die um das Jahr 114 spielt. Ein erst neuerdings zutage gekommener Originalbericht verhilft uns dazu. Ägypten war das Kronland der Kaiser. In Ägyptens Hauptstadt Alexandria aber saß eine hunderttausendköpfige, reiche Judenschaft, die sich streng absonderte in besonderen Quartieren und ständig den Haß der Griechen der Stadt erregte. Es gab immer neue Krawalle wildester Art. So auch jetzt. Um sich zu beschweren, kommt eine jüdische Gesandtschaft zu Trajan nach Rom. Sofort schicken auch die Griechen Gesandte. Der Kaiser empfängt zuerst die Juden feierlich. Die Kaiserin Plotina greift ein; sie setzt durch, daß auch die Herren vom Senat, die gewiß nicht sehr judenfreundlich waren, dabei zugegen sein müssen, und Trajan gibt nun den Juden recht; er streichelt sie mit den allergnädigsten Worten; die Griechen dagegen läßt er abfallen; sie werden hart von ihm angefahren. Aber siehe da, als er noch so spricht, fängt das Gottesbild des Serapis, das die Griechen aus Alexandria mit nach Rom gebracht haben, vor Unwillen an zu schwitzen; der ganze Hof erschrickt über das Wunder, und sogar in den Gassen Roms entsteht ein Auflauf, ein Entsetzen. Da erhalten wir einmal flüchtigen Einblick in das fremdartige Treiben jener Zeit und die Leidenschaften, die jene Südländer bewegten. Was bloß Volkshetze war, wurde zum Kampf des griechisch-ägyptischen Gottes Serapis gegen den Judengott gestempelt.Oxyrhynchos Papyri X Nr. 1224, drei abgerissene Papyrusblätter. Auf dem ersten steht, daß sowohl die Griechen wie die Juden ihre »Götter« mit nach Rom brachten; da bricht der Satz ab. Man möchte wissen, was da für jüdische Götter gemeint sind. Offenbar ist der Bericht von einem Vertreter der griechischen Partei abgefaßt.
Wer war in diesem Fall der eigentlich Schuldige? Bald genug, ja schon nach zwei Jahren, ging das Judentum seinerseits zum Angriff über und begann in Cypern und in Ägypten ein furchtbares Morden der Griechen. Die Leutseligkeit des Kaisers war vergeblich gewesen.
Schon aber kam der Kaiser selbst nach Asien. Es gab neue Römerschlachten. Der unruhige Kriegsmann konnte den Frieden nicht länger ertragen. Für den Winkelfanatismus der religiösen Sekten hatte er keinen Sinn; in ihm reckte sich noch einmal der römische Staatsbegriff, das Römertum selber auf, zu dessen 279 Wesen der Eroberungskrieg gehört, und streckte seine Tatzen. Die Daker hatte Trajan bezwungen; er wollte jetzt endlich auch noch die Parther am Tigris bändigen. Dieser kühne Partherkrieg ließ sich idealistisch begründen durch den Hinweis auf die Griechen, die zu schützen Roms Ehrenpflicht sei; denn Alexander der Große hatte dereinst tief bis nach Mesopotamien die griechische Kultur getragen, und am Tigris lagen herrliche Griechenstädte, wie Ktesiphon und Seleukia, von 600 000 Einwohnern, und sie waren nun in der Gewalt der Parther, der Barbaren. Vor allem war Armenien seit Lukulls Zeiten im Orient der bittersüße Zankapfel, in den sich beide, Rom und die Parther, verbissen hatten.
Rom hat seit Crassus nie erfolgreich gegen die Parther gekämpft; Cäsar ließ seinen Feldzug gegen sie zum Glück für seinen Ruhm unausgeführt, nur Mark Anton machte einen großartigen Versuch; der Versuch scheiterte nicht etwa an der Lauheit des Feldherrn, sondern an der außerordentlichen Schwierigkeit der Sache. Auch dem Trajan ist sie nicht ganz gelungen; und wenn er zunächst in den Jahren 114 bis 116 das, was dem Antonius mißlang, rasch und siegreich durchführte, so haben ihm nur ganz besonders günstige Umstände, die Thronwirren im Königshause der Parther, den Erfolg ermöglicht. Auf der Bahn Alexanders des Großen drang Trajan zielbewußt über den Euphrat bis nach Medien vor und setzte den Fuß auf Babylon; und rasch entschlossen, ja, nicht ohne Hast, errichtete er als Bollwerke im Osten gleich zwei, ja drei neue Reichsländer oder Provinzen: Armenien, Mesopotamien und Assyrien. So war es stets; um die eine Provinz zu sichern, mußten andere vorgelegt werden. Dann fuhr er noch den Persischen Meerbusen hinab, bis sich ihm der Indische Ozean öffnete, und baute schon eine Flotte, die nach Indien laufen sollte. Indien, der Traum so vieler Eroberer, auch Napoleons, des Korsen, wurde jetzt das Ziel der Sehnsucht auch für Trajan, den Spanier.
280 Aber in den neueroberten Ländern regten sich sofort schwere Aufstände. Auch war da eine märchenhafte arabische Wüstenstadt, Atra oder Hatra, die Trajan vergebens umritt, um sie zu nehmen. Sein neues Werk war noch keineswegs gesichert. Da erkrankte er, der sonst jedem Klimawechsel gewachsen war.Plin. cp. 15. Er will nach Italien eilen; sein Herz treibt ihn doch, in Rom zu sterben. Da erlag er plötzlich dem Schlagfluß, am 8. oder 9. August des Jahres 117. Rasch in allem, so war er auch im Sterben. Er starb in Kleinasien, Cilicien. Plotina war im Hauptquartier; die Kaiserin war bei ihm. Eine Riesenposition, wie sie noch nicht dagewesen, hinterließ er seinem Nachfolger.
Wer aber sollte der Nachfolger sein? Trajan, der umsichtigste der Organisatoren, hatte für einen Nachfolger nicht gesorgt. Jeder Mensch hat seine Schwäche; so hatte Trajan die Schwäche, an seine eigene Kraft und Unzerstörbarkeit zu glauben. Er rechnete nicht mit seinem Tod. Erst in der Todesstunde selbst führte er die wohl seit langem beabsichtigte Adoption des Hadrianus aus, vor der er sich immer gescheut hatte. Plotina zwang ihn dazu. Diese Adoption ist die Tat der Kaiserin gewesen. Trajan wünschte sich einen anderen Mann, einen Vollblutsoldaten, als Erben. Aber er hat ihn nicht gefunden. Hadrian, der Mann mit der weichen Hand, war nicht nach seinem Sinn.
So war das Leben Trajans. Dieser»herkulische« Mann ging zwanzig Jahre über die Welt hin, wie das Schicksal, wie ein gnädiges Schicksal; aber er selbst hat, können wir sagen, eigentlich kein Schicksal gehabt. Er selbst erlebte nichts umstürzend Persönliches, was ihn uns menschlich nahe bringt. So geht es den Lichtfiguren: je weniger Schatten sie trifft, je lichter sie sind, je ungreifbarer werden sie für uns. Auch kennen wir seine Jugendzeit nicht, und es ist nichts irgendwie Pikantes zu berichten.
Sein Andenken aber ist so ewig wie Rom und die Trajanssäule, und auch das Beiwort »der Beste«, optimus, das der Senat ihm verlieh, blieb an ihm haften. Denn er war die 281 Güte selbst, ein Wohltäter des Menschengeschlechts gewesen.Plin. 90. Lange blieb es Sitte, daß der Senat jeden neuen Kaiser mit dem herausfordernden Zuruf ärgerte: »werde noch besser, als Trajan war.« Optimus, so hieß sonst nur der große Gott Jupiter. Trajan wurde geradezu mit Jupiter gleichgesetzt, oder er hieß doch der Stellvertreter des höchsten Gottes. »In dir leben und sind wir,« sagt Plinius zu ihm inmitten des Senats.Plin. 72, vgl. auch 80. Diese Kaiserverehrung hatte vollständig religiösen Ton; der Kaiser war eine Fleischwerdung, eine Inkarnation des höchsten Gottes.
So die Römer selbst. Anders stand es bei uns Deutschen. Bei den Germanen hat der Name des großen Herrschers zu dem sonderbarsten Mißverständnis Anlaß gegeben; denn man machte in blindem Unverstand Trojanus daraus. Bei Xanten am Rhein hatte Trajan die Festung Colonia Trajana erbaut. Das ungebildete Volk nannte das aber schon in ganz alten Zeiten Colonia Trojana, die »Trojanische Kolonie«.So auf der Tabula Peutingeriana. Bei Xanten saß nun der mächtige Stamm der Franken, und so kommt es, daß die Franken seitdem steif und fest behaupteten, daß sie selbst Trojaner seien, aus Troja eingewandert, eine trojanische Kolonie am Rhein. Auch den Namen der Stadt Xanten leitete man von dem Fluß Xanthus bei Troja her. Dieser Wahn hat sich dann überhaupt auf alle Anwohner des mittleren und unteren Rheins weiter ausgedehnt, und so steht dieselbe Fabelei sogar in der nordischen Edda zu lesen, und auch in unserem Nibelungenlied heißt der grimme Held Hagen »Hagen von Tronje«, d. i. »Hagen aus Troja«Vgl. Rheinisches Museum 51, S. 508–518 Hagen ein Vetter des Paris, oder ein Neffe der Kassandra! Die Geschichte spielt oft wunderbar. Wir erkennen darin die Allmacht der Sagenbildung. Die üppig wuchernde Sage schlingt sich wie Efeu und Lianen erstickend um das, was bloß historisch ist. Trajan selbst war längst vergessen; aber Hektor und Priamus, die Helden der trojanischen Sage, leben ewig; sie lebten selbst bei diesen nordischen Völkern auf. 283