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Professor Felix Laßberg-Budde war heute abend etwas spät aus dem Laboratorium nach Hause gekommen, um mit seiner Frau zu Abend zu speisen. Er war ein jüngerer Chemiker von großem Ruf, den er der Entdeckung von früher unbekannten Eigenschaften gewisser zuletzt aufgefundener Elemente verdankte, überaus fleißig und um seines frischen Wesens willen bei seinen Studenten sehr beliebt. Vor zwei Jahren hatte er eine junge, kinderlose Frau geheiratet, die Witwe des Besitzers einer großen chemischen Fabrik; er hatte nach seiner Studienzeit vorübergehend in dieser Fabrik gearbeitet und dann vertragsmäßig im Verhältnis einer informierenden und beratenden wissenschaftlichen Autorität zu dem Betriebe und nebenbei in freundschaftlichen Beziehungen zu dem alternden Eigentümer und seiner schönen, stattlichen, lebhaften und geistvollen Frau gestanden; und der Besitz fiel ihm nach dem plötzlichen Tode ihres Gatten wie eine reife Frucht in den Schoß.
Mit ihm ein beträchtliches Vermögen. Sie konnten sich beide einen sehr komfortablen Haushalt im Hansaviertel des Westens gestatten.
Vorläufig nahmen sie an den Genüssen der Hauptstadt sehr mäßig und mit Auswahl teil. Sie liebten sich beide zu sehr, hatten einander geistig zu viel zu bieten, um nicht den Verkehr unter sich wenigstens ein paar Jahre lang allen Genüssen vorzuziehen, die ihnen die übrige Welt bot. Vor allem verfügten beide über so viel Humor, wie nötig ist, um die Ermüdung von einem Verkehr zu zweien fern zu halten.
Die glänzende Glühlichtkrone aus Messing warf ihren blendenden Schein über den gedeckten Tisch voller Speisereste; die Frau Professor schälte sich eine Apfelsine zum Nachtisch, während der Hausherr den Lokalanzeiger in der Hand hielt und, in den Stuhl zurückgelehnt, die Neuigkeiten überflog.
Plötzlich fiel ein Stück Apfelsinenschale darauf.
»Die alberne Zeitung,« sagte die Frau Professor, das erste Stückchen der Frucht in den Mund steckend.
»Oho,« lächelte er und bückte sich, um das Wurfgeschoß vom Teppich aufzuheben. »Ich lese ja schon den Lokalanzeiger, ums kurz zu machen. Was ist denn heute mit dir?«
»Ich bin übermütig.«
»Das scheint so.«
»Ich möchte heute noch irgend etwas ausführen, etwas Verrücktes. Irgendwohin schwirren, wo es recht sonderbar zugeht. Sieh doch in den Anzeigen nach, was es heute gibt.«
»Soll ich mitkommen?« sagte er, das Blatt umschlagend.
»Dummer! Ich brauch dich doch, um hinterher sagen zu können, daß du schuld gewesen wärest.«
»Nun – wie wärs mit einem Witwenball? – Oder dem Trommlerverein Treuinnig ...«
»Ach du ...« Sie erhob sich, nahm ihm blitzschnell das Blatt aus der Hand, breitete es auf dem Tische aus, nachdem sie ein paar Teller fortgeschoben, und legte sich darüber. »Ach ... da hin; darauf bin ich schon lange aus.«
Sie zeigte auf eine Stelle und schob ihm das Blatt zu. Er las:
»Verein Neulicht. Vortrag über die Geisterwelt im Licht des Spiritismus und dessen wissenschaftliche Vertretung. Kant, Schopenhauer, Aksakow, Wallace, Crookes, Professor Zöllner, Carl du Prel und andere. Mit Experimenten: Tischrücken, Geisterklopfen, magnetische Kraftwirkungen u. dergl. Eintrittspreis 50 Pfennig.«
Als Lokal war eine Wirtschaft in einer belebten Straße des Nordens angegeben.
»Puh!« machte der Professor. »Wofür gute Namen alles gemißbraucht werden. Dann aber bitte sehr inkognito, das heißt in einfachster Toilette! Wir werden wahrscheinlich in sehr sonderbarer Gesellschaft figurieren.«
»Na natürlich so wie wir sind.«
Er musterte ihre schlanke Gestalt im blauen Tuchkleide und rümpfte die Nase, während sie ihn mit den klugen, übermütigen graudunklen Augen anblitzte. »Du – hast du nicht noch ein einfacheres Kostüm?«
»Nein,« lachte sie, und plötzlich griff sie nach der elektrischen Birne unter der Gaskrone und drückte. Auf das feine Klirren draußen trat der Diener ins Zimmer.
»Peter, rufen Sie mir die Meta herein. Sie können abräumen.«
Der Diener ging und kehrte mit dem Mädchen zurück, worauf er sich daran machte, die Teller zusammen zu nehmen.
»Meta,« sagte die Frau Professor, »bringen Sie mir, bitte, Ihren schwarzen Umhang herein. Ich will damit ausgehen.«
»Jawohl, gnädige Frau,« sagte das Mädchen mit verwunderten Augen und verschwand.
»Du bist nicht gescheit, Paula,« kopfschüttelte der Professor. »Nächstens kommt sie und will in deinem Abendmantel ausfliegen.«
»Du hasts gewollt, nun schick dich drein.«
Meta brachte den Umhang, der, wie die Probe ergab, paßte. »Der steht Ihnen ganz gut, gnädige Frau,« sagte sie nicht ohne Stolz.
»Jawohl. Und Sie bekommen ihn unversehrt wieder – hoffe ich, sonst kaufe ich Ihnen einen neuen. Bringen Sie mir noch meinen grauen Hut und die braunen Handschuh, die am meisten gebraucht sind. Vorwärts, du, mein Lieber, jetzt keine Müdigkeit vorschützen!«
Ein paar Minuten nachher waren Professors auf der Straße, wo die Laternen trübe in der nebligkühlen Herbstluft flimmerten. Frau Paula hatte den Arm des Gatten genommen und strebte mit dem ihr eigenen, tapferen, federnden Schritt vorwärts.
»Ich hoffe, das gibt einen Hauptspaß,« sagte sie und quetschte vor Vergnügen seinen Arm. »Das Gruseln, wenn so ein Geist erscheint, denke ich mir hochpikant.«
»Wir sind weit gekommen am Ende des neunzehnten Jahrhunderts, Schatz. Es soll ja vierzig Millionen Spiritisten geben, wenigstens nach der Angabe der Herren selber. Dieser amerikanische Humbug frißt wie ein geistiger Krebsschaden in der Stille weiter: wenn er sich mal in der Öffentlichkeit mausig macht, gibts eine Entlarvung, aber das verpufft rasch.«
»Du glaubst, es ist alles Schwindel?«
»Der reinste Schwindel.«
»Aber manches doch nicht, zum Beispiel der Hypnotismus.«
»Dabei handelt es sich um die wissenschaftlich konstatierte Möglichkeit, in einer Schlaflähmung den anderen sozusagen nach Wunsch träumen zu machen, seine geistigen Funktionen zu beeinflussen. Das hat mit dem Spiritismus nichts zu tun. Der ganze tatsächliche Kern dieses Unfugs wird wohl nach und nach in ähnlicher Weise seine Erklärung finden, der Rest ist Selbsttäuschung oder Schwindel.«
»Meinst du?«
»Natürlich. Wir brauchen keine vierte Dimension als Erklärung, wie sie der unglückliche Zöllner erfunden hat, um die Taschenspielereien Slades zu erklären.«
Sie überschritten Alt-Moabit, in fliegender Eile, um einer Straßenbahn zuvorzukommen.
»Ich habe noch niemand gesprochen, dem etwas Geisterhaftes begegnet wäre,« sagte Paula drüben.
»So? Da frag meine Schwester Mia. Die wird dir beschwören, daß im Moment, wo unsere Schwägerin in Leipzig gestorben, ihr von einem Kaffeeservice, das sie gerade in die Stube getragen, die Kanne ganz unvermittelt herausgesprungen und auf dem Fußboden zerschellt sei. Außerdem leidet sie an Wahrträumen, von denen zwei allerdings bezeugt sind.«
»Erzähle, erzähle – sie hat mir nie davon gesagt.«
»Nun: sie hat nachher den Nachlaß der Schwägerin geordnet und konnte durchaus den Schlüssel zu einer Kommode nicht finden. In der Nacht träumt sie: die Tür geht auf, die Schwägerin tritt herein, setzt sich gleichmütig zu ihr auf den Bettrand und sagt: Ihr sucht den Kommodenschlüssel – nebenan im Eckschrank hängt ein alter Rock von mir, suche in der Tasche, darin ist er. Nickt ihr lächelnd zu, geht hinaus. Früh ist Mias erstes, in den Schrank zu gehen. Da hängt der bezeichnete Rock, in der Tasche befindet sich der Schlüssel.«
»Ah – das ist doch interessant.«
»Eine ältere Geschichte ist die: Mein Vater hatte einen Garten gepachtet, wohnte über die Straße gegenüber. Ich war damals schon aus dem Hause. Eines Abends kommt mein Vater aus dem Garten und sagt: Kinder, zündet doch eine Laterne an, ich habe drüben meinen Trauring verloren. Sie gehen hinüber, suchen, finden ihn nicht. In der Nacht träumt Mia: sie geht in den Garten, an einen Komposthaufen, stöbert eine Stelle auf – unter der Erde liegt der Ring. Früh erzählt sie das; man begibt sich in den Garten, sie bezeichnet die Stelle – in der Tat, dort kratzt man den Ring heraus.«
»Aber das ist ja verblüffend,« rief Paula aufgeregt. »Und das sind Tatsachen?«
»Ja, mein Vater hats mir bestätigt. Ich muß es schlechterdings als Tatsache hinnehmen – das letzte nämlich. Für das übrige muß ich mich allerdings auf Mia verlassen ... 26 ... 27 ... da sind wir ja.«
Ein offener Torweg, seitlich an der Hauswand ein rotes Plakat mit dem Wortlaut der Annonce. Paula ließ ihren Mann los, der aus einen kleinen Hof zusteuerte. Am Hinterhause leuchtete wieder das rote Plakat. Sie stiegen eine Treppe hinauf, ohne Gelegenheit, jemand zu befragen. Eine Glastür zeigte ein Vorzimmerchen, in dem eine Frauensperson an einem Kassentischchen saß und Geld zählte.
»Aha, hier wirds sein.«
Sie traten ein; die Frau bestätigte die Vermutung, überreichte ihnen für Geld zwei Billetts. Man hörte eine sonore Männerstimme hinter einer Tür dozieren.
»Hat der Vortrag schon lange begonnen?« fragte der Professor.
»Noch nicht lange, mein Herr.«
Ein leidlich gefüllter Saal; auf einem Podium neben einem Tisch der Sprecher, ein kräftiger Mann mit breitem, nur schwachen Bartwuchs ausweisendem Gesicht, der sich nicht stören ließ. Auch die Zuhörer nahmen nur vereinzelt von den Ankömmlingen Notiz. Das Paar beeilte sich, hinten zwei freie Stühle zu gewinnen.
Das Publikum, soweit sie es zu übersehen vermochten, schien dem kleinen Mittelstande anzugehören. Überwiegend junge Leute – ah, da gab es auch Studenten, und den einen kannte der Professor, durch seinen Versuch einer kurzen Verbeugung aufmerksam gemacht. Das war ihm peinlich und er runzelte die Brauen.
»Da haben wirs,« flüsterte er Paula zu. »Dort sitzt einer meiner Studenten.«
»Pst!« erscholl es seitwärts. Ein so aufmerksames Publikum, wie sichs ein Professor nur wünschen kann.
Der Vortragende war ein Rednertalent. Oder: er sprach so fließend, wie einer, der seinen Stoff beherrscht und das nämliche schon hundertmal vor einer respektvollen Versammlung auseinandergesetzt hat.
»Sie sehen, der Spiritismus ist nicht von heut und gestern, hat eine lange Geschichte, die wir bis zu den ältesten bekannten Völkern zurückverfolgen können, den asiatischen Kulturvölkern in Hinter- wie Vorderasien, den Ägyptern, den Griechen und Römern, den mittelalterlichen Kulturvölkern Europas, über die scheinbare Lücke während der sogenannten Aufklärungsperiode des achtzehnten Jahrhunderts zu Kant und Swedenborg, Jung-Stilling und Justinus Kerner. Vergebens ereiferte sich der stumpfsinnige Materialismus der nächsten Zeit, ihn auszurotten – von Amerika, wo man sich nicht von sogenannten Autoritäten dumm machen läßt, nahm er einen Siegeslauf über den Ozean, der nicht eher zur Ruhe kommen wird, als bis das Vorurteilsvollste, was es gibt, die sogenannte exakte Wissenschaft, die Waffen strecken wird und eingestehen, was schon längst einer der größten Geister aller Zeiten ausgesprochen hat: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als wir uns träumen ließen ...«
»Der Mann wird grob,« flüsterte der Professor.
»Pst!« scholl es prompt dahinter, und ein paar Gesichter fuhren herum; eine Frauensperson, die wie ein Hökerweib im Sonntagsstaat aussah, warf dem Störer wütende Blicke zu.
»Wissenschaft –« fuhr der Redner mit Stentorstimme sittlich entrüstet fort, »was heißt Wissenschaft? Ist es wissenschaftlich, eine geschichtlich aufgespeicherte, allen Zeiten entnommene, geradezu ungeheuere Fülle von Tatsachen, welche die Existenz einer übersinnlichen Welt bezeugen, einfach für Täuschung oder Schwindel zu erklären, während doch die Religionen aller Zeiten und Völker, ja das ganze vieltausendjährige Kulturleben der Menschheit auf der Überzeugung aufgebaut sind, daß eine solche übersinnliche Welt, in der wir nach dem Tode fortleben, existiert und ein Verkehr zwischen dem Diesseits und Jenseits besteht? Mit hochmütigem Achselzucken, meine Herren Gelehrten, schafft ihr keine Tatsachen aus der Welt. Glaubt ihr wirklich, daß der Spiritismus im neunzehnten Jahrhundert vierzig Millionen Anhänger hätte gewinnen können, der Spiritismus, den ihr mit eurem Anathema belegt habt, wenn man nicht jederzeit die Beweise für das Dasein einer Geisterwelt mit Händen greifen könnte? Haltet ihr es im Ernst für möglich, daß ein Mann wie der große englische Physiker Crookes, dem wir die Crookes'schen Röhren verdanken, so blödsinnig gewesen, sich von einem Frauenzimmer, das sich Kate King nannte, und für einen Spirit, eine Geistermanifestation ausgab, Jahr und Tag an der Nase herumführen zu lassen? Einem Spirit, der sich in seinem Laboratorium ihm zur Verfügung stellte, erschien und verschwand, ihm erlaubte, alle Mittel der Wissenschaft zu Hilfe zu nehmen, um sich zu überzeugen, daß er es mit einem übersinnlichen Wesen zu tun habe? Die Schwindlerin oder Taschenspielerin möchte ich sehen, die einer solchen Beobachtung und Untersuchung auch nur einen Monat stand hielte, ohne entlarvt zu werden.
Nein, meine Herrschaften: Ihre verstorbenen Lieben haben nur ihre vernutzten Puppenhülsen abgestreift, leben in einer andern Daseinsform weiter, Sie können sie unter Umständen schon im Diesseits wiedersehen, ihnen die Hände reichen, mit ihnen reden, wie das Hunderten geschehen ist. Wenn das in Deutschland noch nicht geschieht, so liegt das daran, daß sich bei uns noch keine Medien dafür ausgebildet haben wie in Amerika und England. Denn die Geister brauchen, wie ich schon auseinandergesetzt habe, menschlichen Stoff, um sich darin zu kleiden, sich zu materialisieren, wie man das nennt; und die Fähigkeit, ihnen diesen zur Verfügung zu stellen, muß entwickelt werden. Die Personen, denen dies am leichtesten wird, nennt man eben Materialisationsmedien. Aber es bedarf nicht dieser letzten und höchsten Offenbarungsform, um sich über die Existenz von Geistern zu vergewissern. Wie Sie sehen werden, genügt dieses Tischchen hier.
Ich mache jetzt eine Pause, alsdann werden wir uns ein wenig mit ihm beschäftigen. Zuvor lege ich allerdings noch einmal den Finger auf die früher gemachte Bemerkung: Geister offenbaren sich nur, wenn sie wollen; man kann sie nicht wie einen Pudel über den Stock springen lassen. Man kann bei einer Sitzung wider Erwarten einen glänzenden Test erhalten, und es kann ebensogut gar nichts dabei herauskommen.«
Der Redner machte eine Verbeugung und stieg von dem Podium herab, während er mit einem bunten Taschentuche die kahle Stirn trocknete.
»Aha,« sagte der Professor, »so saldiert man sich. Bleib sitzen, ich werde mir die Gesellschaft einmal etwas näher ansehen.«
Die Versammlung lockerte sich, man stand auf; Kellner mit Biergläsern erschienen. Der Raum mit den grau gestrichenen, mit primitiven Malereien verzierten Wänden, die nur durch etliche schlechte Gipsbüsten auf Konsolen unterbrochen waren, mit dem abgetretenen und abgescheuerten Fußboden, in der mäßigen Gasbeleuchtung einiger Kronenflammen machte jetzt erst recht den Eindruck eines verbrauchten Vorstadtlokals. Frau Paula fühlte einiges Unbehagen: ihre Hoffnungen, hier das angenehme Gruseln bei Geistererscheinungen zu genießen, waren stark herabgestimmt. Aber bald fesselte eine Gruppe, die sich in ihrer Nähe bildete, ihre Aufmerksamkeit.
Eine verkümmert aussehende Frauengestalt in jüngeren Jahren, in grün und braun kariertem Cape, einen kaum mittelgroßen Mann neben sich, dessen runder struppiger Kopf auf einem Stiernacken saß, sprach zu ihrer neugierig lauschenden Umgebung. Die flachen, bartlosen Gesichtszüge des Mannes hatten etwas Stumpfsinniges, während aus ihren braunen Augen ein gewisser Fanatismus leuchtete und ihre verschleierte Stimme mit harter Betonung dozierte.
»Unsere Freunde, die Geister, haben uns noch nie im Stich gelassen. Ich brauche nur die Hände auf den Tisch zu legen, so antwortet einer mit dem Tische.«
»Was kommt denn dabei heraus?« fragte ein junger Mann achtungsvoll.
»Offenbarung natürlich,« sagte die Frau wichtig. »Was, Mann? Was wir da alles erfahren haben?«
»Jawohl,« erwiderte der Stumpfsinnige.
»Sie glauben nicht, wieviel Herrschaften zu uns kommen und von den Geistern was erfahren wollen,« fuhr die Frau mit Selbstgefühl fort. »Und immer hats gestimmt. Jawohl, da hat schon mancher guten Rat gekriegt, aber mancher auch Schlechtes erfahren, wies trifft: Tod und Heiratssachen und Geschäftssachen ...«
Paula war aufgestanden und zu der Gruppe getreten; zwei junge Leute hatten ihr respektvoll Platz gemacht. Zugleich hatte sich ein mittelgroßer, breitschultriger, kurzhalsiger Mann genähert, mit eigentümlich spitz geformtem Kopf, dessen blonder dünner Haarwuchs hinten ungewöhnlich lang in den Nacken fiel. Das gerötete Gesicht, nach unten zu sich verbreiternd, hatte etwas Froschartiges in der Mundpartie, im übrigen einen jovialen Ausdruck, zu dem die etwas vorquellenden kleinen, lebhaft glitzernden Augen stimmten. Um den Mund hing dünner, strähniger Bart.
Irgend etwas wie ein Künstler, dachte Paula. Dann sagte sie zu der Grün- und Braunkarierten: »Wo wohnen Sie denn?«
»Mulacksgasse 5, meine Gnädige,« war die Antwort. »Wenn Sie uns mal beehren wollen ...«
Der Professor hatte sich inzwischen zum Podium vorgewunden. Seitlich von diesem, links, schien der Platz für einen kleinen Kreis Auserwählter reserviert zu sein, die der besseren Gesellschaft angehörten, Herren und Damen. Der Redner stand dort zusammen mit drei Herren, von denen einer wie ein pensionierter Militär aussah, außer ihm ein junger Mann und ein etwas älterer, beide distinguierte, hochgewachsene Erscheinungen. Plötzlich stutzte der Professor und murmelte vor sich hin: »Donnerwetter, das ist ja doch ...«
Langsam näherte er sich der Gruppe. Da wurde der ältere schlanke Herr seiner gewahr, bei einem gelegentlichen Blick auf den Saal. Rasch löste er sich von den anderen und trat auf den Professor zu, ihm die Hand entgegenstreckend, wobei er ihm abwehrend zublinzelte. Der war sichtlich verblüfft.
»Hoheit ...«
»Pst! Inkognito, Herr Professor, ganz inkognito, wenn ich bitten darf. Ich bin der Hauptmann Müller! Ei ei – sind Sie Spiritist oder wollen Sie's werden?«
Das feine Gelehrtengesicht des Professors zeigte ein verständnisvolles Lächeln. »Doktor Meier, wenn ich bitten darf, Herr Hauptmann! Meine Frau hat mich hergeschleppt, sie versprach sich die pikantesten Aufregungen von diesem Abend.«
»Ach, Ihre Frau Gemahlin ist hier? Da darf ich wohl nachher ersuchen, mich vorzustellen ... ja so, ich bin ja inkognito hier. Also vermitteln Sie ihre Bekanntschaft mit dem Hauptmann Müller! bitte, und klären Sie sie später auf. Wie finden Sie diese Soiree? Der Mann sprach gar nicht dumm. Ich habe mir vorgenommen, der ganzen Frage auf den Grund zu gehen, und es scheint, daß dieser Herr Wellmer dafür geeignet ist. Kommen Sie – wie war doch ... ach ja, Doktor Meier ... Hier Herr Doktor Meier, meine Herrschaften, ein Bekannter von mir – Herr Wellmer – Herr Hauptmann Sandvoß – Herr Assessor Ernst. Verzeihung, Herr Hauptmann, ich überhörte, ... der Herr Doktor Meier wird sicherlich nicht minder gern wie ich zuhören ...« und zu dem Professor gewendet: »Der Herr Hauptmann hat nämlich in New-York einer Materialisation beigewohnt.«
Die Herren verneigten sich. Hauptmann Sandvoß erzählte, gegen den Professor hin:
»Ich hatte in einer Patentsache in New-York zu tun, nahm meine Frau mit, und uns schloß sich ein Bekannter an, in dessen Hause wir früher den Schriftsteller Mels kennen gelernt. Dieser Mels war Spiritist, wir nicht. Er hatte unserem Bekannten, dem er intim nahe stand, versprochen, wenn möglich, nach dem Tode sich zu zeigen. Wir kamen drüben mit Leuten zusammen, die, als wir auf den Spiritismus zu sprechen kamen, es übernahmen, sich nach Medien für uns umzusehen. Der Versuch bei dem ersten Medium mißglückte; doch wies man uns an ein anderes. Und da war es, wo aus einem kleinen, aus Latten und Vorhängen gebildeten Kabinett, das, wie wir untersucht, verrückbar auf den nichts Verdächtiges aufweisenden Dielen stand und in dem nur das Medium, eine Frauensperson, Platz hatte, nacheinander Gestalten traten, die von einem und dem anderen der Anwesenden als verstorbene Bekannte oder Verwandte begrüßt wurden, mit ihnen sprachen und wieder im Kabinett verschwanden. Ist ein Mister Ahlwardt anwesend? fragte es aus dem Kabinett. Ja, antwortete unser Bekannter. Hier ist ein Spirit, der ihn zu sprechen wünscht und sich Mels nennt, sagte es im Kabinett. Und der Vorhang teilte sich und heraus trat Mels, von dem wir wußten, daß er in Amerika verstorben war, nickte mir und meiner Frau zu und dann unserem Bekannten, der einige Plätze von uns entfernt saß, trat zu diesem, und wir hörten ihn leise auf ihn einsprechen. Schließlich gab er ihm die Hand und zog sich in das Kabinett zurück, in einer seltsamen Verwandlung begriffen, wie es schien, denn es war, als ob Teile von ihm sich auflösten, verschwänden ...«
»Und Ihr Bekannter war überzeugt, daß wirklich jener Mels es war, der mit ihm gesprochen?« fragte hier der Inkognito-Hauptmann Müller interessiert.
»Vollkommen überzeugt.«
»Und Sie konnten nicht im Zweifel sein, daß dieser Mels wirklich bereits gestorben war?«
»Das stand außer Zweifel.«
»Was sagen Sie, Doktor? Möchte verteufelt gern mal so etwas sehen. In Deutschland gibts solche Medien nicht, wenn ich Sie recht verstanden, Herr Wellmer?«
Der zuckte die Achseln. »Leider nein, meine Herren. Sonst wären wir im Spiritismus hier längst weiter, und ich brauchte nicht immer wieder die Anfangsgründe der spiritistischen Wissenschaft in meinen Vorträgen durchzukauen ... Aber verzeihen Sie, das Publikum wird ungeduldig ...«
Er betrat wieder das Podium und schellte, worauf er Freiwillige zur Untersuchung ihrer medialen Eigenschaften zu sich bat.
»Verzeihung,« sagte der Professor halblaut, »ich möchte meine Frau einlösen.«
Er ging wieder zurück in den Saal, während ein halbes Dutzend Personen an ihm vorbei sich dem Podium zu bewegten. Frau Paula stand noch immer bei der karierten Geisterfreundin und deren Ehegemahl aus der Mulacksgasse: der Mann mit dem Künstlerkopf schien mit den beiden in Differenzen geraten zu sein, denn die Frau redete erregt und sichtlich beleidigt auf ihn ein. »Ich brauche mir wohl vor Ihnen nicht zu verteidigen,« hörte der Professor sie beim Näherkommen sagen. »Sie brauchen auch gar nicht zu uns zu kommen; es kommen ganz andere Leute zu uns, die wissen besser ob wir schwindeln oder nicht, wie Sie.«
Der Gegenstand ihres Grolles machte ernsthaften Gesichtes eine Rundbewegung mit den Armen über den Kreis von Zuhörern hin, der sich um sie gesammelt. »Geehrte Anwesende,« sagte er feierlich, »ich rufe Sie zu Zeugen dafür an, daß diese Dame mich zu meiner aufrichtigen Betrübnis total mißverstanden hat. Habe ich von ihr gesagt, daß sie schwindeln könnte, oder nicht vielmehr von den Geistern? Und hat nicht Herr Wellmer vorhin selber auseinandergesetzt, daß die Geister, die sich offenbaren, gewöhnlich faule Köpfe sind? Im Gegenteil, ich habe mir gerade darum Ihre Adresse notiert, weil ich an Ihrer Hand auf die ehrlichste und anständigste Weise die nähere Bekanntschaft mit dem verehrten Jenseits zu machen Hoffnung habe –«
»Das können Sie auch ...«
Paula war zu ihrem Manne getreten und ließ sich von ihm fortführen.
»Was war da los?«
»Das ist ein origineller Kauz – er hat die Frau angeärgert, die ihrer Aussage nach immer das Haus voll Geister hat und von ihnen Offenbarungen erhält – die Frau macht einen unheimlich überzeugten Eindruck ...«
»Und dort ist ein Hauptmann mit seiner Frau, von der du dir noch einmal erzählen lassen kannst, was er mir erzählt hat: das Erlebnis einer Materialisation, einer vollkommen körperlichen Geistererscheinung ... ich werde dich einem Herrn da zuführen, der dir vorgestellt zu sein wünscht; weißt du, wer da ist?«
»Nun?«
»Prinz Georg.«
»Nicht möglich ... dein Prinz, mit dem du den Kursus abgehalten?«
»Derselbe. Aber wir heißen Doktor Meiers, verstehst du? und er Hauptmann Müller. Verschnappe dich nicht, ich sollte eigentlich erst später das Inkognito lüften.«
»Du, ich graule mich ...«
»Das hast du gar nicht nötig.«
Sie waren bis zum Podium gelangt, und der Professor stellte vor. Die Verneigung von Paula fiel doch so tief aus, daß der Prinz ihrem Gatten lächelnd mit dem Finger drohte. Ein paar artige Worte, dann bat der Professor den Hauptmann Sandvoß, die Bekanntschaft zwischen den Damen zu vermitteln, und bald darauf saß Paula und hörte von der merkwürdigen Materialisation in dem New-Yorker Zirkel aus dem Munde der Frau Hauptmann.
Die Männer beobachteten das Podium. Wellmer hatte den zu ihm hinaufgestiegenen Personen nacheinander die gespreizten Hände hinter die Köpfe gehalten, worauf sie sämtlich mehr oder weniger bald mit dem Oberkörper ins Vorwärtsschwanken geraten waren. Er bezeichnete jetzt drei junge Männer und ein junges Mädchen, ein hübsches, blasses, blondes Geschöpf, rückte ihnen vier Stühle um ein Tischchen zurecht und bat sie, sich zu setzen und die Hände aufzulegen. Das Publikum im Saale hatte sich herzugedrängt und stand mit gespannten Gesichtern.
»Gott zum Gruß – sind Geister hier?« fragte Wellmers Stimme jetzt. Atemlose Stille. Der Tisch hob sich langsam auf einer Seite und klappte wieder nieder.
»Ich werde fragen und dann das Alphabet sagen; die Buchstaben, die der Tisch bezeichnet, sollen die Antwort ergeben. Klappt der Tisch dreimal, so soll es ja, klappt er einmal, nein heißen. Also: Willst du uns deinen Namen sagen?«
Tischantwort: »Ja.« Und in der Folge die Buchstaben: O–t–t–o.
»Aha – der Kontroll-Otto; er meldet sich wie gewöhnlich sofort. Erst seit seinem Auftauchen sind in Berlin öffentliche Séancen gar kein Wagnis mehr. Im übrigen ist er ein arger Schwindler. – Ist noch ein anderer Geist hier, der uns antworten will?«
Tischantwort: »Ja.«
»Wie heißt du?«
Die mit schwerfälligem Stampfen markierten Buchstaben ergeben: Albert Hahn.
»Du bist der Geist eines Verstorbenen?«
»Ja.«
»Wann bist du gestorben? Im letzten Jahrzehnt?«
»Ja.
»In der ersten Hälfte?«
»Nein.«
Die weiteren Fragen: vor vier – drei Jahren endigten mit ja für letzteren Zeitpunkt: als Datum bezeichnete der Tisch den 4. Dezember, als Sterbehaus Nr. 7 der Prinzenstraße.
»Sie sehen, meine Herrschaften, diese Art der Kommunikation mit den Geistern ist ziemlich umständlich. Einfacher ist folgendes Verfahren: Man schreibt auf einen Bogen kreisförmig, in Art eines Uhrzifferblattes, die Buchstaben des Alphabetes auf, ebenso die Ziffern von Null bis neun; ferner abkürzende Antworten wie nein und ja in die Ecken. In die Mitte stellt man ein leichtes Wasserglas umgestülpt, zieht mit Bleistift einen Kreis darum. Dann legen zwei Personen je zwei Finger auf den Boden des Glases, das sich nach kürzerer oder längerer Zeit zu bewegen anfangen wird, von Buchstabe zu Buchstabe wandernd antwortet. Zu Schreibmedien geeignete Personen haben es noch bequemer: sie legen die Hand auf ein dreieckiges, auf Räderchen und der Spitze eines durchgesteckten Bleistiftes stehendes Brettchen; nach einiger Zeit wird der Bleistift zu schreiben anfangen. Solche Medien entwickeln sich unter Umständen sogar zu Hörmedien, das ist natürlich das allerbequemste. Auch ein Ring, an einem Faden von einer medial veranlagten Person in ein leeres Glas gehalten, wird vielfach als Verständigungsmittel statt eines Tisches benutzt. Sie können zu Hause ja Proben auf die verschiedenen Arten machen. Nur rechnen Sie nicht auf wertvolle Offenbarungen. Es hat sich, wie schon gesagt, durchweg ergeben, daß die zum Verkehr mit der Erde bereitwilligsten Geister niedrigstehende Taugenichtse sind, vielfach höchst verlogene, rohe, ja schmutzige Patrone. Sie müssen nicht denken, daß wir alle nach dem Tode Engel und aller Weisheit kund werden; die Entwickelung zum Höheren geht auch drüben nur langsam weiter; Sie können nicht erwarten, daß jemand, der sein Leben lang in seinem Keller Weißbierkruken zugebunden hat, auf einmal ein Philosoph wird. Die Geister unterscheiden sich in der transzendentalen Existenz zuerst nur wenig von ihrer Erdenbeschaffenheit. – Versuchen Sie jetzt einmal, unter sich mit einem Tisch fertig zu werden, meine Herrschaften.«
Er stieg vom Podium herab und trat wieder zu den Herren, mit der Miene eines Mannes, der sein Geschäft besorgt hat und geneigt ist, sich unter seinesgleichen als Mensch zu erholen. Im Saale hatten sich bereits eine ganze Anzahl von Tischsitzungen etabliert: ein Teil des Publikums begann sich zu entfernen. Der Prinz zog die Uhr. Die Zeit war bis gegen Mitternacht vorgerückt. »Ich denke, wir müssen gehen, lieber Ernst,« wandte er sich mit flüchtigem Kopfnicken zu dem »Assessor.« »Bleiben Sie noch, Herr Doktor?«
»Ich denke nicht,« sagte der Professor. »Paula!«
»Ah,« meinte Wellmer händereibend, »wollen die Herrschaften nicht unten noch ein Glas Bier mit mir trinken?«
Über das Gesicht des Prinzen glitt ein feines Lächeln.
»Es ist für heute doch zu spät. Sagen Sie, Verehrtester, ist der Spiritismus in den oberen Schichten Berlins schon etwas eingedrungen?«
»Weiter als Sie denken, Herr Hauptmann. Ich könnte Ihnen auf der Stelle ein Dutzend hoch-aristokratische Namen nennen ...«
»Auch bei Hofe?«
»Das kann ich nicht sagen. Aber am österreichischen Hofe.« Und mit gedämpfter Stimme: »Die Kaiserin war eine ausgesprochene Spiritistin. Heine – Sie verstehen!«
»Sie vertreten den Spiritismus hier berufsmäßig, ich meine: auch erwerbsmäßig?«
»Ich bitte – ich wirke für ihn aus Überzeugung,« sagte Wellmer kühl; »ich besitze freilich nicht die Mittel, ihm Opfer zu bringen ...«
»Aber mißverstehen Sie mich nicht, ich denke nicht daran, daraus ein Mißtrauen zu schöpfen. Gibt es nicht ein paar bemerkenswerte Medien in Berlin?«
»Wenige: wir hatten eine Zeitlang ein schwaches Materialisationsmedium, das leider verzogen ist ...«
»Würden Sie sich dazu entschließen können, mir eine Liste der Gelegenheiten zu besorgen, die hier bestehen, um spiritistische Phänomene zu studieren? Ich bin gern bereit, Sie für Ihre Mühe zu entschädigen. Das kann für Sie nicht so schwierig sein.«
»Warum nicht? Indessen müssen Sie von vornherein festhalten, Herr Hauptmann: Geister lassen sich nicht zitieren. Sie kommen, wenn es ihnen beliebt.«
»So so. Nun, ich hoffe, wir reden einmal eingehender darüber. – Gnädige Frau interessieren sich auch für diese Sache?« Seine blauen, beherrschenden Augen richteten sich zum zweitenmal auf sie – prüfend, wie sie empfand. Er war der erste Prinz, mit dem sie sprach, und sie konnte eine leichte Verwirrung nicht ganz bemeistern.
»Erst seit heute,« sagte sie und lächelte unsicher dazu.
»Ich hoffe, daß die Gemeinsamkeit dieses Interesses mir wiederholt den Vorzug verschafft ... bis auf weiteres, meine Herren ... meine gnädige Frau ...«
Er verneigte sich kurz vor den Herren, auch zu dem Hauptmann Sandvoß hin, gab dem Professor und Paula die Hand, der »Assessor,« der eine ziemlich stumme Rolle gespielt, verabschiedete sich oberflächlich, zeremoniell – an der Tür kehrte der letztere auf eine Bemerkung des Prinzen um und schritt noch einmal bis zu Wellmer hin; diesen überseite nehmend, wechselte er ein paar Worte mit ihm, worauf Wellmer in höflichster Haltung ihn zur Tür geleitete.
Der Prinz war bereits draußen.
»Ein interessanter Zwischenfall, meine Herrschaften,« sagte Wellmer händereibend. Und nach einigem Zögern: »Unter uns gesagt: die beiden Herren waren Seine Hoheit der Prinz Georg von X. mit seinem Adjutanten.«
»Was Sie sagen!« rief Hauptmann Sandvoß und ging, seiner Gattin die Neuigkeit ins Ohr zu flüstern, während der Professor und Paula sich lächelnd ansahen.
»Wir wollen auch gehen,« meinte ersterer dann, Wellmer die Hand reichend.
»Vielleicht nehmen sich die Herrschaften an der Kasse eins der von mir verfaßten instruktiven Büchelchen mit; das blaue enthält genauere Anweisung, um sich im Hause spiritistisch zu beschäftigen. Vielleicht auch beehren Sie mich einmal wieder ...?«
»Es gibt mehrere spiritistische Vereine hier, wie ich gelesen habe?«
Wellmer machte ein zweifelhaftes Gesicht und wiegte den Kopf ... »Allerdings; sie haben ja auch ihr Verdienstliches. Ein jeder hat eben sein Publikum ...«
Professors grüßten noch nach Hauptmanns hin; dann nahm plötzlich Frau Paula energisch den Arm ihres Gatten und führte ihn.
Bei der Tür stießen sie auf den Langhaarigen mit dem Künstlerkopf, der vergnügt vor sich hinsummte. Er ließ mit einer grotesk höflichen Verbeugung die beiden zuerst passieren, ging dann nach und draußen zu einem Garderobenständer, an dessen Fuß wohl ein halbes Dutzend größere und kleinere Pakete in Papier lagerten; und während der Professor am Tisch, an dem sich die schlaftrunkene Kassenführerin lässig erhob, die ausgelegten Broschüren prüfte, beobachtete Paula amüsiert, wie jener einen Havelock umlegte, einen mächtigen Kalabreser aufstülpte und sich die mit einer Schnur untereinander verbundenen Gepäckstücke auf die Schulter warf.
Er verließ den Vorraum, ehe der Professor noch gewählt und bezahlt hatte. Paula stieß ihren Gatten an und flüsterte: »Sieh bloß den drolligen Kauz da ...« und der Professor blickte sich flüchtig um und nickte. »Ein Genie!« lächelte er.
Auf der Straße unten sahen sie ihn noch fern in der Dämmerung des Laternenlichtes hinschreiten.
Sie sprachen über den Prinzen.
»Ich verstehe nicht, weshalb er schließlich doch noch gegen den Wellmer sein Inkognito aufgegeben hat,« meinte der Professor. »Er muß den Spiritismus zu seinem neuesten Sport machen und wirklich den Wellmer dafür heranziehen wollen. Vielleicht ist das noch ein sehr glücklicher Griff, der Mann scheint kein Träumer oder Phantast zu sein, sondern seine Sache mit einer gewissen nüchternen Geschäftlichkeit zu betreiben. Diese Art Apostel wird bald langweilig. Ich glaube nicht, daß der scharfe Verstand des Prinzen sich lange durch diesen Mumpitz an der Nase herumführen läßt.«
»Du bist mal wieder recht absprechend, mein Lieber,« sagte Paula und warf den Kopf auf. »Wenn es wahr ist, daß, wie Wellmer sagte, so viele große Geister zum Spiritismus geschworen haben, nachdem sie sich damit beschäftigt, so muß man von Rechts wegen hinter diese Sache doch wenigstens ein Fragezeichen machen.«
»Liebes Kind – ich kenne grundgelehrte Herren, die nebenbei hervorragend naiv und wie gemacht sind, um auf einen Schwindel hineinzufallen. Das will gar nichts sagen. Außerdem müßte man denn doch erst mal kontrollieren, inwieweit man die genannten alten Herren mit Recht für den Spiritismus in Anspruch nimmt.«
»Tus doch.«
»Wenn ich mal Zeit übrig habe – dir zu Gefallen.«
Sie dachte nach. »Wenn man doch einer solchen Materialisation beiwohnen könnte, wie diese Hauptmanns. Das möchte ich brennend gern. Glaubst du, daß diese Leute uns etwas vorgeschwindelt haben?«
»Das nicht; aber vielleicht hat man ihnen etwas vorgeschwindelt.«
»Ach – du bist ein Kritikprotz,« sagte sie ärgerlich. »Wenn du mich reizest, gehe ich hinter deinem Rücken in die Mulacksgasse ...«