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Wellmer war Spiritist von Beruf, das heißt, er wirkte für den Spiritismus und benutzte ihn zugleich als Erwerbsquelle.
Er war ehrlich von seiner Sache überzeugt, war überhaupt eine ehrliche Haut. Allein da er selber nicht eben medial veranlagt war, so nahm er den Spiritismus nicht pathetisch, sondern mit der Sachlichkeit des wissenschaftlichen Experimentators. Damit wurde es ihm leicht, denselben als praktischer Geschäftsmann zu behandeln: je nachdem es angebracht war, mit dem Brustton der Überzeugung oder mit einer gewissen kritischen Reserve, die um so leichter den Verdacht erweckte, daß er im Spiritismus nur eine milchende Kuh sähe, als er mit seinen »Spirits« ungefähr wie ein Unteroffizier mit seinen Leuten umsprang.
Es war nicht zum wenigsten geschäftliche Klugheit, was ihn bisher veranlaßt hatte, nicht nur sich selber von Schwindel frei zu halten, sondern so breit wie möglich zu betonen, daß auf diesem Gebiet massenhaft geschwindelt würde, ja gelegentlich seinem Publikum selber Beispiele vorzuführen, »wie es gemacht wird.«
Der Fall mit dem Baron von Güldenstubbe bereitete ihm Kopfschmerzen. Es ist für einen im Grunde armen Teufel keine Kleinigkeit, eine solche Summe zu verdienen oder sich entschlüpfen zu lassen.
Er war den ganzen Vormittag mit wütendem Gesicht herumgegangen, und mit demselben Gesicht empfing er die Meldung der Baronin.
»Sie wünschen –?«
»Zunächst mich hiermit einzuführen,« sagte sie trocken und übergab ihm das Stilett des Prinzen.
»Ah – bitte Platz zu nehmen. Hoheit hat über mich zu befehlen.«
»Ein Baron von Güldenstubbe war bei Ihnen – ich vermute doch richtig?«
»Nehmen wir an, es wäre so,« sagte Wellmer nach kurzem Zögern.
»Er wünscht Ihre Beihilfe, um die Gräfin Bensheim zur Heirat mit ihm zu bewegen. Die Freunde der Gräfin haben gegründete Ursache, das Gegenteil zu wünschen.«
»Das ist gut und schön, meine Dame, aber die Herrschaften haben alle eine wenig schmeichelhafte Vorstellung von mir. Ich kann doch den Geist des seligen Grafen Bensheim nicht kommandieren –«
»Vielleicht doch,« fiel die Baronin ein.
»Nein, das kann ich nicht, ausgenommen, wenn ich eine Komödie aufführen und den toten Herrn Grafen selber mimen wollte. Wissen Sie was, meine Dame? Ich werde unter diesen Umständen auf die ganze Sache verzichten. Käme eine zustimmende Mitteilung für die Frau Gräfin heraus, so hält mich der Herr Baron für einen Schwindler; kommt das Gegenteil heraus, so halten Sie und der Prinz mich dafür, und das möchte ich am allerwenigsten. Pardon – Sie wissen vielleicht die Adresse des Herrn Barons?«
»Er logiert im Palasthotel ... Ist das Ihr letztes Wort, Herr Wellmer?«
»Mein letztes, Gnädigste. Der Baron würde sich ja sehr – sehr dankbar erzeigt haben –«
»Davon bin ich überzeugt,« sagte die Baronin ironisch. »Hm, aber wenn sie nun ein gutes Werk tun könnten, woran auch dem Prinzen viel läge?« fuhr sie vertraulicher fort.
»Hand davon! Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir zu einem gesunden Entschluß verholfen haben. Ich sollte die Herrschaften heute Abend erwarten, aber ich werde abschreiben. Ich mache Sie jedoch darauf aufmerksam: es gibt andere Leute in Berlin, die solche Geschäfte besorgen.«
»Können Sie mir vielleicht Adressen nennen?«
»Im Augenblick nicht. Mit dieser Sorte von Spiritisten habe ich nichts zu tun. In den spiritistischen Klubsitzungen treiben sich immer welche herum, die da im Trüben fischen.«
Die Baronin erhob sich. Sie sah wenig beruhigt aus.
»Bitte, empfehlen Sie mich Seiner Hoheit. Ich könnte als ehrlicher Mensch in der Sache nichts weiter tun.«
»Es ist immerhin etwas, ich danke Ihnen.«
Wellmer begleitete sie hinaus, seine Abschiedsverbeugung fiel nicht sonderlich respektvoll aus.
»Was wollte die Dame von dir?« fragte Frau Wellmer, als er an der Küche vorbeiging.
»Sie kam vom Prinzen und wollte, ich sollte heute Abend auf andere Art schwindeln. Ich lasse jetzt die ganze Sache schießen. Ich bin nicht ganz sicher, ob sie mich nicht bloß auf die Probe haben stellen wollen. Aber so schlau wie sie ist Wellmer auch.«
Und er ging, eine Rohrpostkarte für den Baron zurecht zu machen.
Währenddes fuhr die Baronin nach Hause. Die Gräfin kam ihr in dem Flur entgegen. »Wo warst du, liebe Babette? Denke dir, der gute Prinz Georg war hier, um uns über das Befinden der lieben Prinzeß zu beruhigen! Sie liegt heute zu Bett auf Wunsch der Großmama und läßt Kompressen auflegen, aber sie hat eine gute Nacht gehabt. Ich bin ganz glücklich.« Sie sagte das mit schmelzendster Rührung, die Gute.
Die Baronin hatte abgelegt und folgte ihr ins Zimmer.
»Ich habe nur die eine Sorge,« fuhr die Gräfin fort, »daß die Narbe das arme Kind entstellen könnte.«
»Sie kann einen kleinen Denkzettel für ihren Übermut brauchen.«
»Aber Babette, du bist so grausam; ein so junges Geschöpf! Auch die gute Rohrscheidt, die wieder einen Bazar für den Vaterländischen Frauenverein arrangiert, und die Eickstedt, die uns in das Komitee für die Krippe haben will, waren da und lassen dich grüßen. Und denke dir, wer noch: der jüngste Triglaff, der süße Junge! Er vergißt nicht, daß er mein Patenkind ist. Er wird uns öfter besuchen, ist jetzt hier, zur Kriegsakademie kommandiert; ist das nicht reizend? Du hast viel versäumt. Hat dich der Zahnarzt so lange aufgehalten?«
»Natürlich. Es war dort wieder einmal übervoll und es waren wieder zwei Plomben fällig. Apropos: im Schauspielhause gibt es eine Novität heute – wenn dirs recht ist, schick ich um Billetts?«
Sie warf das so unbefangen wie denkbar hin. Die Gräfin wand sich und war puterrot.
»Hm – vielleicht gehst du heut allein; gleich nachdem du fort warst, kam ein Billett von unsrem Rittmeister: er bittet um die Erlaubnis, mich heut Abend zu einer Überraschung führen zu dürfen. Du weißt, wie schwer es mir wird, etwas abzuschlagen.«
»Du hast zugesagt?«
»Ja. Er hat sich doch wahrscheinlich Mühe für mich gegeben, um mir eine Freundlichkeit zu erweisen.«
»So so. Hoffentlich kompromittiert er dich nicht. Aber ich rede umsonst, du tust doch, was er will.«
»Aber ich begreife dich nicht, Babette –«
»Laß nur. Allein gehe ich jedenfalls nicht in das Theater. Wenn aus der Überraschung nichts würde, kämst du dann bestimmt mit?«
»Gewiß.«
Die Baronin ging auf ihr Zimmer und schrieb ein paar Zeilen an die Theaterintendantur. Am Abend werden zwei Billetts zu ihrer Verfügung stehen. Sie hatte diesmal ihren Triumph sicher.
Seltsamer Weise verging der Nachmittag ohne eine Nachricht vom Palasthotel. Nun gut, der Baron wird zum Abend kommen und dableiben wollen. Dies wird leider nicht glücken, mein Verehrter!
Die Gräfin machte Toilette zum Ausgehen, die Baronin tat dasselbe. »Fährst du doch ins Theater?« fragte die Gräfin mit erstaunten Augen, als sich beide bei einer Tasse Tee und einem Teller voll Sandwiches trafen. »Wenn du nicht mitkämst, so würde ich einen Besuch machen,« war die Antwort.
Ah, die Überraschung wird kommen, aber eine andere, als diese gute Gräfin, die anfängt Versteckens zu spielen, erwartet!
»Herr Baron von Güldenstubbe!«
Er hat ein prachtvolles Bukett aus roten Rosen und grünlichen Orchideen für die Gräfin und drei auserlesene langstielige Marschall-Nielrosen für die Baronin. Die Gräfin dehnt in den höchsten Tönen des Entzückens, die Baronin faßt mit spitzen Fingern zu, als fürchte sie, die Handschuhe zu beschmutzen: »Sehr freundlich, Baron – aber bitte sich meinetwegen keine Depensen aufzulegen.«
»Sind Sie bereit, liebste Gräfin? Ich habe meinen Wagen unten halten lassen ... Ich werde Ihnen die Gräfin diesen Abend entführen, Sie sind mir doch nicht böse deshalb, Baronin?«
Das Gesicht der Baronin wurde um einen Schein blässer, bei aller Selbstbeherrschung.
»Durchaus nicht. Aber darf man nicht wissen, wohin?«
»Pardon – diesmal vorläufig Geheimnis!« sagte der Rittmeister mit seinem Maskenlächeln.
Man verabschiedete sich. »Franz, den Wagen für mich,« rief die Baronin in den Flur hinterher. Und dann stampfte sie erbittert auf.
»Dieser Schwindler,« murmelte sie. Sie meinte Wellmer.
Als der Diener zurückkehrte, öffnete sie die Zimmertür. »Franz!«
»Frau Baronin?«
»Haben Sie gehört, wohin die Herrschaften fahren?«
»Mulacksgasse 5, sagte der Herr Baron.«
Die Baronin stand vor einem Rätsel ...
Die Mulacksgasse liegt ziemlich weit ab im Zentrum der Reichshauptstadt.
»Aber meinen Sie auch wirklich, daß der Herr Wellmer vertrauenswürdig ist, lieber Axel?« fragte die Gräfin etwas ängstlich im Wagen.
Der Rittmeister nahm ihre Hand und streichelte sie.
»Nein, teure Luise,« sagte er. »Wir fahren deshalb nicht zu ihm, sondern zu dem besten Medium Berlins, das ich noch rechtzeitig in Erfahrung gebracht, um Wellmer abschreiben zu können. Es gibt da eine ganz wunderbare Frau, die selbst Materialisationen zu Stande bringt, wie man mir sagte.«
»O, das heißt ja wohl Geistererscheinungen?«
»Ich zittre, lieber Axel.«
»Sie haben es gewollt, liebe Luise, nun fassen Sie Mut! Ich habe vorläufig keine Ahnung, was wir erleben und erfahren werden; vielleicht treffen wir die Person nicht einmal zuhause, indessen wurde mir gesagt, daß sie zu dieser Zeit noch Sprechstunde hat.«
»Eine Erscheinung meines guten Edgar möchte ich doch lieber nicht sehen; o Gott, wenn ich mir das denke – nein, ich ertrüge das nicht. Ich verging vor Grausen. Lassen Sie es dazu nicht kommen, teurer Freund – nicht wahr, Sie können das verhindern? Vielleicht sprechen Sie vorher mit der Frau darüber?«
»Das kann ich ja tun; vielmehr selbstverständlich tue ichs – Ihr Leben und Ihre Gesundheit dürfen auf keinen Fall aufs Spiel gesetzt werden, auch wenn ich deshalb auf Sie verzichten müßte, Luise,« sagte er mit einem gewissen schmerzlichen Pathos.
»Ach, Sie wissen ja, Edgar war solche Seele von Mann; ich bin überzeugt, daß er mir zulieb eine mildere Form wählt, um sich zu offenbaren, wen er durch die Frau erfährt, daß dies mein Wunsch ist.«
»Warum sollte er nicht! Er wäre gar nicht wert, um seine Meinung über unseren Bund gefragt zu werden, wenn er einer solchen Rücksichtslosigkeit fähig wäre. Aber er ist vermutlich im Jenseits noch zartfühlender, als er im Leben schon war.«
Die Gräfin drückte seine Hand. »Wie gut Sie mich zu beruhigen verstehen. So weich und zart wie Sie war ja mein guter Edgar freilich nicht, besonders nicht in der Sprache, da war er wohl etwas rauh und manchmal sogar undelikat. Er lebte ja immer auf dem Lande, mein guter Mann. Luischen, sagte er, wenn ich nicht deutsch rede, verstehen mich die Polacken nicht. Er hatte soviel Witz, der liebe Edgar.«
Die arme Gräfin war doch ganz konfus im Kopfe vor Aufregung, als der Wagen in der Mulacksgasse hielt. »O Gott,« wiederholte sie immer während des Aussteigens. »O Gott, geben Sie mir ja den Arm, ich fühle mich ganz hilflos, ich bin eine recht schwache Frau ...«
Der Rittmeister übersah mit prüfendem Blick die fensterreiche Mietshaus-Fassade, sagte rückwärts: »Erwarten Sie uns, Kutscher!« und führte die Gräfin hinüber. Rechts an der Wand ein dürftiges Schildchen mit der lakonischen Inschrift: »Frau Häbler«, von der nahen Straßenlaterne scharf beleuchtet. Die Haustür war nur angelehnt; ein muffiger sogenannter Arme-Leute-Geruch verfolgte das Paar die schmale Treppe hinauf. Die Gräfin, schwerfällig auf den Füßen wie sie war, machte im zweiten Stock eine Pause, während welcher der Rittmeister die Namenschilder und Visitenkarten an den Türen untersuchte. »Wir müssen noch weitersteigen, Luise.«
»Adolf Häbler, Graveur,« las jetzt der Rittmeister.
»Es sind wohl sehr einfache Leute,« bemerkte die Gräfin, während ihr Begleiter die Klingel in Bewegung setzte. »Wir wollen sie doch anständig belohnen.«
Ein junger Mensch, schmächtig, von leidlich gutem Aussehen, stand in der geöffneten Tür. »Frau Häbler zu sprechen? Ich habe mich angemeldet; Baron von Güldenstubbe.«
»Bitte nur einzutreten. Ich werde meiner Schwester gleich Mitteilung machen.«
Der junge Mann führte sie in ein schmales Zimmer links, das mit grellem Putzstubenkram ausstaffiert war. »Sie wohnen bei Ihrer Schwester?« flötete die Gräfin. »Sind Sie auch Graveur?«
»Nein, ich bin Schriftsetzer und nur zufällig hier, meine Dame.«
Er verschwand nach einer höflichen Verbeugung in das Nebenzimmer. Gleich nachher tat sich die Tür wieder auf und jene Frauensperson trat ein, die in der Wellmerschen Sitzung die Aufmerksamkeit der Professorin und Könnekes auf sich gelenkt hatte – in einfachem grauen Hauskleide, um die Taille einen chinierten Gürtel, den vorn eine mächtige Schnalle im Jugendstil zierte, wie ein ungeheures cabbalistisches Schriftzeichen. Sie machte eine sonderbare, höchst selbstbewußte Verneigung mit dem Kopfe, schielte dabei den Rittmeister an und sagte darauf zur Gräfin gewendet. »Was wünschen die Herrschaften?«
»Sie stehen mit der Geisterwelt in Verbindung, werte Frau?« fragte der Rittmeister einigermaßen steifnackig.
»Jawohl, ich habe immer welche bei mir, das sind meine Freunde. Die antworten mit Tischklopfen, reden aus mich, wenn ich in Trance bin, erscheinen auch materialisiert und bringen Apporte.«
»Ach – das sind bestimmte Geister,« meinte die Gräfin enttäuscht.
»Verzeihen Sie, meine Freundin wünscht Aufschluß von einem ihr verwandten Geist –«
»Jawohl, auch. Sie meinen wohl von dem Geist, der bei Ihnen steht, meine Dame – ein großer starker Herr, mit Schnauzbart und gedrehten Enden dran, kurze Nase mit große Naslöcher – in Jackett – und dicke Uhrkette mit Petschaft ... und hier hat er so was im Knopfloch ...«
Die Gräfin war zurückgeprallt, ihr Kopf mit den trüben verängstigten Augen suchte hilfeflehend um sich. »Ist er bei mir? Denken Sie, lieber Freund, das ist ja mein Edgar, wie er leibte und lebte ... Sie erinnern sich von der Photographie ... mein Gott, ich bin im höchsten Grade alteriert.«
»Seien Sie nur ganz ruhig, werte Dame, er sieht ganz freundlich aus ... jetzt streichelt er Ihnen über die Schulter den Rücken 'nunter ...«
Die Gräfin stieß einen Laut des Schreckens aus und zuckte unwillkürlich mit dem Oberkörper. »Was sagen Sie, lieber Axel, ich fühle ganz deutlich, wie er mir kalt den Rücken hinunter strich!«
»Er hat auch 'nen braunen Jagdhund bei sich mit lange Haare –«
»Der Fido!« rief die Gräfin kläglich und schwankte dabei mit den Hüften. »O, was sind Sie für eine wunderbare Frau! Ist es auch möglich, daß er spricht, mein guter Edgar? Ich bin ja so glücklich ... Aber nicht erscheinen, meine liebe Frau,« fuhr sie plötzlich auf, »nein, das möchte ich doch nicht...«
»Das ginge auch heute nicht, meine Dame, ich habe erst vor acht Tagen eine Materialisationssitzung gehabt, und da habe ich noch nicht wieder Kraft genug. Aber vielleicht kann Ihr Mann durch mich aus dem Trance sprechen. Wenn Sie gerne wollen, kann ich's ja versuchen.«
»Aus dem Trance? Wie ist denn das?«
»Na, ich komme in magnetischen Schlaf, dann spricht der Geist mit meinem Kehlkopf.«
»Wie wunderbar! Ja, das möchte ich. O Gott, lieber Axel, was erleben wir hier!«
Die Sibylle öffnete die Tür und machte eine einladende Gebärde. Die Gräfin ging voraus, der Rittmeister zögerte, das Medium wechselte einen Blick mit ihm. Als er an der Frau vorbei ging, raunte er ein paar Worte, worauf sie nickte.
Der Nebenraum war schwach erleuchtet, nur durch eine Petroleumlampe mit rotverhängtem Schirm. In dieser rötlichen Dämmerung bekam der Glaube, daß hier Geister ihr Wesen trieben, etwas unwiderstehlich Suggestives. Die Gräfin war völlig benommen davon. »Fühlen Sie nichts, Axel? Hier ist etwas in der Luft, was sich bewegt. Ach, liebe Frau, nicht wahr: sichtbar kommt er nicht?«
»Sie brauchen keine Angst zu haben. Emil, schieb mal das Kabinett auf.«
Der junge Schriftsetzer befand sich in der Stube, die sich von einer gut bürgerlichen Wohnstube nur durch einen ausfälligen Reichtum an Stühlen und außerdem dadurch unterschied, daß eine Ecke auf der Flurseite mannshoch durch einen braunen Stoff abgeschlossen erschien; der junge Mann schob den auf der Front geteilten nach rechts und links auseinander – der Stoff hing an verschiebbaren Ringen – worauf der bis auf einen vereinzelten Stuhl leere Raum dahinter sich überblicken ließ. »Da drin materialisieren sich die Geister,« sagte stolz Frau Häbler, von einem inzwischen auf- und zugeschobenen Kommodenkasten mit einem weißen Halstuch kommend. Sie setzte zwei Stühle in kurzer Entfernung vor das Kabinett. »So, nehmen die Herrschaften nur Platz!« Dann gab sie ihrem Bruder das Tuch und setzte sich selber auf den Stuhl im Kabinett.
Jetzt trat der junge Mann zu ihr und verband ihr die Augen.
Während dies geschah, klirrte draußen die elektrische Klingel. »Wenn's Herrschaften sind, Emil, dann bringst du sie nebenan, hier kann ich jetzt keine gebrauchen,« sagte Frau Häbler.
Der war fertig und ging. Man konnte erst lautes, dann gedämpftes Sprechen hören – Türen gingen, nebenan regte sich's, flüsterte.
Frau Häbler saß, ohne sich zu bewegen, in dem Zimmer mit dem Kabinett und den drei Menschen war es totenstill.
Irgendwo gab es ein Knarren, dann fing eine Spieluhr an zu spielen. Die Wimmerarie aus dem Troubadour.
Jetzt hob die Frau im Kabinett langsam, seltsam feierlich, die beiden Arme, setzte die Hände auf den Scheitel und strich wiederholt mit visionären Bewegungen die Schläfe hinab. Ihr Kopf neigte sich gegen die Brust, die Hände sanken langsam nieder, bis in ihren Schoß, der ganze Körper schien zu erschlaffen, in sich zu versinken. Ein paarmal noch hoben sich die Armee zögernd, hoch, höher, die Finger spreizten und schlossen sich krampfartig, dann schien die Frau gänzlich zu erstarren. Währenddem ging ihr Atem schwer und zögernd, mit langgedehnten Seufzern, bis er zuletzt stockte.
Die Gräfin hatte die Hand des Rittmeisters gefaßt und drückte sie krampfhaft.
Auf einmal sagte es in dem dämmrigen Gesicht unter dem weißschimmernden Tuche: »Luischen,« mit einer rauhen, tiefen Stimme.
»Gott, o Gott, das ist er,« raunte die Gräfin zärtlich schaudernd und wiegte hin und her. »Die Frau kann ja nicht wissen, daß er mich immer Luischen genannt hat ...«
»Pst,« machte der Rittmeister.
»Luischen,« sagte es stärker, »ich bin da und wünsche dich guten Abend.« Die Spieluhr war plötzlich still.
Der Rittmeister zuckte zusammen.
»Ich weiß, was du begehrst. Es sitzt ein edler Mann bei dich, nimm ihn, er wird dich auf Händen tragen.«
»Wie gut er ist, wie gut,« flüsterte die Gräfin glückselig.
»Wir seligen Geister kennen keine Eifersucht mehr. Dein Edgar –«
»Edgar – hören Sie, teurer Axel? Er nennt seinen Namen –«
»– will, daß du noch einmal glücklich wirst. Du wirst es, darum gehe ich jetzt auf einen anderen Stern. Lebe wohl, Luischen, du wirst mir wiedersehen im Jenseits.«
»O, mein guter, guter Edgar – leb wohl, leb wohl – ich danke dir ...« hauchte die Tiefergriffene und ein schwimmender Blick traf den nervös mit den Fingern der Linken spielenden Rittmeister, während die Rechte die krampfhaften Drucke seiner Nachbarin auszuhalten hatte.
Das Medium im Kabinett saß verstummt. Wieder war alles totenstill, nur daß nebenan gemurmelt wurde. Ein paar Minuten hindurch.
Nun tönte im Kabinett ein langgezogener Seufzer, der Kopf mit den verbundenen Augen bog sich vor und wieder zurück, reckte sich auf: noch einen Moment, dann schien volles Leben in die Frau zurückzukehren, sie schob mit einer raschen Bewegung die Binde von den Augen, stand auf und sah sich erstaunt um.
»Nanu?«
Die Gräfin hielt sich nicht länger. Sie erhob sich, ging auf das Kabinett zu, umarmte die Frau Häbler: »Teure Frau, wie glücklich haben Sie mich gemacht. Keine Frage, ich habe meinen verstorbenen Edgar gehört, auch die Stimme war ähnlich, und er nannte mich Luischen, denken Sie, wie im Leben! Wie soll ich Ihnen danken« ... Sie griff in die Tasche, zog ihr Portemonnaie heraus. Der Rittmeister trat herzu.
»Meine Dame, das darf ich nicht annehmen; sie können mich sonst wegen Schwindel belangen,« sagte Frau Häbler stolz abwehrend. »Es gibt zu schlechte Menschen, und auf der Polizei glauben sie ja nicht an Spiritismus. Unsereins muß sich ja verkriechen wie'n Spitzbube.«
»Lassen Sie, Luise,« nickte der Rittmeister, ihr mit den Augen winkend, »ich sorge schon. Wir werden Frau Häbler jedenfalls in unseren Kreisen warm empfehlen –«
»Ja, mit Freuden, mit tausend Freuden –«
Der Rittmeister tippte ihr mahnend auf die Schulter. »Wir wollen Frau Häbler nicht weiter aufhalten; sie hat noch andern Besuch.« Er ging, seinen Hut aufzunehmen.
Frau Häbler geleitete sie hinaus.
»Er ist noch bei mich,« sagte sie auf einmal, im Flur stehen bleibend. »Er will noch was sagen.«
»Ach, Axel! – Was denn?«
Frau Häbler horchte in sich hinein. »Sie hätten eine Freundin bei sich ... die meinte es nicht gut mit Sie, weil sie neidisch wäre, daß Sie wieder heiraten wollten ... aber sie sollten nicht auf sie hören.«
Die Gräfin fuhr mit den Fingern an den Mund vor Überraschung. »Denken Sie – die Babette ... ach, sie meint es nicht so schlimm, sagen Sie ihm das doch; sie wird sich schon drein finden, liebe Frau ...«
Frau Häbler kehrte um, das Paar war draußen. Sie hatte denselben harten, bewußten, beinah feinseligen Ausdruck im Gesicht behalten – so trat sie in die Tür, um sich nach dem anderen Besuch umzusehen.
»Na, sehen Sie, ich komme doch zu Ihnen, verehrte Pythia, in der angenehmen Hoffnung, daß bei Ihnen die Geister nur so schwirren,« sagte die Stimme eines Mannes, der sich erhob, nur als Silhouette sichtbar, da er die Lampe im Rücken hatte. In voller Beleuchtung saß eine Frau, und weiter neben ihr der Schriftsetzer.
Frau Häbler stutzte, überlegte einen Moment – blitzartig hellte sich ihr scharfes Gedächtnis auf, denn sofort ging ein Zug rachsüchtiger Genugtuung über ihre Züge ...
Der Mann war Könneke, den sein Unstern schließlich doch in die Mulacksgasse geführt hatte, noch dazu mit Frau Laura.
Diese Frau Häbler besaß unglücklicherweise nicht den geringsten Sinn für Humor, überdies jene mißtrauische Empfindlichkeit, die bei steter Besorgnis vor drohender Berufsstörung in ihrer Lage sich einzustellen pflegt. Gegen den weihevollen Ton, auf den sie gestimmt war, nahm sich in der Tat jede Äußerung guter Laune wie eine Verspottung aus, um so mehr, wenn sie sich so drastisch und barock gab, wie dies bei dem Maler der Fall gewesen.
Leider war Könneke in jener Sitzung bei Wellmer, in anbetracht seiner vollen Taschen, noch sorgloser mit seinen Äußerungen gewesen, als gewöhnlich.
Wie es kam, daß er jetzt hier war?
Die gewonnenen Beziehungen zu Frau Paula hatten nicht nur seine Unternehmungslust im allgemeinen, sondern auch vor allem seine Neugier in bezug auf spiritistische Dinge belebt. Er war bereits zweimal bei Paula im Hause gewesen, und das zweite Mal war er mit dem Prinzen zusammengetroffen.
Sein Weizen blühte. Auch seine Neugier.
Er war jetzt beinahe wieder jeden Abend unterwegs, gewöhnlich in einer spiritistischen Versammlung, die er der Reihe nach, wie sie das Vereinsverzeichnis im Lokalanzeiger angab, »abklapperte«. Leider war bisher dabei nicht viel Bemerkenswertes herausgekommen: Tischrücken, Trancereden von sehr fragwürdiger Art, Geisterschreiben – die erstaunlichen Dinge, die passiert sein sollten und von denen überall erzählt wurde, blieben hartnäckig aus, wo immer er anwesend war.
Laura triumphierte, wenn er wieder berichtete. »Wie du nur auf den Mumpitz hereinfallen kannst, Karl.« Aber sie wurde doch am Ende auch neugierig. »Dann nimm mich doch mal mit,« sagte sie, »aber wo was los ist.«
»Gut,« meinte er nach einigem Besinnen. »Gut – daß du mal nötig haben wirst, dich als Medium zu ernähren, glaube ich zwar nicht mehr, aber wir werden zu einem solchen gehen, und zwar noch heute Abend. Wenn die Hälfte von dem wahr ist, was das Weib aus der Mulacksgasse 5 renommiert hat, werden dir die Augen aufgehen, oder sie sind blind wie Hühneraugen, mein Engel.«
So hatten sie denn für diesen Abend die Kinder der gefälligen Gärtnersfrau anvertraut, waren nach der Mulacksgasse gefahren und hatten sich zur Frau Häbler hinauf gefunden.
Der Schriftsetzer hatte ihnen Gesellschaft geleistet, während sich nebenan der selige Graf manifestiert hatte, und war bemüht gewesen, das Gespräch zum Flüstern zu dämpfen. »Sagen Sie mal, Verehrtester, was kostet denn der Spaß hier?« Könneke hatte Lauras Notpfennig locker gemacht, da selbstverständlich von Not nunmehr keine Rede sein könne. – »Pst! Meine Schwester nimmt nichts: aber die Leute legen es ihr irgendwohin.« Könneke zog wichtig sein Portemonnaie, ging an das Fenster und legte einen Taler auf das Fensterbrett ... »Das geht ja hier zu wie beim Zahnarzt. Dauerts lange mit den Herrschaften da drinnen?« – »Pst! Der Geist spricht, der läßt sich nichts vorschreiben ...« – »Das scheint ein verunglückter Heldenvater vom Schauspielhause zu sein. Wo kommt denn die Stimme her, Verehrtester?« – Der Schriftsetzer berichtete flüsternd, was für mannigfaltige Stimmen die Geister mit dem Kehlapparat seiner Schwester zu stande zu bringen vermöchten, von all den andern Wundern ganz abgesehen, deren Zeuge diese Wohnung und der ausgezeichnete und vornehme Besucherkreis gewesen, welcher sich alle vierzehn Tage zur Séance einfände. »Da gibt's fast jedesmal Materialisationen–«
»Donner und Doria, Laura, das ist das Wahre! Da müßten wir ... aha, sie verziehen sich ...
»Das sind ganz hohe Herrschaften ...«
Ein paar Augenblicke später durfte Könneke die Wunderfrau begrüßen.
Nun stand sie und musterte ihn. Frau Laura und der Schriftsetzer erhoben sich jetzt auch. »Ich stehe zu Ihrer Verfügung,« sagte Frau Häbler majestätisch. Der Schriftsetzer ging an ihr vorüber aus der Tür, nachdem er ihr ein paar Worte zugeflüstert.
»Was wünschen Sie?«
»Was Sie wollen, geschätzte Egeria, das heißt, was den Herren Geistern paßt, ich bin weit entfernt, ihnen Vorschriften machen zu wollen. Hauptsächlich komme ich meiner Frau wegen ...«
Die Sibylle schritt plötzlich auf Frau Laura zu und blieb hart vor ihr stehen, indem sie sie giftig anstarrte.
»Sie heißen Laura.«
»Sapperlot, woher wissen Sie das?« fragte Könneke verblüfft.
»Laura Könneke. Der Geist sagt es mich. Sie sind krank, meine Dame, Sie machen es nicht mehr lange.«
»Ach du lieber Gott,« sagte Frau Laura leichenblaß. »Mir fehlt doch aber nichts.«
»Erlauben Sie mal, geschätzte Frau, das ist wohl ein Versehen –«
»Das werden Sie schon merken. Hier –« Frau Häbler zeigte nach der Stirn; die kleine hagere Person mit dem fahlen Gesicht, den flackrigen, düsteren Augen und der harten, gehobenen Sprache hatte etwas Unheimliches, Lähmendes. »Sie werden keines natürlichen Todes sterben. Das neue Jahr erleben Sie nicht. Es tut mir leid, daß ich Sie nichts Besseres offenbaren kann, meine Dame.«
»Du großer Gott, meine armen Kinder –«
»Ruhig, Laurachen,« beschwichtigte Könneke. »Wir reden nachher darüber. Sagen Sie, verehrte Unke, haben Sie das auch von dem Geist, der neben meiner Frau steht?«
Jetzt erst wandte sich die Frau zu ihm herum, nachdem Sie ihn bisher ignoriert. »Jawohl, mein Herr,« betonte sie giftig, »wenn Sie auch schimpfen, das nutzt Sie garnichts; der Geist schreibt mich das mit feuriger Schrift in meine Gedanken.«
»Na, dann lassen Sie's gefälligst da stehen und grüßen Sie den Spiritus, ich ließe ihm sagen, er könnte uns den Buckel 'nauf kriechen. Im übrigen leben Sie mir recht wohl und hängen Sie sich dann an Ihre Türklinke ...« Er ging plötzlich an den Frauen vorbei und nahm den Taler vom Fensterbrett. »So, jetzt komm Laurachen ...«
»Emil – Emil,« kreischte Frau Häbler, »leuchte die Herrschaften hinaus!«
»Jawohl,« tief Könneke im Korridor, »Sie können gleich bis zum nächsten Schutzmann leuchten.«
»Sie können mir gar nichts, Sie alte Wruke, davor sorgen schon andere Leute ...«
Könneke polterte wütend die Treppe hinunter; diesmal hatte ihn seine Gemütsruhe verlassen. Er sprach kein Wort zu der verstörten Laura, bis sie auf der Straße waren. Da blieb er stehen, zog ihren Arm in den seinen und sagte grimmig: »Reingefallen, sagt Oll Pasewaldt. Das Biest hat eine Wut auf mich. Ich bin bloß froh, daß ich den Taler gerettet habe. Wir fahren zu Siechen, armes Lamm, und legen ihn in Stoffwechsel an, denn daraus hat der Teufel gespuckt.«
»Großer Gott, wenn nun doch was Wahres dran ist, Karl?« Laura wischte unter leisem Schluchzen die Augen.
»Angetraute,« sagte der Maler, »du bist mal eine Schönheit gewesen, und als Frau und Mutter bist du hochachtbar, aber der Verstand war nie deine starke Seite. Daß diese traurige Vogelscheuche sich ihre ganze Offenbarung aus den Klauen sog, war so klar wie Kloßbrühe. Aber angenommen, daß es wirklich mit dem Geist seine Richtigkeit hatte, so war es ein Lügengeist oder ich will nicht Karl Könneke heißen.«