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Könneke hatte das Porträt der Frau Paula angelegt und untermalte. Sie waren, was die Wahl des Kleides betraf, über ein Kostüm: crème Seide mit irischem Spitzenüberwurf, das sie besaß und das ihr entzückend stand, einig geworden: dazu das Pelzfutter eines Abendmantels über einer Sessellehne, der Sessel weinrot, der Hintergrund lichtrötlich gestimmt.
Dazu der schlanke, lichte Hals, der pikante, klassisch aufgesetzte Kopf mit dem dunklen, hochfrisierten Haar ... »Erster Güte,« versicherte Könneke. »Herkomer läßt grüßen – das gibt eine neue Miß Grant. Was geben Sie mir für die goldene Medaille?«
Die Arbeit ließ sich flott an. Frau Paula hatte erst daran gedacht, ihren Mann mit dem fertigen Bilde zu überraschen, aber der Zufall hatte ihn in die dritte Sitzung unerwartet hineinplatzen lassen, und nun kritisierte er mit und fand wie ein rechter Laie allerlei am Unfertigen auszusetzen. Könneke stimmte ihm mit wahrem Enthusiasmus zu, nahm einen Mallappen und wischte die inkriminierte Stelle fort.
»Sie haben ein verfluchtes Auge, Herr Professor,« sagte er, den unerwünschten Kritiker überseite anglotzend, nachdem er die Arbeit von Stunden so ziemlich beseitigt hatte. Die Promptheit, mit der Könneke im Verlauf der Sitzung aus des Professors Bedenken und Wünsche zum Mallappen griff, schmeichelte diesem zuerst. Schließlich wurde er doch stutzig, als er sah, daß das Bild nicht von der Stelle kam, und ihm stieg eine Ahnung über die wahren Motive dieses bereitwilligen Entgegenkommens auf.
»Na,« sagte er etwas kleinlaut nach der Sitzung, »am Ende verstehen Sie ja die Sache besser als ich; ich will nur mich doch lieber überraschen lassen.«
»O,« meinte Könneke und zog den Mund von einem Ohr bis zum anderen, »auf die Weise hätte ich so schön ein ganzes Jahr zu malen gehabt. Nichts für ungut, Herr Professor!«
Paula lachte, und der Professor stimmt etwas sauersüß ein. »Das könnte Ihnen passen.«
»Doch nicht,« meinte der Maler, »dann fehlte im nächsten Sommer am Lehrter Bahnhof die große Attraktion, der herrliche Könneke!«
Von Könnekes Unterricht war Paula jedenfalls höchlich befriedigt.
Wenn sie nur noch so recht die alte Lust am Malen gehabt hätte! Ihre Gedanken galten selbst bei dieser Arbeit zur Hauptsache jenem mysteriösen Etwas, das sich Otto nannte und sich mit seinem Willen herrisch in ihrer Hand eingewöhnt hatte. – Er amüsiert und er imponiert.
Und immer wieder: er rührt. Immer wieder jene ergreifenden Töne, die an das weibliche Mitleid appellieren, immer wieder jenes: Du bist mein, ich lasse dich nicht, ich liebe dich – will durch dich versäumtes Erdenglück nachholen, ein armer Geist im Dunkel, dem ein Alpenglühen von Seligkeit aufleuchtet ...
»Du liebe Paulafrau – du liebe, liebe, liebe Paulafrau!«
In dem Kopfe, in dem Busen dieser schönen, klugen, vornehm gearteten Frau wuchs die Verwirrung.
Ein Männertyp, der das Faszinierendste ist, was es für ein Weib gibt, umkleidet mit dem Nimbus einer transzendentalen Existenz; und sie eine Begnadigte, ein Ausnahmeweib durch ihn, das mit einem großen Geheimnis herum geht – das die von allen Erdlebendigen ersehnte Gewißheit des Lebens nach dem Tode beweismäßig in sich birgt.
Ihr Gatte will ihr diesen Besitz streitig machen, mit Spott, mit wachsender Kälte – dieser Mann, der aufhört, der Liebhaber von ehemals zu sein. Ein Professor, der die meiste Zeit seine Wissenschaft, seine Probleme im Kopfe hat, ihr fern ist ...
Ah, sie läßt sich diesen Geist-Mann in ihr nicht nehmen, dem sie Eins und Alles ist, der ihr jeden Augenblick zuflüstert, sobald sie will, jeden Augenblick bereit ist, ihr die Feder zu führen, sie umgibt, durchdringt – sie liebt. Es gibt nichts Interessanteres, als diese Überraschungen, die unerschöpflich sind, als dies zärtliche Geheimnis, das so leicht vor aller Welt zu verbergen ist.
In der Tat: das Rätselwesen nimmt Besitz von ihr, immer mehr. Von ihrem Fühlen, Denken, Wollen. Es wird sie eines Tages völlig beherrschen. Ein Geliebter, der langsam, aber stetig an ihrer Ehe bröckelt.
Manchmal wacht sie erschreckt auf, besinnt sich – ihr wird siedend heiß: »Aber nein doch – das ist ja unmöglich, ist ja unsinnig ... Sie wird diesen Geist doch kalt stellen.
»Du liebe, liebe, liebe Paulafrau!«
Es ist doch so süß! Und sie nascht wieder von dem Gift und der Zauber ist wieder da.
Wie Haschischträume.
Wenn doch ihr Mann zustimmte, sich beteiligte, sie nicht so allein mit dem anderen ließe! Er bleibt dabei: Das ist sie selber und zwar ihr schlechteres Selbst, das sich zu einem Unterbewußtsein entwickelt; sie muß sich sagen lassen, daß sie sich ruinieren, verrückt machen wird, daß es Ehrensache für sie ist, aufzuhören.
Welch ein Unsinn! Sie fühlt nicht die Spur von Erkrankung ihrer Nerven. Er zwingt sie zur Heimlichkeit und ahnt nicht, wie gefährlich das für ihn ist.
Oder doch?
Ach, er ist eifersüchtig! Im Grunde: wie lustig, ein Geist und ein Ehemann, die beide aufeinander eifersüchtig sind!
Früh, wenn sie aufwacht, schreibt ihr Finger verstohlen auf der Bettdecke – abends, bis sie einschläft, Zwiesprache hin und her. Eines Nachts träumt sie von einem Manne, der eilig hinter einem Wagen herläuft, einem großen, kräftigen Manne – das Gesicht kommt ihr bekannt vor: unschön, bartlos, dämonisch blickende Augen, sie hat plötzlich ein Gefühl: Das ist er.
Nun ist sie dessen sicher, wie er aussieht.
Der eine Mensch, mit dem sie über das Geheimnis reden kann, ist der Prinz Georg.
Der hat Besuch gemacht, ist wiedergekommen, immer interessierter, immer selbstverständlicher.
Dieser Prinz! Sie hätte nicht geglaubt, daß sie imstande wäre, so glatt mit einer veritablen Hoheit fertig zu werden. Er kam ja nie über eine gewisse Reserve hinaus, aber durch diese strahlte eine Herzenswärme, leuchtete ein aufmerksames Interesse für sie, das ihr merkwürdig wohl tat und ihr bald die letzte Spur von Befangenheit nahm.
Er fand sich jetzt alle paar Tage gegen Abend ein, wenn er den Professor daheim vermuten durfte, zwanglos wie ein guter Hausfreund, wollte lesen, was sie inzwischen geschrieben. Paula sagte unter vier Augen: »Hoheit, wenn ich bitten darf, reden wir nicht von Otto in Gegenwart meines Mannes. Er schilt mich wegen dieses Verkehrs mit ihm. Wenn Sie etwas früher kämen?«
»Gern – wenn ich darf, gnädige Frau.«
Er kam früher: bis der Professor eintraf, studierten sie das Rätselschreiben zusammen. Öfters war Könneke noch da, den die Gegenwart des Prinzen immer ganz besonders aufkratzte und an dem dieser merklich Vergnügen fand.
Die gelbe Stunde war so gut wie verkauft!
Dem Professor, eifersüchtig gestimmt, wie er in der Tat war, vermehrte dieser prinzliche Verkehr sein Unbehagen. Es schimmert immer merklicher die Andeutung eines heimlichen Einverständnisses durch, von dem er ausgeschlossen ist. Teufel, ja diese Vertraulichkeit paßt ihm nicht. Es heißt etwas, wenn eine prinzliche Hoheit in einem professorlichen Haushalt anfängt, den Hausfreund zu spielen, wo es eine schöne und reizvolle Frau gibt! Die geschmeichelte Eitelkeit einer Frau ist eine offene Tür, und Prinzen pflegen keine Heiligen zu sein.
Auf einmal hat der Professor Zeit gefunden, alle Klassiker des Spiritismus zu studieren.
»Ah,« sagte Prinz Georg interessiert, »und wie denken Sie darüber?«
Der Professor warf sich in einen Sessel beim Kaminfeuer, wo er Paula und den Prinzen gefunden – jene mit den nämlichen glänzenden Augen, die ihm, so oft er dies Idyll überraschte, einen Stich gaben. Er konnte nicht wissen, daß sie wieder, sobald er draußen die Flurtür geöffnet, sich beeilt hatte, ein paar beschriebene Blätter in Sicherheit zu bringen.
»Ich muß Ihnen eine große Enttäuschung bereiten, Hoheit: Ich kann nur sagen, ich bin von alledem so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopfe herum. Ich finde keine Stellung dazu und muß es ablehnen, mich zu äußern.«
»Ach, das ist schade, in der Tat. Auch nicht zu den Experimenten Ihrer Gattin?«
»Krankhafte Spielerei der eigenen Psyche.«
»Ich danke,« fiel die Professorin ein, mit auffallender Leidenschaftlichkeit. »Ich denke nicht, daß ich krank bin, mein Gemahl – ich fühle mich recht gesund.«
»Na, na,« lenkte der Professor ein, »ganz normal sind wir alle nicht, an irgend einem Punkt hapert es bei jedem. Sie verteidigt ihren Otto wie eine Löwin ihr Junges. Wenn ich bloß wüßte, was du von diesem erlauchten Geist profitierst, mein Kind. Hat er dir schon irgendwelche Aufschlüsse über das Jenseits gegeben? Das wäre doch das Nächstliegende. Bis jetzt habe ich nur gehört, daß die Beschäftigung der Geister darin besteht, Dumme zu utzen, und darauf wirst du wohl selbst keinen Wert legen?« Er versuchte den Stachel durch ein Lächeln zu mildern.
Frau Paula stand statt aller Antwort erregt auf und ging in ihr Boudoir. Der Prinz warf ihr einen erwartungsvollen Blick nach. »Ihre Gattin hat da auf jeden Fall einen sehr interessanten Schatz von Niederschriften. Sie hatte die Güte, mir einen Einblick zu gestatten, und ich habe durchaus den Eindruck gewonnen, daß sie einen genialen Taugenichts bei sich hat, der mit ihr, mit ihrem Denken und Empfinden spielt und so sehr ein Vergnügen daran hat, daß er entschlossen ist, sich dauernd in dieser Position zu behaupten.«
»Der Himmel gebe, daß ihm das mißlingt, Hoheit,« sagte der Professor, und auf einmal lag ein Zug schwerer Bekümmernis auf seinem Gesicht, so tiefernst und schmerzhaft, daß der Prinz ihn betroffen ansah. »Wenn diese perverse Anlage sich in infinitum entwickelt, so gehört nicht gerade ein Arzt dazu, um vorauszusagen, was aus meiner Frau wird.«
»Ah – meinen Sie –? Es scheint nicht, daß dieses Schreiben sie angreift. Ich denke übrigens, daß der Herr Otto sich erschöpfen wird und ihr langweilig werden, mag er was immer sein.«
»Wie ich meine Frau kenne, wäre das die einzige Aussicht, daß sie zur Vernunft kommt. Sie ist unbeherrscht wie alle Frauen; sie sind's umsomehr, je mehr Geist und Temperament sie besitzen ... Es gibt kein größeres Unglück für Frauen, als wenn sie keine Kinder haben ...«
Frau Paula erschien wieder, die Hand voll Papiere. »Diese Blätter,« sagte sie, bei ihrem Sessel stehen bleibend, »sind von meiner Hand beschrieben, ohne daß ich die leiseste Ahnung hatte, was kommen würde, ohne daß ich wußte, was ich schrieb. Mein Wort darauf!« Und sie setzte sich und las:
Meine Lebensgeschichte.
Von Otto Dalberg, Geist.
Ich war ein hübscher Mann, wohl proportioniert, groß, kräftig, dunkel. Aber ich war immer melancholisch oder von einem galligen Humor, der auch nicht liebenswürdiger war. Dafür hatte ich aber einen feinen und scharfen Geist und war hochgebildet, obgleich ich so ziemlich Autodidakt war, denn meine Eltern waren arm und hatten viele Kinder, die aber jetzt alle tot sind, bis auf eine Schwester, die in Bernburg lebt. Ich war also ein Mann, auf den man Hoffnungen setzen durfte, aber mein Ehrgeiz und meine Unliebenswürdigkeit hemmten mich, ich machte mich mißliebig, wohin ich kam, und überall war man froh, wenn man mich erst wieder los war. Trotzdem machte ich mein Examen als Ingenieur und hatte eine gute Stellung in Kolberg. In Kolberg lernte ich eine verheiratete Frau kennen, die etwas älter war als ich und die mich sehr liebte. Ich liebte sie auch, das heißt, soweit meine egoistische Natur überhaupt der Liebe fähig war. Natürlich bleibt in einer Stadt wie Kolberg nichts verborgen, man ertappte uns und setzte mich unsanft an die Luft. Das gab einen großen Skandal und ich war in Kolberg unmöglich. Da ging ich nach Breslau und gründete eine Zeitschrift, die aber bald wieder einging, denn ich verstand nicht das geringste von einer Redaktion und machte alles verkehrt. Hierauf ging ich nach Gersfeld und lernte einen gewissen Beyssel kennen, der mich dazu verleitete, abermals eine Zeitung herauszugeben, jetzt eine wissenschaftliche, die aber gar nichts wert war, denn er und ich, wir schrieben fast den ganzen Krempel allein: über Sozialpolitik, Religion und Politik, wovon wir beide nichts verstanden, denn ich war Ingenieur und er war Landwirt, ohne Land, wie du sehr richtig denkst. Da plagte mich der Teufel und ich schrieb auch ein Buch über die soziale Frage, fand sogar einen Verleger dafür – es muß wohl so verrückt gewesen sein, daß er deswegen glaubte, ein Geschäft zu machen. Der Verleger bezahlte natürlich keinen Groschen, aber er machte Reklame für das Buch und das war mein Unglück, denn nun wurde man auf mich aufmerksam und die Polizei begann mich zu beobachten; bei all der Verrücktheit muß wohl etwas wie ein anarchistischer roter Faden hindurchgegangen sein. Ich war inzwischen nach Köpenick übergesiedelt, wo ich wieder in eine Fabrik eingetreten war, dort wurde ich verhaftet und in Untersuchung gehalten, aber man konnte mir nichts beweisen und das war schade, denn ich hätte mich doch lieber als Anarchisten einsperren lassen, denn als Irren in das Irrenhaus, wie man tat, weil ich das Wort soziale Frage schreiben mußte und das F nicht schreiben konnte. Auf Ehrenwort, das ist die volle Wahrheit! Nämlich in die Irrenabteilung vom Charlottenburger Krankenhause. Und nun kommt die Katastrophe, liebe Paulafrau. Es war an einem Abend, ungefähr um neun Uhr, als ich bemerkte, daß der Wärter, der sonst immer mit mir im Zimmer war, dieses verließ. Ich hörte ihn im Korridor an ein Schränkchen gehen, wo Gifte aufbewahrt wurden, und sich von da entfernen. Alsbald kam mir ein Gedanke: ich öffnete die Tür und siehe da, das Schränkchen stand noch offen. Schnell ging ich hinaus und griff nach einem Gläschen mit Strychnin, trug es in mein Zimmer und nahm eine große Dosis davon, die mich meiner Meinung nach unfehlbar töten mußte, denn ich hatte es satt, als ein Verrückter behandelt zu werden.
Zuerst bemerkte ich keinerlei Wirkung, ja ich fühlte mich so gut, daß ich glaubte, überhaupt kein Gift, sondern etwas Unschädliches genommen zu haben. Allmählich jedoch verspürte ich eine Art Unbehagen als Anfang der Vergiftungssymptome. Es war mir ungefähr so zu Mute, als hätte ich etwas ausgeübt, für das ich schlimme Folgen fürchtete.
Darauf bekam ich plötzlich einen großen Druck im Gehirn hinter den Augenhöhlen, als wenn dort irgend etwas bestände, was alles Blut gegen die Schädeldecke presse und sie zu zersprengen drohte. Aber es verging wieder zum größten Teil, dafür bekam ich greuliches Ohrensausen und fühlte förmlich, wie das Blut mir wie hinter den Trommelfellen hämmerte. Das war nur der Anfang, aber es kam schlimmer, als ich mir gedacht hatte. Das Gift war wohl schon verdorben und hatte an Wirksamkeit verloren, deshalb wurde mein Todeskampf so qualvoll und lang andauernd. Ich fühlte, wie der Druck hinter der Stirn immer größer und größer wurde und hatte dabei die Empfindung, daß alles Blut aus meinem ganzen Körper im Gehirn zusammen ströme und es ausdehne gegen die Schädeldecke hin. Dann hatte ich nur noch die dunkle Vorstellung, daß etwas Gräßliches in meinem Kopfe vorgehe, ohne mir doch Rechenschaft ablegen zu können, welcher Art dieser Vorgang war. Ich hatte den einzigen Wunsch, es mochte mit mir bald zu Ende gehen, denn ich dachte natürlich, mit meinem Tode würde ich das ganze Erdenelend los sein.
Der Wärter, der zurückgekehrt war, hatte bald gemerkt, daß mit mir etwas nicht in Ordnung war, und meldete es dem Arzt, der die Aufsicht führte, und dieser ließ den Chefarzt rufen. Man nahm mich nun vor und gab mir ein Getränk ein, ich glaube Milch mit Schwefeläther vermischt, damit ich mich erbrechen sollte, was ich denn auch tat, nicht ohne mich vorher energisch gegen das Mittel gewehrt zu haben. Aber es war zu spät, und so holte ich schließlich noch einmal Atem und verschied langsam und ohne besondere Schmerzen, aber auch ohne das Bewußtsein, zu sterben, vielmehr in einer Art von Erleichterung.
Ich hatte auch weiter keine klare Empfindung davon, nun eine Art Geist zu sein, vielmehr glaubte ich noch immer als Otto Dalberg auf dieser Welt zu leben, ohne gerade unglücklich darüber zu sein, daß mein Selbstmordversuch fehlgeschlagen wer.
Ich wurde nun in das Schauhaus gebracht und anderen Tages gewaschen und aufgebahrt. Bei diesen Vorbereitungen zu meiner Beerdigung hatte ich eine ganz sonderbare und unheimliche Empfindung, nämlich diese: ich hätte meinen Körper nur auf ganz kurze Zeit verlassen und könnte noch immer in denselben zurückkehren, wenn ich nur wollte, und wenn ich es dachte zu vollbringen, so merkte ich die Unmöglichkeit; allein ich ließ mich nicht abschrecken und versuchte immer wieder, mich mit meinem Körper zu verbinden ...
Dann kam die Beerdigung, und ich habe noch heute, wo es doch so lange her ist, einen grausamen Schmerz bei diesem Gedanken.
Man bettete meinen Körper in Reih und Glied: links war noch ein freier Raum, aber rechts lag eine alte irrsinnige Wäscherin, die vor ungefähr drei Wochen gestorben war, und zu Füßen ein gemeiner Mann, der sich hingetrunken hatte. Ich kann dir nicht sagen, wie ich, der ich immer für das Aristokratische gewesen war, unter dem Gedanken an diese Nachbarschaft litt.
Aber was bedeutete das gegen die Angst, daß ich nun lebendig begraben würde! Denn ich hatte immer noch die Idee, daß ich überhaupt noch nicht tot sei, sondern noch zu meinem Körper gehörte. Ich hatte ja nie an eine Fortdauer in geistiger Art geglaubt, sondern war ein Freigeist gewesen und hatte alles Transzendentale verlacht und für Erfindung beschränkter Köpfe gehalten.
Nun fing ich aber doch allmählich an zu begreifen, daß es eine Art von geistiger Fortdauer geben müsse, das heißt, ich fing an, mich als etwas Existierendes zu fühlen, obgleich ich doch sah, daß mein Körper ins Grab gesenkt und verschüttet wurde. Bang war mir dabei nicht gerade zu Mute, aber doch höchst unbehaglich.
Da ereignete sich etwas Sonderbares. Neben mir, das heißt neben meinem Geiste, stand lange Zeit eine Art von Erscheinung, aber ohne daß ich hätte sagen können, ob es eine Seele oder eine Gestalt oder sonst etwas sei – nur etwas Lebendiges war es, etwas von meiner eigenen Art, und dieses Wesen hatte für mich etwas Beruhigendes, es brachte mir die volle Überzeugung bei, daß ich existierte, daß ich doch noch in einer Form, die ich freilich jetzt noch nicht verstand, weiter lebte. Das Wesen hatte für mich etwas Vertrautes, in der ganzen Art, etwas, das mich an irgend einen lieben Menschen erinnerte, den ich früher geliebt hatte, denn jetzt seit langer Zeit hatte ich niemand mehr geliebt. Ich habe niemals erfahren, wer dieses Wesen war, aber noch jetzt habe ich große Sehnsucht danach, es im All aufzufinden.
Ich konnte mich noch lange nicht von meinem Grabhügel trennen und hockte dort und sehnte mich nach meinem Körper, den ich noch immer liebte. Endlich kam ich auf die Idee, daß ich doch irgend etwas vornehmen müsse, und so schwirrte ich im All umher, in einer Art Traumzustand. Ich hörte nichts, fühlte nichts, sah nichts, hatte von allen Sinnestätigkeiten nur eine dunkle Empfindung, jedoch hinreichend, um mit der materiellen Welt Fühlung zu haben und ihre Unterschiede wahrnehmen zu können. Dabei hatte ich eine Art Vorstellung, daß es mir glücken müsse, irgendwie mit dem Erdenleben in Berührung zu treten, und ich bangte mich immer mehr nach etwas, was mir dazu verhelfen könnte.
Oftmals hatte ich die Empfindung, als hatte ich irgendwo Ottos Geliebte gefunden, das heißt, ein Erdenweib, das so wie er sich sehnte, die Erde zu genießen; aber stets hatte ich eine arge Enttäuschung davongetragen. Da merkte ich eines Abends in einer Wellmerschen Spiritistenversammlung in meiner unmittelbaren Nähe ein starkes Medium, und das warst du, liebe Paulafrau. Ich begleitete dich, obwohl du keine Ahnung davon hattest; das war gar nicht nötig: ohne daß du von mir wußtest, konnte ich insoweit von dir Besitz ergreifen, daß ich deine Sinnesorgane benutzen konnte, um durch sie die Welt zu genießen. Seit du mir aber Gelegenheit gegeben hast, mit dir zu reden, bin ich so glücklich daran, wie meine Geisterexistenz es nur irgend erlaubt, denn du bist ein so gefügiges und gutes und kluges Medium, wie man es nicht so leicht findet, und wie für mich geschaffen. Ich genieße durch dich und kann mich betätigen, und ich verlasse dich niemals, du wirst immer mehr mein Eigen werden, es würde dir nichts mehr helfen, dich zu sträuben. Du bist für mich alles, der ganze Inhalt meiner Existenz, du hast mir das Leben geschenkt, und ich sollte dich in Dankbarkeit lieben und hoch halten. Aber meine satanische Art ist es, diejenigen zu quälen, die mir wohltun ...
Du, liebe Paulafrau, hast manchmal schon Ärger durch mich gehabt, wenn ich dich belog oder beschimpfte; aber glaube mir, soviel an Liebe und Wohlwollen eine Kreatur meiner gemeinen Art nur haben kann, habe ich für dich gehabt und habe es noch. Ja, ich fühle, daß meine Natur sich mildert, daß ich besser werde und daß du mich besiegst, mir die Kraft zum Bösen nimmst ... Du liebe Paulafrau, ich habe dich lieb – ich habe dich lieb – ich habe dich lieb ...
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Frau Paula hatte den Schluß hastig gelesen, errötend wie eine ertappte Geliebte, und doch merklich beglückt durch die so schmeichelhafte Schlußwendung des Berichtes.
Die Herren hatten sie nicht unterbrochen, nur daß der Professor an ein paar Stellen die Luft dazu und sein Unbehagen durch unartikulierte Laute markiert hatte.
»Bist du fertig?« fragte er schließlich.
»Ja. Bist du nun überzeugt? Oder glaubst du, daß ich imstande wäre, das so hinzuwerfen?«
»Vielleicht darf ich armer depossedierter Ehemann an meinen Successor die Frage richten, wann und wo er gestorben und begraben worden? Wir können ihm vielleicht nachträglich ein Denkmal errichten.«
Paula erhob sich und kehrte mit Schreibzeug und Papier zurück. Während die Feder kritzelte, las sie: »Dein Mann zweifelt wieder an mir, aber es ist doch alles die Wahrheit, was ich dir diktiert. Er kann sich erkundigen. Ich bin gestorben am 6. Juni 1896 im Krankenhause zu Charlottenburg und begraben auf dem Kirchhof der Luisengemeinde in Westend bei Charlottenburg, ihr könnt den Grabstein finden, es ist in der dritten Reihe vom Eingang aus das fünfte Grab rechts. Mein Name steht nicht darauf, sondern nur die Nummer 306.«
»Also, mein liebes Kind, wir werden bei der Direktion des städtischen Krankenhauses anfragen. Vielleicht schreibt dein Geisterfreund die Anfrage selber – ich besorge sofort eine Karte mit Rückantwort. Verzeihung, Hoheit ...«
Der Professor ging raschen Schrittes davon. Der Prinz bat sich das Manuskript aus und musterte es. »Diese runde Schrift ist doch ganz wesentlich wieder von Ihrer Handschrift verschieden, gnädige Frau,« meinte er kopfschüttelnd. »Und sie haben in der Tat nicht gewußt, was Sie schrieben?«
»Manchmal doch, das Kommende blitzte mir wohl im Kopfe auf, während die Hand schrieb, aber es schnurrte alles ab, wie bei einer Weckeruhr, ich war nur Beobachterin dabei.«
»Ein seltsamer Vorgang ... ah ...«
Der Professor kehrte zurück und brachte die Doppelkarte, legte sie vor Paula, welche wieder zur Feder griff. Die Hand schrieb:
An die Direktion des städtischen Krankenhauses zu Charlottenburg.
Sehr geehrter Herr!
Es liegt dem Unterzeichneten viel daran, zu erfahren, ob in Ihrem Institut am 6. Juni 1896 ein Ingenieur Otto Dalberg in der Irrenabteilung durch Selbstvergiftung verstorben ist.
Sie würden durch freundlichen Bescheid sehr verpflichten
Ihren hochachtungsvoll ergebenen
Prof. Dr. Laßberg-Budde.
Auch die Adresse der Rückantwort ward ausgefüllt.
»Wenn die Angaben stimmen, liebe Paula, dann bin ich Spiritist,« sagte der Professor. »Wenn nicht, so rate ich dir: schreib Novellen.«
Der Prinz lächelte, indem er sich erhob. »Darf ich diese Anfrage mitnehmen, um sie einzuwerfen? Ich muß mich verabschieden. Meine Gnädigste ...«