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Es war ein paar Tage später.
Laßberg-Buddes waren soeben aus einer Don Juan-Vorstellung im Opernhause heimgekehrt. Sie waren abonniert, beide musikalisch interessiert; die Professorin spielte selbst nicht übel Klavier.
Frau Paula hatte sichs bequem gemacht, ihre Theatertoilette gegen ihren mit schwarzer Spitze garnierten, weinroten Morgenrock vertauscht, in dem sie sich so königlich schlank bewegte. Sie liebte es nicht nach dem Theater, verbreiteter Gewohnheit gemäß, noch irgend eins der rauchigen Lokale aufzusuchen. Der Diener hatte im Salon Kaminfeuer machen müssen, das Wetter war so kühl, daß das schwache Anheizen der Öfen nicht genügt hatte, um die Zimmer bis zur Nacht behaglich zu erhalten. Nun saß das Paar, bestrahlt von den flackernden Flammen, zwischen sich einen niedrigen, schwarzen, japanisch geschnitzten Tisch aus Stannholz, auf dem Tee serviert war: während Frau Paula in ihrem knarrenden Streckstuhl Teewaffeln knabberte und ab und zu einen Schluck nahm, hielt ihr Gatte das Abendblatt des Lokalanzeigers gegen das Feuer und bemühte sich, die Depeschen zu entziffern.
Frau Paula schwatzte dazwischen. Sie hatte nun einmal eine Abneigung gegen diese pflichtmäßigen Zeitungsstudien, bei denen selten etwas Lohnendes herauskäme, und behandelte sie ohne die geringste Pietät.
Auf einmal sagte sie: »Weißt du, Felix, die Geschichte mit dem Komtur läuft doch geradezu auf den Spiritismus hinaus. Das ist doch eine komplette Materialisation.«
»Ja,« meinte der Professor, ohne aufzublicken. »Sogar ein Pferd materialisiert sich dabei.«
»Gott, warum das nicht? Ich sehe überhaupt nicht ein, warum die Menschen allein fortleben sollen: wenn schon – denn schon. Heute nimmt doch jeder verständige Mensch an, daß die Tiere ebenso Geist haben, wie wir, nur mit geringerer Entwickelung. Es sollte mich sehr wundern, wenn im Spiritismus davon nicht die Rede wäre.« – Pause.
»Im Shakespeare auch ... wenn ich mir das überlege, so wimmelt es da von Spiritismus. Hamlets Vater ... Cäsars Geist ... und erst im Sturm ...«
»Und Oberon und Titania, und die Elfen ...« Er las unverdrossen weiter.
»Damals muß alle Welt daran geglaubt haben.«
»Natürlich; bis zu Thomasius gabs noch Hexen in Masse, die auf Besenstielen zum Teufel fuhren. Nachher wurde ihre Zahl freilich allgemach immer dünner.«
»Du – sagte ich dir schon, daß ich mit der Elkan darüber gesprochen, und daß die mit einem Alphabet und einem umgestülpten Glase ganz merkwürdige Dinge erlebt hat?«
»So?«
»Ja – du, das könnten wir doch auch mal probieren. Ich habe gerade Lust dazu.« Sie war plötzlich ganz lebhaft und sprang aus ihrem Stuhl auf.
Er sah sie kopfschüttelnd an. »Du wirst mir unheimlich, Schatz. Glaubst du, daß unser Leben gemütlicher wird, wenn wir diesem fragwürdigen Problem einen Platz in unserer Häuslichkeit einräumen?«
»Aber die Sache ist doch interessant – sei nicht so langweilig, Felix. Außerdem wissen wir noch gar nicht, ob wir bei uns im Hause etwas erleben.«
»Ich wünschte das Gegenteil.«
»Ich nicht,« lachte sie und drückte an der elektrischen Klingel. Du mußt dich doch mit der Sache beschäftigen, gib acht, der Prinz läßt dich nicht los, er kommt nur ihretwegen zu uns.«
Sie hieß Peter das Teegeschirr hinausschaffen und verschwand in ihrem Boudoir. Als sie zurückkehrte, hielt sie triumphierend einen Bogen Papier in der Hand, den sie auf dem schwarzen Tischchen ausbreitete und glattstrich. Der Professor hatte Zeit, ihn zu besichtigen, denn sie ging ins Eßzimmer.
Um die freie Mitte des Bogens hatte sie die Ziffern von eins bis zehn mit Bleistift aufgezeichnet, über diesen lief kreisförmig das Alphabet einschließend herum; in den Ecken stand: ja – nein – ich will nicht – ich weiß nicht.
Sie brachte ein schlankes, dünnwandiges Wasserglas, stülpte es auf die Mitte und zog mit dem Bleistift, den sie noch in der Hand hielt, einen Kreis um dasselbe.
»So,« sagte sie, »nun leg mal die Zeitung fort, es kann losgehen.«
Er gehorchte und legte, gleich ihr, zwei Finger auf den Glasboden.
Eine Weile wars still, nur die Flammen im Kamin flackerten ihr unheimliches Leben und an der Hängelampe sirrte es leise in dem einen Glühlicht.
»Die Finger werden warm,« meinte Frau Paula halblaut. »Es kribbelt mir in den Spitzen. Fühlst dus auch?«
»Gewiß; das ist ganz natürlich.«
Auf einmal begann das Glas sich zu bewegen, rutschte und beschrieb ein paar kleine Kreise.
»Gott zum Gruß – sind Geister hier?« fragte Frau Paula nach dem Rezept von Wellmer erregt.
Das Glas rutschte unaufhaltsam nach der Ecke hin, in der das Ja stand, kreiste dort ein paarmal und blieb unbeweglich stehen. Der Professor sah seine Frau mißtrauisch an. »Du schiebst, Frau,« sagte er.
»Bei Gott nicht!« beteuerte sie. »Du auch nicht?«
»Wenigstens nicht bewußt und mit Absicht.«
»Willst du deinen Namen sagen?«
Das Glas rutschte und beruhigte sich wieder auf ja.
»So sage ihn.«
Das Glas setzte sich in Bewegung, die beiden machten gespannte Gesichter. Nach einigen Bogen blieb es auf o; dann ergab es in rascher Folge t–t–o–
»Aha, das ist der Otto von Wellmer, der Kontroll-Otto, wie der ihn nannte,« meinte Frau Paula überrascht.
Jetzt schlug das Glas wieder einen Bogen und kehrte auf die Mitte zurück.
»Bist du der Kontroll-Otto?«
»Ja.«
Die beiden sahen sich sprachlos an.
»Witzig ist das,« sagte der Professor. »Aber ich zweifle nicht, daß wir den Gang des Glases unbewußt beeinflussen.«
»Weiter!« rief Frau Paula mit leuchtenden Augen. »Wer hat dir den Namen Kontroll-Otto gegeben?«
Das Glas buchstabierte: »Wellmer.«
»Weshalb denn?«
»Weil er ein Zigeuner ist.«
Das Paar lachte auf. Frau Paula fragte nach dem eigentlichen Namen. »Moritz Otto.« Ob er der Geist eines Verstorbenen? »Ja.« Wann er gestorben? »1245.« Wo? »In Ulm.« Was er bei Lebzeiten gewesen? »Klarinettist.« Wie sein Vater geheißen? »Rudolf Otto.« Was dieser gewesen? »Klarinettist.«
»Wenn das wahr ist, blas uns etwas vor!« rief Paula übermütig.
Das Glas setzte sich langsam in Bewegung, schlug Kreise, schneller und schneller, sie vermochten beide kaum die Finger auf dem Glase festzuhalten. Dabei entstand ein quietschendes Geräusch, das sich zu einem ohrenzerreißenden Kreischen verstärkte. Der Professor lachte: »Nun, das scheint ja ein vergnügter Herr zu sein. – Warst du verheiratet?«
Das Glas beruhigte sich plötzlich und ging auf nein.
»Aber du hattest sicher eine Liebste. Wie hieß die?«
»Katharina.«
»Bist du eines natürlichen Todes gestorben?«
»Nein.«
»Auf welche Art denn?«
Das Glas rutschte ohne Ergebnis hin und her.
»Nun? Gib uns doch Auskunft!«
Plötzlich stand das Glas und fuhr stracks in die Ecke, wo geschrieben stand: Ich will nicht.
Der Professor nahm die Finger vom Glase. »Paula, du drückst doch auf das Glas.« Sie sagte: »Nein, wahrhaftig nicht, ich habe keine Ahnung von dem, was kommt. Ich meinte schon, du stäkest dahinter. Wir wollen ganz ehrliches Spiel spielen, Felix, gib mir dein Wort darauf!«
»Gewiß! Diese Sache fängt doch an, mich zu interessieren. Sie ergibt zum mindesten ein psychologisch-physiologisches Rätsel. Fragen wir den Herrn weiter.« Sie legten wieder die Finger auf.
»Kannst du in die Ferne sehen?«
»Ja.«
»Weißt du, wo meine Mutter ist?«
»In Wernigerode.«
»Was tut sie jetzt?« Sie zog die Uhr, diese zeigte auf 11¾.
»Sie schläft.«
»Wo war sie wohl heute Nachmittag?«
»Bei Feuersteins.«
»Du meinst wohl Feuerleins?«
Das Glas wiederholte »Feuersteins,« fuhr dann zögernd von einem Buchstaben des Alphabets zum andern und zeigte darauf wie mit raschem Entschlusse die andere Namensform.
»Was tat sie dort?«
»Krank.«
»Ist jemand bei Feuerleins krank?«
»Frau Feuerlein.«
»Schwer?«
»Ja.«
»Wird sie sterben?«
»Nein.«
Feuerleins waren nahe Freunde ihrer Familie, und sie machte ein betroffenes Gesicht. »Jetzt schreibe ich aber auf der Stelle an meine Mutter, da werden wir ja hören, ob es stimmt,« sagte sie.
Während sie in ihr Boudoir ging, trug er kaltblutig das Glas fort in das Eßzimmer, und als er zurückkehrte, schraubte er die Lampe aus, worauf er sich in ihr Zimmer begab. Sie kritzelte noch.
»Ich habe ausgelöscht, ich denke, wir gehen jetzt schlafen,« sagte er fest.
»Ach?!«
»Gib mir dein Wort darauf, Paula, daß du nicht ohne mich mit diesem Glase spielen wirst.«
In ihrem schönen, stolzen Gesicht flammte es rot auf, und sie richtete sich empor. Sie war eine so verwöhnte Frau.
»Nein,« sprach sie nach kurzem Besinnen. »Aber ich will dir versprechen, mich im Zaum zu halten und die Sache nicht zu übertreiben.«
»Du wirst deine Nerven ruinieren.«
»Wenn ich das merke, so laß ichs.«
Er biß sich auf die Lippen.
»Gut, das genügt mir vorläufig.«