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XVII

Es war an einem der letzten Novembertage, gegen acht Uhr abends.

Ein häßlicher, böiger Sturmwind heulte durch das Straßengewirr der Reichshauptstadt, schlug in der Laternendämmerung wie mit Händen um sich, daß die Kleider wirbelten, die Markisen klapperten, selbst die Fuhrwerke frostig in sich hinein zu kriechen schienen.

In der Mulacksgasse, vor der Häblerschen Wohnung, war große Auffahrt, was trotz des schlechten Wetters nicht ohne Aussehen zu erregen vor sich ging. Nachbarn traten aus den Ladentüren, Passanten blieben stehen, machten Glossen und tauschten Fragen.

Prinz Georg, Prinzeß Marie, der Adjutant und die Komteß Meerheimb waren zusammen gefahren und die ersten, die ausstiegen. An der Haustür erwartete sie Wellmer, der schon ein Weilchen auf dem Trottoir auf- und abgegangen war. Da der Adjutant Bescheid wußte, ersuchte der Prinz Wellmer, die später Kommenden zu lancieren.

Das waren zunächst Professors, denen der Prinz ein Coupé geschickt hatte – Paula hatte das Anerbieten, ohne ihren Mann zu fragen, angenommen. Wellmer geleitete sie noch oben und kehrte noch einmal um. Ein zweites Coupé, und diesem entstiegen – die Baronin Meiringen und die Gräfin Bensheim.

In der Tat! Und das war so gekommen:

Die Baronin, der die »Rettung« der Freundin zur fixen Idee geworden, war, nachdem der Rittmeister ihrem Attentat auf den »Spieler« so geschickt und glücklich ein Paroli geboten, Hals über Kopf zur Fürstin gefahren und hatte die dort herrschende Gleichgültigkeit gegen die Wahl der Gräfin durch ihre aufgeregte Mitteilung der jüngsten Entdeckung gründlich beseitigt. »Bringen Sie die Luise morgen jedenfalls zum Tee mit,« hatte die Fürstin gesagt. »Ich werde mit ihr reden.«

Eine schwere Teestunde für die arme, verliebte, kopfschwache Gräfin! »Unsere liebe Baronin hat uns da schöne Dinge erzählt« ... Mit dieser Heirat ist die Gräfin bei Hofe, im Hause der Fürstin unmöglich ... Ein professionsmäßiger Spieler, das ist freilich eine schlechte Garantie für lautere Absichten, und es ist, nachdem dies ermittelt, mehr als wahrscheinlich, daß diese Zustimmung des seligen Edgar eine abgekartete Sache. Man hat eine Sitzung bei jener Frau vorbereitet, um sie zu prüfen.

»Wir werden mitfahren, Luise,« spricht die Baronin auf jene Art, mit der sie einst die Freundin vor Erscheinen des Rittmeisters so sicher beherrscht hatte. »Erweist sich die Frau als glaubhaft – gut, dann heirate ihn und nimm die Folgen auf dich.«

Sie wird gedrängt, überwältigt, stimmt schließlich zu, will gegen den Rittmeister darüber schweigen. Und als es soweit ist, schafft die Baronin sie wie ein gebundenes Lamm in den Wagen.

Ihr ist wieder jammervoll zu Mute – so hohl und leer und still, nur wie getrennt von ihr wirren im Kopf die unvereinbaren Gegensätze immerzu gegen einander. Sie flüstert unterwegs vor sich hin und einmal sagt sie: »Ich bete immerzu, Babette, daß Edgar sich mir noch einmal offenbart, womöglich sogar vor aller Augen« ...

Im Korridor oben hatte Frau Häbler den Prinzen und seine Begleitung empfangen; hinter ihr stand ihr Mann und bog mehrmals den breiten Rücken, weiterhin in der Tür der Stube mit dem Geisterkabinett ihr Bruder Emil. »Ist mich eine besondere Ehre, Hoheiten ... mein Mann ... mein Bruder ... Es sind noch ein paar Herrschaften da – –«

Der Prinz stutzte. »Ich denke, wir sind unter uns?«

»Nur ein paar hohe Herrschaften von meine Kunden: Frau Gräfin Buddenbrock mit ihrer lieben Tochter –«

»Helene Buddenbrock?« rief die Komteß Meerheimb, »du kennst sie ja auch, Marie; o wie nett,

Man begrüßte sich drinnen, stellte vor. Noch zwei Offiziere in Zivil, ein Musikprofessor und ein Schauspieler, bekannte Namen, von Damen zwei Stiftsfräulein, die in Ehrfurcht erstarben, und eine adlige Lehrerin. Es waren Stuhlreihen gestellt, wie bei einem Konzert, für die freie Bewegung war die Tür zu jenem Vorzimmer geöffnet, in dem sich die Affäre Könneke abgespielt. Die Beleuchtung bewirkte hüben wie drüben je eine rot verkleidete Lampe, in dem roten Dämmer bewegte sich alles, sprach alles, wie von selber, gedämpft; es bedurfte kaum des noch geschlossenen Kabinetts da, um für etwas Außerordentliches, Geheimnisvolles Stimmung zu machen.

Die Häbler, in gelber Bluse und grauem Rock mit dem chinierten Gürtel und der kabalistischen Schnalle daran, bewegte sich mit mehr Freundlichkeit zwischen den Anwesenden, als ihr eigentlich zu Gesicht stand, und ihren »Kunden« gegenüber mit einer ostentativen Vertraulichkeit, die allerdings nach der Art, wie sie erwidert wurde, gerechtfertigt erschien. Auch ihr stiernackiger Gatte, der mit halbverlegenem Händereiben umher stand und zuweilen ganz unmotiviert grinste, mehr noch der Schriftsetzer schienen an eine freundschaftliche Behandlung gewöhnt zu sein. Während die beiden jungen Damen sich an die Buddenbrocks attachierten und sich flüsternd unterhielten – nur Prinzeß Marie warf dazwischen beobachtende Blicke auf ihre Umgebung – und Herr von Schöning höflich reserviert sich von dem Schriftsetzer unterhalten ließ, verwickelte der Prinz die Häbler in ein eingehenderes Gespräch, die durch den hohen Rang ihres Partners im übrigen keineswegs sonderlich benommen erschien. Ihr Mann, der horchend in der Nähe stand, wurde nur einmal lebendig – als der Prinz äußerte, daß er sich lebhaft mit dem Spiritismus beschäftige und sehr erfreut sei durch die Aussicht, vielleicht Zeuge von Materialisationen zu werden, trat er plötzlich herzu und versicherte: »Es gibt heute ganz sicher was, meine Frau hat sich vierzehn Tage ganz ausgeruht.« Worauf sich der Prinz, ihn mit ruhigem Blick musternd, oberflächlich verneigte.

Professors kamen, der Schriftsetzer schoß hinaus und brachte sie herein. Wieder die halb flüsternde Begrüßung, Vorstellung ...

Prinzeß Marie reckte sich mit ihrem ganzen anmutigen Figürchen auf und unter ihren matten Lidern sprühte es. Ah – das ist sie nun! Eine schöne Frau, eine trostlos schöne Frau. Nun weiß sie, was den Onkel so milde gestimmt hat, daß sie jüngst Grüße an die Eltern schicken durfte. Wie könnte sie dieser Frau die Hand reichen! Wie sie sich zu ihr verneigt – wie eine Königin. Was ist sie denn?

»Durchlaucht sind mir keine Fremde, seid wir den Vorzug haben, Hoheit bei uns zu begrüßen –«

»Hat er mich erwähnt?« fragte sie kühl. Auf einmal kommt es ihr ganz unglaublich vor, daß sie die Absicht gehabt, dieser Frau einen Besuch zu machen. Sie wird die perfiden Schreibkünste der Dame nicht mit einem Wort erwähnen. Aber da prickelt sie's doch unwiderstehlich: »Gnädige Frau sind so glücklich, drei Verehrer auf einmal im Hause zu haben« – ein unbestimmbares Lächeln schwächt die Spitze ab – »einen Gatten, meinen Onkel und einen Geist.«

Paula merkt nichts, wie es scheint. »Seine Durchlaucht wollen wir einmal ausnehmen.« sagt sie unbefangen. »Aber sicher ist, daß ich ihm schöne, angeregte Stunden verdanke ...« Es schrillt wieder.

Die Gräfin, die Baronin, Wellmer.

»Na, heute komme ich mal zu Ihnen,« sagt die derbe Stimme Wellmers obenhin zur Häbler. »Hoffentlich lohnt's.«

Die nickt bloß, gibt ihm die Hand; Wellmer spürt eine Art von Freimaurerdruck. Er geht zum Prinzen und flüstert dem zu: »Schon faul.« Die Häbler steht vor der großen Figur der Gräfin wie ein skrophulöser Backfisch, mit traulichem Nicken. »Er ist wieder bei Ihnen,« spricht sie. »Der Hund auch. Er sieht so zufrieden aus!«

»Ach? das macht mich so glücklich,« flötet die arme Gräfin.

Ist vielleicht mein Mann auch bei mir?« fragt die Baronin mit ihrer harten Art.

»Es ist etwas bei Ihnen,« nickt die Häbler, »aber undeutlich«.

»Ja,« sagt die Baronin trocken. »Undeutlich war er immer.«

In diesem Augenblick trat der Schriftsetzer näher, die Häbler wandte sich zu ihm und beide wechselten ein paar Worte, worauf sie hinausging und mit einem Arm voll Kleidung wiederkehrte, die sie auf einen Stuhl beim Kabinett warf.

»Bitte die Herrschaften, die neu hier sind, sich das Kabinett anzusehen, daß alles mit rechten Dingen zugeht,« sagte Frau Häbler.

Nur Wellmer, der Prinz und Herr von Schöning folgten ihrer Aufforderung. Wellmer und der Prinz begannen die beiden Wände abzuklopfen, Häbler kam hinzu, hob die Bekleidung vom Holzgerippe des Streckstuhles, einen mit Roßhaar gefütterten Tapisseriebelag, und reichte sie dem Prinzen. »Es ist nichts drin,« sagte er.

In der Tat – nichts Verdächtiges.

Der Prinz nickte befriedigt. Ich hörte, Sie haben hier sehr oft Geistererscheinungen?«

»Jawoll; und Apporte. Blumen gibt's immer,« versicherte Häbler.

»So; sind die Geister immer verschieden?«

»O ja, Herren und Damen. Besonders aber die zwei Schutzgeister von meiner Frau, der Schutzgeist Elise und der Schutzgeist Emil. Die stehen auch manchmal am hellichten Tage auf einmal bei sie und überreichen mir was, und dann sind sie wieder weg. Na, überhaupt – manchmal, wenn ich ruhig sitze, hebt's mich in die Luft, oder die Stühle fangen an zu tanzen.«

»Das muß aber recht ungemütlich sein – wie?«

»O, dadran gewöhnt man sich.«

Wellmer sagte nichts, betrachtete ihn gleichmütig, grunzte und pustete nur ein bißchen vor sich hin.

»Was macht denn Ihre Frau mit der Kleidung?«

»Sie zieht sich um. Die Herrschaften können zusehen.« Der Prinz trat zur Häbler, neben welcher jetzt die Baronin mit der Gräfin stand, denen sie einen Kleiderrock hinreichte. »Sehen Sie sich alles genau an, meine Damen.« Der Prinz bat sich den Rock aus, ein merkwürdig steifes, schweres Stück von dunkler Farbe. Er befühlte es, bemerkte aber nichts Besonderes weiter daran.

»Bitte die Herrschaften, Platz zu nehmen!« rief die Häbler. »Die zwei Herren bitte ich, bei mich zu bleiben und mit ins Kabinett zu kommen, bis ich in Trance bin; zwei haben bloß Platz, Herr Wellmer –« schloß sie mit einer Entschuldigung gegen diesen, »Sie wissen ja schon Bescheid.«

Wellmer ging leise zwischen den Lippen pfeifend zur Gesellschaft, welcher der Schriftsetzer, wie es schien, nach einem ganz bestimmten Plan die Plätze anwies. Herr Häbler folgte Wellmer und deutete auf den letzten Stuhl links in der Vorderreihe. Drei einzelne Stühle standen noch schräg davor. Der Prinzeß und ihrer Freundin wurden Plätze auf einem an der Wand rechts stehenden dreisitzigen Sofa zugeteilt. Inzwischen trug die Häbler den Stuhl mit der Kleidung dicht vor das offene Kabinett, und auf einmal, während sie noch nach den beiden Herren hinsprach, fing sie ganz ungeniert an, sich ihrer Kleidung zu entledigen.

»Phü-t,« machte der Adjutant zwischen den Lippen und gab sich eine Wendung. Auch in der vorderen Sitzreihe tat sich eine Bewegung kund. Die beiden Freundinnen auf dem Sofa waren rot und wandten die Köpfe weg; Paula begann angelegentlich auf ihren Mann einzusprechen, den sie seither vergeblich zu bewegen gesucht, sich dem Prinzen anzuschließen; er hatte sich steif hinten gehalten und mit wahren Argusaugen alles, was vorging, kritisch studiert.

»Wir sind ja doch erwachsene Leute,« beschwichtigte die Häbler mit einem schwachen Rest von Verlegenheit. »Sehen Sie, ich habe nichts mehr an, wie den Rock.«

In der Tat war ihr ganzer Oberkörper bis zu den Hüften bloß – ein weniger dürftiger Frauenkörper, als man bei ihr vermuten mußte.

»Wenn Sie sich überzeugen wollen?« meinte sie einladend zum Prinzen hin und machte Miene, den weißen Unterrock noch mehr zu verschieben.

»Bitte, bitte –« wehrte der hastig. »Wir sind vollkommen befriedigt.« Und sie zog geschickt das Hemd wieder über und vervollständigte ihre Toilette durch den schweren Rock und ein gleich dunkles Jäckchen nebst einer hellrötlichen Schürze, worauf ihr Mann herzu eilte und den Stuhl mit dem Garderoberest beiseite trug.

»So,« sagte die Häbler befriedigt und setzte sich im Kabinett. »Wenn die beiden Herren jetzt hereinkommen und zuschieben wollten.« Gleich darauf gab es eine lautlos stille Situation. Draußen hatte sich Herr Häbler auf den einen Stuhl zunächst bei Wellmer, der Schriftsetzer auf den äußersten noch freien Sofaplatz zu den jungen Damen gesetzt, die verdutzt – die Prinzeß mit einer hochmütigen Wendung des Kopfes – beiseite gerückt waren. Im geschlossenen Kabinett standen der Prinz und Herr von Schöning, den Stuhl mit der Frau Häbler zwischen sich. Der Schriftsetzer hatte vorher die beiden roten Lampen tiefer geschraubt; immerhin war die rote Dämmerung durchsichtig genug, um im Kabinett die Züge des Mediums noch ziemlich genau beobachten zu lassen.

Die Häbler saß zurückgelehnt, doch den Kopf etwas vorgeneigt; ihre Augen schlossen sich, sie atmete schwer, sank mehr und mehr in sich zusammen: ganz wie einst mit der Binde vor den Augen in Gegenwart der Gräfin und des Rittmeisters. Auch die magnetischen Striche fehlten nicht.

Langsam sanken die Arme nieder.

»Ob wir hinausgehen?« fragte der Prinz unschlüssig.

»Ja,« flüsterte die Häbler.

Sie verließen das Kabinett, Häbler sprang auf, kam ihnen entgegen, schob die Gardine ganz zu und geleitete beide zu den freien Stühlen neben dem seinen.

Irgendwo leises Geflüster.

»Die Herrschaften können ruhig sprechen,« sagte Häbler. »Das macht die Geister nichts. Grade denn kommen sie eher, wenn nicht auf sie gewartet wird.«

»Machen Sie doch ein bißchen Musik,« fügte Wellmer hinzu.

Häbler ging in das Nachbarzimmer und gleich darauf begann die dort stehende Spieldose zu arbeiten. Dann kehrte er zurück und setzte sich wieder.

»Sie glauben, daß es Materialisationen geben wird?« fragte die derbe Stimme Wellmers laut.

»Es gibt was,« versicherte Häbler. »Wahrscheinlich auch Apporte.«

Es wollte doch kein lautes Gespräch aufkommen, die Spannung hielt alles in Bann. Im Kabinett hörte man ein Seufzen, Rascheln. »Wir wollen eins singen,« sagte der Schriftsetzer auf dem Sofa und stimmte gleich darauf mit einem leidlichen Tenor an: »Laß mich gehen, laß mich gehen« ... Häbler fiel mit einem höchst fragwürdigen Organ ein, und die beiden, von vereinzelten Stimmen aus der Gesellschaft zaghaft unterstützt, sangen das Lied zu Ende.

Auf einmal regte sich's beim Kabinett in der Luft und es gab einen Plautz auf den Dielen.

»Ah, Blumen,« sagte es beglückt auf den Bänken.

»Jawoll, Astern,« nickte Häbler dem Prinzen verständnisvoll zu, während der Schriftsetzer aufgesprungen war und hinlief, um aufzulesen.

»Können Sie denn sehen, daß das Astern sind?« fragte Wellmer. »Ich nicht.«

»Sehe ich ganz genau,« meinte Herr Häbler etwas betreten.

Der Schriftsetzer verteilte die Blumen an die Damen, ersuchte für die hinten Sitzenden weiter zu geben. »Das haben die Geister gebracht,« sagte er vertraulich zu seinen Nachbarinnen, indem er sich wieder setzte.

»Das ist nett von den Geistern,« meinte die Prinzeß heuchlerisch. »Wo bekommen sie die denn her? Aus dem Jenseits?«

»Das sind irdische Blumen; die pflücken sie irgendwo, dematerialisieren sie, bringen sie mit und materialisieren sie wieder.«

Die freudige Erregung unter den Stammgästen der Häbler legte sich, es trat wieder beklemmende Stille ein. Häbler begab sich noch einmal in das Nebenzimmer und aufs neue begann die Spieluhr zu klingen. Irgend ein Walzer.

Nun, zum Schluß, tropften die Töne nur vereinzelt.

Da – ein lichter Arm schob die Gardine zur Hälfte zurück. Undeutlich sah man den Stuhl der Frau Häbler, die Gestalt drauf, das Gesicht wie einen Fleck ... Und seitlich immer noch der lichte Arm, wie aus Tüllfalten in der Luft graziöse Schlangenlinien beschreibend.

Sensation ... Flüstern, Rascheln, sich Vorneigen.

»Das ist der Phantom,« raunte Häbler aufstehend. »Keiner darf vorgehen von die Herrschaften, sonst verschwindet er.« Er selber trat indes vor, zwischen Kabinett und Publikum, dicht beim Prinzen, offenbar scharf beobachtend und mit einer gewissen gespannten Besorgnis. Und drüben hob sich der Schriftsetzer ein wenig und setzte sich wieder, als mache er sich locker.

Und auf einmal schob es sich im Kabinett gegen den Stuhl hin vor: eine Wolke von Tüll, der zu phosphoreszieren schien, und drin ein weißes schlankes Wesen mit durchsichtig verhülltem Kopf, auf dessen Stirn ein blinkendes Diadem saß; die schlanken, bloßen Arme hoch erhoben, in einer Hand eine Blume. Das wiegte sich, wie schwebend, langsam, mit weicher Anmut ...

»Sie hat 'ne Rose,« sagte Häbler heiser. »Die Herrschaften hier können das Medium sehen.«

Das Phantom hub an zu sprechen: eine geisterhaft ferne, weiche, verschleierte Sprache.

»Luise soll kommen, Edgar schickt ihr die Rose.«

Die Gräfin Bensheim, die neben Paula saß, stieß einen wimmernden Laut aus. »Gehen Sie nur,« nickte Häbler ermutigend zu ihr hin. Und schwankend bewegte sie sich, mit den Armen schlotternd, dem Kabinett zu, nahm die Rose, hauchte: »Edgar, mein Edgar ...«

Auf einmal sah man sie das Gleichgewicht verlieren, sie knickte in die Knie und sank mit schwerem dumpfem Fall zu Boden.

Eine Szene voll ungeheurer Verwirrung folgte.

Der Vorhang vor dem Kabinett schnurrte in den Ringen, blitzschnell schloß sich das Kabinett. Häbler und der Schriftsetzer sprangen mit zwei langen Sätzen hin, Häbler schrie: »Sitzen bleiben, keiner darf nahe kommen!« und stellte sich mit grau verstörtem Gesicht und ausgebreiteten Armen vor das Kabinett, während der Schriftsetzer die Gräfin aufzurichten versuchte. Aber von Sitzenbleiben war keine Rede: der Prinz, der Adjutant, Wellmer, der Professor waren bereits zur Stelle, beteiligten sich an dem Liebeswerk des Schriftsetzers; auch die Baronin, die auf letzteren einrief: »So holen Sie doch Wasser!« Häbler schrie immerfort: »Hier darf keiner her« und spreizte die Beine und fuchtelte mit den Armen.

Auf einmal stand Wellmer neben ihm. »Das Phantom ist ja weg,« sagte er rücksichtslos, »und Ihrer Frau kann's nicht schaden« – und mit plötzlichem Griff schlug er das Stück Zeug links von dem verschiebbaren Vorhang auf, schlüpfte gebückt in das Kabinett. »Raus,« schrie Häbler, der jetzt kirschbraun im Gesicht war. »Ich fordere Sie auf, die Wohnung zu verlassen, Herr Wellmer ...

Er faßte vergebens nach der Schiebegardine, um sie festzuhalten, Wellmer hatte sie bereits von innen mit einem Ruck zur Seite geschoben.

In Tüllwogen am Boden stand die Häbler mit verstörtem, verzerrtem Gesicht, in weißem Hemd und weißem Unterrock, den steifen dunklen Rock in den Händen; auf dem Sitz des Stuhls lag die Jacke, auf der Lehne hing die helle Schürze. Man hörte ihre Worte zu dem bei ihr stehenden Wellmer: »Pfui, das hätte ich nicht von Ihnen gedacht, wo Sie doch Spiritist sind. Und ich habe nicht betrogen, der Geist hat mich gleich selber als Materialisation benutzt, weil ich nicht Kraft genug hatte.«

»Jawohl, meine Herrschaften,« rief Herr Häbler. »Es war zu viel Unglauben hier. Das ist immer so, dann macht's der Geist gleich mit meiner Frau. Denn bringt sie's bloß zum Trancemedium.«

Er schloß mit einem heftigen Ruck das Kabinett wieder. Dann erschien sein wütendes Gesicht inwendig hinter dem Überschlag hindurch. »Verlassen Sie das Lokal!« brüllte er Wellmer heiser an.

»Machen Sie keinen Radau und kommen Sie mal herein,« sagte der gleichmütig. »Sie werden sehen, daß sie viel gescheiter daran tun.«

Man bekümmerte sich jetzt draußen nicht weiter drum, was im Kabinett geschah, hatte die ohnmächtige Gräfin auf das Sofa geschafft, und der Schriftsetzer brachte ziemlich kleinlaut einen Topf mit Wasser herein, in den die Baronin ihr Taschentuch tauchte. Flüsternde Gruppen hinten, peinliche Stimmung auf allen Gesichtern. »Onkel, sorge, bitte, daß wir fortkommen; wir sind hier doch vollkommen deplaziert,« sagte die Stimme der Prinzeß Marie neben dem Prinzen, der, wie immer beherrscht, mit keiner Miene verriet, was er in dieser Situation zu sagen hatte. Jetzt bemerkte er: Warten wir, ich muß ausgleichen. Wellmer ist taktlos, ich hätte ihn nicht mitnehmen sollen.« In der Nähe hörte man eine Männerstimme sagen: »Ich lege meine Hand ins Feuer und verpfände meine Ehre, daß Frau Häbler Recht hat. Ich habe schon sieben Materialisationen aus dem Kabinett kommen sehen, nach einander, und bis vor die Teilnehmer, sowohl Männer wie Frauen.«

Paula hatte im frauenhaften Mitleid am Sofa gestanden; als die Gräfin endlich mit wirrem Blick die Augen aufgeschlagen, trat sie zu ihrem Manne, der, die Hände im Rücken, mit spöttischer Genugtuung das Kabinett betrachtete. »Mein Gott, welch ein Ausgang! Man weiß nicht, was man dazu sagen soll.«

»Noch nicht?« betonte er die Achseln hebend. »Na, gnade Gott, du hast einen handfesten Glauben.«

Wellmer stand vor dem Kabinett.

»Meine Herrschaften,« dozierte er mit voller Lunge, »es ist nicht zu bezweifeln, daß diese Sitzung unter sehr widrigen Einflüssen gelitten hat. Der Spirit materialisiert sich nach alter spiritistischer Erfahrung, wenn Mangel an Harmonie unter den Teilnehmern die Entwicklung des medialen Prozesses hemmt, häufig nicht außer, sondern in und mit dem Medium. Das sieht dann genau so aus, wie wenn es die ganze Sache mimte. Glücklicherweise ist der ganze Vorgang wissenschaftlich festgestellt, bei Trancemedien in allen Stadien am hellichten Tage studiert. Leider ist noch der unglückliche Zufall der verehrten Frau Gräfin hinzugekommen, und solche plötzlichen Unterbrechungen alterieren das körperliche Befinden des Mediums derartig, daß es äußerster Ruhe bedarf. Ich empfehle deshalb dringend, die Séance für heute zu unterbrechen.«

Ein Gemurmel unter den Zuhörern deutete das Einverständnis mit dem Vorschlag an. Der Prinz nickte befriedigt und sagte für sich: »Sehr gut.« Die Baronin flüsterte der Gräfin zu: »Fasse dich, Luise, stehe auf, wir fahren nach Hause,« und diese erhob sich schwerfällig, von besorgten Blicken verfolgt. Während der Adjutant und der Schriftsetzer die abgelegte Garderobe holten, die Stiftsdamen mit Paula, die Buddenbrocks mit der Prinzeß und ihrer Freundin im Gespräch für die Häbler eintraten, trafen der Professor und Wellmer beim Prinzen zusammen, der Wellmer die Hand reichte: »Ich bin Ihnen dankbar, daß sie so geschickt ausgeglichen haben. Wir sind Gäste hier und ich wäre höchst ungern mit einem Mißklang gegangen.« Wellmer hob die Schultern. »Ja – vielleicht habe ich sogar die Wahrheit gesagt. Daß die Häbler unbewußt in einem Trancezustand, mit oder ohne Spirit, gehandelt, ist sehr möglich.« Der Professor sah ihn spöttisch an.

»Und die Blumen, Verehrtester?« Ich hätte vorhin zu gern den weißen Unterrock der Venus Anadyomene untersucht. Der Trick ist prachtvoll – sie weiß ganz genau, daß sich niemand an ihre letzte Hülle wagt.«

Aus dem Kabinett tauchte in diesem Augenblick Häbler auf. Der Prinz ging zu ihm. »Drücken Sie, bitte, Ihrer Frau unser Bedauern aus; wir sind ihr im übrigen sehr dankbar,« sagte er vollkommen höflich. »Sie werden gestatten, daß wir uns entsprechend erkenntlich zeigen.« Häbler wiegte langsam seinen Dickkopf. »Ein Unglück,« sagte er betrübt. »So was ist uns noch gar nicht passiert. Wenn meine Frau bloß nicht zu krank davon wird.«

Der Prinz verbeugte sich kurz, winkte dem Adjutanten, flüsterte ihm einige Worte zu, worauf sich der in die Gegend der roten Lampe begab, wo der Musiker, der Schauspieler und die beiden Offiziere miteinander verhandelt hatten: auf einen Teller unter der Lampe legte er ein verschlossenes Kuvert und verneigte sich dann gegen die Herren. Die Offiziere folgten ihm und verabschiedeten sich zeremoniös von dem Prinzen ...

Fünf Minuten später setzten sich unten die Wagen in Bewegung und der Schriftsetzer stieg mit der Lampe wieder in die vereinsamte Wohnung hinauf.

»Und der Wellmer ist doch ein Hund,« sagte Häblers Stimme, als der Schwager den Korridor betrat.


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