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Ländlicher Fortschritt.

Ferdinands Schöpfung, die Gesellschaft »Frohsinn,« gedieh wider Erwarten. Geschriebene Statuten gab es nicht, wohl aber eine scharf ausgeprägte Tendenz.

»In den Frohsinn,« erklärte Ferdinand, »können aufgenommen werden alle Burschen über fünfzehn Jahren, welche haben: bedeutenden Durst, eine Stimme zum Singen, ein Herz zum Lieben, einen Kopf zum Denken und kräftige Muskeln zum Lachen.«

Auch einer Probe mußte sich jeder Eintretende unterwerfen. Sie bestand darin, daß er vom stärksten Wein ohne Aufenthalt einen Schoppen austrank, ohne zu taumeln.

Der Wahlspruch der Gesellschaft Frohsinn war der classischen deutschen Poesie entnommen und lautete: »Pflücket die Rosen, eh' sie verblüh'n.«

Jeden Sonntag Nachmittag traten die Frohsinnigen in einem abgeschlossenen Zimmer des Ochsen zusammen. Es wurde gewöhnlich nur Bier getrunken, und zwar auf Rechnung des Präsidenten, Ferdinand Blendung.

»Trinket wacker, meine Söhne!« pflegte er zu ermuntern. »Ich habe euch erzeugt im Geiste des Frohsinnes, und die Quelle des Frohsinnes sprudelt im Gerstensaft.«

Die Ermunterung des jugendlichen Vaters fand Beachtung. Das Bier wurde in bedeutenden Quantitäten vernichtet, bis tief in die Nacht hinein gezecht, und auf wankenden Füßen nach Hause gegangen. Die Zahl der Frohsinnigen wuchs erstaunlich. Alle rothen Bursche gehörten zur Gesellschaft. Auch manche Söhne schwarzer Väter ließen sich insgeheim, gegen das strenge älterliche Verbot, dennoch aufnehmen; denn Ferdinands Freigebigkeit wirkte unwiderstehlich.

Aus Mannheim hatte er Liedersammlungen verschrieben, eine Auswahl höchst schlüpfriger Gesänge. Vater Ferdinand, im Besitze einiger musikalischen Kenntnisse, übte die Frohsinnigen in den Melodien und mancher Geist, welcher das Licht des Tages scheut, zog im lustigen Schwunge des Gesanges in die offenen Burschenherzen.

Für den Kopf zum vernünftigen Denken sorgte Ferdinand durch zeitgemäße Vorträge, die er passend zwischen Gesänge und lose Unterhaltung zu mischen wußte. Hiebei schwebten ihm als Muster jene Arbeiterschulen vor, welche Fabrikherren zur fortschrittlichen Bildung ihrer weißen Sklaven errichteten. Ferdinand lehrte nach eigenen Heften, erfand im Laufe der Woche pikante Schilderungen über das menschenfeindliche Leben und Treiben der Pfaffen aus Gegenwart und Vergangenheit. Versiegte die Productionskraft, dann griff er zu Eugen Sue's ewigem Juden, zu dessen Geheimnissen des Volkes, zu Gutzkow's Zauberer von Rom und ähnlichen Dichtungen des Hasses gegen die Kirche, – mit Vorliebe aber zu dem Geschichtsbuche, welches ein lutherischer hessischer Prälat für höhere Schulen nach gräßlichen Vorurtheilen und dicken Finsternissen zusammengeschrieben. Bei der Aufnahme erhielt jeder Bursch zum Geschenke den Löwen des Tages, – Renan photographirt. Hiezu kam ein Liederbuch und Renan's Leben Jesu, und zwar die Ausgabe zu fünf Silbergroschen, eine Berliner Uebersetzung nach der zwanzigsten Originalauflage. Zwanzigste Auflage! Unbestreitbar: der Fortschritt würdigt die Tragweite der Presse, und mit Recht; denn ihr gehört die große Strömung der öffentlichen Meinung, und das hat der Fortschritt fertig gebracht ohne Kanzeln und Beichtstühle, vorzüglich durch die Presse. Hätte Renan ein Buch ultramontanen Geistes geschrieben, und zwar von weitaus höherem Werthe, als sein wissenschaftlich werthloses und sittlich schlechtes Leben Jesu, die Fortschreitenden hätten es verachtet, – die Ultramontanen hätten es mißachtet, – es wäre kaum zur dritten Auflage gekommen, – und hätte mehr als fünf Silbergroschen gekostet.

Unter Ferdinands einsichtsvoller Leitung tranken die Bursche mit dem Freibiere zugleich den Geist der Aufklärung. Sie lernten das Leben genießen, die Fesseln des christlichen Sittengesetzes verachten, Glaubenswahrheiten kopfschüttelnd belächeln. Als der Hochmögende nach längerer Abwesenheit zurückkehrte, durfte Ferdinand über seine Thätigkeit Rühmliches berichten.

»Du wirfst Tausende jährlich in die tiefen Taschen hungriger Publicisten,« sagte er. »Mich kostet es jeden Sonntag zwanzig bis dreißig Gulden, und jetzt schon dürfte ein augenverdrehender Kapuziner sagen: »Die männliche Jugend von Waldhofen ist gründlich verdorben!« Mithin erhole ich mich in kräftigender Landluft nicht allein von den Wintergenüssen des mannheimer Stadtlebens, ich mache zugleich Proselyten der Bildung. Du bist Meister vom Stuhl, wirst mithin Gelegenheit finden, Deinen Sohn den unsichtbaren Mächten zu empfehlen.«

»Dank für Deine tröstliche Mittheilung,« versetzte Blendung verstimmt. »Ueber der Schulreform hingegen schwebt das Damoklesschwert. Die Adressenbewegung nimmt ungeheure Verhältnisse an. Fast jeder katholische Bauer setzt seinen Namen gegen die Schulreform. Ganze Stöße von Adressen häufen sich in Carlsruhe. Verdammt! Wer hätte von den trägen Ultramontanen diese rührige Entschlossenheit erwartet? Dieses Feuer hat der alte Fuchs in Freiburg angeschürt. Dächten und handelten seine Standesgenossen, wie er, der Fortschritt könnte schlafen gehen. – Unsere Journale mußten angewiesen werden, mit scharfen Waffen gegen diese bedenkliche Erscheinung vorzugehen.«

Stephan las einige Tage später in der Herrenstube begeistert einen wüthenden Ausfall gegen die Ultramontanen. Die Zeitung zitterte in seiner bebenden Hand der Bürgermeister saß mit glühenden Augen, der alte Mohr verschlang heißhungrig jedes Wort, der Einnehmer lächelte vergnügt, der Mund des Juden Levi beschrieb einen Halbmond unter der krummen Nase.

Stephan las:

 

»Heidelberg. Der steinalte, geistesschwache Erzbischof ist natürlich nur die Puppe in der Hand wühlender Dunkelmänner. Er unterschreibt Alles, was ihm die geschworenen Feinde der Bildung vorlegen, wie es der letzte Hirtenbrief beweist. So lange man solche Brandbriefe von den Kanzeln herab unter das Volk schleudern darf, wie der letzte sogenannte Hirtenbrief war, so lange die Geistlichen ihre Wühlereien fortsetzen können, ist es eine maßlose Frechheit, von Tyrannei zu declamiren. Wollte sich unsere Regierung an der italienischen ein Beispiel nehmen, dann würden wir Ruhe bekommen. Es hastet einmal an der päpstlichen, katholischen Kirche der Fluch. Der Fluch aber besteht in dem gemeinirdischen Unglauben an die geistige Kraft des Glaubensinhaltes der christlichen Religion. Darum nieder mit dem Papismus! Nur denkfauler Unvernunft ist es möglich, diesem Institute anzugehören.«

 

Dem kraftvollen Ergusse wurde reiches Lob der Tafelrunde. Und schon am folgenden Tage konnte Stephan eine noch schärfere Verurtheilung des Papismus vorlesen.

In dieser Tonart musicirten alle gesinnungstüchtigen Blätter des Landes Baden, brüderlich unterstützt durch die liberale Gesammtpresse Deutschlands.

Das Ordinariat in Freiburg sandte einen ganzen Pack Injurien, gegen den Erzbischof, den Papst und die Kirche geschleudert, nach Carlsruhe und forderte gesetzlichen Schutz. Das Ministerium rescribirte: »Die Staatsregierung befindet sich nicht in der Lage, dem dortigen Ansinnen entsprechen zu können, da, – abgesehen davon, daß das Vorhandensein des Thatbestandes einer strafbaren Ehrenkränkung zweifelhaft erscheint, – für die Regierung kein zureichender Anlaß vorliegt, durch Auftrag an den Staatsanwalt gegen die betreffenden Blätter einzuschreiten Die Katholiken in Baden und die Juden in Wien. S. 14 und 15.

Die Zeitungen brachten diese ministerielle Verfügung, und sämmtliche Rothen priesen sich glücklich, so ein Ministerium zu besitzen. Die Schwarzen hingegen schüttelten heftig die Köpfe. Sie ballten ihre Fäuste gegen brutale Gewaltthat und erklärte Vogelfreiheit des Katholischen.

Die Frohsinnigen blieben von diesen Strömungen unberührt. Sie tranken, sangen, lachten, lernten und liebten. Nur Heinrich Knapper saß zuweilen traurig unter den Fröhlichen. Er fühlte, wie er sich von Helena immer weiter entfernte. Dennoch vermochte er nicht, dem Zwange der Verhältnisse zu entrinnen. Der vornehme Schulgenosse hatte ihn mit tausend Fäden geschickt umsponnen, und er zappelte hilflos in dem Gewebe, wie eine Fliege im Netze einer Spinne.

Ferdinand saß heute in vorzüglicher Stimmung unter den Frohsinnigen. Vor ihm lag ein dickes Buch, das seine gelehrten Vorträge unterstützen sollte. Schon wurden die Köpfe heiß, die Unterhaltung lärmend, die Gesänge schwankend in Takt und Weisen. Der Präsident klingelte.

»Ihr alle werdet mir das Zeugniß geben,« begann er im Tone scherzhafter Laune, »daß ich es gut mit euch meine. Indessen ist meine Liebe zu euch weiter nichts, als Schuldigkeit; denn ihr alle seid meine Söhne, die ich erzeugt habe im Schooße des Frohsinnes. Und wie ein guter Vater bedacht ist auf die Bildung seiner Söhne, so bin ich auf eure Bildung bedacht. Manches habt ihr von mir gelernt! Höher steht ihr im Wissen, als viele Ultramontane mit grauen Haaren, die noch wallfahrten zu den heiligen Blutflecken in Waldüren, oder zur Liebfrauenmilch in Worms, welche dort in einem goldenen Gefäß aufbewahrt ist »Liebfrauenmilch« heißt bekanntlich der ausgezeichnete Wein in Worms. Das Wort gibt Ferdinand Veranlassung zur Erdichtung, die jedoch eben so große Berechtigung hat, wie die Dichtung von der Päpstin Johanna und andere kirchenfeindliche Dichtungen.. – Heute nun will ich euch ein gutes Stück weiter bringen und erzählen von einem alten heidnischen Herrgott, dem Stammvater aller Frohen, mithin von unserem Stammvater, nämlich von dem deutschen Gotte Fro. Er ist ein gar lieber, schöner und frohmachender Herr gewesen. Den römischen Pfaffen ist es nicht zu verzeihen, daß sie ihn elendiglich zerschlagen und begraben haben. Wüßte ich, wo er eingescharrt ist, ich würde ihn mit meinen Nägeln wieder ausgraben, und den holden Fro an die Stelle melancholischer, duckmäuserischer, fastender und sich geißelnder Heiligen stellen. Ihr könnt euch gar nicht denken, meine Söhne, wie inbrünstig die Verehrung unserer Vorfahren zu dem stets lachenden, lustigen Fro gewesen ist! Sie verfertigten zahllose Standbilder von ihm, und diese fuhren sie auf Wagen umher durch Dörfer und Fluren, damit Fro ihre Felder segne. Seht, daher kommen die christlichen Flurgänge, die Bittprocessionen durch Dörfer und Felder. Weil die Pfaffen den göttlichen Fro nicht ganz todtschlagen konnten, darum verwandelten sie die Frogänge in Flurgänge, – nur mit dem Unterschied, daß an Stelle des Frobildes der gekreuzigte Gottmensch von Nazareth kam, und an Stelle der Wein- und Bierkrüge traten Rosenkränze, Gebetbücher und Weihrauchfässer.«

Einige lachten, Andere widersprachen.

»Wer hat etwas dagegen einzuwenden? Nur heraus damit!« sagte Ferdinand.

»Das Herrchen hat aber doch erklärt in der Predigt,« sagte ein Frohsinniger, »die Flurgänge seien erst im Jahre 469 in Frankreich entstanden. Dort habe ein Bischof die Christen aufgefordert, durch Fasten, Beten und Umzüge mit Kreuz und Fahnen, Gottes Zorn zu versöhnen. Also ist es nichts mit dem Fro.«

»Das sind pfäffische Kniffe, mein Sohn!« erklärte Jener väterlich. »Was ich sage, steht hier gedruckt in dem sehr gelehrten Werke »Bavaria,« – herausgegeben mit Unterstützung des Freundes der Wissenschaften, des Königs Max van Bayern, – bearbeitet von einem ganzen Kreise bayerischer Gelehrten. Leset nur, da stehen die Gelehrten gedruckt! Mithin kann ein Zweifel gar nicht aufkommen; denn die Gelehrten sagen da ausdrücklich: »Fro, im Begriffe eines allwaltenden, Liebe und Fruchtbarkeit wirkenden, halbgöttlichen, halbweltlichen Wesens, hat sich in der christlichen Anschauung am längsten noch unanstößig erhalten. Er galt als der frohe, frohmachende, beseligende, wunderschöne Herr, welcher über Sonnenschein und Regen und Wachsthum der Erde gebietet; – in Sitten und Gebräuchen, in den Flurbittgängen u. s. w. liegen wohl noch verdunkelte Spuren seiner Verehrung Bavaria IV. B. S. 332..« – Ueberleget, bedenket, erwäget, meine Söhne: so etwas sagen bayerische Gelehrten und zwar auf Veranlassung und mit Unterstützung Seiner Majestät des Königs Max! Fest steht also, daß ohne unseren Stammvater Fro den römischen Pfaffen niemals der Gedanke an Flurbittgänge gekommen wäre.«

Wiederholter Widerspruch.

»Fro war ein deutscher Gott,« rief ein Denkender. »Bittgänge und Processionen gab es aber auch dort, wo man von Fro gar nichts wußte, nämlich im Judenland. In der Bibel steht geschrieben, daß die Juden eine große Procession um die Stadt Jericho hielten, daß David eine schöne Procession veranstaltete, als die Bundeslade in die Stadt getragen wurde. Und ist nicht Christus selber am Palmsonntage mit einer Procession in Jerusalem eingezogen?«

Aber Ferdinand kam niemals in Verlegenheit.

»Das will ich Dir erklären, Du Bibelgelehrter! Der Zug der Juden um die Festung Jericho war nichts weiter, als ein kriegerischer Marsch, wie heute noch unsere Soldaten marschiren. Bei diesem Marsche haben die Juden tüchtig den Festungsmauern zugesetzt, daher kam es, daß sie, die Mauern nämlich, nach dem siebenten Umzuge zusammengestürzt sind. Kein vernünftiger Mensch wird annehmen, jene Festungsmauern seien durch Beten und Singen umgefallen. Wenn aber die Pfaffen aus jenen Belagerungsmärschen der Juden Processionen machten, so ist das wieder eine pfäffische Tücke. Die Kutten wollen uns vorlügen, es seien die Processionen so alt, wie Jericho. – Was den David anbelangt, so war sein Zug ein musikalischer Aufmarsch. Auch Walzer wurden dabei gespielt, weßhalb die Bibel ausdrücklich meldet, der fromme König David habe tüchtig getanzt. – Christus endlich, vor dessen Gelehrsamkeit ich allen Respekt habe, kannte genau die Frogänge; denn er studirte auf einer ägyptischen Universität, wo es sehr gelehrte Professoren gab.«

Diese erschöpfenden und geistreichen Erklärungen schlugen jeden weiteren Widerspruch nieder.

»Nur schade,« sagte Ferdinand mit aufrichtigem Bedauern, »daß König Max nicht auch mich zum Mitarbeiter dieses gelehrten Werkes »Bavaria« bestimmte. Ich würde dasselbe durch manche Forschungen bereichert, durch manche geistvolle Erklärung vermehrt und schließlich für einen Gelehrten gegolten haben.«

Der Präsident vertauschte die Bavaria mit der Guitarre. Er klimperte intonirend, bezeichnete die Nummer des Liedes und jetzt sangen die Frohsinnigen aus jugendlicher Brust so gewaltig, daß es durch Haus und Gasse schallte.

Mit dem vorrückenden Abend wurde das Treiben immer wilder. In jedem Munde glühte Cigarre oder Pfeife, und dicke Wolken schwebten in der Stube. Da tauchte hinter einer Fensterscheibe das bärtige Gesicht des Schmiedhannes auf. Sein grollendes Auge fuhr spähend durch die Stube; der Vater suchte unter den Frohsinnigen den ungehorsamen Sohn. Tabaksdämpfe ließen kaum die zunächst Sitzenden erkennen, und nach kurzem Bedenken trat der breitschulterige Schmied unbemerkt in die Stube, wo er sich neben der Thüre an die Wand stellte.

Ferdinand hatte eben die Aufmerksamkeit der Frohsinnigen durch das Versprechen gefesselt, ein neues schönes Lied zu singen.

»Aufgepaßt,« rief er, »jetzt gibt's ein Solo!« – und er begann ein Schmählied auf den Papst.

Der Schmiedhannes lauschte anfänglich mit Erstaunen, dann mit Entrüstung, und endlich flammte wilder Grimm über sein breites Gesicht. Seine Augen begannen zu glühen, wie die Esse der Schmiede, die Stirnadern schwollen an, die gewaltigen Fäuste des stärksten Mannes in der Runde ballten sich.

Ferdinand sang:

»Der Papst lebt herrlich in der Welt,
Es fehlt ihm nicht an Ablaßgeld,
Auch trinkt er täglich seinen Wein,
Ich möchte auch der Papst wohl sein.

Doch nein, er ist ein armer Wicht,
Ein holdes Weib beglückt ihn nicht!«

Weiter kam der Sänger nicht. Der Schmied stürzte hervor, ergriff mit der Linken die Guitarre, mit der Rechten den Sänger und hob Beide empor, – wahrscheinlich in der Absicht, Guitarre und Sänger zum Fenster hinaus zu werfen. Ferdinand zappelte in der eisernen Faust, wie ein Hahn in den Krallen des Adlers, nur mit dem Unterschiede, daß er kläglich um Hilfe rief. Die Frohsinnigen stürzten hinter Tischen hervor, warfen Stühle um, Gläser und Krüge prasselten nieder, und ein ganzer Schwarm hing sich an Beine und Arme des Herkules. Ferdinand wurde mühevoll gerettet. Lange noch zeigte er auf der Brust vier blaue Male, die Spuren der vier Fingerknöchel des Schmiedhannes. Der Guitarre hingegen war ein schlimmeres Loos beschieden. Ihre Saiten jammerten, schrille Mißtöne begleiteten das heiße Ringen, die Darmseiten ächzten Todesröcheln, das zerbrechliche Gefüge verging in der harten Faust und fiel stückweise zu Boden. Der wüthende Schmied hatte bisher kein Wort gesprochen. Er schüttelte die Jungen von sich, schleuderte sie in verschiedene Ecken, und stieß bei dieser Thätigkeit dumpfe Töne hervor, wie ein Löwe im Kampfe mit Tigerkatzen. Nach Ferdinands Befreiung wichen die Bursche zurück hinter die Tische. Der Schmied stand colossal in Mitte der Stube, grimmige Blicke umher werfend.

»Ihr Lausbuben!« fing er an. »Was, – ihr wagt's, das Oberhaupt der katholischen Kirche, den Papst, herunter zu machen, wie einen elenden Kerl? Ihr Bengel, ihr singt Spottlieder über den heiligen Vater? Und das thut ihr mitten in einer katholischen Gemeinde? Schwarz und blau hau' ich euch, ihr Grindköpf'! Singt noch einmal so ein Lied – und ihr seid alt genug!«

Diese Worte brachte der rasende Mann stoßweise hervor, die wuchtigen Fäuste ballend und mit Feuerströmen seiner Augen die Geängstigten überschüttend. Alle Geister des Frohsinns waren bestürzt entflohen, die Muthvollsten wagten keinen Widersprach. Aber die Frechheit schwieg nicht. Wilhelm, der Sechzehnjährige des alten Mohr, züngelte wider den Herkules.

»Ihr habt kein Recht, uns zu schimpfen,« rief er. »Das lassen wir uns nicht gefallen! Euch geht's nichts an, was wir im Wirthshaus singen und treiben.«

Plötzlich lag Wilhelm unter dem Tische, – eine Ohrfeige hatte den Kühnen dorthin geschleudert.

»Ich blute, – ich blute!« schrie Wilhelm unter dem Tische. »Ein Protocoll kriegt Ihr! Wartet nur, das Schlagen soll Euch was kosten!«

»Ein Protocoll, – ganz recht!« sprach der Schmied. »Die Welt soll dann erfahren, wie's bei uns hergeht. Was seh' ich da? Größtentheils Buben, die noch nicht trocken sind hinter den Ohren. Und diese Buben nehmen es sich heraus, zu saufen und zu schandiren? Den Papst zu beschimpfen, die Religion zu verspotten? Und das lernt ihr Alles von diesem mannheimer Herrn da? Was ist das für eine Zucht? Laßt's euch gesagt sein: – von heut' an bin ich Polizei in Waldhofen! Gibt's Keinen mehr, der von amtswegen Ordnung hält, dann will ich Ordnung halten.«

Der Einbruch des Schmiedhannes in den Kreis der Frohsinnigen bewegte einige Tage alle Zungen des Dorfes. Die Schwarzen fanden die Abstrafung gerechtfertigt, die Rothen schrieen über Gewaltthat und Beschimpfung. Der alte Mohr hatte bereits die Stiefeln angezogen zur gerichtlichen Klage. Ferdinand hintertrieb, aus nahe liegenden Gründen, einen Schritt, der ihn vor der gebildeten Welt in eigenthümlicher Façon mußte erscheinen lassen. Zur Entschädigung für die Ohrfeige schenkte er Wilhelm eine Guitarre. Stephan übernahm es, dem jungen Mohr einige Accorde zur Begleitung verschiedener Lieder einzutrichtern. Und als die nie gehörten Töne im Hause des alten Mohr erklangen, da hoben die Kühe brummend ihre Köpfe, und die Schweine grunzten höchlich verwundert.

Auch Amrich fand Gefallen an Musik. Wilhelm theilte brüderlich seine Kenntnisse im Spiele mit der Schwester. Dafür bekam der alte Mohr öfter versalzene Suppe, Wilhelm klagte über angebrannte Kartoffeln, die Schweine, Amrichs Pflege vertraut, gingen im Gewichte zurück und schrieen in den Ställen erbost über Vernachlässigung. Fräulein Amrich aber schwebte erhaben über den Anforderungen des niederen Hauswesens, sie saß in der Kammer, griff in die Saiten und sang: »Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein!«

Ein wesentliches Glied in der Entwickelung »ländlichen Fortschrittes« bildete Knapper. Da gesetzlich dem Clerus die Leitung der Volksschulen verboten worden, band ihn, den Präsidenten des Ortsschulrathes, die Pflicht, hie und da die Schulen zu visitiren. Heute erschien er in gleicher Absicht, von Mohr begleitet. Ausgehend von der richtigen Ansicht, die Schulvorstände müßten Achtung und Respekt der Jugend zu erobern trachten, trug Knapper im Munde die dampfende Meerschaumpfeife, welche ortsbekannt fünfzig Gulden kostete. Auch den Hut behielt er im Schulsaale auf dem Kopfe, da er von Napoleon I. gelesen, er habe den Dreispitz sitzen gelassen, während alle Generäle baarköpfig die Majestät umstanden.

»Ihr Kinder,« begann er, »ich will heut' mal sehen, was ihr könnt! Das Allerwichtigst' isch die Landwirthschaft; gäb' es nämlich keine Bauern, so müßten alle großen Herren verhungern. Zuerst will ich also sehen, was euch der Herr Schulmeister in der Landwirthschaft gelehrt hat. – Du,« – und er rief den ersten Knaben auf, »gib Acht, was ich frag'! In der Mittelgewann drüben hab' ich einen Acker, dort will ich ewigen Klee hinein säen, – merk' wohl: ewigen Klee! Wie muß ich das anfangen?«

Der Knabe begriff, daß es sich um ewigen Klee handle und begann: »Der ewige Klee ist eine Pflanze, welche, – welche« –

»Gib Acht, Jörg!« unterbrach Stephan. »Wir sind jetzt nicht an Botanik! Der Herr Bürgermeister fragt in der Landwirthschaft. Es soll in der Mittelgewann ewiger Klee gesät werden. Was ist dort für Boden?«

Der Knabe, mit einem seltenen Gedächtnisse begabt, suchte in der Vorrathskammer des Auswendiggelernten nach dem »Boden«. Endlich fand er das Wort und begann:

»Es gibt sechserlei Boden, als: Sandboden, Thonboden, Lehmboden, Kalkboden, Mergelboden, Humusboden.«

Der Mechanismus war abgelaufen, der Knabe schwieg.

»Was ist also in der Mittelgewann für Boden?« half Stephan weiter.

»Lehmboden!« antwortete Jörg.

»Was, – Dummkopf, – Lehmboden?« rief geärgert Knapper. »Bist schon hundertmal dort gewesen beim Kartoffelstecken und weißt nit, daß es Sandboden isch? Bist mir ein schöner Landwirth, – o je! Also, – weiter! Ich will ewigen Klee in den Sandboden säen, wie wird's gemacht?«

Hier verließ den Knaben vollständig der Schulunterricht. Er flüchtete zu den Erfahrungen im älterlichen Hause.

»Zuerst wird recht gedüngt, dann tief gepflügt, dann geegt, dann gesät, dann untergeegt.«

»Alles nix, – Alles nix!« rief Knapper. »Eselskopf, weißt Du nit, daß wir in Sandboden keinen ewigen Klee säen? Setz' dich, – Du weißt nix! Du,« – und er rief den Zweiten. »Ich hab' einen Acker, da war deutscher Klee d'rin. Dann hab' ich hinein geworfen Hafer, dann Waizen, dann Kartoffeln, dann Spelz. War der Acker recht gebaut?«

Der Knabe stand stumm. Stephan wiederholte die Stufenleiter des Anbaues. Immer noch schwieg der Junge. Endlich zerhieb er den Knoten mit einem kräftigen »Ja!«

Knapper dampfte fürchterlich.

»Was, – ja? Nein, – sag' ich, – Du Esel! Ganz verkehrt war der Acker gebaut. – So lernt ihr Landwirthschaft, ihr Schafsköpf? Nix wißt ihr, gar nix!«

»Um Vergebung, Herr Bürgermeister!« trat Stephan entschuldigend ein. »Ich behandle nur die theoretische Landwirthschaft. Das Praktische lernen die Jungen durch Uebung bei den Eltern.«

»So, – was theoretisch, – was praktisch!« widersprach der Visitator. »Landwirthschaft isch Ackerbau, und Ackerbau isch immer praktisch. Lassen Sie das Theoretische nur weg, das taugt gar nix, – isch leeres Stroh gedroschen. – In dem Punkt' geht's also schlecht. Jetzt will ich sehen, wie's im Rechtschreiben steht. Du, – geh' hinaus an die Tafel und schreib', was ich sag'.«

Der Knabe stand an der Tafel, die Kreide in der Hand, des Spruches harrend. Der Examinator dampfte einige Male kräftig, und ein witziger Zug flog über sein Gesicht.

»Schreib'!« rief er. »Der Lehrer – leert – einen – Bierkrug.«

Der Knabe schrieb den Satz fehlerfrei nach Gesetzen der Orthographie, nicht aber nach der Meinung Knappers.

»Böcke genug!« rief er. »Das zweite Wort isch schon ein Bock. Jawohl, der erste Bock steckt im »Lehrer«. Such' ihn.«

Vergebens fahndete der Junge nach »dem Bocke«. Stephan, durch den Geist des Satzes schon verletzt, kratzte verlegen hinter den Ohren.

»Die Kreid' her!« sprach Knapper, strich »Lehrer« hinweg und schrieb in kräftigen Strichen »Leerer«.

Erstaunt sah die ganze Schule auf die merkwürdige Verbesserung.

»Jetzt weiter!« befahl der Schulvorstand. »Das dritte Wort isch wieder ein Bock. Wo steckt er?«

Abermals vergebliches Forschen von Seite des Jungen. Knapper strich »leert« hinweg und schrieb »lehrt«.

Viele Kinder lächelten. Stephan zuckte die Achseln.

»Auch das letzte Wort isch ein Bock! Den letzen Bock wirst Du hoffentlich finden, – Du Esel!«

Allein der Knabe fand ihn nicht, und Knapper griff zur Kreide und schrieb: »Bierghrukk!«

Die Kinder betrachteten Knappers Schöpfung an der Tafel: »Der Leerer lehrt einen Bierghrukk.« – Sie sahen, wie Stephan lachte, und jetzt brach das verhaltene Kichern in lautes Gelächter aus. Der Schulvorstand wurde dunkelroth; denn auch er hatte Stephans verächtliches Lächeln bemerkt.

»Was lacht ihr?« schrie er die Schule an. »Wie ich's geschrieben hab', so isch's recht, – wer's euch ander's lehrt, der weiß nix!«

Und die Visitation wurde für Stephan verhängnißvoll.

Der Volksschullehrer trug ein empörtes Gemüth in seine Wohnung hinüber. Dort erzählte er seiner Frau von der Visitation, von Unwissenheit und Rohheit des Examinators.

»Indem er den Satz an die Tafel dictirte, glaubte er, einem guten Witz zu machen, und es war doch nur eine Flegelei!« rief Stephan zum Schlusse. »Der Mensch hat sich bengelhaft vor den Kindern benommen. Pfui, – über so einen Bürgermeister! Zweimal Pfui – über so einen Schulvorstand! Für einen Bürgermeister, vom Gemeindeschreiber am Weisungsstrick des Amtes geführt, wäre dieser Esel noch gut; – aber für einen Schulmann taugt er so wenig, wie ein Gänserich für ein Krautstück.«

Diesen heftigen Erguß hatte die Küchenmagd wörtlich vernommen. Sie vertraute die Merkwürdigkeit ihrer Freundin, welche bei Knapper diente. Nach zwei Tagen erfuhr der Herr Präsident des Ortsschulrathes, daß er, nach Versicherung Stephans, ein Flegel, ein Bengel, ein Esel und ein Gänserich sei.

Schnaubend kam der Bürgermeister in den Ochsen. Glücklicherweise fehlte Stephan im Kreise der Herren an jenem Abend. Es wurde ein Auftritt vermieden, wie ihn die Herrenstube selten erlebte. Und als Knapper einige Tage später mit Stephan zusammenkam, da schien die Beleidigung vergessen. Die Rothen tranken gemüthlich zusammen, in vollkommener Harmonie schimpfend über die Schwarzen. Wer jedoch in Knappers Seele hätte lesen können, würde dort tückische Rachsucht gefunden haben, nur der gelegenen Stunde harrend, um fürchterlich gegen den Volksschullehrer loszufahren.

Diese Stunde kam bald.

Die heranwachsende Jugend hatte nämlich die süßen Errungenschaften des sittigenden Fortschrittes rasch begriffen. Die rothen Kinder hörten zu Hause das Schimpfen der Eltern gegen Pfaffen, Aberglauben und religiöse Dummheit. Die rothen Kinder wurden frech, ungezogen, ausgelassen und für die schwarzen Kinder ein gefährlicher Stoff der Ansteckung. Vorzüglich hatten die Sonntagsschüler ein merkwürdiges Verständniß für – »die Befreiung des mündig erklärten Menschengeistes von herabwürdigenden Fesseln der Autorität.« Stephans Ansehen vor den Sonntagsschülern, von denen viele zu den Frohsinnigen gehörten, schrumpfte immer bedenklicher zusammen. Fortwährend lag er im Kampfe mit den Unbotmäßigen, der Ordnung drohte gänzlicher Einsturz. Der Volksschullehrer klagte den Schulräthen.

»Es wäre mir angenehm,« sagte er, »wenn Einer der Herren Schulräthe dem Unterrichte beiwohnte, um die Flegelhaftigkeit der Jungen bändigen zu helfen.«

»Warum nit gar!« rief Knapper. »Sie sind ja Schulrath und Schulmeister dazu. Ein rechter Schulmeister braucht keinen Beistand.«

»Die Rohheiten der jungen Leute datiren noch von der schlechten Erziehung durch die Pfaffen,« erklärte Mohr. »Sie müssen mehr auf den Verstand der Jungen und auf ihre Begriffe von Bildung zu wirken suchen.«

Da geschah es eines Sonntages, daß Stephan seinen Zöglingen eine Rechnungsaufgabe stellte. Während ein stämmiger Bursch an der Tafel die Lösung versuchte, und die Uebrigen zu gleichen Versuchen auf ihren Schiefertafeln vom Lehrer wiederholt ermahnt wurden, legte Wilhelm Mohr, von den Mächten der neuen Geistescultur gestachelt, ein Bein über die Schulbank.

»Mohr, das Bein hinunter!« befahl Stephan.

Brummend gehorchte Wilhelm. Sein Brummen wurde immer lauter, nahm eine Melodie an, und wurde von sämmtlichen rothen Jünglingen nachgeahmt.

»Was ist das für ein Gebrumm?« rief der Lehrer. »Wollt ihr schweigen, ihr Bengel?«

Mohr brummte pianissimo fort.

»Wer brummt noch?« frug Stephan erzürnt. »Ist das Ordnung, ist das Gesittung? Flegelhaft zu sein, ist keine Kunst. Nur Anstand ziert den gebildeten Menschen. Viele aus euch sind aber weder anständig, noch gebildet. Viele aus euch sind Lümmel, Ungezogene, Flegelhafte. – Wer brummt da wieder? Du – Mohr?« – und er zauste ihn am Ohrläppchen.

»Das lass' ich mir nicht gefallen!« schrie er. »Was brauch' ich das? Ich nehm' meine Bücher und geh' heim.«

Stephan trat vor die Mündung der Bank.

»Willst Du niedersitzen, Lausbube?«

»Lausbube ist ein Anderer, – nicht ich,« schrie Mohr frech.

Stephan antwortete ganz in der Ordnung, nämlich mit einer Ohrfeige. In dem Jungen aber stand der rothe Geist der Mohre grimmig auf.

»Weg da!« heulte er. »Was glauben Sie? Schlagen lass' ich mich nicht,« – und er drängte gegen den Zurückhaltenden.

Der Volksschullehrer packte den Unbändigen bei den Schultern und suchte ihn niederzudrücken. Mohr widerstand kräftig. Es entspann sich ein Kampf, von den schwarzen Jungen mit Entsetzen, von den rothen lachend begafft. Plötzlich stieß Mohr dem Lehrer vor die Brust, Stephan taumelte zurück und der Wilde rannte hinaus.

Der Volksschullehrer trat klagend vor den Präsidenten des Ortsschulrathes.

»Ich weiß schon Alles,« sagte Knapper. »Warum haben Sie ihn geschlagen? Schlagen findet kein Recht. Die Sach' muß vor den Ortsschulrath.«

Stephan traute seinen Ohren kaum. Er suchte Schutz gegen Rohheit zügelloser Schüler, und der Präsident machte Miene, den Schuldigen nicht im Angeklagten, sondern im Kläger zu finden.

»Auch ich fordere, Herr Bürgermeister, daß die Sache vor die Ortsschulbehörde gelange. Die Flegelhaftigkeit mancher Jungen wächst täglich mehr. Geht das so fort, dann wird die Sonntagsschule rein unmöglich.«

»Das wird sich zeigen! Sie sind auch gleich bei der Hand mit »Flegel, Bengel, Esel, Lümmel, Gänserich!« Das braucht sich Niemand gefallen zu lassen. Sie plaudern immer von »Bildung, Humanität, Aufklärung, Gesittung,« – aber der Flegel, der Bengel, der Esel, der Gänserich, – gehören sie auch zu den Gebildeten?«

»Herr Bürgermeister, ich verstehe Sie nicht!« sagte Stephan in hohem Grade verwundert. »Soll es nicht erlaubt sein, das Betragen mit richtigen Namen zu bezeichnen?«

»So, – mit richtigen Namen?« rief Knapper zornig. »Bin ich ein Flegel, ein Esel, ein Lümmel, ein Gänserich? Bin ich das?

»Sie, – Herr Bürgermeister? Sie? Mir vergehen die Sinne!«

»Ja – ich! Verstellen Sie sich nur, – Alles weiß ich! Es wird also Ortsschulraths-Sitzung gehalten, dort sollen Sie das Weitere hören.«

Bestürzt eilte Stephan nach Hause, den seltsamen Empfang in verstörtem Gemüthe herumwälzend. Endlich gedachte er seiner Aeußerungen über Knapper nach der Visitation, und er hatte den Schlüssel zum Benehmen des Herrn Präsidenten gefunden.

Auch der alte Mohr besuchte seinen Freund.

»Der Schulmeister isch schon da gewesen,« erzählte Knapper. »Eine Ortsschulrathssitzung will er. Gut, – er soll eine kriegen.«

»So – so!« – und Mohrs falsche Augen funkelten. »Der Herr Volksschullehrer verlangt wahrscheinlich, meinem Wilhelm noch eine Ohrfeige extra geben zu dürfen. Guck – guck! Das Joch der Pfaffen hat der Herr Volksschullehrer abgeworfen, will aber dafür Andere unter das Schulmeisterjoch bringen, – junge Männer sogar mit Ohrfeigen traktiren.«

»Lass' nur gut sein, Mohr! Wir wollen ihm den Kopf gehörig waschen. Ich bin Borjemeeschter, – jawohl! Und so lang ich am Ruder bin, müssen die Schulmeister pariren.«

Stephan wurde vor den Ortsschulrath gerufen. Er fand die Herren am grünen Tische, im Saale des Gemeindehauses. Vor dem Greffier lagen Papiere, die Feder zum Protokoll war schon geschnitten. Der Volksschullehrer stand vor seinen Richtern, und es empörte ihm die Seele, daß Knapper ihn nicht einmal sitzen hieß.

»Sie haben eine Sitzung des Schulrathes verlangt,« begann in gestrenger Amtsmiene der Präsident. »Bringen Sie Ihre Sach' vor.«

Stephan erzählte umständlich den Auftritt und schloß mit einer ganz vernünftigen Forderung.

»Demzufolge muß ich an den wohllöblichen Ortsschulrath das Ansinnen stellen, einer alle Grenzen überschreitenden Ungefügigkeit der Sonntagsschüler energisch entgegen zu treten. Geschieht dies nicht, dann erkläre ich hiermit die Unmöglichkeit, Unterricht ertheilen zu können.«

»So!« stieß Knapper hervor. »Nun, es gibt noch mehr Schulmeister, und was Sie nit können, das werden Andere können. Der alte Jester kriegt nie Streit mit den Mädchen in der Sonntagsschule. Warum nit? Weil er sie behandelt, wie's recht isch. Der alte Jester wirft auch nit um sich mit »Flegel, Esel, Lümmel und Gänserich!« Jawohl, – Sie allein sind schuld an Allem. Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt's heraus.«

»Ich bin ganz der Ansicht des Herrn Bürgermeisters,« sagte Mohr. »Sie allein haben den Spektakel verursacht. So behandelt man keine jungen Männer. Im Schwarzwalde droben, wo die Leute noch dumm und roh sind, ginge so etwas vielleicht an, – nicht aber bei uns gebildeten Pfälzern. Wir verlangen Achtung vor unseren Kindern und schonungsvolle Behandlung. Das wäre schön, dürfte jeder »Hergelaufene« die ersten Söhne des Dorfes beschimpfen und beohrfeigen.«

Das Selbstbewußtsein des Volksschullehrers litt furchtbar unter den Streichen einer solchen Behandlung. Verletzter Stolz, die Ungerechtigkeit des Verfahrens gegen ihn und der offenbare Hohn des alten Mohr, entzündeten in Stephans Brust heiße Flammen höchster Erbitterung. Wiederholt züngelten die Flammen über seine Lippen und bedrohten die Vergewaltiger mit einem Feuerregen. Allein Knappers bedeutsamer Hinweis: »Es gibt noch mehr Schulmeister, – was Sie nit können, das werden Andere können,« – beschwor jedesmal den Ausbruch des Grimmes. Daher begnügte sich Stephan mit verächtlichem Lächeln und stolzem Schweigen.

»Haben Sie etwas einzuwenden?« frug Präsident Knapper.

»Nein, meine Herren! Bei Ihrer Auffassung des Sachverhaltes und der Geneigtheit, das Benehmen des Schülers Mohr tadellos zu finden, ist jede Einwendung überflüssig.«

»Ich ertheile Ihnen demnach einen Verweis,« sagte Knapper, »wegen Beschimpfung und Mißhandlung des Sonntagsschülers Wilhelm Mohr. Geben Sie Acht, daß Aehnliches nit wieder passirt, sonst wird gegen Sie an das Amt berichtet. – Herr Greffier, schreiben Sie das Protocoll.«

Der Verweis wurde in das Protocollbuch eingetragen und von Stephan eigenhändig unterschrieben, daß er den Sonntagsschüler Wilhelm Mohr beschimpft und mißhandelt habe.

Der gemaßregelte Volksschullehrer kehrte in seine Wohnung zurück. Dort brach er in laute Klagen aus, nachdem er sich zuvor von der Abwesenheit der horchenden Magd überzeugt.

»Frau, – man ist himmelschreiend mit mir umgegangen! Die Bengelhaftigkeit eines frechen Buben wurde gestützt von diesem Ortsschulrathe! Nein, – so etwas wäre unter der leitenden Aufsicht der Geistlichkeit nicht möglich gewesen. – Ein Lehrer, dessen wissenschaftliche Kräfte diese Kaffern gar nicht zu schätzen wissen, – ein Lehrer, der sich mit Eifer seinem hohen Berufe weiht, die zeitgemäße Fortbildung der angehenden Generation zu fördern, – so ein Lehrer wird der Rohheit und Flegelhaftigkeit geopfert! Nichtswürdiges, tölpelhaftes Bauernregiment! Sind das die Errungenschaften der Schulreform? Wird so der hochwichtige Lehrerstand mißhandelt? Wehe uns – tausendmal wehe! Die Pfaffen-Herrschaft wirkte lähmend auf die freie Thätigkeit des Lehrerstandes, – aber diese Bauernherrschaft wirkt beschimpfend, erniedrigend, die ganze Stellung des Lehrers vernichtend. Müßte ich die Rache der Rothen nicht fürchten, heute noch ginge ich über zu den Schwarzen.«

»Das thue ja nicht, Stephan!« rieth klug die Frau. »Du weißt, Knapper gilt Alles beim Amt. Weiß Gott, der Mensch würde uns um's Brod bringen!«

»Darin liegt es eben, – darin liegt es,« bestätigte gedrückt der Gatte. »Die Rothen besitzen alle Gewalt, und wir schutzlosen Lehrer sind gebunden dieser Gewalt überliefert.«

Und die Lage des Volksschullehrers wurde täglich verzweifelter. Bei jedem Ausgange zur Erholung bellte ihn der ländliche Fortschritt an. Rothe Jungen gingen vorüber ohne Gruß, sogar Spott mußte der Ehrliebende erdulden. Eines Sonntages begegnete ihm ein Trupp Bursche. Sie gingen Arm in Arm und nahmen die ganze Breite der Gasse ein. Ohne Auflösung der Kette, konnte Stephan unmöglich hindurch. Und die Frohsinnigen zeigten keine Lust, eine Gasse dem Lehrer zu öffnen. Sie lachten ihm roh entgegen, und Wilhelm Mohr rief höhnisch: – »Flegel, Bengel, Gänserich!« Die ganze Bande lachte. Stephan fand klug, umzukehren, von Spottreden der rothen Jünglinge verfolgt.

Aehnliche Vorfälle kehrten wieder. Stephan vergrub sich möglichst zwischen den vier Wänden. Er trank sein Bier allein. In der Schule mußte er unerträgliche Dinge über sich ergehen lassen. Und selbst im Hause peinigte ihn der ländliche Fortschritt. An Sonntagabenden versammelte sich die Auslese seiner Zöglinge vor dem Schulhause. Dort schrieen sie, wie Gänseriche, und brummten gleich wilden Thieren. In der Liedersammlung der Frohsinnigen befanden sich auch Spottlieder auf Schulmeister. Diese mußte Stephan sehr oft hören, selbst nach Mitternacht wurde er durch den brüllenden Chor heimkehrender Frohsinnigen aus dem Schlafe geärgert.

Das Herrchen erfuhr die Mißhandlungen Stephans und nahm sich des Unterdrückten an. In einer Predigt, welche die verderblichen Einflüsse der schlechten Aufklärung auf die Jugend behandelte, strafte er muthvoll und mit zermalmender Wahrheit das Treiben der zügellosen Bursche. Die Predigt war von bedeutender Wirkung, – sogar des Volksschullehrers Beistimmung fand sie.

Nach dem Gottesdienste standen die Schwarzen in dichten Haufen vor der Kirche, und die Haufen vereinigten sich zur Volksversammlung. Lange wurde eifrig gesprochen. Schröter faßte schließlich die Meinungen in einem kräftigen Antrage zusammen.

»Bürger!« rief er. »Der Hochwürdige hat uns Allen heute wieder aus dem Herzen gesprochen. Die Jugend wird immer frecher, roher, unbändiger. Woher das kommt, wißt ihr Alle. Manche von Jenen, die mit gutem Beispiele vorangehen sollten, geben ein schlechtes Beispiel. Polizei ist gar keine mehr. Wir können das nicht so fortgehen lassen. Unsere Kinder sollen nicht auch verdorben, vom Geiste der Ruchlosigkeit nicht angesteckt werden. Ich stelle den Antrag: Alle Gemeinderäthe, die ja, mit Ausnahme Mohr's, zu den Schwarzen gehören, fordern vom Bürgermeister eine Gemeinderathssitzung. Dort verlangen die Gemeinderäthe Handhabung der Polizei, Einstellung der nächtlichen Ausschweifungen eines Theiles unserer Jugend, Zucht und Ordnung in der Schule. Bürger, verweigert der Bürgermeister dem gerechten und gesetzlichen Verlangen der Gemeinderäthe seine Beistimmung, dann gehen wir weiter. – Ist euch das recht?«

»Jawohl!« riefen einstimmig die Versammelten.

Und so geschah es. Im Gemeinderathe wurde Knapper mit wuchtigen Vorwürfen überhäuft und ihm das Versprechen abgerungen, den ländlichen Fortschritt zu dämmen.

»An Allem isch der verfluchte Pfaff schuld,« klagte Knapper im Herrenstübchen. »Er hat die Gemeind' gegen mich aufgehetzt, – ich geh' an's Amt.«

Für Stephan wurde Frohmanns Bemühen rettend. Die Spottlieder verstummten, in der Schule wurde es erträglich. Sogar die Rückkehr des Gemaßregelten in den Ochsen wurde durch den Makler Levi eingeleitet und glücklich vollzogen.

»Herr Schulmeister,« sprach Knapper bei Stephans Eintritt in die Herrenstube, »Alles soll vergessen sein! Sie sehen wohl, wir müssen zusammenhalten gegen die Schwarzen.«


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