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Finsterniß liegt über Mannheim. Die Straßen sind verödet, hie und da lungert an Ecken eine schmutzige Gestalt, nothdürftig gekleidet, frierend und schauernd. Ein sturmgepeitschtes Wolkenheer jagt über die Stadt hin, eisigen Regen und Schnee herabwerfend. Blendungs hohes Haus steht frostig im Winterabend, die Läden des Erdgeschosses sind alle fest geschlossen, der Sturm wirft erstarrte Wassertropfen an die Scheiben der Vorfenster und weht Schnee in geschützten Räumen des Balkons zusammen. Der Herr des Hauses schreitet mißvergnügt und einsam über schwellende Teppiche seines reichen Cabinets. Das grelle Licht des Erdöles wiederstrahlt im Golde reicher Bilderrahmen, in spiegelhellen Polituren feiner Möbel, und beleuchtet ein finster brütendes Gesicht. Ihn bewegt in tiefster Seele der Ultramontanen heftiger Sturmlauf gegen die neue Burg des Fortschrittes, – die Schulreform. Er sieht die Sturmcolonnen klug geleitet von streitbaren Männern. Voran Brummel, ein seltener Advokat und Anwalt für Recht und Freiheit, unausgesetzt in Waffen gegen die Infernalen, – und Lindau, ein helles Licht über giftig miasmirenden Dunstkreisen Heidelbergs, wo Schenkel und Bluntschli christusfeindlich irrlichterliren. Von Brummels Bedeutung und der Stellung überzeugungsvoller Katholiken in Baden gab der Großherzog wiederholt Zeugniß. Die Augsburger Postzeitung schreibt: Dem Lieutenant von L– von den Dragonern, der es gewagt, Herrn Brummel als früheren Regimentskameraden zum Mitglied der carlsruher Museumsgesellschaft vorzuschlagen, ging von Seite des als »edeldenkenden« gefeierten badischen Landesfürsten die Weisung zu, seinen Vorschlag augenblicklich zurückzuziehen, widrigenfalls er Dienstentlassung zu gewärtigen habe. Ein anderer früherer Regimentskamerad des Herrn Brummel, der sich soweit versündigt, mit demselben im Hotel zum Erbprinzen eine Flasche Wein zu trinken, wurde von seinem obersten Kriegsherrn summarisch in Arrest geschickt.
Der Hochmögende sieht die Schwarzen kämpfen unter weltbeherrschenden Panieren »der Gewissensfreiheit und Liberalität«. Die Bannerherren fordern gleiche Selbstbestimmung, gleiches Gehör für die Volksstimme, gleiche Beachtung für ultramontane Kundgebung und Bewegung. Und es will dem scharfsinnigen Millionär die Beweisführung nicht gelingen, daß die Ultramontanen zum »Volke« nicht gehören. Den sanften Herrn empört die Wahrnehmung, »Freiheit« angerufen zu sehen von Jenen, zu deren Vertilgung »Freiheit und Liberalität« ersonnen worden. Sittliche Entrüstung über ultramontane Verwegenheit verwandelt Blendungs stille Art in knirschenden Ingrimm. Es ist keine Täuschung: – der Sanftmüthige ballt die Fäuste, er blickt wild aus flammenden Augen, und der Drang beschleicht ihn, »Humanität, Freiheit und Liberalität« eigenhändig zu erwürgen, bis der letzte Ultramontane von der Erde verschwunden. Nach dem Tode des letzten Schwarzen dürften die Erwürgten zur Freude der Menschen aus den Gräbern wieder auferstehen; denn es könnte ein Hilferuf der Todten nicht weiter belästigen. – Zur Ausrottung des starren Confessionalismus erfand Herr Knies ein so ruhig arbeitendes Mordinstrument, – die Schulreform, ein Meisterwerk gereiften Geistes, eine Freude aller unabhängigen Männer. Aber siehe da, – die schwarze Canaille, sonst lammfromm und gelassen, sträubt sich, die Guillotine zu besteigen! Sie läuft zusammen in dichten Schaaren und der offenkundigen Absicht, die kniesische Köpfmaschine in Stücke zu schlagen. – Und in Carlsruhe? Das reiche Herz des edeldenkenden Großherzogs strebte redlich nach versöhnendem Ausgleich. Eben hatte der Fürst seinem Minister Lamey befohlen, die Casinomänner in Schranken der Ordnung zu bannen mit der Weisung, daß Parteiwünsche unbeachtet bleiben müßten. Und darin sahen die Ultramontanen eine tiefe Kränkung; denn nicht Parteiwünsche vertraten sie, sondern die Freiheit der Kirche, das natürliche Recht der Eltern, unveräußerliche Güter Aller, die als Menschen geboren worden. Die Wanderungen des Casino wurden lebhafter, die Reden kräftiger, und in Carlsruhe sah man verlegen, kleinlaut, stutzig in die wachsende Massenbewegung. Schon riethen Kluge, die hoffnungsvolle Schulreform wieder einzureißen, da sich die Ultramontanen wider alles Erwarten lebenskräftig erwiesen und keine Lust zum widerstandslosen Abschlachtenlassen.
Dies Alles wußte Herr Blendung.
Schwere Befürchtungen, nagende Gedanken peitschten den Hochmögenden durch das Gemach. Er sieht den Abgrund offen, die »neue Aera der Freiheit« zu verschlingen, und findet kein Mittel, die Tiefe zu verschließen. – Geräuschlos öffnet sich die Thüre, der Kammerdiener legt einen Pack Zeitungen, wie allabendlich, auf den Tisch. Mechanisch greift der Millionär in die Blätter. Plötzlich steht er steif und starr, die weit geöffneten Augen hängen entsetzt am »Badischen Beobachter«. Der Beobachter trägt am Kopfe in Riesenschrift eine Anzeige, von beiden Seiten mit vier schwarzen Händen umrahmt, und acht Zeigfinger deuten auf die Himmel und Erde bewegende Kunde:
»Donnerstag am 23. Februar wird das wandernde Casino in der Aula zu Mannheim eine Versammlung halten. Da es sich um freie Selbstbestimmung in Gewissenssachen und gerechte Forderungen der Katholiken handelt, so erwartet man von den katholischen Einwohnern Mannheims und dessen Umgebung eine zahlreiche Betheiligung.«
Blendungs Hand zitterte, die Augen fuhren nach der Decke, die Decke schwankte, selbst der Fußboden wurde unsicher.
»Ist es möglich?« stieß er leise hervor.
Zum zweiten Male las er die Anzeige. Es war keine Täuschung, – da stand es gedruckt: Ultramontane Vermessenheit war bis zu dem Grade gediehen, in dem hochgebildeten, ästhetisch fühlenden Mannheim, in der größten Stadt des Landes Baden, die Stimme zu erheben für Gewissensfreiheit und Duldung!
Die acht schwarzen Hände verwandelten sich vor den Augen des Hausherrn in ebenso viele Kobolde, schadenfroh und spöttisch auf seine Bestürzung hindeutend. Er sank in das Sopha, saß lange bewegungslos und finster. Alle Erfindungsgabe bot er auf, dem schrecklichen Casino nach Mannheim den Weg zu verlegen. Jetzt erhellte ein siegverkündendes Lächeln sein Gesicht. Er griff zur Feder und warf zwei Worte auf drei Blätter. Die Worte hießen: »Komme unverzüglich!« Sogar die Schriftzüge der Worte trieben zur Eile. Er schob die Blätter in Umschläge, schrieb Adressen und klingelte.
»Sind die Herren in der Oper, eile dorthin,« befahl er, dem Diener die Briefe übergebend. »Nur rasch – rasch!
Unausstehlich krochen die Minuten vor des Hochmögenden Ungeduld. Endlich fährt ein Wagen heran. Der Harrende tritt zum Fenster. Drei Gestalten schlüpfen heraus, vom Sturme wüthend angefallen, von Schneeflocken umtanzt, von den Gasflammen der Straße unsicher beleuchtet.
»Auf einen Wurf, – sehr gut!« flüsterte Blendung befriedigt.
Die Drei hatten sich mit Hilfe von Bedienten aus Pelzröcken und anderen Vertheidigungsmitteln gegen Winterkälte heraus geschält, sie eilten nach dem Cabinete des Hausherrn. Er selbst öffnete die Thüre des Vorzimmers, schweigend, grüßend durch Händedrücke.
»Du hast uns ungelegen überrumpelt,« sprach Einer der Geladenen. »Das Ballet sollte gerade beginnen, da erschien Dein: »Komme unverzüglich,« – und der Genuß ging verloren.«
»Nur herein, – ihr sollt euch verwundern!«
Die Gäste traten in das helle Licht des Cabinetes, und erschienen als Männer in ergrauten Bärten, mit intelligenten Gesichtern, leicht geröthet von der Schärfe des Winters, und angehaucht von gemüthloser Kälte. Blendung winkte an den Tisch, wo der Beobachter ausgebreitet lag, und wies nach den acht schwarzen Händen. Drei Häupter beugten sich herab, schwebten lesend über der Riesenschrift und schnellten betroffen empor. Die gemüthlose Kälte der Gesichter hatte sich rasch in finsteres Dräuen verwandelt.
»Ich sehe, ihr begreift die Bedeutung des ultramontanen Ueberfalles,« sprach ernst der Hochmögende. »Gelingt der schwarze Coup, dann fällt das Ministerium Lamey-Roggenbach, mit ihm das Schulgesetz, – die Clerikalen haben gesiegt.«
Schweigend saßen die Drei, unbeweglich, mit hinstarrenden Blicken.
»Was dünket euch?« frug Blendung. »Die Stunde drängt, zum Handeln bleibt nur eine Spanne Zeit.«
»Bin ganz Deiner Ansicht!« begann zögernd der Aelteste der Grauen. »Die gelungene Versammlung in der größten und tonangebenden Stadt des Landes, wird den Sieg der Ultramontanen entscheiden. Ohne Verzug eine Gegendemonstration, – eine Volksversammlung, – eine Riesenadresse!«
Blendung lächelte geringschätzend.
»Der Zweck Deiner Vorschläge, Freund Wolf?« frug er.
»Klar! Das Ministerium gewinnt einen Stützpunkt gegen die Massenbewegung, – kann sich auf die Wünsche des gebildeten Theiles der Bevölkerung berufen, – den Schild des Fortschrittes über die bedrohte Schulreform halten.«
»Ein zerbrechlicher Schild gegen den Andrang der Massen!« versetzte Blendung. »Das Casino wird laut die glorreiche Versammlung in Mannheim verkünden, die regste Theilnahme der Gläubigen unserer Stadt behaupten, die Wanderungen fortsetzen, vielleicht im Schloßhofe zu Carlsruhe Casino halten. – Und Dein Schild für die Schulreform? Er schwimmt auf dem Rücken des Baden überfluthenden Stromes davon, wie ein Stück Papier. Und Deine Stütze für das Ministerium? Sie ist zusammengebrochen beim Anzuge der schwarzen Menge und hat die Ministerstühle zerschmettert. – Findet sich kein Mittel, mit einem Schlage die Bewegung zu ersticken, dann ist Baden von der schrecklichsten Reaktion bedroht, die Vernichtung der Schulreform unvermeidlich.«
»Ein Mittel, die Bewegung zu ersticken? Und mit einem Schlage? Unmöglich!« behauptete Wolf.
»Vielleicht doch nicht ganz unmöglich!« entgegnete sanft der Hausherr. »Uebrigens, – finden wir das Mittel nicht, dann ist der Tod jenes Kindes unabwendbar, das ein Messias geworden wäre seinem Volke, – jenes Kindes, dessen Geburt uns Mühen und Opfer in Menge gekostet.«
»Das Casino in Mannheim zu verhindern, ist keine Hexerei,« behauptete Wolfs Nachbar. »Die Jahreszeit verbietet jede Versammlung im Freien, mithin bedürfen die Schwarzen der Aula, oder eines großen öffentlichen Saales. Genannte Räume zu verschließen, steht in unserer Macht.«
»Ein schwacher Nothbehelf, mein lieber Bär!« sagte Blendung. »Die Ultramontanen werden sich im Hause Gottes versammeln, in Gegenwart des Allerhöchsten werden sie donnern gegen die Knechtung katholischen Bewußtseins. Demzufolge hätte Dein kluger Rath die Pfäffischen gezwungen, der Agitation den Nimbus der Gottesweihe umzuhängen.«
»Bär's Ansicht verdient immerhin Beachtung,« sprach der Dritte. »Verschluß öffentlicher Localitäten ist leicht erreichbar. Und die Privatsäle? Nun – beim ersten Trompetenstoß unserer Presse wird kein Bürger wagen, den Casinomännern Räumlichkeiten zu gewähren. Endlich die Kirchen? Wir haben Macht, auch die Kirchen zu verschließen. Liegt ganz Mannheim unter Verschluß, wo sollten die Kutten tagen?«
Wolf und Bär nickten beistimmend. Der Hochmögende widerstrebte, wie ein Mann, dessen weitgehenden Plan Ungeschicklichkeit bedroht.
»Auch Dein Kirchenverschluß bleibt nur eine halbe Maßregel,« sagte er fest. »Die Ultramontanen werden nach Ludwigshafen hinüberziehen und im deutschen Hause tagen. Die Schwarzen von hier, deren Zahl nicht ohne Bedeutung, werden sich dem Zuge anschließen. Ich frage: was wäre hiedurch gewonnen? Du hattest nur deßhalb die Kirchen verschlossen, Freund Fuchs, um den Clerikalen zu zeigen, was Du vermagst: – die dummen Schafe zu erinnern, daß Fuchs und Wolf sogar zum Stalle den Schlüssel tragen. Und acht Tage später haben wir ein Casino in Ladenburg. – Ich wiederhole: entweder stirbt das Schulgesetz, oder das wandernde Casino.«
Es gab eine gedehnte Pause, lange düstere Gesichter, unheimliche Blicke und giftig zusammengekniffene Lippen.
»Hört mich an!« unterbrach Blendung die Stille. »Es hilft nur Eines, das ist – ein zweiter Dezember. Eine ganze Nation hat der zweite Dezember niedergeworfen, er wird auch das Casino erwürgen.«
Die Drei sahen aus verwunderten Augen auf den Hausherrn, in offenbarer Unklarheit über den Staatsstreich.
»Wir hetzen das Proletariat gegen die Schwarzen, – ersticken die Bewegung im Neckarschleim, – tödten das Casino mit Knitteln,« erklärte Blendung.
»Das ist höchst bedenklich!« sprach Wolf.
»Sehr gewagt!« rief Bär.
»Nicht ausführbar!« behauptete Fuchs.
»Weder bedenklich, noch gewagt, – selbst ausführbar!« protestirte Blendung. »Mein Plan ist rettend für das Schulgesetz, er entspricht nach allen Seiten dem Geiste unseres Systems. – Indessen, – erklärt euch! Deine Ansicht, Fuchs, bestreitet den zweiten Dezember am heftigsten, Du behauptest dessen Unausführbarkeit. – Deine Gründe!«
»Die Versammlung der Ultramontanen wird bedeutend,« sprach Fuchs. »In einigen Städten liefen zwei bis drei Tausend dieser Race zusammen. Das hiesige Casino wird selbstverständlich das glänzendste von allen; vielleicht überfluthet uns eine schwarze Masse von sechs bis acht tausend Köpfen. Ich frage: ist unser Proletariat stark genug, die Tausende auseinander zu treiben? Feige ist unser Pöbel vor der Kraft, – wird er sich hetzen lassen gegen die naturwüchsige Landbevölkerung? Bellen wird unsere Meute, die Zähne fletschen, – Entscheidendes nicht versuchen. Und endlich: – wie sollen die Casinomänner zerstreut, in die Flucht getrieben werden? Deutsche Bauern sind durch Schreien und Getöse nicht zu verscheuchen, – können wir dem Proletariat Waffen in die Hände geben? Unmöglich! Mithin ist, nach meiner Ansicht, Dein Plan allerdings nicht ausführbar.«
»Du hast die Zahl der Casinomänner zu hoch gegriffen, acht Tausend kommen sicher nicht, – die Hälfte dürfte das Richtige sein,« erwiderte Blendung. »Wir gebieten mindestens über sechs tausend Fäuste; denn nicht allein das Proletariat läßt sich verwenden, – der Fortschritt überhaupt ist zu allarmiren. Und die Macht der Fortschrittspartei in Mannheim darf sich kühn mit jeder Stadt am Rheine messen. – Du nennst den Pöbel feige, – nicht mit Unrecht. Aber in Massen zusammengelaufen, wird er frech, tollkühn, verwegen. Hiezu kommt der Geist unseres Neckarschleims, – dieser ist vortrefflich. Haß lebt in Allen gegen die Pfäffischen. Den Haß in Raserei und Wuth zu verwandeln, übernehmen unsere Agenten, unsere Localpresse. Wir Vier zusammen gebieten schon über ein Corps von mehreren hundert Arbeitern. Geben wir ihnen auf den zweiten Dezember doppelte Löhnung, und die Kerle unternehmen Alles gegen straflose Sicherstellung. – Und die Waffen? Es gibt Pflastersteine, Knittel, Hämmer, tausend gefährliche Dinge, die sich leicht verbergen lassen, um bei der Entscheidung gebraucht zu werden. Die Ultramontanen werden keinen Widerstand leisten, sie werden sich beknitteln lassen, wie geduldige Schafe, – das ist bekanntlich ihre Art. Jedenfalls gibt es Tumult, Aufruhr, Skandal, Schlägerei, es fließt Blut, – und gerade das ist meine Absicht. Was muß die Folge sein? Das Ministerium ergreift mit Vergnügen den Anlaß, das wandernde Casino im Interesse öffentlicher Ordnung verbieten zu können. Würde abermals eine clerikale Tagfahrt versucht, Lamey müßte sie mit Dragonern auseinander treiben. Die letzte Versammlung war in Mannheim, die Bewegung ist erdrückt, die Schulreform gerettet. – Ich glaube, Deine Einwürfe widerlegt zu haben, Freund Fuchs!«
»Mir selbst zur Genugthuung,« versetzte Fuchs.
»Und Deine Bedenken, Wolf?«
»Die Ausführung Deines Planes wird die allgemeinste sittliche Entrüstung erwecken,« antwortete Wolf. »Auf Freiheit, Humanität, Liberalität gründet sich das ganze Werk des Fortschrittes. Die Ultramontanen kämpfen unter derselben Devise. Schlagen wir mit Knitteln die Casinomänner zusammen, – wie verträgt sich das mit Freiheit und Humanität? Auch die Ultramontanen sind Bürger, Badenser, Landeskinder, auch sie beanspruchen Redefreiheit, ungehinderte gesetzliche Versammlung zum Ausdruck ihrer Anschauung, – können wir ihnen mit Pflastersteinen den Mund verstopfen? Dürfen wir ihnen die Köpfe blutig schlagen, ohne einen Schrei des Entsetzens von ganz Deutschland über Mannheim herauf zu beschwören? Und gar die Bildung! Feindselig wird uns diese Macht den Rücken kehren. Mannheim wird aus der Reihe gebildeter Städte verschwinden, im Urtheile jedes menschlich Fühlenden wird es von Tartaren bewohnt sein.«
»Dasselbe Gespenst wollte auch mich erschrecken,« versetzte der Hochmögende. »Aber, meine Freunde, darf eine Geschmacksrichtung, eine Mode, zur Untreue verleiten gegen unseren Geist? Ich habe gesagt, mein Plan entspreche nach allen Seiten unserem System, – so ist es! Wir huldigen Freiheit, Liberalität und Humanität vor der Oeffentlichkeit, weil das unsere Zwecke fördert. Vergeßt aber nicht, daß jener Worte Sinn, wie er von dem großen Publikum verstanden wird, den geheimsten Absichten unserer großen, erdumfassenden Gemeinschaft fremd, ja feindlich ist. Zur Täuschung der Massen, zur Bekämpfung der Verhaßten, der katholischen Kirche, mögen jene Worte existiren und gelten, – nicht aber bei entscheidenden Vorgängen. Hohle Worte zerbrechen im Augenblicke ernster Entscheidung, der Schein zerstäubt, das Wesen allein ist maßgebend. Freiheit, Liberalität, Humanität, – was sind sie uns? Nebelgestalten, die vergehen vor dem Hauche unseres Geistes. Gleichheit und Freiheit und Menschenthum sind nicht Kinder unserer Art, – wir haben diese Brut nur adoptirt zur Täuschung der urtheilslosen Menge. Aus kluger Rücksicht haben wir dem Zeitalter ein Zugeständniß gemacht, – aber weiter, als bis zur Form, darf jenes Zugeständniß nicht gehen. Eine Gleichheit der Menschen ist dem Genius unseres Bundes völlig fremd. Jesus von Nazareth hat vielmehr, in Folge weicher Gemüthsrichtung und Sentimentalität, jene Menschengleichheit erdacht und populär gemacht durch seine Lehre von des Menschen Ebenbildlichkeit mit Gott. Mit dieser Lehre hat Jesus den Unterschied von »Herr« und »Sklave«, wie ihn das Alterthum gekannt, unklug zertrümmert. Vor uns hingegen besteht unerschüttert die eiserne Schranke zwischen Herr und Sklave. Wir belächeln die gefühlvolle Moral des Nazaräers: »Du sollst Gott über Alles lieben und Deinen Nächsten wie Dich selbst!« Vor uns gibt es so wenig eine christliche Nächstenliebe, wie einen persönlichen Gott. Die Weltordnung erzeugt ohne Ermüden »Herren« und »Sklaven«, – daran halten wir fest. Dank unserer Thätigkeit, beginnt das ewige Gesetz der Weltordnung, die Nächstenliebe des edlen Jesus zu verdrängen. Die Gleichheit versinkt mit der Gottesebenbildlichkeit. Zwar murrt der moderne Sklave, weil ihm noch der freie Mensch des Christenthums im Blute steckt, dieses Murren vergeht indessen mit den christlichen Ideen. Eine corrumpirte Masse empfindet wohl die Last, nicht aber die Schmach der Sklavenketten. Und seitdem uns gelungen, die in den Armen der Staatsomnipotenz gemächlich ruhende Kirche zu überflügeln, entwickeln Kammerbeschlüsse und Gesetze immer kräftiger den Unterschied zwischen »Herr« und »Sklave«. Das Capital regiert, die Armuth dient. Menschenrechte, die uns verpflichten, gibt es nicht. Mithin sind Liberalität, Freiheit, Humanität, und wie die Schlagwörter alle heißen, vor dem Geiste unserer Gemeinschaft leere Formeln. Schlagen wir die Ultramontanen zusammen, im Interesse der Herrschaft unseres Genius, dann wurde ein Mißgriff vor allen Wissenden nicht begangen. Wohl aber vor der nichtwissenden gebildeten Welt, – behauptet ihr! Nun,« und der Hochmögende lächelte verächtlich, »das Gewicht dieser gebildeten Welt ist sehr leicht, – die sittliche Entrüstung der öffentlichen Meinung durchaus nicht unheilbar. Blühen nicht, über ganz Deutschland zerstreut, unsere Fabriken, öffentliche Meinung zu produciren? Wird im vorliegenden Falle unsere Presse die öffentliche Meinung nicht beherrschen können? Ohne Zweifel! Das Kunststück ist nicht schwer. Wir dürfen nur befehlen: »Die Casinomänner haben nicht allein gewagt, in Mannheim zu tagen, in einer hochgebildeten Stadt, die ihre mittelalterlichen Umtriebe verdammt, – die Casinomänner haben sogar die erregten Massen gereizt, den ersten Stein aufgehoben.« Nehmet hinzu die Kälte des größten Theiles der Gebildeten gegen hindernden Confessionalismus, berechnet das Gewicht des Gemüthes, so gern bereit, Partei zu ergreifen gegen Unliebsames und Verhaßtes, und ihr werdet finden, daß die sittliche Entrüstung der Gebildeten nicht gegen Mannheim, sondern gegen die Ultramontanen sich entladen wird.«
»Carl, Deine Ausführung ist meisterhaft!« rief Wolf entzückt. »Ich bekenne mich überwunden.«
»Du hältst meinen Plan für »sehr gewagt,« vorsichtiger Bär,« sprach lächelnd der siegreiche Millionär.
»Und er ist es!« behauptete Bär. »Zur kurzen Darlegung meiner Ansicht, eine erklärende Thatsache! – Eine französische Familie bewohnte eine amerikanische Farm. Die Familie besaß eine gezähmte Tigerkatze. Das furchtbare Raubthier bewegte sich gefahrlos, ohne alle Wildheit unter den Menschen. Blutdurst und Mordgier schienen erstorben. In einer Nacht wurde die Farm von Indianern überfallen. Der Franzose hetzte die Tigerkatze gegen die Wilden. Es entstand vor dem Blockhaus ein kurzer, schrecklicher Kampf. Die Indianer heulten, das Raubthier brüllte, und am folgenden Morgen lag der Tiger über einem blutigen Knäuel menschlicher Gebeine. Der Franzose nahte seinem Vertheidiger. Dieser brüllte ihn an, und öffnete den Rachen wider seinen Herrn. Im Tiger war plötzlich die natürliche Wildheit erwacht, er wurde den Franzosen gefährlich, und mußte erschossen werden. – Mache die Anwendung! Unsere Proletarier betragen sich menschlich, zuweilen knurrend und zähnefletschend gegen den Besitzenden, aber doch ungefährlich. Hetze den Pöbel gegen den Feind und seine natürliche Wildheit wird erwachen, verderblich den besitzenden Herren.«
»Gut, – dann schießen wir die Canaille zusammen, wie jener Franzose die Tigerkatze,« sprach kurz Herr Blendung. »In unseren Händen liegt die Macht, stark genug, zur Bändigung des entfesselten Proletariats.«
Auch Bär bekannte sich überwunden.
Blendungs zweiter Dezember wurde angenommen, und jetzt folgte eine lange Berathung, zur gediegenen Organisation des Vernichtungskampfes gegen das wandernde Casino.