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An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

Neben der opfermuthigen Tochter des Landwirthes hatte Heinrich noch eine Vertraute des Herzens, – seine Mutter. Am folgenden Morgen, da es gerade eine Pause gab in häuslichen Geschäften, winkte er sie aus der großen Wohnstube in eine Seitenkammer. Dort saß der Sohn zu den Füßen der Mutter, von Helenens neuer Liebesthat berichtend, und von seinem Bruche mit Ferdinand. Der Eindruck des Ganzen auf die Hörerin war günstig.

»Das ist ein Mädchen, – in Gold gehört sie eingefaßt!« lobte Frau Margareth. »Wenn ich nur wüßt', was ich der Lene Liebes thun könnte!«

»Vor Allem müssen wir sorgen, daß sie die hundert drei und fünfzig Gulden so bald als möglich zurück erhält,« sagte Heinrich. »Und lauter neue Stücke müssen es sein. Ich fahre nach Carlsruhe an die Münze und wechsele dort ein.«

»Wir haben eine kleine Summe beisammen,« sagte Frau Margareth. »Aber ohne Wissen Deines Vaters mag ich daran nicht rühren, – und dann ist das Geld für einen Ackertermin bestimmt. – Könntest Du nur die Lene kriegen! Auf zehn Meilen gibt es keine bessere Partie. Aber es ist wenig Hoffnung; ich kenne ihren Vater. Durch den verdammten Schulstreit bekam er von uns eine böse Meinung, und er wird seine Tochter nur einem braven jungen Mann geben aus einem christlichen Haus. Ich kenne den Fritz!«

»Ich nehme keine andere, als Helena,« sprach er fest. »Gelingt es nicht, ihren Vater von meiner Besserung zu überzeugen, dann bleibe ich ledig.«

»Hättest Du Deiner Mutter gefolgt, Alles stünde anders,« sagte sie vorwurfsvoll. »Der junge Blendung, der reiche Taugenichts, dieses Halbmondgesicht, verführte Dich, – geradeso wie der lüderliche Mohr Deinen Vater verführt.«

Heinrich senkte zerknirscht das Haupt, die Mutter saß bekümmert. Plötzlich fuhr sie auf. In der Wohnstube klang die verhaßte Stimme des alten Mohr.

Dieser aufgeklärte Mann war in heftiger Erregung, hereingekommen und auf den Bürgermeister losgerannt, der am Tische saß und rechnete.

»Knapper, – das muß ein Ende nehmen mit der Kellnerin,« rief er, wild gestikulirend. »Daheim liegt mein Jüngster krank – sehr krank. Er stöhnt und ächzt unter schrecklichen Schmerzen. Ich fürcht' das Schlimmste. An Allem ist die Theres schuld, die verfluchte Kellnerin der Frohsinnigen; denn wegen der Theres bleiben die Jungen zu lange hocken im Wirthshaus' und verderben sich. Schaff' also die Theres fort aus dem Dorf' oder es gibt ein Unglück.«

Margareth vernahm die ganze Ansprache, und stand, neugierig über den weiteren Verlauf, unter der Kammerthüre.

Der Bürgermeister sah von der Rechnung auf, nicht ganz klar über den Sinn der Forderung.

»Was willst Du denn eigentlich, Mohr? Dein Jüngster isch krank, – daran isch die Kellnerin schuld, – und ich soll die Kellnerin fortschaffen? Isch's nit so?«

»Freilich, – natürlich! Heute noch lass' sie ausbieten, heute noch.«

»So, – also, – ich soll die Kellnerin ausbieten, schon recht! Aber zum Ersten: der junge Blendung hat die Kellnerin gedungen. Zum Zweiten: die Blendung sind allmächtig beim Amt, sogar in Carlsruhe. Zum Dritten: biet' ich die Kellnerin aus, dann krieg' ich Händel mit dem Blendung, – und das mag ich nit. Zum Vierten! Du hast keinen Grund angegeben, und ohne Grund läßt sich nix machen. Ich bin zwar Borjemeeschter, aber doch kein Advokat, das heißt: ich kann Gesetze und Verordnungen nit so drehen, bis sie für Dich passen.«

»Einen Grund soll ich angeben? Ist das kein Grund, wenn mein Wilhelm hingerichtet worden?«

»Was? Sie hat Deinen Wilhelm hingerichtet?« rief aufspringend der Bürgermeister. »Sogleich wird sie arretirt! Sind Zeugen da? Wo hat sie ihn todt geschlagen, oder todt gestochen?«

»Sei doch gescheidt, Knapper!« rief Mohr mit einer Seitenbewegung, die ihm Margarethens Gegenwart offenbarte. »Guten Morgen, Frau Bürgermeister! Wir haben da schlimme Geschichten.«

»Ich höre es,« entgegnete sie eisig kalt.

»Nun also vorwärts!« drängte Knapper amtseifrig. »Wie hat sie ihn umgebracht?«

»Sie hat ihn gar nicht umgebracht, sondern krank gemacht.«

»Ah – so! Was plauderst Du demnach für Zeug, Mohr? Sie wird ihm saures Bier eingezapft haben: deßhalb kann ich sie wahrhaftig nit ausbieten. Da müssen die Bierbrauer herhalten.«

Mohr lachte häßlich.

»Hörst Du nicht, Knapper: – die Kellnerin hat meinen Sohn verdorben; denn sie ist die Ursach', daß mein Wilhelm allzu lang' hocken bleibt im Ochsen und über die Schnur haut. Darum verlange ich die Ausweisung dieser Person.«

»Daran kann ich mich nit halten,« versetzte der Bürgermeister. »Angeben mußt Du, wie sie Deinen Sohn verdorben hat, – auf welche Art, – in welcher Gestalt, – durch welche Mittel. Das Gericht isch genau, immer will's eine Handhab'. Darum liegt immer auf dem Gerichtstisch das Beil, das Messer, der Stock, die Axt, das Ding, wodurch Jemand isch verdorben worden. Und das Mittel, das Ding, wodurch Dein Wilhelm isch verdorben worden, müssen wir haben.«

»Nun, – das Mittel ist die Verführungskunst.«

»Gut! Jetzt die Gestalt, die Art des Verderbens, – gib an!«

»Kann ich das? Bin ich ein Doctor?« rief Mohr. »Wahrscheinlich hat sie ihn vergiftet durch böse Getränke, durch Hexensaft aus des Teufels Küche. Das wird der Doctor dem Gericht schon erklären.«

»Gut, – dann geh' zum Doctor!« entschied Knapper. »Gibt mir's der Doctor schriftlich, daß die Kellnerin Deinen Sohn vergiftet hat: – dann muß sie zum Dorf hinaus. Die Blendung sollen mir nit auf den Hals, – ich stecke mich hinter den Doctor.«

»Das sind die Folgen!« hob Frau Margareth strafend an. »Hättet Ihr Euren Sohn besser gehütet, das Unglück wäre nicht vorgekommen. Hättet Ihr ihn christlich erzogen, er wäre kein so verdorbener Bube.«

»Christlich, – christlich!« wiederholte spöttisch der alte Mohr. »Darüber sind wir hinaus. Um einen Menschen gut zu erziehen, braucht man das Christenthum nicht. Bildung, Humanität, Aufklärung thun's weit besser, als das Christenthum.«

»Das ist nicht wahr!« warf sie entschieden ein. »Der junge Blendung ist gewiß ein aufgeklärter, gebildeter Mann, – und doch hat er die Person in's Dorf gebracht, von der Ihr sagt, »daß sie Euren Sohn hingerichtet habe.« Ist aber Jemand ein Christ, und verdient er diesen ehrenvollen Namen, dann wird er nicht schlecht, er hält die Gebote Gottes. Verstanden, Mohr?«

»Mit Ihnen mag ich nicht streiten, Sie gehören zu den Frommen.«

»Ich bin allerdings ein christliches Weib und stolz auf meinen Glauben,« versetzte sie ernst. »Eben darum ist mir's leid, daß mein Mann mit Leuten umgeht, die nichts auf ihren Glauben halten, die nach der Bildung leben, – und wie? So, daß es eine Schande ist. Und weil ihr gegen die Religion gotteslästerliche Reden führt, Mohr, weil Ihr Eure Kinder nicht nach der Religion, sondern nach der Bildung erzieht, darum ist es jetzt so, wie es ist.«

»Sie sollten mir das nicht vorrücken!« sprach Mohr finster. »Jeder hat seine Ueberzeugung, – dabei sollte man ihn lassen.«

»Dabei soll man ihn lassen, – recht! Handelt Ihr darnach, Mohr? Nein! Ihr predigt in den Wirthshäusern gegen die Religion, Ihr sucht Anderen die religiöse Ueberzeugung zu rauben. Das ist niederträchtig! Und dabei bleibt Ihr nicht stehen, – Ihr sucht den letzten guten Funken in den Herzen Eurer Kinder zu ersticken. Wenn Ihr Euren Kindern immer vorleiert: es gibt keinen Gott, keinen Himmel, keine Unsterblichkeit, wenn Ihr das Gewäsch immer wiederholt, – müssen am Ende Eure Kinder nicht glauben, es sei wirklich so, wie ihr gescheidter Vater sagt? Und wenn dann Eure Kinder so leben, als ob es weder Gott, noch Himmel und Hölle gäbe, – ist es zum Verwundern? Ganz recht geschieht Euch! Da seht, wie weit man kommt ohne Religion!«

»Ich bin eigentlich nicht zu Ihnen gekommen, um mir die Leviten lesen zu lassen, sondern zu Ihrem Manne.«

»Die Leviten sind Euch ganz gesund, Mohr! Längst hab' ich darnach getrachtet, Euch einmal offenherzig die Wahrheit zu sagen,« – und sie trat in die Kammer zurück.

»Weibergeschwätz!« murmelte Mohr in den Bart. »Wie ist's also, Knapper?«

»Wie gesagt, – bring's schriftlich vom Doctor, und die Kellnerin wird arretirt!«

Mohr trug den Bescheid nach Hause. Als er in den Hof trat, blieb er fest gewurzelt stehen. Weit geöffnet gähnten ihm die Schweinställe entgegen, deren Insassen alle ausgezogen waren und sich wühlend durch den Garten trieben. Die Hungrigen hatten nämlich vergebens der Fütterung geharrt; denn Amrich spielte auf den Saiten und sang dazu. Auch die Borstigen begannen ihre Lieder, anfänglich grunzend, dann Crescendo, bis zu ohrenzerreißendem Fortissimo. Sie hatten mit den Rüsseln die Thüren befühlt, geschoben, gerüttelt, bis die Pforten sich aufgethan. Jetzt stürzten sie heißhungrig in den Garten, brachen gefräßig in Endivien und Krautstände, zogen tiefe Furchen, zerbissen die schönsten Köpfe und warfen Alles zu einem Chaos durcheinander.

Mohr sah die Verheerung und stand starr. Dann griff er nach einem Pfahl und trieb die Schweine zurück in die Ställe, ohne einen Fluch auszustoßen, – ganz gegen seine Gewohnheit. Aber im Gesichte des Menschen lag eine stille verzehrende Wuth. Er schritt nach der Wohnstube. Er ging auf die musicirende Amrich los und gab ihr eine schallende Ohrfeige. Das fortgeschrittene Mädchen wollte aufheulen. Ein Blick in das Gesicht des Wüthenden machte sie verstummen. Dieser hob die Guitarre hoch empor und schlug sie auf den Boden, daß die Stücke ringsum prasselten.

»Das hat ein End',« sagte er mit hohler Stimme. »Miserabeles Guitarrenmensch, geh' in den Garten und sieh', was die Säue angerichtet haben!«

Er verließ die Wohnstube und betrat die Kammer, wo sein Aeltester an den Blattern gestorben. Dort lag Wilhelm, klagend und stöhnend im Bette. Das Gesicht des Jungen war abgemagert und häßlich entstellt von den Wirkungen seines ausschweifenden Lebens.

»Wilhelm, kannst Du zum Doctor gehen in die Stadt?«

»Das kann ich noch! Warum soll ich aber zum Doctor? Ist's gefährlich?«

»Das nicht, – aber der Bürgermeister verlangt's,« – und es erfolgte eine Erklärung der Sachlage. »Du läßt Dich untersuchen, erzählst Alles dem Doctor.«

»Das will ich gern, damit die Giftmischerin d'ran kommt,« sagte schadenfroh der Junge. »Ich kann's fast nimmer aushalten! Ich leide ganz entsetzlich. Gäb's eine Hölle, ich würde sagen: – sie hat aus des Teufels Apotheke den Trank gestohlen, welchen sie mir zu trinken gab.«

Am folgenden Tage trat Wilhelm vor den Kreisarzt. Der Frohsinnige erstattete genauen Bericht. Der Doctor vermochte kaum, seinen Zorn über den jungen Mohr zu verbergen. Die Untersuchung begann. Jetzt stand der Kreisarzt, Flammen in den Augen, vor dem Gepeinigten.

»Elender Bube!« rief er. »Für Dich gibt's keine Hilfe, total ruinirt, – unheilbar bist Du. Gehe hin und hänge Dich auf, – mehr bist Du nicht werth!«

Wilhelm trat in ein Wirthshaus, stürzte einige Gläser Wein hinab und kehrte heim. Hinfällig und gebrochen wandelte er auf der Landstraße, sich krümmend unter namenlosen Schmerzen. Die Worte des Doctors konnte er nicht los werden. Es war, als sei beständig Jemand hinter ihm her und wiederhole: »Unheilbar bist Du, – hänge Dich auf!« Vor ihm fuhr ein Wagen. Wilhelm sah, wie ein Strick herab fiel. Er hob ihn auf, setzte sich unter einen Nußbaum und starrte verzweifelt vor sich hin.

Vergebens harrte Mohr der Rückkehr seines Jüngsten.

»Ich geh' in den Ochsen,« sagte er Amrich. »Kommt Wilhelm, dann rufst Du mich.«

Bis Mitternacht saß der Alte im Wirthshause, Wilhelm kam nicht. Aber am nächsten Tage wurde die Leiche des jüngsten Mohr vor das elterliche Hans gefahren. Waldhofer Bauern, aus der Stadt zurückkehrend, hatten den Erhängten abgeschnitten.

Amrich schrie entsetzt auf. Mohr stand bleich und wortlos. Der Leichnam wurde hineingetragen in das Haus. Die Schwarzen im ganzen Dorfe sagten schaudernd: »Wie gelebt, so gestorben!«

Der alte Mohr blieb scheinbar kalt und trotzig dem Verhängnisse gegenüber. Ihm war, als sei der Schlag geführt durch die Hand einer Alles beherrschenden Macht. Er protestirte gegen die Gewaltthat, wollte sich jener Macht nicht beugen. Die Krankheit seines Sohnes war nur die Folge eines Gesetzes derselben Macht; denn jene Krankheit war ein Strafurtheil, verhängt über den Ungehorsam gegen einen allerhöchsten Willen. Mohr sah die Wahrheit der Behauptung Margareths: »Ein Christ kann so nicht krank werden, wie Wilhelm krank geworden und verdarb.« Warum nicht? Weil der Christ in Gehorsam sich jener unbeweglichen Ordnung unterwirft.

Mithin gibt es, so folgerte Mohr weiter, streng gezogene Grenzen, die selbst Aufklärung, Bildung und Fortschritt nicht ohne Selbstmord überschreiten dürfen. Unternimmt es der Fortschritt dennoch, pochend auf allerhöchste Selbstbestimmung, jene Grenzen zu mißachten, so gähnt jenseits ein Abgrund, tief genug, den Einzelnen wie ganze Völker zu verschlingen. Und wenn er die Schwarzen sagen hörte: »Wie gelebt, so gestorben,« – so war diese volksthümliche Ausdrucksweise nur wieder die erfahrungsmäßige Bestätigung von dem Walten unverrückbarer Gesetze. Daran konnten weder Bildung, noch Fortschritt, nicht einmal die Majorität einer Kammer rütteln.

Gegen diese zermalmenden Gesetze eines allerhöchsten Herrn knirschte Mohr. Den Sohn betrachtete er als Opfer einer unverantwortlichen Machtvollkommenheit, die Leben und Verderben verhängt nach ihrem eigensten Wesen, ohne Befragen des emancipirten Menschen, ohne Rücksicht auf den Fortschritt der Bildung. Abhängig, ohnmächtig erkannte sich Mohr. Es gab etwas, das jeder »Entwickelung der reinen Menschheitsidee«, – jeder »unabweisbaren Forderung des modernen Gedankens« spottete. Jenem Unverrückbaren, Unerreichbaren gegenüber gab es nicht einmal einen »Triumph der Wissenschaft über verjährte Vorurtheile,« oder »Befreiung des mündig erklärten Menschengeistes von herabwürdigenden Fesseln der Autorität.« Auch nicht den freien Willen fand Mohr werthvoll für den Unabhängigen; denn er konnte zwar jener allerhöchsten Ordnung trotzen, seine Unabhängigkeit frei erklären, – er konnte es aber nicht, ohne sich selbst zu verderben.

Diese Gedanken wühlten in dem Gesetzlosen. Fortwährend schritt er durch das Zimmer, wo der Todte lag mit weit hervorhängender Zunge, in wüster Entstellung. Er sah die Schwarzen vorübergehen, diese Knechte des Unwandelbaren, diese Sklaven widerspruchsloser Unterwerfung! Ingrimmig flammte des Alten Trotz. Sein wüthender Blick schoß nach der Ecke, wo ein bestaubtes Crucifix trauerte, von der längst verstorbenen Frau dorthin gehängt. Er kniff die Lippen zusammen, erhob die geballte Faust gegen den Gekreuzigten und sprach in satanischem Vermessen eine gräuliche Gotteslästerung.

Das Gericht kam aus der Stadt. Der Fall wurde untersucht. Der Kreisarzt erklärte den Casus für Selbstmord. Mit dem Gerichte kamen Gensdarmen. Diese verhafteten Therese, die Kellnerin, und führten sie aus Waldhofen fort.

Der alte Mohr ging nach dem Pfarrhause und trat vor den Cooperator. Das Herrchen, licht und hell, wie sein Wandel, sah den eiskalten finstern Mann und glaubte, in einen Abgrund hinabzublicken.

»Herr Cooperator, ich wollte fragen, wann Sie meinen Sohn beerdigen wollen.«

»Ich darf Ihren Sohn nicht zu Grabe geleiten, weil Selbstmörder des Segens der Kirche verlustig gehen.«

»So,« – stieß der Alte hervor, und seine Augen funkelten. »Das ist noch das Allerschönste! Soll mein Sohn hinaus getragen und verscharrt werden, wie ein Hund?«

»Die Kirchengesetze verbieten das kirchliche Begräbniß der Selbstmörder. Sie werden einsehen, daß für mich die Kirchengesetze maßgebend sein müssen.«

»Wozu sind die Geistlichen da? Wozu werden sie bezahlt? Es sind Beamte, wie jeder andere Beamte auch, die funktioniren, wenn man sie bezahlt.

»Das ist ein Irrthum!« erklärte Frohmann. »Die Geistlichen haben ihre Sendung nicht vom Staate, sondern von der Kirche, und die Kirche ist eine Stiftung Gottes. Wer durch Unglauben, Verbrechen oder Laster freiwillig aus der Kirchengemeinschaft heraustritt, kann vernünftigerweise Kirchendienste nicht fordern. – Bei dieser Gelegenheit muß ich Sie bitten, Mohr, gefährliche Irrwege zu verlassen, auf denen Sie wandeln. Sie machen aus ihrem Unglauben kein Hehl. Sie verspotten in Gesellschaften die Religion. Sie untergraben durch Ihren bekannten öffentlichen Wandel die gute Sitte. An Ihrem Sohne müssen Sie erfahren, wohin das führt. Kehren Sie zurück, retten Sie Ihre Seele!«

Mohr lächelte grimmig.

»Wahr ist's, – ich bin seit Monaten nimmer in der Kirche gewesen. Aber daran sind Sie selbst schuld; denn Sie predigen die Leute zur Kirche hinaus.«

»Das ist eine schwere Beschuldigung, Mohr! Können Sie dieselbe beweisen?«

»Ganz gut! Bevor Sie kamen, lebten wir im Frieden. Alles ging seinen stillen Gang. Sie hingegen haben durch Ihre Predigten die Gemüther aufgeregt. Sie haben fortwährend gedonnert gegen Bildung, Aufklärung und Fortschritt. Ihre Absicht geht offenbar dahin, die Leute zu verdummen, in mittelalterliche Finsterniß zurück zu führen. Ich aber lasse mich nicht mehr verdummen, dazu bin ich zu alt, – habe auch etwas gelesen. Dann haben Sie geschimpft gegen die Unzüchtigen, gegen die Wirthshaussitzer und Trunkenbolde. Manche Bürger fühlten sich hiedurch getroffen und dem öffentlichen Klatsch ausgesetzt. Kurz, – Sie haben es in Waldhofen glücklich dahin gebracht, daß die bethörten Leute vor dem Wahn das Knie beugen und die Hölle fürchten. Treiben Sie es noch eine Weile so fort, dann gibt es bald wieder Hexen und Wunder in Waldhofen.«

»Hoffentlich täuschen Sie sich, Mohr!« sprach gelassen das Herrchen. »Hexen sind nach der Kirchenlehre eine abergläubische und sündhafte Einbildung. Da Sie belesen sind, werden Sie wissen, daß gerade die katholische Kirche dem Hexenwahn entschieden entgegentrat, und es noch thut. – Dagegen bekenne ich meinen Streit gegen das Laster. Dazu bin ich da. Tugend zu preisen, Lasterhaftigkeit zu verdammen, ist meine Pflicht. Haben meine Predigten gewirkt, die Herzen aufgerüttelt und zum Guten gelenkt, so gereicht mir das zur höchsten Befriedigung.«

»O ja,« – grinste Mohr, »Sie verstehen Ihr Geschäft, so jung Sie auch sind!«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Daß Sie etwas gelernt haben in der neuen Schule. Mir gedenkt noch recht gut eine Zeit, wo die Geistlichen lebten und leben ließen. Das Evangelium wurde ohne Anstoß verlesen, und die Moral war nicht so streng, wie jetzt.«

»Auch ich kenne jene Zeit aus der Geschichte, – eine traurige Zeit religiöser Erschlaffung und geistigen Todes. Dem Herrn sei Dank, – jene Epoche der Entartung scheint überwunden!«

»Und der Jesuitismus hat gesiegt, – meinen Sie? Nur langsam! Das Volk läßt sich nimmer knechten. Es wird Jene zermalmen, die es unter das Joch der Höllenfurcht bringen wollen.«

»Unter das Joch der Gottesfurcht, Mohr! Wäre Ihr Sohn unter jenem Joche gegangen, sein Ende wäre nicht schmachvoll und schrecklich.«

»Schrecklich? Und schmachvoll?« wiederholte Mohr, häßlich das Gesicht verziehend. »Sie nennen das so! Ich aber sage Ihnen: lieber sehe ich meinen Sohn todt, als lebendig und lebend nach Ihrem Evangelium.«

»Nicht mein Evangelium, – Gottes Evangelium! Ihnen freilich wäre ein Evangelium des Fleisches und der Zügellosigkeit angenehmer.«

»Sie haben es gerade getroffen!« rief Mohr unverschämt. Sie wollen ihn also nicht begraben?«

»Ich darf es nicht!«

»Adieu!« – und der Alte verließ brummend und fluchend das Pfarrhaus.

Der jugendliche Selbstmörder wurde hinausgetragen ohne Gebet, ohne Segen, ohne Glockengeläute. Nur wenige Rothen gingen mit, unter diesen Stephan, der Volksschullehrer, zum Aergernisse der Schwarzen. Selbst Knapper, von Mohr dringend eingeladen, wies das Ansinnen zurück.

»Ich kann nit!« sagte er. »Meine Frau würde mir die Augen auskratzen.«

Das Herrchen aber freute sich der Haltung der Gemeinde; denn sie gab neuerdings Zeugniß von kräftig erwachtem religiösen Bewußtsein.


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