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Aus ganz Baden waren Tausende von Adressen in Carlsruhe zusammengelaufen. Sie alle protestirten laut gegen das neue Schulgesetz. So kräftig aber das katholische Volk rüttelte an der verhaßten Schöpfung des Herrn Knies, so entschieden es auf religiöser Jugenderziehung bestand, ebenso hartnäckig widerstrebten christenthumsfeindliche Mächte. Hunderttausende katholischer Männer hatten feierlich Verwahrung eingelegt wider planmäßige Entchristlichung, – die Verwahrungen wurden rücksichtslos von eisernen Füßen der »neuen Aera der Freiheit« zusammengestampft.
Aber die Bewegung starb nicht, die Adressen wurden lebendig; denn es entstanden die wandernden Casino. In Dörfern, Flecken und Städten schaarten sich die Katholiken in großen Versammlungen, hielten kräftige Reden gegen das Schulgesetz, und gaben den Volkswillen unbestreitbar zu erkennen.
Die wachsende Bewegung wurde den Herrschenden bedenklich. Die rothe Presse wüthete gegen die Ultramontanen. Lange hatte sie behauptet: »Nur eine verschwindend kleine Partei widerstrebt dem Schulgesetze.« Die Massenerklärung machte diese Lüge unmöglich. Darüber verfiel die rothe Presse in eine solche Raserei, daß sie unbedacht den Pferdefuß unter dem Gewande vernünftiger Bildung hervorstreckte.
Der Jude Nathan von Mannheim schrieb:
»Es handelt sich sehr viel darum, daß in unseren öffentlichen Anstalten, in Kirchen und Schulen, der alte Aberglaube, nämlich der Dreieinigkeits-, Erbsünde-, Teufels- und Wunderglaube, der jetzt darin vorgetragen und dem aufwachsenden Geschlechte eingeimpft wird, gesetzlich abgeschafft werde, gerade wie vor dreihundert und dreißig Jahren der Glaube an die Brodverwandlung und an das Fegfeuer abgeschafft wurde. Damit muß Hand in Hand gehen, daß solche reaktionäre Geistliche, die jenem alten Aberglauben fortwährend anhängen, allen amtlichen Charakter verlieren. Alle politisch und religiös freisinnigen Einwohner einer Gemeinde sollten Alles aufbieten, daß die altgläubige Partei und Kirche fortan zur Privatgemeinschaft herabsinke. Die Petitionen sollten nicht aufhören, solche der Wahrheit entgegenhandelnde Geistliche aus der Gemeinde fortzubringen, und wir sollen weder bei ihnen confirmiren, noch trauen, noch taufen lassen. Hingegen sollen die Kirchen, Pfarrhäuser, Schulhäuser, welche dem Staate oder den jetzigen Kirchengemeinden gehören, das lehren, was die Priester bisher zu lehren versprochen haben und das Volk, das sie bezahlt, von ihnen erwartet, nämlich die Wahrheit, – und diese Wahrheit kann nur jene von Herder gepredigte »Menschlichkeitsreligion« sein. Wer anders handelt, sollte vor leeren Bänken predigen.« Die Katholiken in Baden und die Juden in Wien. S. 26.
Die Kraftstelle, voll Lügen, Widersprüchen und tollem Unsinn, hatten Nathans Journal und andere gesinnungstüchtige Blätter einer Broschüre entnommen, welche dieselben Blätter zu colportiren eifrig beflissen waren.
Das erzbischöfliche Ordinariat erhob Beschwerde gegen diese neueste Beschimpfung und Herabwürdigung der Religion. Der Staatsanwalt wies die Beschwerde zurück. Daselbst S. 27. Und die Katholiken mußten sehen, wie das Heiligste im Kothe straflos herumgeschleift werden durfte. Gegen wüthende Hunde gab es Schutz und Maulkörbe, nicht aber gegen Wuthgeheul und giftige Bisse der Infernalen.
Ein eifriger Besucher wandernder Casino's war Fritz Schröter. In Waldhofen sah er die vollständige Niederlage der Rothen. Die unbestrittene Rückkehr des religiösen Geistes in die dortigen Schulen war nur noch eine Frage der Zeit. Diese Rückkehr zu beschleunigen, hatte er seinen Kindern den Schulbesuch verboten; denn Stephan unterließ nicht die Vorträge aus der Mythologie und spottende Randbemerkungen gegen das Christenthum. Jeden Monat hatte Schröter einige Gulden Schulstrafen zu zahlen, was ohne Schmerz der reiche Mann ertrug. Bald aber kam es ernster.
Bei seinem Weggehen aus Waldhofen hatte der Hochmögende mit dem Amtmann eine Unterredung. Folgen dieser Unterredung waren verschärfte Geldstrafen wegen des schulflüchtigen Hänschen und Evchens. Als die Geldstrafen wirkungslos blieben, rief eine Vorladung den Landwirth vor das Amt.
Freundlich empfing der Amtmann den Häuptling der Schwarzen; denn auch ihn hatte leises Frösteln über die großartige Bewegung der Ultramontanen befallen, und dieses Frösteln machte Fortschritte, seitdem er die langen Gesichter im Ministerium gesehen.
»Aus den mir vorgelegten Versäumnißlisten,« begann der Beamte, »ersehe ich seit drei Monaten, daß Ihre Kinder die Schulen nicht besuchen. Der Staat fordert eine zeitgemäße Schulbildung und verpflichtet die Eltern zum regelmäßigen Schulbesuche ihrer Kinder. Darf ich erfahren, Herr Schröter, weßhalb diese staatliche Ordnung von Ihnen mißachtet wird?«
»Weil der Staat eine Schulbildung fordert gegen meine religiöse und kirchliche Ueberzeugung,« antwortete Schröter. »Da ich mich der Pflicht, über das sittliche Gedeihen meiner Kinder zu wachen, nicht entschlagen kann, so folgt nothwendig, dieselben dem irreligiösen Geiste der neuen Schule nicht auszusetzen.«
»Sie gehen zu weit!« widersprach der Amtmann. »Auch die Regierung strebt Gesittung des Volkes an, sie will eine dem Zeitgeiste entsprechende sittliche Bildung der Jugend.«
»Dem Zeitgeiste entsprechend, – darin liegt es eben!« versetzte lebhaft der Landwirth. »Dem Zeitgeiste versage ich jede Anerkennung, jedes Lob und jede Berechtigung auf meine Kinder. Nur mein katholischer Glaube ist maßgebend, und dieser wird in den Schulen herabgewürdigt.«
»Abermals übertrieben!«
»Urtheilen Sie selbst, Herr Amtmann! In Waldhofen wurde das Schulgebet untersagt, der katholische Gruß verboten. Die biblische Geschichte wurde abgeschafft. Lehrer Stephan trägt Mythologie vor, wobei er kirchliche Gebräuche verhöhnt, verletzende Bemerkungen gegen religiöse Dinge sich erlaubt und den Kindern Verachtung gegen den Glauben einzupflanzen sucht. Sogar vom Empfange der heiligen Sakramente hält er die Jugend ab. Als vor einigen Wochen der Ortsgeistliche Kinderbeichte verkündete, erklärte Stephan, – das sei ungesetzliche Unterbrechung der Schule, er werde jedes Kind strafen, das beichte.«
»Können Sie die letzte Beschuldigung beweisen?« frug stirnrunzelnd der Amtmann.
»Sehr leicht! Die ganze Gemeinde mag Zeuge sein.«
Der Beamte schrieb auf einen Papierstreifen.
»Ich werde, das untersuchen,« sprach er. »Zur Abhaltung des Schulgebetes kann übrigens der Lehrer nicht weiter verpflichtet werden. Ebenso ist die Beseitigung der biblischen Geschichte ganz in der Ordnung. Nicht minder ist das Abfragen des Katechismus durch den Lehrer unstatthaft, wie überhaupt dessen Einmischen in das Religiöse. An religiösen Uebungen außerhalb der Schule darf indessen kein Lehrer die Kinder hindern. Dem Ortsschulrathe wird die nothwendige Weisung zugehen. Eine solche Anmaßung soll nicht mehr vorkommen und ich ersuche Sie demnach, Ihre Kinder in die Schule zu schicken.«
»Unmöglich! Haben Sie nicht selbst bestätigt, Herr Amtmann, die Beseitigung des Schulgebetes, der biblischen Geschichte, die Fernhaltung der Lehrer von religiöser Bildung seien gesetzlich? Ich protestire mit der ganzen Masse des katholischen Volkes in Baden gegen ein solches Gesetz! Niemals kann ich mich diesem Gesetze unterwerfen.«
»Geben Sie Acht, – das ist Empörung!« sprach mit Nachdruck der Amtmann.
»Um Vergebung! Die Empörung ist nicht auf Seite des Volkes, sondern auf Seite Jener, welche das Gewissen und die religiöse Ueberzeugung des Volkes vergewaltigen. Offen gesagt: dieses Schulgesetz ist Zwingherrschaft, Gewissenstyrannei. Und dieser Zwingherrschaft werde ich meinen Nacken nicht beugen, – nein, – unter keinen Umständen!«
»Das wird sich zeigen!« sagte der Amtmann, und der Bureaukrat sträubte die Haare. »Wir haben Mittel, Ungehorsam zu bändigen. Sie gehen vier Tage in Arrest.«
Der Landwirth lächelte schmerzlich.
»Weßhalb Gefängniß? Weil ich auf dem Vaterrechte über meine leiblichen Kinder bestehe? Weil ich meine Kinder von einem gesetzlich geschützten und angestellten Religionsspötter nicht will verderben lassen? Weil ich Gewissensfreiheit fordere und nach bester Ueberzeugung meiner Kinder Erziehung anstrebe? Deßhalb schicken Sie mich in das Gefängnis Herr Amtmann? Wo liegt hier das Vergehen? Offenbar nicht auf meiner Seite!«
»Doch – doch! Jeder Staatsbürger muß dem Gesetze sich beugen.«
»Dem Gesetze, – ja, hervorgegangen aus dem Schooße des Rechts, erzeugt durch Billigkeit und Menschlichkeit. Das Schulgesetz aber ist unrecht, unbillig, unmenschlich. Hören Sie, Herr Amtmann,« rief der Landwirth erregt, »dieses Schulgesetz schlägt dem Naturrechte so frech in das Angesicht, daß der Aufschrei des Geschlagenen durch die Geschichte kommender Jahrhunderte gellen wird. Gebrandmarkt steht Baden durch dieses Gesetz vor allen künftigen Geschlechtern billig denkender Menschen. Der Staat hat nicht die Befugniß, einzugreifen in meine religiöse Ueberzeugung. Thut er das, so ist es Zwingherrschaft, Gewissenstyrannei.«
»Das ist Revolution!«
»Herr Amtmann, Sie sind kein Pascha, und ich bin kein Sklave! Gestatten Sie deßhalb freien Ausdruck der Ansichten. Sodann muß ich Ihnen bemerken, daß Menschen keine Sachen sind, über die man rücksichtslos verfügt. Menschen sind eben Menschen und meine Kinder nicht Eigenthum des Staates. Sie gehören zunächst ihrem Schöpfer, dann sich selbst, – nicht aber dem Staate.«
»Mit diesen Ansichten werden Sie schlecht fahren,« rief erzürnt der Bureaukrat. »Gehen Sie! Innerhalb drei Tagen ist der viertägige Arrest im hiesigen Gefängnisse anzutreten.«
Schröters Heimkehr brachte große Bestürzung in das alte Haus. Helena weinte bittere Thränen. Sie dachte sich den Vater im Zuchthaus, und das zerriß ihr kindliches Herz. Die Schwarzen ergriff bedeutende Entrüstung. Es fielen schwere Reden über Gewaltherrschaft und Paschawesen. Die Rothen frohlockten.
»Ich bin zwar Protestant, eure Sachen gehen mich nichts an,« sagte der Einnehmer am runden Tische der Herrenstube. »Allein Schröter geschieht kein Unrecht. Wohin käme es, dürfte Jeder nach seinem Kopfe handeln?«
»Die Regierung war bisher zu nachsichtsvoll,« rief Stephan, der Volksschullehrer. »Hätte sie längst von gesetzlicher Gewalt Gebrauch gemacht, der ultramontane Schwindel wäre nicht aufgekommen; denn weiter ist die ganze Bewegung im Lande doch nichts, als Schwindel. Die römischen Finsterlinge sträuben sich gegen das Morgenroth vernunftgemäßer Geistesbildung, sie wollen die Schule dem Lichte moderner Errungenschaften verschlossen halten, die Verdummung des Volkes nicht aus der Hand geben. Vergebliche Mühe! Endlich ist das Maß voll, die Milde der Regierung verwandelt sich in strafende Energie.«
Und wie Herr Stephan, so beurtheilte die freisinnige Presse den Fall. Dem starken Amtmanne wurde hohes Lob und Gewaltherrschaft nicht gefunden, trotz der »neuen Aera der Freiheit,« und trotz der laut schreienden Volksstimme in den wandernden Casino's.
Als der dritte Tag heran kam und die Haft sollte angetreten werden, rief der greise Gangolph den Sohn bei Seite.
»Fritz, Du gehst nicht in Arrest, Du bleibst hier.«
»Was soll das nützen?« frug erstaunt der Landwirth. »Gehe ich heute nicht freiwillig, kommen morgen die Gensdarmen.«
»Eben das ist meine Absicht!« sagte Gangolph. »Gensdarmen sollen Dich holen. Sie sollen Dich vor Aller Augen durch das Dorf führen, dann wird die himmelschreiende Tyrannei recht offenbar vor den Leuten. Du wirst fortgeführt, wie ein Spitzbube, – Du, ein Mann, dem sein größter Feind ein Unrecht nicht nachsagen kann, – Du wanderst in's Zuchthaus um Deines Glaubens willen. Dein Verdienst ist deßhalb groß vor Gott, mein lieber Sohn! Denn Du wirst verfolgt und eingesteckt wegen Deiner Religion, wie die Bekenner und Märtyrer von den Heiden. Das muß den Leuten recht klar werden. Sie sollen die Gewaltthat des neuen Heidenthums mit Augen sehen, und das wird alle Katholiken stählen.«
»Ihr habt recht, Vater!« sprach nach kurzem Besinnen der Landwirth. »Ich bleibe.«
Den ganzen Tag hindurch schritt Gangolph geschäftig durch den Ort. Am Abend kehrte er mit einem zufriedenen Lächeln in das alte Haus zurück.
Am nächsten Morgen sandte Schröter alle Kinder nach Siebelfingen mit einem Briefe. Helena sollte das Schreiben übergeben, Eva die Schwester begleiten, und Hänschen zur Gesundheit einen tüchtigen Spaziergang machen. Die Briefsendung hatte indessen nur den Zweck, die Kinder vom Hause zu entfernen, ihnen den Schrecken bei des Vaters Verhaftung zu ersparen.
An demselben Morgen konnte man auf verschiedenen Punkten der Anhöhe schwarze Burschen vertheilt sehen. Sie standen wie Wachtposten, die Straßen entlang spähend, welche nach der Stadt zogen. Plötzlich fiel ein Schuß, die schwarzen Jungen rannten nach dem Dorfe.
Auch Gangolph hatte den Schuß gehört, schlüpfte in den mächtigen Flügelrock und trat freundlich zur Sohnsfrau.
»Sanne, ist Alles fertig? Sie kommen!«
Das Weib erbleichte, brach über einem Stuhle zusammen und weinte heftig.
»Greine nicht!« sprach der Greis. »Ich begreife, daß es wehe thun muß, den Mann fortgeführt zu sehen von Gensdarmen, wie einen Spitzbuben, – aber greine nicht, Sanne! Dein Mann, mein guter, rechtschaffener Fritz, steht herrlich da vor dem Angesichte Gottes; denn er ist ein Opfer der Ungerechtigkeit, ein Bekenner seines heiligen Glaubens. Fasse Dich, Sanne, sei stark! In vier Tagen ist er wieder da.«
Durch den Gang des oberen Stockes hallten Tritte. Der Landwirth kam herab in Festkleidern. Sein Weib trocknete rasch die Thränen, drückte den Schmerz nieder und war geschäftig in der Küche.
Zwei Gensdarmen stiegen zum alten Hause empor. Im Hofe trat ihnen Gangolph freundlich entgegen.
»Guten Morgen, ihr Herren! Sie werden gütig entschuldigen, – mein Sohn konnte gestern nicht kommen. Er wird jetzt gleich mit Ihnen gehen. Kommen Sie einstweilen mit herein. Es ist ein tüchtiger Marsch hieher. Sie werden Durst haben und vielleicht auch ein Bischen Hunger.«
Die Gensdarmen sahen volle Weinflaschen, nebst kalten Speisen, und ließen sich die Bewirthung gern gefallen. Und als Schröter grüßend eintrat, erhoben sich die Bewaffneten und sahen achtungsvoll auf den stattlichen Mann.
»Ich habe Sie in aller Frühe herausbemüht, – bitte deßhalb um Entschuldigung,« sprach der Gutsbesitzer. »Bei einem großen Anwesen kann der Hausherr nicht so leicht über seine Zeit verfügen.«
»Ihre Entschuldigung ist ganz überflüssig, Herr Schröter,« versetzte ein Wächter öffentlicher Ordnung. »Ob wir nach Waldhofen oder anders wohin gehen, das ist ganz gleich.«
Den Gästen schmeckte es vortrefflich. Sie priesen den blumenreichen Wein, und es entspann sich ein lebhaftes Gespräch. Da vernahm Schröter ein Brummen und Summen im Hofe. Er trat zum Fenster und stand verwundert. Alle schwarzen Männer des ganzen Dorfes waren in Festtagskleidern versammelt. Auf den meisten Gesichtern lagen Trauer und Theilnahme, auf manchen verhaltener Zorn.
»Was ist das?« frug Schröter seinen Vater.
Auch die Gensdarmen sahen bedenklich die große Versammlung. Der gewaltige Schmiedhannes trat in die Stube und reichte grüßend dem Hausherrn die Hand.
»Wir haben gehört, daß Sie gezwungen nach der Stadt gehen, – in's Gefängniß nämlich. Weil Sie aber wegen einer Sache sitzen müssen, die uns Alle angeht, so wollen wir Sie aus Achtung und zum Zeichen, daß wir mit Ihnen gleicher Gesinnung sind, ein gut Stück Weg begleiten. Sie sehen da alle Bürger aus Waldhofen, – eine Handvoll Rothe abgerechnet. Ich soll Sie im Namen Aller bitten, daß Sie unsere Begleitung annehmen möchten.«
»Ich danke recht herzlich für eure Theilnahme!« sprach der Landwirth. »Meinestheils habe ich gar nichts gegen euer Geleite. Aber ich bin Gefangener, weiß nicht, was die Herren da über den Antrag denken.«
Die Bewaffneten saßen achselzuckend.
»Wenn's nur Ihnen recht ist,« sprach der Schmied, »die Herren mögen denken, was sie wollen. Die Straße nach der Stadt ist für Alle gemacht, Niemand kann uns wehren, darauf zu gehen. Wollen uns die Herren auch gleich mitnehmen und einstecken, weil wir gleicher Gesinnung sind mit Ihnen, so haben wir nichts dagegen.«
Die Gensdarmen ertrugen das Unvermeidliche.
»Polizeilich steht nichts entgegen, die Leute können mitgehen,« sagten sie.
»Gut, – nehmen wir also den Weg unter die Füße,« sprach der Landwirth.
Im Flur blieb er stehen, seine Blicke suchten etwas.
»Susanna!« rief er.
Die Gerufene trat heran, bleich und tief bewegt.
»Das Hauswesen sei Dir auf vier Tage ganz überlassen,« sprach er, einen gleichgültigen Ton in seine Stimme zwingend. »Der Großvater wird hilfreich zur Seite stehen. Sei ruhig in Deinem Gemüthe, Sannchen!« – und er streckte ihr zum Abschiede die Rechte entgegen.
Da brach ihre Haltung vollständig zusammen. Sie fiel an seine Brust und weinte heftig. Der starke Mann selbst stand erschüttert. Die Gensdarmen blickten ernst, Gangolph hielt den Dreispitz in zitternder Hand, der Schmiedhannes machte ein bärbeißiges Gesicht, die Rührung zu verbergen, die Masse im Hofe sah bewegt in den Flur. Schröter hatte seine Frau in das Zimmer geführt und einen Scheidekuß auf ihren Mund gedrückt. Jetzt trat er grüßend unter die Schwarzen und schritt an ihrer Spitze, wie es dem Häuptlinge gebührt, durch das Dorf in Mitte der beiden Gensdarmen. Allenthalben standen Frauen, Greise und Kinder in den Gassen oder unter offenen Fenstern, lebhafte Theilnahme in den Gesichtern. Selbst Frau Margareth, die Bürgermeisterin, hatte beide Fensterflügel geöffnet und grüßte Schröter mit nassen Augen. Ueberraschend für den Gefangenen war es, daß auch Heinrich, des Bürgermeisters Sohn, den Schwarzen sich anschloß.
»Das Stück Weg« wurde immer länger, es dehnte sich bis zur Stadt. Und nicht die Gensdarmen schienen einen Schuldigen zu führen, sondern die Gensdarmen schienen verhaftet und geführt von den Männern einer ganzen Gemeinde. In der Stadt erregte der Zug großes Aufsehen, alle Fenster wurden aufgerissen und alle Zungen bemächtigten sich des merkwürdigen Stoffes.
Vor dem Gefängnisse dankte Schröter bewegt in kurzen Worten für das Geleite, und übergab sich dem Gefängnißwärter. Gangolph hatte geheime Worte gesprochen mit dem Träger des Schlüsselbundes; jetzt begleitete er den Sohn in die Arreststube.
»Fritz,« sagte er, ein mächtiges Buch unter dem Mantel hervorziehend, »da hab' ich Dir die Legende mitgenommen. Darin kannst Du lesen und die Zeit vertreiben. Der Herr Gefängnißwärter hat nichts dagegen. Auf baldiges Wiedersehen, Fritz!«
Die Gensdarmen eilten nach dem Amte, das Vorgefallene zu rapportiren. Und der Amtmann schüttelte verdrießlich den Kopf über die gelungene Demonstration der Schwarzen.
Bedeutungsvoll wurde für Stephan, den Volksschullehrer, daß gerade, beim Rapport der Gensdarmen, der Amtmann die Weisung an den Ortsschulrath in Waldhofen formulirte; denn es schlich der Aerger in starken Ausdrücken in das Rescript.
Die Haft wurde dem Landwirthe weit beschwerlicher, als er dachte. An stete Bewegung und Thätigkeit gewöhnt, war er plötzlich zu vollständigem Nichtsthun gezwungen. Das ertrug er schwer. Auch das Lesen in der Legende wollte nicht gedeihen. Er dachte lebhaft nach Hause, an Weib und Kinder, an die ausgedehnte Wirthschaft. Bald drängte sich die Betrachtung über den Kampf um das Höchste in den Vordergrund. Unausgesetzt durch das Zimmer schreitend, erwog er die himmelschreiende Ungerechtigkeit gegen religiöse Ueberzeugung, und da er Niemand drängende Gedanken und wühlende Empfindungen mittheilen konnten, so sprach er laut mit sich selbst.
»Man sollte kaum an die Möglichkeit dessen glauben, was in einem deutschen Lande geschieht,« sagte er vorwurfsvoll. »Warum sitze ich hier gefangen, – gewaltsam herausgerissen aus meinem Berufe? Weil ich Vaterrecht über meine Kinder behaupte, – weil ich diese meine leiblichen Kinder katholisch erziehen und nicht aufklärerisch verderben lassen will. Dieses Vaterrecht bestreitet der Staat. Er reißt die Kinder von meinem Herzen und verfährt willkürlich. Er nimmt das Recht in Anspruch, meine Kinder zu bilden, zu erziehen, und zwar im Staatsgeiste. Darum zwingt er sie in seine Schulen, und den Vater wirft er in das Gefängniß. Das thut der liberale Staat im Zeitalter der Freiheit, der Bildung, der Humanität! O ihr Heuchler, ihr Tyrannen, ihr rücksichtslosen Gewalthaber! Eure Liberalität ist Zwingherrschaft, – eure Aufklärung ist sittliche Versunkenheit, – eure Bildung ist gefirnißte Gemeinheit, – eure Humanität ist Unmenschlichkeit! – Tell und seine Schweizer empörten sich, weil sie die Frohnten der Vögte nicht tragen wollten. Die Schweizer griffen zu Schwert und Morgenstern für bedrohte Freiheit. Das war lobenswerth, und die Dichtung verherrlicht mit Recht jene freiheitsstolzen Männer. Sind aber Gewaltherrschaft und Tyrannei in Baden nicht drückender, schmerzlicher und ruchloser, als jene der Vögte? Ohne Zweifel! Die Vögte tasteten ja die religiöse Ueberzeugung der Schweizer nicht an, das Höchste im Menschen achteten sie. Unsere badischen Vögte hingegen greifen mit tyrannischer Hand in des Menschen Heiligthum: – in die Familie, in die Christenpflicht. Den Glauben wollen sie planmäßig aus den Herzen hinaus schulen, – die Kleinen verderben, bevor diese unterscheiden können zwischen gut und böse. Und die Eltern, die natürlichen Hüter der Unschuld? Nun, – sie müssen die Unschuld der Ruchlosigkeit zur Bildung überlassen, sonst kostet es Geld und die Freiheit. Die ganze Welt rufe ich zum Zeugen: – ist das nicht himmelschreiende Tyrannei? Was ist da politische Beschränkung jener Vögte des Mittelalters? Ihre Zwingburgen forderten Handarbeiten, Abgaben, Frohnten, – und die Zwingburgen im Lande Baden? Ha, – wie mag eine gerechte Nachwelt über diese modernen Raubritter zu Gericht sitzen, die hervorbrachen aus ihren Vesten und herfielen über das wehrlose, geknechtete Volk! Und die Raubvögte der Schweiz gingen doch einher in Eisen und Stahl, mit Schwert und Kolben, mit Dolch und Lanze, sie schritten einher, wie es ehrlichen Räubern ziemt. Unsere Landvögte aber, – seht sie, betrachtet diese Heuchler! Sie brechen hervor aus ihrer Zwingburg in gar seltsamer Tracht: – die Fahne der Freiheit in der Hand, angethan mit dem funkelnden Helme der Aufklärung, prangend im Harnisch der Humanität, geschützt durch den Schild des Fortschrittes, einhertrabend unter Trompetenstößen der Bildung. Wo ist jemals eine häßlichere Niedertracht, eine bodenlosere Verlogenheit erlebt worden! Räuber und Tyrannen in solchem Costüm! O mein armes deutsches Volk, wie tief bist du gesunken, – wie arg verblendet, – der Schein belügt dich und die Lüge regiert dich!«
Dann versuchte er zu lesen. Die Blutzeugen des Christenthums traten vor ihn, und wieder sprang er auf.
»Die ersten Christen hauchten die Seele aus unter Marterwerkzeugen, – dem Gläubigen ist ähnlicher Ruhm nicht ganz versagt im Zeitalter der Humanität. In das Gefängniß geworfen wird bereits der Christ um seiner religiösen Ueberzeugung willen, – hievon bin ich ein lebendiger Beweis. Nun, – vom Kerker bis zum Schwert ist nimmer weit. Hat ja schon in öffentlicher Rede ein bayerischer Abgeordneter ausgerufen: »Man muß den Ultramontanen die Schädel einschlagen!« Und wenn Herr Crämer die öffentliche Aufforderung in einen Antrag verwandelte vor den Rittern seines Geistes in der bayerischen Zwingburg? Wenn er dies thäte? Wäre ein Schädelzertrümmerungsgesetz unmöglich? Gewiß nicht, – es läßt sich Alles machen, dem Fortschritt ist Alles möglich, die Aufklärung ist zu Allem fähig, und die Bildung weiß Alles elegant zu übertünchen. Beim Himmel! Die übertünchten Gräber zur Zeit Christi waren ein Kinderspiel gegen die übertünchten Gräber im Zeitalter der Crämer, der Völk, der Knies, der Jolly, der Garibaldi, der Mühlfeld, der Metz und des ganzen Leichenhofes der Freiheit und des Glückes. Und was diesen schädeleinschlagenden Crämer insbesondere angeht, so ist es schade um ihn, daß er nicht unter Nero gelebt, – der Mann empfiehlt sich selbst als mordfertigen Henkersknecht.«
Das Klirren der Schlüssel schnitt die Betrachtung entzwei. Die Thüre öffnete sich weit, und herein trat, zum höchsten Erstaunen des Gefangenen, Carl Blendung, der Hochmögende. Der Landwirth stand noch im Geiste auf der Höhe seiner Entrüstung, von der er Blitze herabgeschleudert auf Henkersknechte der Freiheit und Lügenkünstler. Dem Besuche entging nicht die edle Haltung des Hochragenden, das Strahlen der Züge, das Leuchten der Augen, und Herr Blendung verbeugte sich klein vor dem schwarzen Häuptling.
»Zufällig hier anwesend, erfuhr ich von der Strenge des Beamten gegen Sie und durfte nicht unterlassen, meinen lieben Herrn Nachbar zu besuchen.«
»Besten Dank für die Theilnahme!« sprach der Landwirth. »Nehmen Sie Platz, – wenn der Stuhl, auf dem Vagabunden, Diebe, Strolche und Schurken gesessen, Sie nicht anekelt.«
»Wäre von jener Klasse etwas am Stuhl hängen geblieben, Ihr Gebrauch hätte das entweihte Holz gereinigt,« schmeichelte Herr Blendung.
Der Gefangene lehnte stehend an der Wand, die Arme verschränkt, scharf herab sehend auf den Eleganten, der süß lächelnd vor ihm saß.
»Vielleicht ziemt es sich, Ihre Verzeihung zu erbitten,« fuhr der Millionär fort; »denn es stachelte die gewordene Mittheilung über Ihre Lage meine Erregung bis zur Entrüstung. Ich eilte zum Amtmann mit Vorstellungen, wagte sogar Vorwürfe und forderte Ihre Freilassung. Man könnte dieses Unterfangen »unberufenes Einmischen in fremde Angelegenheiten« nennen, – ich hoffe indessen, Sie möchten Ihren diensteifrigen Nachbar absolviren.«
»Sehr gütig, Herr Blendung! Und der Amtmann?«
»Erkannte die Voreiligkeit des Spruches und ist bereit, Sie ohne Verzug frei zu geben, unter der Bedingung Ihres Gehorsams gegen ein Landesgesetz.«
»Das ist ein Mißbrauch der Worte!« fuhr der Gefangene auf. »Was der Amtmann »Landesgesetz« nennt, das ist »Zwingherrschaft, Tyrannei!« Nein, – es beugt sich meine Ueberzeugung nicht vor Kerkermauern, – vor dem Tode nicht!«
»Ehrenvoll für Sie, Herr Nachbar! Uebrigens, – wohin soll das endlich führen? Sie werden sich meiner Anschauungen des verflossenen Sommers erinnern und dieselben bestätigt finden. Die Gerechtigkeit bleibt unbeugsame Wächterin der Gesetze. Welchen Erfolg hatte der Adressenstrom? Keinen! Hunderttausende setzten ihre Namen gegen das Schulgesetz. Der Adressenstrom ist verlaufen, – das Schulgesetz bleibt. Jetzt überfluthen die wandernden Casino ganz Baden, scharfe Worte fallen gegen dasselbe Schulgesetz, die Regierung sieht ruhig zu, die Casinowanderer müssen endlich ermüden, – das Schulgesetz besteht fort.«
Meinen Sie?« rief der Gutsbesitzer. »Wie aber, wenn die Fluth wächst und steigt, immer höher, bis zum Throne des Landesfürsten Alles überschwemmend? Käme das Schulgesetz nicht in Gefahr, zu ertrinken? Und angenommen, das Schulgesetz flüchtete sich zwischen den goldenen Reif der Krone, unantastbar jedem Unterthan, – wo läge die Schmach, wo der offenbare Frevel? Sehen Sie, Herr Blendung, dann hätten Adressenstrom und Casinofluth klar bewiesen, daß in Baden der Schmerzensschrei von Hunderttausenden hilflos verhallt, daß Hunderttausende geknechtet werden in den höchsten Gütern, in Glaube und Elternrechten. Meinen Sie, dieses Ergebniß der Bewegung sei nichts werth? Vielleicht hat es den Zweck, Badens Untergang, und anderer Staaten, die ihm gleichen, vor der Weltgeschichte erklärend zu rechtfertigen.«
Der Hochmögende zuckte leicht zusammen.
»Ich wage nicht, Ihnen zu widersprechen,« sagte er unbefangen. »Allein die Wahrnehmung verletzt, wie das gute katholische Volk in zwecklosen Fanatismus hineingetrieben wird von jener Seite, die zur Festigung des Friedens und der Eintracht berufen ist.«
»Sie meinen den Erzbischof?«
»Ja, – ich meine diesen alten Würdenträger in Freiburg! Sein Appell an die Massen, seine Hirtenbriefe haben diese wilden Wogen heraufbeschworen. Das ist unverantwortlich!«
»Und ich behaupte: – Das ist ächt bischöflich, wahrhaft apostolisch!« rief Schröter entgegen. »Ueberlegen Sie! Biblisch nachweisbar empfangen die Bischöfe das Hirten- und Lehramt von Gott, – nicht vom Staate. Christus hat zu den ersten Bischöfen gesagt: »Gehet hin, lehret alle Völker, – werdet meine Schafe!« Seit achtzehnhundert Jahren vollziehen die Bischöfe diese allerhöchste Vollmacht, – wohlgemerkt: nicht vom Landesfürsten, sondern von Gott selber ausgestellt! Nun erscheint das badische Schulgesetz, zerreißt die göttliche Vollmacht und verbietet den Bischöfen unbeschränkte Leitung und Belehrung der Jugend. Ich frage Sie: verletzt hier nicht das Schulgesetz ein göttliches Recht? Und wenn der Herr gesagt hat: »Lasset die Kleinen zu mir kommen,« – legt sich das Schulgesetz nicht vermessen zwischen die Kleinen und Gottes Sendboten?«
»Vom biblischen Standpunkte dürfen Sie Recht behalten,« sagte Blendung vorsichtig. »Allein der Standpunkt des modernen Staates ist ein ganz anderer.«
»Darin liegt es eben,« rief der Gefangene. »Der moderne Staat ist heidnisch, der Standpunkt des Erzbischofes christlich, – freilich unvereinbare Gegensätze!«
»Die bestehen könnten, ohne die Massen in den Kampf zu rufen,« sagte Blendung.
»Nein, – nein, – tausendmal – nein!« widersprach lebhaft der Landwirth. »Das Volk muß wissen, woran es ist, das Volk muß aufgeklärt werden. Das hat der Erzbischof in seinen Hirtenbriefen gethan, – nur seiner Pflicht genügt, weiter nichts. Oder sollte er schweigen der Erzbischof? Sollte er den heidnischen Geist des modernen Staates mit fruchtlosen Bitt- und Denkschriften bekämpfen? Und dann, abgewiesen von den Regulatoren der Staatsmaschine, dürfte er glauben, mit Denkschriften bischöfliche Pflichten erfüllt zu haben? Und das Volk sollte an heiliger Stätte gar nichts erfahren von der folgenschweren Gewaltthat, begangen an seiner Kirche, an seinem Glauben, an seinen Kindern, – gar nichts? Ei – ei! Was wäre denn so ein Bischof, der seinen Mund nur öffnet in Sphären des Bureau, aber nicht vor dem Volke? Was wäre er? Weiter nichts, als ein Rad, das sich fügt in die Staatsmaschine, – ein Knecht, der seine Sendung und seinen höchsten Herrn, der ihn gesandt, verläugnet und das Gewissen mit Adressen und Denkschriften bepflastert. So einem Bischof wäre apostolisches Bewußtsein gänzlich hingeschwunden, er wäre geworden zum allerunterthänigsten Diener eines entarteten Staatskirchenthums. Wer sich knechten läßt, der ist ein Knecht Dessen, der ihn knechtet. Und wüßte das Volk die Bischöfe feige, staatskirchlich, ohne apostolischen Muth, – könnte es diese Staatsbeamten in Kreuz und Stola achten? Verlöre nicht das heilige Bischofsamt Würde und Einfluß im Urtheile der Massen? Ja, – ja, – schütteln Sie nur das Haupt! Das ist ja doch klar; denn so ein Bischof vollzöge nicht mehr göttliche Aufträge, indem er feige zurückwiche vor roher Gewalt, – er vollzöge eben den Willen heidnischer Gewalthaber, mithin wäre er nicht katholischer Bischof, sondern Staatsbischof. Und die irrende Heerde des Volkes? Nun, sie hätte keinen Hirten, der kämpft für sie, der Banden erduldet für die Wahrheit, in den Tod geht für seinen hohen Beruf. Gott sei Dank, – so ein Hofprälat ist unser Hermann nicht! Er fürchtet landesherrlichen Zorn so wenig, wie Petrus das Dräuen des hohen Rathes. Er fordert die Gläubigen auf zu muthigem Widerstande, er opfert dem Götzen des Staatsabsolutismus kein Pünktlein unveräußerlicher Kirchenrechte, und warnt die Heerde vor gleichen Götzenopfern.«
»Das sind mittelalterliche Anschauungen, mein lieber Herr Nachbar, unverträglich mit den Zuständen eines geordneten Staatswesens. Hätte ein Bischof, pochend auf göttliche Sendung, das Recht, jeden Augenblick die Massen gegen die Obrigkeit zu hetzen, wohin kämen wir?«
»Nur keine Verdrehung, Herr Blendung! Gehorsam der Obrigkeit predigen gerade die Bischöfe. Wo aber Gewaltthat und Knechtung religiöser Ueberzeugung und christlicher Pflichten durch die Obrigkeit beginnen, da hört der Gehorsam auf. Ich kenne das Geschrei vom »Staat im Staate«, von »Pfaffenherrschaft«, – Lüge und Verläumdung! Betrachten Sie die amerikanische Republik. Dort gibt es kein badisches Schulgesetz, keine staatliche Bevormundung der Kirche, keinen Gewissenszwang. Frei ist religiöses Streben, unverkürzt der Hirtenstab. Die Kirche verbreitet Segen zum Heile jener Republik, geachtet von der Regierung, ein Staat im Staate, aber ein göttlicher Staat zur Veredelung des irdischen. Warum ist das unmöglich in Baden? Weil der moderne Staat dem Christenthum feind, der Kirche den Untergang geschworen. Und wüßte ein Bischof nur mit Schriften und Vorstellungen zu kämpfen, gerichtet an ebendenselben teuflischen Geist des neuen Heidenthums, bei Gott! der Mann wäre verloren vor dem Richterstuhle seiner Sendung. – Darum ist Ihr Tadel gegen meinen Erzbischof ungerecht. Dem greisen Hirten küsse ich die Hand.«
Der Gefangene schritt erregt durch das Zimmer.
»Offen bekannt,« sagte er, vor den Besuch hintretend, »sollte nach meinem Ermessen das Hirtenamt die Kreise der Nothwehr ausdehnen. Angenommen, ein Hirt sieht unausgesetzt die Heerde von Wölfen überfallen. Er weiß, in der nahen Höhle haust die Wolfsbrut, dorthin werden die Schafe geschleppt und erwürgt. Ich frage Sie: – was ist Hirtenpflicht? Genügt die bloße Abwehr? Fordert nicht treue Hut, in die Höhle einzubrechen, das Raubgesindel zu erschlagen? – Machen Sie gefälligst die Anwendung.«
»Ich verstehe Sie nicht, Herr Nachbar!«
»Wo ist das Schulgesetz erzeugt und geboren worden?«
»In beiden Kammern!«
»Gut, – da haben Sie gleich die Höhle, Wölfe aussendend im Schafspelze der Gesetzlichkeit! Von dort fällt jeden Augenblick die Wolfsbrut her über die christliche Heerde, – kläfft giftig in das Haus Gottes hinein, – schlägt die Zähne in das Leben der Kirche. – Wie ist jenes Wolfsnest zu vernichten? Sehr leicht! Die Bischöfe befehlen den Gemeindehirten, die Gläubigen aufzuklären über Wesen und Bedeutung der Kammern. Die Ortsgeistlichen könnten etwa folgendermaßen belehren: »Liebe Pfarrkinder! Die Zeit rückt heran, Abgeordnete in die Kammer zu schicken. Das ist eine Sache von höchster Wichtigkeit; denn in den Kammern werden Gesetze geschaffen, damit der religiöse Unglaube gesetzlich in Kirche und Schule hineinregiere. Deßhalb ist es eure Pflicht, nur Männer von religiösem Glauben und strenger Gewissenhaftigkeit zu wählen. Sendet ihr Ungläubige, Freimaurer, Religionsfeinde, dann werden Gesetze gleichen Geistes aus den Kammern hervorgehen, – das seht ihr klar am neuen Schulgesetz. Und wer ist mittelbar verantwortlich für so schlechte, gottlose Gesetze? Ihr selbst! Hättet ihr Christen in die Kammer geschickt, unmöglich wären unchristliche Gesetze entstanden. Was folgt hieraus weiter? Offenbar die Thatsache, daß die Ausübung des Wahlrechtes eine religiöse Pflicht ist. Ihr könnt euch des Wahlrechtes gar nicht entschlagen, ohne euer Gewissen schwer zu belasten; denn es würde die rührige Partei des Unglaubens ihre Geisteskinder durchsetzen, – in Folge eurer Trägheit. Darum wählet Alle! Suchet die Besten heraus zu Wahlmännern, und diese werden sicher keine Neuheiden in die Kammer schicken! – Herr Blendung, was glauben Sie, wäre die Folge, würde das Hirtenamt von ganz Deutschland in diesem Sinne Gebrauch machen von seiner Stellung?«
»Klar, – der Fortschritt unterläge großentheils, der Ultramontanismus siegte häufig,« antwortete aufrichtig der Hochmögende. »Wäre dies aber kein Mißbrauch des Kirchenamtes? Würde die Regierung derartige Wahlen bestätigen? Gewiß nicht!«
»Weßhalb denn? Thun Fortschritt, Unglaube, Humanität nicht dasselbe? Auch sie sprechen zum Volke über die Wahlen durch ihre Organe. Sie verläumden vor dem Volke die Ultramontanen wegen finsterer Plane und volksfeindlicher Gelüsten. Sie bezeichnen durch Wort und Schrift den Massen ächte Volksmänner, denen Glück und Wohlergehen des Volkes am Herzen liegt. Sie donnern fürchterlich gegen Priesterherrschaft und malen die Kinder dieses Ungethüms ganz entsetzlich. So modisch und wirksam ist diese Prügelei des Clerus, daß jeder Gebildete argwöhnisch die Schwarzröcke betrachtet. Und das Volk? Belehrt, ermahnt, in Schrecken gesetzt, verführt, wählt fortschrittlich, – die Regierung hat nichts entgegen. Soll nun das Lehr- und Hirtenamt ihres Organs, der Kanzel, sich nicht bedienen dürfen zur Aufklärung des Volkes? Hat nicht das Volk Berechtigung, gerade von der Kanzel die Wahrheit zu fordern?«
»Sie übersehen, Herr Nachbar, daß die Kanzel erbaut wurde für religiöse, nicht aber für politische Zwecke.«
Um Vergebung!« unterbrach eifrig der Gefangene. »Eben weil die Ausübung des Wahlrechtes eine religiöse Pflicht, darum soll es die Kanzel verkünden, – und eben weil es die Kanzel nicht verkündet, eben darum betrachtet die gedankenlose Menge die Ausübung des Wahlrechtes nicht als religiöse Pflicht. Und weil in den Kammern Gesetze entstehen, die nicht allein politisches Gebiet berühren, die sogar tief in das Religiöse eingreifen, – Gesetze, welche die Lehrfreiheit der Kirche unterdrücken, – Gesetze, welche den Glauben bedrohen, die Kirche anfeinden, das Heiligste des Volkes untergraben, – eben deßhalb dürfte das Hirtenamt zur Aufklärung der Massen verpflichtet sein. Hat der Staat kirchliche Fragen in die Kammern geschleppt, hat er den Clerus in bureaukratischen Zwang hineingetrieben oder mit goldenen Ketten gefesselt, ist der Staat im besten Zuge, aus der Stiftung Jesu Christi ein Staatskirchenthum zu machen, – wer darf es kirchlicher Lehrautorität verargen, von allen Kanzeln gebotene Nothwehr zu organisiren? Die Wolfshöhle gründlich zu zerstören? Läßt nicht der Staat Gesetze entstehen, welche christlichem Dogma und christlicher Moral widersprechen? Was die Kirche verdammt, erlaubt der Staat. Die Religion sieht ein Verbrechen, eine Todsünde im Wucher, in der religionslosen Kindererziehung, – der Staat erlaubt den Wucher, fördert irreligiöse Kindererziehung. Und so ist es in Vielem. Himmel und Hölle bekämpfen sich. Darum behaupte ich, die Lehrgewalt ist vor Gott und Rechtswegen gehalten, das Volk hierin aufzuklären! Betrachten Sie doch die große Masse! Das ganze Jahr hindurch liegt sie im Kampfe mit dem Leben, sie ringt mit dem Boden, mit der Arbeit. Lauf und Geist staatlicher Verhältnisse bleiben der Menge unklar oder verborgen. Aber das katholische Volk weiß Hirten an seiner Spitze, deren Auge wacht. Das Volk erwartet von seinen Hirten Mahnrufe beim Herannahen von Gefahren. Es erwartet Belehrung und Aufklärung über das Wichtigste für Zeit und Ewigkeit. Und wenn die Hirten schweigen, höchstens auf aussichtslosen Briefwechsel mit den Häuptern des kirchenfeindlichen Staates sich beschränken, wie soll das arme Volk Kenntniß erhalten über die Verhältnisse?«
»Durch die Presse, Herr Nachbar, durch die Presse!«
»Welche im Dienste der Wolfshöhle arbeitet? Bekanntlich gibt es kaum eine katholische Presse, – leider! Gäbe es aber eine, so ist das Organ in religiösen Dingen, gegenüber den Massen, nicht die Presse, sondern die Kanzel. Hat nicht der Fortschritt seine Wühler, seine Wahlagitatoren, seine Sendboten? Und die Kirche sollte sich ihrer Sendboten nicht bedienen dürfen? Ich spreche aus Erfahrung: – ohne die aufklärenden Worte unseres apostolischen Erzbischofs an das Volk, ohne die Belehrungen von der Kanzel, wäre die Schulfrage in Waldhofen niemals gelöst worden im Geiste des Rechts, der Gewissensfreiheit und des Glaubens. Mir selbst war die Sache ziemlich dunkel; ebenso allen Schwarzen. Diesen Nebel der Unklarheit zerstreute die Kanzel. Sie, die Kanzel, hat die Theilnahmslosigkeit in Eifer, die Lahmheit in Rührigkeit verwandelt. Deßhalb unterlagen die Rothen, – Stephan und sein Geist sind unmöglich geworden. Würde in ganz Deutschland geschehen für die gute Sache, was in Waldhofen geschah, – in ganz Deutschland siegte der Glaube über den Unglauben, wenigstens im Allgemeinen. Allmälig würden die Wolfshöhlen gesäubert von der unheimlichen Brut, die religionsfeindlichen Gesetze in den Kammern hörten auf. Schläft aber das Lehr- und Hirtenamt, wen mag die Zerstreuung der Schafe in Staunen setzen? Ja, – der Wolf kommt und zerstreut die Schafe, – wie Christus gesagt, sobald die Hirten nicht wachen und nicht kämpfen.«
»Diese Schärfe dürften Sie kaum rechtfertigen können, – sie grenzt an Volksaufwiegelung,« sprach mißvergnügt der Hochmögende.
»Die Schärfe ist ächt katholisch!« versetzte der Gutsbesitzer. »Ich habe gründlich nachgedacht über diesen Stoff und auch Tüchtiges gelesen. Jesus Christus selbst verfuhr in diesem Geiste. Er hat rücksichtslos das Schlechte bekämpft, der Wahrheit hat er Bahn gebrochen. Er hat dem Volke Sittenlosigkeit, Heuchelei und religiöse Versunkenheit der Herrschenden enthüllt. Vor dem Geiste hat er gewarnt, der von Oben in die Massen drang, – darum riefen seine Ankläger: »Er wiegelt das Volk auf!« Und wie Christus gethan, so thaten alle großen Päpste und Bischöfe. Sie kennen ja die Geschichte. Immer ist das katholische Lehr- und Hirtenamt offen in den Kampf getreten gegen die höllischen Mächte, niemals hat es die geringsten Zugeständnisse dem Wahne gemacht, niemals sich beschränkt auf zwecklosen Schriftenwechsel, von den Gewalthabern verächtlich in den Papierkorb geworfen. Betrachten Sie den gegenwärtigen Papst, diesen glorreichen Helden im Streite mit dem entchristlichten Staatswesen Europas! Auch er tritt hin vor Clerus und Volk mit kräftigen Worten der Mahnung und Aufforderung zum Kampfe. Und mächtiger, als seine Rundschreiben an den Erdkreis wirkt sein Beispiel, sein Kämpfen und Ringen, sein » non possumus«. Dennoch thut der Papst nichts Außerordentliches, er wartet nur mit Festigkeit seines heiligen Amtes. Uebersehen Sie unsern Erzbischof nicht und den erleuchteten Mann auf dem Stuhle zu Mainz. Sie rufen das Volk in den Streit für des Volkes Heil, – und nur mit dem Volke, nicht mit der gottlosen Bureaukratie, wird der Sieg errungen. Glauben Sie denn, um nur ein Beispiel anzuführen, Napoleon hätte nicht längst an die Revolution den Papst ausgeliefert, ohne den folgenschweren Widerspruch des katholischen Volkes in Frankreich?«
Der Freimaurer ließ die Frage unbeantwortet und erhob sich.
»Ihr Standpunkt ist nicht der meinige,« sprach er finster. »Die Erfüllung der Bedingung darf ich wohl nicht hoffen, welche Ihre augenblickliche Freiheit erwirkt.«
»Nein, Herr Blendung! Meine Freiheit sei nicht erkauft durch feigen Abfall. Kommen Sie bis Frühjahr nach Waldhofen, dann werden Sie meine Kinder die Schule besuchen sehen, – aber eine katholische, keine irreligiöse Schule.«
»Sie dürften sich täuschen!« sprach der Hochmögende, verbeugte sich kalt und schied.
Am vierten Tage wurde die städtische Neugierde lebhaft erregt. Ein langer Zug buchsbekränzter und beflaggter Wagen fuhr durch die Straßen. Jeden Wagen zogen zwei schöne Pferde, auf denen festlich gekleidete Burschen saßen, farbige Binden um die Schultern und seidene Bänder an den Mützen und Hüten. Die Wagen selbst trugen die schwarze Männerwelt aus Waldhofen. Auf dem Marktplatze hielten die Wagen in schöner Ordnung, und die Schaar der Schwarzen ging nach dem Gefängnisse. Dort harrten sie der Entlassung ihres Häuptlings, schweigend, in bestem Verhalten. Endlich trat der Befreite heraus, umarmte seinen Vater, drückte jedem Schwarzen die Hand, – sogar dem verbannten Heinrich, der bescheiden bei Seite gestanden. Der Zug ging zurück nach dem Markte. Die umwohnenden Wirthe sahen einladend nach den zahlreichen Gästen, einen gewinnbringenden Tag hoffend. Vergebens! Die Schwarzen bewiesen seltenen Takt. Das war für sie ein Tag religiöser Weihe, diesen durften Wirthshausgelage nicht beflecken. Sie bestiegen die Wagen und kehrten heim.
Der Amtmann erfuhr unverweilt die neueste Demonstration. Sie machte einen noch tieferen Eindruck, als die erste, und der Gewaltige gelobte sich, einen Schwarzen aus Waldhofen nicht wieder einzustecken um der Schule willen.
Am folgenden Tage saßen die Rothen kleinlaut um den runden Tisch im Ochsen. Die Nase des Gemeindeschreibers schimmerte bedeutend in den Farben des Kupfers, – die Augen des Schulmeisters fuhren unstät hinter den Brillengläsern umher, – der Einnehmer saß vorsichtig lauschend, Mohr finster, – Levi der Jude lächelte zuweilen verschmitzt, – Knappers Sitz war noch leer. Das Gespräch drehte sich um den Zug der Schwarzen nach der Stadt.
»Diese plumpen Demonstrationen der Ultramontanen werden eine starke Regierung nicht einschüchtern,« behauptete Stephan. »Was ist das für ein Lärm durch ganz Baden mit dem wandernden Casino? In allen bedeutenden Orten laufen diese Söldlinge einer hinstürzenden Geistesknechtschaft zusammen in hellen Haufen. Sie fallen wuthschnaubend her über das Schulgesetz, sogar, – schrecklich ist es zu sagen, – sogar die geheiligte Person des Landesfürsten begeifern sie. Die Langmuth der Regierung ist unbegreiflich! Man sollte mit dem schwarzen Sklaven kurz Federlesens machen, das heißt, man sollte die Römlinge durch Dragonersäbel auseinander treiben lassen.«
»Dragoner?« wiederholte Mohr geringschätzend. »Eine Handvoll Gensdarmen genügt. Die Pfaffenknechte haben keinen Muth, zeigen die Zähne, beißen aber nicht. Allein die Regierung ist blind, sie thut nichts. Geht das so fort, dann werdet ihr die Folgen erleben. Die verfluchte Kuttenherrschaft kommt wieder oben auf, und in ganz Baden singt das verführte Volk: »Meinen Jesus lass' ich nicht!«
»Das ist falsch!« bestritt Stephan. »Die Regierung thut nichts, weil sie ihres Sieges gewiß ist. Eine starke Regierung kann Manches übersehen.«
Der Gemeindeschreiber lächelte spöttisch, seine falschen Augen blickten schadenfroh auf den Schulmeister.
»Sie könnten sich auch täuschen mit der starken Regierung, Herr Stephan! Der Wind bläst schon aus einem anderen Loch.«
»Wie verstehen Sie das?« frug der Volksschullehrer.
»Sie werden es erfahren!« that geheimnißvoll der Kupfernasige.
Noch saß die Tafelrunde nachdenkend über die vielbedeutenden Worte, als die Thüre weit aufsprang und Knapper hereintrat, dunkle Zornesröthe im Gesicht, im Munde die vielbedeutende Meerschaumpfeife. Alle sahen die Fünfzigguldenpfeife und wußten, ein Ereigniß stehe bevor. Ohne Gruß, den Hut auf dem Kopfe, stand Knapper am Tische und sah aus glotzenden Augen auf Stephan.
»Was machen Sie für dummes Zeug?« fuhr er den Verblüfften an. »Geht das so fort mit Ihnen, dann können Sie sich zum Dorf hinausscheeren, – jawohl! Mit Ihnen hat man nix, als Last und Widerwärtiges.«
»Herr Bürgermeister, – Sie sprechen beleidigend!«
»Beleidigend? Oho! Nur langsam, ganz andere Sachen werden Sie hören. Beleidigend? Bin ich nit Borjemeeschter und Schulpräsident? Bin ich nit Ihr Vorgesetzter? Kann ich Ihnen nit frischweg die Meinung sagen, – ich? Jawohl!«
»Aber nicht im Wirthshause, – das muß ich mir verbitten,« rief Stephan empört entgegen.
»Verbitten, – was? Wer steht vor Ihnen? Ihr Vorgesetzter, Ihr Präsident, Ihr Borjemeeschter. Also Achtung, nur den Kopf nicht so hoch gehalten, Schulmeisterle! Schlecht steht's mit Ihnen, – ganz schlecht. Es isch, wie man die Hand umwendet. Fort gejagt werden Sie, und das geschieht Ihnen ganz recht.«
»Ich bin mir einer Amtsvernachlässigung nicht bewußt,« versetzte Stephan, nach Fassung ringend.
»Aber ich bin mir bewußt!« rief der zornige Bürgermeister. »Meinen Sie, ich wüßt' nit, was vorgeht in der Gemeind'? Alles weiß ich, wenn ich auch nit gleich was sag'. Von dem Lümmel, dem Gänserich, dem Flegel und dem Esel hab' ich's auch gewußt, gleich am andern Tag' schon, als Sie Ihr freches Maul aufthaten gegen Ihren Vorgesetzten, – jawohl! Der Mohr da soll reden, ob's nit so isch!«
»Es ist wirklich so,« bestätigte Mohr.
»Gänserich haben Sie mich geheißen und Esel, – was sind denn Sie?« rief Knapper wild. »Das Amt wird's Ihnen schon sagen. Ein Rescript ist eingelaufen gegen Sie, – vor den Schulrath müssen Sie, – und dort wird das Amt einem hochmüthigen Schulmeister schon tüchtig den Text lesen. Immer wollen jetzt diese hochgetragenen Schulmeister Zulagen, – Gehaltserhöhung, weil sie nit auskommen, – aber in den Wirthshäusern zu hocken, dazu haben sie Geld, – diese Schulmeister. Gefällt's Ihnen nit, dann können Sie gehen, – und mir wär's gleich recht, wenn Sie gingen. Es gibt Schulmeister genug, mit denen man keine solche Scheerereien hat, wie mit Ihnen, – jawohl!«
Dem Volksschullehrer wollten die Sinne vergehen. Er saß starr und sah in Knappers wüthendes Gesicht.
»Nu,« – flüsterte Levi dem Einnehmer zu, »lieber mein Brod verdienen mit Lumpensammeln, als mich so behandeln lassen.«
»Und ich selbst komme in die Brühe wegen Ihnen,« fuhr der Bürgermeister fort. »Das Amt meint, ich thät' meine Schuldigkeit nit, sonst wären Sie nit so frech und brutal. Wer hat Sie geheißen, den Kindern zu verbieten, in die Kirche zu gehen und zu beichten? Wer? Das war wieder einer von Ihren tollen Einfällen, und das müssen Sie ausfressen, – jawohl!«
Der Volksschullehrer brachte kein Wort hervor. Diese öffentliche Mißhandlung hatte ihm die Sprache geraubt. Er stand auf und ging.
Kurze Zeit nach Schröters Freilassung fuhren sämmtliche Gemeinderäthe, den rothen Mohr ausgenommen, nach der Stadt. Sie alle trugen stolze Mäntel und erwärmende Pelzkappen, die herausfordernd über unternehmenden Gesichtern saßen. Kühn traten sie vor den Amtmann, voran der breitschulterige Schmiedhannes. Ueberrascht sah der Beamte auf die schwarzen Männer, ließ deren Grüße ohne Dank, und legte die Stirne in finstere Falten.
»Was wollt Ihr?« fuhr er die Schwarzen an.
»Das will ich Ihnen gleich sagen, Herr Amtmann!« antwortete unerschrocken der Herkulische. »Wir sind die Gemeinderäth' von Waldhofen und kommen zu Ihnen mit Klagen über den Schulmeister Stephan.«
»Diese Angelegenheit ist gegenstandslos,« unterbrach unwillig der Bureaukrat. »Vor Wochen schon lief eine Verfügung an den dortigen Ortsschulrath. – Ihr Gemeinderäthe überschreitet weitaus die Grenzen eurer Competenz. Ihr sollt euch in Sachen nicht mischen, die euch nichts angehen.«
»Die uns nichts angehen, Herr Amtmann?« wiederholte verwundert der Schmiedhannes. »Ich bitt' um's Wort, – lassen Sie mich reden!« fuhr der Sprecher mit gewaltiger Stimme fort, als der Beamte neuerdings unterbrechend einschreiten wollte. »Ich sag' Ihnen, Herr Amtmann, die Sach' geht uns freilich an; denn der nichtsnutzige Schulmeister lehrt nicht fremde, sondern unsere Kinder. Wir wollen aber keinen nichtsnutzigen Schulmeister. Der Mensch ist unverschämt frech gegen unsern Seelsorger, – in Wirthshäusern schimpft er über Religion und Geistlichkeit, – in der Schule spöttelt er über Glaubensartikel, – er glaubt nichts, er ist ein Freimaurer, und so einen Menschen können wir nicht brauchen. Die ganze Gemeind' verlangt, daß er abgesetzt wird. Wir sind da, um es Ihnen vorzutragen,« – und beistimmend nickten alle Köpfe über den Mänteln.
Der Bureaukrat kaute an der Feder, im Herzen die Verfänglichkeit des Gegenstandes erwägend.
»In Schulangelegenheiten ist nicht der Gemeinderath, sondern der Ortsschulrath zur Klage berechtigt, deßhalb muß ich eure Klage abweisen,« entschied er.
»Das versteh' ich nicht, Herr Amtmann!« sprach lächelnd der Schmied, griff unter den Mantel und zog eine Zeitung hervor. »Sie sagen, der Gemeinderath habe nichts in Schulsachen hineinzureden, – gut! Hier aber steht gedruckt: »Durch das neue Schulgesetz wird die Selbstverwaltung der Gemeinde, Beaufsichtigung und Leitung der Schulen durch die Eltern und die Gemeinde gewahrt.« So steht's hier gedruckt, Herr Amtmann! Und der das drucken ließ, ist der Herr Minister Lamey. Wie können Sie nun sagen: Die Gemeinderäth' haben nichts in die Schule hineinzureden? Oder glauben Sie uns nicht? Sagen Sie's nur, – dann kommt morgen die ganze Gemeind', und die ganze Gemeind' wird rufen: Wir mögen den nichtsnutzigen Schulmeister nicht!«
Der Beamte saß schweigend, überrascht, betroffen.
»Der Weg nach Carlsruh' ist uns gar nicht zu weit,« fing der Schmied wieder an. »Helfen Sie uns nicht, dann gehen wir zum Minister Lamey, der wird uns schon helfen müssen; denn er kann sich doch selber nicht als Lügner hinstellen vor ganz Baden.«
»Das Reisegeld nach Carlsruhe könnt Ihr sparen,« versetzte herabgestimmt der Beamte. »Ich werde den Ortsschulrath zur Berichterstattung auffordern. Findet eure Beschwerde Bestätigung, dann soll Stephan entfernt werden.«
Mit Verlaub, Herr Amtmann! Mit dem Ortsschulrath sind Sie gerad' halbwegs; denn der Schulrath ist ebenso viel werth, wie der Stephan, und kein Wolf beißt einen andern. Ich sag' Ihnen nochmals: glauben Sie uns nicht, dann kommt die ganze Gemeind'.«
»Nicht nöthig! Geht heim, – ich werde selbst nach Waldhofen kommen.«
Und der Amtmann kam; mit ihm der Kreisschulrath Mayer Hirsch. Der Jude machte bedeutende Anstrengungen, einen aufgeklärten Schulmeister zu retten. Vergebens, – die Bauern bestanden hartnäckig auf Entfernung »des Freimaurers«. Vor dem Gemeindehause standen dichte Haufen, lebhaft erörternd, bis in den Saal drangen kräftige Urtheilssprüche über den »Nichtsnutzigen«. Der Amtmann sah die Gährung, die allgemeine Entrüstung, und Stephan wurde entlassen wegen »Mißbrauch seiner Stellung und wegen Friedensstörung in der Gemeinde.«
»Da siehst Du, wie weit es der Stephan gebracht hat mit seiner Freimaurerei,« predigte Frau Margareth dem rothen Gatten. »Nimm Dir ein Beispiel, Mann! Ich fürcht', Dir geht's gerade so, wie dem Stephan.«
»Was – mir? Ich bin Borjemeeschter!«
»Freilich, so lange, bis Du abgesetzt wirst, wie der Stephan.«
»Ich abgesetzt? Ich gelt' was beim Amt.«
»So lange, bis der Gemeinderath vom Amt Deine Absetzung fordert, weil auch Du in den Wirthshäusern raisonnirst über Geistlichkeit und Religion, wie der Stephan. Sei klug, Mann, – danke ab, ehe Du abgedankt wirst.«