Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Lamartine hat für seine »Geschichte der Girondisten« acht Bände benötigt, es ist also wohl klar, daß diese an Episoden und Einzelheiten überreiche Tragödie in dem Raum eines schlanken Bandes nur ganz allgemein skizziert werden kann. Ja eigentlich braucht man sie kaum zu skizzieren, denn sie entwickelte sich (wie man heute sagt) »zwangsläufig«, indem die Revolution immer mehr nach links schritt, so daß die Gironde immer mehr nach rechts zu neigen schien. Ob dies nur Schein war oder Wirklichkeit, ist für den Verlauf des Prozesses gleichgültig.
Mit ihrem Eintreten für den Volksentscheid über das Urteil, das dem König gesprochen worden war, hatten sich die Girondisten so ziemlich bei allen Parteien bloßgestellt, wie es immer geschieht, wenn politisch Halbheiten gewollt werden. Trotz dieser Bloßstellung war ihr Anhang aber doch noch groß genug gewesen, um ein Anklagedekret gegen Marat durchzusetzen, der den Pöbel zur Plünderung vieler Läden aufgereizt hatte. Er stand auch wirklich am 24. April 1793 vor dem eben eingesetzten Revolutionstribunal, wurde aber nach sechsstündigem Verhör freigesprochen und am Nachmittag desselben Tages von seinen Anhängern im Triumph zum Konventssaal geleitet, mit einem Eichenkranz geschmückt, von Weibern, Kindern und Deputierten umarmt, mit »Es lebe die Republik! Es lebe Marat!« begrüßt.
In diesem Auftritt zeigte sich schon deutlich die Stimmung, die gegen die Gironde Platz gegriffen hatte. Denn innerhalb dieser drei Monate, die zwischen der Anklage Marats und seiner Freisprechung verstrichen waren, war der girondistische Schützling Dumouriez bei Neerwinden vom Herzog von Koburg geschlagen worden (18. März 1793) und des Verrats und royalistischer Umtriebe dringend verdächtig. Die Gefahr einer dritten Revolution, die Marat forderte (»Schlagt zweimalhunderttausend Köpfe ab, dann werdet ihr Ruhe haben, sonst nicht!«), rückte nahe, und die Gironde, die einen Ausschuß von zwölf Mitgliedern durchgesetzt hatte, dessen Aufgabe sein sollte, alle Verschwörungen in Paris zu überwachen, forderte jetzt vom Konvent die Unterdrückung des kommunistischen Stadtrats. Zu dieser letzten Forderung hatte sie nicht nur ein allgemeines sondern auch ein persönliches Recht: eine Deputation des Stadtrats war nämlich im Konvent erschienen und hatte ihn aufgefordert, sich von zweiundzwanzig seiner Mitglieder zu »reinigen«. Unnötig zu betonen, daß hinter dieser Deputation, wie bei allen kommenden Ereignissen, der Jakobinerklub als Drahtzieher stand.
Die unversöhnlich gewordenen Gegner begannen ihre Kräfte zu messen. Der girondistische Zwölferausschuß läßt das übelbeleumundete Subjekt Hébert verhaften. Doch alsbald erscheint vor den Schranken des Konvents Deputation auf Deputation, die alle die Freilassung Heberts verlangen sowie die Überweisung des Zwölferausschusses an das Revolutionstribunal. Sie fordern, drohen mit Selbsthilfe … Eingeschüchtert läßt der Präsident abstimmen – die ebenfalls eingeschüchterte Versammlung stimmt mit Majorität für Heberts Enthaftung. Er erscheint im Stadtrat, wird noch enthusiastischer gefeiert als Marat. Auch ihm, dem ehemaligen Dieb, reicht man den ehrenden Eichenkranz, den er aber mit schöner Geste (wann hätte ein Franzose keine schöne Geste!) der Büste Rousseaus aufsetzt und sagt: »Die Lebenden bedürfen nur der Aufmunterung. Mit Kronen soll man sie erst nach ihrem Tode schmücken!« O Hébert, schmutziges Subjekt mit der schönen Geste, du hättest die Eichenlaubkrone doch lieber behalten sollen. Denn nach deinem Tode wirst du gar keinen Kopf mehr haben, um sie aufzusetzen! Nein, du wirst keinen mehr haben, und die meisten, die dir heute zujubeln oder auch dich verdammen, werden ebenfalls keinen mehr haben! Denn soeben (März 1793) ist der »Wohlfahrtsausschuß« ins Leben getreten, der, Hand in Hand mit dem »Sicherheitsausschuß«, »Verdächtige« ausspürt. Mit Fug und Recht durfte der Girondist Lanjuinais dem Konvent zurufen: »Ganz Frankreich trauert über die Verhaftung von mehr als 50 000 Aristokraten, die eure Kommissarien befahlen. Seit einem Jahr hat man in den Departements mehr Bürger ins Gefängnis geworfen als unter dem alten System während eines Jahrhunderts. Dort schmachten diese Tausende guter, unglücklicher Bürger, ohne ihr Recht zu finden, und hier, in Paris, setzt man Menschen in Freiheit, die täglich in Soublättchen Mord und Anarchie predigen. Diesen Zwölferausschuß, zu dessen Aufhebung man euch drängen will, habt ihr doch geschaffen, um die öffentliche Wohlfahrt zu sichern und der Ermordung von 15 000 Parisern vorzubeugen. Wurde doch noch am letzten Sonntag in der Jakobinerhöhle der Antrag gestellt, den ganzen Konvent und alle Reichen in Paris zu ermorden.«
Diese Rede vernahm der Konvent am 28. Mai. Drei Tage später erschien vor seinen Schranken eine Deputation des »souveränen Volkes« und begehrte stürmisch die Verhaftung aller »verdächtigen«, d. h. girondistischen Abgeordneten. »Man rette das Volk, oder es greift zur Selbsthilfe!« sagte der Sprecher dieses Menschengeschlechts.
»Selbsthilfe« klingt ganz zahm, doch der Kundige weiß, was es in Wahrheit bedeutet, und Barère, der mit schlangenhafter Schmiegsamkeit sämtliche Revolutionen und Reaktionen überdauern sollte, versuchte es auch jetzt mit der Schmiegsamkeit und schlug vor, daß diejenigen Mitglieder, »welche das Vertrauen des Volkes verloren haben«, ihr Mandat bis auf weiteres freiwillig niederlegen sollten. Weil er aber dem »souveränen Volk« doch nicht recht traute, sollten sie »den Schutz des Gesetzes« genießen, das ihnen auch nach der Mandatsniederlegung die Unverletzlichkeit verbürgte. Der Präsident Isnard, Girondist, erklärte alsbald, er sei bereit, sich selbst zu suspendieren, sofern der Wohlfahrtsausschuß es begehre, und er verlange keinen anderen Schutz als »die Rechtschaffenheit des Volkes«. Etliche der Girondisten pflichteten ihm bei, die Mehrzahl aber war nicht so optimistisch, und Lanjuinais rief: »Von mir erwartet nichts dergleichen! Ich höre von Opfern sprechen, die man bringen soll, aber Opfer bringt nur, wer frei ist. Sind wir noch frei? Nein! Zu dieser Stunde ist der Konvent belagert. Ich habe soeben mit eignen Augen eine Karte gesehen, auf der stand: »Den Deputierten ist es verboten, den Saal zu verlassen!«
Heftiger Tumult an der Saaltüre … Eine Anzahl Deputierter springt auf … will nachsehen, was draußen vorgeht … kehrt in Bestürzung zurück … Lanjuinais hat nur zu wahr gesprochen. Der Konvent ist von einer bewaffneten Menge umzingelt, die sogar Geschütze mit sich führt.
Flinten und Kanonen wohnt eine Überredungskraft inne, mit der sich Hunderte von unbewaffneten Rednern nicht messen können. Nach etlichem Hin und Her und vielen schönen Gesten, die verbergen sollen, daß der Konvent gar keiner freien Entschließung mehr fähig ist, werden die girondistischen Abgeordneten verhaftet. Einigen von ihnen, darunter Guadet, Pétion, Buzot und Roland, gelang es zu entfliehen, während Frau Roland, zu stolz, um sich der Festnahme durch Flucht zu entziehen, in die Conciergerie abgeführt wurde.
Nun, da die Jakobiner das Staatsschiff lenken werden, geht man auch unverzüglich an eine neue, radikale Verfassung, für die Robespierre die »Menschenrechte« gründlich revidiert. Wie schon erwähnt, verzichtet er auf die Besteuerung des Existenzminimums, aber an der Kürze, mit der er die ganze Steuerverordnung behandelt, kann man merken, daß ihm jetzt, da die Gironde zerschmettert ist, die Weltrevolution mehr am Herzen liegt als Steuerfragen. Ideologe, wie er ist, glaubt er der internationalen Glückseligkeit jetzt näher zu sein als ehedem. Darum besagt der von ihm vorgeschlagene Paragraph 29: »Wenn die Regierung die Rechte des Volkes verletzt, ist der Aufstand für das Volk und für jeden Teil des Volks das heiligste der Rechte und die unumgänglichste der Pflichten.« Und von der wahren, nämlich von seiner »Brüderlichkeit« scheinen die Männer, die den Verfassungsentwurf bearbeiten, keine Vorstellung zu haben:
»Die Kommission scheint die ewigen Grundsätze von der Vereinigung der Völker gegen die Tyrannen nicht gekannt zu haben. Ihr Entwurf scheint für eine Herde in irgendeinem Winkel der Erde zusammengepferchter Wesen gemacht, nicht aber für die unermeßliche Familie, der die Natur die ganze Erde zum Besitz und Wohnsitz gegeben hat. Ich schlage vor, die vorhandene Lücke durch die folgenden Artikel auszufüllen, die allein euch die Achtung der Völker erwerben können, die euch aber auch unabänderlich mit den Monarchen verfeinden werden. Ich gestehe aber, daß diese Unannehmlichkeit mir nicht den geringsten Schrecken einflößt, und so wird es auch bei allen anderen sein, die sich nicht mit ihnen aussöhnen wollen.« Diese Artikel lauten:
»Derjenige, welcher auch nur eine einzige Nation bekriegt, ist der Feind aller.«
»Diejenigen, welche ein Volk bekriegen, um den Fortschritt der Freiheit aufzuhalten und die Menschenrechte zu vernichten, müssen von allen Völkern nicht als gewöhnliche Feinde sondern als Rebellen, Räuber und Mörder verfolgt werden.«
»Die Monarchen, die Aristokraten, die Tyrannen, wer immer sie auch sein mögen, sind Sklaven, die sich gegen den Beherrscher der Erde – das Menschengeschlecht – und gegen die Gesetzgeberin des Alls – die Natur – empört haben.«
Es folgen noch viele Paragraphen ähnlichen Inhalts, getragen von Theorien, Internationalismus und Weltfremdheit. Praktischen Wert hat keiner von ihnen erlangt, denn diese ganze Verfassung wurde von ihren Vätern und Taufpaten sofort chloroformiert, das heißt, sie sollte erst nach Kriegsende in Kraft treten, und diesen Termin hat keine der revolutionären Regierungen mehr erlebt. Immerhin beweist der Aufschub, daß im Konvent nicht ausschließlich Ideologen saßen sondern auch Männer, denen die Verfeindung mit sämtlichen Herrschern doch mehr bedeutet hätte als nur »eine Unannehmlichkeit« und die fanden, daß Frankreich mit seinem Kampf gegen sechs Feinde gerade genug zu tun und es also nicht nötig hatte, sich auch noch mit der Aufhetzung anderer Völker zu befassen. Und schon kam ein neues Ereignis, dem vielleicht neues Chaos folgen konnte. Die Provinz sandte den Blitzstrahl dieses Ereignisses, aber nicht etwa in Gestalt einer aufrührerischen Bande oder bewaffneter Regimenter. Nein, dies Ereignis trug die reinen Züge eines feinen jungen Mädchens, das aus Caen nach Paris gekommen war. Was suchte dies feine junge Fräulein in Paris? War sie gekommen, um Gast bei Verwandten zu sein oder einen Bräutigam, der vielleicht im Konvent saß, wiederzusehen? Oder lockte und verlockte sie Paris, wie es so viele junge Provinzlerinnen von jeher verlockt hat? Die nächsten Tage werden schreckliche Antwort auf all diese Fragen geben …
*
Das feine Fräulein war am 9. Juli 1793 aus Caen eingetroffen und in dem bescheidenen »Gasthof zur Vorsehung« abgestiegen. Es gab also in Paris immer noch Leute, die an dem Worte »Vorsehung« keinen Anstoß nahmen, obgleich Guadet Robespierre einst hart angelassen hatte, weil dieser abergläubisch genug sei, an einen Begriff zu glauben, mit dem der Atheismus doch gründlich aufgeräumt habe.
»Gasthof zur Vorsehung« – irgendeine Provinzialin, die früher einmal hier gewohnt hatte, mochte dem feinen jungen Fräulein die Adresse gegeben haben, ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen; das feine Fräulein aber, das aus gutem, ehemals adeligem Hause stammte, meinte in diesem Namen vielleicht ein Gleichnis ihres eigenen Willens zu erspähen …
Sie schien sehr ermüdet von der langen Reise, denn sie verließ ihr Zimmer erst am 11. Juli. Sie versuchte an diesem Tage, Zutritt zum Sitzungssaal des Konvents zu erlangen, in dem die Persönlichkeit Marats sie besonders interessiert hätte. Doch all ihre Bemühungen waren vergebens; wenn sie den »Volksfreund« sehen wollte, blieb nichts übrig, als ihn in seiner Wohnung aufzusuchen. Am 13. Juli fuhr sie in die dunkle und enge Rue des Cordeliers, in der er wohnte. Obgleich in allem der Antipode Robespierres, glich er ihm doch in einem Punkt: auch er lebte inmitten eines ihn anbetenden Frauentrosses. Da war seine Geliebte, Simonne Evrard, und deren Schwester und seine eigene Schwester Albertine, und Hausfreundin war obendrein noch die Hausmeisterin, vielleicht sogar das Dienstmädchen, denn es ist anzunehmen, daß bei einem »Volksfreund« die gesellschaftliche Schichtung als überwundenes Fossil eines verrotteten alten Systems angesehen wird.
Das feine Fräulein aus Caen – ihr Name war Charlotte Corday – zog die Klingel, wünschte den Bürger Marat zu sprechen. Doch ihr Herzenswunsch, den großen Mann von Angesicht zu Angesicht zu sehen, schien ihr ein für allemal versagt, denn Simonne Evrard, die ihr die Türe geöffnet hatte, erwiderte kurz, daß der Bürger nicht zu sprechen sei. Die Türe fiel wieder zu. Vermutlich brummte Simonne ein wenig hinter dem Fräulein her, es solle sich doch nicht einbilden, daß ein Mann wie ihr Marat für jedes hergelaufene, alberne Ding zu sprechen sei.
Das Fräulein ging in den Gasthof zurück, schrieb einen Brief, sprach, als der Tag sich neigte, nochmals in der Rue des Cordeliers vor. Diesmal hatte sie Glück. Simonne Evrard ließ sie ein und führte sie zu dem »Volksfreund«, der just im Bade saß, in einer jener altmodischen Wannen, die einem gigantischen Holzschuh gleichen und nur den obersten Teil des Körpers sichtbar werden lassen. Eine sonderbare Idee, ein feines junges Fräulein, dem man auf zehn Schritte die echte Dame ansieht, zu einem Manne einzuführen, der im Bade sitzt! Aber man war ja im Hause eines »Volksfreundes«, in dem andere Sitten herrschten, als man sie früher gewohnt war. Das Fräulein mag froh sein, daß der berühmte Mann sie überhaupt empfängt! Was hat so eine hier zu suchen, eine, die elegant gekleidet ist und sogar Handschuhe und einen Fächer trägt?! Simonne wurde etwas mißtrauisch; mißtrauisch als Frau. Sie machte sich für etliche Minuten im Badezimmer zu schaffen, sah aber nur, daß Marat in einem Briefe las, den das neben der Wanne sitzende Fräulein ihm gereicht hatte. Kaum aber hatte Simonne das Zimmer wieder verlassen, so ertönte ein gurgelnder Schrei.
Unerhörtes war geschehen. Marat lag sterbend in der Badewanne. Unaufhaltsam strömte aus einer Brustwunde sein Blut. Das feine Fräulein hatte heute morgen bei einem Messerschmied im Palais Royal ein Küchenmesser gekauft (ein Küchenmesser, keinen pathetischen Dolch!), hatte es hinter dem Fächer verborgen gehalten und dem »Volksfreund« mit solcher Wucht ins Herz gestoßen, daß fast unmittelbar der Tod eintrat.
Die Mörderin, die sogleich verhaftet wurde, blieb ganz ruhig. Sie hatte ihre Tat wohl überlegt und mit erstaunlicher Kaltblütigkeit ausgeführt. Sie war in Caen mit geflüchteten Girondisten bekannt geworden, und die Schilderungen aus deren Munde hatten sie bestimmt, »das Vaterland von einem Ungeheuer zu befreien«.
Es versteht sich von selbst, daß Marat ein an Pathos und auch an Theatralik reiches Leichenbegängnis erhielt. Unter anderem war geplant gewesen, seinen nackten Leichnam zur Schau umherzutragen, doch nahm man Abstand davon, denn der Leib des Fünfzigjährigen war über und über mit einem Ausschlag bedeckt, über dessen Ursache man besser keine Nachforschung anstellte. Auch zersetzte sich der von vergiftetem Blut erfüllte Leichnam so schnell, daß man noch in der Todesnacht um ihn her Räucherwerk verbrennen mußte, um den Verwesungsgeruch zu übertäuben. Die Mörderin Marats endete selbstverständlich durch die Guillotine. Die Bewunderung, die ihre heroische Tat erregte, war größer, als man bei dem Fanatismus des Pöbels und der Popularität Marats hätte erwarten sollen. Sie blieb bis zum letzten Augenblick ruhig, gleichsam von innerem Glück durchleuchtet. Da ist es denn nicht zu verwundern, daß, als sie zum Richtplatz gefahren wurde, eine Stimme aus der gaffenden Menge rief: »Sie ist größer als Brutus!«
Der es rief (oder gerufen haben soll!), war ungleich kleiner und ungleich unseliger als sie, die da in den Tod ging. Denn diese Stimme gehörte dem Deputierten Adam Lux, der im Konvent Mainz vertrat, Mainz, das treulos vom Deutschen Reich abgefallen war, um sich der neuen Freiheit zu vermählen. Georg Forster und Adam Lux waren Jubels voll nach Paris gekommen, um dem Konvent den Treuschwur der Verräterin darzubringen. Das war vor kaum einem Jahr gewesen. Heute rief Adam Lux, aufs tiefste enttäuscht, das Herz voll Bitterkeit und Todessehnsucht, daß sie, die einen der »Freiheitsmänner« getötet hatte, größer sei als Brutus … So groß war die Verzweiflung dieses tragischen Verräters, daß er sich in einem Brief an den Konvent selbst denunzierte, um durch ein Todesurteil einem Leben zu entfliehen, dessen Ehre einem Phantom geopfert worden war. Die Wirkung von Marats Hintritt war nicht so verheerend, wie man zuerst geglaubt hatte. Allerdings zog der kommunistische Stadtrat in corpore, unfrisiert und unrasiert (!) in Trauerattitüde durch den Konventssaal, allerdings wurde im Konvent der Antrag gestellt, Marats Leiche sofort und nicht erst nach zwanzig Jahren in das Pantheon zu überführen, aber Unruhen größeren Umfangs brachen nicht aus.
Robespierre verhielt sich dem tragischen Ereignis gegenüber sehr kühl, was ihm von allen Maratisten sehr verübelt wurde. Er fand nämlich, daß es nicht nötig oder angebracht sei, »in Hyperbeln und sinnlosen Bildern, die lächerlich wirken, von Marat zu sprechen, statt an die Lage des Landes und die Mittel zu seiner Heilung zu denken. Solches aber ist die beste Ehrung für Marat«. Gewiß, Robespierre hatte mit diesen Worten vollkommen recht, aber es berührt doch ein wenig seltsam, daß just er, der bei ungleich kleineren Anlässen in Hyperbeln und blumigen Redensarten schwelgte, mit einem Male für katonische Stileinfachheit schwärmte. Und so viele Mühe sich Hamel auch gibt, um zu beweisen, daß Robespierre niemals, gar niemals auf Marat eifersüchtig gewesen sei, so glaube ich doch, daß der Maratist Bentabole recht hatte, als er, gelegentlich der Pantheonfrage, Robespierre zurief: »Jawohl, Marat wird der Ehre des Pantheons teilhaftig werden – allen Neidern zum Trotz!« Robespierre tat, als verstünde er die überdeutliche Anspielung nicht, fuhr unbeirrt in seiner Rede fort, die riet: »mit dieser Ehrung zu warten, bis die Republik siegreich und innerlich gefestigt dastehen wird. Überall muß das Volk aufgeklärt und mit sanfter Hand zu seinen Pflichten zurückgeführt werden. Überall muß Gerechtigkeit herrschen (o ewiger Theoretiker!), und mit allen Mitteln muß der Zufluß von Lebensmitteln bewerkstelligt werden. Ausschließlich muß das Augenmerk auf den Ackerbau gelenkt werden und wie dessen Ertrag zu vermehren sei, und eine Revolutionsarmee muß ausgehoben, einexerziert und kriegstüchtig gemacht werden. Es ist notwendig, daß jeder von uns sich selbst zum mindesten für einige Zeit völlig vergesse und sich rückhaltlos nur dem Dienst der Republik widme …«
Dies sind sehr schöne Worte und Vorschläge, aber sie werden keinen objektiven Menschen davon überzeugen können, daß sie die richtige Leichenrede für einen ermordeten ungemein populären Politiker und Volksmann sind. Und als neide er Marat sogar den Märtyrertod, beteuerte er sogleich: »Ich ahne, daß die Ehre des Dolches auch mir beschieden sein wird. Nur der Zufall hat mich an die zweite Stelle gerückt …«
Diese Prophezeiung seines Endes unter Mörder- oder »Tyrannen«- Streichen kehrt bei Robespierre immer häufiger wieder, aber man braucht ihn deshalb nicht für einen Hellseher zu halten. Revolutionsmänner müssen immer auf einen gewaltsamen Tod gefaßt sein, » ce sont les désagréments du métier«. Wer Throne stürzt, Könige köpft, ganze Gesellschaftsschichten vom Erdboden rasieren lassen will, muß wohl oder übel damit rechnen, daß aus dieser hinsterbenden Gesellschaftsschicht sich ein Arm aufreckt, der Blut um Blut heischt. Diese ständig wiederholte Ankündigung des eignen Endes (Hamel nennt sie pathetisch »düstere Weissagungen«) wirkt – eben durch ihre allzu häufige Wiederkehr – weder prophetisch noch ergreifend, sondern man spürt in ihr nur krankhaft gesteigertes Mißtrauen, das überall Feinde und Gefahren wittert. Immer wieder hat er im Konvent und im Jakobinerklub von seinem nahen Ende gesprochen, und dennoch wirkt er auf uns, die Nachwelt, nie so fortreißend und erschütternd wie der Aufschrei Dantons: »Was liegt daran, ob mein Andenken geschändet ist oder nicht?! Wenn nur Frankreich leben bleibt!« Dies ewige Herumreden um den eigenen Tod ist ganz unmännlich, um nicht zu sagen weibisch, und doch war Robespierre weder unmännlich noch feige, denn wäre er's gewesen, so hätte er niemals die fanatische Bewunderung erfahren, die ihm bei Lebzeiten zuteil geworden ist. Denn Schwächlichkeit und furchtsames Wesen sieht wohl der Ästhet dem Ästheten nach, erklärt sie vielleicht sogar für die Merkmale höherer Kultur, niemals aber wird sich das Volk einem Schwächlichen anvertrauen oder sich für ihn begeistern. Und sie begeistern sich für ihn, begeistern sich überschwenglich, und der Weihrauch wirbelt so dicht um ihn, daß er auch ein weniger angekränkeltes Hirn betäuben und verwirren könnte.
Frauen schreiben ihm verliebte Briefe, bieten ihm mit ihrer Liebe ihre Hand und ihre Mitgift an. Eine englische Millionärin, Miß Shepen, möchte ihm, dem »Unbestechlichen«, durchaus ein großes Geschenk machen, und da er sich weigert es anzunehmen, fleht sie: »Verachten Sie doch die Engländer nicht! Behandeln Sie die stammelnde Hingebung einer Engländerin an die allgemeine Sache aller Völker nicht mit dieser demütigenden Ablehnung!« Ein biederer Bürger aus Annecy schreibt ihm: »Ich will meine Augen und mein Herz am Anblick Deiner Züge sättigen, und meine Seele, begeistert von Deinen republikanischen Tugenden, wird in mein Haus das Feuer heimtragen, mit dem Du alle wahren Republikaner entzündest. Aus Deinen Schriften schlägt sein Glutenatem, der mich sättigt.«
Ländliche Gemeinden, die ihn für mindestens ebenso allmächtig hielten, wie es der »Tyrann« gewesen, trugen ihm ihre kleinen Angelegenheiten vor und teilten zugleich mit, daß kürzlich nach dem Tedeum laute Rufe: »Es lebe Robespierre!« ertönten. Und all diese Zuschriften und Petitionen sind in einem Stil abgefaßt, der alles andere denn republikanisch ist. Da heißt es: »Wollen Sie gnädigst geruhen!« und »Der Gemeinderat wirft sich Ihnen zu Füßen« und »Ihnen gebührt der höchste Triumph, der Ehrenkranz, und beide werden Ihnen zuteil werden, indes bürgerlicher Weihrauch vor den Altären dampft, die wir Ihnen errichten wollen und die von der Nachwelt verehrt werden, solange Menschen den Wert der Freiheit zu schätzen wissen.« Bald geht es auch himmelan. »Die Hochachtung, die ich für Dich seit der Nationalversammlung empfand, ließ mich Dein Bild an das Firmament, neben das der Andromache, versetzen – ein Sternbild-Denkmal!«
Aber auch das neue Sternbild »Robespierre« genügt Enthusiasten noch nicht. Zwei Sansculotten aus Saint-Calais, die sicherlich jeden denunzieren würden, den sie bei einer Litanei zur heiligen Jungfrau ertappen könnten, beten an den Unbestechlichen hin:
»Robespierre, Säule der Republik,
Schützer der Patrioten,
Unbestechliches Genie,
Erleuchteter Berg-Anhänger,
Der alles schaut, alles durchschaut, alles vereitelt,
Und den man weder täuschen noch bestechen kann …«
In dieser Tonart geht es weiter, daß Robespierre nicht Robespierre sondern Cato sein müßte, wenn er nicht zuletzt selbst an seine Gottähnlichkeit glaubte. Und er, sehr eitel von Natur, Huldigungen und Schmeicheleien leicht zugänglich wie alle, die sich in ihrer Jugend haben ducken müssen, er berauscht sich an diesen Verstiegenheiten, bewahrt all diese Briefe und Zettel sorgsam auf. Lenôtre wirft die Frage auf: »Zu welchem Zweck? Zweifellos, um in vertrauter Stunde, nach der Mahlzeit, seinen erstaunten Hauswirten diese unzusammenhängende Korrespondenz vorzulesen und sich an der Bewunderung zu weiden, die er ihnen einflößte.« Vielleicht war es so. Vielleicht, ja wahrscheinlich aber war es ganz anders. Vielleicht hat er diese Briefe vor jedem profanen Auge gehütet, wie man sonst nur Liebesbriefe hütet, denn Liebesbriefe waren es ja allesamt, Liebesbriefe, die ihm la gloire schrieb … Nach keines anderen Weibes Umarmung hatte er je gedürstet als nach La Gloire, kein Kuß hatte ihm je so süß gedünkt als der, den die Unsterblichkeit auf Menschenstirnen drückt. All diese Briefe, von welcher Hand, aus welchem Departement sie kommen mochten, waren unsichtbar »La Gloire« unterzeichnet, und welcher Verliebte liest nicht in stiller Stunde wieder und immer wieder, was die Angebetete schreibt, hebt jeden kleinsten Wisch von ihr sorgsam auf, legt ihn vielleicht sogar unters Kopfkissen, nur um zu jeder Stunde zu wissen: Sie ist mein!
Am 27. Juli brachte sie ihm die Morgengabe, die ihn zum Herrn Frankreichs machte: seine Wahl in den Wohlfahrtsausschuß, der die oberste Regierungsbehörde darstellte. Gemeinsam mit den Juristen Couthon und Saint-Just wird er nun die fürchterlichen Aderlässe vornehmen, die Frankreichs bestes Blut verspritzen, und er, der sich abwendet, wenn er das Blut eines geschlachteten Huhns sieht, wird bald gleichmütig sagen: »Was bedeuten sechstausend Menschen, wenn es sich um Grundsätze handelt?«