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Betrachtet man den Zufluchtsort Cirey mit unseren heutigen Augen, so ist das zuerst auftauchende Gefühl Verwunderung, daß solch eine Isolation notwendig gewesen sein sollte in dem Lande, wo vor nicht langer Zeit Ludwig der Vierzehnte seine Ehre darin gesetzt, seines Reiches ja Europas Maecen zu sein und Ruhm dadurch gewonnen hatte. Hatte er ja nicht nur Architektur, Skulptur und Malerei zur Hofkunst gemacht, sondern sich auch mit den ersten Schöngeistern des Zeitalters umgeben und in einem menschlichen Verhältnis zu Männern wie Racine, Boileau, Molière gestanden.
Der Gedanke, diese Tradition aufrechtzuerhalten, mußte Ludwig dem Fünfzehnten naheliegen. Tatsächlich gab es nichts, was ihm ferner lag. Als man es eines Tages zu Ende der Vierziger Jahre dem König als eine Möglichkeit vorzuschlagen wagte, die Schriftsteller und Gelehrten des Zeitalters an den Hof zu ziehen, wie Friedrich der Große es zur gleichen Zeit auf so aufsehenerregende Art getan hatte, erwiderte Ludwig abweisend: »Das ist in Frankreich nicht Mode, und da es hier viel mehr Schöngeister und große Herren gibt als in Preußen, müßte ich einen gewaltig langen Tisch haben, um sie alle zu versammeln.« Er zählte dann an den Fingern auf: »Maupertuis, Fontenelle, La Motte, Voltaire, Piron, Destouches, Montesquieu, Cardinal de Polignac,«; »Ihre Majestät vergessen d'Alembert und Clairaut,« sagte ein Hofmann. »Und Crébillon,« fuhr der König fort, »und La Chaussée!« »Und den jüngeren Crébillon!« bemerkte einer, »er soll liebenswürdiger sein als sein Vater; und dann ist da noch Abbé Prévost und Abbé Olivet.« »Schön!« erwiderte der König. »In den letzten fünfundzwanzig Jahren sollte dies alles zu Mittag oder Abend bei mir gespeist haben!« »Dies alles« war des Königs Bezeichnung für Frankreichs berühmte Männer.
Sprach Ludwig der Fünfzehnte so in reiferen Jahren, in den Tagen der Madame de Pompadour, wie fremd stand er dann als junger Mann der Literatur gegenüber! Sie war sicherlich seine geringste Sorge; er überließ es anderen, sie innerhalb der ihr angewiesenen Schranken zu halten.
Wenn auch sein Verhältnis zu der Königin nicht mehr so heiß war, wie in der ersten Zeit, so war die Verbindung zwischen ihnen doch nicht unterbrochen, bevor die Königin, entweder aus Bigotterie oder eher aus Angst vor Ansteckung, die sie, wie eine ihrer Damen ihr einredete, zu fürchten hatte, sich von dem Könige zurückzog. Von da an lag der ganze Hof beständig auf der Lauer, um auszuspionieren, welcher Versuchung Ludwig wohl erliegen würde, während sein erster Kammerdiener, Bachelier, der mächtige Mann, dessen Einfluß ja steigen würde, wenn der König seiner Diskretion bedurfte, eifrig eine Annäherung vorbereitete zwischen ihm und derjenigen der Damen der Königin, die sich am heftigsten geneigt zeigte, ihre Gebieterin abzulösen.
Madame Louise Julie de Mailly-Nesle war die erste der fünf Schwestern Nesle, die der König nach einander oder gleichzeitig begehrte und die seine Zeit und seine Gedanken von 1733 bis zum Dezember 1744 erfüllten, da die unter ihnen, die ihn zuletzt und am stärksten zu fesseln wußte, von einem plötzlichen Tode ereilt wurde.
Während dieser zwölf Jahre, in denen der mit dem französischen Könige ungefähr gleichaltrige Friedrich der Große (geboren 1712; Ludwig 1710) in strengen Schicksalen und unter rastlosen Studien zum willensfesten Genie heranreifte und die ersten Großtaten seines Lebens vollführte, vergingen Ludwig des Fünfzehnten Tage und Nächte in Liebschaften mit diesen fünf Schwestern.
Die Maillys waren eine aus dem elften Jahrhundert stammende Familie von militärischem Ruf. Sie konnten sich einer großen Vergangenheit rühmen; ihr Ansehen war aber gesunken, als während der Regentschaft ihr letzter Sprößling bloß durch seine Ausschweifungen und Schulden von sich reden machte. Der Vater der Fräulein de Nesle, Marquis de Nesle, hatte mit einem Jahreseinkommen von 250 000 Livres begonnen und alles durchgebracht, so daß er zuletzt in Armut von Schwindeleien lebte.
Seine älteste Tochter Madame de Mailly (1710 geboren) war 1726 mit ihrem leiblichen Vetter verheiratet worden und hatte bald darauf eine Liaison mit einem Herrn de Puisieux, von dem man sie bei Hof befreite, indem man ihn zum französischen Gesandten in Neapel ernannte. Madame de Mailly hatte glänzende schwarze Augen, ein braunes Gesicht, das ein mageres Oval bildete, eine Physiognomie von herausforderndem Reiz, heiße Wangen, eine kühne Haltung, die dreiste Grazie einer Bacchantin; sie war immer hübsch gekleidet und halb entkleidet, berühmt um ihrer Beine willen, die den Ruf hatten, bei Hofe die schönsten zu sein. Sie brachte ihrer eigenen Schönheit eine wahre Anbetung dar, legte sich nie zu Bett, ohne zuvor ihr Haar aufstecken zu lassen und sich mit allen ihren Diamanten zu schmücken.
Sie brannte für den König, fand ihn »schön wie Amor«, ließ ihren Onkel, den Herzog von Richelieu, die Aufmerksamkeit Ludwigs auf sie hinleiten, und übertrug es dem Kammerdiener Bachelier, das erste Stelldichein zu arrangieren und den in seinen jungen Jahren stets befangenen und passiven König zu bearbeiten, bis die Verbindung eingeleitet war. Ludwig der Fünfzehnte war, wie so viele Degenerierte im Grunde seiner Seele von einer öden Schwermut erfüllt, von einer schwarzen Melancholie, so daß er zeitweise keinen Menschen sehen wollte. Von Unternehmungslust hatte er keinen Funken.
Madame de Mailly war trotz ihres herausfordernden Äußeren eigentlich ein sanftes und demütiges Geschöpf, das seinen König vollsten Ernstes anbetete, ihn bewunderte und die für königliche Favoritinnen unerhörte Eigenschaft besaß, uneigennützig, ohne Geldansprüche, ohne Begierde nach Titeln und Gütern zu sein. Sie war die bequemste Geliebte, die ein bequemer König haben konnte. Ihre einzige Schwäche war ihre Vorliebe für Champagner, und noch im Jahre 1738 vertrank der König in ihrer Gesellschaft ganze Nächte. Am 26. Juni dieses Jahres ging er erst um sechs Uhr morgens zu Bett (jedoch nicht ohne vorher die Messe gehört zu haben). Am 3. Juli erhob er sich um fünf Uhr morgens vom Tisch, spielte dann eine Stunde Brettspiel, hörte die Messe, legte sich schlafen und stand erst um fünf Uhr nachmittags auf.
Von Natur aus ungemein knauserig, hielt er seine Geliebte, als er sah, daß sie keine Ansprüche stellte, äußerst knapp und ließ sie alle Demütigungen der Abhängigkeit fühlen. Anfänglich gab er ihr einige Male eine Handvoll Goldstücke, dann nichts mehr, bis Bachelier, der Zeuge ihrer Verlegenheit gegenüber den Mahnungen ihrer Gläubiger war, sich ihrer annahm und den Schatzkammerkanzler Chauvelin, der sich die Favoritin gerne verpflichten wollte, bewog, die Kosten bei gewissen Abendgelagen aus den heimlichen Fonds des Auswärtigen Amts zu bestreiten. Chauvelin wurde jedoch schon 1737 gestürzt und man machte sich bei Hofe über das durchlöcherte und geflickte Unterzeug der Madame de Mailly lustig.
Zu diesen Plackereien kam die weitere, daß sie nach damaliger Auffassung mit ihren achtundzwanzig Jahren eine alte Frau war, viel zu alt für den König. Ihr eigener Gatte äußerte jedem gegenüber, der es hören wollte, seine Verwunderung darüber, was der König in seiner Frau sehe, in einer Person, die nicht einmal jung sei und von so vielen jungen Frauen in Versailles überstrahlt werde. Diese herabsetzenden Bemerkungen kamen auf vielen Wegen dem Könige zu Ohren, verletzten seine Eitelkeit bis aufs Blut, und machten ihn gegen seine Geliebte immer härter. Als er eines nachts durch den Kamin seines Schlafzimmers zwei der Ehemänner ihrer Schwestern sich über den schlechten Geschmack des Souveräns und über Louises Häßlichkeit unterhalten hörte, wurde er so wütend, daß er durch den Kamin hineinrief: »Willst du den Mund halten, Flavacourt!«
Indessen nahm Madame de Mailly bei allen öffentlichen Festlichkeiten nach wie vor den Platz an des Königs Seite ein; sie saß bei den Fahrten nach den verschiedenen Schlössern stets in seinem Wagen und war immer bei den Jagden diejenige, die ihm den Hirschfuß reichte. So kam es, daß allerhand Damen ihr zu schmeicheln und sie zu gewinnen suchten, um durch sie Ehrenstellen bei Hof zu erreichen. Da war die Prinzessin von Charolais, die für ihren Geliebten Vauréal, den Erzbischof von Varennes, die Nachfolgerschaft Fleurys zu erwirken trachtete. Da war die Marschallin von Estrées, die der Favoritin die Ratschläge und Winke gab, welche sie selbst von ihrem Liebhaber, dem Cardinal von Rohan, empfing. Einen Augenblick lang brachten diese Damen die arme Frau dahin, von dem König zu fordern, er soll sie als maîtresse en titre behandeln, sie zur Herzogin ernennen usw., worauf der König die barsche Antwort gab, die Skandale aus Ludwig des Vierzehnten Zeit sollten sich nicht wiederholen und niemals würden unter ihm in doppeltem Ehebruch empfangene Bastarde den gleichen Rang mit Prinzen von Geblüt erhalten. Wie man sieht, hatte der König seinen Ehrbegriff.
Madame de Mailly, die täglich die feindliche Gesinnung des Kardinals von Fleury zu spüren bekam, ließ sich nun zu der Unklugheit hinreißen, bei den nächtlichen Zechgelagen den betagten Kardinal zu verspotten und über seine senilen Gefühle einer Freundin gegenüber Witze zu reißen. Sie warf dem Könige vor, daß er sich vor dem alten Priester fürchte und richtete an Ludwig, der Fleury durchaus nicht fallen lassen wollte, eines nachts die dreiste Frage: »Wann gedenken Sie Ihren ehemaligen Lehrer zu verabschieden?«
Die Favoritin fühlte sich unglücklich. Sie war ruhiger gewesen, so lange sie ihre Verbindung mit dem König hatte verborgen halten können, nach Ablauf von fünf Jahren aber war das Verhältnis bekannt geworden, und sie zählte nicht stark auf den Mut des Königs, sie gegen die Angriffe des Kardinals zu verteidigen. Der einzige Freund, dem sie in den Hofkreisen vertrauen zu können meinte, war der Kammerdiener Bachelier, und gerade er hatte ihr den entmutigenden Rat gegeben, sich niemals auf jemanden bei Hof zu verlassen.
Zu jenem Zeitpunkt saß hinter Klostermauern, wo anscheinend nur fromme Gedanken und romantische Träumereien zu Hause sein sollten, ein junges Mädchen, die jüngere Schwester der Madame de Mailly, in ehrgeizigen Phantasien sich wiegend und kraft einer kühnen Einbildung und eines kalten klaren Verstandes Pläne schmiedend, um des Königs Herz zu gewinnen, den Kardinal zu stürzen und den Hof zu beherrschen. Sie schrieb Tag aus, Tag ein an ihre Schwester, flehte diese an, sie zu sich zu berufen, appellierte an ihre Güte, bot Empfindung, kindliche Anmut, Zärtlichkeit und Geist auf, sicherlich nicht ohne Hoffnung, daß die Schwester Seiner Majestät einen oder den anderen dieser einschmeichelnden Briefe zeigen und der König ein Interesse für die sehnsüchtige, klostergefesselte junge Gefangene fühlen würde.
Louise de Mailly bedurfte einer Vertrauten aus ihrer eigenen nächsten Familie, und Félicité de Nesle war immer ihre Lieblingsschwester gewesen. Sie tat ihr also ihren Willen, und das junge Mädchen kam an und verließ die Schwester nicht wieder, wurde bei jedem Besuch mitgenommen und bewies anscheinend eine mehr als schwesterliche Hingebung, so daß der Name Félicité beständig auf Madame de Maillys Lippen war, und sie bald Zutritt zu dem intimen Kreise Ludwigs des Fünfzehnten erhielt. Vom Mai 1739 wohnte sie beständig bei der Schwester im Schlosse; im Juni begann sie an den Abendmahlzeiten des Königs teilzunehmen.
Félicité de Nesle war brünett, hatte einen langen Hals und eine jugendlichere, aber minder schöne Gestalt als die ältere Schwester. Ihre Züge waren härter, ohne jenen Schimmer von Güte und Zärtlichkeit, der sich so leicht über die der älteren breitete. Aber sie war mit größeren Geistesgaben gerüstet als jene und hierauf beruhte ihre Zuversicht. Sie war keck und mutwillig, zuzeiten so voll übermütiger Einfälle, daß sie, das nüchterne Geschöpf, den Eindruck machte, als hätte sie ein Gläschen zu viel getrunken; verstellt naiv, wenn es Wirkung machte; feurig kokett, wenn sie meinte, daß es am Platze sei; dabei witzig, spöttisch, schelmisch und so unterhaltend, daß sie dem König bald ganz unentbehrlich wurde; sie war das amüsanteste Kind, das ihm je begegnet war. Bald kam es dahin, daß der König nicht ohne sie zu Abend speiste; sie nahm an allen seinen kleinen Reisen nach Compiègne, nach Fontainebleau teil. Er begann Madame de Mailly mit Félicités Vorzügen zu necken, die mit ihren eigenen Mängeln verglichen wurden. Ja, er begann, sich um Kleinigkeiten willen mit ihr zu entzweien, sich ihr gegenüber unliebenswürdig zu zeigen, bis er eines Tages mit dem vielsagenden Geständnis herausrückte, er sei ihrer Schwester ebenso gut wie ihr.
Das Interesse, das der König dem jungen Mädchen offen erwies, und die Notwendigkeit, die also vorlag, es zu verheiraten, verschafften Félicité de Nesle viele glänzende Anerbieten. Zuletzt entschied die Prinzessin von Charolais die Sache, indem sie den Erzbischof von Paris, der gern Kardinal sein wollte, bestimmte, für seinen Verwandten, Herrn de Luc, welcher bei der Hochzeit den Namen Vintimille annehmen sollte, die Hand der jungen Dame zu erbitten. Im September 1739 teilte Madame de Mailly ihren Freunden die Heirat mit; der König gab der Braut 200 000 Livres Mitgift, Aussicht auf eine Stelle als Ehrendame bei der Kronprinzessin, ein vorläufiges Jahrgeld von 6000 Livres und überdies eine Wohnung in Versailles. Er kam aus seinem Lustschloß la Meutte eben in dem Augenblick an, als Bräutigam und Braut sich nach dem Souper zurückziehen wollten und tat dem Bräutigam die Ehre an, die er noch niemandem erwiesen hatte, »ihm das Hemd zu reichen«. Soulavie, der die Memoiren des Marschalls von Richelieu niedergeschrieben hat und der annimmt, daß die Verbindung des Königs mit Fräulein de Nesle vom Juni 1739 stammt, behauptet, der König und der Bräutigam hätten an diesem Abend den Aufenthalt getauscht, so daß Herr de Vintimille die Nacht in la Meutte verbrachte. Dies ist jedoch wenig wahrscheinlich, da Braut und Bräutigam einige Zeit als Eheleute lebten.
Madame de Mailly fand sich in alles; sie liebte den König ernstlich und wollte ihn um keinen Preis verlieren. Und Madame de Vintimille, ihrer Herrschaft über Ludwig vollständig sicher, hegte kein Bedenken, ihre Schwester in seiner Nähe zu lassen. Während diese lange Zeit unter der lästigen, ja demütigenden Protektion der Prinzessin von Charolais gelitten hatte, wußte sich Madame de Vintimille im Handumdrehen des unbequemen Einflusses zu entledigen; sie machte den König bloß auf die beharrlichen Anstrengungen der Prinzessin aufmerksam, ihren Liebhaber Vauréal zum Minister des Äußern zu machen, und die andere fiel in Ungnade.
Nach dem Tode des Herzogs von Grammont bat der Graf von Grammont die beiden Schwestern, mit denen er intim befreundet war, um eine Empfehlung für die freigewordene Stelle als Chef des Garderegiments und als Gouverneur von Béarn und Navarra. Die Überreichung der Bewerberliste von seiten des Kardinals war bisher eine bloße Formsache gewesen, der Kardinal wählte stets selbst. Diesmal ernannte der König sogleich eigenmächtig Grammont für die freigewordene Stelle. Es war nicht so sehr ein persönliches Interesse an dem Grafen von Grammont, das Madame de Vintimille leitete, als der Wunsch, den König an Unabhängigkeit von Seiner Eminenz zu gewöhnen.
Aber Madame de Vintimille hatte auch Lust Politik zu treiben und gebrauchte hierbei ihre Schwester als williges Werkzeug. Die beiden Brüder Belle-Isle waren nahe Freunde der Madame de Mailly. Als Enkelkinder des großen Finanzbetrügers Fouquet hatten sie lange unter dieser Verwandtschaft zu leiden gehabt. Der ältere Bruder, der nachmalige Herzog und Marschall, der hervorragendere, wenn auch gesundheitlich schwächere von den beiden, besaß politische Leidenschaft, schlagfertige und volltönende Beredtsamkeit und hatte vor Victor Broglie die größeren militärischen Fähigkeiten voraus. Er stellte den beiden Schwestern die äußere Politik des alten Fleury als furchtsam und unklug hin. Man sollte Österreich den Krieg erklären und es zerteilen. Nichts sei leichter als dies, Frankreich würde verläßliche Alliierte in Preußen, in Piemont, in dem Kurfürsten von Bayern finden, dem Frankreich die Kaiserkrone verschaffen könne.
Madame de Vintimille wollte diejenige sein, die den Nationalhochmut wiedererweckte und befriedigte. Sie bedurfte hierzu eines Helden und meinte ihn in dem älteren Belle-Isle gefunden zu haben. Belle-Isles Wesen war um so klangvoller, je hohler es war; er gehörte jener Sorte an, die so viel Ähnlichkeit mit einem großen Manne haben, daß sie für Damen und Unerfahrene zum großen Manne werden. Wie aus J. H. Bernstorffs Briefen bekannt geworden ist, wurde Belle-Isle auch für den dänischen Minister zum großen Mann.
Vergebens machte der alte Fleury die Verpflichtungen geltend, die Frankreich auf sich genommen hatte, den Lohn, den es empfangen, die nahe Aussicht, Lothringen zu erwerben, und des Königs verpfändetes Wort. Dies alles kümmerte die Schwestern wenig. Madame de Vintimille nahm des Königs Einwilligung mit Sturm, und so wurde also der Krieg erklärt. Sie ließ Belle-Isle zum Gesandten in Frankfurt ernennen, um die Kaiserwahl leiten zu können, und wirklich wurde Karl der Siebente gewählt. Es kam jedoch anders, als sie erhoffte, teils weil Belle-Isle bei weitem nicht alle Truppen erhielt, die er gefordert hatte, teils weil alles wie verdreht und verrückt ging und den entworfenen Plänen direkt zuwiderlief. Frankreich erntete nur Niederlagen und Verluste, und der neunundachtzigjährige Fleury mußte Maria Theresia gegenüber demütigende Schritte unternehmen, um den Frieden wiederherzustellen.
Voltaire hat in den späteren Ausgaben seines Précis du siècle de Louis XV den Passus gestrichen, in dem er zuerst offen sagte, daß der Kardinal den Krieg habe verhindern wollen, daß jedoch die beiden Brüder Belle-Isle, von einer damals mächtigen Dame unterstützt, sich vorgenommen hatten, Europas Physiognomie zu ändern. Es ist deshalb nicht minder wahr.
Nur einen Augenblick lang scheinen die Brüder günstigen Wind gehabt zu haben. Es gab eine kurze Zeit, da der Marschall von Belle-Isle in Frankfurt eher wie einer der mächtigsten Kurfürsten denn als ein bloßer französischer Gesandter auftrat und behandelt wurde. Damals war es wohl, daß er Johann Hartwig Bernstorff blendete und dessen Idol wurde (allerdings trug auch seine schöne Frau das ihrige dazu bei). Aber sowohl in Böhmen wie in Bayern zerbröckelten die französischen Heere. Belle-Isle rettete im Dezember 1742 alles in allem etwa 13 000 Mann aus dem belagerten Prag.
Um diese Zeit war seine Beschützerin freilich bereits länger als ein Jahr verstorben.
Der König hatte nach dem Tode der Prinzessin von Conti deren reizendes Lustschlößchen Choisi an der Seine erworben, das berühmt war wegen seiner Terrasse, von der man über den Fluß hinausblickte, und wegen der seinerzeit auf Bestellung von Fouquet nach Antiken ausgeführten acht Marmorstatuen im Garten.
Dieses Schloß überließ der König seinem Liebling zur Residenz. Es war ausgeschmückt mit den schönsten Möbeln, Spiegeln, Bildhauerarbeiten, mit diskreten Gängen und geheimen Türen, mit dem elegantesten Speisesaal, mit einer in Gold und Blau gehaltenen Innenausstattung. Es lag am Fuße eines Hügels, windgeschützt, ganz nahe dem Walde von Sénart, und der König leitete persönlich die Einrichtung, ließ im Garten Bäume pflanzen, andere der Aussicht wegen fällen. Hier hielt Félicité de Vintimille den König von der Umgebung abgesondert; er war nie mehr als einen ganzen Tag wöchentlich in Versailles, er sah den Kardinal kaum eine Viertelstunde in der Woche. Und hier versuchte das energische junge Weib, seinen König das Wollen zu lehren, gewöhnte ihn, ein Auge auf das Hauswesen zu haben, damit er durch diese Vorschule befähigt werde, ein wachsames Auge auch auf das Staatswesen zu halten. Es galt bei Félicité schon als ein Schritt auf diesem Wege, als der König einen Mundschenk verabschiedete, der seinen Champagner stahl. Sie trachtete sogar, ihn von der Vormundschaft Bacheliers zu befreien, und erkühnte sich, ihn zu fragen: »Sire, werden Sie nun auch dies Ihrem Kammerdiener berichten?«
Ihre Absicht war, den Kardinal zu stürzen und dessen Leitung durch eine andere zu ersetzen, in welcher Kraft und Sinn für Größe war. Vorläufig bewog sie den König, selbst zu arbeiten, sich in die vorliegenden Angelegenheiten zu vertiefen, soweit er dazu imstande war. Für ihre eigene Person hatte sie selbständige geistige Interessen, eine so schlechte Erde der französische Hof auch für diese bildete. Ihre aufbewahrte Korrespondenz an Madame du Deffand verrät eine Begeisterung für den Geist dieser Dame, und für das geistige Leben, das sie vertrat, die bei einer so berechnenden jungen Person überrascht. Sie schwärmt für Madame du Deffands Briefe, glaubt sich »in eine Traumwelt versetzt«, wenn sie einen empfängt, und hegt lebhafte Sehnsucht, den Kreis kennen zu lernen, in welchem die Briefschreiberin sich bewegt: »Sie sprechen zu mir von Madame du Châtelet. Ich sterbe vor Verlangen, sie zu sehen. Nun da Sie sie mir geschildert haben, bin ich sicher, sie zu kennen, wie sie ist. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir gesagt haben, wie Sie denken; es macht mir Vergnügen, mich von Ihnen leiten zu lassen. Ich will versuchen, sie zu Gesicht zu bekommen, und dann soll der König von Preußen unser Gesprächsthema werden, wenn sie mich sonst der Ehre würdigt, auf mich zu hören; denn leider fürchte ich, daß sie mich dumm finden wird.«
Madame de Vintimille war im achten Monat ihrer Schwangerschaft, als ein Fieber sie befiel, das ihren ganzen Organismus erschütterte, und gegen das die damaligen Ärzte keinen anderen Rat wußten, als Aderlassen – bis zu dreimal täglich. Da der König eben nach Versailles fahren mußte, ließ er sie in Choisi zurück, in der Gesellschaft ihrer Schwester, zweier Edelmänner und des Herzogs von Ayen (der sowohl nach der Meinung ihres Mannes wie nach der d'Argensons ihr Reserveliebhaber war) und verlangte von Madame de Mailly während der drei Tage, die er in Versailles verbringen mußte, täglich durch vier Eilboten über das Befinden der Patientin unterrichtet zu werden.
Bei seiner Rückkehr teilte der König ihr mit, daß er ihr das Logis schenke, welches der Herzog und die Herzogin von Fleury bis dahin bewohnt hatten. Sie hoffte, sich kräftig genug zu fühlen, um in der darauffolgenden Woche die Wohnung in Besitz zu nehmen. Aber das Fieber wollte nicht weichen, ihre Stimmung war teils aufbrausend, teils tief melancholisch, wie die eines Menschen, der die beängstigende Empfindung hat, daß die Lebensquelle in ihm im Begriffe ist auszurinnen.
Sie langte mit einem mächtigen Gefolge von Freunden und Verehrern in Versailles an, und der König speiste jeden Abend in ihrer Kammer.
Am 1. September gebar sie einen Sohn. Am 8. erkrankte sie plötzlich unter so fürchterlichen Schmerzen, daß sie sich vergiftet glaubte, und am nächsten Morgen starb sie. Der Körper wurde von den Ärzten geöffnet, schlecht zusammengenäht und blieb ganz nackt in der Schlafkammer liegen, wo alle Welt Zutritt hatte. Da in einem königlichen Schlosse kein Leichnam liegen durfte, wurde die Tote fortgeführt und roh in die Ecke einer Wagenremise geworfen, wo sie lag, bis sie keine menschliche Form mehr aufwies, während das verzerrte Antlitz die Krampfzuckungen verriet, die den Tod herbeigeführt hatten. Der Versailler Pöbel verhöhnte den armen Körper mit jener Geringschätzung, die er in der Regel für illegitime Erotik bekundet und für die Liebhaberinnen Ludwigs des Fünfzehnten ausnahmslos bekundet hat.
Das Entsetzen ob dieses plötzlichen Todesfalles, die Verhöhnung dieser von niemandem beschützten Leiche brachten den König dahin, in dem Geschehenen die Strafe für seine Sünden, Zeugnis eines rächenden Gottes zu erblicken. Er zitterte aus Furcht vor der Erbitterung des Himmels; er wand sich in Angst vor der Hölle, die sich unzweifelhaft nach seinem Tode vor ihm öffnen würde, und es nützte im ersten Augenblick nichts, daß Madame de Mailly ihm versicherte, die Hölle sei ein Ammenmärchen. Er weinte viel, hatte beständig das Wort Religion im Munde und bestrebte sich, mit Madame de Mailly zu leben wie ein Bruder mit seiner Schwester. Es gelang nicht. Und als die gute und sanfte Trösterin, die sie war, erhielt Louise de Mailly nun einen neuen Reiz für ihn. Es rührte ihn, daß sie über den Tod ihrer Schwester die aufrichtigsten Tränen vergoß. Er beschloß, sie immer in seiner Nähe zu behalten, und ließ ihr zu diesem Zwecke in dem Versailler Schloß selbst, oberhalb seiner kleinen Gallerie eine Wohnung einrichten, unter dem Vorwand, ein neues Logis für den Grafen von Meuse vorzubereiten.
Hier führte nun der König mit seiner Freundin das sonderbarste Leben, ein Dasein in Reue und Begehren, in mit Küssen gewürzten Tränen, in Angst vor der Hölle und in Verlangen nach gründlichem Vergessen – so recht wie ein sinnlicher Tränenkrug. Oft begnügte er sich zu den Tagesmahlzeiten mit Fastenspeisen, um hierdurch gleichsam für die nächtlichen Freuden Buße zu tun; beständig führte er, wenn er Madame de Mailly umarmte, Tod und Begräbnis im Munde, während sie weinte wie er.
Allmählich besänftigte sich jedoch der Kummer, und Louise de Maillys Ansehen und Einfluß stieg. Sie hatte von der jüngeren Schwester gelernt, sich selbständig zu zeigen, und sie setzte die Politik der Verstorbenen fort. Der Kardinal verabscheute Belle-Isle und sprach so übel von ihm, daß der Marschall bei seiner Heimkehr aus Deutschland, wo er doch Verschiedenes geleistet hatte, den denkbar schlechtesten Empfang erhielt, nicht bloß bei dem Kardinal selbst, sondern auch bei dem Könige und den Hofleuten, so daß er empört protestierte und seinen Abschied forderte. Aber Madame de Mailly gab nicht nach, wirkte allerorten für ihn, und wußte den König tatsächlich so weit umzustimmen, daß Belle-Isle im Mai 1742 zum erblichen Herzog ernannt wurde.
Louise de Mailly hatte Herz; sie scheute keine Anstrengungen für diejenigen, denen sie gut war, und es berührte sie so schmerzlich, wenn sie jemanden durch das Schweigen, das der befangene und hochmütige König fast immer beobachtete, verletzt sah, daß sie das für den ganzen Hof Erstaunliche durchzusetzen wußte: der König sprach einige Worte zu allen jenen, denen er sonst nur Kälte bewiesen hatte. Und Madame de Mailly freute sich über jeden einzelnen, der da ging, und mit seinem König zufrieden war.
Während sich jedoch auf solche Weise ihre bessere Natur entfaltete und ihr Stern anscheinend stieg, traf das leicht Voraussehbare ein, daß König Ludwig an den Tête-à-têtes Überdruß zu empfinden begann. Er war von dieser Frau ermüdet, die er schon einmal vorher verschmäht hatte, und die sichtlich mit jedem Tage um einen Tag älter und minder schön wurde.
Sich loszureißen besaß er allerdings nicht genug Energie und verriet seiner Gewohnheit nach seinen Überdruß nur durch boshafte Stichelreden. Um diesen Zeitpunkt geschah es nun, daß der klügste und gewandteste Hofmann des Zeitalters den endgültigen Bruch herbeiführte.
Während Madame de Mailly unter dem Einfluß der Prinzessin von Charolais stand, hatte diese sie beständig vor dem Herzog von Richelieu gewarnt, der die wenigen Male, da er zur Abendtafel geladen worden, teils durch seinen Witz, teils durch seinen Ruf als galanter Eroberer nicht geringen Eindruck auf Seine Majestät gemacht hatte. Die Prinzessin von Charolais, die seinerzeit von ihm erhört, verschmäht, wieder erhört und vergessen wurde, und ihm einen herzhaften Haß bewahrt hatte, weil er so geringes Gewicht darauf gelegt hatte, sich ihre Gunst zu erhalten, hatte Madame de Mailly eindringlich zu überzeugen gewußt, daß keine Persönlichkeit in des Königs Nähe ihr gefährlicher zu werden vermöge, als dieser Mann, der Unbeständigkeit in der Erotik zum Prinzip erhoben hatte und Treulosigkeit stets als eine Pflicht gegenüber dem eigenen Ich verkündete. Madame de Mailly hatte Richelieu infolgedessen von Anfang an eine eisige Kälte gezeigt, die aufzutauen ihm bedeutende Mühe verursachte und die sich seinem Ehrgeiz lange in den Weg gestellt hatte. Als er nun an den Hof zurückkehrte, war es mit kräftigem Haß gegen die verblühte Favoritin und mit dem festen Vorsatz, unter dem Deckmantel erheuchelter Anhänglichkeit für sie dem König eine andere und jüngere Geliebte zu verschaffen, die dem Herzog unbedingt ergeben wäre, und mit der er zusammenarbeiten könnte.
Madame de Mailly hatte eine jüngere Schwester, Marie-Anne de Mailly-Nesle, die 1734, siebzehn Jahre alt, mit dem Marquis de la Tournelle verheiratet worden war, einem frommen und wohltätigen jungen Edelmann, der auf seinem Gut lebte. Dieses Gut war durch seinerzeit von dem großen Vauban ausgeführte Kanalanlagen überaus einträglich geworden.
Da Herrn de la Tournelles junge Frau sich in der Provinz langweilte, hatte er wahrscheinlich durch den Einfluß Madame de Maillys eine Stelle als Oberstleutnant bei Condés Infanterieregiment erhalten. Schon beim ersten flüchtigen Anblick der jungen Marquise war dem König der Ausruf entfahren: »Mein Gott, wie schön sie ist!« Ihr im Jahre 1740 von Nattier gemaltes Porträt verschaffte zugleich dem Maler Ruhm und ihr die Anerkennung als schönste Dame in Versailles.
Marie-Annes Erscheinen bei Hofe versetzte den Kardinal in höchste Unruhe; mit Madame de Mailly, die im Grunde bloß über das Herz des Königs zu herrschen trachtete, konnte er sich abfinden, dagegen fürchtete er den politischen Einfluß, den Madame de la Tournelle an sich zu reißen imstande war; die Memoiren der Herzogin von Brancas geben uns Zeugnis davon. Die Herzogin war eine intime Freundin Richelieus, und Fleury nahm sie förmlich ins Verhör, um zu erfahren, ob Richelieu nicht etwa daran dächte, Madame de la Tournelle an den Platz der Schwester zu setzen. Sie leugnete gegen besseres Wissen, das geringste davon gemerkt zu haben.
Tatsächlich dachte Richelieu an nichts anderes.
Madame de Mazarin, die Tante der Geschwister, hatte auf ihrem Sterbebette Madame de Mailly deren beide Schwestern, Madame de la Tournelle und Madame de Flavacourt, ihrer Fürsorge empfohlen. Durch ihren Tod war der Platz einer Ehrendame der Königin frei geworden. Madame de la Tournelle bewarb sich um ihn und ihre ältere Schwester unterstützte ihre Wünsche. Seiner Gewohnheit nach ließ der alte Kardinal geraume Zeit vergehen, ehe er dem Könige gegenüber die Sache überhaupt berührte; überreichte ihm dann die Liste der Bewerberinnen, auf welcher er den Namen der Madame de la Tournelle zu allerunterst angebracht hatte. Der König nahm einen Bleistift, schrieb den Namen zuoberst und sagte: »Die Königin ist unterrichtet und wird dieser Dame den Platz geben.« Der Kardinal und Minister Maurepas, bestrebt die Ernennung nach Möglichkeit zu verhindern, suchten eine Madame de Villars erteilte ältere Zusage geltend zu machen. Da jedoch die Marschallin es entschieden ablehnte, sich in einen Wettstreit mit den Damen vom Hause Nesle einzulassen, mußte der Plan aufgegeben werden.
So jung Madame de la Tournelle war, so hatte sie schon drei Liebesverbindungen hinter sich: eine mit Herrn de la Trémoille, eine andere mit Herrn de Soubise und eine dritte mit dem jungen Herzog von Agénois, für den sie noch immer sehr zärtliche Gefühle hegte. Aber ihr Ehrgeiz war stärker als irgendwelche erotische Empfindung. Der König, der sich leidenschaftlich in sie verliebt hatte und der die Korrespondenz des Herzogs von Agénois durch die Polizei hatte öffnen lassen, breitete eines Tages vor ihren Augen einige Briefe aus, die den Herzog in ihrer Gunst schädigen mußten, – Briefe, aus welchen hervorging, daß der schöne junge Mann, der nach dem sorgfältig vorbereiteten Plane seines Oheims Richelieu – der zugleich Oheim der Schwestern Nesle war – von Amts wegen nach Languedoc gesandt worden war, in der Einförmigkeit des Provinzlebens den Annäherungen einer schönen Dame nicht unempfänglich geblieben war. Der König legte diese Briefe des treuen Agénois, wie er sich ausdrückte, vor Madame de la Tournelle auf den Tisch mit dem Ausruf: Ah! le beau billet qu'a la Châtre, voilà ce que m'envoie la poste! Die erste Hälfte dieser Äußerung ist eine Redensart: Ninon hatte la Châtre auf seine Bitte eine schriftliche Zusicherung ihrer unbedingten Treue gegeben. Während des Beisammenseins mit einem seiner Nachfolger fiel ihr eines Tages la Châtres Vertrauen zum Papier ein, und sie rief lachend aus: »Le beau billet etc.«
Madame de la Tournelles Beförderung zur Palastdame machte an und für sich nicht die Stellung der älteren Schwester bei Hofe unmöglich. Allein Richelieu und dessen Partei, bei welcher Madame de Tencin besonders tätig war, war viel daran gelegen, Madame de Mailly ihrer Hofcharge zu berauben, um damit ihre endgültige Entfernung aus Versailles zu erleichtern. Man rechnete auf ihre Leichtgläubigkeit, man beschwichtigte ihren Argwohn; sowohl Madame de la Tournelle selbst, wie Madame de Flavacourt versicherten sie der schwesterlichen Freundschaft und unverbrüchlichen Erkenntlichkeit der neuen Favoritin. Die Schwestern appellierten an ihre Güte, an ihren Wunsch, dem König zu Gefallen zu handeln. Wenn sie auf ihren Ehrenposten verzichtete, würde sie der ewigen Dankbarkeit des Königs sicher sein, sich seine unauslöschliche Anhänglichkeit an eine Geliebte erhalten, welche sich eines den echtesten Seelenadel bekundenden Opfers fähig gezeigt hatte.
Sie wußten die unglückliche leichtgläubige Frau so zu beschwatzen, daß sie in einem an den Cardinal Fleury gerichteten Brief, dessen Inhalt Richelieu und Madame de la Tournelle vorher mit dem Könige verabredet hatten, zugunsten ihrer Schwester, Madame de Flavacourt, auf ihre Stellung verzichtete.
Am 20. September 1742 erfuhr denn der Hof eine Doppelneuigkeit: Madame de la Tournelle war an Stelle der Madame de Mazarin zur Ehrendame der Königin ernannt, und Madame de Mailly trat ihren Posten mit Einkünften und allem anderen, ohne irgendwelchen Schadenersatz an Madame de Flavacourt ab.
Unzweifelhaft hat Madame de Mailly durch ihr Opfer das eine, was ihr am Herzen lag, zu erreichen gehofft: sich nicht entfernen zu müssen, weiterhin im Schlosse wohnen und in der Nähe des Königs verbleiben zu dürfen.
Den König, der noch niemals bei einer Frau auf den geringsten Widerstand gestoßen war, wunderte und reizte Madame de la Tournelles ruhige Reserviertheit und abweisende Haltung. Er schrieb; sie antwortete nicht; er schrieb abermals und erhielt wiederum keine Antwort. Er war gewohnt, die Weiber sich vorgeführt zu sehen, wie das Wild auf seinen Treibjagden. Zuerst dachte er daran, einer anderen sein Tuch zuzuwerfen. Aber diesmal war er gefangen, besiegt. Seine Ungeduld nützte ihm nichts. Nach jedem Auflehnungsversuch kehrte er notgedrungen zurück als immer demütigerer Anbeter. Er fühlte sich von unbefriedigter Sehnsucht verzehrt. Allein Madame de la Tournelle war fest entschlossen, sich sehr kostbar zu machen. Sie wollte sich nicht der Gefahr aussetzen, beiseite geworfen zu werden, wie jetzt ihre Schwester – dank ihren eigenen Intriguen – verschmäht worden war. Sie behandelte den König etwa so wie Anne Boleyn nach Verabschiedung ihrer Schwester Mary Carey als Henry des Achten Geliebte, den König von England behandelt hatte.
Es ist leicht zu begreifen, was die ältere Schwester als Zeugin dieser erotischen Kämpfe und Schmerzen litt. Sie speiste nach wie vor mittags und abends allein mit dem König; aber die Mahlzeiten waren nun unsäglich traurig. Entweder war der König stumm oder er tat irgendeine Äußerung, die sie in Tränen ausbrechen ließ. Dennoch bildete sie sich ein, mindestens Ludwigs rein menschliche Gewogenheit und Nachsicht wieder erworben zu haben, als er sie eines Tages plötzlich durch die rückhaltlose Mitteilung aus ihrem Irrtum riß, daß er in Madame de la Tournelle sterblich verliebt sei, daß er sie zwar noch nicht besessen, aber bald zu besitzen hoffe, eine andere also nicht mehr lieben könne.
Tief gedemütigt, aber in dem Gefühl, den Geliebten unmöglich entbehren zu können, gelobte Madame de Mailly kniend, sich in alles zu fügen, wenn sie bloß bleiben dürfe. Der König erwiderte hart und kalt, sie müsse sich zurückziehen (das heißt das Schloß verlassen), und dies noch am gleichen Tage. Sie schleppte sich ihm nach, sie lag ihm zu Füßen und bettelte um einen Aufschub, bloß um einen kleinen Aufschub. Wenn sie bleiben dürfe, würde sie seinen Untertanen diese neue Leidenschaft verborgen halten, die vielleicht, kennte man sie, deren Respekt verringern könnte.
Erschüttert gab Ludwig vorläufig nach, gestattete ihr jedoch nur, über Nacht zu bleiben, und beklagte sich bei Richelieu über die Verlegenheit, in die ihre Verzweiflung ihn bringe. Dieser versprach, alles zu ordnen. Er ging zu Madame de Mailly, stellte ihr vor, wie unwürdig der König einer Liebe sei wie der ihrigen, und wie schlecht sie auf ihre eigene Ehre bedacht sei, wenn sie sich in solcher Art an ihn und an das Schloß klammere. Er bot ihr an, sie, wenn sie es wünschte, nach Paris zu begleiten. Sie erwiderte: »Ich werde dieses Opfer bringen, ich selbst werde den Tod davon tragen; aber noch heute Abend werde ich in Paris sein.«
Wir besitzen Madame de la Tournelles Briefe an ihren Oheim Richelieu, nachdem es ihr gelungen war, ihre Schwester zu vertreiben. Man kann unmöglich eine härtere, kältere Gesinnung an den Tag legen. Sie bedient sich in ihrem Bericht hierüber der plattesten Ausdrücke: »Sûrement Meuse vous aura mandé la peine que j'ai eue à faire déguerpir madame de Mailly.« Sie erzählt weiter, daß sie den König noch hinhalte. So oft er sich am Ziel seiner Wünsche glaube, sähe er sich enttäuscht.
»Er hat Ihnen mitgeteilt, daß die Sache zwischen uns in Ordnung sei; er schreibt mir in einem Briefe von heute morgen, ich möge Sie aus diesem Irrtum reißen; er will nämlich nicht, daß Sie mehr glauben, als sich tatsächlich ereignet hat. Es ist wahr: als er schrieb, bildete er sich ein, es würde diesen Abend geschehen. Aber ich habe der Ausführung einige Schwierigkeiten in den Weg gelegt, was ich keineswegs bereue.«
Und sie stellt ihre Bedingungen. Sie will maîtresse déclarée sein, so wie Madame de Montespan es unter Ludwig dem Vierzehnten gewesen war. Sie will keine bescheidene Wohnung haben wie Madame de Mailly, sondern ein Palais, wo sie den König empfangen kann »auf eine Art, die seiner würdig ist«, überdies ein Landgut, ferner ein halbes Hunderttausend Livres monatlich, für fünfmalhunderttausend Livres Diamanten, das Recht, wenn nötig, Gelder aus der Staatskasse zu beheben, endlich den, vom Parlament bestätigten, Herzogin-Titel. Falls sie schwanger wird, soll ihr Zustand nicht geheimgehalten und das Kind legitimiert werden.
Der König, stets bange vor Ausgaben, bange vor der öffentlichen Meinung, bange, überhaupt einen Entschluß zu fassen, schreckte vor diesen Forderungen zurück. Aber die Favoritin ließ nicht mit sich feilschen, heuchelte Gleichgültigkeit, sprach davon, zu dem Herzog von Agénois zurückzukehren, behauptend, jene aufgefangenen Briefe bedeuteten nichts, seien eine flüchtige Laune, keine wirkliche Untreue, reizte den König gleichzeitig durch die geschickteste Koketterie, versicherte ihn, er täte weit besser daran, sich an andere Frauen zu wenden; ihr würde er dadurch nur ein wahres Vergnügen bereiten.
Da man im Publikum überzeugt war, daß sie längst kapituliert habe, kamen ihr mit der Post all die Schmählieder zu, die in Paris über sie und den König gesungen wurden. Die meisten dieser Verse lassen sich schwer zitieren. Hier sei einer angeführt, in dem bloß gesagt wird: Sollte das Pack es anstößig finden, daß drei Schwestern einander ablösen, würde der Erzbischof von Tencin ohne Schwierigkeiten den Sündenerlaß erteilen:
Si la canaille ose crier
De voir trois sœurs se relayer,
Au grand Tencin envoyez-la,
Alléluia.
Anscheinend belustigt, sang Madame de la Tournelle selbst dieses Liedchen ihren Gästen vor.
Lange noch ehe sie dem König irgendwelches Recht über ihre Person eingeräumt, hatten sowohl er wie sie jede Art Quälereien durch ihre Verbindung zu ertragen. Der Kardinal überhäufte seinen ehemaligen Schüler mit Vorwürfen, zeigte ihm aufgefangene Briefe der Pariser, in denen es hieß: »Der König wird nicht mehr so geliebt wie früher«, appellierte an seine religiösen Gefühle, drohte ihm mit Gottes Zorn. Alles vergebens. Da sah der Kardinal sich denn genötigt, Maurepas zu bewegen, den ganzen Schwarm von Spottweisen, den er und sein Kreis fabriziert hatte, loszulassen; sie pfiffen Madame de la Tournelle wie Kugeln um die Ohren. Aber nichts rührte sie, wie auch nichts auf den wildverliebten König Eindruck machte.
Sie ließ ihn noch lange vergeblich schmachten und nachts furchtsam an ihre Türe kratzen. Er wurde nicht eingelassen, bevor sie sich als unbedingte Herrscherin fühlte. Der Friede und Lebensfrohsinn, der sich endlich im Dezember 1742 über die verstörte Physiognomie des Monarchen breitete, bewies den Hofleuten genugsam, daß Aeneas und Dido einander in der Grotte begegnet waren. Und von nun an erschien Ludwig der Fünfzehnte wie von einem Glückstaumel ergriffen. Frankreich war ihm noch gleichgültiger geworden als zuvor. Weder Prags Belagerung, noch die Niederlagen in Bayern, noch die Stellung des Heeres hatten Raum in seinem Innern; er kürzte den Staatsrat ab; er schwelgte in feinen Gerichten und guten Weinen. Wenn seine Geliebte an ihren lieben Onkel schrieb, fügte er eine ausgelassene Nachschrift hinzu von jener Art, die geschrieben, aber nicht gedruckt werden kann. Interessante Begebenheiten für ihn waren weder Siege noch Niederlagen in Europa, dagegen, daß Richelieu Forellen aus dem Genfer See sandte, oder daß einer der Hofleute eine ganz besonders schlüpfrige Anekdote erzählte.
Da starb zu Beginn des Jahres 1743 der alte Cardinal Fleury in seinem neunzigsten Jahre und der König, endlich von aller Vormundschaft befreit, atmete auf. Die Favoritin war nach Versailles übersiedelt, und sie hatte die für den König so wohltuende Eigenschaft: Ruhe. Sie konnte tagelang in Gedanken auf der Chaiselongue liegen, und ließ sich in ihrem Eigenwillen von nichts erschüttern.
Eines Tages bemerkte sie, daß der König ihr gegenüber mißgestimmt war. Sie ahnte den Grund nicht. Aber sie bekundete keine Neugierde. Die Ursache seines Mißmuts war, daß man einen Brief Richelieus an seine Nichte geöffnet hatte, in welchem er ihr einen Plan für ihre Aufführung, Stunde um Stunde, vorschrieb. Bald merkte sie, daß der König ihr gegenüber auf seinem Posten war, sich auch Richelieus ehrgeizigen Hoffnungen gegenüber abweisend verhielt. Sie sprach kein Wort darüber, weigerte sich nur, bei der Tafel zu erscheinen, ließ sich mitten im Versailler Schloß ihre Mahlzeiten aus einem Restaurant bringen, und lehnte des Königs Besuche ab, solange sie sich nicht in Umgebungen befand, die mit seiner und ihrer eigenen Stellung übereinstimmten. Während sie diese Haltung bewahrte, bekundete sie zugleich eine ausgezeichnete Menschenkenntnis, indem sie dem Bestreben des Königs, undurchdringlich zu erscheinen, in ihrem Verhalten entgegenkam. Sie forschte ihn nie aus. Und sie war überdies klug genug, niemals über irgendeine Person, auf die er Wert legte, Übles zu sprechen, noch sich mit jemandem, an dessen Gesellschaft er gewöhnt war, zu überwerfen. So stellte sie sich freundschaftlich zu der Familie Noailles, wiewohl diese treu zu Madame de Mailly hielt.
Bei alledem blieb der König gleich heftig verliebt. Er gab Madame de la Tournelle den Kosenamen Prinzessin und hielt sich unaufhörlich in ihrer und ihrer Schwestern Gesellschaft auf. Madame de Flavacourt, die er sehr gern mochte, erhielt den Schmeichelnamen die Henne. Sie war auffallend schön, trug etwas manieriert eine anscheinende Ehrbarkeit zur Schau, zeigte jeder zudringlichen Bewunderung gegenüber eine förmlich erschreckte oder entsetzte Miene.
Noch besser gefiel dem König die dritte Schwester, die neuvermählte Herzogin von Lauraguais, die böse Zunge. Ihr bloßes Erscheinen erschlug die höfische Langeweile; selbst lustig, verbreitete sie um sich her eine ansteckende Lustigkeit. Sie war keine fürstliche Erscheinung wie ihre bevorzugte Schwester, sondern eine volkstümliche; nicht schlank, sondern stark, von jener kräftigen, munteren Gesundheit, wie sie sonst eher Frauen aus dem Volke als Herzoginnen eigen ist; ihre Sinnlichkeit war nicht unzugänglich, sondern massiver Art, und während sie mit schelmischen und ausgelassenen Reden um sich warf, die jede Falte auf des Königs Stirn glätteten, geschah es eines schönen Tages, daß er in ihre offenen Arme sank und sich in der warmen Umschlingung vergaß. Unter ihrem Vorsitz wurden die Abendmahlzeiten lustiger, als je zuvor. Man hörte allerlei Witze. Der König versagte sich nicht kleine Vertraulichkeiten mit ihr vor den Augen der Gesellschaft, und bald raunte man allerorten bei Hofe, daß der König und die Herzogin von Lauraguais sich in einer gemeinsamen Caprice gefunden hätten. Es läßt sich denken, daß hierbei verschiedene Anzüglichkeiten über den Eintritt der vierten Schwester in die Reihe fielen.
Diese vierte war jedoch keineswegs ehrgeizig, bloß munter phlegmatisch. Ein guter Lehnstuhl, in dem sie faulenzen und sich über ihren Nächsten moquieren konnte, war alles, was sie vom Leben verlangte.
Marie-Anne war viel zu stolz und viel zu klug, um dem König oder ihrer Schwester den geringsten Vorwurf zu machen anläßlich dieser Dinge, von denen sie anscheinend nichts bemerkte und nichts gehört hatte. Aber diese unvorhergesehene Wendung übte eine höchst merkwürdige Wirkung auf ihre Gefühle aus. Sie begann sich allmählich in den König zu verlieben und entdeckte nach Verlauf einiger Zeit zu ihrer eigenen Überraschung, daß sie ihn nun wirklich liebe. Und von dem Augenblick an, da sie selbst den Flügelschlag der Leidenschaft fühlte, schlug diese auch in der Brust des Königs. Marie-Anne nahm ihn von nun an ganz in Besitz, warf ihn von einem Gemütszustand in den anderen, ließ jeder Laune die Zügel schießen, reizte ihn, stachelte ihn, wehrte ihm, verschloß ihm ihre Türe und ihre Arme, verführte ihn, indem sie ihm auf tausenderlei Art ihre Schönheit enthüllte, gegen deren Zauber die plumperen Reize der Schwester nicht einmal in Betracht kommen konnten.
Nattier hat sie gemalt als strahlende Allegorie der Kraft mit einem Tigerfell über den Schultern, mit einem Küraß um die feine und volle Brust: ein junger Körper von blendender Weiße, in geschmeidiger Stärke bewegt, mit einer Stirn, von der Strahlen ausgehen, mit einem zaubrischen Blick in den großen blauen Augen und einem Kinderlächeln auf feuchten Lippen; der Ausdruck zugleich leidenschaftlich und zärtlich.
Der Minister Maurepas war in aller Stille ein entschiedener Gegner und Hasser der Favoritin, deren Beförderung auch seine alte mißgünstige Frau alle nur erdenklichen Hindernisse in den Weg legte. Aber der König hatte nun einmal keinen anderen Willen als den, Marie-Annes Wünsche zu erfüllen.
An den Ufern der Indre lag das Herzogtum Châteauroux, dessen Äcker einen Jahresertrag von 85 000 Livres lieferten; der König kaufte es seinerzeit von seinem Verwandten, dem Grafen von Clermont, welcher Schulden zu bezahlen hatte. Es wurde auf Lebenszeit Madame de Tournelle überlassen, die hiermit zur Herzogin von Châteauroux erhoben wurde. Da Herzoginnen das Anrecht auf ein Tabourett in der Nähe der Königin besaßen, wurde jede neue Herzogin dieser vorgestellt. Diesesmal geschah die Vorstellung mit einem gewissen Zeremoniell. Es waren acht Damen zugegen, von welchen fünf saßen; unter ihnen war die Herzogin von Lauraguais. Als die Herzogin von Châteauroux aus dem Kabinett des Königs trat, um ihr Tabourett bei der Königin einzunehmen, sagte Maria Leszczynska zu ihr: »Madame, ich beglückwünsche Sie zu der Gnade, die der König Ihnen erwiesen hat.«
In der Stiftungsurkunde, die Maurepas auszufertigen genötigt war, heißt es unter anderem:
Aus diesen Gründen und da unsere teuere und vielgeliebte Cousine, Marie-Anne de Mailly, Witwe des Sieur Marquis de la Tournelle, aus einem der größten und berühmtesten Häuser Unseres Königtums stammt, anverwandt ist Unserem Hause und den ältesten in Europa; da ferner ihre Eltern durch mehrere Jahrhunderte Unserer Krone große und wichtige Dienste geleistet, sie selbst der Königin, Unserer lieben Ehegenossin, als Ehrendame verbunden ist und diesen Vorzügen all die Tugenden und vortrefflichen Geistes- und Herzenseigenschaften hinzufügt, die ihr die allgemeine Achtung und Ehrerbietung erworben haben, haben wir es passend erachtet, ihr durch Gnadenbrief vom letzten 21. Oktober das Herzogtum und die Pairie Châteauroux in Berry mit allen Liegenschaften und Zubehör zu verleihen ...
Als Herzogin war Marie-Anne an ihrem ersten und nächsten Ziel angelangt. Um zu seinem eigenen Besten ihre Stellung zu stärken, arbeitete nun mit rastlosem Eifer ihr Oheim Richelieu, der sich zu diesem Zwecke mit dem Genius der Intrigue selbst, der so oft schon genannten Madame de Tencin, alliiert hatte. Richelieu hatte sie kennen gelernt, als sie, die ehemalige Nonne, mit drei Schwangerschaften hinter sich, von Grenoble nach Paris gekommen war, um heimlich d'Alembert zur Welt zu bringen und das Kind sodann vollständig im Stiche zu lassen. (Bekanntlich wollte sie sich, als d'Alembert berühmt wurde, als seine Mutter geltend machen, wurde aber von dem Sohne abgewiesen.) Sie erwirkte durch ihren Bruder, den Kardinal, einen Brief des Papstes, der sie des Klostergelübdes entband und ihr den Titel Chanoinesse (Stiftsfrau) gab; sie wurde eine Politikerin, welche den Nutzen, den die Männer der Literatur ihr bringen konnten, von Grund auf begriff; daher ihre nahen Beziehungen zu ihnen. Glänzend ausgerüstet, vermochte sie sich in jede fremde Anschauungsweise zu versetzen und in dem Geist desjenigen zu sprechen, mit dem sie sich eben unterhielt. Wir haben gesehen, wie sehr Voltaire sie schätzte. Sie besaß nicht bloß den gesunden Menschenverstand, sondern einen geradezu von Gesundheit strotzenden, durch blutreiche Erfahrungen reichlich genährten.
Madame de Tencin lebte bloß für ihren Bruder. Und Richelieu war ja, meinte sie, der Einzige, der ihren Bruder zum Minister machen konnte. Sie schloß sich ihm also vollständig an, ordnete seine Geldverhältnisse, überwachte die Studien seines Sohnes, verrichtete Späherdienste für ihn bei Hofe und in der Stadt, bahnte ihm den Weg zur Königin, gab ihm Winke in bezug auf jede ihm drohende Gefahr, warnte ihn, nicht altem Groll noch neuen plötzlichen Einfällen nachzugeben, machte die Lauscherin für ihn, verständigte ihn mit Hilfe ihrer klugen Rekognoszierung von allem, was in Gärung war, z. B. von des Bischofs von Mirepoix wachsendem Einfluß auf den König, der für Voltaires Bewerbung um einen Platz in der Akademie verhängnisvoll werden sollte. Sie war es, die Richelieu die Unklugheit vorhielt, eine so ruchlose Persönlichkeit wie Voltaire öffentlich zu protegieren und ihn aus purer Freundschaft und Bewunderung von der Herzogin von Châteauroux beschützen zu lassen.
Mit Richelieu verband sie nur das gemeinsame Interesse; im übrigen schenkte sie leidenschaftslos ihre Gunst einer nicht geringen Anzahl von Freunden; Leidenschaft fühlte sie nur für ihren Bruder. Sie verteidigte ihr Verhältnis zu ihm mit dem verwandten zwischen dem Geschwisterpaar, der Herzogin von Grammont und dem Herzog von Choiseul. Was sie zum Bruder zog, war vielleicht nicht am wenigsten das Gefühl, daß die vielen Geheimnisse, die sie mit sich trug, am besten im Schoße der Familie bewahrt blieben.
Es war Madame de Tencin, der zuerst die Idee kam, die Herzogin von Châteauroux zu einer politischen Persönlichkeit zu machen, eine Idee, die die Favoritin bald mit Begehrlichkeit ergreifen sollte. Dadurch kreuzte sie, übrigens ohne die geringste Gehässigkeit von ihrer Seite, Voltaires Bestrebungen, die große politische Aufgabe, die Amelot, der Minister des Auswärtigen Amts, ihm übertragen hatte. Man war schon längere Zeit bestrebt gewesen, aus dem nahen Verhältnis, das zwischen Voltaire und dem König von Preußen entstanden war, Nutzen zu ziehen.
Nicht sehr oft hat sich in der Weltgeschichte der Fall ereignet, daß ein Regent auf solche Art in Beziehung zu einem großen schöpferischen Geist getreten ist, daß diese Beziehung für beide Teile Bedeutung gewann.
Im Altertum war wohl Aristoteles Alexanders Lehrer, und Alexander verschaffte ihm Bücher und sandte ihm Studienmaterial von seinen Feldzügen. Aber einen Einfluß konnte er auf den Philosophen nicht ausüben.
Cäsar und Cicero kannten einander. Cicero war Cäsars politischer Gegner; nichtsdestoweniger huldigte Cäsar in ihm dem Repräsentanten der Literatur und vergalt seine Angriffe mit ritterlicher Aufmerksamkeit; aber Cäsar schuldete Cicero weder geistige Bereicherung noch umgekehrt.
In der neueren Zeit dauerte das Verhältnis zwischen Goethe und Karl August von beider früher Jugend bis zu dem Tode des Fürsten. Goethe verdankte dem Herzog von Weimar eine gesicherte Stellung und dieser Stellung allerlei Lebenserfahrung. Aber geistige Eindrücke hat Goethe von seinem Fürsten nicht empfangen. Trotz bedeutender Eigenschaften war Karl August kein Genie.
In der späteren Zeit gibt es das Verhältnis zwischen Richard Wagner und Ludwig dem Zweiten. Wagner hatte König Ludwig Wohlstand und Arbeitsruhe zu danken; geistig jedoch beeinflußte der König den Komponisten nicht.
Das historische Verhältnis zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen ist einzigstehend. Es ist kein harmonisches Verhältnis. Es ist in den ersten fünfzehn Jahren eine Schwärmerei; dann wird es untergraben und bricht unter Voltaires Undiszipliniertheit und Friedrichs Erbitterung zusammen; später wird der Bruch geheilt und die Verbindung bleibt das ganze Leben hindurch bestehen. Dieses Verhältnis ist ein Zeugnis des Weltbürgergeistes des achtzehnten Jahrhunderts; gehören ja Fürst und Schriftsteller hier zwei verschiedenen Völkern an, wenn sie auch dieselbe Sprache haben! Das Entscheidende ist aber eben, daß Schriftsteller und Fürst hier beide Genies, ja sogar die anerkanntesten des Zeitalters sind und sichtlich Einfluß aufeinander ausüben.
Als Voltaire im August 1736 den ersten Brief von Friedrich, Kronprinz von Preußen, empfing, ging er in sein zweiundvierzigstes Jahr. Der Briefschreiber war vierundzwanzig Jahre alt. Voltaire war damals eine europäische Berühmtheit und wurde von den meisten als bedeutendster Schriftsteller des Zeitalters betrachtet. Friedrich war ein junger Prinz und nur bekannt durch das, was er hatte erdulden müssen.
Er hatte gelitten für seine Neigungen und Geistesanlagen wie Voltaire für seinen Witz und die umstürzende Kraft seiner Gedanken. Sie beide waren Opfer gewesen der Brutalität des Zeitalters und der Willkür eines Regierungssystems.
Friedrichs Vater, den Carlyle idealisiert hat, war trotz seiner guten Fähigkeiten als Organisator störrisch und hitzig, bei all seinem Rechtssinn roh und grausam. Er hatte einen Erziehungsplan für den Sohn vorgeschrieben, aus dem alles Unnütze, darunter Latein und Literatur ausgeschieden war. Er haßte das Ausländische; wenn er das Französische erlaubte, so geschah es, weil Deutsch damals kaum noch als eine Sprache betrachtet wurde. Er liebte es, seine Untertanen auf der Straße persönlich zu prügeln, wenn sie sich durch irgendetwas seine Unzufriedenheit zugezogen hatten.
Weil Friedrich als Jüngling verbotene Studien betrieb, Schulden machte, Truppenparaden kein Interesse entgegenbrachte, sollte er nach dem Willen des Vaters auf die Thronfolge verzichten. Als er sich weigerte, mißhandelte der Vater ihn barbarisch und verhöhnte ihn als feige, weil er sich in diese Mißhandlung fand. Im Jahre 1730 unternahm Friedrich einen Fluchtversuch nach England. Aber ein an seinen Freund Katte gerichteter und aufgefangener Brief verriet dem König den Plan. Abermals wurde der Prinz entsetzlich mißhandelt und dann einem Kriegsgericht unterstellt, das ihn zum Tode verurteilen sollte. Dies war ja der Stil jener Zeit. Zwölf Jahre früher hatte Peter der Große seinen Sohn Alexei totprügeln lassen und selbst die Knute geschwungen. Da das preußische Kriegsgericht nicht so blind gehorchte wie das russische, begnügte der König sich damit, den Prinzen in Küstrin in harte Gefangenschaft bringen zu lassen.
Friedrich hatte als Siebzehn- bis Achtzehnjähriger ein zärtliches Verhältnis mit einer Schulmeisterstochter in Potsdam, die er auf der Flöte begleitete, wenn sie Clavecin spielte. Der König ließ sie auf dem Potsdamer Platz vom Henker umherführen und vor den Augen des Pöbels und des Prinzen durchpeitschen.
In Küstrin wurde Friedrichs Freund Katte, als in den Fluchtplan Miteingeweihter, unter dem Fenster des Prinzen geköpft. Friedrich konnte ihm noch die Hand zum Abschied reichen.
In seinen ersten Briefen nähert Friedrich sich Voltaire mit tiefer Ehrfurcht und Dankbarkeit: Voltaires Werke seien Schätze an Geist. Bei jedem neuen Lesen erschienen sie neu. Er sei so groß, daß er allein durch seine Persönlichkeit den alten Streit entscheide, welche Literatur die bessere sei, die des klassischen Altertums oder die moderne. Es gebe niemanden, ohne Ausnahme niemanden in Europa, dessen Lehrer Voltaire nicht sein könne. Er hoffe, Voltaire werde ihn nicht unwürdig der Belehrung finden, wie gering er auch sei, denn was bedeute Geburt gegen Genie!
Voltaire, den diese leidenschaftliche Huldigung eines jungen Königssohnes in Cirey überrascht, antwortet erfreut, daß es also einen Thronerben gebe, der seine Gedanken verwirklichen wolle, daß ein Mann wie Friedrich imstande sein werde, in seinem Reiche das goldene Zeitalter zu begründen und sich selbst von Königswürde zu Menschlichkeit zu erheben.
Friedrich erwidert: Ist es möglich, daß derselbe Voltaire, dem unsere Hände Altäre und Statuen errichten, in seinem Vaterland beiseitegeschoben wird und tief drinnen in der Champagne als Einsiedler lebt! Dies ist ein Paradoxon, ein Rätsel. Voltaire habe keinen anderen Fehler als den, den übrigen Menschen überlegen zu sein. Wenn Friedrich jemals nach Frankreich kommen sollte, wird seine erste Frage sein: Wo ist Herr de Voltaire? König, Hof, Paris, Versailles, Frauen, Vergnügungen – nichts von alledem wird seine Reise gelten!
Beide bewegen sich beständig in Erinnerungen an das klassische Altertum. Voltaire wird von Friedrich Apollon oder Sokrates, Friedrich von Voltaire Trajan oder Titus genannt, er vereint Vergils Talent mit Augustus' Tugenden.
Friedrich erklärt in Reimen: Der Vers, in welchem du meinen Namen anbringst, wie man einen Heiligen in einer Nische anbringt, wird mir Unsterblichkeit verleihen. Ohne dich würde der Name nur einen Platz auf einer Stammtafel einnehmen.
Der junge Prinz hatte die Manie, tagaus, tagein mittelmäßige französische Verse zu schreiben. Er sandte sie nun an Voltaire, um sie verbessert zurückzuerhalten. Er beherrschte das Französische für einen Ausländer bewunderungswürdig, schrieb und sprach ja nur diese Sprache; aber seine künstlerische Kultur stand nicht so hoch, daß er die Widersinnigkeit begriff, in einer anderen Sprache als der eigenen lyrischer Dichter sein zu wollen; noch weniger sah er ein, daß er trotz seiner vortrefflichen Rhetorik kein Dichter war. In den Oden, mit denen, wie es in Voltaires Briefen heißt, »Seine königliche Hoheit die französische Poesie zu schmücken würdigte«, hat »amitié« vier Silben statt drei, »carrière« drei Silben statt vier und »tête« reimt sich auf »trompette«. Daß die Rechtschreibung absonderlich war, versteht sich von selbst. »Ich wage« wird »j'ause« buchstabiert, »Gesichtszüge« »tres«.
Die Beförderung dieser Briefe war eine so schwerfällige, daß Friedrich es unbegreiflich schnell nennt, wenn ein Brief vom 17. April schon am 9. Mai in seine Hände gelangt. Zwei starke Intelligenzen kommen in ihnen zu Wort. Kein Wunder, daß Voltaire vom Anfang an dem Jüngling sehr überlegen scheint. Aber schon anderthalb Jahre danach gibt es Gedankenzusammenstöße, bei welchen Friedrich sich als der vorurteilsfreiere und folgestrengere Denker erwies, wie bei der Erörterung der Wolffschen Philosophie in der Frage über Determinismus oder freien Willen.
Die Briefe Voltaires zeichnen sich weniger durch den Witz aus, der für die Nachwelt sein vornehmstes Kennzeichen geworden ist, als durch Klarheit, Geschmeidigkeit und eine Anmut, die die Anmut der Kraft ist. In diesen Briefen wie in seinen anderen ist ein unerschöpflicher Fonds von Elektrizität.
Der Prinz hatte von Anfang an den lebhaften Wunsch, Voltaires persönliche Bekanntschaft zu machen. Aber dieser fühlt sich an Cirey und an die Gebieterin des Ortes gefesselt:
Ich würde es als ein köstliches Glück betrachten, Eurer Königl. Hoheit meine Aufwartung zu machen. Man reist nach Rom, um Kirchen, Gemälde, Ruinen und Basreliefs zu sehen. Ein Fürst wie Sie verdient weit mehr eine Reise; er ist eine merkwürdigere Seltenheit. Allein die Freundschaft, die mich auf der Zufluchtsstätte, auf welcher ich mich befinde, zurückhält, erlaubt mir diesen Ausflug nicht. Sie denken ohne Zweifel wie Julian, der so sehr verleumdete große Mann, daß Freunde stets Königen vorzuziehen seien.
Friedrich sendet Geschenke: einen Spazierstock mit einem Goldknauf, der einen Sokrateskopf vorstellt; sein eigenes Porträt, das er in derselben Stunde bestellt hat, da Voltaire den Wunsch aussprach, es zu besitzen; ein kostbares Schreibzeug, von Versen begleitet, an die Marquise von Châtelet. Er schickt von Rheinsberg seinen Freund, Herrn de Kaiserling nach Cirey, der die prinzliche Huldigung der Göttin des Ortes überbringen soll; er hat dem Freunde gesagt, diese Zauberin besitze alle Gaben des Geistes und wende ihre Zeit dazu an, die Wahrheit zu suchen. In Wirklichkeit konnte Friedrich sie nicht leiden, da sie seinen Wünschen im Wege stand: »Ich bitte Sie, sagen Sie Frau Marquise du Châtelet, daß sie die einzige ist, welcher Herrn de Voltaire abzutreten ich mich bescheide, da sie allein würdig ist, ihn zu besitzen.«
Madame du Châtelet machte geltend, daß der von seinem Vater so grausam behandelte Prinz noch nicht König, also nicht sein eigener Herr sei. »Wenn er es wird, wollen wir beide hinreisen und ihn besuchen.« Dieser Plan wurde niemals verwirklicht.
Im Jahre 1736 gelang es Voltaire, seinen Protégé Thiériot als Korrespondenten bei dem preußischen Kronprinzen unterzubringen und dieser sandte gewissenhaft alle Pariser Tagesneuigkeiten, meist von geringem Wert, darunter alle gegen Voltaire gerichteten boshaften und gehässigen Streitschriften. Als Madame du Châtelet dies erfuhr, konnte sie nicht umhin, dem Kronprinzen einen entrüsteten Brief zu schreiben und ihn vor diesem angeblichen Freunde Voltaires, der ihr tiefes Mißtrauen erregte, zu warnen.
Am 31. Mai 1740 war Friedrich König geworden. Nun endlich stand es ihm frei, zu verkehren, mit wem er wollte, und also auch Voltaire von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Dieser Gedanke entzückt ihn, so sehr er auch sofort nach seinem Regierungsantritt sonst in Anspruch genommen ist. Er debutiert als Voltaires echter Schüler. Seine ersten Regierungshandlungen sind Abschaffung der Tortur, der Jagdplage für die Bauern, Auflösung der Potsdamer Riesengarde, die sein Vater angeworben, geraubt oder sich teuer erkauft hatte, Rückrufung des aus Deutschland vertrieben gewesenen Denkers Wolff als Universitätsprofessor in Halle.
Nun wird die erste Begegnung zwischen den beiden Männern vereinbart. Friedrich soll diese klugen Hände, diese klaren Augen sehen, diesen beredten Mund küssen:
Je baiserai cent fois cette bouche, éloquente
Dans le sérieux et le badin,
Dont la voix, folâtre et touchante,
Va du cothurne au brodequin
Toujours enchanteresse et toujours plus charmante.
Voltaire ist damals in den Niederlanden, beschäftigt, Friedrichs Buch Anti-Machiavelli herauszugeben, in welchem der König die streng redliche Politik verteidigte, die nicht eben seine eigene wurde; das Buch war als Angriff auf den französischen Minister Cardinal Fleury gemeint.
Voltaire ersucht den König, Tropfen für ihn mitzunehmen, denn er wird sicherlich vor Freude ohnmächtig werden. Friedrich schreibt: Es wird der schönste Tag meines Lebens sein; ich glaube, ich sterbe daran.
Friedrich bekam Wechselfieber, der Ort der Zusammenkunft mußte geändert werden und Voltaire zu ihm reisen.
Im Schlosse Moyland bei Cleve wurde er durch mehrere leere Säle in ein kahles Zimmer geführt, wo auf einem Ruhebett unter einem Reitermantel in Fieberschauern ein kleiner Mann lag. Es war Friedrich. Das Fieber setzte infolge der Gemütsbewegung aus. Vom 11. bis 14. September waren die beiden großen Menschen zum erstenmal beisammen. Man ist ja von Seiten Friedrichs auf ein wenig Enttäuschtsein gefaßt. Aber er schreibt eine Woche danach an Jordan:
»Ich habe also diesen Voltaire gesehen, den zu kennen ich so neugierig war. Ich hatte Wechselfieber und meine Seele war ebenso angegriffen wie mein Körper geschwächt. Aber mit Leuten seiner Art darf man nicht krank sein; man muß sich eher besser befinden, als gewöhnlich. Er hat Ciceros Beredtheit, Plinius' Sanftmut, Agrippas Weisheit. Er vereint die Tugenden und Talente der drei größten Männer des Altertums. (Friedrich war nicht tiefer in das Wesen des klassischen Altertums eingedrungen, als daß er Cicero, Plinius und Agrippa für dessen größte Männer hielt.) Sein Geist arbeitet ohne Unterlaß. Jeder Tropfen Tinte, der aus seiner Feder kommt, ist ein Funke von Geist ... Frau du Châtelet ist beneidenswert, daß sie ihn hat.«
Voltaire hatte öfters, aber vergeblich, Schritte getan, in die französische Akademie aufgenommen zu werden, besonders im Jahre 1732; er hatte damals nicht einmal die Hälfte der Stimmen erhalten. Ein heute vollständig in Vergessenheit geratenes Mitglied der Akademie, das seit seinem siebenundzwanzigsten Lebensjahre ständiger Sekretär an der Académie des inscriptions et belles-lettres gewesen war, Claude Gros de Boze, erklärte bei dieser Gelegenheit, Voltaire könne niemals als Mitglied in Frage kommen. Dies war schon damals nicht die Ansicht des Auslandes. D'Alembert erzählt, daß ein Akademiker, der in Deutschland reiste und dem Landessouverän mitteilte, daß Voltaire keinen Platz in der französischen Akademie habe, die Antwort erhielt: Wer ist denn darin?
Als durch Cardinal de Fleurys Tod ein Platz frei wurde, bewarb Voltaire sich eifrig um die Stelle und schrieb seiner Gewohnheit nach allerart Briefe, in welchen er versicherte, er sei guter Katholik, wisse nicht, was für Lettres philosophiques das seien, die man ihm zuschreibe und habe niemals ein Buch dieses Titels herausgegeben – eine Haltung, die keineswegs nach Friedrichs Geschmack war. Allein es war bekannt, daß niemand Zutritt zur Akademie erhielt, der Jansenist oder Freidenker war. Das erstere konnte Voltaire ohne Schwierigkeit von sich weisen. Es war weniger leicht, das zweite in Abrede zu stellen.
Indessen mußte er ja für die Französische Akademie als selbstverständlich bestimmt erscheinen. Der König gab denn seine Einwilligung, augenscheinlich unter der Einwirkung der von Richelieu beeinflußten Madame de Châteauroux; aber er konnte ja auch diese Einwilligung zurückziehen, und dies eben sollte durch Intriguen erreicht werden.
In seinen Mémoires pour servir à l'histoire de M. de Voltaire erzählt er selbst mit Bitterkeit den Verlauf der Sache in folgenden Worten:
Ein alter Dummkopf, Lehrer des Dauphin, ein früherer Theatiner, nachmals Bischof von Mirepoix, Boyer mit Namen, nahm es auf sich, die Caprice des Herrn Maurepas zu unterstützen. Diesem Boyer überließ der König alle Angelegenheiten der Geistlichkeit. Dieser Vorfall war in seinen Augen ein Punkt, der zur Kirchenzucht gehörte. Er stellte dem Könige vor, daß es Gotteslästerung wäre, wenn ein Weltmensch wie ich einem Kardinal nachfolgte. Ich wußte, daß Herr de Maurepas dahinterstand. Ich ging den Minister aufsuchen und sagte ihm: ein Platz in der Akademie ist zwar keine wichtige Würde, aber es ist doch traurig davon ausgeschlossen zu werden, wenn man schon vorgeschlagen war. Sie sind mit Madame de Châteauroux überworfen, die der König liebt, und mit dem Marschall Richelieu, der sie leitet; welchen Zusammenhang, ich bitte Sie, haben Ihre Uneinigkeiten mit einem Platz an der Französischen Akademie? Ich beschwöre Sie, mir frei zu antworten. Im Fall Madame de Châteauroux sich einflußreicher zeigte als der Bischof von Mirepoix, würden Sie sich widersetzen? Er besann sich einen Augenblick und sagte dann: Ja, und ich werde Sie vernichten.
Der König hatte zwar Voltaire seine Zustimmung gegeben; aber wie wir oben sahen, war Richelieu von Madame de Tencin umgestimmt worden, und der Wind hatte sich daher gedreht. Man bewog einen zierlichen Prälaten, den Bischof von Bayeux, der nichts mit Literatur zu tun hatte und der eine kleine Provinzakademie in der Stadt Caen protegierte, sich um den freien Platz zu bewerben; er wurde am 22. März 1742 einstimmig gewählt.
Wie sich denken läßt, war Voltaire höchlichst irritiert, Friedrich nicht minder. Er schrieb: »Ich erwartete zwar, daß Voltaire durchfallen würde, wenn er sich einem hohen Gericht von lauter mit Krummstäben und Bischofsmützen ausgerüsteten Midasen (mit Eselsohren) vorstellen würde. Überwinden Sie sich, eine Nation zu verachten, die Verdienste verkennt ... und begeben Sie sich nach einem Lande, wo man Sie liebt und wo man nicht bigott ist.«
Es war nicht die einzige Niederlage, die Voltaire in diesen Tagen erlitt. Der alte Crébillon hatte sich als Zensor (und als Rivale im Tragödienfache) geweigert, die Aufführung von Mahomet zu gestatten, und widersetzte sich nun im Juni 1743 auch der Aufführung des Stücks La Mort de César, wie Voltaire sagt, »aus dem Grunde, weil Brutus Cäsar nicht hätte umbringen sollen, und darin hat er ja unbestreitbar Recht, da man überhaupt niemanden umbringen soll«. (Das Stück wurde dennoch, vielleicht infolge der Bestrebungen Madame du Châtelets einige Monate später gespielt.)
Allein dies letzte Verbot reifte Voltaires Verlangen, den Kampfplatz zu verlassen. Schon viele Jahre zuvor (im August 1735) hatten Schüler des Collège d'Harcourt das unschuldige Stück La Mort de César gespielt. Und König Friedrich hatte es aufführen lassen. Voltaire schreibt an Cideville: »Da er selbst mir die Gnade erwiesen hat, zusammen mit einigen seiner Hofleute Julius Cäsar auf einem seiner Lustschlösser zu spielen, ist es nur natürlich, daß ich ihm zuliebe die Westgoten verlasse, die sich nicht darein finden wollen, daß man das Stück in Frankreich spielt.«
Friedrich, dem es zur fixen Idee geworden war, Voltaire täglich um sich zu haben, schrieb in seiner Freude über all die Schikanen, die man ihn auf französischem Boden erdulden ließ, an seinen Freund Jordan: »Ich glaube, Voltaire wird Frankreich nun auf immer verlassen«. Und später im Juni 1743 diese Verse:
Paris et la belle Emilie
A la fin ont pourtant eu tort;
Boyer avec l'Académie
Ont, malgré sa palinodie,
De Voltaire fixé le sort.
Berlin, quoi qu'il puisse nous dire,
A bien prendre, est son pis-aller.
Mais qu'importe? Il nous fera rire
Lorsque nous l'entendrons parler
De Maurepas et de Boyer
Plein du venin de la satire.
Madame du Châtelet war sehr übel zumute, als Voltaire abreiste; sie litt stets unter seiner Abwesenheit; diesmal aber fürchtete sie besonders die Lockungen, die von dem König von Preußen ausgingen. Sie schreibt am 28. Juni 1743 an d'Argental:
Er ist nach Holland gefahren, von wo er wahrscheinlich nach Preußen geht. Und dies ist der Gegenstand all meiner Angst. Denn der König von Preußen ist für mich ein sehr gefährlicher Nebenbuhler. Ich bin unendlich betrübt und wiewohl ich fühle, daß er ein gewisses Unrecht begeht – denn an seiner Stelle wäre ich wahrlich nicht gereist –, so ist mein innerstes Gefühl das der Sorge. Ich bin hier geblieben in der Hoffnung, dennoch die Aufführung des César zu ermöglichen und dadurch seine Rückkehr zu beschleunigen; ich zweifle daran, daß es mir gelingen wird, und will in diesem Falle nach Brüssel fahren, wo er mit mir zusammenzutreffen versprochen hat.
So übel Voltaire auch behandelt wurde, seine Persönlichkeit war durch die Freundschaft und Bewunderung, die der König von Preußen unverhohlen für ihn an den Tag legte, für die Führenden dennoch hoch an Wert gestiegen. Die Zeit war ja fern, da das Frankreich Ludwigs des Vierzehnten in Europa dominierte, so daß von des Königs Feldherrn und Armeen Angst und Schrecken ausgingen. Eine Reihe von Niederlagen, wie die bei Dettingen, hatte bewirkt, daß man in Europa die französischen Heere belächelte und sich über die französische Politik lustig machte.
Außerhalb Frankreichs sah man über Ludwig den Vielgeliebten einfach hinweg; dagegen waren aller Augen auf den König von Preußen gerichtet. Jede der Mächte versuchte ihn an sich zu ziehen; die Engländer strebten seine Abneigung gegen Frankreich wach zu erhalten.
Für den französischen Staat, der sich unfähig erwiesen, sich seine früheren Bundesgenossen zu erhalten, und ohnmächtig gezeigt hatte, neue zu gewinnen, hätte es einen großen Fortschritt bedeutet, eine Allianz mit eben dem König zu erreichen, dessen Name geniale Energie war. Er war Voltaires Held, aber zum Ersatz war Voltaire sein Abgott. Es schien also des Versuches wert, sich des Dichters als geheimen Diplomaten zu bedienen.
Voltaire hatte stets nach Kräften dahin gewirkt, den preußischen König für die französische Sache zu gewinnen. Man ersieht dies z. B. aus der Antwort, die Friedrich ihm am 20. August 1743 aus Potsdam sandte:
»Die Schilderung, die Sie mir von Frankreich geben, ist mit sehr schönen Farben gemalt. Aber Sie können mir sagen, was Sie wollen, ein Heer, das drei Jahre nacheinander flüchtet und überall geschlagen wird, wo es sich zeigt, ist sicherlich keine Schar von Cäsaren oder Alexandern.«
Das Ministerium in Paris hatte also beschlossen, Voltaires Verbindung mit Friedrich für seine Zwecke zu benutzen. Graf d'Argenson hegte seit altersher Wohlwollen für Voltaire, Richelieu trat noch eifriger für die Sache ein und gewann schnell Madame de Châteauroux und durch sie den König. Genau zu demselben Zeitpunkt, da die kirchliche Partei ihre Triumphe über Voltaire feierte, verließ er denn Paris mit geheimen Instruktionen des Ministers des Äußeren, Amelot. Es handelte sich darum, Friedrich die Gefahr vorzustellen, die ihm von seiten dieses Österreichs drohte, welches soeben erst Frankreich überfallen hatte, und ihn womöglich zu bestimmen, den Franzosen zu Hilfe zu kommen, indem er hunderttausend Mann nach Schlesien schickte. Voltaire sagt hierüber in seinen Memoiren:
Ein Vorwand war notwendig. Ich nahm dazu meinen Streit mit dem früheren Bischof von Mirepoix. Der König gab seinen Beifall hierzu. Ich schrieb dem König von Preußen, daß ich die Verfolgungen dieses Theatinermönchs nicht mehr aushalten könnte und zu einem philosophischen Könige flüchten wolle, um den Schikanen eines dumm-frommen Bischofs zu entgehen. Da dieser Prälat sich stets (mit Abkürzung) anc. évèq. de Mirepoix unterzeichnet statt ancien, so gab dies Anlaß zu Witzen (âne statt ancien); und nie hat es lustigere Verhandlungen gegeben.
Der König von Preußen, der niemals die Finger dazwischen legt, wenn es galt, auf Mönche und Hofprälaten loszuschlagen, antwortete mir mit einer Sintflut von Possen über den Esel Mirepoix und hieß mich kommen. Ich richtete es so ein, daß der Minister jeden Brief und jede Antwort las (Voltaire hat augenscheinlich keine Empfindung dafür, daß er hier an der Freundschaft mit Friedrich sündigt und sich zu einer Art feinerer Spionage herabläßt). Der Bischof wurde verständigt. Er beklagte sich bei Ludwig dem Fünfzehnten darüber, daß ich, wie er sagte, ihn bei fremden Höfen als einen Gimpel hinstellte. Der König antwortete ihm, dies sei eine verabredete Sache, die er sich nicht nahegehen lassen solle.
Als Lohn bedingte sich Voltaire, daß sein Vetter Marchand Heereslieferant für Futterstoffe und Uniformen würde. Natürlich erhielt er hiervon seinen Anteil, so wie ihn früher die Brüder Pâris an den großen Einnahmen für Lebensmittellieferungen, die er ihnen verschaffte, beteiligt hatten. Als der Minister d'Argenson später die Lieferung gern einem gewissen Herrn de Vallat übertragen hätte, schrieb Madame du Châtelet in Voltaires Abwesenheit (28. August 1743) an den Grafen d'Argenson über die Sache und ordnete sie.
Voltaire ging zuerst nach dem Haag, wo er in dem Palais des Königs von Preußen wohnte. Graf von Podewils, der preußische Gesandte in Holland, war sein Wirt. Dieser Graf, jung, hübsch und von einer jungen Frau geliebt, die die Gattin eines einflußreichen Mitglieds der Generalstaaten war, erhielt von seiner Geliebten Kopien der geheimen Beschlüsse aller Frankreich feindlich gesinnten Staaten. Voltaire ließ sie abschreiben und dem französischen Ministerium des Äußeren zukommen. Er war solcherart in der Lage, genauen Bescheid über Militärausgaben und Truppenstärke der holländischen Republik zu geben – Dinge, um die niemand in Frankreich wußte. Um Madame du Châtelet zu beruhigen und ihrem Selbstgefühl zu schmeicheln, ließ er alle Briefe und Pakete durch ihre Hände gehen.
An Friedrich, dem die Schlacht bei Dettingen eine sehr geringe Meinung von den Franzosen beigebracht hatte, schrieb Voltaire: »Es scheint nicht, daß es den Franzosen an Mut gefehlt hat. 250 Musketiere durchbrachen fünf englische Linien und wichen erst sterbend; die große Anzahl toter und verwundeter Edelleute liefert einen unzweifelhaften Beweis von Tapferkeit. Was könnte diese Nation ausrichten, falls sie von einem Fürsten, wie Sie es sind, befehligt würde!«
Der König fühlte sich dennoch nicht von den militärischen Tugenden des französischen Heeres überzeugt.
Es wäre für Voltaires Pläne nutzbringend gewesen, den König von Preußen gegen Holland aufzubringen und ihn mit den Generalstaaten zu zerwerfen, die heimlich ihre Munition durch sein Landesgebiet passieren ließen; hier aber begegnete er – drolligerweise – dem heftigen Widerstand des preußischen Gesandten selbst. Im Falle eines Bruchs mit Holland wäre dieser nämlich sofort aus dem Haag heimberufen worden und Graf Podewils wollte um keinen Preis seine Geliebte verlassen. Von solchen Umständen hing damals das Schicksal der Reiche ab.
Machte Voltaire sich nun kein Gewissen daraus, Friedrichs Briefe vor Augen zu entfalten, für die sie sicherlich nicht bestimmt waren, so machte (possierlich genug, aus purer Liebe und Bewunderung) Friedrich sich seinerseits nicht das geringste Gewissen daraus, noch ärgeren Mißbrauch mit Voltaires Briefen zu treiben – ein Mißbrauch, der, wiederum komisch genug, im voraus unschädlich gemacht worden war.
Friedrich schrieb an den preußischen Sendboten in Versailles, den Grafen von Rottembourg: »Anbei das Bruchstück eines Briefes von Voltaire, das ich Sie auf irgendeinem Schleichweg dem Bischof von Mirepoix in die Hände zu spielen bitte, ohne daß Sie oder ich in die Sache verwickelt werden können. Meine Absicht ist dabei, einen Bruch zwischen Voltaire und Frankreich herbeizuführen, so daß ihm nichts zu tun übrig bleibt, als zu uns zu kommen.«
Beide Teile waren zu klug, um sich foppen zu lassen. Voltaire entdeckte bald, daß der König ihn seinem Feinde ausgeliefert hatte. Friedrich schrieb am 14. Oktober an Rottembourg: »Voltaire hat, ich weiß nicht wieso, den kleinen Verrat, den wir an ihm begangen, entdeckt und ist äußerst verstimmt darüber; er wird sich hoffentlich wieder umstimmen.«
Voltaire seinerseits teilte dem Minister Amelot mit:
Er hat mehrere Briefe an mich geschrieben über den Mann, der als Vorwand diente (den Bischof von Mirepoix), und ich habe etliche an ihn gerichtet, die mit derselben Freiheit abgefaßt waren. Es finden sich in seinen Billetten sowie in den meinen einige gewagte Verse, die einem König nicht schaden können, wohl aber einem Privatmann. Er hat gemeint, daß ich, hätte ich mich erst ernstlich mit dem Manne entzweit, der der Gegenstand dieser Scherze war, gezwungen sein würde, seine Anerbieten, die ich bisher stets zurückgewiesen habe, anzunehmen und mithin am preußischen Hofe zu leben. Aber ich schwöre Ihnen, daß ich lieber in einer Stadt der Schweiz leben, als um diesen Preis die Gunst eines Königs genießen würde, der imstande ist, selbst in die Freundschaft Verrat zu mischen.
In Wirklichkeit war die Zeit noch fern, da Voltaire Ferney als Aufenthalt Berlin vorzog und im Grunde genommen ging Voltaires Groll nicht tief. Er fühlte sich sehr wohl in des Königs Nähe, sowie dieser in der seinen.
Vom 30. August bis zum 12. Oktober hielt Voltaire sich in Berlin auf.
Friedrich stellt sich, als glaubte er nicht an die Möglichkeit einer Allianz zwischen Versailles und Potsdam: Er hat, sagt er, kein Zutrauen. Er weiß, was der französische Ambassadeur in Mainz vorgeschlagen hat: Frieden mit der Königin von Ungarn, Wiedereinsetzung des Kaisers und einen Schadenersatz auf Preußens Kosten. – Voltaire antwortet, dies sei ein Gerücht, das Österreich verbreite, um eine Annäherung zwischen den beiden Mächten zu verhindern. »Hat man Sie nicht im Mai dieses Jahres auf ähnliche Art verleumdet? Hat man nicht nach Holland geschrieben, daß Sie der Königin von Ungarn ein Bündnis mit ihr gegen Frankreich vorgeschlagen haben?« – »Ich schwöre Ihnen,« antwortete Friedrich (aber, schreibt Voltaire, »mit niedergeschlagenen Augen«), »daß nichts falscher ist.« – »Gut, Sire, aber warum dann nicht einfach ein Bündnis mit Frankreich und dem Kaiser schließen gegen den gemeinsamen Feind, der Sie und uns mit der gleichen Leidenschaft haßt und verleumdet? Welch' anderen Bundesgenossen können Sie bekommen als Frankreich?«
Um einen Entschluß zu fassen, mußte sich Friedrich, wie er behauptete, zuerst der Mitwirkung einiger von den Fürsten des Kaisertums versichern; er reiste daher nach Bayreuth, wohin Voltaire ihn begleitete. Vor der Abreise aber wurden die Verhandlungen zwischen dem Schriftsteller und dem König fortgesetzt, zeitweise in der Form von Frage und Antwort auf demselben Blatt Papier, das im Schloß von Zimmer zu Zimmer ging. Ein kurioses Beispiel ist das Blatt vom September, welches Voltaire im Oktober an das Auswärtige Amt einsendet. Es enthält neun ausführliche Fragen und neun – meist scharf abweisende – Antworten. Man merkt diesen Antworten jedoch an, daß Friedrich gewarnt worden war, auf seinem Posten zu sein; man hatte ihn verstehen lassen, daß unter der unschuldigen Maske der Freundschaft ein ausgesandter Späher ihm am Busen gelegen und dieser »man« war vermutlich der französische Gesandte in Berlin, Herr de Valori selbst, den Voltaire natürlich unterstützen sollte, den er aber (ohne offizielles Mandat) in Wirklichkeit überflüssig machte. Hier einige der genannten Fragen und Antworten:
( Voltaire)
Ist es nicht klar, daß die Friedenspartei unfehlbar den Sieg in Holland davon tragen muß? ... Ist es nicht klar, daß Frankreich Kraft und Besonnenheit zeigt?
( Friedrich)
Ich bewundere Frankreichs Besonnenheit; aber Gott bewahre mich, ihr nachzuahmen!
( Voltaire)
Würden Sie sich nicht mit unsterblichen Ehren bedecken, wenn Sie sich einfach als Beschützer des Kaiserreichs erklärten? Liegt es nicht in Ihrem höchsten Interesse, die Engländer zu hindern, Ihren Feind, den Großherzog, zum römischen König zu machen?
( Friedrich)
Frankreich hat größeres Interesse als Preußen, dies zu verhindern; und, lieber Voltaire, in diesem Punkt sind Sie falsch unterrichtet. Man kann einen römischen König nicht ohne Einstimmigkeit der Fürsten wählen, so daß, wie Sie sehen, die Wahl immerhin von mir abhängt.
( Voltaire)
Wer bloß eine Viertelstunde lang mit dem Herzog von Aremberg, dem Grafen von Harrach, Lord Stair, wem immer von Österreichs Anhängern gesprochen hat, hat sie sagen hören, daß sie darauf brennen, in Schlesien einzufallen. Haben Sie, Sire, also einen anderen Bundesgenossen als Frankreich? ...
( Friedrich)
Laßt sie kommen; sie sollen einen warmen Empfang haben: On les y recevra, biribi A la façon de Barbari Mon ami.
( Voltaire)
Welche Partei Eure Majestät auch nehmen, werden Sie mir die Ehre erweisen, sich mir anzuvertrauen als demjenigen, den es verlangt, seine Tage an Ihrem Hofe zu verbringen? Darf ich die Auszeichnung haben, Sie nach Bayreuth zu begleiten? Ich muß es ein wenig beizeiten wissen, um mich zur Reise vorzubereiten ...
( Friedrich)
Wenn Sie nach Bayreuth kommen wollen, soll es mir lieb sein, Sie dort zu sehen, vorausgesetzt, daß die Reise Ihre Gesundheit nicht angreift. Es hängt also von Ihnen selbst ab, die Verhaltungsmaßregeln, die Sie für entsprechend halten, zu treffen.
( Voltaire)
Sofern Eure Majestät ... mich zum Überbringer irgendeiner angenehmen Mitteilung an meinen Hof machen könnten, würde ich Sie anflehen, mir diesen Auftrag zu geben.
( Friedrich)
Ich stehe in keiner Verbindung mit Frankreich; ich habe nichts von ihm zu hoffen oder zu fürchten. Wenn Sie wollen, will ich eine Lobpreisung Ludwigs des Fünfzehnten schreiben, an der kein wahres Wort sein wird. Aber in der Politik gibt es nichts, das uns vereinigt, und es kommt mir nicht zu, als erster zu sprechen. Wenn man mich nach etwas fragt, ist es Zeit zu antworten ...
( Voltaire)
Tun Sie, wie es Ihnen beliebt. Ich liebe Eure Majestät in jedem Falle aus ganzem Herzen. V.
( Friedrich)
Ich liebe Sie aus ganzem Herzen; ich achte Sie; ich will alles tun, um in Ihren Besitz zu kommen, nur keine Torheiten und Dinge, die mich lächerlich machen und meinen Interessen und meiner Ehre widerstreben würden ... Die französische Monarchie ist ein starker Körper ohne Seele und ohne Nerv. F.
Voltaire hatte es ja nur auf sich genommen, die Denkungsart des Königs von Preußen zu sondieren. Er besaß selbstverständlich keine Vollmacht, ein Bündnis zu schließen. Dem Wortlaut nach enthielt Friedrichs Antwort nur eine höhnische Abweisung der Allianzpläne. Studiert man aber seine Worte genauer, so zeigt es sich, daß dasjenige, worauf er Gewicht legt, ist, nicht formell den ersten Schritt zu tun, sondern ein diskutables Anerbieten zu empfangen. Im entgegengesetzten Fall würde er sich »lächerlich« machen. Es ließ sich also voraussehen, daß die Verhandlungen, die Voltaire kraft seines nahen Verhältnisses zu dem Könige eingeleitet hatte, ohne Schwierigkeit von einer Persönlichkeit aufgenommen werden könnten, welche an der Quelle der Macht saß – einer Persönlichkeit wie die Herzogin von Châteauroux es war.
Voltaire hatte schon in Rheinsberg, während Friedrich Kronprinz war, die Bekanntschaft von dessen Schwester, der Markgräfin von Bayreuth, gemacht und den besten Eindruck von dieser aufgeweckten, höchst begabten Dame empfangen.
Als Dank für ein kleines Päckchen, das sie ihm als Gabe zusandte, hatte er am 26. Dezember 1741 geantwortet: »Ich werde nie aufhören, Madame, sehnsüchtig der Tage zu gedenken, da ich die Ehre hatte, Eurer Königlichen Hoheit und Seiner Majestät in dem stillen Rheinsberg meine Aufwartung zu machen. Die Güte, mit welcher der Markgraf mich auszeichnete, ist mir beständig gegenwärtig, und was ich wünschte, ist bloß, mindestens noch einmal in meinem Leben derselben Ehre teilhaftig zu werden.«
Er wurde denn in Bayreuth als alter Freund empfangen. Die Markgräfin Friedrike Wilhelmine, deren Lebenserinnerungen uns über ihres Vaters barbarische Grausamkeit und über ihre eigene traurige Jugend belehren, hatte eine halbe Meile Wegs von der Stadt ein einstöckiges Schlößchen, genannt Eremitage, für sich erbauen lassen. Seine Gemächer waren marmorbekleidet, der Konzertsaal sogar aus weißem und grünem Marmor mit einem Fries, auf welchem die schönsten Frauen des Zeitalters porträtiert waren. Ihr Schlafzimmer war mit seltenen japanischen Holzarten bekleidet; von den Fenstern blickte man über romantisch angelegte Gärten. Die Herrin des Hauses war aber nicht romantisch. Sie ehrte und verehrte Voltaire, saß nachts auf, um Gesänge aus La Pucelle nach seiner eigenen Handschrift abzuschreiben. Und die vierzehn Tage, die Voltaire hier verbrachte, waren eine Reihe von ihm zu Ehren veranstalteten Festen, man spielte Opern und Komödien, hielt Jagden ab, arrangierte stimmungsvolle Abendmahlzeiten.
Vor der Rückkehr des Dichters nach Berlin ließ Friedrich innerhalb des kurzen Zeitraums von vier Tagen einen prächtigen Saal in seinem Schlosse zum Theater verwandeln, um hier eine Oper zu spielen, die Voltaire zu hören wünschte. Prinzen und Prinzessinnen aus der Umgebung waren hier versammelt und von ihnen allen wurde Voltaire vergöttert und verhätschelt. Friedrichs junge Schwester, die anmutige Ulrike Eleonore (die nachmalige Mutter Gustavs des Dritten von Schweden) begann einen regelrechten Flirt mit ihm. Er ging keck auf den Spaß ein, wie die freie Sprache folgender entzückender Scherzreime zeigt:
Souvent un peu de vérité
Se mêle au plus grossier mensonge.
Cette nuit dans l'erreur d'un songe
Au rang des rois j'étais monté;
Je vous aimais, princesse, et j'osais vous le dire,
Les dieux à mon réveil ne m'ont pas tout ôté:
Je n'ai perdu que mon empire.
Dieses kleine Madrigal offenbart Voltaire als scherzhaften und geistvollen Epigrammatiker von seiner besten Seite.
Daß die Prinzessin die Dreistigkeit des Dichters nicht übel aufnahm, zeigt am besten ihr Versuch, ihre Antwort zu versifizieren, ein Dank, bei dessen Ausführung ihr wohl ziemlich sicher der Bruder beigestanden hat. Sie schreibt, während Voltaire in Berlin sei, stehe seine Emilie ihm immer vor Augen und dadurch würde Ulrike kraft der Illusion zur Königin der Schönheit. Zweifellos sei auch ihm der Unterschied zwischen ihm selbst und Emilie einerseits und der Prinzessin andererseits fühlbar.
Au haut de l'Hélicon vous placez vous-même:
Moi, je dois tout à mes aïeux,
Tel est l'arrêt du sort suprême.
Le hasard fait les rois, la vertu fait les dieux.
Voltaire verlor Ulrike Eleonore niemals aus den Augen. Unter seine schönsten und tiefsinnigsten Gedichte zählt jenes, das er an sie richtete, als sie Prinzessin von Schweden war, das von dem Wert der Zeit und von der Torheit der Menschen spricht, die mit Tand und Spiel die Zeit vergeuden. Das Gedicht endet mit dem klassischen Vers:
S'occuper c'est savoir jouir:
L'oisiveté pèse et tourmente.
L'âme est un feu qu'il faut nourrir
Et qui s'éteint s'il ne s'augmente.
Zeigen die Gedichte an die Prinzessin Voltaire von seiner besten Seite als eleganten Epigrammatiker, so schrieb er in denselben Tagen ein Gedicht an Friedrich, das den künftigen Voltaire verrät, den Fürsprecher der Verlassenen, der Zurückgesetzten, der Erbarmungswürdigen, – eines der vielen Gedichte, die seinem großen Herzen Ehre machen.
Im Spandauer Gefängnis saß ein alter Edelmann aus der Franche-Comté, ein Mann von drei Ellen Höhe, den Friedrich Wilhelm I. wegen seiner Körperlänge hatte entführen lassen. Man hatte ihm eine Stelle als Kammerherr versprochen, aber des Königs Manie für lange Soldaten machte ihn zum simpeln Gardisten. Der arme unfreiwillige Soldat versuchte zu desertieren, wurde ergriffen und dem Könige vorgeführt. Er war unklug genug, diesem ins Gesicht zu sagen, daß er bereue, solch einen Tyrannen nicht erschlagen zu haben. Man schnitt ihm Nase und Ohren ab, ließ ihn sechsunddreißigmal Spießruten laufen und hierauf in Spandau hinter dem Schubkarren gehen.
Friedrich hatte es seiner eigenen Mutter abgeschlagen, diesen Gefangenen zu begnadigen. Voltaire richtete an ihn das Gedicht, das beginnt:
Génie universel, âme sensible et ferme,
Grand homme, il est sous vous des malheureux mortels;
Mais quand à ses vertus on n'a point mis de terme,
On en met aux tourments des plus grands criminels.
Friedrich, der gnädig, aber nicht sentimental war, begnügte sich, den alten Mann nach dem Hospital überführen zu lassen mit sechs Sous für den Tag.
Als der Abschied nahte, sagte der König zu Voltaire: »Wählen Sie selbst Wohnung oder Haus, bestimmen Sie selbst, was Sie an Nötigem und Überflüssigem im Leben brauchen; stellen Sie Ihre Bedingungen, so daß Sie sich durch deren Erfüllung beglückt fühlen, und lassen Sie dann mich für den Rest sorgen.«
Man schied von beiden Seiten nicht ohne Gemütsbewegung. Sowohl Voltaires Groll ob des harmlosen und im Grunde so schmeichelhaften »Verrats«, wie Friedrichs Unbehagen, sich ausspioniert zu ahnen, waren vergessen.
Voltaire fuhr zuerst nach Braunschweig, wo der Herzog ihm einen herzlichen Empfang bereitete, und hierauf direkt nach Brüssel, wo Madame du Châtelet ihn mit großer Ungeduld und mit offenen Armen erwartete.
Madame de Tencin arbeitete aus voller Kraft daran, eine Anerkennung der politischen Bedeutung der Madame de Châteauroux von seiten des Königs von Preußen zu erwirken. Ihrem Plane gemäß sollte die Herzogin in Friedrich des Großen Vertrauen Voltaire ersetzen. Der König sollte zu der Überzeugung gebracht werden, daß der Einfluß der Herzogin nicht bloß größer als der Voltaires, sondern der entscheidende in Frankreich sei.
Friedrich sagt in seiner Histoire de mon temps (3. Band, Kap. 4), daß er im Jahre 1743 beschloß, statt sich seines Gesandten am französischen Hofe, des Barons de Chambrier zu bedienen, den Grafen von Rottembourg dorthin zu schicken, einen vornehmen Herrn, der 1740 aus französischen Diensten in preußische übergegangen, geschmeidiger und tätiger, außerdem mit allen den angesehensten Persönlichkeiten an diesem Hofe verwandt war: »So reiste der Graf von Rottembourg denn nach Versailles. Seine erste Einführung besorgten (il fit faire ses premières insinuations) Richelieu und die Herzogin von Châteauroux.«
Rottembourg brachte einen eigenhändig von Friedrich dem Zweiten an Richelieu geschriebenen Brief und teilte mit, was Friedrich mit Sicherheit wußte, daß, wenn Ludwig der Fünfzehnte im nächsten Jahre mit der Eroberung Flanderns beschäftigt wäre, Prinz Karl über den Rhein ins Elsaß einrücken würde. Das einzige Mittel, diesen Eroberungszug abzuwehren, war nach Ansicht des Königs von Preußen, daß er selbst in Böhmen einfiele. Er bot Frankreich eine bewaffnete Allianz an, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß keinem der gegenwärtigen französischen Minister etwas von dem Vertrag bekannt würde, den Seine Preußische Majestät zwischen den beiden Königen mit Richelieu als Drittem abgeschlossen wünschte.
Sogleich wurde zwischen dem König, der Herzogin und Richelieu ein Rat abgehalten. Da der letztere sich nicht sicher fühlte, die nötigen diplomatischen Kenntnisse zur Feststellung des Vertrages zu besitzen, riet er Ludwig, den Marschall von Noailles und den Cardinal von Tencin zuzuziehen. Der König von Preußen gab seine Zustimmung, und von nun an arbeitete Rottembourg zusammen mit der Herzogin von Châteauroux.
Friedrich der Große war klug genug gewesen, die Dame durch einen schmeichelhaften Brief auf diese Zusammenarbeit vorzubereiten, und hatte ihre Meinung eingeholt, wie sein Sendbote die Sache am besten direkt mit dem König von Frankreich einleiten könne.
Im Juni wurde der Allianzvertrag zwischen Preußen und Frankreich endgültig abgeschlossen. Madame de Châteauroux hatte ehrlich gearbeitet, ihn zustande zu bringen, allerdings, auf Frauenart, weniger, weil sie den Nutzen eines Bündnisses mit dem großen Friedrich erkannte, als weil sie durch ihr Eingehen auf seine Abneigung und sein Mißtrauen gegen das französische Ministerium Amelot, den gehorsamen Diener Maurepas, treffen konnte. Denn in Maurepas sah sie mit gutem Grund ihren persönlichen Feind, der den ganzen Schwamm von Schmähliedern auf sie losgelassen hatte!
Sie empfing denn mit Stolz folgenden Brief:
Potsdam, 12. Mai 1744
Madame,
Es ist sehr schmeichelhaft für mich, daß ich die Geneigtheit, welche ich bei dem König von Frankreich vorfand, zwischen uns das dauernde Band einer ewigen Allianz zu knüpfen, zum Teil Ihnen, Madame, verdanke. Die Achtung, die ich stets vor Ihnen hatte, verschmilzt mit meiner Erkenntlichkeit. Mit einem Wort, Madame, ich bin überzeugt, daß der König von Frankreich den Schritt, den er nun getan hat, niemals zu bereuen haben wird und daß beide Parteien aus diesem Bündnis gleichen Vorteil ziehen werden. Es ist verdrießlich, daß Preußen verpflichtet ist, die Dankbarkeitsschuld, in der es zu Ihnen steht, zu ignorieren; in meinem Herzen wird dies Gefühl jedoch tief eingegraben bleiben. Hiervon bitte ich Sie stets überzeugt zu sein.
Madame, Ihr sehr ergebener Freund
Friedrich.
Die Herzogin antwortete hierauf mit folgendem Billet:
Sire,
Ich bin sehr glücklich, daß ich mir schmeicheln darf, zu der Verbindung, die ich mit Freude zwischen dem König und Eurer Majestät hergestellt sehe, etwas beigetragen zu haben. Ich empfinde gebührend die Beweise der Güte, die Eure Majestät mir entgegenbringen. Ich wünsche sehr lebhaft, oft Gelegenheit zu finden, meine Dankbarkeit und die tiefe Ehrfurcht darzutun, mit welcher ich die Ehre habe zu sein
Eurer Majestät demütige und gehorsame Dienerin
Mailly, Herzogin von Châteauroux.
Madame de Tencin hatte der Herzogin von Châteauroux eine Rolle zugedacht, die sie mit Begier ergriff. Sie sollte sein, was Agnes Sorel Karl dem Siebenten gewesen war, die Geliebte, die einen stumpfen und gleichgültigen König zum Mann und Helden machte. Sie sollte Ludwig den Fünfzehnten bestimmen, sich an die Spitze seines Heeres zu stellen.
Die Herzogin fühlte sich nun seiner Gunst so sicher, daß sie es wagen konnte, ihm zu mißfallen. Sie rüttelte des Königs Willen auf, sprach zu seinem Gewissen, unterhielt ihn von der Regierung, von Frieden und Krieg und von seiner Verantwortung, so daß er sich verwirrt an den Kopf griff und sagte: »Ihr schlagt mich tot!« – »Um so besser, Sire, ein König soll seine Wiederauferstehung feiern!«
Das ehrgeizige Weib sah eine Aufgabe vor sich: den König in Harnisch zu kleiden, ihn als Führer vor seine Truppen zu stellen, seiner Krone zur Ehre, seinem Volke zum Heil. Sie wollte sich als bessere Königin zeigen, als die rechte, sie wollte die Spottweisen verstummen machen unter Jubel über Siegen, die, wie jedermann erkennen konnte, sie selbst, die Herzogin von Châteauroux, inspiriert hatte.
So entschloß sich denn Ludwig, zum Heere zu ziehen, und die Favoritin zeigte sich nicht minder entschlossen, ihm zu folgen, falls sich dies irgendwie ermöglichen ließe. Sie schrieb auf der Stelle an den Oberstkommandierenden, den Marschall von Noailles, und äußerte ihren Wunsch, schrieb klug einschmeichelnd, daß der König zum Heere ziehe, ob es sich denn nicht machen ließe, daß sie und ihre Schwester dem Könige folgten, – mindestens in Entfernung ihn begleiteten, so daß sie täglich Nachrichten von ihm erhalten könnten. Sie teilte ihm mit, sie habe sich des Königs Erlaubnis erbeten, diesen Brief schreiben zu dürfen, damit der Marschall nicht glaube, sie handle eigenmächtig.
Es fiel dem alten Herrn nicht leicht, zu antworten; aber er sah klar wie der Tag, daß es um alle gute Wirkung auf die Bevölkerung und auf die Truppen, die den König in ihrer Mitte hatten, geschehen wäre, wenn seine Geliebte ihn begleitete. Und der alte Soldat faßte Mut und riskierte tapfer die allerhöchste Ungnade, indem er folgendes antwortete: Er glaube nicht, daß die Herzogin und ihre Schwester dem König zum Heere folgen könnten; sie selbst habe natürlich die Schwierigkeiten erkannt, da sie davon sprach, sich in einer Stadt hinter der Front niederzulassen. Unter dem seligen König habe die Königin allerdings derartige Reisen unternommen und sich mit ihrem Gefolge in passender Entfernung vom Heere gehalten; aber er könne ihr kein einziges Beispiel anführen, das zugunsten dieses ihres Planes spräche, und dürfe die Bemerkung nicht zurückhalten, daß es sowohl um des Königs wie um der Herzogin willen notwendig sei, daß sie irgendeinen vernünftigen Grund angäbe, der diesen Schritt in den Augen des Publikums rechtfertigen könne. »Sie ersehen, Madame, aus meinem Freimut, daß ich mehr als wahrer Freund, denn als Hofmann spreche.«
Die Herzogin antwortete umgehend mit Anstand und Ironie: sie müsse auf der Stelle dem Marschall für seinen Brief danken, der durchaus verständig und besonnen sei; nur litte sie an Kolik, für welches Übel die Bäder in Plombières wundertätig seien, und sie bedürfe dringend der Heilung.
Die Vielen, die (wie der Minister Maurepas) des Königs Abreise zum Heere wünschten, hofften, ihn eben hierdurch von der Favoritin zu trennen, waren also vollständig dagegen, daß sie ihn begleitete. Die Popularität, die des Königs Entschluß ihm mit einem Schlage verschafft hatte, mußte auch Madame de Châteauroux zu denken geben. Es war unklug, sie sogleich wieder aufs Spiel zu setzen. Nachdem der König der Königin trotz aller ihrer Bitten befohlen hatte, in Versailles zu bleiben, mußte er füglich der Herzogin dieselbe Ordre geben. Richelieu tröstete sie damit, daß Ludwig als Gewohnheitsmensch sie nicht lange werde entbehren können.
Indessen verging der ganze Monat Mai, ohne daß er seine Freundin zu sich rief. Wir ersehen aus einem ihrer Briefe an Richelieu, daß sie nicht nur hiervon sehr peinlich berührt, sondern außerdem von etwas, was sie in Erfahrung gebracht hatte, äußerst erregt war: nämlich daß der König in heimlichem Briefwechsel mit ihrer Schwester Madame de Flavacourt stehe und diese unter Deckadresse an ihn schreibe. Die Briefe mit ihrer Handschrift gingen an den Kammerdiener Lebel.
Der König hatte mehrere Abende vor seiner Abreise Madame de Flavacourt, welche sich zu großer die Herzogin überstrahlenden Schönheit entwickelt hatte, mit solchem Eifer lorgnettiert, daß es der Königin aufgefallen war und diese mit der jungen Dame darüber gesprochen und sie gefragt hatte, ob sie mit dem König in Verbindung stehe. Madame de Flavacourt hatte geantwortet, des Königs Person übe keinen besonderen Reiz auf sie aus, aber sie zittere davor, vom Hofe weggeschickt zu werden und neuerdings mit ihrem Mann beisammen leben zu müssen.
Die Herzogin von Châteauroux, die aus eigener Erfahrung wußte, daß eine Schwester eine andere verdrängen könne und daß des Königs Verlangen leicht zwischen Schwestern wechselte, fühlte die Notwendigkeit, mit König Ludwig wieder in persönliche Berührung zu kommen. Sie hatte seine Gunst ohne Unruhe mit ihrer Schwester Lauraguais geteilt, die nicht schön, bloß mutwillig und ihr selbst vollständig ergeben war, sich daher keineswegs mit dem Plane trug, sie zu stürzen und ihren Platz einzunehmen. Madame de Flavacourt dagegen verkehrte beständig mit Leuten aus dem feindlichen Lager und genoß sogar das Vertrauen der Königin.
Um den Schein zu retten, war es notwendig, daß eine der Hofdamen der Herzogin das Beispiel gäbe und zuerst abreiste. Es gelang, eine der Prinzessinnen des Königshauses, die Herzogin von Chartres, hierzu zu überreden; sie reiste zum Heere ab, unter dem Vorwand, ihr Mann habe einen Sturz vom Pferde getan. Damit war ein Präzedenzfall gegeben. Dann schrieb Richelieu an seine Nichte, sie könne ruhig kommen, sogar ohne Ordre des Königs; er nehme die Verantwortung auf sich. Und sobald die Schwestern von der Königin Abschied genommen (ohne jedoch mit einem Worte zu berühren, daß die Reise nach Flandern gehe), und sich auf den Weg begeben hatten, verkündete Richelieu dies auch dem König in scherzhaften und dunkeln Andeutungen einer Reise des blinden und ungehorsamen Amor, der in hohem Grade Verzeihung verdiene, wenn er erst die Binde von den Augen gelöst habe.
Die Damen trafen den König in Lille, wo ein mit dem königlichen Palais in Verbindung stehendes Nebengebäude ihnen reserviert war. So sehr aber auch sie selbst und Richelieu bestrebt waren, jedes Aufsehen zu vermeiden, so nahm der Skandal in der kleinen frommen, flämischen Stadt große Dimensionen an. Daß der König nicht mehr seine Mahlzeiten vor aller Augen einnahm, sondern mit seiner Geliebten in den kleinen Kabinetten des Nebenhauses speiste, erregte nicht nur die Entrüstung der Frommen. Im Heere sangen die Soldaten einen Spottvers nach dem anderen; ja sogar die Schweizerwache vor des Königs Zelt stimmte ein:
Ah madame Enroux!
Je deviendrai fou
Si je ne vous baise.
Während andere Soldaten unter den Fenstern der Herzogin ohne Umschreibung des Namens aus voller Kehle sangen:
Belle Châteauroux!
Je deviendrai fou,
Si je ne vous baise.
In Paris, in den Provinzen, beim Heere sprach man bald von nichts anderem als von der merkwürdigen Art, wie der Monarch Krieg führte. Sein Zusammenleben mit der Favoritin in Lille war in aller Munde.
Es ergab sich die Notwendigkeit einer zeitweiligen Trennung. Der König zog zur Belagerung von Ypres fort, und neun Tage danach war die Stadt eingenommen. Diese rasche Übergabe bereitete der Herzogin viele Freude und nachdem der König mehrere flandrische Städte besucht hatte, traf er abermals mit ihr in Dunkerque zusammen.
Nun wollte sie ihn aber nicht mehr verlassen, nicht einmal als die peinliche Nachricht eintraf, daß Prinz Karl über den Rhein gegangen sei, und der König sich gezwungen sah, Elsaß zu Hilfe zu kommen. Madame du Châteauroux folgte ihm von Ort zu Ort. Saint-Omer, Béthune, Arras, Péronne, La Fère, Laon, Reims, Chalons, Verdun wurden erregte Zeugen ihrer Unzertrennlichkeit. Wenn der König im tiefsten Incognito bei der Herzogin aus- und einging, widerhallte die Luft von spöttischen Rufen einer erheuchelten Begeisterung: Es lebe der König! Es lebe der König! – Und er verschwand eiligst in irgendeinem Garten.
In Reims warf irgendein aus unbekannten Ursachen stammendes Leiden die Herzogin plötzlich auf das Krankenlager. Die Ärzte sahen in der Krankheit une ébullition, wie sie es nannten (einen plötzlichen Ausbruch von siedender Hitze); die Hofleute erblickten darin eine Wirkung der Reue; die Herzogin selbst war überzeugt, in einer Arznei Gift bekommen zu haben. Einige schrieben das Fieber der Aufregung zu, die sie ergriffen hatte, als sie hörte, daß ihr früherer Geliebter, der Herzog von Agénois, gefährlich verwundet worden.
Der König verschob seine Abreise aus Reims um einen Tag und fuhr dann nach Metz, wo die bald wiederhergestellte Herzogin ihn einholte. Ohne Rücksicht auf die das Paar belauernde wachsame Neugierde wurde mit auffallender Eile und ohrenbetäubendem Gehämmer eine Brettergalerie zwischen der Wohnung des Königs und der der Herzogin in der Abtei St. Arnould aufgeführt. Vier Gassen waren unklugerweise vor dem Publikum gesperrt, während die Verbindungsgalerie hergestellt wurde. Die Bevölkerung von Metz nahm großes Ärgernis an solchem Gebahren.
Plötzlich – eben als der König sein Wiedersehen mit den beiden für ihn so liebenswerten Schwestern feierte – nach einem mit der Inspektion der Festungswerke verbrachten Tag, nach einem Abend, an welchem zahlreiche Trinksprüche auf den neuen Alliierten, den König von Preußen, erklungen waren –, nach einer Nacht, in der Richelieu König Ludwig mit beiden Schwestern eingeschlossen hatte, verfiel der König plötzlich in eine höchst ernsthafte Krankheit.
Die Ärzte eilten herbei und wandten ihre gewohnten Heilmethoden an: Aderlassen, Brechmittel, Abführmittel. Aber nichts milderte des Königs Kopfschmerzen, nichts stillte sein Fieber, und am 12. August erklärte ein aus Metz herbeigerufener Arzt, er könne nicht für das Leben des Patienten einstehen.
Die beiden Schwestern mit Richelieu nahmen allein die Plätze am Krankenlager ein, gestatteten weder einem Prinzen von Geblüt noch einem der hohen Offiziere der Krone den Eintritt, es sei denn, um die Messe zu hören und sich sofort wieder zurückzuziehen. Man verhehlte soviel wie möglich den Ernst des Falles; man schloß jeden von der ärztlichen Konsultation aus, auf dessen Ergebenheit man nicht zählen konnte.
In dem Gemach vor dem Schlafzimmer befanden sich die Herzöge von Bouillon, von Rochefoucauld, Mitglieder des Königshauses wie der Graf von Clermont. Keiner von diesen wechselte nur ein Wort mit jemanden von der Partei der Favoritin, nicht einmal wenn sie sich in demselben Raum befanden. Endlich erzwang der Graf von Clermont sich Zutritt, näherte sich ehrerbietig, aber kühn dem königlichen Lager und sagte, er könne unmöglich glauben, daß es des Königs Absicht sei, den Prinzen seines eigenen Bluts, die sich in Metz befänden, die Befriedigung zu verweigern, sich selbst von seinem hohen Befinden überzeugen zu können. Sie wollten nicht zudringlich sein, sondern sich schnell wieder zurückziehen.
Der König bat Clermont zu bleiben, was dieser allerdings nicht sogleich tat. Aber das Eis war gebrochen. Und nun begannen Unterhandlungen zwischen den Prinzen und Herzögen, die Madame de Châteauroux haßten, und dem Bischof von Soissons, Fitz-James, samt dem Konfessionarius Pérusseau, die sie nicht weniger haßten.
Die Herzogin, leicht erratend, worauf diese Unterhandlungen abzielen, wollte wissen, ob es die Absicht der Priester sei, ihre Verjagung zur Bedingung der Sündenvergebung zu machen. Die religiösen Beängstigungen des Königs waren während seiner Krankheit zurückgekehrt. Den Rauch eines Stückchens Papier, das man angezündet hatte, nahm er für den Rauch der Höllenflammen.
Sie ließ denn Pérusseau holen und fragte ihn geradezu, ob die Absicht bestehe, sie zu vertreiben. Aber obwohl sie und Richelieu ihn stundenlang ausforschten, war es unmöglich, den Jesuiten zu einer ehrlichen Antwort zu bewegen. Zuerst verschanzte er sich hinter seiner Unkenntnis der wahren Beschaffenheit der Situation. Er persönlich denke nichts Übles von dem Verhältnis zwischen dem Könige und der Frau Herzogin. Selbst als sie ihn ungeduldig mit einem offenen Eingeständnis unterbrach, erklärte er nach wie vor, im voraus nichts sagen zu können. Alles käme auf die Art der königlichen Beichte an.
Am 12. August drang der Bischof von Soissons vor der Messe beim König ein, redete mit ihm über seinen Zustand und die Pflichten, die dieser ihm auferlege, und am Abend desselben Tages sprach Ludwig zu der Herzogin die kalten Worte: »Wir werden vielleicht genötigt sein, uns zu trennen.«
Des Königs Angst und Unruhe stieg; nach der Ansicht der Ärzte hatte er nicht mehr zwei Tage zu leben. (Er lebte noch volle einunddreißig Jahre.) Am 13. August öffnete sich ein wenig die Türe, die von dem königlichen Schlafzimmer in das Gemach führte, in welchem die Schwestern sich aufhielten, und Fitz-James warf durch den Türspalt hin: »Der König befiehlt Ihnen, meine Damen, sich auf der Stelle zurückzuziehen.«
Als der Bischof später dem König das heilige Abendmahl reichen sollte, erfuhr er, daß die beiden Schwestern Metz noch nicht verlassen hätten. Er verweigerte infolgedessen dem Kranken das Sakrament. Des Herren Leib könne ihm nicht gebracht werden, solange die Konkubine innerhalb der Stadtmauern weile.
Erst als die beiden Schwestern in ihrer Karosse hinter herabgelassenen Gardinen aus der Stadt geflüchtet waren, von einem Volkshaufen umringt, der sie beschimpfte und sie gern gesteinigt hätte, erhielt Ludwig die Kommunion.
Am 14. sollte der König die letzte Ölung empfangen. Da aber Fitz-James hinterbracht worden war, daß die Schwestern nur wenige Meilen von Metz Aufenthalt genommen hatten, wurde die heilige Handlung verschoben, bis ihnen die königliche Ordre zugegangen war, ihre Reise fortzusetzen.
Allein der Patient erholte sich und war Mitte September vollkommen hergestellt.
Unterdessen hatten die beiden Damen ihre Fahrt fortgesetzt. Wohin sie kamen, gellten Schimpfworte um die bekannte verhaßte Karosse und deren verabscheute herrschaftliche Insassen. Bei jedem Pferdewechsel mußte sich die Herzogin von Châteauroux ängstlich versteckt beiseite halten; vor jeder Stadt, ja vor jedem Flecken mußte sie aussteigen und zu Fuß irgendeinen Seitenweg einschlagen und auf ihr Gespann warten, niemals aber, ohne in einiger Entfernung das Geschrei zu hören, mit welchem der Pöbel ihren Kopf forderte.
Zuletzt fuhr sie unbemerkt in Paris ein, dessen Bevölkerung in einem albernen Anfall von Königsvergötterung angstvoll und tränentriefend in den Kirchen kniete und Gebete für den Vielgeliebten zum Himmel sandte. Ein in Wirklichkeit ungefährlicher Krankheitsfall genügte, um dem Könige den von nun an offiziellen Namen Louis le Bien-Aimé zu verschaffen.
Die Nachricht, die die Herzogin in ihrem Pariser Heim empfing, daß der König sich mit der Königin versöhnt habe, brachte sie zur Verzweiflung. Sie hatte keinen Grund hierzu. Richelieu, der zum Heere gegangen war, sandte dem König aus Basel ein Memorandum, in welchem er auf dessen eben überstandene Krankheit zurückkam und nachwies, welchen Mißbrauch die Feinde der Herzogin mit dem geschwächten Zustand des kranken Königs und seiner religiösen Reue getrieben; sie hätten in Wahrheit bloß ihre eigenen ehrgeizigen Ziele im Auge gehabt, ja im Grunde am liebsten einen tödlichen Ausgang des Leidens gesehen.
Der König war auf einige Tage zu seinem Schwiegervater Stanislaw nach Lunéville gegangen, wo seine Traurigkeit und Zerstreutheit jedermann auffiel. In Wirklichkeit dachte er an nichts anderes, als an seine verlorene Freundin, war des Krieges müde und satt, kümmerte sich keinen Pfifferling um den Kriegsruhm, wenn er nur selber bald einen vergnügten Abend haben konnte, und fuhr, sobald die Kapitulation von Freiburg unterzeichnet war, in größter Eile nach Paris.
Er kam am Abend des 13. November dort an, hörte das Te Deum in Notre Dame, nahm an einer Festmahlzeit im Rathause teil, ließ sich durch die Straßen von Paris fahren, um die Illumination zu besichtigen. Aber schon in der Nacht nach dem 14. schlich er, nur von Richelieu begleitet, aus den Tuillerien hinaus, ging über den Pont-Royal und klopfte an der Herzogin Türe in der Rue du Bac.
Sie war so angegriffen, und das Wiedersehen bewegte sie so sehr, daß sie nur stammeln konnte: »Wie haben sie uns behandelt!« – Der König flehte sie an, nach Versailles zurückzukehren. Sie willigte ein, am nächsten Tage für einige Stunden incognito hinauszufahren. Offiziell aber wollte sie nicht zurückkehren, ehe sie nicht volle Satisfaktion erhalten und eine Rache genommen, die von sich hören lassen sollte.
Sie begann damit, Köpfe zu fordern; alle die sich verschworen hatten, sie aus Metz zu vertreiben, sollten es mit dem Leben büßen. Es kostete Ludwig nicht geringe Mühe, sie von diesem absurden Verlangen abzubringen. Er selbst haßte jedoch diese Männer von Herzen.
Herr de Balleroy, der für den Verfasser jener Predigt galt, die der Bischof von Soissons gegen die Herzogin von Châteauroux gehalten, nachdem er dem König die letzte Ölung gegeben hatte, Bischof Fitz-James selbst, Pérusseau, La Rochefoucauld, der Herzog von Bouillon, sie alle wurden verbannt oder der königlichen Gnade verlustig erklärt. Die Herzogin wollte die Prinzen von Geblüt auf dieselbe Art bestraft sehen, aber das ging nicht an. Endlich verlangte sie die Absetzung ihres erbitterten Feindes, des Ministers Maurepas. Da der König ihn nicht entbehren konnte, mußte sie sich daran begnügen, daß er sich der Demütigung unterzog, ihr persönlich den Brief des Königs zu überbringen, in welchem dieser sie innig bat, nach Versailles zurückzukehren, und sie wieder in ihre Würden einsetzte. Diese Verhandlungen nahmen volle elf Tage in Anspruch.
Als Maurepas sich in der Rue du Bac einfand, erhielt er den Bescheid, die Herzogin sei nicht zu Hause. Als er seinen Namen nannte, wiederholte man, sie sei nicht zugegen. Als er erklärte, er käme vom König, wurde ihm die Türe endlich geöffnet. Er traf die Herzogin zu Bett an; sie sah ihn lange stumm an, ohne zu grüßen, las dann des Königs Billet, antwortete mündlich dem König ehrerbietig und hatte für die Ergebenheitsversicherungen des Ministers nur ein ironisches Lächeln.
Die Herzogin war, wie gesagt, bettlägerig, als Maurepas sich meldete; sie hatte ein wenig Fieber. Nachts stieg die Temperatur. In der folgenden Nacht verschlimmerte sich der Zustand noch mehr. Am dritten Tage war er so bedrohlich, daß die Herzogin ihr Testament machte, ihre Schwester Lauraguais zu ihrer Universalerbin einsetzte, einem Geistlichen beichtete, sich mit ihrer Schwester Flavacourt versöhnte und schließlich von dem Pfarrer in Saint-Sulpice das Sakrament empfing.
Vom 1. Dezember an litt die Kranke an schrecklichen Schmerzen, heftigen Krämpfen, rasenden Phantasien, während welcher sie beständig das Wort Gift und den Namen Maurepas murmelte.
Die Herzogin von Châteauroux starb, siebenundzwanzig Jahre alt, am 8. Dezember 1744.
Die Obduktion deutete nicht auf Giftmord; aber wer weiß, ob die Ärzte etwas verstanden und ob sie ehrlich waren. Die Aufregungen und Gemütsleiden, die sie in den letzten Monaten durchgemacht, scheinen jedenfalls die Widerstandskraft des jungen Weibes aufgerieben zu haben.
Im April 1745 speiste der König in Versailles allein zu Abend mit Madame d'Etioles, und am 6. Mai desselben Jahres wurde die Wohnung der Herzogin von Châteauroux im Schlosse neu arrangiert, so daß jene Dame bei ihrem Einzug die Behausung nach ihrem Geschmack eingerichtet fand. Am 14. September 1745, zehn Monate nach dem Tode der Herzogin wurde sie der Königin als Marquise von Pompadour vorgestellt.