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Manche ist mit vierzig Jahren jünger an Herz und Lebenslust, als mit zwanzig. So ging es Edla. Ihre ganze Erscheinung gab indeß mehr Ruhe und Festigkeit zu erkennen, als was man gewöhnlich Lebenslust nennt. Ihr Blick war wunderbar klar und durchdringend. Nicht Jedermann vermochte hineinzuschauen. Mau fühlte, daß die Seele, die aus demselben sprach, sich zum Frieden 41 durchgekämpft, daß sie nicht in trägem Schlummer, sondern forschend und durchdringend Klarheit mit dem Leben erstrebt hatte. Ja gekämpft hatte Edla gewiß; – unverkennbare Züge von Leiden in ihrem Gesicht, ein halberstickter Seufzer, der zuweilen ihre Brust hob, legten Zeugniß davon ab. Dem sei, wie ihm wolle, es war jetzt Alles überwunden, beruhigt, verklärt; – Alles war gut. Und schweigend hatte sie gelitten und gekämpft. Niemand wußte von Edlas Schmerz zu erzählen; sie selbst that es am wenigsten von Allen.
Wir verließen Edla vor vierzehn Jahren, als sie ihre erste Bekanntschaft mit einer gründlicheren Bildung machte. Feurig und ernst schritt sie auf ihrem Wege weiter. Sie dürstete nach Wissenschaft und Wahrheit. Den Blick bald zum Himmel erhoben, bald prüfend in die Tiefe des eigenen Herzens gesenkt, bald die Lehren der Weisen um Rath fragend, lebte sie stille und glücklich und ihre Seele war voll von schönen Hoffnungen auf eine reiche Zukunft; aber auf einmal wurde ihr einsames Leben gestört. Ihre kleine Schwester Mina starb und Nina verfiel in eine zehrende Krankheit, wie sie nicht selten bei einem Zwillingskinde vorkommen, das seine Schwesterseele, die Hälfte seines Lebens, verloren hat. Edla rettete sie vom Tode und ein inniges Erbarmen über das zarte Geschöpf ergriff ihre Seele. Sie nahm das Kind an ihr Herz und nannte es ihr Kind. Mamsell Rönnqvist hatte das Haus des Präsidenten mit dem Adelaidens vertauscht. Nina blieb in Edlas Obhut und Edla wurde ihre Mutter. Sie theilte ihr Leben zwischen ihr, ihrem Vater und ihren Büchern. Es leben die Bücher! Aber wer wird aus Büchern allein klug?
Wie macht es der Mann, wenn die Begierde nach Wissenschaft ihn ergreift? Mit jungen Jahren reist er auf Universitäten, hört die Vorlesungen der Gelehrten, legt den Grund zur künftigen Wissenschaft, liest, schnupft und reibt sich am Kopfe; (man glaubt gar nicht, wie diese letztern Operationen die Entwicklung der Ideen befördern). Er 42 disputirt mit seinen Kameraden – eine vortreffliche Uebung für Verstand und Lunge; Bewegung, Leben, Wetteifer, Freundschaftsbande, weise Lehrer, leicht zugängliche Mittel zur Wissenschaft, ja schon die akademische Atmosphäre selbst, die er einathmet, Alles dieß führt ihn vorwärts, hilft das Gefühl anfeuern, die Gedanken nähren und ihn zum Magister promoviren. Ist dann der Lorbeerkranz gewonnen und der Wissensdurst noch gleich stark, so hat er einen Pokal, aus dem er trinken kann, genannt die Welt. Auf der Spitze des Montblancs kann er die Sterne betrachten, in den Gruben Golkonda's Gold brechen, mit Kapitän Roß an den Nordpol fahren, von der Küste des Feuerlandes die Sonne aufgehen sehen, in Island Runen, in Indien Sanskrit lesen, in Asien Ruinen und in Amerika neue Staaten sehen. Die Paläste der Könige, und die finstern Wohnungen der Verbrecher sind ihm geöffnet; in das Arbeitszimmer der Gelehrten hat er Zutritt; der Glückliche! Wie könnte er nicht aufgeklärt werden, nicht die ganze Welt mit seinem Wissen umfassen!
Edla war zwei und zwanzig Jahre alt, ehe sie mit einiger Ordnung, mit einigem System zu denken und zu arbeiten begann. Eine unersetzliche, eine leere und verpfuschte Zeit lag hinter ihr. Und überdieß . . . es leben die philanthropischen Grundsätze unserer Zeit, auch in Betreff der Erziehung der Frauen! Aber mein allerbester und klaräugiger Leser, wer muß nicht sehen, wie ungleich, wie ganz anders es sich mit der Gelegenheit und den Mitteln zur Erwerbung wirklicher Wissenschaften verhält? Ich brauche den Unterschied nicht zu zeigen; er springt von selbst in die Augen; vielleicht soll, vielleicht muß es einen geben – ich weiß nicht! Es ist mir oft vorgekommen, als hätte die Natur selbst in der Stille ein Wörtchen dazu gesprochen; und ist es so, du gute und weise Mutter! so werden deine Töchter dir gewiß gerne folgen, – du wirst sie deßhalb vielleicht näher an deine Brust legen. Gewiß ist, daß Edla die Fesseln tief fühlte, 43 die ihren strebenden Geist gefangen gehalten hatten und noch gefangen hielten. Dazu kam noch die Veränderung in ihrer Lage. Sie sah auf ihren Vater, der ihrer jetzt mehr als je bedurfte, sie sah auf das Kind, das sie dem Tode entrissen – und sie that, was viele vor ihr gethan haben, was viele nach ihr thun werden – sie resignirte: und dieses Opfer der Entwicklung ihres Wesens, das Opfer einer vollständigen Wissenschaft, vielleicht das schwerste, das man bringen kann, brachte sie nach einem kurzen Kampfe entschlossen dar und schloß sich still in den Kreis der Familie.
Vielleicht war Edlas Opfer weniger groß, als sie selbst fühlte. Ich habe den Satz aufgestellt, daß man durch die Bücher allein nicht weise werden könne; nein durch die Bücher nicht, durch Reisen nicht, durch gelehrte Männer nicht, durch die ganze Welt nicht, wenn man nicht in seinem Innern die bildende Kraft besitzt, die aus den zerstreuten Theilen die harmonische Gestalt schafft, oder – um es einfacher und eben so gut zu sagen, – wenn man es nicht versteht, aus Worten einen vernünftigen Sinn zusammenzusetzen. Aber eben diese Fähigkeit war Edlas schöne Gottesgabe und wenn man auch ihrer Weltansicht eine gewisse Einseitigkeit vorwerfen dürfte, so möge man sich an die Umstände erinnern, unter denen sie die Welt und das Leben kennen gelernt. Die Eindrücke aus ihrer Jugendzeit, die Richtung ihres Characters und Gemüths leiteten sie darauf hin, die ältesten Weisheitslehren des Menschengeschlechts mit besonderer Vorliebe zu erfassen. Sie gingen so leicht in ihre Seele ein, denn sie standen in naher Verwandtschaft mit ihren tiefsten Gefühlen und Gedanken. Nichts hatte Edla so tief, so furchtbar wahr empfunden, als die Macht eines Schicksals, eines unabänderlichen Muß, unter dessen eisernes Joch der Mensch sich beugen muß, murrend oder betend – streitend oder kriechend – gleichviel, er muß! Dieser Eindruck blieb, gestaltete sich aber anders. Sie fühlte noch die Macht eines äußeren Müssen; weit tiefer 44 aber empfand sie die innere Macht, die der ersteren zum Trotz ihr freies Leben ausbildet und aus dem schweren Steine, der auf das Leben des Menschen gelegt wird, noch eine Stufe macht, auf welcher er zum Himmel der ewigen Freiheit emporsteigt. Sie fühlte, daß der Mensch, selbst wenn er wie Prometheus an den Felsen geschmiedet und sein Herz zerfleischt ist, dennoch allen Mächten der Welt Trotz bieten und vom Anfang bis zum Ende des Lebensschauspiels leiden und dasselbe wollen kann, still, kraftvoll und unermüdlich. Auch Edla blieb dieselbe und wurde gleichwohl anders, denn sie war stark im Murren gewesen und jetzt wurde sie stark in der Resignation. Klagen, Bitterkeit, Mißtrauen wichen für immer von ihrer Brust. Sie beugte sich, die barmherzig strenge Hand küssend, welche die Ewigkeitsblume der Tugend unter Stürmen hervorsprießen läßt. Diese wurde für sie die Blume der Menschenseele, der Menschheit, ja des ganzen Universums. Um sie herum drehte sich alles Dasein, ihre Entwicklung umspielten alle Winde des Schicksals, sie wandte sich selbst, wie die Sonnenblume gegen die Sonne – Gott. Stärke, Kraft zu entsagen, Friede mit sich selbst, Gleichgewicht und eine Ruhe, die ihr keine Zufälle zu rauben vermochten, Reinheit des Herzens und der Gedanken, damit sie sich zu Gott möchten erheben können, suchte und gewann Edla; auch von dem Evangelium des Christenthums verleibte sie sich hauptsächlich dasjenige ein, was diese Richtung ausbildete, und nach ihrer Weltanschauung war der Mensch vor Allem zu Kampf und Entsagung bestimmt. Aber diese Anschauung war frisch und klar; aus Leiden ließ sie den Lorbeer erwachsen und die Dornenkrone wurde die Krone der Herrlichkeit. Sie ging mit Liebe auf das Loos ein, welches die Nothwendigkeit gebot, und erfüllte ihre Pflichten aus dem Grunde ihres Herzens. Wenn es litt, wenn es mitunter müde wurde, so achtete sie dessen wenig. Es verblieb unerschütterlich bei dem Einen und schlug stille dem Tag der großen Verwandlung entgegen, wo es 45 gereinigt von Sünden uns befreit von irdischen Fesseln ruhen dürfte in dem ewigen, liebewarmen Herzen, dem Ursprung und der Fülle des Lebens.
Wie kam es nun, daß Edla bei dieser Kraft und bei diesem inneren Frieden doch Andern nicht angenehm war?
Andern, ja wenn Andre nicht wären, so hätte man freilich mehr Ruhe mit sich selbst, nur daß es schwer zu sagen ist, was dieses Selbst dann sein würde. Edla hatte die Jahre erreicht, wo die Seele sich gewöhnlich vom Körper unabhängig macht, wo äußere Häßlichkeit oder Schönheit Nichts mehr oder bloß eine unbedeutende Ursache zum Wohl oder Weh des Lebens ist. Für Edla hätte diese Unabhängigkeit vollkommener, als für jeden Andern sein müssen, allein ihre Jugendzeit hatte starke Spuren in ihrer Seele zurückgelassen, und die Wolke, die über ihrem Morgen gelegen, hatte über ihr ganzes Leben einen Schatten geworfen. Sie war in Beziehung auf die Wirkung, die sie bei andern hervorbrachte, im höchsten Grade mißtrauisch gegen sich selbst. Sie war überzeugt, daß sie nicht gefallen konnte; nun fürchtete sie, auch nicht geliebt werden zu können; sie glaubte, ihr Aeußeres, ihr Blick, ihr ganzes Wesen wirke gar zu abstoßend. Dieser Glaube, einiger Stolz, die Furcht, beschwerlich zu fallen und noch mehr die Furcht, guten Menschen unangenehme Gefühle zu verursachen, Alles dieß bewirkte, daß sie eine Art Scheu vor ihren Mitmenschen bekam. Und sie hatte Unrecht, denn nur wenige waren von denen, die sie wirklich kannten, mehr geliebt, als sie, und wie Manche gibt es nicht auch sonst noch in der großen Gesellschaft, welche die Schale über dem Kern vergessen! Aber gerade ihre Zurückhaltung machte Andere auch zurückhaltend; man fürchtete sie, wenn man sie nicht liebte. Sie war still unter den Menschen und blieb ihrem Leben und ihren Spielen immer gewissermaßen fremd. Und freundlicher Leser, wenn es so mit uns steht, wenn wir es so fühlen:
Ist es dann nicht besser, einsam zu bleiben? 46
Glücklich, wer es mit Freuden sein kann, ja gerade in der Einsamkeit seinen Reichthum findet! So Edla. Ihre strebende Seele flüchtete sich, um zu leben und zu genießen, in eine höhere Heimath. Sie hatte dieselbe unter den Sternen, deren Bahnen sie kannte, sie hatte sie im Heiligthum der Philosophie. Von hier aus sah sie das Licht sich über die Welt verbreiten, von hier aus schöpfte sie Frieden mit ihr und mit sich selbst. Es ist wahr, Edla lebte mehr im übersinnlichen, als im sinnlichen Leben. Sie glich mehr dem Paradiesvogel, der sich über der Erde hinschwingt, als der Nachtigall, die ihre Wohnung auf derselben baut und singt. Die Folge war, daß sie den Menschen besser kannte, als die Menschen, und daß sie überhaupt das Leben des Himmels besser verstand, als das der Erde. Die Wahrheit liebte sie über Alles, das Verdienst verstand sie zu schätzen, wo es hervortrat. Versehen wußte sie zu verzeihen, aber von aller Mattigkeit und Schlaffheit, aller Selbstsucht und Kleinigkeit wandte sie sich mit heimlichem Eckel ab. Und gleichwohl war Edla mild; ich habe außer einem einzigen Mann keinen so milden Menschen gekannt. Sie begriff die Schwachheiten bei Ihresgleichen nicht, allein sie brach über Niemand den Stab; sie verurtheilte die Sache, nicht die Person, nur scheute sie unwillkürlich den, der etwas Niedriges begangen hatte. Nur gegen sich selbst war Edla streng, und außerdem gegen eine einzige Person – und diese war das Kind ihrer Sorgen, der Liebling ihres Herzens – Nina. Nina durfte nicht schwach sein, Nina mußte unwillkürlich das Gute und Rechte thun, denn sie konnte sich nicht, wie so Manche, mit einer versäumten und schwachen Erziehung entschuldigen. Nina wurde mit der »Milch der Vernunft« aufgesäugt, sie durfte nicht straucheln oder wanken auf dem Wege der Tugend. Ja, gegen Nina war Edla streng, aber sie liebte Nina auch mehr, als sich selbst. Und so mißtrauisch Edla in Beziehung auf die Gefühle Anderer gegen sie war, so war sie doch überzeugt, von Nina geliebt zu 47 werden. Wie hätte dieß auch anders sein können? Hatte Edla ihr nicht das Beste gegeben, was sie besaß – ihre Kenntnisse, ihr Herz? Und Ninas kindliche Ergebenheit, ihr Bedürfniß, immer bei Edla zu sein, ihre Ruhe bei ihrer Leitung, wie schön zeugten sie nicht davon? Das Gefühl einer innigen Vereinigung mit einem so schönen, so holdseligen Wesen warf manche irdische Wonne in Edlas Himmelsleben. All die ideale Schönheit, die Edla in ihrer Erinnerung und ihrer Hoffnung trug, war in Nina gleichsam verwirklicht. Und dieß war zum großen Theil ihr eigenes Werk. Aber als Nina später so bezaubernd und so liebenswürdig dastand, da fühlte Edla eine Neigung, ihr Werk zu vergöttern, da erlag sie der ganzen Schwachheit einer zärtlichen Mutter für ihr Kind. Indeß kämpfte sie gegen diese Schwachheit und wurde ihrer mächtig. Sie besaß die kraftvolle tiefe Liebe, die ihr Kind mit dem letzten Tropfen des eigenen Blutes säugen, aber den theuren Liebling lieber verbluten und sterben, als sinken und sich erniedrigen sehen möchte.
So viel von Edla, jetzt auch ein Wort von