Fredrika Bremer
Nina
Fredrika Bremer

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Letzte Probe.

Nach Rausch – Kopfweh; nach Studium – Mattigkeit; nach der Geliebten – Frau.
                      Der Wachthurm in Koatven

Nach Sturm – Ruhe; nach Sündfluth – Oelzweig; nach Prüfung – Gewißheit: nach Schmaus – Verdauung; nach Mittag – Abend. Hier bleiben wir stehen. Es ist Abend. Fräulein Margarethe saß in einer Laube von blühenden Linden. Sie war allein, und beschäftigte sich damit, Apfelsinen zu zerschneiden und einzuzuckern, um Klara, die sie von einer Partie nach Höganäs zurückerwartete, damit zu bewirthen. Der größere Theil der Badegesellschaft hatte einen Ausflug dahin gemacht. Fräulein Margarethe, die das Wasser zu warm findet, und sich überdieß um ein Vergnügen nicht abmühen mag, ist zu Hause geblieben. Die zum Untergang sich neigende Sonne senkt einige Goldstrahlen herab und beleuchtet die herrlichen Früchte und die schönen, weißen Hände, die sich mit ihnen beschäftigen. Fräulein Margarethe freut sich darüber, sie freut sich des schönen Abends und preist schweigend »den Herrn, der Alles wohlgemacht«. Erinnerungen an die neulich bestandenen Abenteuer fahren ihr durch den Kopf. Bald ziehen sich ihre Augenbraunen leicht zusammen, bald aber spielt wieder ein Lächeln voll Schalkhaftigkeit und Güte auf den feinen Lippen.

Ganz unerwartet trat Baron H. in die Laube, aber mit einem so ungewöhnlich ernsthaften Gesichte, daß aller munterer Scherz auf Fräulein Margarethens Lippen 229 erstarb. Der Baron setzte sich auf dieselbe Bank, wo Fräulein Margarethe saß, aber so weit als möglich von ihr weg, und schwieg beharrlich. Fräulein Margarethe gerieth dadurch Etwas in Verlegenheit und begann einige schnelle, gleichgültige Fragen, die kurz und gleichgültig beantwortet wurden, so daß sogleich wieder Stille eintrat. Am Ende sagte der Baron: »Ich reise morgen ab.«

»So?« sagte Fräulein Margarethe.

»Ich habe,« fuhr der Baron fort, »zum letztenmal es versucht, Klara zur Veränderung ihrer Ansichten über das Leben und die Ehe zu vermögen; allein es ist vergebens; wenigstens bin ich nicht derjenige, dem die Macht verliehen ist, ihr eine andere Ueberzeugung beizubringen, und ich gestehe, daß ich mir schon längere Zeit darüber klar bin.«

»Das hat Niemand ahnen können,« dachte Fräulein Margarethe.

»Und jetzt, da ich vollkommene Gewißheit darüber habe, wünsche ich so bald als möglich einen Ort zu verlassen, wo sich sowohl alte Freunde, als die Elemente verschworen zu haben scheinen, mich mit Prüfungen zu plagen, denen ich mich nicht länger unterwerfen mag, und denen vermuthlich gleich Anfangs die Absicht zu Grunde lag, mich zu verscheuchen.«

Der Baron sah hiebei Fräulein Margarethe scharf an. Diese zuckerte eifrig ein paar Apfelsinen ein und bot sie dem Baron, der sie indeß mit einem Nicken des Kopfes ausschlug, und also fortfuhr:

»Inzwischen habe ich für Klara eine so wirkliche Freundschaft, eine, wenn ich sagen darf, väterliche Zuneigung gefaßt, daß ich unmöglich den Plan aufgeben kann, mit diesem reinen und guten Wesen in irgend ein näheres Verhältniß zu treten.«

»Wo will das hinaus?« dachte Fräulein Margarethe. »Will er jetzt vielleicht für Filius freien?«

»Ich habe . . . ich wünsche . . .« fuhr der Baron in schüchterner Verwirrung fort, »ich beabsichtige, auf 230 Klaras Namen ein kleines Kapital anzulegen, dessen Zinsen sie von heute an jährlich genießen, und das ihr die Mittel an die Hand geben soll, vollkommen unabhängig zu leben. Bei meinem Tod soll ihr das Recht zufallen, nach Gutdünken über das Kapital zu verfügen. Bis dahin wünschte ich ihr Vormünder zu sein, und ich kann ihr versprechen, daß sie nicht leicht einen besseren und ergebeneren finden könnte. Nun möchte ich Sie bitten, ihr zuzusprechen, daß sie mich die Gefühle, die ich für sie hege, wenigstens auf diese Art befriedigen läßt. Bitten Sie Klara, die Güter, welche die Vorsehung mir beschert hat, dadurch zu segnen, daß sie sichs gefallen läßt, sie mit mir zu theilen. Bitten Sie sie, dieß um meinetwillen, oder um Gotteswillen, welchen Ausdruck Sie nun für den wirksameren halten, anzunehmen. Bitten Sie sie, dafür bloß mit einiger Freundschaft an mich zu denken, mich nur ein wenig lieb zu haben – doch nein – sagen Sie das nicht – das muß werden, wie es kann und will – aber bitten Sie sie . . .«

»Ich kann unmöglich so viele Bitten behalten, Baron,« sagte Fräulein Margarethe, schnell einfallend; »sie sind ja länger, als ein Vaterunser.«

»Nun gut, sagen Sie ihr bloß, daß sie sich nicht weigern soll, einem aufrichtigen Freund einen kleinen Gefallen zu erweisen, und daß ich, wenn sie meinen Wunsch, meine Bitte abschlage, glauben werde, sie hasse mich.« Baron H. zog sein Nastuch hervor.

Der kleine hochrothe Rand, der feucht um Fräulein Margarethens Augen glänzte, und der Ausdruck in denselben kontrastirte auffallend mit dem Ton, in welchem sie sagte:

»Sagen Sie mir, Baron, fürchten Sie im Ernst, ich werde Klara verhungern lassen?«

»Gott bewahre mich,« rief Baron H. sehr erschrocken. »Ich bin überzeugt, daß Klara bei Ihnen so gut aufgehoben ist wie in ihrer Mutter Haus, oder vielmehr nach Allem, was ich von ihrer Mutter gehört habe, noch 231 besser. Aber wer kann alle möglichen Fälle, Verheirathung, Todesfall u. s. w. voraussehen, und dann . . . .«

»Meinen Sie vielleicht meine Verheirathung, meinen Tod, Baron? Meinen Tod?«

»Gott bewahre Sie und Alle uns vor diesem Unglück! Aber . . . aber . . .«

»Gut Baron. Aber trauen Sie mir nicht so viel gesunden Verstand zu, daß ich selbst daran gedacht und Klaras Zukunft gesichert habe?«

»Dieß mag wohl sein, kann mich aber doch nicht veranlassen, von meinem Wunsche abzustehen; zwei Sicherheiten sind besser, als eine.«

Fräulein Margarethe schwieg einen Augenblick und sagte dann freundlich, aber ernst: »Aufrichtig gestanden, Baron, ich glaube, daß Ihr Edelmuth überflüssig ist, und halte es für besser, wenn Klara von mir allein abhängt.«

»Das ist Egoismus, Fräulein Margarethe.«

»Mag wohl sein, Baron. Allein es ist nun einmal mein Gefühl, und – ich sage es Ihnen offen, daß ich weder Ihre Bitten an Klara überbringen, noch ihr sagen werde, sie handle klug, wenn sie auf Ihren Wunsch eingehe.«

»Dieß ist Etwas hart und sehr sonderbar,« sagte Baron H. erröthend und mit starkem Verdruß. »Sie haben mich lange Zeit Ihren Freund genannt, und doch haben Sie schon lange wie eine wirkliche Feindin Alles gethan, um mein Glück und meinen Frieden zu verhindern.«

»Diese Beschuldigung ist streng, Baron,« erwiederte Fräulein Margarethe ernstlich bewegt, »und sie könnte mir nahe gehen, wenn ich fühlen würde, daß sie Grund hätte.«

»Sie haben,« fuhr der Baron immer eifriger fort, »meine Verbindung mit der einzigen Dame verhindert, die ich jemals wirklich liebte . . . .«

»Und diese ist?« unterbrach ihn Fräulein Margarethe schnell. 232

»Sie selbst!« sagte der Baron mit steigender Bewegung. »Sie haben ferner – wenigstens bin ich es überzeugt – meiner Verbindung mit einer jungen Person entgegengearbeitet, die ich von ganzem Herzen hoch schätzte, und deren Hand mich glücklich gemacht hätte. Sie mißgönnen mir in diesem Augenblick die Befriedigung, die mir eine uneigennützige Verfügung für Klaras Wohl gewähren würde. Sie haben sich seit zehn Jahren in allen Fällen als meine wirkliche Feindin bewiesen, sich auf jede Weise meinen Planen, meinem Glücke entgegengesetzt, und doch wollen Sie gewiß auch jetzt nicht . . .«

»Fahren Sie nur fort, Baron, und doch wollen Sie gewiß auch jetzt nicht . . .«

»Wollen gewiß . . . . auch jetzt nicht die Sorge dafür in Ihre eigene Hand nehmen?«

»O ja,« antwortete Fräulein Margarethe lakonisch, indem sie eine neue Apfelsine schälte.

»Wie?«

»Ja, sage ich.«

»Höre ich recht?«

»Ja.«

»Sie wollten?«

»Ja!«

»Meine Frau werden?«

»Ja!«

»Ist es Ernst?«

»Wenn Sie noch langer daran zweifeln, so fange ich an, Nein zu sagen.«

»Gütiger Gott!« rief der Baron, ganz bleich und mit Thränen in den Augen, indem er ihre Hand mit seinen beiden faßte – »ists nicht ein Traum? Kann ich wirklich so glücklich sein? Können Sie mich lieben?«

»Baron,« sagte Fräulein Margarethe mild und sogar weich, »ich habe Sie schon länger geliebt, als . . . . als ich nur sagen mag.«

»Und Sie wollen meine Frau werden!« rief der entzückte Baron, indem er vor Freude auf und in die 233 Höhe sprang. »Sie wollen meine Gattin werden, meine Freundin für das ganze Leben, und bald, in einem Monat?«

»Nicht so schnell, Baron. Ueberdieß habe ich noch nicht Alles gesagt. Hören Sie und bedenken Sie sich. Meine Einwilligung hängt an zwei Bedingungen.«

»Sprechen Sie, sprechen Sie!«

»Erstens, daß ich Klara immer bei mir behalten darf, wie jetzt; – wenigstens so lange sie es selbst wünscht.«

»Ja gewiß, gewiß! Das versteht sich! Sie soll unser Kind werden! Ich will sie lieben . . . .«

»Nur nicht gar zu sehr, wenn ich bitten darf. Gut, jetzt meine zweite Bedingung.«

»Nun?«

»Ich will wissen, wer Filius Aeltern sind.«

Baron H. sah erschrocken und beinahe verzweifelnd auf. »Nie – niemals« stammelte er.

»Ich will es wissen, Baron.«

»Das kann nicht Ihr Ernst sein. Sie können auf eine so gleichgültige Sache kein so großes Gewicht legen.«

»Ich will es wissen, Baron!«

»Margarethe!«

»Gustav! Ich will es wissen.«

»Nie!« rief der Baron heftig und stürzte aus der Laube.

Fräulein Margarethe saß lange schweigend da, den Kopf auf die Hand gestützt und in tiefes Nachdenken versunken. Ein leises Rauschen im Laube, eine Bewegung, wie von einem kühlen Winde, ein dunkler Körper, der zwischen Fräulein Margarethe und dem Ausgang der Laube stand, veranlaßte sie, die Augen aufzuschlagen. Sie war erstaunt und es wurde ihr sogar unheimlich zu Muthe, als sie die schwarzgekleidete, schattengleiche Dame vor sich erblickte, die schon früher einmal vor ihr erschienen, aber wieder verschwunden war, und damals ihre, noch mehr jedoch Baron H.'s Aufmerksamkeit auf sich gezogen 234 hatte. Sie stand jetzt unbeweglich da, eine ganz eigenthümliche Erscheinung; zwei große schwindsuchthelle Augen glänzten in einem abgemagerten Gesichte, bleiche Grabesrosen schimmerten auf den eingefallenen Wangen, und um den verdorrten Mund hatte langwieriges Leiden seine düstern Züge eingezeichnet. Die ganze Gestalt schien nahe daran zu sein, zusammenzusinken.

Fräulein Margarethe dachte unwillkürlich an die Ahnfrau in Grillparzers Schauerstück desselben Namens, und war im Begriff zu sagen:

»Was heftest du den starren Blick auf mich?« als die düstere Gestalt, die beinahe durchsichtige Hand auf die keuchende eingesunkene Brust gelegt, näher zu ihr trat und sagte: »Kennen Sie mich noch?«

»Nein,« antwortete Fräulein Margarethe verwundert.

»Sie haben mich früher gesehen; . . . aber es ist schon viele Jahre her. Ich bin Baron H.'s Schwestertochter. Leo ist . . . . sollte es aber nicht sein . . . . mein Sohn.«

Fräulein Margarethe betrachtete sie stumm und suchte sich ihre Züge ins Gedächtniß zurückzurufen. Sie fuhr in kurzen, mühsam ausgesprochenen Sätzen also fort:

»Der Vater des Knaben ruht im Grabe. Ich werde ihm bald nachfolgen. Mein Oheim hat Alles gethan, um meinen Fehler zu verdecken – und er ist meinem Sohne Vater geworden. So gleicht menschliche Barmherzigkeit menschliche Fehler aus! Ich wollte meinen Sohn . . . meinen Oheim noch einmal sehen, bevor ich sterbe. Deßwegen bin ich aus fremdem Lande hieher gekommen. Ich werde wieder abreisen nach der Heimath, die seine Fürsorge mir bereitet hat, ohne einen von ihnen an meine Brust gedrückt zu haben. Ich verdiene es nicht. Der Zufall hat mich hören lassen, was soeben zwischen meinem Oheim und Ihnen vorging. Er, der Treffliche, soll meinetwegen nicht leiden. Deßhalb stehe ich jetzt hier und erzähle meine Schande. Leben Sie wohl! Machen Sie ihn glücklich und schweigen Sie . . . . 235 schweigen Sie über Alles, was Sie gesehen, was Sie gehört haben. Lassen Sie ihn nie ahnen, daß die unglückliche Cäcilie ihm so nahe gewesen, lassen Sie ihn nie wissen, daß mein Geheimniß Ihnen bekannt ist . . . . es würde seine Ruhe stören. Leben Sie wohl auf immer!« So sprechend winkte sie mit der Hand und zog sich zurück. Fräulein Margarethe stand schnell auf und folgte ihr nach. »Werde ich . . . . Sie nie wieder sehen?« fragte sie. »Auf Erden niemals!« antwortete die Schwarzgekleidete. »In einer Stunde bin ich weit von hier. Folgen Sie mir nicht. Leben Sie wohl!« Ein älteres Frauenzimmer kam jetzt auf sie zu und gab ihr den Arm; sie entfernten sich langsam. Fräulein Margarethe folgte ihnen mit den Augen, bis sie hinter den Bäumen verschwanden.

Es war ihr jetzt ganz zu Muthe, als hätte sie eine Geistererscheinung gehabt; indeß war der unheimliche und traurige Eindruck stark mit einem angenehmen vermischt, der einen Glorienschein um Baron H.'s Haupt verbreitete. Uebrigens konnte sie sich ihren Betrachtungen nicht lange hingeben, denn sie wurde aufs Neue gestört. Der kleine Filius war es, der nach seinem Vater fragte. Fräulein Margarethe rief den Knaben zu sich. Filius blickte mißtrauisch zu ihr hinauf, allein Fräulein Margarethe sah so freundlich aus, daß er Muth faßte und zu ihr ging. Sie nahm ihn zwischen ihre Kniee, spielte mit seinen hellen Locken und liebkoste ihn freundlich unter allerhand angenehmen Gedanken zu Gunsten des Knaben und seines Pflegevaters. Filius schielte nach den Apfelsinen. In diesem Augenblick kam Baron H. zurück, führte sie auf die Seite und sagte sehr aufgeregt:

»Es kann unmöglich Ihr Ernst sein! Sie können unmöglich mein Glück, das nach meiner Ueberzeugung von dem Ihrigen nicht getrennt sein darf, einer Laune aufopfern, einer eitlen Neugierde, einer Kinderei . . . .«

»Laune, Neugierde, Kinderei oder nicht, sagen Sie mir, ob es Ihr voller Ernst ist, lieber auf die Verbindung mit mir zu verzichten, als diese Kinderei zu 236 befriedigen, und mir zu sagen, wer die Eltern des Knaben sind? . . . .«

»Das kann und werde ich nicht sagen, es koste, was es wolle,« sagte Baron H. niedergeschlagen, aber fest.

»Nun gut,« sagte Fräulein Margarethe, mit einer würdevollen Herzlichkeit, die ihr unendlich schön stand, »wenn Sie mir nicht sagen wollen, wer die Mutter gewesen ist, so will ich Ihnen zeigen, wer sie von nun an sein wird.« Mit diesen Worten hob sie Filius auf und umarmte und küßte ihn mit einer Innigkeit, die der Junge unmittelbar erwiederte. Der vor Freude weinende Baron schlang seine Arme um die beiden Geliebten.

»Der Vorhang fällt!« heißt es gewöhnlich im Drama, wenn es dem Dichter gelungen ist, seine Personen in eine Umarmung zusammenzubringen, und so heißt es jetzt auch hier, denn die höchste Freude des Menschen wie auch sein höchster Schmerz ist nur für die Blicke der Engel. Aber wenn wir den Vorhang auch für einen Augenblick fallen lassen, so ziehen wir ihn bald wieder in die Höhe, denn es folgt jetzt ein kleines Nachspiel, betitelt:

 

Fräulein Margarethens Beklemmung.

Das Stück spielt am Abend desselben Tags und zwar in Fräulein Margarethens Schlafzimmer. Fräulein Margarethe ist gegen ihren Willen und Vorsatz in großer Verlegenheit. Sie will Klara bekennen, was vorgefallen ist, allein sie weiß nicht, wie sie es anfangen soll und noch viel weniger, wie sie es ungeschehen lassen könnte. Schon das Wort Bekenntniß als anwendbar auf eine Handlung von ihr peinigt sie und will ihr nicht recht behagen. Zum erstenmal in ihrem Leben fühlt sie sich verlegen und beinahe muthlos. Sie putzt das Licht, hustet, legt die Sachen in Unordnung, ist hastig und unsicher in allen ihren Bewegungen. Klara scheint Nichts zu bemerken. Eine ungewöhnliche Freudigkeit belebt ihr 237 ganzes Wesen. Sie hat sich vorgenommen, unaufhörlich von Baron H. zu sprechen, was Fräulein Margarethe in eine grausame Angst versetzt, weil sie glaubte, Klara habe angefangen, sich zu ihm und zur Ehe zu bekehren.

Klara. So viel ist gewiß, und ich glaube, man sieht es mit jedem Tage deutlicher ein – es gibt unendlich viel Gutes in der Welt.

Fräulein Margarethe. O ja . . . ja, aber es gibt sowohl Gutes als Böses, Klara.

Klara. Wohl, aber das Gute schlägt unendlich vor. Je mehr man die Menschen kennen lernt, um so mehr überzeugt man sich, daß jeder sein Gutes und seine Vorzüge hat, wodurch er achtungswerth wird. Gewiß hat jeder sein Pfund Himmelsgut. Dieses Pfund, dieses Gute im Menschen kommt mir vor, wie sein guter Engel, der ihn beständig zu Gott hinauflockt. Baron H. hat mich gelehrt, vor allen oberflächlichen Urtheilen wohl auf der Hut zu sein. Ich glaubte lange, er sei boshaft und einzig und allein darauf erpicht, die Fehler seiner Mitmenschen auszufinden und zu verspotten. Jetzt sehe ich, daß er witzig ist, aber doch noch mehr gutmüthig, als witzig. Er liebt die Menschen, obgleich er ihre Fehler sieht. Er möchte, wenn er könnte, Jedem Gutes thun. Außerdem lacht er über sich selbst so gut, als über Andere, und in seiner Seele liegt viel schöner Ernst.

Fräulein Margarethe. Hm!

Klara. Ich bin überzeugt, daß Baron H. die achtungswürdigsten Eigenschaften mit seiner guten Laune verbindet. Er scheint mir einer von den wenigen zu sein, mit denen man sich sicher auf die Reise durchs Leben wagen könnte,

Fräulein Margarethe. Hm, hm. 238

Klara. Ich bin überzeugt, daß er die Frau recht glücklich machen würde, die sich gehörig auf ihn verstände.

Fräulein Margarethe. Hu, es ist entsetzlich heiß.

Klara. Und es muß eine wahre Freude sein, zum Glück eines so guten und liebenswürdigen Menschen beitragen zu können.

Fräulein Margarethe (bei Seite). Um Gotteswillen, das wird zu toll! (laut) Ja wenn man überhaupt überzeugt sein darf, Jemanden auf dieser Welt glücklich machen zu können.

Klara. Manchmal kann man dieß wohl hoffen. Und wenn ich eine Freundin hätte, die der Baron H. liebte und sie liebte ihn, so würde ich ihnen rathen, alsbald Hochzeit zu halten, und würde mich in ihrem Glücke glücklich fühlen.

Fräulein Margarethe (herausbrechend). Klara, um Gotteswillen, sage mir, bist du in den Menschen verliebt?

Klara. Ich nicht . . . aber . . . aber . . .

Fräulein Margarethe. Nun was? aber . . . aber . . . kannst du nicht sprechen. Kind?

Klara (die Arme um ihren Hals schlingend). Aber ich bin überzeugt, daß du es ein Bischen bist und . . . .

Fräulein Margarethe. So erwürge mich nur nicht deßwegen! . . . . Klara verzeih! Aber ich bin reizbar. Verzeih mir, Klara, aber ich bin in Angst und du . . . . du treibst Scherz damit!

Klara. Laß mich meinen Satz schließen und dich umarmen. 239

Fräulein Margarethe (mit Thränen in den Augen). Thue, was du willst, Klara.

Klara. Nun gut denn. Ich schloß damit – und ich bin überzeugt, daß – oder vielmehr, ich weiß, daß Baron H. dich wieder liebt, daß er dich schon lange liebt.

Fräulein Margarethe. Das war gut gesprochen, Klara! Und du bist überzeugt davon, Klara? Und bist erfreut darüber, Klara?

Klara. Ja von ganzem Herzen. Denn er und du, ihr seid beide einander würdig und müßt einander glücklich machen. Ich wünschte euch beiden bloß ein wenig mehr Klarheit über eure Gefühle.

Fräulein Margarethe. Ich kann mir in meinen Jahren die Beschuldigung der Unklarheit über mich selbst und der Unkenntniß meiner Gefühle nicht gefallen lassen. Um dir nun das Gegentheil zu beweisen . . . um dir zu zeigen, wie ungerecht du bist, wünsche mir sogleich Glück, Klara. Ich bin mit dem Baron verlobt. Ich bitte dich . . . sieh nicht so wie vom Donner gerührt aus. Hänge die Arme nicht, wie wenn sie von Blei wären! Lege sie jetzt um meinen Hals – dieß paßt jetzt besser als vorhin und ist das liebste Halsband, das ich je gehabt habe oder haben werde. Sieh so! So ist es recht! Denn siehst du, meine Klara, mein böses Mädchen, wenn es dir jemals einfallen sollte, mich wegen dieser Verbindung weniger zu lieben, oder dich weniger gut in meinem Hause zu befinden – siehe, so geht sie sogleich in Rauch auf.

Klara. Nein, nein, nein! fürchte das nicht! Ich werde glücklich sein in dem Glück und der Seligkeit des Barons. Ich werde ihn lieb haben . . . . 240

Fräulein Margarethe. Nur sachte, sachte! Von allen diesen Gelübden, einander so entsetzlich lieb zu haben, dispensire ich von vornherein sowohl dich als den Baron. Ich bin vollkommen zufrieden, wenn ihr mit einander übereinkommt, mich lieb zu haben. Ich für meinen Theil denke mein Möglichstes zu thun, um euch zu dieser Pflicht anzuhalten. Sage mir Klara, daß du sie nicht schwer findest.

Klara (aus der Fülle des Herzens). Sie ist die beste, die freudigste meines Lebens.

Der Vorhang fällt.

 


 


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