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Meine Brüder, frischer Muth,
Tanzet, hört, sie spielen.
Bellmann.
Und gewiß sollen wir fröhlich sein; so will es die Natur, so will es der Schöpfer. Tanz und Musik sind eine Grundidee in der großen Oper der Schöpfung. Singend tanzen die Welten ihre Runde um die Sonne; singend tanzen die Fliegen ihre Figuré im Sonnenschein; die Woge tanzt auf dem Schooße der Mutterwelle; das Laub vor dem Winde her, die Winde spielen ihre eigenen Geigen zu diesem wilden Walzer; das Kind tanzt in den Armen der Mutter, das Feuer ist losgelassen ein ewiger Tanz; auch der Himmel hat seinen Shawltanz, indem er die Schleier der Wolken um sich hüllt, löst und zusammenzieht. (In diesem Augenblick mache ich eine 188 glissade-assemblé mit meiner Feder, und du, mein geneigter Leser, bist du mir nicht schon lange in meiner Galoppade gefolgt?)
Der Wilde tanzt in Lust und Schmerz, und durch Kunst die Versuche der Natur vollendend tanzt der gebildete Mensch mit Sinn und Schönheit, so daß die Thiere lauschen und die Engel lächeln. Seine Attitüde ist ein Schweben auf der Gränze einer höheren Welt. Sein Tänzer, derjenige, dessen Hand ihn hinüberführt, ist der Tod. Lieblich müssen die Gesänge der Himmel tönen in den Ohren der Auferstandenen.
Auf einem grünen ebenen Plan tanzt die Badegesellschaft in Ramlösa. Freundlich und schweißbedeckt beschäftigt sich der Baron damit, rechts und links tanzlustigen Herren tanzlustige Damen vorzuführen. Die Tanzunlustigen zwingt er in Gutem, sich gleichfalls herumzuschwingen, denn der Baron H. liebt es, daß die Menschen munter und gefällig sein sollen; er war durch schweigende aber beinahe einstimmige Uebereinkunft maître de plaisir der Gesellschaft geworden. Er kannte alle Welt, war wohlgelitten von aller Welt und nahm überdieß die Welt so klug und so leicht, daß sie sich wohl dabei befand, ihm zu folgen. Dieser Posten paßte auch vollkommen für seine muntere Laune, schien jedoch weniger mit seiner Korpulenz übereinzustimmen, die durch seine Anstrengungen für Andere gewaltig litt. Baron H. schien jedoch entschlossen zu sein, sie leiden zu lassen, ja er schien mit Absicht auf diese Bürde loszustürmen. Fräulein Margarethe scherzte gegen Klara über diese Beweise seiner Liebe und prophezeihte, er werde an einem schönen Tag, schmal und nett, wie sein Vetter Pasteaureau vor Klara das Knie beugen und ihr Herz gewinnen.
Die grausame Margarethe! Während der Baron schwitzt und sich abarbeitet, um das Leben Aller angenehm zu machen, wälzt sie die drohendsten Plane gegen seine Ruhe, ja sogar gegen sein Leben in ihrem Haupte. Sie hätte nämlich beschlossen, seine Liebe zu Klara bei 189 der nächsten besten Gelegenheit auf einige recht harte Proben zu stellen. Wenn sie sich überzeugen würde, daß nicht bloß eine ganz gewöhnliche Zuneigung für sie, nicht bloß der Wunsch nach einem gemächlichen, epikuräischen Leben, sondern wahre Liebe die Triebfeder seiner Bewerbung um Klaras Hand ausmachte, so wollte sie selbst seinen Fürsprecher bei Klara machen; im andern Fall aber nahm sie sich vor, mit Ernst und Nachdruck einer Hofmacherei ein Ziel zu setzen, welche die verabredete, dreimonatliche Bedenkzeit bei Weitem überschritt und den Leuten bereits zu reden gab. Hiemit verband sie den festen Vorsatz, in Gutem oder Bösem herauszubringen, woher Filius komme. Laß mich dir sagen, mein Leser, daß es eine gefährliche Sache war um Fräulein Margarethens Willen, wenn sie sich einmal Etwas in den Kopf gesetzt hatte.
Wo waren wir soeben? Richtig, beim Tanze im Grünen. Der Abend ist schön. Der Wind hat aufgehört, Blumen und Laub zu wiegen. Stille ruht er jetzt und schläft im Haine. Aber noch singen die Vögel der sinkenden Sonne ihr Abschiedslied zu. Ninas bezaubernde Sylphidengestalt schwebt im Walzer dahin. Derjenige, der sie mit seltener Anmuth führt, ist ein bildschöner junger Mann mit Apollos Zügen und Amors Lächeln. Wie heißt er? Wir wollen ihn Don Juan nennen. Was ist an Don Juan zu bemerken? Daß er der Held ist von Byrons längstem Gedicht, ein Vetter von Richardsons Lovelace und gleich ihm berüchtigt durch seine Siege über die Schwachen des schönen Geschlechts, folglich auch nach der Aussage gewisser Denker ein entschiedener Günstling aller Frauenzimmer.
Heilige Clarissa! Aurora Raby, du schönstes Sternbild, das Byron an seinem stürmischen Himmel heraufgerufen hat! In eurem und eurer Vorbilder Namen protestiren wir gegen dieses beschränkte Urtheil und erklären, daß diese Denker bloß das bereits von der Welt verdorbene Weib der großen Städte gekannt haben, nicht 190 aber das Weib, wie es in seiner Wahrheit, in seiner Eigentlichkeit ist.
Gefährlich war Don Juan in der That. Denn wer konnte in diesem offenen klaren Blick, in diesem herzlichen Lachen, in diesem liebenswürdig unbedachtsamen Wesen Betrug ahnen? Wer konnte glauben, daß Verworfenheit in einer Seele wohne, welche so warm für alles Gute und Schöne zu empfinden schien und ihn in Augenblicken stiller Vertraulichkeit darüber seufzen ließ, daß er im Leben nicht gefunden, was er gesucht, nicht geworden sei, was er gewollt.
Nina ahnte Nichts und ließ sich von einem Wohlgefallen und einem Leben hinreißen, das angenehm auf sie wirkte. Die Gräfin wußte nur zu gut, wo sie daran war, und deßwegen interessirte sie sich höchlich für den interessanten Fremdling und seine ausgezeichneten musikalischen Talente. Er wurde einer der intimsten Freunde ihres Kreises. Fräulein Margarethe durchschaute Alles klar, schwieg aber und hielt Don Juan kurz und kalt. Klara wich ihm mit einer Art Widerwillen aus, dessen Ursache sie sich nicht erklären konnte und der viel Aehnlichkeit mit dem weisen und sichern Instinkt hatte, womit die Thiere schädliche Pflanzen vermeiden; er dagegen suchte sie, denn er wußte recht gut, warum, und bewahrheitete damit die oft gemachte Anmerkung, daß der Wollüstige vorzugsweise das Reine sucht, jedoch nicht, um sich zu ihm zu erheben, sondern um es zu sich herabzuziehen. Indeß schien Klara nur ein Nebengedanke für Don Juan zu sein; seine Aufmerksamkeit und seine Huldigungen wurden mit jedem Tage ausschließlicher Nina gewidmet.
Doch zurück zum Tanz. Nein der Tanz ist zu Ende. Baron H., der sich einer sitzengebliebenen Dame angenommen hat, ruht keuchend im Grase. Fräulein Margarethe, mild gestimmt, reicht ihm mit eigener Hand ein Glas Limonade. Der Präsident wartet auf seine Gräfin, die sich Etwas unruhig nach Nina umsieht, ihre Unruhe aber über einem höchst interessanten Gespräche 191 mit einem schönen Obersten vergißt. Nina ist mit einigen Bekannten in die schattigeren Theile des Parks gewandelt. Don Juan folgt ihr und sucht ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Unvermerkt trennt er sie von der übrigen Gesellschaft, und als die Andern sich setzen, wählt er für Nina ein Plätzchen, entfernt genug, um nicht gehört werden zu können, und doch nahe genug, um Nina nicht besorgt zu machen. Die Stille des warmen Abends, die Schatten der dichtbelaubten Bäume, Alles trug dazu bei, die wehmüthige Stimmung, die ihr eigen war, zu erhöhen. Träumerisch legte sie den schönen Kopf in die Hand und blickte in die dämmernde Gegend. Don Juan sah ihre Gemüthsstimmung und benützte dieselbe. Mit leiser melodischer Stimme sprach er zu ihr von der Leere des gewöhnlichen Lebens, von seinem Dunkel, seiner Kälte und seinen Fesseln. Er sprach vom Leben der Natur, das so warm, so liebreich sei, worin Gottes Leben, Gottes Güte sich offenbart. Er sprach von einem der Natur angemessenen und deßhalb auch schönen und reichen Leben, ähnlich dem, das die Patriarchen geführt, oder dem, das in schöneren, von der Sonne gebadeten Ländern noch jetzt das Recht der freien Menschen sei. Er pries die Macht der Liebe Alles zu verherrlichen; sie sei der selige Traum des Lebens, das einzige Veredelnde, das Einzige, weßhalb es sich der Mühe lohne, zu träumen. Er citirte Verse aus dem Evangelium Johannis. Seine Worte waren rein, seine Stimme hinreißend lieblich, die Sprache poetisch schön; Nina sah die Schlange nicht, die unter den Blumen hinschlich. Sie hörte beinahe gedankenlos zu, aber ein Zauber war über sie gekommen. Wunderliche, unklare, aber angenehme Gefühle schwellten ihre Brust; sie überließ sich ihnen mit Genuß. Die Natur öffnete ihr gleichsam ihren Schooß; sie hätte sich in sie versenken mögen, sich vermischen mit den Blumendüften, mit den Schatten, mit den Thautropfen, mit dem ganzen wunderbaren Leben, das sie umgab. Eine Woge von Wollust ging über ihre Seele; Thränen drängten sich in ihre 192 Augen, während sie sich senkten vor dem dunkelglühenden Blick, der unverwandt mit einer Art Zaubermacht auf ihr ruhte.
Es entstand eine Bewegung in der Gruppe ringsumher. Man erhob sich, um umzukehren. Auch Nina stand auf, sie erhob ihren Blick gen Himmel, von wo ihr die klarfunkelnden Sterne entgegenstrahlten. Dieß machte einen peinlichen Eindruck auf sie. Der Sternblick kam ihr streng und kalt vor, erinnerte sie an Edlas durchdringendes Auge. Nina senkte die ihrigen wieder, aber ein unwillkürliches Gefühl trieb sie, sich von Don Juan zu entfernen. Dieß entging seinem erfahrenen Auge nicht, und hastig, aber leise und kummervoll sagte er: »Dank für diese Stunde nach langen Jahren der Leere! Die Erinnerung daran wird mein guter Engel werden, und mich den Ueberdruß des Lebens leichter ertragen lehren. Mein Wesen kann leichtsinnig scheinen, aber mein Herz hat eine Tiefe des Gefühls! . . . Ich bin einsam, unverstanden einhergewandelt; – Niemand kannte mich so, wie ich bin . . . und ich – bin noch niemals glücklich gewesen.« Die letzten Worte sprach er mit tiefem Gefühl, sodann schwieg er und bot Nina den Arm. Sie nahm ihn an. Er war ja unglücklich, unverstanden. Schweigend kehrten sie durch den ruhig gewordenen Wald zurück und das Geräusche der Gesellschaft sprach sie nicht an. Nina ging mit gesenkten Augenlidern stumm und sich selbst unbegreiflich, fühlte aber den Blick, den er sehr häufig auf sie richtete.
Die Gesellschaft war noch auf dem Tanzplatz versammelt. Man lauschte einem Flötenspieler, der bei der Ankunft der Spaziergänger seinen letzten Triller geblasen hatte. Don Juan wurde umringt. Man bat ihn allgemein, mit seinem wohlbekannten Talent die Freuden des Abends zu krönen. Er ließ sich nicht lange bitten, nahm eine Guitarre aus den Händen der Gräfin Natalie, setzte sich auf einen moosigen Stein und präludirte. Es war ein herrlicher Anblick, wie er dasaß, den schönen 193 Kopf gedankenvoll gebeugt, die dunkeln Byronschen Locken sanft von dem Abendwinde gehoben, während die weiße weiche Hand feurig über die Saiten flog. Er sang und Alles war aufmerksam. Schöneres hatte noch Niemand gehört. Es war eine wilde Romanze von unglücklicher Liebe. Es lag Leidenschaft darin, Verbrechen, wilde Glückseligkeit, Wahnsinn, Tod. Der Sänger erbleichte vor seinen eigenen Tönen; die Zuhörer mit ihm. Schauer durchzuckten sie und sympathetisches Zittern säuselte auch in den Bäumen. Alles schwieg in einer Art Betroffenheit, als die letzten, abgebrochenem melancholischen Akkorde gleich Todesseufzern entschwebten. Da fesselte Don Juan einen langen flammenden Blick auf Nina. Die Töne wurden lieblich, schmelzend, gleichsam trunken von Entzücken. Don Juan besang die glückliche Liebe, die freie, paradiesische, so wie Albano und Correggio sie gemalt haben. In Nina's Brust zitterten Saiten, die bisher stumm gewesen. Ahnung und Sehnsucht, ein unendliches Weh und eine unendliche Wonne erfaßte sie. War es ein Abgrund, war es der Himmel, der sich vor ihr öffnen wollte? – Sie wußte es nicht. Sie hätte in diesem Augenblick sterben mögen, und gleichwohl hatte sie nie, wie jetzt, den Reichthum, die Fülle des Lebens geahnt.
Was Ninas Seele so mächtig erfaßte, blieb nicht ohne Wirkung auf die Andern, und manches Herz schmolz bei diesem Blick in ein verlorenes Eden. Thränen stiegen in manches Auge, manche Liebesflamme schoß daraus hervor, nicht um Feuer bei dem Nachbar zu entlehnen, sondern anzuzünden. Manche rosige Erinnerung stieg in der Seele des Greisen auf und die alten Damen . . . . nein das ginge doch zu weit. Wir können, mein Leser, die Zeit nicht damit zubringen, über alle Eindrücke des Gesangs Rede zu stehen. Groß ist die Macht des Gesanges, größer jedoch die des Schlafs, wenigstens in unserem etwas schwerfälligen Norden. Fräulein Margarethe war die Erste, die diese Bemerkung machte, und sich gähnend gegen den Baron H. wandte: »Dieß mag 194 Alles ganz schön sein, allein es ist doch nicht schön genug, um uns die ganze Nacht hieherzufesseln. Hören Sie Baron, lassen Sie uns etwas Besseres thun, lassen Sie uns nach Hause gehen.« Baron H. antwortete in einer Sprache, die Fräulein Margarethe gänzlich unbegreiflich war, und die sie sich unmöglich erklären konnte, bis sie sah, daß er schlief. Da lag er in dem grünen Grase, mit offener Brust, das offene, heitere, etwas bacchusähnliche Gesicht in träumender Vergnügsamkeit gegen den Himmel gewandt.
Fräulein Margarethe winkte Klara und zeigt ihr lächelnd den Schläfer. »Er erkältet sich,« sagte Klara mit sorgsamer Unruhe, nahm einen Shawl und breitete ihn über ihn aus. War es nun in Fortsetzung eines Traumes, oder wachte der muthwillige Mann wirklich, oder sah er im Traume, genug, als Klara sich bückte, um ihn zu bedecken, streckte er seine Arme gegen sie aus; allein Klara erhob sich schnell und er faßte bloß ihre Hände, die er herzlich küßte. Klara ließ es ruhig geschehen. Fräulein Margarethe sah zu. Filius hatte inzwischen seine eigene Beschäftigung. Er hatte an diesem Abend eine besondere Vorliebe für ein gewisses Karolinchen gefaßt, eine fünfzehnjährige niedliche Deutsche, und machte ihr damit den Hof, daß er mit einem Stück Kreide Arabesken auf ihre Schuhe und den Saum ihres schwarzen Kleides zeichnete. Vergebens sprach sich das junge Mädchen müde: »Lieber Filius, laß doch sein. Laß mich in Ruhe, guter Junge. Nein du bist wirklich unausstehlich.« Der Kunsteifer war nun einmal über Filius gekommen; er antwortete weder, noch folgte er, noch schien er überhaupt zu hören. Fräulein Margarethe, die neben der jungen Gepeinigten saß und Filius' Manier eine Weile mitangesehen hatte, fügte jetzt einen verbietenden Machtspruch zu Karolinens Bitten. Filius schwieg, drehte sich um und beinahe in demselben Augenblick sah Fräulein Margarethe eine lange weiße Römernase ihr eigenes, dunkelgrünes Seidenkleid schmücken. Das war zu stark. Während Fräulein Margarethe den 195 Auftritt zwischen dem Baron H. und Klara beobachtete, drückten sich ihre feinen Lippen fast unmerklich zusammen, eine gewisse Bitterkeit kam über ihr Gesicht, und ihre weißen Finger fanden den Weg in Filius blonde Locken und Au, au, o weh, o weh! erschallte weithin ein durchdringendes Jammergeschrei. Baron H. sprang schnell, wie ein Eichhörnchen auf, und rief: Filius! Filius ging unter heftigem Schluchzen zu seinem Pflegevater und konnte bloß die Worte stammeln: »Sie hat mich ger . . . gerauft . . . sie hat mich gerauft!«
Eine gewisse Verwunderung, eine Bestürzung mit Heiterkeit vermischt verbreitete sich unter den Umstehenden. Baron H. aber sah Fräulein Margarethe mit einem Blicke an, der eine Erklärung zu fordern schien. Fräulein Margarethe stand mit einer gewissen Würde auf, und sagte: »Mein bester Baron, ich muß Ihnen nur sagen, daß die Strafe wohlverdient war. Zugleich habe ich den Wunsch auszudrücken, daß Sie selbst diese Sorge auf sich nehmen möchten und sich etwas von der Methode aneigneten, die ich so eben an den Tag gelegt habe. Der Junge wird sonst in Bälde rein unerträglich.«
Der Baron antwortete Nichts, sondern nahm seinen Filius, dessen Kummer indeß bereits von Klara glücklich beschwichtigt war, bei der Hand und schickte sich an zu gehen.
Die übrige Gesellschaft brach nun ebenfalls auf. Klara erwartete, ihren Shawl wieder zu bekommen, allein daraus wurde Nichts. Baron H. schlang ihn ganz ruhig um seinen Rock und rühmte seine Weichheit, seine Wärme, seinen milden Charakter. Fräulein Margarethe gab Klara einen von ihren Shawls, denn sie hatte mehrere, und ging stumm, wie eine Mauer nach Hause. Beim Abschied brachte Klara freundlich ihren Shawl noch einmal in Erinnerung, allein der Baron steckte ihn bloß in seine Tasche und erklärte, er gedenke sich nie mehr von ihm zu trennen.
Nina wurde von Don Juan bis an ihre Thüre 196 begleitet. Hier heftete er einen seiner flammenden Blicke auf sie und verließ sie. Aber als sie schon im Bette lag, wurde Nina noch von seinen Tönen entzückt, die mit unendlicher Anmuth in einer wiegenden Barcarole aus dem Syringenbusche unter ihrem Fenster hervorklangen. Der Mond schien hell; er schien auch über ihr Bett. Das dunkle Fensterkreuz warf seinen tiefen Schatten über ihre Brust. Nina sah es. Das Sinnbild der Entsagung und des Schmerzes lag über ihr, aber sie war auch von Himmelsglanz begossen. Draußen lebten Gesang und Liebe. Ihr Herz schlug unruhig, ihre Gedanken waren verworren, ihre Thränen floßen, und die weißen Arme still über den Schatten auf ihrer Brust kreuzend, gab sie sich in schweigendem Gebet dem Vater hin, der besser, als sie, in ihre Seele blickte und ihr Schicksal bestimmte.
Noch an demselben Abend stellte Fräulein Margarethe Klara zur Rede über ihre Worte: Er erkältet sich! und fragte in allem Ernst, ob sie ihn warm zu halten gedenke, nicht bloß mit ihren Shawlen, sondern auch mit ihrem Herzen. Klara verneinte es, zuerst lachend, dann mit vielem Ernst. »Gut!« dachte Fräulein Margarethe.
Klara hatte indeß an diesem Abend viel von ihrer Freundin zu leiden, die mitunter Etwas unbarmherzig war und sie oft fragte, wie viele Kleider sie noch zu verschenken habe. Sie erklärte auch, sie möchte gern andere Beweise von H.'s Liebe sehen, als solche, wodurch Klara um ihre Kleider komme. Mehr als einmal fragte sie mit schelmischen Blicken, was wohl daraus am Ende, entstehen werde. Aber Klara nahm den Scherz gut auf, blieb ruhig und ließ sich nicht irre machen. Dagegen war das Verhältniß zwischen Fräulein Margarethe und dem Baron wirklich einigermaßen gestört. Eine gewisse Spannung, eine gewisse kalte Höflichkeit trat auf ein paar Tage an die Stelle der früheren heiteren Freundlichkeit.
Sieht es nicht aus, als ob wir den Präsidenten gänzlich vergessen hätten? Nein, vergessen haben wir ihn 197 nicht, aber er tritt immer mehr in den Schatten neben seiner glänzenden Gemahlin, auf die er jedoch sehr stolz und auch ein wenig eifersüchtig ist. Er trinkt gewissenhaft jeden Morgen seine zwölf Gläser und klagt Etwas über seinen Magen und seine Laune, allein Gräfin Natalie achtet nicht darauf. Sie musicirt an Einem fort mit Don Juan und Nina. Allein mit ihnen und besonders allein mit Nina entwickelt Don Juan seine bewundernswürdige Talente. Er badet sich gleichsam im Gesang und berauscht sich in seinen eigenen Tönen. Nina ist wie bezaubert und sinkt von Tag zu Tag tiefer in eine süße schwärmerische Wehmuth. Don Juans Leidenschaft für sie wird mit jedem Tag deutlicher und mit jedem Tag heftiger. Er umgibt sie mit seiner Verehrung, mit seinem Gesange, mit seinem ganzen glühenden und poetischen Leben – ihr Leben schaukelt auf Wogen des Wohllauts und der Wollust.
Wie starke Blumendüfte wirken, so wirkten diese Musikdüfte auf sie: es war ein liebliches, aber betäubendes Gefühl, ein angenehmer Rausch, ein süßes Gift; – von einem solchen, meine Leserinnen, kann man sterben, wenigstens an der Seele sterben.
»Aber in Gottes Himmel singen ja auch seine reinen Engel. Der Gesang ist an sich selbst so göttlich! Wie kann er die Seele tödten?«
»Es kommt darauf an, weß Geistes Kind er ist, meine Allerkostbarste. Das edelste Werkzeug kann, von einem schlechten Willen mißbraucht, Mittel zum Bösen werden. Es gibt ein Feuer, das leuchtet und belebt – es gibt aber auch ein Feuer, das zerstört.«
»Aber . . . .«
»Aber und Aber, du holder Engel, dessen reinen Sopran ich dereinst in den Chören des Himmels, wenn nicht schon früher, zu hören hoffe – ich habe heute keine Zeit, mit dir Worte zu wechseln. Ohnehin wird Klara, die fromme Klara, besser als ich auf deine Zweifel antworten.« 198
»Warum, Klara,« fragte Fräulein Margarethe, »gehst du fast jedesmal hinaus, wenn Don Juan sich ans Piano setzt und so singt, daß Nina zerschmilzt, Natalie aber ganz begeistert aussieht und ihre Augen nach allen Seiten hinwendet, nur nicht nach dem Präsidenten, der gleichwohl sein Möglichstes thut, um sich im Entzücken zu erhalten? Sage mir, warum schleichst du dich immer weg?«
Klara wurde roth, antwortete aber lächelnd: »Weil ich von Don Juans Tönen weder schmelzen noch begeistert werden will.« Sie schwieg und fügte nach einer Pause unter tieferem Erröthen hinzu: »Ich liebe die Musik sehr und habe kein härteres Herz als Nina, allein in Don Juans Gesang liegt Etwas, was mir nicht wohlthut. Er regt auf und macht weich, ohne auf irgend eine Weise zu beruhigen. Es ist Etwas an ihm und auch an seinem Gesang, was deutlich verräth, daß seine Seele und seine Absichten nicht rein sind.«
»Aber dein Herz, dein Verstand ist es!« sagte Fräulein Margarethe, indem sie ihre Freundin in die Arme schloß. »Ich möchte nur wünschen, daß die schöne und vollkommene Nina, wie Natalie sie nennt, halb so viel Einsicht hätte.«
»Sprich mit ihr, warne sie!« bat Klara innig und eifrig. »Sie ist noch so jung und so gut.«
»Damit befasse ich mich nicht,« sagte Fräulein Margarethe bestimmt. »Ich verstehe mich nicht recht auf das Mädchen, und ohnehin kommt bald Jemand, der sie und Don Juan mit unter seine Aufsicht nehmen wird. Graf Ludwig R. wird nächster Tage hier erwartet, und ich denke, er wird die Hitze mit den Singübungen schon abkühlen. Mit Natalie habe ich inzwischen gesprochen, aber das heißt tauben Ohren predigen. Sie hat überdieß ein Talent, aus Schwarz Weiß zu machen, und . . . . doch es läutet zum Mittagessen. Nimm deine Tüllpelerine, Klara, d. h. wenn du noch eine hast – es ist doch höchst sonderbar, daß Baron H . . . .« 199
Klara verschloß die scherzenden Lippen mit einem Kuß und beeilte sich, ihrer Freundin zur table d'hôte zu folgen.
Fräulein Margarethe setzte sich neben Baron H. Man sah es Beiden an, daß sie wieder Freunde werden wollten. Baron H., dessen glänzendste Stunde den Tag über immer die Essenszeit war, und der die seltene Gabe besaß, zugleich zu essen und zu sprechen, und zwar beides mit großem Geschmack und vieler Lebendigkeit, war heute ganz besonders charmant. Er sprach mit Fräulein Margarethe viel über Kindererziehung, und Fräulein Margarethe gab ihm halb scherzhaft, halb im Ernst einige ziemlich handfeste Rathschläge, die für Filius mehr heilsam, als angenehm waren. Fräulein Margarethe sprach auch allerhand über seine Zukunft und fragte, ob es wohl zweckdienlich sein würde, ihn für die Profession seiner Mutter auf dem Theater zu bestimmen; bemerkte aber zugleich, Filius scheine wenig Talent zum Tanzen zu haben, denn er gehe immer einwärts mit den Füßen.
Baron H. stierte Fräulein Margarethe mit einiger Verwunderung an, hustete, trank ein Glas Wein und antwortete dann, der Junge dürfe seinen Beruf ganz nach Neigung wählen. Fräulein Margarethe fragte nun weiter, ob er vielleicht Decorationsmaler werden wolle, und erzählte mit vieler Munterkeit die Geschichte von der Zeichnung und dem Raufen auf dem Tanzplatze. Sie lachten beide darüber. Der Baron gab zu, daß die Züchtigung mehr als verdient gewesen sei, und bat sich sogar auch für die Zukunft Fräuleins Margarethens Rath – er sagte jedoch nicht Beihülfe bei Filius Erziehung aus. Fräulein Margarethe versprach, ihr Möglichstes zu thun, und sorgte dafür, daß der Baron die besten Bissen auf den Tisch bekam. Ueberhaupt kamen sie in Allem vortrefflich überein, so daß Klara, die ihnen gegenüber saß, im Stillen darüber lächelte, aber nicht bemerkte, daß sie sich besonders zu ihrem Lobe so lebhaft und innig vereinigt hatten. Baron H.'s Augen 200 glänzten dabei wie zwei von der Sonne beschienene Krystallkugeln.
Die große Freundschaft der Antagonisten erstreckte sich auch auf den ganzen Nachmittag und als Baron H., der seinem Abmagerungssystem gemäß, wie es Fräulein Margarethe nannte, ein sehr eifriger Spaziergänger war, nach Tisch eine ziemlich lange Promenade vorschlug, ließ sich Fräulein Margarethe, obgleich sie keine besondere Freude am Spazierengehen hatte, sehr bereitwillig finden, ihn zu begleiten. Klara freute sich auf die schönen Naturscenen, deren Anblick ihr der Baron versprach, und ging ruhig und glücklich an der Seite ihrer Freundin. Filius, der Fräulein Margarethe immer noch gram war und ihr zuweilen grimmige, mißtrauische Blicke zuwarf, war gleichwohl heute ungewöhnlich lebhaft und pflückte mit vieler Auswahl die schönsten Blümchen für Klara und seinen Vater. Fräulein Margarethe bemerkte, daß der Junge bei all seiner Unart doch Denjenigen, die gut gegen ihn gewesen waren, mit treuer Liebe anhing, und beschloß deßwegen, es mit der sanften Methode zu versuchen, um einige Gewalt über ihn zu bekommen.
Der Herr mit den Schwierigkeiten und die Dame mit den Leichtigkeiten waren die Einzigen von der übrigen Gesellschaft, die mitgingen; wir wissen nicht genau, in Folge welcher Schwierigkeit, oder wegen welcher Leichtigkeit. Das Gesellschäftchen war bereits eine gute Strecke munter vorangeschritten, als eine Gewitterwolke, die hinter den Wandrern aufstieg, den Herrn mit den Schwierigkeiten veranlaßte, eine furchtbare Grimasse zu schneiden, und Fräulein Margarethe im Stillen fragte, ob ein Gewitter mit Donner und Regen wohl zu den herrlichen Naturscenen gehöre, womit der Baron H. Klara bewirthen wolle. Inzwischen ließ sie, sei es nun aus Gutmüthigkeit oder Bosheit, Nichts von ihren unglücklichen Ahnungen verlauten. Der Baron sah sich auch einmal nach der Wolke um, sang aber fröhlich weiter vor sich hin und setzte die Wanderung mit der allerbesten Laune 201 fort. Nicht so der Herr mit den Schwierigkeiten. Er und seine Schwester blieben einige Schritte hinter den Andern zurück und Fräulein Margarethe hörte folgendes Zwiegespräch zwischen ihnen:
»Es sieht mir aus, als ob dieß eine schöne Geschichte werden sollte. Wir bekommen ein Gewitter, daß Gott erbarm! der hirnverrückte Baron H.! Wir werden Alle pudelnaß werden.«
»Buonapartchen, ich versichere dich, daß es nicht gefährlich ist. Es geht vorüber. Der Wind bläst gegen die Wolken.«
»Bläst, bläst! Herr Gott, wie du doch immer phantasirst! Und wenn die Wolke gegen den Wind aufsteigt, so möchte ich nur wissen, welchen Dienst dein vermaledeites Blasen uns thun soll, außer daß es uns die Augen mit verdammtem Staub erfüllt und die Hüte vom Kopf nimmt. Der Wind ist gar zu widerwärtig. Ich möchte nur wissen, wozu der Wind gut sein soll.«
»Ei er ist gewiß auch zu Etwas gut. Mir scheint er recht angenehm zu sein. Er macht, daß man weit frischer geht. Ich nehme gern mitunter ein Luftbad. Es ist gesund.«
»Bade so lange du willst im Wind oder Staub, allein ich bitte mich damit zu verschonen. Ein Regentropfen! ja, ja, da haben wirs. Jetzt bekommen wir acht Tage lang unaufhörlich Regen. Mein Roggen wird platt gelegt und sauer, wie . . . wie . . . auch fühle ich bereits, daß das kalte Fieber wieder heranrückt, das ich vor fünf Jahren gehabt habe. Sieh da kommt ja die verdammte Wassermasse hinter uns, wie eine Sündfluth.«
»Du wirst schon sehen, daß wir an Ort und Stelle kommen, ehe der Regen anfängt. Diese kleinen Streifen haben nicht viel zu bedeuten und sind überdieß weit von uns weg. Wir kommen bald unter Dach und Fach und da hat Baron H. uns einen guten Kaffee versprochen.«
»Kaffee, ja, ja, den Kaffee werden wir aus einer Regenpfütze zu trinken bekommen, sage ich dir.« 202
»Wir werden an Ort und Stelle sein, ehe du daran denkst.«
»An Ort und Stelle? Wir kommen gar nicht an Ort und Stelle, sage ich, denn wir ertrinken und diese Promenade da wird mein Tod.«
»Wollen wir vielleicht umkehren, dann können wir noch . . .«
»Wir können gar nicht zurückkommen, ehe es über uns herabregnet und donnert und blitzt.«
»Aber wir könnten ja den Versuch wagen und wollen das Beste hoffen.«
»Nein, sage ich. Nein, nein, nein, nein, nein!«
»Aber was sollen wir denn thun? Es ist doch gewiß besser, irgend wohin, entweder vorwärts oder zurück zu gehen, als hier stehen zu bleiben.«
»Ja da haben wirs! Was sollen wir thun? heißt es allemal, wenn alle mögliche Dummheiten bereits begangen sind und dann steht man simpelhaft da und sperrt das Maul auf Baron H.! Baron H.! Wir bekommen ein Gewitter, wir werden Alle im Platzregen ertrinken! Baron H.! Ich glaube, der Kerl ist taub! Er hört so wenig als wenn er ein Stein wäre. Baron H.! Baron H.! H.! Baron!«
Baron H. stellte sich wirklich taub und ging immer munter voran. Endlich wurde er jedoch so heftig am Rocke gezupft, daß er einige Schritte zurücktaumelte und mit seinem ganzen Gewichte dem ergrimmten Herrn mit den Schwierigkeiten in die Arme fiel, der aus Leibeskräften rief: »Wir bekommen ein Gewitter! wir bekommen ein Gewitter!«
»Ah! Bah!« antwortete der Baron phlegmatisch und mit Mühe ein lautes Lachen zurückhaltend.
»Ah hin und Bah her! Wir bekommen ein Gewitter, sage ich, und werden wegen unserer Einfalt allesammt ertrinken und vom Blitz erschlagen werden.«
»Wir bekommen kein Gewitter, sage ich, aber wenn Sie so ängstlich sind . . . so sehen Sie, dort steht ja eine 203 Scheune. Sie haben dann ein Dach, um darunter, und trockenes Heu, um darauf zu ruhen, bis die Gefahr vorüber ist.«
»Das ist ja charmant!«
»Charmant! Meine Schwester Hebbla findet Alles charmant und man weiß doch, daß der Blitz immer in die Scheunen schlägt. Ueberdieß sticht das Heu; . . . charmant!«
Dieß war für Fräulein Margarethe ganz unwiderstehlich und das herzliche Lachen, in welches sie ausbrach, verdroß den Herrn mit den Schwierigkeiten dermaßen, daß er den Arm seiner Schwester nahm, sich von der Gesellschaft wegwandte und geradezu auf die Scheune lossteuerte. Als Fräulein Margarethe ihrer Munterkeit, in welche Baron H. und sogar Klara mit einstimmten, Genüge geleistet, sagte sie ernsthafter:
»Inzwischen muß ich Ihnen doch sagen, Baron, daß von allen Naturschönheiten ein Platzregen diejenige ist, die meine Neugierde am Wenigsten reizt, und wenn Sie glauben, daß uns dieser Genuß bald bevorsteht, so bitte ich mir wenigstens für mich und Klara aus, ihn von der Scheune aus betrachten zu dürfen, trotz aller dort befindlichen Schwierigkeiten.«
Aber Baron H., dem ganz besonders viel daran lag, sein Ziel zu erreichen – wir glauben auch ein wenig des Kaffees wegen – wollte nichts von der Scheune hören; er verbürgte sich, daß das Gewitter vorübergehen werde; die wenigen Regentropfen haben ja bereits aufgehört, und mit einem lustigen Liede werde man sicherlich die Sonne heraufrufen; zugleich begann er mit der infamsten Stimme von der Welt, wie Fräulein Margarethe sich ausdrückte, ein heiteres Frühlingslied zu singen. Und siehe da! die Sonne zeigte sich wirklich wieder, das Gewölke verzog sich und die Gesellschaft ging lustig weiter, nachdem sie vergebens die Geschwister in der Scheune durch Winke und Zeichen eingeladen hatte, zu folgen. Nur der Wind, der immer heftige Staubwolken über das 204 Feld jagte und mit jedem Augenblick an Stärke zunahm, wurde den Wanderern immer beschwerlicher. Fräulein Margarethe wurde müde und warm, auch ein Bischen verdrießlich, was theils aus ihrem Schweigen zu erkennen war, theils aus ihren kurzen Ermahnungen an Klara, sich gut einzuhüllen, ihren Shawl, sowie den Hut festzuhalten und das Gras bis zur Heuerndte stehen zu lassen, denn Klara konnte nicht umhin, Filius bei seinem Kräutersammeln Gesellschaft zu leisten. Baron H. dagegen wurde immer munterer und pries sein schönes Wetter und seinen Sonnenschein. Die Gesellschaft ging jetzt am Ufer eines rieselnden Flusses hin, über dessen hohe Graswälle einige Bretter gelegt waren, die als Brücke dienen sollten. Sie schienen indeß so gebrechlich zu sein, daß man mit Recht an der Möglichkeit hinüber zu kommen zweifeln konnte. Auf einmal kam ein Wirbelwind, entführte Klaras Hut und Schleier und schmückte damit eine der niedrigen Fichten auf dem andern Ufer. Groß war die Verwunderung und Bestürzung der Gesellschaft.
Nun versichere ich dich, mein Leser, daß ich durchaus nicht weiß, welches boshafte Teufelchen es Fräulein Margarethen in den Kopf setzte, hier eine ihrer Proben von Baron H.'s Liebe zu Klara anzustellen.
Baron H. stand da und betrachtete den Hut auf dem Wipfel der Fichte mit einem Ausdruck, der nahe an Bestürzung gränzte, machte aber nicht die mindeste Miene sich über den gefährlichen Steg zu wagen.
Fräulein Margarethe sah ihn an: »Nun Baron?«
»Ja meine Gnädigste, das ist eine recht fatale Geschichte.«
»Fatal? An Ihrer Stelle würde ich sie eher glücklich nennen. Dieß ist just eine der wenigen Gelegenheiten in unserer steifen langweiligen Welt, wo es einem Liebhaber noch erlaubt ist, den ritterlichen Sinn zu erproben, der die Gefahr verachtet beim Scheine einer Hoffnung, seiner Schönen dienen zu können. Eine edle Gesinnung, die dem Herrn Baron gewiß eigen ist.« 205
»Gehorsamster Diener! Allerdings! Aber . . . aber . . . lassen Sie uns mit allen möglichen Turnspielen noch ein wenig warten; ein Windstoß hat den Hut entführt, ein Windstoß kann ihn auch wieder herüberführen . . . lassen Sie uns noch ein wenig warten . . . lassen Sie uns zusehen.«
»Ich bewundre wirklich Ihre Geduld. Nun ich sehe schon, daß wir dann die ganze Nacht hier stehen müssen, und inzwischen wird Klaras schöner Hut zerrissen und der Wind bläst ihr Kopf und Zahnweh zu.«
»Fräulein Klara könnte ja so lange meinen Hut nehmen.«
»Nein, nein, Baron, sie nimmt ihn nicht, darauf können Sie sich verlassen; sie weiß den Kopf eines Mitmenschen besser zu schätzen, als daß sie ihn seiner Bedeckung berauben sollte. Nein, Sie müssen einen andern Ausweg ersinnen, wenn Sie Klara wohlwollen.«
Baron H. hatte gut gegessen und sich warm gelaufen; – nur ein Ritter Don Quixote könnte sich wundern, daß er mit seinen achtundvierzig Jahren Anstand nahm, sich der tückischen Gemüthsart des Flußgottes Preis zu geben. Klara ihrerseits erklärte eifrig, sie könne ganz gut ohne Hut gehen, und wenn sich nothwendig Jemand über die schwache Brücke wagen müsse, so dürfe dieß Niemand anders sein, als sie selbst. Wie sie sich indessen von Fräulein Margarethens Hand hätte frei machen sollen, die ihren Arm erfaßt hatte, das ist mehr, als sie und wir begreifen können.
Noch eine gute Weile blieb die Gesellschaft stille im Winde stehen, sah zu dem flatternden Hut hinüber und wartete auf den glücklichen Windstoß, der nach des Barons Behauptung ganz gewiß kommen würde. Endlich verlor Fräulein Margarethe die Geduld und rief: »Nein, hier halte ich es nicht länger aus, und da der Herr Baron sich so wenig um Klara bekümmert und so sehr fürchtet, Etwas für sie zu wagen, so gehe ich selbst. Still, Klara!« 206
»Das sollen Sie nicht,« sagte der Baron ganz bestimmt, indem er Fräulein Margarethe zurückhielt, »denn so wenig ich Vergnügen daran finde, mich unnöthig in Gefahr zu stürzen, so fürchte ich mich doch nicht vor einem kalten Bade, am allerwenigsten, wenn es der guten Klara zu lieb genommen wird.« Mit diesen Worten stand er ohne alles Weitere auf dem Steg über dem Flusse.
Fräulein Margarethe, die Klaras Arm unerschütterlich festhielt, schickte ihm eine halblaute Kritik über seinen Ausdruck unnöthiger Gefahr nach, folgte aber bald mit einer Unruhe, die sie indeß nicht sichtbar werden ließ, seiner Wanderung über die Bretter, die sich weit mehr bogen, als sie erwartet hatte. Was in diesem Augenblick aus Reue und Schreck in ihrem Innern vorging, können wir nicht sagen, denn sie hat sich nie gegen Jemand darüber geäußert. Inzwischen war der Baron nahe daran, sein Ziel ohne ein Abenteuer zu erreichen, als sich Etwas ereignete, was er unmöglich hatte voraussehen können. Der merkwürdige Steg bestand nämlich aus drei Brettern, von denen das mittlere sichtbar morsch war. Der Baron vermied daher das juste-milieu und ging mit dem einen Fuß auf dem linken, mit dem andern auf dem rechten Brette. Dadurch bildete sich eine Art Thor, das Filius in Folge einer plötzlichen Inspiration benützen wollte, um seinem Pflegvater eine Ueberraschung zu bereiten und den Hut vor ihm zu erobern. Unglücklicherweise glich der Baron H. nicht dem rhodischen Koloß und Filius war überdieß nichts weniger, als gewandt. Als daher der Knabe wie ein Pfeil herstürzte, verwickelte er sich zwischen den Beinen seines Vaters, welcher erschreckt und ärgerlich einen Schrei ausstieß, weil er nahe daran war, das Gleichgewicht zu verlieren, sich aber doch Zeit gab, Filius einen Stoß zu versetzen. In demselben Augenblicke hatte auch Fräulein Margarethe ihren Fuß auf den Steg gesetzt, um zu Hülfe zu kommen, allein unter dieser dreifachen Menschenlast brach die Brücke und stürzte 207 unter gewaltigem Getöse nebst Fräulein Margarethe, dem Baron H. und Filius in den Fluß hinab, mitten unter einen Haufen schwimmender Enten hinein, die unter schrecklichem Geschrei und Geplätscher die Flügel ihnen in und um ihre Gesichter schlugen.
Baron H. verschwand ganz und gar unter den Wellen, und als er den Kopf wieder über die Oberfläche des Wassers hervorstreckte, gab er so viele wunderliche Töne von sich, daß man wohl – ich glaube mit König David sagen konnte: »Er schrie wie ein Kranich und eine Schwalbe, und girrte wie eine Taube.« Als er sich aber ein wenig erholt hatte, siehe da schwamm er auch wie ein Schwan und steuerte sogleich seinen Unglücksgefährten zu Hülfe. Fräulein Margarethe hatte inzwischen ihre gewöhnliche Entschlossenheit nicht verloren. Mit dem einen Arm hatte sie ein Stück von dem gebrochenen Steg erfaßt, mit der andern Hand aber hielt sie Filius an den Haaren – dießmal in einer ganz andern Absicht, als das erstemal – und war so glücklich, den Knaben an sich zu ziehen, wobei sie Klara beständig zurief, sie solle ruhig sein, denn sie werde sich schon zu helfen wissen. Wir wissen indeß nicht, wie sie damit zurecht gekommen wäre ohne den Baron, der mit eben so viel Geschicklichkeit, als Verstand zuerst mit Filius und dann mit ihr selbst an eine Stelle schwamm, wo das Ufer weniger steil war und eine glückliche Landung gestattete. Hätten die Schwimmenden dabei künstlerischen Sinn genug besessen, sich Etwas reizender zu gruppiren, so hätten sie leicht einem Künstler – wenn nämlich einer dagewesen wäre – einen köstlichen Anblick bereiten können. Baron H. mit seinem gutmüthig fröhlichen, ausdrucksvollen Gesichte war ein unvergleichlicher Flußgott, und Fräulein Margarethe mit ihrer weißen Farbe und ihren regelmäßigen Gesichtszügen eine stattliche Najade. Filius war sehr brav für einen kleinen murmelnden Bach – allein an eine solche Vorstellung dachten die im Wasser sich Abarbeitenden auch keinen Augenblick. 208
Baron H. hatte seine kostbaren Bürden auf das grüne weiche Gras niedergelegt, allwo die vor Schrecken bleiche Klara sie mit Entzücken empfing. Er selbst schien jetzt ins Schwimmen hineingekommen zu sein, denn er stieg bloß ans Land, um seinen Ueberrock abzulegen, und stürzte sich dann zur allgemeinen Verwunderung wieder in den Fluß, schwamm ans andere Ufer hinüber und – kam im Triumph mit Klaras Hut zurück, den er mit der einen Hand hoch über dem Wasser hielt, während er mit der andern ruderte. Fräulein Margarethe war entzückt über diese ritterliche That und ihr Sinn für das Komische hatte an dem so eben bestandenen Abenteuer, so wie an den jammervollen Figuren, welche sie mit einander machten, reichliche Nahrung erhalten. Sie kam in die beste Laune von der Welt. Die Ufer widerhallten von einem unaufhörlichen Gelächter und der kleine Unglücksfall diente – wie es unter guten Menschen oft vorkommt – nur dazu, sie munterer und zu noch herzlicheren Bekannten zu machen.
Die verunglückte Gesellschaft war vom Schicksal und dem Baron H. ganz angenehm in einer kleinen Bucht untergebracht worden, wo sie von dem Graswall und Erlenbäumen vor dem Winde geschützt wurde und sich am Feuer des Himmels trocknen konnte. Inzwischen konnte man, wie Fräulein Margarethe bemerkte, nicht sein ganzes Leben da zubringen.
»Was sollen wir jetzt thun?« war die allgemeine Frage. Ihre Lage war wirklich kritisch. Klara erbot sich nach Ramlösa zu laufen und einen Wagen herbeizuschaffen. Fräulein Margarethe verbot dieß ausdrücklich, denn sie sagte, sie sei überzeugt, daß Klara sich die Schwindsucht an den Hals laufen würde. Sollten sie also durchnäßt, zu Fuß, in diesem Wind und diesem Staub den Rückweg mit einander antreten? Fräulein Margarethe fand diese Trocknungsmethode mehr als bedenklich. Die Gesellschaft am Ufer war somit in großer Verlegenheit, doch wir sind es weniger, denn wir hören 209 bereits in der Entfernung den Hufschlag von Rossen und das Gerassel eines kommenden Wagens. Bald vernahmen auch unsere in der Noth sich befindenden Freunde diese willkommenen Töne, und Baron H. sprang unter schrecklichem Geschrei; »He da! holla ho! Halt! Halt!« auf die Landstraße. Der Reisende war keine geringere Person, als der stolze, vornehme Graf Ludwig R. selbst. Wie erstaunt er war, wie artig er seinen prächtigen Landauer anbot, wie die nasse Gesellschaft samt Klara darin Platz nahm, wie verwundert und verdrießlich die Pferde über die vervierfachte Last waren, wie der Postillon sich mit der Aussicht auf ein vierfaches Trinkgeld tröstete, dieß Alles bitten wir den Leser sich nach eigenem Belieben auszumalen.
Die Gräfin Natalie war gerade in einer ihrer eifrigsten Singübungen begriffen, und Don Juan riß eben sowohl Nina als sie mit einer seiner wilden Balladen hin, als die verunglückte Gesellschaft samt ihrem Retter ins Zimmer trat, allwo ihre Erscheinung eine große und wundersam gemischte Wirkung hervorbrachte. Zuerst Verwunderung, Ausrufe, Fragen und allgemeine Verwirrung, sodann eine allgemeine Spannung während Graf Ludwigs Begrüßungen. Blässe verbreitete sich über Ninas Wangen, als er mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit auf sie zuging. Eine kleine Röthe der Verlegenheit färbte die der Gräfin, als sie ihm Don Juan vorstellte; dieser allein sah ganz unbekümmert aus, indem er Graf Ludwigs steife Begrüßungen und forschende Blicke Etwas nachlässig erwiederte.
Doch wir dürfen unsere nassen Freunde nicht aus den Augen lassen, denn es stehen ihnen noch wunderliche Schicksale bevor. Wie sie trocken wurden, wie sie Fliederthee tranken und zeitig zu Bette gingen, wie Filius deßungeachtet einen heftigen Schnupfen bekam, darüber nehme ich mir die Freiheit schnell hinwegzugehen. Dagegen müssen wir erwähnen, wie Fräulein Margarethe einen Tag nach der Wasserprobe, die im Ganzen 210 bloß ein zweifelhaftes Resultat ergeben hatte, eine Einladung von ihrer Tante, der verwittweten Gräfin Nordstjerna erhielt, einen Tag und eine Nacht auf ihrem eine Meile von Ramlösa gelegenen Gute zuzubringen. Das Einladungsbillet enthielt zugleich die Vorfrage, ob Fräulein Margarethe artig oder unartig empfangen zu werden wünsche. Sie antwortete ohne Bedenken; »Unartig.«
Es thut mir leid, daß ich keine Zeit habe, den Leser nähere Bekanntschaft mit der Gräfin Nordstjerna machen zu lassen, denn ich bin überzeugt, daß er auch beim größten Hasse gegen alle Aristokratie eine große Freude an ihr haben würde. Eine vornehmere alte Dame war nicht leicht in Schweden zu treffen, obgleich ich mehrere weiß, die ihr an die Seite gestellt werden können, und wenn ich vornehm sage, so verstehe ich darunter nicht sowohl ausgezeichnet durch Geburt, als durch ihr Wesen, ihren Verstand und jenes »Je ne sais quoi«, das den Menschen zum Gegentheil von Allem dem macht, was grob, unangenehm und gemein ist; ausgezeichnet hauptsächlich aber durch Adel der Seele, durch Herzensgüte und Sittenreinheit. Wie liebenswürdig sie war, die alte Dame! Sie gesehen und gekannt zu haben, ist eine maifrische Erinnerung in meinem Leben. Sie war liebenswürdig gegen Hoch und Niedrig – ich gebrauche diesen Ausdruck in der gewöhnlichen Bedeutung, obgleich die Gräfin Nordstjerna nie mit diesen Worten die Menschen nach Stand oder Verhältnissen bezeichnete – liebenswürdig gegen Alt und Jung; und namentlich für die letztern entzückend durch ihr Wohlgefallen an heiteren Spässen, ihre sinnreichen Erfindungen, das Wohlwollen und – es will mir kein rechtes Wort dafür einfallen – durch Nachsicht für die Vergnügungen Anderer, sowie durch ihre Bereitwilligkeit nach allen Kräften dazu beizutragen, wodurch sie unwillkürlich Leben und Munterkeit um sich her verbreitete. Reich war sie auch und dadurch in den Stand gesetzt, ihre Wünsche zu befriedigen und Alles um sich zu sammeln, was sie glücklich machen 211 konnte. Mein Leser, ich sehe, daß du sie im Geiste bereits von Künstlern und Kunstwerken, von einer glänzenden Jugend, von den angenehmen Erzeugnissen des Luxus umgeben erblickst. Nein, nein, mein Leser, sieh dich nach einer andern Seite um. Das Häßlichste, Aermste, Verwahrloseste, Verachtetste, Vergessenste . . . .
Ihr Genien, Zephyre, Grazien, Amorinnen! Wenn ihr die sieben häßlichen Fräulein und die drei gebrechlichen Wittwen der Gräfin gesehen hättet, sämmtlich schutzlos und verlassen, die sie um sich gesammelt hatte, ich glaube, ihr wäret aus Schreck bis über den Erdkreis hinausgeflohen. Dieß thaten jedoch die Harmonie und die christliche Liebe nicht; sie befanden sich wohl in diesem ausgewählten Kreise, und die zehn Planeten drehten sich nach dem himmlischen Beispiel in Ordnung und Klarheit um ihre Sonne, die engelgute und heitere Gräfin. Fremde sah sie gern und Fremde kamen auch gern in diesen Kreis ungewöhnlicher Häßlichkeit und ungewöhnlicher Behaglichkeit.
Fräulein Margarethe freute sich auf den Besuch und reiste am bestimmten Tage in der besten Laune von der Welt mit Klara ab. Inzwischen sind einige Hindernisse eingetreten, so daß sie erst Nachmittags abreisen kann, und sie ist, wie auch wir, Etwas bekümmert darüber, daß die Kalbsbraten und Blitzkuchen der Gräfin vergeblich warten sollen. Baron H. kutschirt die beiden Freundinnen mit großem Talent und singt nach Fuhrmannsart ohne Talent eine kleine Romanze dazwischen, was Fräulein Margarethe ein Bischen genirt. Aber Baron H. hatte die kleine Schwachheit, für seinen eigenen falschen Gesang ein wenig eingenommen zu sein. Die Reise ging glücklich von Statten. Man langte an und stieg aus. Fräulein Margarethe wurde auf der prächtigen Hausflur von den neun Musen empfangen, die mit Medusengesichtern und dito Frisuren zwischen den corinthischen Säulen standen und mit Feuergabeln und 212 Feuerschaufeln auf kupferne Pfannen und Kessel loshämmerten, auch einen Chor dazu sangen, den wir aber – wir bitten den Leser deßhalb um Verzeihung – nicht gut genug im Gedächtnisse haben, um ihn hieher setzen zu können: – wir können nur versichern, daß Poesie und Gesang der Instrumente vollkommen würdig waren.
Fräulein Margarethe fand die Musik hinreichend unartig, indeß schien ihr der ganze Spaß sowohl in Beziehung auf Neuheit als Anmuth Etwas matt und mangelhaft zu sein. Sie wunderte sich in der Stille, wie ihre witzige Tante auf eine so unwitzige Idee gekommen sein könne, und stieß einen Seufzer des Mitleids aus über das Alter und die Abnahme der Kräfte.
Indeß war die Wirthin so erfreut sie zu sehen, so liebenswürdig und so verbindlich gegen Alle, auch schien sie sich selbst so ungemein an ihrem Einfall zu amüsiren, daß es unmöglich war, nicht ebenfalls munter und freundlich zu werden. Auch von den benachbarten Gütern waren einige Gäste, junge und alte angekommen, die der Gesellschaft noch mehr Leben gaben. Man brachte den Abend mit Erzählungen möglichst schauerlicher Geistergeschichten zu. Die Gräfin selbst sprach mit vielem Eifer von Gespenstererscheinungen, welche von Zeit zu Zeit ihr Haus beunruhigen. Die Geschichte eines schönen Mädchens, das sich vor zweihundert Jahren bei nächtlicher Weile heimlich mit dem Burgherrn hatte trauen lassen, deßwegen aber von ihrer ehr- und rachsüchtigen Mutter getödtet wurde, machte einen schauerlichen Eindruck besonders durch den Zusatz, daß die nächtliche Trauungsscene sich manchmal wiederhole und von den Bewohnern des Schlosses gesehen werde. »Es scheint,« sagte die Gräfin, »die Liebenden wollen dadurch noch auf Erden ihre Protestation gegen die abscheuliche That ausdrücken, durch welche sie getrennt wurden.« Baron H. erklärte, er habe immer sehr gewünscht, einen Geist zu sehen, und würde gar Nichts dagegen haben, 213 wenn er heute Nacht solche Bekanntschaften machen könnte. Fräulein Margarethe schwieg.
Ueber das Souper wurde das Possenspiel fortgesetzt, und da Fräulein Margarethe, die einen vortrefflichen Appetit mitgebracht, auf eine Menge Gerichte stieß, die gar keine Gerichte waren, so lachte sie immer gezwungener: als aber vollends ein Ei, auf das sie mit vielem Eifer losschlug, sich als weißer Marmor erwies, so lachte sie gar nicht mehr, sondern stellte Alles auf die Seite und nahm ein ziemlich ernsthaftes Gesicht an. Man sah deutlich, daß sie beleidigt war. Dagegen erhielten sich Klara und Baron H. bei der allerbesten Laune und spielten einander tausend kleine Spässe mit den wunderlichen Gerichten, an denen sich Niemand als Fräulein Margarethe zu stoßen schien, denn die Wirthin und die neun Musen lachten unaufhörlich.
Die allerhärteste Probe stand jedoch Fräulein Margarethe bevor, als sie sich ins Bett legen wollte und den Fuß auf drei wirkliche ganz frische Eier setzte, die zwischen den Betttüchern verborgen lagen, und jetzt einen höchst unangenehmen Brei bildeten. Fräulein Margarethe gerieth ernstlich in Zorn und hielt eine heftige Philippika über dergleichen altmodische Dummheiten, von denen sie nicht begreifen könne, wie ihre Tante darauf komme, deren Anstifter sie jedoch auszumitteln und Raison zu lehren wissen werde.
Baron H. seinerseits schlug sich inzwischen mit drei Krebsen und zwei Krabben herum, die sich in seinem Bette häuslich niedergelassen hatten und ihn in die Finger zwickten, worüber er fluchte und sie Kanaillen schalt. Als er endlich das kriechende Pack in sein Nastuch gebunden, war sein erster zorniger Gedanke, sie in den Hof hinabzuwerfen. Er öffnete das Fenster, aber da kam ihm ein sanfter Wind entgegen, der ihm bis ans Herz drang und seinen Groll gegen die garstigen aber unschuldigen Geschöpfe verwehte. Es schien ihm jetzt hart, daß sie sich in der schönen Sommernacht im Sande zu Tode 214 kriechen sollen, während er selbst in einem weichen Bette schlafe. Leise schloß er das Fenster wieder zu und so still, als hätte er eine That der Finsterniß begangen, zog er seinen Ueberrock an, schlich sich durch die Thüre, die Treppe hinab und in den Garten. Hier blieb er bei einem Bach mit seinem Bündel stehen, in welchem ein gewaltiges Kriechen und viele Unruhe vorherrschte. Die Bewohner ahnten nicht, daß der Augenblick ihrer Befreiung nahe war. Die dunkeln Traditionen ihres Geschlechts hatten von den urältesten Zeiten her die Ideen von Menschenhand und Henkershand mit einander verschmolzen. Nicht ohne inniges Vergnügen hörte Baron H. seine Schlafkameraden ins Wasser hinabplätschern, das sich über ihnen ringelte, und als er in der wieder beruhigten Welle das milde, volle Antlitz des Mondes sich spiegeln sah, da erschien es ihm wie das Bild einer guten Mutter, die liebevoll über ihre Kinder wacht. In seinem guten Herzen entstand ein warmer Wunsch, daß Friede auf Erden herrschen und selbst nicht einmal ein Wurm geplagt werden möchte. Hörte ein Engel das halblaut geäußerte Gebet und ging, es zum Vater der Wesen zu tragen? Wunderbar, daß gerade in diesem Augenblick eine verschleierte Frauengestalt zwischen den Bäumen hervorschimmerte. Sie erschien und verschwand. Baron H. wollte sie mehr in der Nähe besehen, verfolgte ihre Spur, sah sie noch einen Augenblick vor sich herschimmern, verlor sie aber endlich aus den Augen, gerieth in einen Morast, und da er hier beinahe auf die Nase gefallen wäre, so entschloß er sich weislich auf sein Zimmer zurückzukehren. Dort langte er auch bald an, Etwas erhitzt und weniger als je zum Schlafen geneigt. Baron H. liebte den Mondschein draußen sehr, aber im Hause selbst schien er ihm nur eine dürftige Gesellschaft zu sein. Er schloß daher seine Läden zu und zündete ein Licht an. Der Baron gehörte zu den unserer Ansicht nach liebenswürdigen Charakteren, denen Gesellschaft ein großes Bedürfniß ist und die nicht gern allein bleiben. 215 Sein gutes, fröhliches Gemüth bedurfte der Mittheilung und ein vertrauliches Abendgeplauder unter guten Freunden war ihm noch kostbarer, als ein guter Schlaf. Im gegenwärtigen Augenblick empfand er dieses Bedürfniß nach Gesellschaft lebhafter, als je. Er vermißte seinen Filius, der in der Obhut der Gräfin G. im Bad zurückgeblieben war. Fräulein Margarethens Verstimmung an diesem Abend bedrückte ihn; er hätte viel darum gegeben, jetzt einen Augenblick mit ihr plaudern und ihr herzliches Lachen wieder hören zu können, das nebst dem Anblick ihrer weißen Zähne ihm immer in der Seele wohlthat; er hätte sich glücklich gefühlt, auch nur eine Minute lang in Klaras schöne, ruhige Augen sehen zu dürfen. Der Gedanke, wie unmöglich dieß Alles jetzt sei, preßte ihm zwei tiefe Seufzer aus. Ein ganz eigenthümliches Echo dicht hinter ihm beantwortete dieselben. Er wandte sich hastig um, aber Alles war leer und still im Zimmer. Die Sache schien ihm Etwas wunderlich, aber doch nicht unangenehm, weil sie wenigstens einen gesellschaftlichen Charakter an sich trug. Er fing an, seine Seufzer zu wiederholen, allein sie waren jetzt ohne alle Wirkung. Er hustete, er nieste – vergebens! Alles blieb still und endlich wurde Baron H. müde, auch ein wenig ärgerlich. Er legte sich ins Bett und löschte das Licht aus.
Von allen têtes-à-têtes dürfte wohl keines für den Zuhörer und Zuschauer so interessant, so reich an wechselnden Scenen sein, wie das zwischen dem Menschen und seinem Kopfkissen. Diesem vertraut er seine innersten Gedanken, seine stillsten Wünsche, seine verborgene Liebe, seine geheime Narrheit. Glücklich der, dessen letzter Gedanke einem geliebten Freunde gilt, an dessen trauter Brust er einschlafen darf; noch glücklicher der, dessen letztes waches Gefühl sich zur Anbetung Gottes erhebt – er ruht sicher im väterlichen Schooße. Wir brauchen uns nicht zu scheuen, dem Leser die Gedanken des Barons während seines tête-à-tête mit dem Kopfkissen zu offenbaren; sie 216 waren eines guten Menschen würdig. Nachdem sie sich einen Augenblick hoch über die Erde erhoben, kehrten sie auf dieselbe zurück, um sich die beste Gesellschaft im Leben, nämlich eine gute Gattin zu suchen, zu wünschen und zu lieben, wie er schon lange gesucht und gewünscht hätte. Er dachte jetzt so eifrig an sie, er sah sie so lebhaft vor sich, daß er sich eines tiefen Seufzers nicht erwehren konnte, verbunden mit dem Ausruf: »Ach meine geliebte, geliebte, geliebte M . . . . . . .« Er wurde jedoch von einer unheimlichen Stimme unterbrochen, welche rief: »Gustav H.! Gustav H.! Gustav H.!«
»Was beliebt?« fragte Baron H. Etwas schaudernd, indem er den Kopf emporhob.
»Komm und sieh!« antwortete die Stimme. Ein leichter Schauer überlief den Baron, als er bei einem durch die Läden hereinbrechenden Mondstrahl eine weiße verschleierte Frauengestalt einige Schritte von seinem Bette erblickte. Furcht war indessen nicht seine schwache Seite und ein Gespenst in Frauengestalt hatte für ihn nichts Erschreckendes. Er besann sich einen Augenblick und als der Geist noch einmal langsam wiederholte: »Komm und sieh, folge mir nach!« antwortete er entschlossen: »Ich werde die Ehre haben.« Er sprang schnell aus dem Bette, kleidete sich in einem Nu an und folgte seiner Wegweiserin, die schweigend und schattenhaft vor ihm hinschwebte, durch öde Säle und lange Corridore. Baron H. begann die Wanderung Etwas lang zu finden und glaubte sich befugt, in einem ziemlich kühnen, aber artigen Tone einige Fragen über das Ziel der Promenade zu stellen. Mit dumpfer Stimme antwortete der Geist bloß: »Fürchte dich nicht, frage nicht.«
Indeß müssen wir die Wanderer jetzt einen Augenblick verlassen, um ein wenig nach Fräulein Margarethe zu sehen. Sie war, als wir von ihr Abschied nahmen, sehr aufgebracht. Gewöhnlich begegnete es ihr in solcher Stimmung, daß sie Etwas sagte, worüber sie selbst lachen mußte; nun sind aber ein gutes Lachen und üble 217 Laune Hauptfeinde, wie Jedermann weiß, und wenn einmal ersteres bei Fräulein Margarethe aufkam, so floh letztere immer schleunig von dannen. So geschah es auch jetzt und durch ihren eigenen Witz mit der Welt und ihren Dummheiten ziemlich ausgesöhnt legte sich Fräulein Margarethe ins Bett, in der Hoffnung, in einem guten Schlaf das elende Nachtessen, das Marmorei, die Rühreier u. s. w. zu vergessen. Klara, die auf der andern Seite des Zimmers schräg gegenüber von ihrem Bette lag, schlief bereits tief, als Fräulein Margarethe ihre Augen schloß, die sie jedoch sogleich wieder öffnete, indem ein dumpfes Geräusch, wie vom Fegen und Wischen, verbunden mit einem leisen Herumtappen ganz in der Nähe, an ihr Ohr schlug. Eine Lärmtrommel hätte Fräulein Margarethe weniger beunruhigt. Sie saß schnell auf. Das Kehren und Wischen dauerte fort: Fräulein Margarethe wurde warm. »Klara!« rief sie mit gedämpfter Stimme, »hörst du Etwas?« Aber Klara hörte Nichts: sie schlief tief, wie ihr ungewöhnlich schweres Athmen bezeugte. Fräulein Margarethe war muthig gegenüber von Thieren und Menschen: die wirkliche Gefahr hatte sie immer gefaßt und fest gefunden: die kritischsten Momente des Gesellschaftslebens hatten nie ein Gefühl der Kleinherzigkeit bei ihr erweckt – aber die Nacht, aber die Finsterniß, die Stille, die Leere und ihre unsichtbaren Schreckgestalten . . . Ja Leser, wir müssen es bekennen – diese waren im Stande, Fräulein Margarethe beinahe feig zu machen. Inzwischen war sie jetzt über das sonderbare Fegen noch mehr erzürnt, als erschreckt und sagte bei sich selbst: »Das verdammte alte Nest! Um diese Zeit zu fegen! Das ist mir unausstehlich. Ich komme gewiß nicht mehr hieher!« Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als ein Gepolter in einer Ecke des Zimmers ihre Augen dorthin lenkte und sie, o Graus! drei kleine schwarze Figuren hinter einander aus dem Boden herauskommen sah. Jetzt war es ihr wie in einem Schwitzbad. »Klara!« rief sie mit erstickter Stimme. 218
Aber Klara schlief. Die kleinen schwarzen Gestalten fingen an sich zu verbeugen, zu grüßen und gegen Fräulein Margarethens Bett heranzuhüpfen. »Guten Tag, guten Tag, guten Tag!« riefen die Kobolde mit heisern, belfernden Stimmen und unter tiefen Bücklingen, die beinahe Purzelbäumen glichen. Ganz außer Athem und zu ängstlich, um nicht höflich zu sein, antwortete Fräulein Margarethe: »Guten Tag, guten Tag, ihr guten Leute, d. h. gute Nacht! Adieu! Klara!« Klara hatte einen harten Schlaf; sie erwachte nicht. Fräulein Margarethe wollte verzweifeln; sie klingelte heftig. Inzwischen hüpften die Schwarzen immer näher, verbeugten sich aufs Neue und flüsterten: »Es ist Alles fertig! Folge uns!« – »Nein, ich danke,« antwortete Fräulein Margarethe: »ich habe jetzt nicht Zeit! . . . Jetzt nicht . . . ich werde morgen kommen . . . . Adieu, adieu!« – »Du mußt kommen!« belferten die Kleinen und rückten immer näher. – »Was wollt ihr! Geht eures Wegs! Packt euch fort in Gottes Namen!« rief Fräulein Margarethe im höchsten Grad aufgeregt und erschreckt. Die Schwarzen standen jetzt am Bette und machten Miene, es aufzuheben.
Les extrèmes se touchent. Tiefer Schreck hat gewiß schon mehr als einmal Heldenthaten erzeugt. Schade, daß große Generale keine Bekenntnisse geschrieben haben. Ihre ersten Schlachten hätten uns gewiß manches Wunderliche gezeigt. Die Verzweiflung gibt einen furchtbaren Muth. Fräulein Margarethe mag als Beispiel dienen. Aufs Aeußerste gebracht und wenigstens eben so erzürnt als erschrocken, regte sich plötzlich ihre ganze bis jetzt gedämpfte Energie wieder. Behufs der Selbstvertheidigung griff sie nach irgend einer Waffe um sich und bekam den langen Henkel einer messingenen Bettflasche in die Hand. Wehe den Schwarzen! Solch' kräftige Ohrfeigen sind vielleicht noch nie ausgetheilt worden; so jammervoll haben aber vielleicht noch nie Gespenster geschrieen und sind noch nie so schnell vor einer zinnernen Waffe davon gelaufen. Fräulein Margarethe verfolgte sie und schlug 219 in blindem Zorn um sich. Die Kleinen sammelten sich schnell an der Ecke, wo sie herauf gestiegen waren, und fingen jetzt an, in den Boden zu sinken. Fräulein Margarethe war noch immer mit kräftigen Schlägen hinter ihnen her, bis die Kobolde schreiend und mit einem Nichts weniger als überirdischen Gepolter hinabtaumelten. Fräulein Margarethe hätte sie im Eifer und mit ihrer furchtbaren Waffe, glaube ich, bis in Plutos Reich hinab verfolgt, allein ihre Schritte wurden plötzlich gehemmt, denn die Stelle, wo die Schwarzen hinabsanken, erwies sich als ein offenes Kellerloch und die kleine steile Treppe, welche die unglücklichen Gespenster hinuntergetaumelt, war nicht im Mindesten einladend. Ueberdieß stieg statt Schwefel und Flammen ein so starker Kartoffel- und Pöckelfleischgeruch herauf, daß Fräulein Margarethe alle Gedanken an Schatten und Unterwelt verlor. Ihre Ideen nahmen eine andere Richtung und sie klingelte so heftig, daß der Glockenzug ihr in der Hand blieb. Dieß, sowie die vollkommene Stille, die ungeachtet des Geklingels jetzt im Hause herrschte, vermehrte nur noch die Gährung in ihrem Gemüthe. Mit der Bettflasche auf der Schulter ging sie an Klaras Bett, rüttelte sie heftig am Arm und sagte: »Klara, bist du todt? Bist du behext? Willst du bis zum jüngsten Tage schlafen? So erwache doch! Nun gottlob! Ich bitte dich, stehe auf und kleide dich an! Frage mich Nichts, nur tummle dich!« Klara gehorchte hastig dem Wunsch ihrer Freundin und Fräulein Margarethe antwortete, während sie sich selbst ankleidete, auf ihre Fragen nur mit abgebrochenen, heftigen Aeußerungen, wie: »Dummheiten das! Ich werde wahrhaftig Rechenschaft dafür fordern. Sie sollens sich nicht mehr einfallen lassen, mich mitten in der Nacht zu beunruhigen. Dumme Streiche! Ich werde sie Mores lehren! . . .«
Die Freundinnen waren bald fertig. Sie gingen hinaus und Fräulein Margarethe hatte im Sinn, das ganze Haus zu erwecken und jeden Schatten, der ihr in 220 den Weg kommen würde, mit neuen Schlägen von der Bettflasche zu empfangen.
O Schicksal! Wie merkwürdig sind nicht deine Fügungen, wie wunderlich sind nicht deine Wege! In deinem nächtlichen Blindekuhspiel wird man blind zwischen Freund und Feind geworfen, kennt keinen von Beiden, steht in der Finsterniß und geräth endlich vom Regen in die Traufe, aus der Scylla in die Charybdis. –
Zeuge ist Oedipus und – folgendes:
Kaum waren Fräulein Margarethe und Klara in den langen, dunkeln Corridor hinausgekommen, der an ihr Zimmer stieß, als ein weißes Gespenst ihnen entgegen schwebte. Fräulein Margarethe erhob ihre furchtbare Waffe. Das Gespenst entfloh mit einem Schreckensruf, aber jetzt stand, o Hölle! eine dunkle, gigantische Masse da, die den ganzen Corridor einzunehmen schien und den Wanderern geradezu den Weg versperrte. Fräulein Margarethe dachte an den Minotaurus. Schwer fiel die erhobene Waffe herab auf das Ungethüm. Es stieß ein dumpfes Gestöhne aus und ein heftiges »Au, au, der Teufel, wer schlägt mir meinen Magen entzwei!« brüllte die Baßstimme des Schrecklichen. Fräulein Margarethe entsetzte sich. In demselben Augenblick fand sie sich entwaffnet und gefangen. Eine kräftige Hand umschloß ihren Arm und dieselbe Stimme sagte drohend: »Höre guter Freund, das geht über den Spaß hinaus! Gespenster, die mit Gott weiß was für Waffen Mordschläge auf den Magen austheilen, müssen sich gefallen lassen, wenn sie als Kriegsgefangene behandelt werden. Allons! Marsch ins Verhör!« Fräulein Margarethe schwieg, vielleicht in der Absicht, die Sache zu einem Eclat kommen zu lassen, aber Klara rief außer sich: »Baron H.! Baron H.! Es ist Fräulein Margarethe!«
»Fräulein Margarethe!« wiederholte der Baron mit namenloser Verwunderung, indem er langsam den Arm los ließ, den er umfaßt hielt, »mein gnädiges Fräulein . . . ich muß sagen, hm . . . mein Magen . . . ich gestehe, 221 daß ich Ihnen nicht die Absicht zugetraut hätte, mich todtzuschlagen . . . und Klara . . . aber wie um Gotteswillen. – Erklären Sie mirs! Ich gestehe mein Fräulein . . . .«
»Lassen Sie uns mit unsern Bekenntnissen und Erklärungen warten, Baron,« sagte Fräulein Margarethe Etwas heftig, »und wenn Sie wirklich der Baron H. und kein Gespenst sind, so führen Sie uns zu Licht und Menschen oder bringen Sie Licht und Menschen hieher, wenn es überhaupt in diesem verhexten Hause so Etwas gibt!«
»Ein Gespenst!« wiederholte der Baron Etwas beleidigt. »Ein Gespenst! Ich wollte, ich wäre soeben eines gewesen, dann wäre mir doch der Magen nicht mit diesem verdammten Ding da massacrirt worden. Wie? was? Eine Bettflasche, glaube ich! Eine Bettflasche! Ich bitte Sie um Gotteswillen, wem ist es je eingefallen, mit Bettflaschen um sich zu schlagen und die Leute mit Bettflaschen zu überfallen?«
Fräulein Margarethens Lachlust wurde durch diesen Monolog des Barons gewaltig gereizt, aber der Verdruß über das nächtliche Abenteuer, sowie ein gewisses Mißbehagen an dieser Scene in den Coulissen veranlaßte sie, ihre Munterkeit zurückzuhalten, und sie sagte ernsthaft: »Ich bitte Sie, Baron, lassen Sie uns jetzt dieses Alles vergessen und führen Sie uns zu Leuten. Ich werde krank, wenn ich länger hier stehen muß; ich will Licht und Menschen sehen.« In diesem Augenblick ging im Hintergrunde des Corridors leicht eine Thüre auf und ein Streifen bläuliches Licht schlich sich schimmernd bis zu den Füßen unsrer Freunde. Eine unbeschreiblich liebliche Musik ließ sich vernehmen und schien von derselben Seite zu kommen. Schöne Stimmen begleitet von gedämpften Orgeltönen sangen einen feierlichen Choral. Verwunderung und zugleich Vergnügen bemächtigte sich des Trios im Corridor. »Wenn dieß eine Spuckgeschichte ist,« sagte Fräulein Margarethe, »so ist es wenigstens eine artige. Lassen Sie uns die Sache näher betrachten.« 222
Baron H. fand sogleich seine ganze Artigkeit wieder, bot jeder der Damen einen Arm und führte sie nach der Seite, von wo das Licht und die Musik zu kommen schien. Am Ausgang des Corridors befanden sich die Wanderer ganz unerwartet in einer kleinen vergitterten Loge, von wo aus sie mit Ueberraschung Folgendes beobachteten: Sie sahen sich in einer großen gewölbten Kapelle, die schön, jedoch schwach von einigen Lampen beleuchtet war, welche einen düstern Schein auf die mit scharlachrothen Draperien behangenen Wände warfen. Alte Waffen, uralte Gemälde und Bilder, düstere Scenen aus dem Leben des Gekreuzigten darstellend, schimmerten unheimlich dazwischen hervor. Die Bänke unten in der Kirche waren leer, aber vor dem Altar, der von zwei hohen, silbernen Armleuchtern prächtig beleuchtet war, stand unbeweglich ein alter Priester in einem altmodischen Chorrock. Er glich mehr einer Bildsäule, als einem lebendigen Menschen. Die Orgel brauste dumpf, die unsichtbaren Sänger sandten ihr hehres, harmonisches Gloria empor.
Die ganze Scene war wunderbar schön, aber schauerlich; sie glich einem Gottesdienst der Schatten. Bald wurde sie belebt, ohne indeß dadurch an Geisterhaftigkeit zu verlieren. Langsam, stumm und gespenstisch schritt ein wunderlicher Zug in die Kirche. Bleich und schön, in die hübsche Tracht der Edelfräulein des sechszehnten Jahrhunderts gekleidet, schwebte ein junges Mädchen dahin, von einer alten, steifen, geschniegelten und gebügelten Dame geführt, wie wir sie noch jetzt manchmal auf alten Bildern aus dieser Zeit sehen können. Ihnen folgten zwei zierliche Brautjungfern. Unmittelbar darauf kamen zwei stattliche Ritter, ein jüngerer und ein älterer, beide in prachtvollen Feierkleidern. Hinter ihnen zwei schöne Pagen. Bald trennte sich der junge Ritter und das junge Mädchen von den Uebrigen und traten vor den Altar. Die Andern stellten sich um sie her, Alle lautlos, langsam und mit dem bleichen Ernst auf ihren Gesichtern, wie wir ihn bei Leuten vermuthen können, die 223 Bekanntschaft mit dem Grabe gemacht haben. In den Augen des Brautpaares dagegen brannte noch die Flamme, welche der Tod nicht löschen, das Grab nicht verkohlen kann. Die Liebenden stellten sich vor den Altar, und die priesterliche Bildsäule belebte sich plötzlich. Der Gesang verstummte, und mit leiser, feierlicher Stimme verrichtete der Priester die Trauung. Beinahe athemlos von gespannter Aufmerksamkeit lauschte Fräulein Margarethe, ob sie nicht die Namen des Brautpaares hören könne, aber vergebens; sie wurden so leise ausgesprochen, daß sie ihr Ohr nicht erreichten. Gleichwohl wollte es sie bedünken, als ob ihr die Gesichter des Brautpaares und ihres Gefolges bekannt wären. Nach der Trauung begann der schöne Gesang aufs Neue. Baron H. und Klara – beide waren Musikfreunde – glaubten sich im dritten Himmel. Auch Fräulein Margarethe war gerührt und überdieß hingerissen von dem schönen antiken Schauspiel, das ihr immer weniger gespensterhaft vorkam. Sie waren alle drei von dem, was sie hörten und sahen, dermaßen in Anspruch genommen, daß sie keinen Augenblick daran dachten, einander die Scene im Corridor zu erklären. Aber jetzt verließ der Brautzug die Kirche, schweigend und langsam, wie er gekommen war. Die Musik starb in einer lieblichen Harmonie hin. Bald war Alles öde und still. Auch die Flammen der Lampen schienen zu erbleichen. Ein unheimliches Gefühl kam über Fräulein Margarethe. »Baron,« sagte sie, »wir wollen hier nicht sitzen bleiben, bis die Lichter alle erlöschen. Ich kann nicht sagen, daß es sehr angenehm wäre, hier im Finstern unter diesen alten Rittern zu sitzen.«
»Wir haben ja Waffen,« sagte Baron H. lakonisch, und zog die Bettflasche hervor, die er zwischen seinen Beinen hatte. »Mein bester Baron,« erwiederte Fräulein Margarethe freundlich, indem sie sich mit ihrem schönen, heitern Gesichte gegen ihn wandte, »ich muß . . .« allein Fräulein Margarethe mußte abbrechen, denn auf einmal hörte sie Tanzmusik. »Ei der Tausend,« sagte 224 der Baron lebhaft, und suchte die Thüre in den Corridor zu öffnen; aber sie war verschlossen und alle seine Versuche blieben vergebens. »Ich sehe nicht ein,« bemerkte Fräulein Margarethe ruhig, »warum wir gerade auf diese Thüre versessen sein sollen. Hier haben wir eine andre,« und eine hinter einem rothen Seidevorhang verborgene Thüre wich ihrer Hand. Unsere Freunde sahen sich auf einmal in einen prachtvoll beleuchteten Saal versetzt. Im Hintergrund desselben saßen unter einem sammtenen Himmeldach Braut und Bräutigam, um sie herum in einem Halbkreis die übrigen Mitglieder des Zuges, und mitten im Saal glänzte in leichten schimmernden Trachten eine Gruppe von Herren und Damen, die einen Fackeltanz ausführten, nicht die Abart desselben, die man zuweilen im Schlosse zu Stockholm angafft, sondern den ächten ursprünglichen, so wie er von Sivas Verehrung inspirirt in den indischen Opfernächten entsprang, voll Feuer, Anmuth und Mannigfaltigkeit.Wenn irgend ein Gelehrter mit uns über den Ursprung dieses Fackeltanzes zu streiten Lust hat, so antworten wir ihm – Nichts.
In dem weniger beleuchteten Theil des Zimmers, wo unsere Freunde sich befanden, standen drei Lehnstühle. Sie setzten sich auf dieselben und sahen dem prachtvollen Schauspiel zu. Fräulein Margarethe entdeckte bald unter den Fackelträgerinnen einige der neun Musen, deren Talent zu singen sie am letzten Abend schätzen gelernt hatte. Sie glaubte auch in der alten, geputzten Dame, welche die Braut zum Altar geführt, ihre Tante wieder zu erkennen. Bald hatte sie keinen Zweifel mehr über die Gesellschaft, in der sie sich befand. Der Baron wurde indessen vom Tanz gleichsam electrisirt. Er war in seiner Jugend ein ausgezeichneter Tänzer gewesen. Nicht lange, so verstand er die Touren dieses Fackeltanzes, und es regte sich in ihm ein namenloses Verlangen, Theil daran zu nehmen. Seine Füße bewegten sich unwillkürlich, er verbeugte sich, er sang mit. Es entstand eine Unordnung 225 im Tanze: man wußte nicht, wo ein, wo aus. Einer der Herren verlor gänzlich den Faden und blieb mit der Fackel in der Hand unschlüssig stehen. Baron H.^ konnte sich jetzt nicht länger zurückhalten: er sprang herzu, riß dem verwunderten Ritter die Fackel aus der Hand, und eröffnete nun selbst den Tanz, indem er mit großem Eifer und komischem Ernst die Uebrigen zur Ordnung wies. Doch daraus wurde Nichts. Denn vor lauter Verwunderung und einem unauslöschlichen Gelächter, das bald darauf aufgeschlagen wurde, verschwanden sowohl Ordnung, als Aufmerksamkeit. Jetzt kam die Reihe zu staunen auch an den Baron, denn auf einmal sah er Fräulein Margarethe mit einem Licht in der Hand als seine Tänzerin figuriren. Indem sie nun gegenseitig ihre Kostüme beleuchteten, die einen so grellen Kontrast gegen die der übrigen Versammlung bildeten, kam eine unsägliche Lustigkeit über sie. Das herzliche und unmäßige Gelächter rings herum machte sie noch immer lebhafter. Sie werden von einer Art Tanzwuth befallen; sie schwingen sich, sie machen chaine, sie hüpfen, sie verbeugen, sie neigen sich. Die übrigen Tanzenden schließen sich ihnen an: die Aufführung wird immer lebhafter, improvisirter und mannigfaltiger. Braut und Bräutigam stehen auf und tanzen. Der alte Ritter und die alte Dame stehen auf und tanzen. Alles tanzt, lacht und schwingt Fackeln. Es ist eine Lust, ein Entzücken, ein Schwindel, ein Wahnsinn. Der Zauber ergreift auch die Musik. Sie spielt wie rasend. Oberon bläst in sein Horn.
Klara allein theilt die allgemeine Freude nicht. Unbekannt mit dem Weltleben, unbekannt mit der Zwanglosigkeit, womit die habitués desselben an seinen Bewegungen Theil nehmen, und, wenn sie sich in einem bekannten Kreise sicher fühlen, oft mit Brechung aller Fesseln der Convenienz sich durch die originellsten Einfälle eine neue Natur in der Welt der Erkünstelung schaffen, versteht sie die Tanzwuth und den drolligen Ernst ihrer 226 Freunde nicht. Ungeachtet der beruhigenden Worte, die Fräulein Margarethe ihr, als sie aufstand, um sich unter die Tanzenden zu mischen, zugeflüstert hatte, wurde Klara von dem wunderlichen Auftritt so bedrückt, so aufgeregt, daß ihr unwillkürlich Thränen aus den Augen stürzten. – Die Scenen der Nacht schweben ihr grauenhaft und verworren vor: sie begreift sie nicht, sie begreift die Welt und die Menschheit um sich herum nicht. Es ist ihr unmöglich, ihre Freundin in der Nachthaube im Fackeltanze sich schwingen zu sehen. Dieß kommt ihr wie ein Wahnsinn, wie eine Narrheit vor, und von einem unwiderstehlichen Drange getrieben mischt sie sich unter die Tanzenden, um Fräulein Margarethens Hand zu erfassen und sie aus dem Wirbel zu ziehen. Aber Klara wird jetzt selbst darinnen gefangen. Die Tanzwuth hat sich Aller dermaßen bemächtigt, daß auch sie nicht im Frieden bleiben kann: man ergreift ihre Hand, zieht sie mit in den Tanz hinein, sie muß chaine machen, sich schwingen u. s. w. Klara tanzt, weint, lacht, verliert den Kopf, verliert ihre Schuhe. Die Fackeln flammen und knistern vor ihren Augen. Auch Baron H. figurirt vor ihr, und sein Rockschoß steht in lichten Flammen. Leser, sieh nicht auf das Licht in Fräulein Margarethens Hand. Ich versichere dich, daß der Brand nicht von ihr herkam. Bei der ersten Empfindung der Hitze macht der Baron einen Sprung hoch in die Luft. Seine zweite Bewegung ist, daß er sich dermaßen auf den Boden wirft, daß das ganze Zimmer erbebt. Feuer! Feuer! Feuer! rufen Einige; Wasser! Wasser! Wasser! schreien Andere. Klara! rief Fräulein Margarethe mit starker und heller Stimme, denn sie sah jetzt ihre dringende Gefahr ein. Zu spät! Baron H.'s Feuer hatte sich ihr mitgetheilt und flammte an ihrer leichten Kleidung hinauf! Die hungrige Flamme wirft ihre Feuerzunge nach allen Seiten aus und zündet Flor um Flor, Kleid um Kleid an. Besinnungslos sinkt Klara in die Arme ihrer Freundin, welche sie fest und entschlossen an sich drückt. Brennend und schreiend 227 springen die Tänzerinnen im Zimmer herum. Die Fackeln werden überall herumgeworfen. Die Gardinen und Sophakissen brennen. Ihr Furien und Höllen, welch ein Anblick, welch ein Geschrei! Feuer! Feuer! Wasser! Wasser! Augenblick des Entsetzens und edler Rache! Baron H. springt auf, ergreift die in einem Winkel versteckte Bettflasche und leert ihren Inhalt über Fräulein Margarethe, der es indeß, wiewohl mit eigener Gefahr, bereits geglückt ist, das Feuer an Klaras Kleidern zu löschen. Aergerlich über das unnöthige Douchebad kann Fräulein Margarethe auch in diesem Augenblick nicht umhin zu sagen: »Ehe Sie die Leute ersäufen, Baron, so sehen Sie doch auch, ob es nöthig ist.« Fräulein Margarethe hatte Recht, es war hier nicht nöthig, aber Schreck und Eifer hatte Baron H. verblendet. Und die andern Unglücklichen, Brennenden, Springendem Schreienden, sollten sie hülflos umkommen? Gütige Vorsehung! Zwei Flügelthüren springen auf; ein Buffet zeigt sich, bedeckt mit Bowlen, Flaschen und Gläsern. O Punsch, Bischof, Bier und Mandelmilch, euer Schicksal ist hart! Statt von gebildeten Gaumen genossen und gepriesen zu werden, müßt ihr euch preisgeben, um ein uncivilisirtes Feuer zu löschen! Doch es kann einmal nicht anders sein: die Nothwendigkeit gebietet, und die edeln Getränke strömen hin, die Bowlen werden ausgeschüttet, die Damen fallen in Ohnmacht, die Flammen erlöschen; eine Fluth von kölnischem Wasser, allgemeine Auferstehung, man tröstet sich und bekommt Durst; noch ist Gefrornes da, es kühlt, es erfrischt, es erquickt; man erklärt sich, man wünscht einander Glück: die Gespenstergeschichte und der Trauungsakt klären sich auf; erstere ist Fiction, letztere Wirklichkeit; Braut und Bräutigam werden vorgestellt, erkannt und beglückwünscht; allgemeine Freundlichkeit und Munterkeit. Nur zwischen Baron H. und Fräulein Margarethe hat die doppelte Bettflaschscene eine Atmosphäre à la glace erzeugt, die ein Eismeer zwischen ihnen zu begründen droht. 228
Der Schlaf unserer Freunde und Freundinnen war nach diesen Auftritten nicht der allerruhigste, und in ihren Träumen riefen sie häufig: Feuer! Feuer! Wasser! Wasser!