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Einleitung.

I. Der Eid

Der Erzbischof wendet langsam seine gebeugte Gestalt der Versammlung zu, und während der Hirtenring in der Maiensonne, die schräg durch das Bogenfenster zur Linken hereinflutet, funkelt, macht er das Zeichen des Kreuzes über die gesenkten Köpfe.

Dann tritt er vor unter die Chortüre und richtet sein durchfurchtes Pergamentgesicht auf die hohe rotgekleidete Gestalt, die neben dem König steht, rechts, ganz vorne im Mittelschiff.

»Nun frage ich Euch, Christoffer, König Eriks Sohn, ob Ihr bei Jesu Christi blutigen Wunden zu schwören wagt, daß Ihr frei seiet von den bösen und verräterischen Taten, deren Ihr durch das übereinstimmende Zeugnis guter und ehrenhafter Männer angeklagt worden seid?«

Die Gruppe auf der linken Seite ganz vorne im Schiff, der starke Marschall, der Truchseß, die schwedischen und norwegischen Abgesandten, wenden sich herausfordernd gegen den Prinzen, als wollten sie ihm mit ihren gepanzerten Gestalten die Bekräftigung ihrer Worte zuschleudern. Der Marschall drängt seinen mächtigen Körper zwischen den andern hervor, und seine blutunterlaufenen Augen starren trotzig unter den Lidern.

Der Prinz sieht den Erzbischof an und antwortet so laut, daß alle es hören können:

»Ja!«

Der eine und andere macht in unterdrücktem Ton seinem Zorne Luft. Der Marschall streckt die Arme aus, so daß die Ringe des Harnischs klirren. Der Erzbischof winkt den Prinzen herbei.

Die hohe Gestalt tritt heraus in den mittleren Gang, beugt hastig das Knie vor dem Altar und schreitet die Stufen zum Chor hinauf. Der Kopf mit dem dünnen, roten, struppigen Haar ist lang und schmal. Die weißlichen Brauen ziehen sich gerade und dicht über den Augen unter der hohen Stirne hin. Und während der Prinz in den tanzenden Staub des Sonnenstreifens tritt, blinzeln die Augen im Licht unter den schweren, hellroten Lidern. Die Unterlippe hängt rot und voll herunter und bildet an den Mundwinkeln unter dem dünnen Bart eine Falte, die bitter und süß zugleich ist. Seine rechte Schulter ist höher als die linke, und es sieht aus, als sitze der Kopf, trotz des geraden, hohen Halses, schief auf dem Körper. Von rechts, da wo der König sitzt, erscheint die Gestalt im Rücken mächtig und breit, wie er so dasteht, auf das rechte Bein gestützt, den linken Fuß einen halben Fuß breit vorgesetzt; aber von links, von der Seite des Marschalls, ist es, als habe er eine eingesunkene Brust, eine schwache, dem Zusammensinken nahe Haltung.

Nun reicht einer der Priester dem Erzbischof ein Dokument, an dem zwei große Wachssiegel an weißen Schnüren hängen.

Mit lauter Stimme liest der Erzbischof den Bericht des Marschalls und des Truchseß über Prinz Christoffers Tun während des eben geendigten schwedischen Krieges. Und als er zum Schluß kommt, wo die Hauptpunkte der Anklage vereinigt sind, erhebt er die Stimme und legt besonderen Nachdruck auf die anklagenden Worte:

»... daß er bei Oerkelljunga die vereidigten Männer des Königs, seines Herrn und Bruders, mit List an sich gelockt habe und ihnen dann verwehrt, umzukehren –«

Der Erzbischof läßt das Dokument sinken, sieht den Prinzen gerade an und sagt:

»Habt Ihr das getan?«

»Nein.«

»... daß er die Männer des Königs bei der gemeinen Landbevölkerung verhaßt gemacht und seine Gunst den Feinden des Königs und des Reichs zugewendet habe –«

»Habt Ihr das getan?«

»Nein.«

»... daß er mit den Feinden des Reichs in Schweden und mit den meineidigen Geächteten, die dort Zuflucht fanden, Pläne geschmiedet habe, um den König zu fangen, in der Absicht, ihn zu töten und sich selbst der Krone des Reiches zu bemächtigen –«

Der Erzbischof neigt seinen Kopf dicht zu dem Prinzen hin und fragt zum drittenmal:

»Habt Ihr das getan?«

»Nein.«

Wehrgehänge und Harnische erklirren im Zorn. »Lügner vor Gottes Antlitz!« ertönt eine heisere Stimme. Ein zorniges Brummen wie von eingesperrten Bären läßt sich im Chor hören. Der Marschall hebt seinen eisenbedeckten Arm, als wolle er den Prinzen zu Boden schlagen – oder als wolle er nur schwören. Der Erzbischof erinnert ihn mit einem Blick aus seinen gelblich blassen Augen an den Ort, wo er sich befindet, und tritt dann, den Prinzen hinter sich, zu den Stufen des Altars.

Die große silberbeschlagene Bibel liegt aufgeschlagen auf dem Altar. Während der Prinz auf die Stufe kniet und seine rechte Hand flach auf die offenen Blätter der Bibel legt, recken alle Anwesenden die Hälse, um zu sehen, ob nicht Gottes Zorn ihn da, wo er kniet, zu Boden schlagen werde. Während der Erzbischof die Eidesformel liest, die der Prinz nachsprechen soll, gibt es nicht einen, der zu atmen wagte. Eine Schmeißfliege, die keinen Ausweg findet, fliegt summend und brummend gegen die Scheiben.

Der König beugt das Haupt und legt in unwillkürlicher Bewegung die Hand vor die Augen. Es ist ja trotz allem sein Bruder, der da vor Gottes Gericht kniet.

Da – als der Erzbischof Amen sagt, und jedermann atemlos lauscht, ob der Prinz den Eid zu schwören wagt – unterbricht des Marschalls Stimme laut und scharf die Stille:

»Macht das Fenster auf!«

Dies kommt so jäh befehlend, daß der Meßner dort an der Mauer unter dem Sonnenstreifen ohne Zögern seinen langen Haken ausstreckt und den Riegel hebt.

Eine tiefe Röte bedeckt auf einmal die Wangen des Prinzen. Selbst die, die am entferntesten vom Chor stehen, sehen, wie sein Rücken plötzlich erbebt. Dann gewinnt er aufs neue die Herrschaft über sich. Heftig wirft er den Kopf zurück, damit alle sehen können, wie er der Mutter Gottes auf dem Bilde über dem Altar offen und keck in die milden Augen schaut – und mit trotziger und herausfordernder Stimme leistet er den Eid.

»... Hier in Gottes heiligem Haus – meine rechte Hand auf Gottes heiligem Wort – vor dem Antlitz der Mutter Gottes, die auf mich niederschaut, schwöre ich:

– daß ich nicht in Gedanken, nicht mit Worten und nicht mit der Tat das beabsichtigt, gesprochen oder getan habe, dessen ich geziehen und beschuldigt bin. Das schwöre ich bei den blutigen Wunden unseres Herrn Jesu Christi. So wahr mir Gott helfe und meiner Seele und meinem Leib eine ewige Auferstehung gebe! Amen! im Namen des dreieinigen Gottes – Amen!

Der Eid ist geschworen. Die letzten Worte drängen sich hervor, hastig und überstürzend, als würden sie aus einem sinkenden Boot ans Ufer geschleudert.

Mehrere schielen ängstlich nach dem offenen Fenster, ob sie nicht den Bösen mit seiner Seele hinausfahren sähen, nur in einem Rauch, oder in einem ganz kleinen Nebel.

Andere, die nicht mit den Schweden gewesen waren, betrachten den Marschall und seine Gruppe mit mißbilligenden Blicken. Sie denken: »So habt ihr ihn also doch verleumdet!«

Unter diesen ist König Erik, und er runzelt die Stirne gegen seinen ersten Diener.

Da kann sich der Marschall nicht länger zurückhalten. Ohne des heiligen Ortes zu achten, streckt er die Arme drohend gegen den Prinzen aus und ruft:

»Was kümmert er sich um die Auferstehung seiner Seele? – Bei den unschuldigen Häuptern seiner Kinder soll er schwören – sie allein hat er lieb!«

Auf fährt der Prinz von der Altarstufe und wendet sich voll dem Marschall zu. Seine große Gestalt reckt sich in die Höhe, als bereite er sich zum Sprung gegen den mächtigen Körper dort drüben. Die Haare sträuben sich an den Schläfen und wogen ihm um die hohe Stirne.

Nun bewegt der Erzbischof die Hand. Die Prälaten treten zurück. Die Mönche erheben sich von ihren Sitzen und beginnen ihre Arbeit in der Kirche, als seien sie ganz allein da.

Während der König in die Sakristei geht, um ungesehen von der Menge mit seinem Bruder, der nun durch seinen Eid gereinigt ist, den Versöhnungskuß auszutauschen, treten die versammelten Männer aus ihren Plätzen und gehen gruppenweise nach der Ausgangstür, die der Meßner auf einen Wink des Erzbischofs zurückgeschlagen hat.

In dem hellen Licht auf dem Kirchenplatz recken die Knappen und Landsknechte – und hinter ihnen die Männer und Frauen des vordingborgischen Bezirks neugierig den Hals nach dem offenen Portal.


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