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Lars, der starke Bauer mit den schwermütigen Augen, wandert über die Felder des Klosters Äbelholt.
Die hohen Bäume in dem großen Wald bedrücken ihm das Gemüt; er sehnt sich nach freier Luft, die über Saaten und Gras hinstreicht.
Ach, wenn es ihm endlich seine Neigung zuwenden würde, das Weib!
Wälder und Felder liegen öde und kahl, Haus an Haus verlassen. Die Wagen stehen in den Schuppen, die Pflüge sind verrostet. So schrecklich hat er auf den Gütern des Klosters gehaust, der schwarze Tod, daß nicht ein Bauer übrig geblieben ist. Die wenigen, die er verschont hat, sind weit weggeflohen.
Lars hebt eine Handvoll Erde auf und betrachtet sie wehmütig. Es ist eine Sünde und Schande um die gute Erde! Wenn sie ihm gehörte, wie sollte sie ihm dienen, treu und hold mit goldener Saat und dem schönsten Gras! Wie rein von Steinen sie ist! Und nun liegt sie da und strotzt von Unkraut unter dem Bannfluch Gottes.
Wie schön wär's, wenn er wieder hinter dem Pflug herginge wie in den alten Tagen! Dies Leben in den Wäldern gefällt ihm nur schlecht.
Das offene Feld lockt ihn weiter und weiter. Dort drüben schimmern die weißen Mauern des Klosters durch die Bäume des Obstgartens. Still und friedlich ist es in der heißen Sonne. Kein Mensch, kein Tier ist jetzt in der Mittagsstunde zu sehen.
Er schleicht am Gemüsegarten hin und schaut hinein.
Ein Schubkarren halbgefüllt mit Kies steht auf dem Weg, und ein Spaten steckt darin. Hier wurde wohl ein Laienbruder durch die Mittagsglocke von der Arbeit abgerufen.
Ach, die Blumen dort an der weißen Mauer! Das sind wahrhaftig Rosen – große, rote auf schwankendem Stengel!
Wenn er sich hineinschliche und einen Büschel raubte? – Wie würden ihre schwarzen Augen strahlen, die Augen des Weibes mit der wogenden Brust, wenn er ihr eine solche Gabe reichte!
Lars klettert über die niedrige Hecke und schleicht den Gang hinauf. Nun steht er vor dem Rosenbusch, und die Hand ist zwischen den Dornen, um die Blumen zu pflücken.
»Was machst du da?«
Ein Laienbruder ist es, der sich aus dem Schatten des Busches aufrichtet und sich den Mittagsschlaf aus den Augen reibt.
Jetzt tritt er hastig näher. Dann schreit er laut, und die andern eilen an die Fenster, und von der Küche und vom Backhaus und vom Hof kommen sie herbeigelaufen.
Sie drängen sich um den Dieb; dann wird er weggeführt vor den Abt, um sich vor diesem zu verantworten.
Während sich die Mönche ringsum über seine hohe Gestalt und die Wölbung seiner breiten Schultern verwundern, fragt ihn der Abt nach Heimat und Herkunft. Als er hört, daß er sich zu den geächteten Leuten drüben im Wald hält, da runzelt sich seine Stirne, und er überlegt, welche Strafe er auferlegen soll, um ihm und seinen Genossen klar zu machen, daß sie sich von den Ländereien des Klosters fern zu halten haben.
Da ergreift der Mönch, der im Garten vom Schlaf aufgestanden war, das Wort. Er ist schwerfällig und dick und faul bei der groben Arbeit, die getan werden muß, jetzt wo keine Bauernfaust zur Hilfe aufzutreiben ist und Felder und Häuser in dem ganzen Zinsbezirk öde liegen.
»Ehrwürdiger Vater,« sagt er, »seht doch, welche Kraft in diesen Armen ist! Was für schöne Schultern, um sie hinter den Pflug zu stellen. Wenn viele von diesem Schlag bei den Waldläufern sind, dann würde ich raten, daß wir ihnen die leeren Häuser und die kahlen Felder in Pacht geben. Wo wollen wir mit der Zeit im Kloster Brot hernehmen, wenn dieses Elend noch länger anhält?«
Wie die andern Mönche diese Rede hören, murmeln sie zustimmende Worte. Denn Rücken und Arme tun allen weh, und es graut ihnen vor der schweren Tagesarbeit, die sie erwartet, wenn der Winter mit seinem Ernst dazukommt.
Der Abt überlegt eine Weile, während er die herrliche Kraft dieser Arme betrachtet. Da ist ja das tiefe Moor, das das Dorf von dem Kloster trennt. Im Dorf drüben vom Walde an bis zum Moorwasser – dort könnten sie wohnen, und dort könnten sie auch Kohlenmeiler errichten, um dem Kloster die Holzkohlen zu brennen, die man für die Küche und das Back- und Brauhaus so nötig hat.
Als der Abt dann hört, daß wirklich Kohlenbrenner unter den Geächteten sind, verspricht er dem Dieb Straflosigkeit, wenn er zu seinen Genossen im Wald gehen und ihnen das Angebot des Klosters überbringen wolle, daß nämlich alle frei und sicher unter dem Schutz des Klosters sein sollen, wenn sie den Boden zur Arbeit pachten, ihn wieder bebauen und den Kohlenbedarf des Klosters brennen wollten.
Nachdem Lars mit diesem Angebot, das ihm sehr schön deucht, abgezogen ist, wendet sich der Abt an seine Mönche und sagt:
»Wir machen das Dorf zur Freistatt für Geächtete und Ausgestoßene, für Sünder und Ehrlose; billigere Arme können wir nicht bekommen. Und den Ort wollen wir »All-Sünderdorf« Eine alte Sage berichtet, daß das jetzige Dorf »Alsynderup« im Gribwald zur Zeit der Pest von Menschen und Vieh ausgestorben war, so daß das Kloster Äbelholt das Dorf zu einer Freistatt für Sünder und Geächtete machen mußte, damit der Boden wieder bevölkert und bebaut wurde. Daher soll das Dorf seinen Namen »Allsünderdorf« haben. nennen, damit es allgemein bekannt wird und dadurch noch andere herbeigezogen werden.«
*
Es ist Hochsommer, Trockenheit brütet über dem Land, das Wasser im Moor ist so nieder wie noch nie.
Jens steht auf einem Hügel am Waldessaum; dem Walde den Rücken zukehrend gibt er auf die Kohlenmeiler acht, die sich Meiler an Meiler in einem Kreis um das All-Sünderdorf erstrecken und es vom Walde trennen. Ganz unten am Moor schließt sich die Reihe von beiden Seiten. Nur ein schmaler Weg führt dem tiefen Moorgraben entlang vom Dorf zum Kloster.
Vorhin wurde die Abendglocke im Kloster Äbelholt geläutet. Von der Anhöhe am Waldessaum aus, wo er steht, kann Jens die Sünder von der Arbeit heimwandern sehen nach ihren Hütten, die aus Lehm und Torf zusammengeklebt sind.
Drin im Wald, wo die Bauern von Baarse, seine Heimatgenossen, das Holz für die Meiler hauen, erklingt der letzte Axthieb durch die stille Luft. Nun nehmen sie das Handwerkszeug über den Rücken und gehen heimwärts.
Im Moorwasser drunten blinkt der Spaten im Abendrot, als der Knecht ihn aus dem schwarzen zähen Torf herauszieht und über die Schulter wirft. Und die Bauern drüben auf dem Felde richten sich bedächtig auf, fassen sich vor Müdigkeit um die Lenden, schwingen dann die Sense, die das Gras geschnitten hat, über die Schulter, daß die Klinge den gebeugten Rücken hinabhängt.
Aus dem Walde heraus kommt Jeppe Dip, der Böttcher, mit Spaten und Stäben. Er hat drinnen eine Falle für einen Wolf gestellt, der in der Nacht die Lämmer umschleicht. Sieh, wie diese herumhüpfen und spielen und mit den Schwänzen schlagen, wenn sie Gras fressen!
Nun bückt sich Jeppe vor der niederen Tür seiner Hütte und wünscht seinem Weibe guten Abend. Sie näht Kleider aus Fries für die Sünder, flickt ihnen die Strümpfe und wäscht sie ihnen in dem klaren Moorwasser.
Jens schaut nach seiner Wohnung hinüber. Wo ist Elsif hingegangen? – Kein Rauch dringt aus dem Loch seiner Hütte. Hat es sich wohl wieder in den Wald geschlichen, das wilde Weib? Er ist ihrer nun überdrüssig. Sie ist böse im Hause wegen des stillen Lebens an dem engen Platz, das behagt ihr nicht. Wenn sie sich nun in der Nacht Lars im Walde hingibt, wie sie sagen, die Männer von Baarse, was geht es ihn an? Er macht sich nichts mehr aus der wilden Umarmung.
Sieh – da tritt sie aus ihrer Hütte, die Verrückte aus Dithmarschen, die erst kürzlich ins Dorf kam. Er hat sie früher schon gekannt, der König Otto – als er aus dem Frankenland heimritt. Ihren Verlobten soll sie verloren und ihres Vaters Hof einem Kloster versprochen haben, damit dort Messen für seine Seele gelesen würden. Aber als der Vater starb und das Kloster den guten Hof nehmen wollte, der ihm versprochen war, da kümmerten sich die Dithmarscher Bauern, ihre Verwandten, wenig um Seelenmessen und um Martjes Gelübde. Sie sagten, zuerst müsse das Kloster ihnen beweisen, daß der Bräutigam wirklich tot sei, denn wenn er noch lebe, dann brauche man keine Seelenmessen, für die man einen Hof dran geben müsse. Aber Hans, so hieß er, sei von den niederen Inseln weggeschwommen, und da er ein sehr geübter Schwimmer gewesen sei, so werde er auch sicherlich sein Leben gerettet haben. Als Martje dies hörte, hat sie ihren schwachen Verstand ganz verloren, ihre Seele hat sich umnachtet, weil sie immerfort daran denken mußte, daß er, wenn er noch lebte, treulos in seiner Liebe gewesen wäre. Eines Nachts ist sie heimlich vom Hof fortgezogen und zu Fuß durch Jütland gewandert, um zu erfahren, ob das Meer ihren Liebsten dort ans Ufer geschwemmt habe. So ist sie zur Zeit des schwarzen Tods von Tür zu Tür, von Haus zu Haus gewandert; sie hat viel Böses erlitten und ist schließlich hierher unter die Sünder geraten.
Den ganzen Tag hindurch stiert sie in die leere Luft, legt die Hände in den Schoß, aber am Abend, wenn die Sonne untergeht, tritt sie aus ihrer Hütte und starrt nach dem roten Westen.
Horch! nun jammert sie laut, beschattet die Augen mit der Hand und ruft gegen Westen:
»Hans! – Hans!«
Jens geht den Hügel hinab – an dem Meiler dort drüben muß an der einen Seite die starke Flamme zugedeckt werden.
Ihm entgegen kommt der König der Sünder, den Rücken gebeugt von dem schweren Kreuz, die großen glücklichen Augen geradeaus gerichtet. Karen geht neben ihm, sie heftet ihre verschleierten Augen ernst auf Jens, während er ihr zum Abendgruß zunickt, denn sie traut ihm nicht.
Jens wendet sich nach ihnen um.
Der verrückte König! – Nun geht er in den Wald, um von dem großen Hügel aus nach den Sternen zu starren.
Ruhig bleibt er dort stehen und schaut unverwandt zum Himmel auf, bis sie hervorbrechen, alle die bleichen Sterne. Er grüßt sie, einen nach dem andern, als seien sie seine Freunde. Und viele nennt er bei Namen und spricht vertraulich mit ihnen, wie mit Freunden im Ofenwinkel.
»Soll er denn niemals gerächt werden, der Schimpf von Kalundborg?« sagt Jens vor sich hin und preßt die Lippen zusammen.
Nicht um Kohlen zu brennen hat er sich mit seinen Genossen aufs neue an ihn angeschlossen, an ihn, den Bauernkönig! Hätte er ihn gekannt, so wie jetzt, da hätte er ihn sicherlich allein im Wald gelassen und wäre mit ihnen, mit all den andern, gen – Kalundborg gezogen, um den Weihnachtstort zu rächen, wäre wie in den alten starken Tagen um die Zeit der Mitternacht auf Seeland in allen Wäldern umhergezogen, hätte bösen Rat gepflogen, Höfe und Burgen genommen und die Hunde zum Teufel gejagt. Und dann zuletzt mit einem Bauernheer, so groß wie nie zuvor, wäre er auf den richtigen König losgegangen – nicht im offenen Felde, sondern vom Hinterhalt im Walde aus hätte er ihn totgeschlagen. Dann hätten die seeländischen Bauern gewiß ihn erwählt und ihm als dem einzigen richtigen Bauernkönig gehuldigt. Er hätte sie geführt, hätte die Bauern in die Burgen gesetzt und die Herren in die Hütten zu seinen Füßen; aber die holsteinischen Teufel – sie hätte er mit glühenden Zangen zwicken lassen und ihre Eingeweide herausreißen zum Fraße für die Schweine.
Sieh! dort kriecht er dahin mit seinem gebeugten Rücken – als trüge er etwas Schweres auf seinen Schultern. Elsif hat gehört, daß er zu seinem Weib einmal sagte, daß das Kreuz ihn sehr schwer drücke.
Im Kirchspiel, drüben in Tjäreby – da glauben sie, es sei der Satan selbst, der sich als Gott und Heiland ausgegeben habe, um Menschenseelen zu verlocken; sie sagen, er sei es, der die bösen schwarzen Tiere ins Land geschickt habe. Wenn eine Kuh, von plötzlicher Seuche ergriffen, fällt, – wenn die Saat fehlschlägt, glauben sie, er sei es, der beschworen und verhext habe. Die Leute sind schon vor dem Kloster gewesen und haben ihn verlangt. Ja, sie möchten ihn gern auf dem Scheiterhaufen haben, ihn und sein Weib. Sie meinen, die Welt sei ihrem Untergang nahe. Heuer, denn das sei das Jubeljahr, da werde er kommen, der Große da droben, und richten die Lebendigen und die Toten. Und da möchten sie, daß das Kloster zuvor die Schuld des ganzen Kirchspiels sühne, indem es den König und sein Weib dem Feuer überliefere zu Ehren des heiligen Wilhelm.
Weibergeschwätz und Bosheit! – Mißgunst ist es, die sie plagt, darum daß es denen im Allsünderdorf besser geht als den andern Klosterbauern. Keine andere Abgabe leisten sie in den ersten Jahren, als die Kohlen, die sie brennen, und was sie mit ihrer ganzen Kraft unternehmen, gelingt ihnen stets besser als den andern. Da meinen nun die Bauern von Tjäreby, es sei klar, daß der Satan hinter ihnen stehe und ihnen helfe.
Nun hält Jens inne, wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt.
Das böse Geklatsch, der bittre Neid – wie, wenn er sie ausnützte?
Wie, wenn es noch Zeit für ihn wäre, sein Schicksal zu wenden?
Langsam geht er von einem Meiler zum andern. Während er sich über die Löcher in den mit Rasen bedeckten Hügeln beugt, da und dort ein wenig daran rückt und den andern bei den Meilern im Norden über die Nachtwache Bescheid gibt, vollführt der Gedanke seine stille Arbeit in seinem Kopf.
Als nun in den Hütten der Sünder alles dunkel und still geworden ist, erhebt sich Jens Vallebo von seinem Lager, schleicht an seine Tür und lauscht in die Nacht hinaus.
Dann geht er leise über die Wiese nach der Ecke zwischen dem Wasser und dem letzten Meiler, da wo der Weg am Rande des Moors hinläuft – hinüber nach dem Kloster.
Vor dem Abt fällt er reuevoll nieder und bekennt, daß schwere Dinge in dem Weiler drüben im Schwange gehen. Aber er wolle nichts Ausführliches berichten, denn es falle ihm schwer, den Herrn, dem er diene, zu verraten. Die eigne Seele wolle er sich erleichtern, nicht aber jemand ins Unglück bringen.
Aber der Abt gibt ihm gute Worte. Jetzt im Jubeljahr könne er Ablaß für alle seine Sünden bekommen, für die alten und für die, die er zu begehen im Sinne habe; wenn er nur jeden Winkel in seinem Herzen offenbare, so daß keine Falte mehr übrig bleibe, worein sich der Satan verkriechen könne.
Wenn er ehrlich und wahrhaftig auf alle Fragen antworte, dann werde man ihm das ganze Dorf geben und ihn an Stelle des Bösen als eine Zierde über alle andern setzen.
Da erleichtert Jens Vallebo dem Abt von Äbelholt sein Herz. Aber von König Ottos Herkunft verrät er nichts, denn der Sohn eines Königs und der Bruder eines Königs – ihn würden sie gewiß nicht berühren.
Alles, wonach ihn die Mönche fragen – alles, was die Tjärebyer Bauern erregt – alles, ist es wahr?
Ja – er nennt sich König.
Ja – er befragt die Sterne bei Nacht. Ob er aber bei Nacht zugleich auch Wehrwolf sei, das wagt Jens nicht zu behaupten, denn das wisse er nicht gewiß.
Ja, er ist es, der die bösen Tiere schickt, die das Kloster in der Scheune und in der Speisekammer so sehr plagen.
Ja – er gibt sich für Gott und den Heiland aus. Er hat das Kreuz und die Nägelmale und alles.
Ja, er sagt, daß der schwarze Tod, der das Land so schrecklich verwüstet hat, ein Segen des Heilands sei, für den wir danken müßten.
Aber das schlimmste, das man kaum nennen darf, ist doch, daß er offen von der Fortpflanzung der Sünden seines Vaters spricht.
Tut er das – nennt er ihn Vater? – Dann ist es ja klar, daß er selbst zugibt, er sei der Sohn des Bösen.
Da wird denn beschlossen, daß er und sein Weib zur Ehre Gottes verbrannt werden müssen, damit die Luft durchs Feuer von ihrem ansteckenden Atem gereinigt werde. Dies geschehe im Namen Christi, unseres Heilandes, und zu Ehren des heiligen Wilhelm. Amen!
*
Es ist Nacht.
Auf dem Hügel am Waldessaum stehen Elsif und Lars. Er hat die Wache bei den Kohlenmeilern, und sie ist in den Wald gegangen vor Unruhe in ihrem kochendem Blut.
Die Herbstnacht wölbt sich hoch und sternenklar über ihnen. Lars wirft sich zu ihren Füßen nieder und sieht mit seinen schwermütigen Hundeaugen zu ihr auf.
»Gib dich mir, kleine Elsif!« flüstert er in Not. »Gib dich in meine Arme!«
Sie schielt auf ihn hinab – auf seinen runden Rücken, seine starken Arme. Er ist schön an Kraft, aber er ist zu groß und zu schwerfällig.
Sieh – da leuchten sie auf in der Nacht, die Flammen aus den Spalten der Kohlenmeiler! Ein Strahl nach dem andern flammt auf und erlischt, vom Rauch unterdrückt, um sich aufs neue zu entzünden. Es lockt einen, das blinkende Spiel zu betrachten. Sie geht den Hügel hinab und schaut in die Spalte eines Meilers hinein. Dann reißt sie hastig den Rasen weg, und sogleich schlagen die Flammen, die Luft bekommen haben, heraus.
Sie lacht mit all ihren weißen Zähnen.
»Ah, welch ein schöner Anblick! – Das sage ich dir, Lars, schlägst du all die Rasenstücke weg, so daß die Flammen aus allen Meilern hoch herausschlagen zu einem einzigen mächtigen Feuer, das rot und gelb zum Himmel auflodert und herrlich anzuschauen ist – dann werfe ich mich dir in die Arme zu jeder Lust.«
Er steht auf, der starke Bauer mit den breiten Schultern. Dies Wort soll sie ihm nicht zum zweitenmal sagen dürfen. Und wenn alle Meiler zu Asche verbrennen und nicht so viel Kohlen übrig bleiben sollten, daß man einen Kessel damit warm halten könnte, so würde er doch dieses Werk ausführen. Die glühende Umarmung und der wogende Busen unter dem Brustlatz sind es wohl wert.
*
»Der Wald brennt!« ertönt es von den Hütten her.
»Auf! Alle Mann! auf – der Wald brennt!«
Karen beugt sich über Ottos Bett.
»Der Wald brennt!« ruft sie ihm ins Ohr.
Da erwacht er. Er war weit weg im Traum. Er sprach mit Raimund, mit jenem großen Mann – jenem Fürsten des Goldes – von Jupiters großem Glücke sprachen sie – und Bruder Galfred kam zu ihm in seine Zelle, wie damals in seiner Jugend.
Da fällt der Schein der leuchtenden Flammen auf die Scheiben der Hütte.
»Kommst du nun, du mächtiger Herr? Ist dies die elfte Stunde vor dem Gericht?« fragt Otto und richtet sich im Bett auf.
Und während er sich ankleidet, sagt er leise:
»Sieh, ich habe nach deinem Gebot gelebt. Das Kreuz habe ich auf meinem Rücken durchs Land getragen – damit ich zuletzt die Krone des Lebens erlange, die du mir versprochen hast. Herr, ich bin bereit – nimm mich nun auf in deinen Schoß.«
Dann geht er hinaus vor seine Hütte.
Da kommen sie herbeigelaufen, alle die Sünder, Männer und Frauen. Einige haben einen Rock an – andere nur das Hemd.
»Wo ist Jens?« rufen die Bauern von Baarse. Sie laufen nach seiner Hütte; aber er gibt keine Antwort; und Elsif ist auch nicht da.
Nun lodert das Flammenmeer vom nördlichen Ufer des Moors bis hinunter zum südlichen.
Da sehen die Leute, daß es nicht der große Gribwald ist, der brennt, denn er erhebt sich dunkel und hoch hinter den Flammen. Die Meiler sind es, die zu Asche verbrennen. Das Feuer hat ihre Decke durchbrochen. Wie? – Warum?
Alle Meiler stehen wie ein leuchtender Flammengürtel da, und die Luft ist so heiß über dem Dorf, daß man kaum atmen kann.
Auf der andern Seite des Moors – auf der Klosterseite – steht der schwarze Jens Vallebo unter den Mönchen von Äbelholt. In einer großen Schar, um die Nachtzeit, mit Waffen und Stricken beladen, um zu knebeln, wenn es ihnen gelingen sollte, sind sie von Jens geführt herangezogen, um in der Dunkelheit der Nacht den König und sein Weib zu entführen.
Das Flammenmeer lodert vor ihren Augen auf. Sicherlich hat der Böse ihr Vorhaben belauscht und Feuer gesandt, um sie alle zu verzehren. Schrecken ergreift sie, und sie entfliehen.
Alle Sünder haben nun ihre Hütten verlassen. Sie laufen wild durcheinander, wie Schafe ohne einen Hirten, wenn der Wolf kommt.
In den Wald können sie nicht flüchten, denn das Flammenmeer schließt das Dorf ab, und auf dem Weg an der Ecke des Moors gegen Süden – da schlagen ihnen die Flammen wild lodernd von dem nächsten Meiler entgegen.
Es bleibt nur noch das Moor selbst. Fort von hier müssen sie, denn die Hitze versengt ihnen Haar und Bart, die Luft ist wie Feuer, und die Flammen züngeln nach ihnen mit den roten spielenden Zungen.
Sie stürzen sich ins Moor, da wo das Wasser am niedersten ist. Die einen sinken ein und schreien, andre kommen durchs Wasser herbei und helfen ihnen aus dem Schlamm heraus.
Sieh – da steht Martje, das Mädchen aus Dithmarschen, vor der Tür ihrer Hütte. Lange bleibt sie stehen und betrachtet stumm das Werk der Flammen. Dann klärt sich ihr Gesicht plötzlich auf. Drin in der Glut sieht sie eine Erscheinung.
Dann ruft sie laut mit gellendem Jubel:
»Hans! – Hans!«
Mit offenen Armen stürzt sie sich in die Lohe.
Otto und Karen bleiben allein im Dorf zurück.
Sie versucht, ihn mit sich nach dem Moor hinzuziehen. Aber er sieht sie nicht, er hört sie nicht.
Mit erhobenen Armen kniet er nieder und ruft:
»Dies ist der Tag des Gerichts – dies ist der Tag des Zorns – siehe, ich bin bereit!«
Nun lodern die Flammen bis zum Himmel hinauf. Öffnet er sich, der Himmel, vor seinen großen glücklichen Augen! Laut und hell hört er silberne Glocken läuten. Alle seligen Engel schweben ringsum in der Luft und heben die erlösten Seelen aus den Flammen.
Sieh – nun schweben sie zu ihm herab!
Mit leuchtenden Augen begrüßt er sie, und sein Antlitz strahlt vom Jubel des Entzückens.
Er bebt am ganzen Körper, als die Engel seine Schulter berühren.
Nun nehmen sie das schwere Kreuz von seinem Rücken.
Er richtet sich zu seiner vollen Höhe auf. Der Jubel der Befreiung zieht durch seine Seele.
Dort, von der leuchtenden Wolke her, lächelt ihm seine Mutter zu – sein Vater – sein Bruder –
Und der Herr Jesus Christus steht groß und stark an seiner Seite und sagt:
»Nun gebe ich dir die Krone des Lebens!«
Er nimmt die strahlende Krone aus Engelshand und drückt sie Otto auf das gesenkte Haupt.
Die Erde wankt unter Ottos Füßen. Der Himmel wird aus seinen Angeln gehoben.
Mit emporgehobenen Armen ruft er:
»Ich komme! Ich komme!«
Dann greift seine Hand um Karens Arm.
»Cara! – Das Skapulier!«
Und er fällt vornüber auf sein Antlitz.
Auf dem Hügel hinter dem Feuer stehen Elsif und Lars. Sie ist wild vor Freude über das wunderbar leuchtende Flammenspiel. Nun drückt sie sich in die Arme des starken Bauern, und sie zittert in Freude und Angst vor dem Feuer vor ihren Augen, vor dem Feuer in ihrem Blut. –
Aber Jupiter, der milde, der fromme, hebt sich im Osten über dem Walde. Sein großes Licht leuchtet über Ottos Leiche und über Karens, die neben ihm liegt, ihren Kopf an seinem Herzen geborgen.