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(An Cara, meine geliebte Schwester in dem Herrn – von Otto, deinem Bruder, dem geringsten vor Gott.)
Zwei und ein halbes Jahr sind verflossen seit jenem Unglückstag, der uns für immer trennte. Was sage ich – Unglückstag? – Nein, der Unglückstag war der, wo ich, von den Schlingen des Bösen verlockt, Dein unschuldiges Blut in Versuchung führte. Und die Stunde des Glücks war die, wo der Herr mir die Augen öffnete durch seinen Diener, den Bischof, und mich hierherführte in Sicherheit vor der Welt, vor dem Fleisch, vor mir selbst. Möge Gott in Gnaden auf mich und auf Dich sehen – jetzt und in Ewigkeit, Amen!
Ich schreibe Dir, meine geliebte Schwester, weil ich Dich um Deinen Rat bitten möchte, denn ich bin in Zweifel und in großer Not. Lange habe ich gebetet, Gott möge mir ein Zeichen schicken, was ich tun soll, doch obgleich ich täglich im Gebet auf dem Grabe des heiligen Wilhelms liege, sowie auch vor seinem Bilde, das drüben in der Kirche zu Tjaereby hängt – so hat er mir seinen Willen doch noch nicht kundgetan.
Deshalb schreibe ich an Dich, ob Du mir vielleicht aus der Fülle Deines guten Herzens und mit Deinem frommen Sinn einen Rat geben könntest?
Doch zuerst sollst Du wissen, daß es mir gut geht. Ich verbringe meine Zeit mit Gebet und Arbeit hier im Kloster, wo ich täglich das Leben der frommen Brüder vor Augen habe. Selbst bin ich nur conversus; Conversus wurde der genannt, der sich, der Welt überdrüssig, in ein Kloster zurückgezogen hatte, ohne sich durch ein Gelübde an die Ordensregeln gebunden zu haben. ich habe kein Gelübde abgelegt, habe meine Freiheit, zu kommen und zu gehen.
Meine Zelle liegt nach dem Garten hinaus, den der heilige Wilhelm angelegt hat – er, der vom Bischof Absalon hierherberufen wurde aus der Abtei Geneviève, wo ich, wie Du weißt, selbst in meiner Jugend gewesen bin.
Sehr alt ist dieser Garten. Ich habe hier manche köstliche Pflanze wiedergefunden, an die ich mich von den Gärten in Paris her noch erinnere, und die man in unserm Land sonst nirgends findet. Diese Pflanzen hat der treue Mann hierhergebracht und sie gepflegt und behütet – und sein Werk ist in all der Zeit in Ehren gehalten worden. Die Pflanzen streuten Samen aus, aus dem Samen wuchsen neue Pflanzen – und nun blühen diese vor meinem Fenster und nicken mir einen Morgengruß zu, wenn die Sonne über meiner Zelle aufgeht und mich weckt.
Diese Pflanzen pflege ich mit meiner eigenen Hand, ich begieße sie und halte die Erde um sie her in gutem Stand; mein krankes Gemüt hat viel Freude daran gehabt.
Aber, wenn ich im Garten fertig bin und die Gebete, die ich mir ausgewählt, gesprochen und der Vesper angewohnt habe – mit den an die Ordensregel gebundenen Chorherrn, unter denen ich wegen meiner Geburt hochgeachtet bin, obgleich es mir am liebsten wäre, wenn sie mich als den geringsten unter ihnen betrachteten – dann studiere ich in meiner Zelle, bis die Dunkelheit anbricht, manchmal auch noch bei Licht. Jeden Tag bin ich in der Bibliothek, und manches kostbare Werk, von dem ich in Paris in meiner Jugend reden hörte, habe ich hier gefunden. Die Werke der heiligen Väter und die Abailards Abailard ist der um seiner Liebe zu Héloïse bekannte Scholastiker. Der überlieferte Briefwechsel (in lateinischer Sprache) zwischen den historisch berühmten Liebenden ist das Vorbild für die obigen Briefe gewesen. und vieler anderen erfrischen mir das Gemüt und die Gedanken. Die Eitelkeit der Welt tritt immer mehr zurück in meinem Herzen – ach, daß ich doch zuletzt die eine Weisheit erfaßte, die Gott selbst ist! Denn die Weisheit der Welt ist eine Torheit vor Gott, und die Weisheit des Fleisches ist der Tod. So sagte Dr. Galfred, mein alter Freund und Lehrer in Paris. Und das Skapulier, das ich Dir an jenem Weihnachtsmorgen in Kalundborg zeigte – er hat es mir gegeben – das habe ich jetzt in seinem wahren, ewigen Wert schätzen gelernt. Dieses Kreuz auf meinem Rücken und auf meiner Brust soll mir in meiner letzten Stunde zur Gnade verhelfen.
Denn Du mußt wissen, das, was er mir in Paris verkündigt hat – der große Mann, der Fürst des Goldes, von dem ich Dir erzählt habe – das, was er mir aus dem verschlossenen Buch der Sterne las, es war wahr, ich weiß es jetzt.
Ja – ein Fluch ist über mir. Du weißt es ja, meine Geliebte – Du hast es selbst gesehen – daß er, dessen Namen ich nicht mehr auszusprechen wage, bisweilen in meinen Körper fährt und mich plötzlich zu Boden wirft. Doch hat er mich, Gott sei gedankt, in all der Zeit, die ich nun hier weilte, nur ein einziges Mal niedergeworfen. Und es ist mein Glauben und mein Trost, daß der Herr Christus seine Hand über mir halten wird, je mehr ich durch mein Leben in seiner Gunst steige. Bete für mich, Cara, meine geliebte Schwester, daß es also geschehe. Die Fürbitte eines frommen Weibes ist mehr wert, als viele Messen. Das habe ich kürzlich bei dem heiligen Chrysostomus gelesen, der eine sehr fromme Mutter hatte, Anthusia hieß sie. Wo immer Christus einen Menschen vom Tode erweckt hat, geschah es nicht stets, weil ein frommes Weib ihn darum bat?
Doch – nicht wahr – ich darf glauben, daß Du seither auch schon jeden Tag, der seit unserer Trennung verflossen ist, für mich gebetet hast?
Du mußt wissen, daß ich sehr viel über diesen Fluch nachgedacht habe, ob ich nicht doch die wahre Ursache finden könnte? Über mich selbst habe ich nachgedacht und über mein Leben – und über meinen Vater und sein Schicksal habe ich viel gegrübelt. Nun fängt es an, sich vor mir zu lichten. Es ist mir, als nehme ich einen ewigen Zusammenhang wahr zwischen Vater und Sohn, einer unzerreißbaren Kette gleich. So sind mir auch beständig die Worte gegenwärtig, die er in seiner Todesstunde sprach; unter Qualen und im Todesschweiß sagte er sie, kurz ehe er den letzten Atemzug tat. In verblümter Weise sprach er von einem großen und ewigen Pfand, und er verlangte von mir einen Schwur, daß ich dieses Pfand einlösen werde. Damals verstand ich nicht, was er meinte; aber jetzt sehe ich klar, daß es das ewige Pfand seiner Seele war, woran er dachte, als der Tod zu seinen Füßen stand. Ach, wie elend und gering wurden da für ihn alle irdischen Pfänder, die er in seinem Leben gegeben hatte – die Pfänder, die mein Bruder Waldemar einzulösen schwur – dem großen ewigen gegenüber! Damals verstand ich es nicht, aber jetzt verstehe ich, daß er sich einmal – was, wie Du weißt, später mir selbst widerfuhr – in die Gewalt dessen gegeben hatte, den man nicht zu nennen wagt. Er wollte irgend etwas erreichen; Gott zögerte mit seiner Hilfe; da hat sein Herz in heftiger Ungeduld die bösen Wege gewählt. Ich erinnere mich von meiner Kindheit her, daß ich den Truchseß Laurids Jonsson, als er mit dem Marschall und mit dem Porse vom Vater herauskam, zu den andern sagen hörte, daß Vater sich einmal dem Teufel verschworen habe. Genaue Auskunft bekam ich nicht darüber, weder damals noch später; aber vielleicht war nicht alles erlogen und nicht nur üble Nachrede gewesen. Soviel ist jedenfalls sicher, daß Vater, als er im Sterben lag, nicht eher Ruhe fand, bis ich die Worte gesprochen hatte, die Gott mir eingab, so daß ich die schwere Aufgabe auf mich nahm, das große ewige Pfand seiner Seele zu lösen. Wie ich dieser Aufgabe nachgekommen bin – das weißt Du, meine geliebte Schwester. Und nun graut es mir vor dem Fluch, der auf der Seele meines Vaters und auf meinem eigenen Haupt liegt. Und das weiß ich sicher, ehe ich das Pfand eingelöst habe, läßt sich der Zorn auf meinem Haupt nicht versöhnen.
Aber jetzt, wo ich diesen wunderbaren Zusammenhang recht verstehe, ist alles für mich in sein Nichts zerflossen, ausgenommen der Wille, mein Gelübde zu halten. Denn bedenke wohl, Cara: in seiner unendlichen Barmherzigkeit straft Gott unser Fleisch und unser Leben hier unten auf der Erde, um unsere Seele freundlich zu schonen. Er straft in der Zeit, um in Ewigkeit Milde walten lassen zu können. Und Grauen erfaßt mich, wenn ich daran denke, daß mein Vater hingegangen ist, ohne eine andere Linderung für seine Seele, als das Gelübde, das ich ihm auf das Kruzifix ablegte.
So ruht denn der ewige Frieden seiner Seele wie eine Bürde auf mir. Mit meinem Leben und mit meinen Gebeten muß ich die Schuld sühnen, an deren Tilgung ihn der Tod hinderte. Aber nun sehe ich auch, wie barmherzig Gott gegen mich gewesen ist, daß er mich jetzt gestraft hat, damit ich dahin gelangen könnte, die eigentliche Aufgabe meines Lebens zu erfüllen.
So komme ich nun zu dem, was die eigentliche Ursache meines Briefs ist – das, was mich in Zweifel und Not stürzt.
Du mußt nämlich wissen, daß der Abt und mit ihm mehrere fromme Mönche und regelrechte Chorherrn täglich in mich dringen mit der Bitte, doch des Lebens Eitelkeiten zu entsagen, ein regelrechter Mönch zu werden wie sie, und mich ganz dem Klosterleben hinzugeben, so wie Du Dich ihm einst hingegeben hattest.
Ich weiß nun nicht, was recht ist. Denn wer sagt mir, ob meine Aufgabe innerhalb enger Klostermauern vollbracht werden kann? – Würde nicht – so frage ich mich wieder und wieder – draußen in der Welt, unter den Menschen, meine Arbeit am besten geübt, nämlich mit meinem irdischen Leben zu sühnen und zu büßen?
Dazu kommt noch, das mußt Du wissen, meine geliebte Schwester, daß es nicht lauter Frömmigkeit ist, die den Abt und die guten Mönche in dieser Sache treibt. Denn wenn ich Mönch würde, dann würde das Ansehen des Klosters über alle Klöster steigen, dadurch, daß sie des Königs Bruder in ihrer Mitte hätten. Und eine große Seelengabe würde ich dem Kloster dadurch bringen – all mein Erbgut, ganz Estland, mit Ausnahme des Teils, den der Markgraf Ludwig für die Mitgift erhielt. Es muß auch bedacht werden, daß das Kloster gegenwärtig hart bedrängt ist. Die Schulden für die schöne neue steinerne Kirche, die schon vor zwanzig Jahren hier gebaut wurde, sind noch immer nicht bezahlt – und da das Kloster an der großen Heerstraße liegt, so gibt es viele zureisende Gäste, reiche und arme – und alle, die wegen der wundertätigen Kraft, die aus dem Grab des heiligen Wilhelm strömt, hierherkommen, müssen aufgenommen und gespeist werden. Allerdings bedenken die Reichen das Kloster dann mit Gaben; aber diese genügen nicht für die Beköstigung der Armen, weil die Bedürftigen so viel zahlreicher sind als die Reichen. Und diese Wirtschaft kostet das Kloster in Jahr und Tag eine runde Summe.
So gib mir denn einen Rat, Du Liebe, die meinem Herzen von allen Menschen am nächsten steht – Du, gegen die ich mich, von dem Bösen verlockt, mehr als gegen irgendeinen andern Menschen versündigt habe, in dem ich Dir Deine Unschuld gerade vor dem Altar der Mutter Gottes raubte – so gib mir denn einen Rat aus der vollkommenen Güte Deines Herzens und um all der Liebe willen, die Du einmal für mich gefühlt hast.
Bete für mich jetzt und immerdar! – Laß die Sonne nicht über Deinem Zorn untergehen, wenn es eines Tages geschehen sollte, daß Dein Gemüt mit Bitterkeit gegen Deinen Bruder Otto erfüllt würde – bete für mich, Cara, und sei nun von ganzem Herzen gegrüßt.
Lebe im Herrn, Du Braut Christi, und vergiß mein nicht. Und laß meinem Herzen bald die reiche Erquickung Deines Briefs zuteil werden.
Leb wohl, Du Liebe!
Otto von Dänemark.
*
(An Otto von Dänemark, meinen Herrn und Bruder, nein, meinen Geliebten – von Deiner Schwester, von der kleinen Cara.)
Du, der Du die Worte geschrieben hast, Du lebst meinem Herzen so nahe, daß ich es nicht sagen kann. Dein Bild tritt mir aus Deinen Worten entgegen und labt mein gequältes Herz. Hab Dank, daß Du mir diese Worte geschrieben hast!
Mit Tränen in den Augen hab ich gelesen, was Du von dem Fluch schreibst. Ach, Du Lieber, warum durfte ich nicht bei Dir bleiben und Deinen Schmerz teilen! Geteilter Schmerz ist halber Schmerz – ja, ich glaube, manchmal kann er sogar ganz vergessen werden.
Du, der Du frei bist, warum kamst Du nicht selbst zu mir? – Ich bin des Schreibens ungewohnt – dann hätte ich Dir einen Rat geben können, und Du hättest mein Herz erquicken können, das sich immer in demselben Kummer verzehrt. Du weißt es ja, Geliebter, und die Welt weiß es, was ich an Dir verloren habe. Ich begehre keinen fremden Trost; nur Du kannst mein Leid lindern, wie auch Du allein mich unglücklich machen kannst. Der Name Gattin erschien Dir wohl heiliger und ehrbarer; mir klang es herrlicher, Deine Geliebte – nimm kein Ärgernis an mir – Deine Buhlerin – Deine Konkubine genannt zu werden. Und nun sitze ich hier in Gefangenschaft so weit von Dir.
Denn das sollst Du wissen – für mich ist das Kloster ein Gefängnis, härter als der Tod. Von Gott habe ich keinen Lohn für mein Gelübde zu erwarten; es war ja nicht Liebe zu ihm, die mich trieb; es war die Verzweiflung meines Herzens, als ich sah, daß Du mich verlassen hattest. Mein Herz gehörte mir nicht mehr, Dir hatte ich es gegeben. Wo sollte ich mich also hinwenden, wenn ich nicht bei Dir eine bleibende Stätte finden konnte? Deshalb allein hatte ich das Gelübde abgelegt.
Was kümmre ich mich um böse Geister. – Auf ein Wort von Dir wäre ich lieber gleich in die Hölle geeilt, als daß ich mich von Deiner Seite hätte reißen lassen. Als ich die Lust des Fleisches in Deinen Armen genoß, da konnte ich wohl zweifeln, ob es wahre Liebe sei oder nur Wollust, die mich zu Dir trieb: aber jetzt, wo ich durch die Gewalt böser Menschen von Dir weggerissen bin, habe ich keinen andern Wunsch, als ganz und gar Dein zu sein. Ach, Du geliebter Mann! wenn Du meiner Liebe nicht so sicher wärest, würdest Du Dich mehr betrüben und mich nicht Deine Schwester nennen – vielleicht wärest Du dann selbst hierhergekommen und hättest irgendeine Gelegenheit für uns ausfindig gemacht, daß wir beieinander sein könnten.
Du nennst mich fromm. Wie kann ein sorgenschweres Herz wie das meinige Zeit finden, sich zu Gott zu wenden? – Aber nun sollst Du meine wahre Frömmigkeit kennen lernen, denn vor Dir will ich nichts verbergen.
So große Seligkeit habe ich in Deinen Armen empfunden, daß mich der Gedanke daran nie verläßt. Diese Erinnerungen locken mich im Schlaf und in meinen Träumen. Selbst während der Messe, wenn ich niederknie, um zu beten, steigen sie in meinem Innern auf, so daß ich nur Gedanken habe für ihre Lust und ihr Glück. Ich, die über ihre Sünden weinen sollte – ich seufze nach dem, was ich verloren habe. Hier nennen sie mich keusch, weil sie nicht wissen, daß es nur Schein ist; denn Keuschheit ist eine Tugend der Seele; aber ich habe sie nicht – und ob ich sie wohl je erlange? Dazu habe ich zu viel Glück in Deinen Armen erprobt. Erinnerst Du Dich des ersten Males in der Kapelle zu Nykjöbing? – Erinnerst Du Dich an die Kirche zu Baarse? – Erinnerst Du Dich an die Nächte bei den angezündeten Feuern in den tiefen Wäldern? – Erinnerst Du Dich endlich an jenen Weihnachtsmorgen auf Kalundborg? Dies alles ist vorüber.
Du verlangst einen Rat von mir? Was soll ich antworten? Wie kann ich raten? Mein Herz kennt keinen andern Rat als den, daß Du, der Du frei bist, über Land und Meer zu mir kommest. Sei nicht böse über meine Worte. Ich kann nichts anderes sagen.
Komm zu mir, Geliebter, ich sehne mich über alle Begriffe!
Und nun, leb wohl, Du mein ein und alles!
Karen Falk.
Ottos Herz klopft mit seiner früheren Freude, während er Karens Brief liest. Aber Angst und Kummer sitzen ihm zu tief im Gemüt, als daß er zu seinen anderen Sünden auch noch die schwere hinzufügen möchte, sie aufzusuchen und eine Nonne zu umarmen. Es graut ihm für ihre Seele. Mit der Fleischeslust im Herzen ißt man sich selbst das Gericht an Gottes Altar. Und er schließt sie inbrünstig in seine Gebete ein, als er in der Kirche zu Tjäreby vor dem Bild des heiligen Wilhelm kniet.
Ach, seine Zweifel und seine Qual sind jetzt noch größer als vor Empfang des Briefs. Was soll er tun? Dem Erdenleben entsagen, wie er schon seiner Liebe entsagt hat? – Oder unter die Menschen hinausziehen – unter sie, denen es schlecht geht – und Buße tun mit der Tat mehr als mit Gebeten?
Ach – wenn er in das heilige Land ziehen könnte, das des Herrn Fuß betreten hat, und auf seinem Grab um Gnade bitten! Dann würde der Herr sie ihm gewiß schenken!
*
Als Otto eines Morgens eben damit beschäftigt ist, im Garten die Rosen aufzubinden, die sich schwer von Blüten auf die feuchte Erde neigen – reitet König Waldemar in den Klosterhof herein.
Neben ihm hält ein hoher Reiter, den weißen Mantel der Deutschherrn um die Schultern. Auf dem Mantel vorne an der Brust ist das große schwarze Kreuz aufgenäht.
Nach dem Mittagsmahl in dem großen Refektorium, wo der König und der fremde Ritter zu Gast sind, sitzen die drei in Ottos Zelle um den Tisch.
Waldemar erkundigt sich nach der Gesundheit des lieben Bruders, und Otto gibt gute, freundliche Antworten. Mit der Eitelkeit der Welt ist auch die Bitterkeit gegen seinen Bruder aus seinem Herzen verschwunden. Dann erzählt Waldemar von seinen Reisen. Im vorigen Jahr zog er nach Estland, um den Aufstand der Bauern zu dämpfen und um die Verhältnisse in dem fernen Land mit eigenen Augen zu sehen. Denn Dänemarks Herrscherrecht ist dort beinahe vergessen, mit Gewalt müssen die Steuern eingetrieben werden, und das Wort des Herrn hat böse Zeiten bei den heidnischen Gebräuchen, die noch immer unter der Asche fortglimmen.
Auf dem Heimweg von Estland zog er durch das Gebiet des Deutschordens, und dort schloß er sich an den Ordensmeister an, der ihn überredete, mit ihm ins heilige Land zu ziehen. Da befahl er dem Marschall, das Heer nach Dänemark zurückzuführen, er selbst aber ritt mit dem Großmeister den langen Weg durch die fremden Länder. Nach vier Wochen erreichten sie Jerusalem. Einen so weiten Ritt würde er nie wieder machen, sagt er. Unterwegs sprachen die beiden Gefährten oft miteinander über Estland, das den Deutschherrn am nächsten liegt, und da schlug der Ordensmeister Waldemar vor, das ferne Land zu verkaufen, das für Dänemark doch nichts mehr wert sei. Der Orden würde eine erkleckliche Summe dafür bieten. Waldemar dachte wohl über diesen Vorschlag nach und beschloß schließlich, mit seinem lieben Bruder, dessen Erbteil Estland war, darüber zu reden.
Heuer hat er gegen Oheim Johann auf Vordingborg Krieg geführt; dieser ist mild wie immer. Aber das feste Schloß konnte Waldemar mit seinen Mannen nicht nehmen. Da zog er vor, unten durchzukriechen, weil er nicht darüber wegsetzen konnte. Er verhandelte mit dem Grafen, und sie wurden einig, das Schloß – das letzte, was der Graf auf Seeland noch besitzt – um eine gewisse Summe einzulösen.
Dann verhandelten sie darüber, Lolland einzulösen, wie er – Waldemar – schon vor drei Jahren Falster eingelöst hatte. Doch diese Summe war zu groß, um sie erschwingen zu können. Aber da habe er gedacht, wenn sein lieber Bruder, der nun der Eitelkeit der Welt und aller irdischer Macht und allem Eigentum entsage, auf sein Erbteil verzichtete, dann könnte er damit den letzten Rest der dänischen Inseln für sein Geschlecht zurückgewinnen. So würde auch er den Eid halten, den sie beide ihrem Vater geschworen haben.
Nun lächelt Otto. Nichts weiß sein Bruder von dem großen schweren Pfand, gegen das alles andere gering ist.
Aber am schlimmsten ist es, daß Porses Witwe und ihre Söhne nun in Halland sitzen und auf Rache sinnen.
Sie können die Schmach von Kalundborg nicht vergessen, und Estland, das König Christoffer einmal Knud Porse gegeben hat, das verlangen sie als ihr Recht. Aber Waldemar ist hart bedrängt von in- und auswärtigen Feinden, deshalb möchte er einen gütlichen Vergleich mit der Familie Porse versuchen, Holbäk zu einer Grafschaft machen und ihnen dies nebst Samsö zur Erstattung geben; und damit müßten sie sich zufrieden geben.
Otto fühlt, wie ihm der Zorn aufsteigt, als Waldemar den Namen Porse nennt; aber dann denkt er an seine eigene schwere Aufgabe. Sein Beruf geht nicht mehr gegen Feuer und Schwert.
Als Waldemar seine Rede beendet hat, erhebt sich der Deutschordensritter, der mit dem König gekommen, und wie es zuvor zwischen ihm und Waldemar ausgemacht war, preist er nun das freie, fromme Leben seines Ordens. Diese Ritter sehen sich in der Welt um, wo es ihnen beliebt, sie bekriegen die Feinde Christi, beschützen die Klöster und tun eitel Gutes um ewigen Lohn. Und als er sieht, daß Otto seiner Rede ein williges Ohr leiht, so rückt er schließlich mit dem Antrag heraus, den er Otto von seinem Ordensmeister zu stellen hat. Wenn der Prinz in ihre Reihen treten wolle, würde er die allergünstigsten Bedingungen erlangen, denn dann würde man annehmen, er bringe ganz Estland als Seelengabe, obgleich man seinem Bruder, dem König, noch eine Summe und dem Markgraf Ludwig eine Abfindung für seinen Mitgiftsteil geben würde. Sein eigenes estländisches Schloß dürfe Otto behalten. Dort könne er seiner Lebtage als Vogt des Ordens sitzen – oder er könne weit umherziehen mit den Rittern – an die wunderbaren Küsten des Mittelmeers – nach den üppigen Gärten von Amalfi – nach Joppe – ja nach der heiligen Stadt Jerusalem könne er reisen und die Orte sehen, wo der Fuß des Heilands gewandelt hat.
Aber Otto neigt still das Haupt. So hat doch Gott endlich ein gewisses Zeichen geschickt.
Jerusalem – das heilige Grab – dort wird er niederknien und um Gnade flehen für seines Vaters Seele, für Caras und für seine eigene Sündenschuld.