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Der Himmel ist schon abendlich blaß, die stille Luft ist klar und erfrischend.
Otto und Karen gehen nebeneinander in dem Lindengang auf und ab.
Er mißt die Perspektive des Ganges mit dem Auge – die Linden sind tüchtig gewachsen in den elf Jahren.
Karen betrachtet verstohlen sein langes Gesicht mit der hohen Stirn über den großen, gewölbten Augen. Sie versteht es nicht – er sieht doch gar nicht so aus.
Ich darf nicht vergessen, ihn König zu nennen.
»Ist es wahr, daß Ihr ins Kloster gehen wollt?« fragt Otto und heftet seine Augen mit dem schwimmenden Blick auf ihren roten, runden Mund.
Karen schlägt die Augen nieder und nickt.
»Warum?« fragt er leise in der stillen Luft.
Weiß er das wirklich nicht? – Er gab mich ja selbst auf in der Nacht, wo der König starb. Was sollte ich denn sonst jetzt tun, als für ihn und für Vater beten?
Karen senkt den Kopf und schweigt.
»Habt Ihr es gelobt?« flüstert Otto; er spricht so leise wie in der Kirche. Sie fühlt seinen warmen Atem an ihrer Schläfe.
»Ja, Herr König.«
»Wem?«
»Meister Fulbert, Herr König – meinem Beichtvater.«
»Ach nennt mich Otto! Ich bin nicht mehr König als Ihr.«
Was ist doch das? Will er nicht König genannt werden? – Aber Vater sagt doch – das verstehe ich nicht –
Otto liest die Verwunderung in ihren Augen.
Was kann sie von ihm gehört haben?
Er bleibt stehen und ergreift ihre weiche, schlaffe Hand, die dicht neben der seinigen herunterhängt.
»Cara, was sagt man über mich?«
»Wer?«
»Euer Vater – und die andern?«
»Warum wollt Ihr des rechnen, was mein Vater sagt? An keinem Abend geht er nüchtern zu Bett. Ihr sahet ja selbst, wie er schon beim Abendbrot war.«
»Cara, ich bitte dich – sag mir, was du über mich weißt. Ich habe keinen andern Freund als dich.«
Lieber Gott im Himmel, wie weh haben sie ihm getan! Nun kann ich nicht anders. Nun sage ich ihm alles.
»Es heißt, daß Ihr – in dem langen, harten Gefängnis – am Verstand Schaden genommen hättet.«
»Ist das alles?«
»Es heißt auch« – nun wagt sie nicht, ihn anzusehen – »daß der Böse zu Euch ins Gefängnis gekommen sei in Gestalt einer kleinen schwarzen Maus.«
»So, behaupten sie das? Dein Vater – alle – so, das sagen sie?«
Er erblaßt, und seine Hände beben vor dem Zorn, der in seinem Herzen aufwallt.
»Deshalb hätten sie Euren Bruder Waldemar an Eurer Stelle zum König machen müssen, aber Ihr müßtet in dem Glauben erhalten bleiben, daß Ihr jetzt und immer König seiet. Und deshalb sagt jedermann »Herr König« zu Euch, damit Ihr nicht in Wut geratet und den Bösen aufs neue herbeilocket. Denn von ihm könntet Ihr nur durch die Fürbitte guter Menschen errettet werden,« – dies sagt sie leise, den Blick auf ihren Fuß niedergeschlagen – »meint Meister Fulbert.«
Nun bricht sein Zorn los:
»Fünen haben sie den Söhnen des Grafen gegeben – Niels Ebbesen, meinen lieben Genossen, haben sie verraten, bis er mit all seinen Mannen bei Nonneberg erschlagen lag. So haben sie den Eid gehalten, den sie mir schwuren! Und mich – mich haben sie –«
»Ich glaube es nicht. Wenn Ihr es verneint, dann glaube ich ihnen nicht.«
Sie bleibt stehen und wendet ihr Gesicht mit der zarten Hautfarbe Otto zu, indem sie ihn durch die langen Wimpern hindurch ansieht.
»Das mit dem Bösen – ist das wohl wahr?«
Otto schweigt; er senkt den Kopf und schweigt. Dann geht er hinter den steinernen Tisch und setzt sich auf die Bank. Sein Rücken fällt zusammen; das Auge starrt leer und schwermütig zu Boden.
Und als sie sich still neben ihn setzt, und sie nun beisammen sitzen wie an jenem Abend, als er zu seinem sterbenden Vater hergekommen war – da erst sieht sie ihm an – in einem einzigen langen Blick sieht sie es – was er seither gelitten hat. Sie hat ihre Frage vergessen – vergessen auch ihr Gelübde. Sie denkt nur daran, daß er jetzt in großer Not ist und daß er jetzt bei ihr ist.
Ach – der bittre Zug um seinen Mund! Welch eine Angst liegt in seinen großen Augen!
So schlecht haben sie gegen meinen Freund gehandelt!
Sie hüllt ihn ein in die dunklen Schleier ihrer Augen. In demselben Augenblick sieht er sie an, und seine großen Augen hauchen gleichsam Kuß um Kuß auf ihre weiche Wange. Und ihre offenen runden Lippen mit dem rührenden Schmerzenszug um den Mund geben die Küsse ebenso weich und zögernd zurück, einen nach dem andern.
Das Lindenlaub ist entfärbt. Die Blätter fallen und wirbeln weich und zögernd herab auf die kalte, feuchte Erde, und dort drüben hinter den Lavendel- und Johannisbeersträuchern hängen verdorrt die Erbsenstauden mit dicken, gelben, vergessenen Schoten daran.
Warum nahm er mich damals nicht? Da wäre die richtige Zeit dazu gewesen.
Der Christus, den sie in der Kapelle anbetet, dem sie all ihre Sehnsucht weiht und zu dem der duftende Hauch ihrer Gebete aufsteigt, aus ihm schauen ihr Ottos Augen und seine feingeschwungenen Lippen entgegen.
Ach, seine arme lange weiße Hand, die schwer auf der Tischkante ruht – wie mager ist sie! – es wundert mich, daß kein Nägelmal zu sehen ist!
Nun erzählt er ihr von seinem Leben auf Vordingborg – von seiner beständigen Angst – von seinen wachen Nächten spricht er leise in der stillen, klaren Luft. Und er spricht von seiner Begegnung im Walde mit den armen Waldläufern. Und als er erst einmal zu sprechen angefangen hat, öffnet er die Schleusen seines Herzens weit und erzählt ihr sein ganzes Leben, soweit er sich zurückerinnern kann. Wie wohl tut es ihm, sich ihr zu erschließen! Ach, könnte er ihr doch nur alles sagen! Und er erzählt von seiner Leidenschaft – von Sara – und von Martje. Von seinen Hoffnungen und seinen Gedanken spricht er – und von all den bittren Enttäuschungen, die ihm das Leben gebracht hat, obgleich er erst vierunddreißig Jahre alt ist. Enttäuscht ist er von den Menschen, denen er am meisten traute – enttäuscht von sich selbst – enttäuscht auch von Gott. Er erzählt von den sieben qualvollen Jahren seines Gefängnisses. Sie waren zu ihm in seine Zelle gekommen – und schwuren ihm dies und das – Waldemar und der Bischof – und so haben sie ihren Schwur gehalten! Es kommt ihm vor, als sei er sein ganzes Leben lang heimatlos zwischen ihnen umhergeirrt – aber jetzt – wie er hier auf der Steinbank sitzt an ihrer Seite – erst jetzt hat er das Gefühl, als sei er daheim.
»Bei dir, Cara, bei dir bin ich daheim – hier in der Lindenlaube an deiner Seite. Als Jeppe Dip mir heute Morgen Nachricht von dir gab, da war es mir, als dringe die Sonne plötzlich durch schwere Wolken hindurch, und ich fühlte zum erstenmal, daß bei dir die Macht ist, der ich mich hingeben kann, die Macht, die die Angst in mir auslöschen und meinem Gemüt Sicherheit zu geben vermag. Was ist alles miteinander wert ohne dies Eine? Cara – dies ist ja Liebe – sag, ist es nicht Liebe?«
Cara fährt mit der Hand nach dem Herzen.
Heilige Mutter Gottes, steh mir bei!
»Warum hab ich das früher nie erkannt? – Es hat gewiß in meinem tiefsten Innern gelebt, wo ich auch immer sein mochte. Kleine Cara – wie schön bist du geworden von einem Jahr zum andern! – Ich möchte dich in meine Arme schließen – und meinen Kopf an deinem klopfenden Herzen ausruhen lassen!«
Wenn er mich jetzt küßt, dann bin ich sein mein Leben lang. Das Gelübde – das Gelübde – heilige Mutter Gottes, steh mir bei!
»Cara, ich liebe dich. Ich gehe nicht ohne dich weg von hier. Was kümmre ich mich um Kloster und Gelübde? Du wußtest ja selbst nicht, was du versprachst.«
Hinsinken im Kusse seines Mundes, der mir entgegenstrebt mit seinem geschwungenen Bogen!
»Cara, komm mit mir, komm mit mir – noch heute Nacht. Ich werde dich aus deinem Bette holen. Jeppe soll bereit sein, dann entfliehen wir dem Kloster und dem Gelübde.«
Mit dem Glanz seiner Augen in den meinigen –
»Dann reiten wir nach Baarse und fragen nach dem Pfarrer für den Sterbenden. Und ich werde der König sein, der König für die, die schwer gelitten haben, so wie ich auch schwer gelitten habe.«
Den Himmel seiner Arme um mich!
»Wir werden gut gegen sie sein, du und ich – für all das, was sie von den Großen erdulden mußten.«
Hingerissen werden – sterben – ganz untertauchen in seine Umarmung!
»Ach, wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe – die Höfe verbrannt, die Häuser zertrümmert – das Getreide verfault auf dem Felde – und die besten Männer des Landes wie wilde Tiere im Walde –«
Nun nimmt Otto ihre weiche, schlaffe Hand in die seinige.
»Cara sei bei mir – als meine Geliebte – als meine Gattin.«
Was Gattin – kein Band soll unsere Liebe binden, nur allein die freie Macht der Liebe. Lieber dein Liebchen als deine Gattin.
Heilige Mutter Gottes – erhöre diese Gedanken nicht! – Erbarme dich – hilf mir –
Nun steht sie rasch von der Bank auf, zieht ihre Hand zurück und sagt:
»Ich muß gehen.«
Auch er steht auf und hascht wieder nach ihrer Hand, aber sie versteckt sie und senkt tief errötend den Kopf.
»Wohin, Cara?«
»In die Kapelle – ich muß mein Gebet verrichten.«
Sie geht durch den Lindengang, aber er folgt ihr.
Wo der Gang abbiegt, wendet sie sich ihm zu und fleht mit niedergeschlagenen Augen.
»Folgt mir nicht!«
Aber ihr Herz fleht um das Gegenteil und zieht ihn nach. Sie ist sein – sie können sich gar nicht mehr trennen.
Folgt er mir jetzt nicht, dann ist keine Liebe zu mir in seinem Herzen.
Sie geht durch die Pforte, durch den Hof nach der Kapelle; und sie lauscht auf seinen Schritt hinter ihr im Dunkel.
Heilige Jungfrau – was soll ich tun? – Herr Jesus hilf mir! Dir habe ich ja mein Gelübde abgelegt!
Aber ihr Herz flüstert dem seinigen zu, das da hinter ihr klopft: Komm – komm! – Verlaß mich nicht!
Nun steht sie vor der Tür der Kapelle. Er ist neben ihr, sie sieht ihn an; und nun verrät ihm ihr von den Wimpern verschleierter Blick all ihre jahrelange Sehnsucht und ihre glühende Liebe.
Dann neigt sie den Kopf zum Gruß, tritt in die Kapelle und schließt die Tür hinter sich zu.
Kommt er jetzt nicht nach, dann ist keine Liebe zu mir in seinem Herzen.
Halt ihn zurück, Heilige Jungfrau! – Rette ihn vor der schweren Entweihung!
Sie wirft sich nieder vor dem Altar der Mutter Gottes, den sie jeden Tag mit frischen Blumen schmückt, mit den letzten Blüten des Herbstes.
Verwirrte Gebete quellen zwischen ihren heißen Lippen hervor, aber ihr Herz und ihr Verlangen streben ihm entgegen, der da draußen ist.
Still! das ist sein Schritt auf den Fliesen – nun kommt er hierher im Dunkeln.
Da steht er hinter ihr. Sie fühlt, daß er sich über sie beugt; nun streckt er die Arme nach ihr aus und – während er sie umschlingt und sie an sich zieht, erschüttert ein schwerer Seufzer ihren Körper. Ihr Blick streift den Kopf der Madonna in einem letzten Gebet.
So laß denn das Unglück geschehen und Jammer über uns kommen! Lieber sein Liebchen als die Braut Christi!
Nun legt sie ihre starken Arme um seinen Hals und sinkt in Schmerz und Lust an sein Herz.
Es ist kein Himmel über – keine Erde unter ihnen. Frei schweben sie miteinander in dem wunderbaren Reich der Liebe.
Herr Gott, wenn du da droben bist – siehe gnädig auf uns herab! Wir sind uns schon so lange in Liebe zugetan gewesen. Bist du erzürnt, dann laß deinen Zorn in diesem Augenblick auf mich niederfallen, daß ich in seinen Armen sterbe!
Aber als die dem Kloster Geweihte an der heiligen Stätte in seinen Armen ruht, da weiß Otto, daß nun alles vorbei ist. Nun hat er sich dem Bösen hingegeben – endgültig!
Die Wahl ist getroffen. Und indem er dies fühlt, verschwinden Angst und Zweifel aus seinem Herzen. Ein Trotz, wie er ihn noch nie gefühlt hat, wallt in ihm auf. Er hält sie fest in seinen Armen und starrt auf den großen Christus am Kreuz dort im Mondschein.
»Verdamme uns nur! Nun sag ich mich los von dir und deinem Vater! Niemals habt ihr mir geholfen – nie meine Gebete erhört.«
Er schaut den Mond an und flüstert:
»Hilf du uns nun, Asmodäus! – Nun übergebe ich mich dir aus freiem Willen.«
*
Der Mond ist hinter dem Wald untergegangen. Bo Falk schläft den Rausch des Tages aus, um für den nächsten wieder nüchtern zu sein. Jeppe Dip wartet mit seinem Pferd und mit dem seines Herrn auf der andern Seite des Grabens.
Jesper, der jetzt Turmwächter ist an Stelle des alten Ole, der im vorigen Jahr an der Gicht und am Alter starb, hat die Küchenmagd Maren neben sich auf der Bank. Denn der königliche Gast hat für gute Bewirtung gesorgt – echte Rostocker Mumme haben die Leute bekommen, um auf seine Gesundheit zu trinken. Deshalb schlafen nun Jesper und Maren ruhig nebeneinander im Turm.
Leise läßt Otto die Brücke herab. Er hat es als Knabe oft für den alten Ole getan. Er und Karen huschen über die Brücke – die Schuhe tragen sie in der Hand. Dann hebt Otto Karen auf sein Pferd und schwingt sich selbst hinter ihr in den Sattel. Und nun reiten die drei in der Dunkelheit der Nacht um die Stadt herum.
Jeppe Dip kennt jeden Weg und Steg auf Falster. Er führt sie sicher durch den Wald nach dem Grönsund. Der Ferge, den er aus früherer Zeit gut kennt, wird geweckt, und er setzt den fremden Reiter und seine Frau nach der Insel Möen über.
Von da führt der Weg nach Koster, dann wieder übers Wasser nach Kallehave.
In dem großen Wald ruhen die drei Reiter den ganzen Tag. Aber als es dunkel wird, reiten sie gen Norden nach Baarse. Und um Mitternacht klopft Otto dort an die Kirchentür und verlangt nun den Pfarrer für einen Sterbenden.
*
»Ihr kommt zur guten Stunde, Herr König,« sagt der schwarze Jens, »nun werde ich Euch etwas Lustiges zeigen.«
Durch den gemauerten Gang gehen sie in den Turm hinüber und die morsche Treppe hinauf; sie liegt voller Trümmer, die der Wind unter dem Turmdach droben aus den Mauern der Gucklöcher gerissen und herabgeschleudert hat. Ganz hinauf in den Turm geht es, wo der große eiserne Haken seiner Glocke nachstarrt, die die Holsteiner vom großen Märner Hof kürzlich mitsamt dem gestickten Altartuch und dem silbernen Kelch geraubt haben.
Hier unter dem Dach des Turms hat man einen freien Ausblick nach allen vier Seiten.
»Was seht Ihr, Herr König?«
»Nichts. Doch – eine Helle im Osten. Es brennt dort drüben.«
Eine rote Lohe flammt zu dem dunklen Sternenhimmel auf.
Und dort – im Norden – und dort hinter dem Wald leuchtet es auch am Himmel auf.
»Es ist, als sei es Johannisnacht im Land.«
Der Feuerschein spiegelt sich in den Augen des schwarzen Jens; sie sind groß und böse anzusehen. Er betrachtet die Feuer, wie er für gewöhnlich wachsam den aus den Kohlenmeilern herausdringenden Rauch betrachtet, um acht zu geben, daß die Glut unter der Rasendecke der Meiler richtig und stark genug brenne.
»Was bedeutet denn das?« fragt Otto.
»In dieser Stunde fahren mehr als dreihundert holsteinische Seelen in die Hölle.«
»Wer hat das veranlaßt?«
»Ich und die seeländischen Bauern haben es veranlaßt. Nacht und Stunde sind zum Voraus fest bestimmt worden, damit jeder Mann auf seinem Posten sein konnte. Aus vierzig Dörfern sind in dieser Nacht die Bauern ausgezogen mit Sensen und Dreschflegeln, mit Stroh und Pech. Auf jedem Hof, den die Holsteiner genommen haben, ist ein zuverlässiger Mann aus den Unseren im Dienst. Alles ist verbreitet – und seht – nun fahren sie zur Hölle.«
Karen schmiegt sich an Otto an.
Die Flammen lodern ihm ins Herz hinein. Flammen des Hasses sind es, die rauchend zu den Sternen aufsteigen und sie zu Zeugen anrufen. Die klaren Flammen des Hasses sind es, die so lange unter dem großen Meiler geglimmt haben – siehe, nun bekommen sie Luft; sie züngeln empor mit roten und gelben Spitzen wie die Flammen der Rache. Die Seelen der Ermordeten irren klagend durch die wirbelnden Rauchwolken.
Zum erstenmal fühlt Otto den Jubel des siegenden Hasses, schmeckt er den süßen Rachetrunk, der den Durst löscht und allen Kummer und Schmerz lindert.
»Rache für meinen Vater – Rache für meinen Großvater! Rache für Niels Ebbesen, meinen lieben Genossen! – Rache für Segeberg – Rache für Rendsborg – Rache für alle die sieben qualvollen Jahre!
Laßt es flammen, laßt es brennen! – Rache für die Schmach – Rache für die Erniedrigung, für die Unterdrückung! Rache für Ritter und Bauern – besonders für die Bauern! Rache für die toten Seelen unter dem alten Wall!«
Er meint zu sehen, daß der Fürst des Bösen zwischen den Feuern umherreite und mit seinem schwarzen Mantel bald dieses, bald jenes anfache. Es ist ihm, als sehe er, wie sich das grinsende Gesicht, das Rache bewirkt, über die Flammen beugt, wie Raimund sich über den Tiegel beugte, in dem er Gold schaffte.
Und Otto ergreift Jens' Hand und ruft:
»Habt Dank – habt Dank!«
Nun will Karen vom Turm herunter. Sie bebt am ganzen Körper und will hinab.
In der Kirche hat Elsif – des schwarzen Jens Liebste, ein Zigeunerweib mit wogender Brust unter dem Halstuch und mit schwarzem Haar, das ihr über die Wangen und die lachenden Augen hereinfällt – an einem Feuer auf den Steinfliesen im Chor das Abendbrot gekocht. Der Rauch zieht zu einer runden Luke hoch oben an der Mauer des Chors hinaus. Nun nimmt sie die Grütze vom Feuer und gießt sie in den großen Taufstein, den Asger Ryg bestellt und der Bauer Fris Bauer Fris – Asger Ryg. Auf dem Taufstein in der Kirche zu Baarse steht in den Stein gehauen: Bondo Fris me fecit – Esgerus Røth me fecit fieri: Bauer Fris machte mich – Esgerus Røth ließ mich machen. gemacht hat.
Otto lacht, als er es sieht.
»Das nenne ich eine Suppenschüssel – habt ihr Bier zu der Grütze?«
Der Bauer mit dem grauen Fleck im linken Auge holt einen Krug Bier unter einem losen Grabstein im Seitenschiff hervor. Und nun kommen die Bauern herbei aus den Stühlen der Mönche, wo sie geschlafen und geduselt haben. Der Rasende und der mit dem gewölbten Rücken, den langen Armen und den schwermütigen Augen – er liebt Elsif; aber sie erhört ihn nicht – und der, der immer grinst und seine gelben spitzigen Zähne zeigt, die denen des Meisters Fulbert gleichen.
Nachdem die Grütze gegessen ist, sagt der schwarze Jens Vallebo zu Otto:
Ehe der Tag graut, versammeln sich die Bauern hier bei der Kirche. Und dann, Herr König, werdet Ihr das Heer bekommen, das ich Euch versprochen habe. Sagt nun, wohin Ihr uns führen wollt.«
»Nach Kalundborg geht der Zug.«
»Das ist gut.«
»Gegen die Porsebrut, die des Reiches Schriftschatz im Besitz hat.«
»Jawohl, Herr König.«
»Und wenn mein Heer ein Bauernheer ist, so ist Euer König ein Bauernkönig. Der König der Armen will ich sein. Das Land, das von den Feinden geschlagen und von seinen eigenen Großen verwüstet ist – das gewinnen wir zurück mit den Bauernarmen, die von jeher diese Erde bebaut und den Pflug darüber geführt haben.
Die Pfänder wollen wir einlösen, nicht mit Silber, sondern mit Bauernwaffen. So werde ich den Eid halten, den ich meinem Vater auf seinem Sterbebette geschworen habe.«
»Herr König, gebt uns einen Feldruf – ein Losungswort – gebt uns einen Heiligen, unter dem wir siegen werden.«
Otto wird es trüb zu Mut. Er denkt an die Nacht in der Kapelle. Doch das kann nun nichts nützen. Die Wahl ist getroffen. Die Angst ist verschwunden und hat dem Trotz und dem Mut Platz gemacht. Nun steht er auf seiner eigenen Kraft gegen die da droben. Und wenn jemand helfen soll, dürfen nicht sie es sein, sondern –
»Einen Heiligen, ja, einen Schutzheiligen werde ich euch geben – meinen eignen sollt ihr bekommen – ihn, der mein Schicksal jetzt leitet –«
»Er heißt Sankt Asmodäus. Er soll uns führen. Mit ihm wollen wir auf Kalundborg Weihnachten feiern.«
Nun zerstreuen sich die Bauern rings in der Kirche. Jeder sucht sich einen Stuhl, um zu schlafen.
Für Otto und Karen hat Elsif aus den Polstern des Altarschemels ein Ehrenlager bereitet und es mit dem weißen leinenen Altartuch bedeckt.
Bald schläft alles mit Ausnahme dessen, der die Wache hat. Es ist der Bauer mit dem gewölbten Rücken und den schwermütigen Augen. Er kauert vor dem verschlossenen Tor der Vorhalle nieder.
Während alles schläft, schleicht sich Elsif von Jens Seite weg. Sie will hinauf auf den Turm. Die rote Glut und die Flammen sind es, die sie locken. Noch nie hat sie einen solch schönen Anblick genossen. Von dem Feuer da draußen schlagen die Flammen herüber in ihr Blut und entzünden ihre Sinne. Dann kriecht sie die morsche Treppe wieder herab, huscht zu Jens Lager hin und weckt ihn auf. Denn in seinem Arm will sie liegen bei der Hitze, die das Feuer in ihr entfacht hat.
Der Bauer am Portal starrt mit seinen schwermütigen Augen zu den beiden hinüber. Mit aller Kraft lauscht er auf die Töne ihrer Wollust. Es schneidet ihm wie mit Messern durchs Herz, aber doch muß er lauschen.