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Drittes Kapitel

Eine alte Bekanntschaft.

Miß Davenant führte ihre Croquet-Partie mit Liebreiz und Erfolg durch, wie sie es mit allen Dingen zu thun gewöhnt war. Die Zuschauer, die den Verlauf des Spieles als Kenner verfolgten, waren entzückt von dem Interesse, das sie dem Spiel entgegen brachte, und von der Verve, mit welcher sie ihre Erfolge einheimste; und die anderen, die in dem Spiele bloß einen Zeitvertreib sahen, behielten Zeit genug übrig, sich an ihrem schönen Gesicht und ihren geistvollen Bemerkungen zu erbauen. Einmal oder ein paarmal im Verlauf des Abends blickte sie in der Richtung, wo sich Karl Seymour befand – und es war, als wenn in ihrem Blicke ein forschender, spähender Ausdruck gelegen hätte.

»Wer ist denn das?« fragte sie Tom Griffith, als sie den Ball des Senators über den Spielplan hinausschlug – »den schlanken Herrn meine ich mit dem blonden Schnurrbart.«

»Kennen Sie ihn denn nicht?« fragte Tom, leicht verwundert. »Das ist Karl Seymour.«

»Ein Maler, nicht wahr?« fragte Käthe kalt. »Geben Sie doch Acht, wohin Sie den Ball spielen!«

»Ja. Hat ›Ulysses und die Sirenen‹ gemalt – das Bild, das ein so großes Aufsehen gemacht hat.«

»Ach ja! ich weiß. Eine richtige Berühmtheit also. Nun! konnt's mir denken!«

Und sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Croquet zu.

Ein halbes Dutzendmal im Verlauf des Nachmittags ging Karl Seymour an ihr vorüber, und jedesmal mit einem so kalten, acht- und teilnahmlosen Gesicht, daß sie es wohl oder übel bemerken mußte. Ein anderes Mädchen dürfte sich dadurch gekränkt gefühlt haben. Nicht so Käthe Davenant. Sie wußte zu gut, daß sie Gleichgültigkeit zu überwinden imstande war, als daß sie Mißbehagen darüber, daß sie einer solchen Empfindung begegnete, hätte fühlen sollen. Vielleicht gefiel es ihr sogar ein bißchen. Jedenfalls übte es den Reiz der Neuheit auf sie. Zuletzt aber fügte es sich, daß Karl auf seinem Wege hinter einem trägen Balle her an ihr vorbeieilte gerade in dem Augenblick, als sie, umringt von einer kleinen Schar Verehrer, hell auflachte. Es war ein wunderheller Silberklang in ihrem Lachen, und eine gewisse Färbung darin traf Karl Seymour, als es ihm in die Ohren klang, mit einer seltsamen Empfindung – es führte ihn zurück in alte, vergangene Tage. Wo hatte er wohl dieses Lachen zuvor schon gehört? Da drehte er sich um und sah ihr voll ins Gesicht. Sein Blick schien sie nicht zu beunruhigen: die von den langen Wimpern überschatteten Augen glitten an ihm hernieder, vom Kopfe an bis zu den Füßen – und dann knüpfte Miß Davenant den Faden ihres Gespräches wieder an. Er hatte solche Augen wie diese nur ein einziges Mal in seinem Leben gesehen, und seine Erinnerung führte ihn zurück zu dem felsigen Gestade, und zu dem süßen Kindergesicht, das dem Gesichte dieses Mädchens hier so ähnlich, und doch wieder so unähnlich war – zu dem Gesicht seiner Knabenliebe, jenes herzigen, lieben Mädchens, das er Käthchen Mavourneen genannt hatte.

Er stand in kurzer Entfernung von ihr, lauschte ihren Worten und sah sie an. Die rosige Röte schwebte auf ihren Wangen, und die sanften großen Augen thaten sich auf und senkten und schlossen sich. Der in der Regel ernste Senator blickte mit Entzücken auf das schöne Antlitz und lauschte jedem Ton ihres süßen Lachens, ganz ebenso, wie er dem Gesang einer Primadonna gelauscht haben würde. In Karl Seymours Herzen vollzog sich ein seltsamer Widerstreit der Meinungen. Es drängte ihn, sich Klarheit darüber zu schaffen, ob Miß Davenant anziehend oder abstoßend auf ihn wirkte. Das süße Blumengesicht befriedigte den strengsten künstlerischen Geschmack; die Erinnerung an das silberne Lachen traf ihn, er wußte nicht, wie; dann aber überkam ihn wieder eine Erinnerung an die Geschichten, die er gehört hatte – Geschichten, die einem stolzen wählerischen Manne nahezu schrecklich erschienen. Es mochte eine schöne Dame sein, die Tom Griffiths Blumen an sich trug und stolze Männer durch ihr Lächeln fesselte; aber war es auch eine echte, wahrhaftige Dame? Andere mochten ja an dem rosenblättrigen Hauch und den sternenklaren Augen ihre Freude und ihr Genügen gefunden haben. Bei Karl Seymour war dies nicht der Fall. Er war ein Mann, der gegen Weltdamen sarkastisch und streng sein konnte; und als er jetzt Käthe Davenant mit seinen Blicken maß, da gedachte er wieder des Marquis und fragte sich, ob sich nicht auch der weitere Vers mit Recht auf sie anwenden ließe:

Wie eine Nippessache dünkest Du mir,
Im Duft des Parfüms und der Schminke Zier,
               O Belle Marquise.
Du bist wie geschaffen fürs Hirtengedicht,
Schlägst Narben, doch Herzenswunden nicht,
               O Marquise!

Wie eine Nippessache kommst Du mir vor
Im zarten, duftigen, rosigen Flor,
               O Belle Marquise.
Du bist schlagfertig und witzig und schlau,
Das geb ich Dir zu; doch geeignet zur Frau –
               Nein, Marquise!

Er sann hierüber, während Miß Davenant mit dem verliebten Senator tändelte und über Tom Griffiths ziemlich weit hergeholte weise Sprüche ein musikalisches Lachen anstimmte. Er sann noch immer darüber, als sie schließlich den Arm des Senators nahm und auf die Seite des Spielplans zuschritt, wo Karl seinen Stand hatte.

Er war ein Junggeselle in älteren Jahren, dieser Herr Senator, und wie die meisten älteren Junggesellen sind, für Eindrücke höchst empfänglich. Er fühlte auch, während er jetzt über den Spielplan schritt, an der Seite dieser gefeierten Dame, deren zierliche, mit elegantem Handschuh bekleidete Hand auf seinem gewichtigen Arm ruhte, und deren Stimme ihm freundlich in den Ohren klang, eine höhere als bloße Senatorswürde. Die eine von den schönen Händen trug keinen Handschuh; und als die Schleppe der schönen Robe an ihm vorbeigeschwebt war, wurde Karl Seymour, dessen Blick sich zu Boden gesenkt hielt, eines winzigen Dinges von perlgrauem Handschuh ansichtig, der gerade vor seinen Füßen lag. Er hob ihn auf. Ein so winziges Ding, wie dieser Handschuh war! So ein echtes Juwel von Wildleder mit Silberfäden-Stickerei! Sogar die Weitung der weichen Finger zeigte es noch, und auch der schwache Lilienduft haftete ihm noch an! Karl lächelte matt – es war so hübsch, so niedlich, dieses winzige Ding von Handschuh, daß er einen gewissen Grad von Freude darüber im Herzen fühlte. Wenige Schritte führten ihn zu Miß Davenant, und als er an ihrer Seite stand, genügten wenige Worte, ihre Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken.

»Verzeihen Sie gütigst?« sagte er, sich verneigend – »aber Sie haben Ihren Handschuh verloren!«

Ein matter Hauch von Röte trat auf ihre Wange, als sie den Handschuh von ihm entgegennahm, und ihre schwarz umsäumten Augen leise zu ihm aufschlug.

»Ich danke Ihnen!« sagte sie, seine Verbeugung erwidernd; dann eilte sie an ihm vorbei.

Bloß drei Worte, und Worte so einfacher Art; aber die Circe war's, die sie gesprochen hatte, und in der süßen, süßen Stimme gesprochen hatte, die zuvor soviele Herzen getroffen hatte. Kaum eine Minute Zeit hatte der ganze Vorgang in Anspruch genommen; und als sie an ihm vorbei gegangen war, da schien sie alles vergessen zu haben, und die Stimme, mit der sie den Senator anredete, war ganz ebenso süß, ganz ebenso gütig und lieb. Nichtsdestoweniger war es Karl einigermaßen so ums Herz, als wenn sich Zauberbande darum legten, und all sein Sarkasmus wollte ihm nicht dagegen helfen. Er vergaß der Marquise und stand noch immer da, und sah ihr nach.

»Ich wundere mich wahrlich nicht darüber, daß man sie die Circe nennt,« sagte er. Und dann stieg die alte Erinnerung wieder vor ihm auf und er setzte langsam und leise, wie über seine Einbildung lächelnd, hinzu: »Käthchen Mavourneen! Käthchen Mavourneen!«

Während er so dastand, sah er eine ältere Dame aus dem Hause kommen, die sich auf den Arm eines Herrn lehnte. Eine Dame, die einmal hübsch, in ihrer besten Zeit vielleicht eine Schönheit gewesen war, jetzt aber die reiche, vornehme Witwe deutlich genug verriet, gleichzeitig aber auch eine Dame von hohem Stolz in ihrem ganzen Wesen und mit kalter Berechnung in ihren scharfen, schönen Augen. Er wußte, wer die Dame war. Er hatte Mrs. Mortimer Montgomery schon früher gesehen und erriet in zutreffender Weise, daß sie die Absicht hegte, ihre Bekanntschaft mit ihm wieder aufzufrischen. Mrs. Montgomery hatte ein scharfes Verständnis für den hohen Wert, den eine faktische Berühmtheit in der wirklich vornehmen Welt besaß, und das Bild ›Ulysses und die Sirenen‹ hatte nicht wenig dazu beigetragen, Karl Seymours Namen als berühmt und gefeiert erscheinen zu lassen.

Sie blieb, als sie bis zu ihm hingelangt war, stehen und stellte den Herrn vor, der sich in ihrer Gesellschaft befand und von dem Alice Farnham als von »unserem litterarischen Löwen« gesprochen hatte.

»Löwen sind ja die beiden Herren! einer soviel wie der andere!« sagte sie und nickte mit ihrem hübschen, greisen Haupte. »Wie kommt es denn, Mr. Seymour, daß Sie heut Abend nicht gebrüllt haben? Wenn wir so glücklich sind, in unserer gesellschaftlichen Menagerie eines Löwen habhaft zu werden, so sind wir der Meinung, wir seien angeführt worden, wenn er nicht seine ihn als Löwen kennzeichnenden Eigenschaften an den Tag legt.«

»Aber ich bin ja doch noch ein gar so junger Löwe,« lachte Karl. »Noch ganz ein Löwenkätzchen, möchte man sagen; und würde wohl darum nicht mein Gebrüll unter den ausgewachsenen Vierfüßlern zu sanft und leise klingen?«

Mrs. Montgomery lachte auch. Sie liebte Leute, die Fähigkeiten besaßen und sich zugleich im Zaum zu halten verstanden – und bei diesem Herrn schien dies beides zuzutreffen.

»Sie sind zu bescheiden,« sagte sie. »Indes, ich darf nicht vergessen, wozu ich hierher gekommen. Warum besuchen Sie uns denn nicht? Käthe hat in der letzten Saison Ihr Gemälde gesehen und seitdem in einem fort davon gesprochen. Kunst und Künstler sind ihr Steckenpferd. Während der drei letzten Jahre hat sie sich mit Sammeln von Gemälden befaßt.«

Karl nahm lächelnd die Einladung an. Das Fatum hatte ihn sicherlich in die Hand genommen, und das Fatum regiert uns ja doch alle! Als Mrs. Montgomery ihren Löwen zurück nach ihrem Hause führte, nahm sie auch Karls Versprechen mit sich hinweg, ihr am nächstfolgenden Tage eine Visite abzustatten.

»Käthe wird entzückt sein, Sie begrüßen zu dürfen,« sagte sie und nickte lächelnd. »Guten Abend!«

Hierauf begab sich mein Held zu Alice Farnham hinüber und plauderte mit ihr, bis sich die Gesellschaft zerstreute. Dann kehrte er nach Hause zurück und betrachtete das Bild der kleinen Käthe, verwundert über die Ähnlichkeit zwischen den beiden sanften Augenpaaren.

Als es am andern Morgen elf Uhr schlug, befand er sich in dem Empfangszimmer von Mrs. Montgomery. Er hatte seine Karte hinaufgeschickt und wartete auf die Dame. Gleichgültig sah er sich in dem Gemach um. Spuren von »Käthe« an diesem und jenem Orte – dort auf dem hübschen Arbeitstisch ein aufgeschlagenes Buch, über dessen Blättern ein feines Taschentuch gebreitet lag – hier auf dem perlgrauen Kartenkasten ein mit Quasten geschmückter Handschuh – der nämliche, den er am Tage zuvor von dem Spielplane aufgehoben hatte. Er sah ihn und lächelte. – An den Wänden hingen viele Bilder, und plötzlich fesselte eines derselben sein Auge – einen Ruf der Verwunderung ausstoßend, sprang er auf. Es war ein sehr kleines Bild, aber sein Rahmen war über die Maßen reich und gediegen und was es darstellte, war eine Scenerie von zauberhaftem, wildem Charakter – ein Streifen felsigen Gestades mit grauen Wogenmassen, die in eine kleine Bucht hineinpeitschten, und schweres, purpurfarbiges Gewölk, das sich über der Bucht zusammenballte. Beides in Umriß und Färbung vorzüglich aufgefaßt und durchgeführt. Augenscheinlich das Werk von keiner ungeübten Hand.

Aber nicht das war es, was zu Seymours Ausrufung Anlaß gegeben hatte. Die Scenerie war von den vielen, die mit der Liebesgeschichte von ehedem im Zusammenhänge gestanden, die bekannteste, die vertrauteste. Es war die kleine Bucht, an der Küste von Mayne, wo Käthchens roter Rock immer sein Wahrzeichen zwischen den Felsen gewesen war.

Als Mrs. Montgomery eintrat, stand er noch immer vor der Malerei, und nachdem die ersten Begrüßungen vorüber waren, fing er an Fragen an sie zu stellen.

»Darf ich um Auskunft darüber bitten, woher das Bild stammt?« sagte er. »Ich habe gemeint, es hätte niemand Kenntnis von diesem Fleck außer mir.«

»Käthe hat das Bild gemalt,« versetzte die Dame, mit gewisser Gleichgültigkeit – »sie pinselt immer die eine oder andere wilde Scenerie zusammen. Ich weiß nicht, woher sie das Zeug nimmt. Ach, Käthe! Da bist Du ja und kannst mithin selbst auf die Frage die Antwort geben.«

Miß Davenant hatte eben die Thür aufgemacht und stand mit einem großen Strauß roter Rosen vor ihnen. Sie trat vorwärts und legte sie auf den Tisch. Dann streckte sie, zufolge der von der Tante an sie gerichteten Aufforderung, ihre Hand mit dem alten bezaubernden Lächeln aus. Sie war erfreut, sich Herrn Seymour gegenüber zu sehen. Sie hatte seine Bekanntschaft, auf Grund seines Ruhms schon längst gemacht, wenn sie ihn auch persönlich noch nicht gekannt hatte. Wie konnten Gemälde-Liebhaber ihm ihren Dank abstatten für ›Ulysses und die Sirenen‹? Es war in ihrer Art und ihrem Benehmen keine Spur von Effekt; es standen ihr keine Ahnen zu Gebote, um Eindruck zu machen. Einzig und allein die Grazie und Eleganz einer anmutigen und eleganten Weltdame, die zu gefallen wünschte, und die wußte, wie sie zu solchem Ziele gelangte. Bestrickende Herablassung schlug den Senator in Fesseln; ihr Gesicht allein reichte aus, um Tom Griffith ihr zu Füßen zu legen; aber Karl Seymour stand abseits von anderen Männern, und sie allein half dem Fatum ein wenig nach mit ihren sanften Augen und ihrer über die Maßen lieblichen Stimme.

»Ich fragte eben Ihre Tante aus über dieses Gemälde,« sagte endlich Seymour. »Sie sagt mir, Sie seien die Malerin. Es kann doch wohl kein Bild aus der Phantasie sein?«

Sie blickte lächelnd nach dem Bilde hinauf.

»Nein,« sagte sie. »Es ist eine Scenerie, die ich aus dem Gedächtnis gemalt habe. Es war einstmals meine Heimat.«

Seymour war fast böse auf sich. Selbst wegen der tollen Mutmaßung, die wie ein Blitz auf ihn niederzuckte. Und doch war das Zusammentreffen der Umstände so seltsam! Er blickte auf die langfingerige Hand, auf die das Sonnenlicht weiße Reflexe warf, auf das tiefbraune Haar und dann auf das scharfgeschnittene, fleckenlose Antlitz. Bloß die großen, von den langen Wimpern dicht umsäumten Augen boten ihm Anhaltspunkte für die Erinnerung. Der Rest war schön, aber dies war auch alles. Langsam ließ er fallen, was ihm eben in den Sinn geschossen war.

Er lauschte der weichen Stimme, während sie mit vollendeter Grazie in jedem Wort und jedem Ton zu ihm sprach, und fragte sich, während er lauschte, ob denn der nämliche Zauber auch so über anderen Männern läge, wie jetzt über ihm. Es war kein solcher Zauber, wie er sich ihn gedacht hatte – nicht das berückende Blendwerk einer Kokette; etwas Edleres war es, etwas, das mehr dem freien Instinkt einer schönen Frau gleichkommt, welche die Welt gesehen hat und sie versteht, und doch mit ihrer zärtlichen, süßen Weise zurückhält. Hierin lag das Geheimnis von Käthe Davenants Erfolgen. Es vergaß ein jeder Mann in ihrer Nähe, daß andere Männer das nämliche Lachen gesehen und die nämlichen melodischen Klänge ihrer Stimme gehört hatten. Karl Seymour vergaß es auch. Es war schwierig, sich zu vergegenwärtigen, daß solche Augen wie diese falsch sein könnten; daß von diesem herrlichen Mädchen mit dem schönen Gesichte Leute gesagt hatten: »Es giebt Männer, die ihre Schönheit und Eitelkeit zu Schlimmeren getrieben hat als in den Tod.« Ich erzähle die Geschichte, die ich erzähle, frei und offen und mag es nicht auf mich nehmen zu verbergen, daß Karl Seymour ein besserer Mann war als Käthe Davenant ein Weib war. Die Einflüsse, die auf ihr beiderseitiges Leben gewirkt hatten, waren verschieden gewesen. Er hatte Lauterkeit und Ehre erschaut, sie die Welt und weltlichen Wandel. Daher kam es, daß für Karl Seymour der Glaube, daß er sich selbst getäuscht hätte, leichter war, als der Glaube, daß das Weib, das wahr zu sein schien, ihn täuschen könnte. Daß er bitter auf weltliches Leben zu sprechen war, habe ich bereits gesagt; aber das Andenken an eine stattliche, echt weibliche Mutter und an ein kleines Schwesterchen von treuem, wahrem Sinn und lauterem Herzen, die in seinem fernen Heim weilten, machten ihn für Dankbarkeit williger, als er es sonst gewesen sein würde. Käthe Davenant war heute vielleicht auch um einiges wahrer und aufrichtiger, als sie es im allgemeinen wohl war – denn es durchrieselten auch sie, während sie auf sein hübsches, ritterliches Gesicht blickte, alte Erinnerungen.

Sie zeigte ihm die Sammlung von Bildern, die sie gemalt und von denen Mrs. Montgomery gesprochen hatte. In ihrer naturgemäßen Freude über seine vertraute Kenntnis derselben und über sein Interesse an ihnen, vergaß sie der Circe, überließ sie sich der heiteren Regung, die sich in ihr Herz schlich, und stand neben ihm mit aufgeschlagenem Blick und sanfter Röte auf den Wangen, während er sich in schwärmerischer Begeisterung verlor über die Kunst, die er so innig liebte. Sie hatte die großen Meisterwerke gesehen, von denen er sprach, und kannte sie ebenso gut, wie er; aber es waren zarte, weiche Punkte in der ihnen eigenen Großartigkeit und Schönheit vorhanden, wovon sie wohl unklare, traumhafte Vorstellungen gehabt hatte, die aber zu großen, flammenden Wahrheiten wurden unter dem Feuer, mit welchem er von ihnen redete. Karl drehte sich einmal plötzlich nach ihr herum und bemerkte etwas von diesem Ernst in ihrem Gesicht. Vor Jahren hatte er den nämlichen verzückten Ausdruck bei ihr gesehen, und diese Wiederholung desselben im jetzigen Augenblicke hielt ihm den Atem an und machte sein Herz rascher schlagen.

Mrs. Montgomery war entzückt. Das war ein Löwe mit dem man großthun konnte! Und als er sich von den Damen verabschiedete, wiederholte sie ihre Einladungen mit größerer Herzlichkeit als zuvor.

»Käthe,« sagte sie, als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, »dieser Mann ist ein Genie. Wie schade doch, daß er so abscheulich arm ist! Mr. Coyne sagte mir, er besitzt absolut nichts, wovon er leben könnte, als seine Kunst. Wenn seine Lebensverhältnisse nicht dagegen sprächen, so möchte ich sagen, daß er der Mann gerade wäre, den Du heiraten müßtest.«

Miß Davenant spielte gerade mit einer roten Rose und zerpflückte sie langsam und mit Bedacht in Stücke, ehe sie ihre Antwort hieraus gab.

»Ich glaube nicht, daß dem so ist. Mr. Seymour ist ein aufrichtiger, ehrenhafter Mann, und ich bin kein aufrichtiges, ehrliches Weib. Außerdem sind, wie Du mit Recht andeutest, Intelligenz und Ehrenhaftigkeit keine Eigenschaften, die sich eines hohen Marktwertes erfreuen.«

Mit einer Gebärde, die eine leichte Ungeduld und Unlust an dem Gesprächsthema verriet, warf sie die Rose von sich, nahm ihre Bildermappe vom Tische und ließ Mrs. Montgomery mit ihren Betrachtungen allein.

Ihre Tante zuckte die Achseln.

Unten spielte sich ein anderer Vorgang ab. Als Seymour durch das Vorhaus schritt, fiel sein Blick auf eine blutrote Rose, die auf dem Boden lag. Sie war aus dem Strauße herausgefallen, den Käthe Davenant vorhin in das Zimmer hereingebracht hatte, und dieserhalb blieb er stehen und bückte sich, um sie aufzuheben. Er wußte damals kaum, weshalb er es that; aber lange Zeit darauf fiel es ihm ein, und es fiel ihm auch die schwache Wonne wieder ein, die ihn durchzuckt hatte, als der herrliche Duft aus ihrem Kelche zu ihm aufgestiegen war.


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