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Neuntes Kapitel

Reelle Dinge.

Vier Wochen waren nach diesem Tage verflossen, und der Herbst blich dem Winter entgegen. Es waren in Newport noch immer Badegäste anwesend, aber es war nicht mehr so lustig wie vordem. Zur Abhaltung von Picknicks war es zu kalt, und um mit Sicherheit Segelfahrten zu unternehmen, zu stürmisch. Die Gäste, die noch im Orte weilten, rüsteten sich deshalb zur Abreise nach New York oder Boston oder Philadelphia. Es waren manche Leute anwesend, die froh waren, daß der Sommer vorüber, und manche, die auf ihn zurückblickten als eine angenehme und liebe Erinnerung. »Der liebe Publikus« hatte aus der innerhalb von vier Monaten geschöpften Beobachtung ausgiebigen Unterhaltungsstoff hergeleitet. Es hatte Raum im Überfluß gegeben für jene kritische Weisheit, in welcher sich »der liebe Publikus« so gern gehen ließ. Es hatte keinen Mangel gehabt an »schneidigen« Herren und »schneidigen« jungen Damen, die der respektablen bildlichen Größe, die unter dem Namen »Publikum« begriffen wird, viel gerechte Entrüstung verursachten, und hoch über alle emporgeragt hatte – Miß Davenant.

»Die Art und Weise, wie sich diese junge Person aufführte,« moralisierte der »liebe Publikus«, »war nahezu schändlich. Die Art, wie sich die Männer für sie zu begeistern pflegten, und die alberne Dichterei und das Gefasel, das sie zu schreiben pflegten, grenzte an Blödsinn. Und dann, wissen Sie, die Art, wie sie mit dem jungen Künstler umgesprungen ist – na, über so etwas!«

Das waren die Reden, die »der liebe Publikus« führte, und thatsächlich kam in ihnen die wirkliche Meinung von vielen Leuten zum Ausdruck. Die Gesellschaft war immer bereit gewesen, Miß Davenant zu bekritteln, aber während der letzten acht Wochen ihres Aufenthalts in Newport war die Diskussion höchst rege gewesen. Nicht als ob es eine leichte Sache wäre, die junge Dame zu bekritteln: im Gegenteil: sie trug ihr schönes Gesicht und ihr an die Schönheit von Statuen erinnerndes Haupt mit stolzer Ruhe durch alle Ereignisse und Vorgänge. Aber noch immer waren der Dinge gar viel zu vermelden. John Crozier Esquire hatte nach Paris geschrieben, um einen Miniatur-Phaeton kommen zu lassen mit einem Paar crêmefarbiger Ponies, die kaum größer waren als Ratten, und sie, kraft seiner Position als »Verlobter« (so ging wenigstens die Rede) Miß Davenant zur Verfügung gestellt. So mythischen Ursprungs indes diese Darlegung auch sein mochte, soviel war gewiß, daß John Crozier Esquire aus New York eine mit purpurnem Samt (Purpur war die Leibfarbe der Circe) ausgeschlagene Equipage mit ein Paar feurigen, stolzen Rossen hatte kommen lassen und langsam die Avenue hinunter gefahren war, während Miß Davenants schönes patrizisches Gesicht sich wider die Kissen gelehnt hatte. –

Mrs. Montgomery sah mit beifälligem Interesse zu. Um ihre Lippen spielte wohl ein pfiffiges Lächeln; sie sprach aber kein Wort.

Als sie abends von der Diner-Gesellschaft bei Farnhams nach Haus zurückkehrte, hatte Käthe sich eine kurze Weile in dem Wohnzimmer ausgehalten und mit ihrer Tante sich über Mr. Crozier unterhalten.

»Du findest ihn also schließlich gar nicht so unausstehlich?« hatte ihre Tante andeutungsweise geäußert.

Käthe zuckte mit einem halb ärgerlichen, halb verächtlichen Lächeln die Achseln.

»Nicht so unausstehlich mit den Billionen, wissen Sie. Anderenfalls aber –« und ihre großen ruhigen Augen senkten sich gleichgültig zu Boden.

»Sei doch nicht so sarkastisch,« sagte ihre Tante. »Ein für allemal, Käthe: wenn er Dir seine Hand noch einmal antrüge, würdest Du sie annehmen oder nicht. Du bist nun beinahe zwanzig Jahre alt, und nach dem Alter von zwanzig Jahren sollte sich ein Mädchen mit dem Heiraten nicht mehr allzulange besinnen.«

Käthes Herz zuckte heftig. Zwanzig Jahre! Was hatte sie mit ihnen angefangen? Zwanzig der schönsten Perlen für immer von der Lebenskette geglitten, die Gott in ihre Hände gegeben hatte! Gerade in diesem Augenblicke schien es, als hätten die achtlos gesprochenen Worte einen flammenden Blitzstrahl über ihr Herz geworfen – im anderen Augenblick starb der Blitz dahin und ließ sie in teilnahmloser Kälte zurück.

»Ein für allemal,« sagte sie – »trägt mir Mr. Crozier noch einmal seine Hand an, so werde ich ihm zum Altäre folgen.«

In Karl Seymours Gemüt hatte nach und nach eine einzige Empfindung, die einer bitteren Verachtung, vorherrschend Platz gegriffen. Konnte es denn wirklich der Fall sein, daß er ein solches Weib, wie dieses, all diese Jahre hindurch geliebt hatte? Konnte eine solche Kindheit zu solcher Reife herauswachsen. Er war kaum imstande, es zu glauben. Er kämpfte wider die Wahrheit mit einem verbissenen, unverwüstlichen, energischen Vertrauen, das geradezu wunderbar war. Aber endlich kam die Zeit, da er über »Klein Käthchens« Bilder zu träumen aufhörte und sie vor seinen Augen unter Verschluß hielt.

Gerade am Ende dieses letzten Monats war ein finsterer, trauriger Nebeltag, an welchem ihm ein plötzlicher Einfall zur vollen Klarheit verhalf.

Er war den ganzen Morgen über allein in seinem Zimmer gewesen, beschäftigt mit den für seine Rückkehr nach New York notwendigen Vorbereitungen. Der gelbe Nebel draußen verdickte und verfinsterte sich gleich einem schweren, von irgendwelcher unsichtbaren Hand gezogenen Vorhang, während die Clytia-Büste mit dem sternäugigen Angesicht sich wie ein süßer Geist dahinsterbender, sommerlicher Träume aus ihren Lilienkelchen erhob.

Karl lenkte den Blick jetzt nicht häufig auf die Clytia, und wenn er es that, so gedachte er ihrer bloß als einer schönen, kalten, toten Fläche, aus welcher der alte Zauber von Wahrheit und Seele für immer geflohen war.

Ehe er an diesem Morgen seine Arbeit begonnen hatte, war er zu einem Entschlusse gekommen, und nun er fertig mit seiner Arbeit war, plante er die Ausführung dieses Entschlusses.

Das letzte Bild war beiseite geschafft, das letzte Buch verpackt worden, und es war nichts weiteres mehr zu verrichten.

Er sah sich in dem Zimmer um, mit einer seltsamen Unschlüssigkeit in seinem Blicke, der zuletzt an den toten Blumen haften blieb, die auf dem Tische standen, und an der von Lilien getragenen Clytia. Dann trat er aus dem Zimmer und schloß die Thür hinter sich ab. Er machte sich auf den Weg nach Bay View.

Ein Spaziergang gehörte jetzt nicht mehr zu den Annehmlichkeiten, denn der schläfrige Oktober-Nebel hing schwer und traurig vor ihm, so schwer beinahe, daß er ihn blendete. Acht Tage war es her, daß er Käthe nicht mehr gesehen: und als er sie nun sah, ritt sie an Mr. Croziers Seite, und der Ausdruck von unbestimmter Unruhe, der in ihren Augen bemerkbar war, der wurde zur Ursache für ihn, noch einmal, und zwar zum letztenmale, zu ihr hin zu gehen. Seit jenem Abend, da er sie John Croziers Blumen hatte tragen sehen, hatte sich der Bruch zwischen ihr und Karl zu einer Schlucht erweitert, die fast unüberschreitbar zu sein schien. Im Verlauf eines einzigen kurzen Monats hatte sich seine Liebe zu ihr in bitteren Unglauben, in tiefes Mißtrauen verwandelt. Manchmal war ihm der Gedanke gekommen, daß, und wenn auch endlich der goldene Apfel sein wäre, er sich auf seinen Lippen zu Asche wandeln würde. Es lag an diesem Morgen kaum in seiner Absicht, sie nach etwas zu fragen oder um etwas zu bitten; er hatte einzig und allein den Wunsch, ihr Lebewohl zu sagen. Noch immer aber barg sich unter all diesen Gedanken ein schwacher Hoffnungsschimmer – was er jedoch sich selbst nicht zugestehen mochte.

Als er in Bay View den Fuß in das Besuchszimmer setzte, traf er Mrs. Montgomery allein. Der Nebel hatte das Zimmer fast finster gemacht: aber das große, flammende Feuer gab einen warmen Lichtschein, der an sich schon einen Hauch freundlichen Trostes atmete.

Mrs. Montgomery legte ihre Handarbeit lächelnd beiseite und streckte ihm die Hand entgegen. Sie freute sich ja gar so sehr, ihn wieder einmal bei sich zu sehen! Wo hätte er sich denn bloß versteckt gehalten? Besucher wären zu solcher Zeit ja eine große Seltenheit.

»Ich habe zu arbeiten gehabt,« sagte Karl, während er Käthes italienischen Windhund über den glatten Kopf strich. »Wir ›arbeitenden Klassen‹ müssen, wie Sie ja wissen, die Arbeit vor das Vergnügen setzen.«

Mrs. Montgomery nahm ihre Arbeit wieder in die Hand, indem sie den letzten Teil des Satzes ignorierte.

»Wann kehren Sie nach New York zurück?« fragte sie.

»Morgen,« gab Karl zur Antwort, »der Zweck meines heutigen Besuches ist, mich von Ihnen zu verabschieden.«

»Ach!« erwiderte Mrs. Montgomery gelassen, während sie nähte. »Dann verlassen Sie also Newport noch früher als wir? Ich würde vor acht Tagen schon abgereist sein, aber eine Grille von Käthen hat mich noch hier festgehalten.«

»Wo ist Miß Davenant?«

»Sie amüsiert sich irgendwo draußen. Denken Sie: an einem Tage wie heute draußen! Mit Käthens Schrullen und Launen läßt sich nun einmal nicht rechnen. Sie sagte, sie wäre es müde, zu Hause zu bleiben, hat sich deshalb angezogen und ist ausgegangen.«

Karl schwieg. Es trat eine kurze Pause in der Unterhaltung ein. Die Nadel der Dame glitzerte, wie sie hin und her flog in dem Feuerschein wie der Speer einer Fee; aber das Gesicht der Dame war eine Art Buch mit sieben Siegeln: es ließ sich nicht das mindeste auf ihm lesen. Sie mochte diesen hübschen, jungen Künstler gern leiden: aber daß er sich zwischen ihre Pläne stellte, das gefiel ihr nicht an ihm. Wenn die Wahrheit gesagt werden soll, so hatte sie nicht von ihm die Meinung, daß er im gewissen Grade anmaßend oder vermessen sei. Er hatte sich freilich sein Ziel um einiges zu hoch gesteckt. Ob es sich nicht vielleicht empfehlen möchte, ihm beizeiten einen Wink zu geben? Sie hatte jetzt keine Furcht vor Käthes Entschließung mehr, aber sie war sich nicht ganz sicher, daß der Weg, wenn dieser stolze junge Mann Schwierigkeiten machte, so glatt und eben bleiben würde. Sie war eine Frau, welche die Dinge geschäftsmäßig anfaßte und betrieb, eine Frau kalten Herzens und Sinnes, und trat auch jetzt in kalter, geschäftsmäßiger Weise an ihre Aufgabe heran.

»Hat Herr Crozier schon bei Ihnen vorgesprochen?« fragte sie.

»Nein, bei mir nicht,« erwiderte Karl kühl.

»Er war recht begierig, das Bild zu sehen, das Sie ›Käthchen Mavourneen‹ getauft haben,« antwortete Mrs. Montgomery. »Die Leute, wissen Sie, sagen: es sähe Käthe ganz ähnlich, und ich glaube, er hat den Wunsch, es zu kaufen.«

Karls Stirn färbte sich mit tiefem Rot. Er konnte verstehen, was das bedeutete, und antwortete deshalb in ziemlich hochmütigem Tone, daß ihm das Bild nicht verkäuflich wäre, daß er es mit Miß Davenants freundlicher Erlaubnis zu seinem eigenen Vergnügen gemalt hätte.

Aber Mrs. Montgomery nahm die Auskunft mit sehr gütiger Miene entgegen.

»O! ich bitte recht sehr um Entschuldigung. Sie dürfen mir meine Rede nicht übelnehmen: das Interesse, das Mr. Crozier an dem Bilde hat, wissen Sie, ist begreiflicherweise sehr groß.«

Wäre Karl nicht so heftig erregt gewesen, so würde ihn die ganze Sache belustigt haben. Wie die Dinge im Augenblick lagen, so wehrte er der Neigung, die ihn überkam, eine grobe Antwort zu geben, und fuhr fort, Fidel zu streicheln, beschränkte sich auf ein kühles, gleichgültiges Kompliment und antwortete:

»Gewiß! freilich!«

Aber Mrs. Montgomery war nicht so leicht aus dem Felde zu schlagen. Der junge Mann, der einen Fehltritt begangen hatte, mußte ihrer Meinung nach auf die eine oder die andere Weise zurecht gewiesen werden; und wenn sie mit dem einen Plane kein Glück gehabt hatte, so war es ja nichts weniger als schwer, eine andere Operationsbasis zu suchen.

»Mr. Griffith hat vor ein paar Tagen Newport verlassen,« sagte sie – »ich sage das mit recht großer Freude.«

»Mit großer Freude?« wiederholte Karl. »Armer Tom!«

»Vielleicht sollte ich nicht so reden, aber er war gar so närrisch in betreff Käthens. Allerdings war er ja von gutem Hause und so weiter, aber er mußte sich dann doch besser Rat wissen. Die arme Käthe war fast ganz außer sich darüber. Er hat sie schier zu Tode gequält. Frauen, indessen, die so hübsch sind, wie sie es ist, haben in der Regel kleine Verdrießlichkeiten dieser Art.«

Alles Blut, das Seymours Gesicht rot gefärbt hatte, war aus demselben gewichen, und ein verächtlicher Blick zuckte in seinen Augen auf. Das war eine Art der Behandlung, die ihm neu war. Es war ihm von allen Seiten mit Achtung und Verehrung begegnet worden, und nun versuchte diese ruhige, nüchterne, geschäftsmäßige Weltdame ihm zu zeigen, daß sein Platz nicht hier wäre.

»Natürlich haben Sie doch alles schon früher als heute vernommen,« fuhr die Dame in gefälligem Tone fort. – »Sehen Sie, Mr. Crozier war mit Käthen schon halb und halb verlobt, ehe er vor zwei Jahren nach China zurückging, und nun ist sie älter –«

Vielleicht war es ein Glück für Mrs. Montgomerys gütige Stimmung und für Karls Gleichgewicht, daß der Satz abgebrochen wurde; denn abgebrochen wurde er, als jetzt die Thür aufging und Käthe in Pelz und Samt in das Zimmer trat.

Sie sah zuerst nicht sonderlich rotbackig aus, aber als sie Karls ansichtig wurde, da wich auch die Röte, die ihr Gesicht besessen, aus ihrem Gesicht und wich einer Leichenblässe. Sie taumelte thatsächlich und lehnte sich gegen den Tisch, als sie bis zu ihm hin gelangt war.

»Es ist mir doch zu kalt draußen gewesen,« erklärte sie in Antwort auf die verwunderte Frage, die in den Augen ihrer Tante zu lesen stand.

»Meinen Sie denn nicht, daß Sie einen Händedruck mit mir wechseln sollten, Herr Seymour?« fragte sie geradezu – »Sie thun ja ganz, wie ein Fremder!« Und nun streckte sie ihm mit mattem Lächeln die mit Handschuh bekleidete Hand entgegen.

Dann setzte sie sich auf die Chaiselongue neben dem Kamin und lehnte sich zurück. Karl fand Zeit zu bemerken, daß selbst die karmesinroten Kissen nicht Feuer genug besaßen, um ihre weißen Wangen zu färben.

Es schien, als wenn sie dem Triebe, dem Blick seiner Augen zu begegnen, zuerst Widerstand zu leisten versuchte: endlich aber blickte sie auf und zeigte sich bemüht, in ungezwungener Weise zu plaudern.

»Es ist schon alles nach New York gereist; nicht wahr?« fragte sie. »Nun! ewig währt der Sommer nun doch nicht. Mr. Seymour! ich möchte wissen, ob wir das Vergnügen haben werden, Sie in der Stadt zu sehen?«

»In welcher Stadt?« mischte ihre Tante sich in das Gespräch: »Du weißt doch, daß Mr. Crozier davon gesprochen hat, nach Paris zu segeln, Käthe!«

Käthe wurde blutrot – halb von Verlegenheit, halb vor Entrüstung.

»Ich meinte in New York,« sagte sie kalt und kurz, und als ihre Augen wieder Karls Augen trafen, da senkten sie sich nieder, bis die Wimpern die Wangen berührten.

Es war nicht die leichteste Sache auf Erden für die beiden Leute, zusammen eine lebhafte Unterhaltung zu führen, so lange Mrs. Montgomerys scharfe Augen auf ihnen ruhten; aber Käthe nahm sich energisch zusammen, und es gelang ihr, die Unterhaltung im rechten Fahrwasser zu leiten, so daß sie nicht Schiffbruch litt.

Karl konnte nicht ermangeln, die halb ungeduldige Verachtung wahrzunehmen, mit der sie die diplomatischen Schachzüge ihrer Tante, den Mr. Crozier gegen sie auszuspielen, verfolgte; denn jede Erwähnung dieses Namens vermehrte die Unruhe ihres Wesens. Er hatte sie nur kurze Zeit erst beobachtet, so wandelte sich seine Bitterkeit in Mitleid. Er liebte sie, und wenn er das süße Gesicht vor sich sah, dann ging er seiner Kraft und Energie verlustig.

Aber wie konnte er das Wort an sie richten! Mrs. Montgomery rührte sich nicht von ihrem Platze und schwatzte in einem fort. Sie entfaltete dabei einen sehr kecken Geist, der ihm zu jeder andern Zeit sehr viel Vergnügen gemacht haben würde, ihm jetzt aber fast unausstehlich zu sein bedünkte. Endlich gab Käthe ihre Bemühungen auf und blieb, das Gesicht mit der Hand beschattend, auf ihrem Stuhle sitzen. Sie zeigte ein müdes Aussehen und überließ ihrer die Unterhaltung liebenden Verwandten die Aufgabe, ihren Gast zu unterhalten.

Karl ergab sich apathisch in sein Schicksal. Er begnügte sich, von Zeit zu Zeit einen Blick auf das schöne, in gesenkter Haltung befindliche Haupt und auf die feine, zierliche Hand zu richten, und ging mit sich zu Rate, ob er sich von ihr verabschieden sollte, ohne ihr das, was er sich ihr beim Auseinandergehen zu sagen vorgenommen hatte, zu sagen.

Aber in dem Augenblick gerade, als die Tante mitten in dem beißendsten Sarkasmus schwelgte, kam ein Diener in das Zimmer herein und veranlaßte sie, ihm zu folgen. Ein Herr, wie er glaubte, ein Advokat, wünschte ein paar Worte mit ihr unter vier Augen zu sprechen.

Käthe verhielt sich, nachdem ihre Tante das Zimmer verlassen, ein paar Sekunden lang regungslos; sie blickte unverwandt auf den Pelz nieder, mit dem ihr Kleid verbrämt war, und drehte den Besatz nervös zwischen ihren Fingern.

»So ist denn unser Sommer vorüber, Käthchen,« sagte Karl in leisem Tone.

Der hübsche Name ging ihr zu Herzen, aber sie konnte bloß versuchen, für sich einen festeren Halt zu finden, und schlug die sanften Augen auf, in denen der Ausdruck süßer Klage zu lesen stand.

»Endlich,« sagte sie, »aber Sie wissen doch, es sind uns weitere Sommer noch vorbehalten.«

Er erhob sich aus dem Stuhle, auf dem er saß, und trat an ihre Seite. Dann beugte er sich über sie, um die ruhelosen Finger in Gewahrsam zu nehmen.

»Wissen Sie das bestimmt?« fragte er heiser. »Seit den letzten vier Wochen ist mir zuweilen der Gedanke in den Sinn gekommen, daß es für mich keinen weiteren Sommer mehr geben dürfte. Ich kam her, nur Ihnen Adieu zu sagen. Muß es ein Lebewohl sein für ewig? Ist es wahr, was diese Schwätzer mir sagen, daß mein unschuldiges, geliebtes Kind ein falsches, weltlich gesinntes Weib ist? Ist das wahr, Käthchen Mavourneen?«

Sie hatte mit ruhigem Lächeln anderen Männern, wenn sie sie ihrem Verderben zusandte, in die Augen geblickt, aber diesem Manne konnte sie nicht zulächeln. Ihr schönes Gesicht wurde blaß; ihre Hände entschlüpften den seinen, und nun stand sie vor ihm, auf thatsächlich erschreckende Weise bemüht, die Herrschaft über sich zu behalten.

»Ich verstehe Sie nicht,« stammelte sie. »Sie haben kein Recht, so mit mir zu sprechen. Ich bin – Sie müssen wissen, Mr. Seymour, daß ich mich verlobt habe – ich bin doch beinahe schon Gattin, und – und darf Sie nicht anhören, wenn Sie so zu mir sprechen!«

Aber sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, so legte sie, gegen den Kaminsims gestützt, ihr Gesicht auf die ineinandergefalteten Hände und ein leichtes Zittern durchflog ihren Körper.

Karl blickte sie einen Augenblick lang fassungslos an. Bis hierher hatte er niemals gewußt, wie weit sein Glauben an sie reichte, wie wenig er auf die Reden, die über ihr weltliches Treiben und ihren irdischen Sinn geführt wurden, gegeben hatte. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, um die Blendung, die sich über ihn gesenkt zu haben schien, hinweg zu wischen; und dann fand er seine Stimme wieder und sprach zu ihr:

»Beinahe schon Gattin!« wiederholte er. »Was für ein Recht steht mir zu, hierüber mit Ihnen zu sprechen? Was für ein Recht steht mir zu? Kein Recht vermutlich! Bloß das Recht eines sinnlosen Narren, der Sie geliebt und Ihnen vertraut hat, weil Sie einst ein unschuldiges Kind und die Lippen, die ich damals küßte, so rein waren. Sind sie jetzt rein, nachdem sie dieses Mannes Küsse berührten? Hätte ich Sie nicht so lange geliebt, dann könnte ich Ihnen vergeben! Hätte ich Sie nicht in jenen Tagen der Kindheit geliebt, dann könnte ich vergessen. Käthe!« und bei diesem Worte zog er sie dicht an sich heran und seine Stimme klang wie ein Befehl, »heben Sie Ihr süßes Antlitz auf zu mir und sagen Sie mir, daß dies eine Lüge ist!«

Männer, die ihn fischblütig genannt hatten, würden das nicht durchgelebt haben. Das Gehirn sauste ihm. Er vergaß alles bis auf seine herbe, bittere Leidenschaft.

»Käthe! heben Sie Ihr süßes Antlitz auf zu mir und sagen Sie mir, daß dies eine Lüge ist!« wiederholte er.

Sie blickte auf zu ihm, stolz, fast herausfordernd.

Sie hatte sich endlich selbst überwunden – und Käthe Davenant war es jetzt, deren Augen die seinen trafen; und ihre Stimme war so hell wie eine Glocke.

»Warum fragen Sie mich hiernach?« sagte sie. »Was wollen Sie mit dem Worte ›Lüge‹ sagen? Ich bin mit Mr. Crozier verlobt und werde seine Frau sein von heute ab in drei Monaten. Ich bedaure lebhaft, wenn Sie mißverstanden haben sollten, was ich –«

Aber die klägliche Lüge, die sie zu sagen im Begriff gewesen war, erstarb vor dem grimmigen Zorn des Mannes auf ihren Lippen.

»Halten Sie ein!« rief er. »Ich werde keine Fragen weiter stellen. Es verlangt mich nicht darnach, weiteres zu hören. Sie ›bedauern lebhaft, daß ich mißverstanden habe, was Sie mir gewesen‹. Da sei Gott mir gnädig! Es wäre mir lieber gewesen, ich wäre vor acht Wochen gestorben, als daß ich glauben zu lernen gewünscht hätte, daß meine Liebe in einem solchen Übermaß von Verachtung endigen könnte, wie ich es jetzt empfinde. Sie haben mir gezeigt, wessen ein Weib fähig sein kann; Sie haben mich gelehrt, ob es besser ist, dem Gesicht und der Stimme eines Engels zu vertrauen, oder den Lippen eines Teufels. Das Weib, das ich geliebt habe, ist tot, und bloß Sie – Sie sind geblieben. Ich kam, Ihnen Lebewohl zu sagen. Hören Sie mich's aussprechen: für immer! für immer! Und hören Sie es mich Ihnen sagen, daß ich Ihre Hand oder Ihre Lippen nicht berühren würde, wenn Sie mich auch darum anflehen sollten auf den Knieen. Der Sommer ist zu Ende! fürwahr zu Ende!«

Männer sind zu keiner Zeit dankbaren Herzens – aber dieser Mann war in diesem Augenblick, auf dem Höhepunkte seiner wilden Verzweiflung, schlimmer als grausam. Wenn er seine Hand aufgehoben und sie geschlagen hätte – in ihr stolzes, weißes Gesicht geschlagen hätte – dann wäre er milder, freundlicher zu ihr gewesen ...

Ihre großen Augen standen weit offen und purpurne Schatten sammelten sich um sie; ihre Lippen teilten sich; und als er zu Ende gesprochen, da schwankte sie ein wenig in der Richtung nach ihm hin. Aber mit einem Blick unaussprechlichen Hohnes wendete er sich und schritt aus dem Zimmer.

Dann, und keine Sekunde früher als nun, glitt sie, die Hände aufwärts schleudernd, wie ein Schwall Wasser hin auf die Dielen.


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