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Sechstes Kapitel
Am anderen Morgen brachte das Dienstmädchen Miß Davenant eine neue Art von Blumen-Angebinde. Es war ein leichtes, gebrechliches Körbchen, mit moosähnlichem Smaragd-Samt gefüttert und mit kalten, taufeucht blickenden Lilien mit großen goldenen Augen und wachsbleichen Blättern gefüllt, in deren Mitte eine blutrote Kamelie glühte. Käthe war gerade mit ihrer Toilette beschäftigt, als das Angebinde kam, und ohne irgend eine Bemerkung darüber zu äußern, hieß sie Lotte einfach es auf den Blumenständer stellen.
Als aber das Mädchen aus dem Zimmer gegangen war, da sahen die Wangen, die vorher kaum gerötet gewesen, aus wie die Blätter der Kamelie, und ein eigentümliches schmerzliches Feuer brannte in ihren Augen, während sie das künstlerisch angeordnete Körbchen in ihre Hand nahm.
»Ich möchte doch wissen, ob ich wirklich ein so schlimmes Frauenzimmer bin?« sagte sie. »Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre für ihn keine andere als bloß Miß Davenant geblieben. Hätte es niemals ein Käthchen Ogilvie gegeben, so dürfte mein Leben glatter verlaufen, oder doch wenigstens leichter zu tragen sein. Aber ich kann nicht hinter mich schauen, wenn ich mit zufriedenem Gemüt vor mich schauen will.«
Es würde mich interessieren, zu wissen, gütiger Leser und freundliche Leserin, ob Du im bisherigen Verlauf meiner Erzählung herausgefunden hast, daß es in Käthe Davenants Leben einen guten und einen bösen Engel gab und daß jetzt die Zeit gekommen war, wo sich's entscheiden mußte, welcher von beiden von neuem die Herrschaft erhielte. Man stelle sich ein Mädchen vor, ausgestattet mit aller Schönheit und mit allem, was am Weib bezaubern kann, in den Händen einer solchen Frau wie Mrs. Montgomery: einer Frau, die in der Welt und für die Welt gelebt hatte, seitdem sie der Kinderstube entwachsen war: die kaum je einen anderen Gedanken gekannt und genährt hatte, als wie sie den Luxus mehren und ihrem heiteren Lebenslaufe neue Genüsse verschaffen könnte, wozu ihr ihr vornehmer Stand und ihr Reichtum Gelegenheiten und Wege im Übermaße zeigten. Wäre es nicht um des patrizischen Davenant-Gesichtes willen gewesen, so würde Käthchen Ogilvie in aller Ruhe Käthchen Ogilvie geblieben sein; in dem Umstande aber, die Rolle der Ehrendame für ein Mädchen zu spielen, das die Fähigkeiten in sich trug, die vornehme Gesellschaft vor ihren Triumphwagen zu spannen, lag ein reizender Eklat. Über diesen Gesichtspunkt hinaus gingen ihre Gedanken nicht. Käthe mußte eine vornehme Erziehung erhalten, mußte in die Gesellschaft eingeführt werden, mußte dann heiraten – natürlich une bonne partie machen. Sonst war der selbstsüchtigen Tante kein einziges mal ein anderer Einfall gekommen. Käthe hatte ein Leben geführt, das sie für jedes andere Leben untauglich machen mußte. Käthe hatte gesehen, wie schöne Damen Liebeshändel getrieben hatten, und schließlich zu häuslicher Bedeutungslosigkeit herabgesunken waren, Strümpfe gestopft und Knöpfe angenäht und die Haushalts- und Wirtschaftsrechnungen aufsummiert hatten. »Hatte das von schönen Damen gesehen,« sagte ich. Ich hätte vielmehr sagen sollen: »Hatte das von schönen Damen gehört,« denn dergleichen Damen verschwanden im Nu aus Mrs. Montgomerys Zirkel und versanken in das Nichts. Käthe hatte mancherlei Gespräche und Reden über dergleichen gesellschaftliche Nullen vernommen, hatte mit angesehen, wie sie kurz abgefertigt wurden, und hatte das tolerante Achselzucken recht wohl bemerkt, womit die Gesellschaft ihren Gruß hinnahm, wenn sie in den Sehbereich der »respektablen Lorgnons« gelangten. »Respektabilität – die, sofern sie nicht Millionäre bedeutete, mit Billionären oder Trillionären rechnete – war für das Mädchen sehr schmerzlich; war ein recht großes Herzeleid. Aber was konnte sich anders erwarten lassen nach einer so unvernünftigen Heiratspartie wie dieser?« und dann zuckte »Respektabilität« neuerdings die Schultern und vergaß, daß sie den gefallenen Stern gekannt hatte! Käthe hatte unter Damen gelebt, deren Leben ein langer Kampf gewesen war, einander an Pracht und Großartigkeit zu übertreffen – unter Damen, die eine Schar von französischen Kindermädchen in einer wohlausgestatteten Kinderstube hielten, aber vergaßen, nach ihrem Baby zu fragen, und den Kindern zweimal in der Woche eine Visite abstatteten. Was meinen Sie, daß eine solche Kenntnis aus einem solchen Mädchen, wie meine Heldin ist, machen konnte? Sie machte aus ihr gerade so eine Frau, wie alle übrigen waren, gerade so ein kalt verfeinertes, berechnendes Wesen, bloß mit einer kleinen Menge Gehirns mehr und einem gelinden Stachel quälenden Sehnens nach etwas unerreichbar Besserem, das ihr Leben zuweilen beschwerlich und verbittert machte. Ihre Zukunft lag klar vor ihr: eine Zukunft, die sie zufolge der Erziehung, die ihr zu teil geworden, gezwungen war anzunehmen, und die eine Art von Spiel war, in welchem ihre weißen Finger die Figuren bewegten. Indessen wenn sie einen Millionär heiraten mußte, so war dies, urteilte sie, kein Grund, weshalb sie sich nicht mit Männern amüsieren sollte, die amüsant waren, wenn sie auch leere Taschen hatten. In dem Strudel, der sie zu einer Schönheit und fast zu einer Göttin machte, lag ein stark aufregendes Element. Ein nicht minder stark aufregendes Element, lag in den Bücklingen der crême de la crême vermögensloser Abenteurer. Wenn sie in ihrer Equipage durch menschenvolle Straßen kutschierte, drehten sich rauhe Arbeitsmänner ebenso, wie elegante Kavaliere um, um ihr nachzustarren und Bemerkungen über ihre fleckenlose Schönheit zu machen; und einmal, als sie in Paris einem Hofball beigewohnt hatte, da hatte der Kaiser allerhöchstselbst in schmeichelhaften Ausdrücken von ihr gesprochen. Seit ihrem sechzehnten Jahre war sie die »schöne Circe«, die »Sylphide«, die »süperbe Dame« gewesen: und jetzt, in ihrem neunzehnten Jahre, lachten sie über die Männer, die sich um ihretwillen in Aufregung setzten und Gedichte ihr zu Ehren abfaßten – lachte über sie und hielt sie doch in der Fläche ihrer zarten, teilnahmlosen Hand. Das war dann wieder bloß die » Marquise«, die » belle Marquise« – die in ihrem engelgleichen Angesicht allen Liebreiz aufwies, in deren Blut eine unsagbar edlere Hefe gärte, die mit Ninons Witz die Schönheit der Bouffler und die schmeichlerischen Augen der La Vallière vereinigte.
Und dieser Gedanke war es eben, welcher dem Mädchen die tiefere Röte in die Wangen jagte, als sie den Blick auf das Blumengebinde richtete. Sie konnte seine Bedeutung, seinen Sinn verstehen und wußte, worin es endigen würde. Und dann – und dann (eine Dame von Welt, wie sie war, zaudert ja leicht, als dieser Gedanke ihr kam) konnte dies Ende nicht ein Weh sein, das ihrem Herzen bereitet wurde? Es hatte vordem Augenblicke in ihrem Leben gegeben, wo ihr die Welt um einen Schatten dunkler erschienen war, nachdem sich hübsche Mannesgesichter von ihr abgewendet, die zwar die Blässe der Verzweiflung, aber auch einen gewissen Grad von Groll wider das gefallene Götzenbild gezeigt hatten. Karl Seymour indes war ein anderer Mann, als selbst die besten dieser Männer waren. Sein Gemüt war stark, und seine Kraft über Männer, Frauen und Kinder war die hauptsächlich charakteristische Eigenschaft an ihm. Sie hatte seine engeren Bekannten von ihm sprechen hören und war begierig, den vollen Wert des ihm eigenen Zaubers an sich selbst zu erproben.
»Er ist so kalt, so unnahbar, ein Mensch, der thatsächlich durch nichts zu erschüttern ist!« hatte Tom Griffith eines Tages gesagt. »Aber ein jeder, mit dem er spricht, achtet ihn und blickt zu ihm auf. Wahrlich! die Rosse sogar in den Ställen wiehern ihm entgegen und drehen ihre großen Samtaugen nach ihm, wenn er seine Hand auf ihren Rücken legt.«
War das nicht ein gefährliches Spiel?
Käthe lehnte ihr festes, weißes Kinn auf die Handfläche, und ihre schönen Augen weiteten und verdunkelten sich unter ihren langen Wimpern, als sie darüber nachdachte. Weshalb mußte diese Fessel gerade ihr Fatum sein? Weshalb lag die ganze Summe ihres Daseins gerade in diesem einen Fahrwasser?
»Wenn ich doch jetzt bloß Käthe Ogilvie wäre!« rief sie aus, beinahe unfreiwillig, während sich ihre scharlachroten Lippen teilten. »Hätte er mich doch als klein' Käthchen wiedergefunden, unschuldig und brav trotz allem! O, dann möchte ich – dann könnt' ich –«
Sie hielt inne, und die warme Röte glitt wieder über ihr Gesicht. Sie wandelte auf verbotener Flur! Sie stellte das Körbchen auf den Tisch und klingelte – klingelte nach Lotten.
»Du kannst mir jetzt das Haar machen, Lotte,« sagte sie, »und steck' mir die rote Kamelie mit einem weißen Korallenreif in dem mittleren Puff fest!«
Lotte löste schweigend das tiefbraune, glänzende Haar und kämmte es mit seinen schweren Flechten und weichen Wellen lang aus – dann fing sie an, schweigend wie zuvor, es zu frisieren ... und unter dem goldbestaubten Mantel senkte die Circe das Haupt und betrachtete die weißen Lilien mit den marmornen Kelchen und versuchte, sich in den Gedanken hinein zu leben, sie wäre wieder ein Mägdelein und Karl Seymour hätte das Recht, sie »Käthchen Mavourneen« zu nennen.
An diesem Abend kutschierte Mr. Colycinth in seiner Equipage allein über den Strand; denn als er in Bay View vorgesprochen hatte, da hatte er die Circe nicht »zu Hause« getroffen.
»Sie ist mit Mr. Seymour nach dem Spouting Horn hinübergegangen,« sagte ihre Tante mit einigem Verdruß, der in ihrem Wesen deutlich zum Ausdruck kam. »Käthe ist schier närrisch nach Naturschönheiten. Denken Sie sich doch: geht wohl ein vernünftiger Mensch eine Meile weit über den Sand, um eine schöne Aussicht auf Himmel und Wasser zu genießen!«
Für den »litterarischen Löwen« war das ein Vorfall, der alles andere eher als befriedigend war. Miß Davenant ging selten oder gar nicht mit ihren Verehrern spazieren. War das also nicht ein Ereignis, das auf weitere Dinge schließen ließ? Seltsam war es doch gewiß, daß sie eine Meile weit mit einem glücklichen Heroen zu Fuße wunderte!
Unterdessen vergaß die Circe, daß sie »die Circe« war, dieweil sie über den schimmernden Sand dahinschritt, vor sich die schimmernde See und über sich den schimmernden Himmel. Das purpurne Wasser schlug Kräuselwellen und lispelte leise; der milde Abendwind führte zarte Röte auf ihre Wangen, und ein sanftes Licht strahlte aus ihren Augen. Sie empfand wieder wie Käthe Ogilvie, und ein paarmal beschlich sie ein zartes, weibliches Weh, während sie empor in das ernste Antlitz ihres Gefährten schaute. Denn Karl Seymour vergaß, sich darauf zu besinnen, daß es eine weltkluge Dame war, an die er das Wort richtete, und kein unschuldiges, unerfahrenes Mädchen. Gelber Sand und Abendsonnenhimmel und an den Strand schlagende Wogen schienen so vertraute Dinge, daß er bloß der Jahre, die hinter ihm lagen, gedachte, und des Kindes, das damals gelebt hatte. Als sie endlich die Klippen erreichten, da gewahrten sie, daß sie die einzigen Besucher waren. Karl lehnte sich an ein vorspringendes Riff und sah hinunter in Miß Davenants schönes Angesicht.
»Warum sprachen Sie nicht vom Anfang an mit mir?« fragte er, in der Unterhaltung fortfahrend.
Käthe verfärbte sich ein wenig.
»Es war eine Regung, die mich trieb, überhaupt mit Ihnen zu sprechen,« sagte sie. »Eine Regung und die Thatsache, daß Sie mich beinahe ausfindig gemacht hatten.«
»Das ist aber doch keine Antwort auf meine Frage. Warum geschah das?«
Ein beinahe unwiderstehlicher Wunsch stieg in dem Gemüte des Mädchens auf – ein Wunsch, der die Folge der Wahrheit war, die in Wirklichkeit auf dem Grunde ihres Herzens ruhte. Wenn sie ihm bloß ihre Lage verständlich machen könnte, wie gänzlich unmöglich es für die Frau war, ihm das zu sein, was ihm das Kind gewesen war! Es war ein harter, böser Kampf, und dann machte sie einen tapfern Versuch – einen Versuch, der trotz allem eines Kampfes benötigte.
»Besinnen Sie sich, was ich Ihnen gestern Abend auf dem Balkone sagte, und was ich in dem Regisseurzimmer wiederholte? Vor neun Jahren war ich ein Kind, Mr. Seymour. Jetzt bin ich ein Weib, und weil ich den Wunsch hege, offener gegen Sie zu sein, als ich gegen andere bin, so will ich Ihnen noch einmal sagen, daß ich fürchte, daß Käthe dem Kinde sehr unähnlich ist, das Sie so herzlich liebten.«
Karl blickte nieder auf ihr jäh errötendes Gesicht. In seinen Augen dämmerte eine merkwürdige Helligkeit auf, aber er sprach kein Wort.
»Wissen Sie, was die Welt von mir spricht, Mr. Seymour?« fuhr sie fort. »Die Welt sagt, ich sei ein eitles, herzloses Weib, das für nichts Interesse habe, als für seine Triumphe. Vielleicht hat die Welt recht, wenn es auch ziemlich herb und derb sein dürfte. Dennoch wissen Sie, daß ein Mädchenleben wie das meinige nicht dazu angethan sein kann, einen Menschen weltlichem Sinne sonderlich fremd und in sich gekehrt zu machen.«
Sie hatte, als sie zu sprechen angefangen, ganz anders ausgesehen, als »die Circe« – aber sie sah ganz wunderbar anders aus, als wie sie selbst, als sie jetzt an das Ende des letzten Satzes gelangte und wieder von neuem zu sprechen anfing, während heiße Röte ihr in die Wangen schoß und ihre Augen sich mit unbestimmter Bitterkeit füllten.
»Ich sage Ihnen jetzt, was ich keinem Mann oder Weib zuvor gesagt habe. Ich sage es, weil Sie im selben Maße vielleicht, wie Sie Anteil nahmen an dem einsamen kleinen Käthchen, auch Interesse fühlen für diese andere Käthe, die jetzt einsamer ist, als sie es damals je war. Soll ich Ihnen sagen, weshalb mich meine Tante bei sich aufnahm? Deshalb, weil ich ein hübsches Gesicht hatte; deshalb, weil ich ein munteres, interessantes Kind war, und weil meine Schönheit darnach angethan war, eine blendende Erscheinung aus mir zu machen. Sie nahm mich deshalb zu sich, weil sie dachte, ich wäre eine gute Spekulation, ganz so, wie's ihre Löwen und Löwinnen sind, und hat aus mir gemacht, was Sie sehen: eine beautê, sagen die Leute zu uns, und eine elegante, weltkluge, schöne Dame, wie's in dem Rapport der Gesellschaft heißt – kurz: Käthe Davenant, und durchaus nicht die beste Frauensperson, die Sie kennen.«
Ich wiederhole die Unterhaltung, gütiger Leser und freundliche Leserin, um Dir den Beweis zu erbringen, daß dieses Mädchen nicht ganz und gar herzlos war; um Dir in ihrem Interesse zu zeigen, daß sie eine Anstrengung machte, wenn's eine solche war, diesen Mann zu retten, und daß es ihre Schuld kaum war, wenn diese Anstrengung scheiterte. Ich hege auch den Wunsch, daß sich mein Leser und meine Leserin, wenn sie die Geschichte vom Scheitern dieser Anstrengung lesen, dessen erinnern möchten, daß Karl Seymour sie seit zehn Jahren geliebt, indessen unbewußterweise geliebt hatte: daß sie den Platz in seinem Herzen inne behalten hatte, den ein Weib zuweilen im Herzen und Leben eines Mannes, wie er war, inne behalten wird – im Herzen eines Mannes, der schwer zu beherrschen ist, aber ganz und von Grund auf erobert wird, wenn ihm endlich eine herrschende Macht entgegentritt.
Er beugte sich über sie und ergriff ihre schlanken, mit Handschuhen bekleideten Hände mit einem Drucke, der fast schmerzlich war.
»Sie bitten mich, dessen eingedenk zu sein, was Sie mir gesagt haben,« sagte er mit glühenden Augen. »Besinnen Sie sich darauf, was ich Ihnen gesagt habe: ›Käthchen Mavourneen wird Käthchen Mavourneen sein und bleiben für immer!‹ So sind und bleiben denn auch Sie mir!«
Da sank ihr Entschluß. Sie hatte sich angestrengt, so weit sie es im stande war, und die Anstrengung war gescheitert. Vielleicht schlug, dieweil sie mit Lächeln zu Karl Seymours leidenschaftlich erglühendem Gesicht aufschaute, ihr guter Engel seine weißen Fittiche zusammen und weinte. Sie hatte nicht gelernt, stark in der Wahrheit zu sein, und gab sich nach diesem ersten Kampfe selber auf, wie sie sich vordem schon aufgegeben, um sich dem Strom zu überlassen, der sie fremdem Unglück entgegen trug ...
Als sie nach Bay View zurückkamen, fanden sie eine lustige Gesellschaft dort versammelt. Mrs. Montgomerys Augenbrauen wurden um einige Striche höher gezogen, als die beiden jungen Leute hereintraten, denn die Augen »der Circe« waren freundlich auf ihren Gefährten gerichtet.
Tom Griffith sah Brandon an und wurde von Schwindel befallen. Der Senator setzte eine ernste Amtsmiene auf, und ein paar von den schneidigsten Herren fingen an, Bemerkungen zu äußern.
»Wohl ein neuer Rekrut, wie? Seit wann denn ausgehoben? Sechs Wochen etwa alt! Armer Wicht!«
Karl blieb am Abend. Käthe plauderte und lachte mit jedermann. Karl aber verstand die Wahrheit nicht – nein! Daß die Lustigkeit und Sorglosigkeit einen Anstrich von Verzweiflung an sich trugen, diese Wahrheit zu erkennen, war für ihn ein Ding der Unmöglichkeit. Er ließ sich nicht träumen von dem unklaren, leidenschaftlichen Weh, das hinter der sprühenden Antwort und hinter dem hellen Lachen ruhte und hinter der merkwürdigen, fast unvernünftigen Emphase, die Käthe Davenant zu Scherz und Spaß drängte, während das Herz, das unter ihrer gestickten Bluse so ruhig zu schlagen schien, von wildem Schmerz zerrissen war. Einmal, als er in einer Art Selbstvergessenheit das Wort an sie richtete, da nannte er sie mit dem alten Namen: »Käthchen« – als das Wort aber den Weg über seine Lippen genommen, da that er sich Einhalt und lächelte über seine Achtlosigkeit.
»Verzeihen Sie mir,« sagte er. »Ich vergaß, daß neun Jahre hinter uns liegen. Ich bin wohl recht unartig?«
»Nein,« versetzte sie rasch. »Ich höre das gern. Mir wäre es recht, wenn Sie mich immer ›Käthchen‹ nennen wollten. Das wirkt auf mich wie Öl auf tosendes Wasser,« setzte sie hinzu, mit einem Lachen, das in seiner Sorglosigkeit fast herb und bitter war.
Bisher hatten sich Miß Davenants galante Beziehungen einer bestimmten Eigentümlichkeit erfreut: sie hatten sich verhältnismäßig nur wenig bemerkbar gemacht, und das eine ihrer »Opfer« schien sich kaum einer größeren Ehre zu erfreuen als das andere. Aber an diesem Abend wurde von der Regel abgewichen, und die Herrn Seymour eingeräumte Stellung rief Lust zu Bemerkungen wach. Die schönen Augen schienen sich nach ihm zu wenden, als könnten sie nicht anders; das süße Angesicht schien auf jedes seiner Worte Antwort zu geben. Alice Farnham hatte Tom Griffith ganz für sich allein, und Brandon mußte sich zu amüsieren suchen, so gut es ihm allein gelingen wollte, während der Senator, der arme Senator und der ganze übrige Anhang sich darauf beschränken mußten, mit einem Ausdruck von namenlosem Herzeleid und unsäglicher Verzweiflung sich abseits zu verhalten.
Als die Gesellschaft auseinanderging und Karl zum letztenmal den Namen »Käthchen« gesprochen hatte, vergönnte sich Miß Davenant nicht soviel Zeit, um die beredten Worte ihrer Tante über die gefahrvollen Neigungen, in denen sie sich gehen lasse, anzuhören, sondern begab sich nach ihrem Zimmer hinauf.
»Bitte, Tante, schicken Sie mir etwas starken Kaffee hinauf,« sagte sie, »ich habe Kopfweh.«
»Du wirst Dich mit starkem Kaffee noch ins Grab bringen, Käthe! Kaffee wirkt ja doch berauschend auf Dich, wie das reine Gift.«
Käthe zuckte ob solcher Rede gleichgültig die Achseln und lächelte.
Nachdem sie den starken Kaffee zu sich genommen, hatte sie verschiedene Billets zu lesen und zu beantworten. Sie widmete sich diesen Obliegenheiten mit einer Energie, die eines besseren würdig war, und als sie sich ihrer entledigt hatte, kleidete sie sich aus und versuchte zu schlafen. Aber der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Das Murmeln der fernen See drang klagend zu ihr herauf und raubte ihr die Ruhe. Ihre Gedanken hielten sie in fieberndem Wachsein. Zuletzt sprang sie auf, warf sich ein Tuch über die Schultern und trat ans Fenster, um hinaus in die stille Nacht zu sehen. Unter ihr lag die weite einsame Fläche, den Duft der entschlafenen Blumen enthauchend und leise im Nachtwinde flüsternd. Durch die finsteren Bäume drang ein wie Silber schimmerndes Mondlicht. Eine Weile lang betrachtete sie die stille Scenerie in träumerischem Schweigen, und dann wendete sie sich plötzlich ab, trat zu dem Toilettentisch, öffnete ein kleines Juwelenkästchen, nahm eine Kette von Seemuscheln und eine goldene Kette heraus und legte sie neben die rote Kamelie. Es war ein merkwürdiges Thun, dessen sie sich jetzt unterfing – ein Thun, das als wunderlich, als launisch gelten mochte; aber es hing sehr viel, sehr viel davon ab.
»Ich will's noch einmal probieren,« sprach sie bei sich selbst. »Noch einmal, und das soll das letzte Mal sein. Führt das Fatum meine Hand nach dem Golde – so sei es!«
Sie trat ein paar Schritte zurück, dann wendete sie sich um mit geschlossenen Augen und stand still. Sie lächelte schwach und vielleicht ein bißchen satirisch; aber ihr Herz schlug nichtsdestoweniger mit wildem, schmerzhaftem Feuer. Ging es ihr denn gar so sehr nahe? Ein kurzer Kampf mit sich selbst – dann ein Schritt vorwärts – dann schwebten ihre weißen Hände zitternd über den seltsamen Omen ihrer Zukunft und senkten sich – und – was berührten sie? Sie drehte ihr Antlitz wieder herum, erblassend und errötend zugleich. Der Blumen- und Muscheln-Geist schmolz dahin, und ein leichtes Beben überflog sie. Sie hatte das Gold gefaßt.
Ein kurzes, seltsames, ungeduldiges Lachen war es, das sie ausstieß, als sie Muscheln und Kette in den Kasten zurückschleuderte.
»Zwei Chancen standen gegen eine,« flüsterte sie herb. »Es ist mein Verhängnis, meine ich.«