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Siebentes Kapitel

Hangen und Bangen.

Was sind denn Ihre Gedanken hierüber?« fragte Brandon voller Zweifel.

Kapitän Loftus, der das Orakel dieses jungen Mannes war und Liebenswürdigkeit genug besaß, sich Geld von ihm zu leihen und seine Cigarren zu verrauchen, hielt ein Glas alten Madeira gegen das Licht und kritisierte seine Farbe mit Kennermiene.

»Wie alt sind Sie, mein Sohn?« fragte er.

Brandon sah ihn starr an.

»Zweiundzwanzig,« sagte er, und eine schwache Extraröte zeigte sich auf seinem ehrsamen, schönen Gesicht.

»Dachte mir's,« moralisierte der Kapitän. »Mit zweiundzwanzig Jahren war ich harm- und tadellos – 's ist eine lange Weile her allerdings – aber ich habe es im Verlauf der Zeit überwunden, wie Sie es auch überwinden werden. Na! ich verstehe mich auf Arithmetik und die Praxis lehrt mich, daß Seymours Talent und in weiter Ferne liegendes Glück, soweit einsichtiger Leute Augen reichen, keine Tauschobjekte sind, die wider die Circe Stich halten. Sie haben in Kunstsammlungen seltene Gemälde gesehen, die mit grünem Etikett versehen sind: nicht wahr? Ich bin im allgemeinen kein sonderlicher Freund von Parallelen, aber solche Gemälde habe ich nie sehen können, ohne daß mir unsere beautés in den Sinn kamen. Käthe Davenant war eine von ihnen, und ihre Eigentümerin (ich meine ihre Tante) hat sie mit einem höheren Preise angesetzt, als Seymour in den nächsten Jahren anzulegen imstande ist; und wenn der Jahre noch mehrere ins Land gehen, dann dürfte das Gold vom Rahmen verschwunden sein und das Bild nicht mehr preiswert gefunden werden. Comprenez-vous, mon enfant?«

Der Kapitän lachte.

»Ein sentiment wieder für zweimal zehn Tage etwa. Wäre Miß Davenant die empfängliche Miß Brown gewesen oder die bewunderungswürdige Miß Smith, so könnte die zärtliche Passion ein Faktor sein, mit dem sich rechnen ließe; aber Miß Davenant ist eine kluge Dame – eine Dame von unserer Welt, die bekanntlich nicht die Welt der Brown, Jones und Robinson ist. Malen Sie sich die Circe aus als eine Person, die sich Sorgen macht über das Steigen der Schöpsenfleischpreise und das Sinken der Rindfleischpreise mit Spannung verfolgt. Denken Sie sich die Dame, die in dem Rufe steht, daß Könige sie ›charmante‹ genannt haben, mit dem Jahrmarkt im Hintergrunde und hausbackenes Glück in der Blank Street als Zukunftsbild. Was für einen Purzelbaum würde das darstellen! O, mein jugendlicher Landsmann! Miß Davenant versteht sich auf dergleichen besser.«

»Nun, dann ist's aber,« rief Brandon aus, während er bis zu den Wurzeln seines blonden Haares errötete, – »ist's aber eine – Schande, daß sie ihn so an der Nase führt. Ich bin selber so einfältig und verliebt wie nur einer, aber ich bin kein so ernster, tiefsinniger Mensch wie Seymour, und ich weiß, mir ist dumm genug dabei zu Mute gewesen – was wird's aber ihm anthun? Es weiß ein jeder Mensch, daß er das tote Laub sogar liebt, auf dem ihr Fuß gewandelt ist. Er ist seitdem ein ganz anderer Mensch geworden. Ein jedes Bild, das er malt, hat irgend eine Farbe von ihr oder einen Ausdruck, der ihr entnommen ist. Man sagt allgemein: die Louise de la Ballière mit ihrem Gesichte sei ein Meisterstück: und ein anderes, daß er ›Käthchen Mavourneen‹ nennt, und das er jener Scene entlehnt hat, in der sie bei dem Liebhaber-Konzert auftrat, hat gar etwas an sich, daß ich mich fürchte, es anzusehen. Beim Zeus! auf mich macht das Bild einen Eindruck, daß ich am ganzen Leibe zittere. Meine ganze Seele ist darin bloßgelegt.«

Loftus lachte kurz und abgebrochen. Es war ein garstiges, unbekümmertes, gleichgültiges Lachen.

»Sie haben so etwas vordem noch nicht mit angesehen?« sagte er. »Ich aber ja! Frauen fragen heutzutage nicht nach gebrochenen Herzen. Ein Mädchen vom Schlage dieser Davenant hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Für vierzigtausend Pfund im Jahr ward sie losgeschlagen. Ich konnte mit solch einem Stück Geld nicht antreten. Hätt' ich's gekonnt, so hätt' ich jetzt ein höchst achtbarer paterfamilias sein können mit etwelchen hübschen kleinen Töchterlein, für die ich mich hätt' kümmern und die ich davor hätte hüten können, daß sie nicht etwa auch im Auktionswege an den Mann gebracht wurden. Na! na! Sechzig und zehn ist das Ende von dem allem – und wir leben geschwind in dieser Generation von heute. Aber es thut mir um Sie leid, mein Junge. Wie haben Sie's denn fertig gebracht, die Augen offen zu halten?«

»Für mich ist's auch kein Spaß gewesen, das kann ich Ihnen wohl sagen,« lautete die halb schafige Antwort, »ich wußte, daß ich gegen Seymour keine Chancen hatte, aber ich habe ihr eines Abends die Wahrheit gesagt, weil ich mir nicht helfen konnte. Ich glaube, ich habe ihr leid gethan. Sie sagte, daß es sie schmerze, und daß ich's vergessen und versuchen müßte, ein besseres Mädchen zu lieben.«

»Weichherziges Wesen!« höhnte Loftus. »Wie schrecklich muß sie doch gelitten haben! Ich möchte wohl wissen, wieviel andere Narren – verzeihen Sie mir! – eine ähnliche Tröstung bekommen haben!«

»Reden Sie nicht so!« polterte der arme Brandon heraus. »Ich weiß, daß ich ein Narr bin, aber ich habe es trotzdem noch nicht ganz überwunden und kann's nicht ertragen, sie höhnen zu hören. Meine Mama sagt« – (der gutmütige Junge war seiner Mama noch nicht einmal entwachsen) – »daß gute Mütter gute Töchter ziehen. Käthe Davenants Mutter starb, kaum daß Käthe geboren war.«

Loftus unterließ es diesmal, seine höhnische Bemerkung zu wiederholen. Ein Etwas in seinem Herzen, das zwanzig Jahre lang dort geschmerzt hatte, regte sich dort wieder, während er die Hand dem jungen Manne auf die Schulter legte.

»Sie sind ein gutherziger Kamerad,« sagte er, während ihm neuerdings eine Röte in das Gesicht trat. »Und Sie sollten gewiß einem besseren Mädchen als Käthe Davenant Ihre Liebe weihen. Versuchen Sie, es zu überwinden, und lassen Sie mich Ihnen eins sagen. Bemühen Sie sich, Ihr Herz frisch zu erhalten, und leben Sie nicht so, daß einmal eine Zeit kommen kann, wo Sie mit Schaudern zurückblicken müssen. Richten Sie den Blick vorwärts und nicht weiter, als wie sechs Fuß Erde reichen. Alles darüber ist gleich dem Nichts. Das sind die Lehren, die mir meine Jugend gegeben hat.«

Was Brandon gesagt hatte, beruhte auf Wahrheit. Karl Seymour liebte, weil er kein anderes Weib geliebt hatte, diese Käthe, wie sie kein anderer Mann zuvor geliebt hatte. Ein ruhiger, mit stolzem Geist ausgestatteter Mann vergißt sich selbst vollständig, wenn er sein Ziel sich gesteckt sieht. Käthe Davenant war Karl Seymours Ziel. Jedes Bild, an das er die Hand legte, trug irgend einen unbewußt hineingetragenen Reiz an sich, der ihr gehörte. Das eine ihr schweres, dunkelbraunes Haar mit seinem metallischen Schimmer und seinen sprühenden Gold-Reflexen; das andere ihre roten, roten Lippen: ein drittes die tiefe Liebesglut ihrer Augen und das herrliche, ergreifende Lächeln. Sie war ihm zur Inspiration geworden, und die Clytia auf dem Kaminsims war ihm ins innerste Herz hineingewachsen. Hier kniete sie in dem düsteren Karmeliterkloster als »La Vallière«: dort stand sie stolz aufgerichtet in ihrem Kriegswagen als großäugige Boadicea inmitten von Scharen zottiger, wildaussehender Icanier, die mit grimmigen, gierigen Augen nach ihr hinstarrten. Man erkannte die zu Arthurs Füßen knieende Guinevere, deren langes, dickes Haar in schweren Flechten über ihre ausgestreckten Arme auf die marmornen Fliesen niederflutete; und die »Hofdame«, die das Kreuz vor dem sterbenden Söldner hielt, warb dem Kreuze Hunderte, weil der Mann, der es kaufte, die Augen liebte, die daran lebten.

Mrs. Montgomery war mißvergnügt geworden, und Karl war das Verständnis dafür aufgegangen, daß ein gewisser Grad von Kälte, für die sich kein rechter Ausdruck finden ließ, zwischen ihm und seiner ehemaligen Bewunderin herrschte. Käthe ließ sich treiben, wohin der Strom sie trug. Sie war hart und fühllos gegen den Schmerz und das Glück geworden, die sich mit jedem Tage um sie her breiteten. Sie wußte, wo das alles enden mußte, und versuchte lediglich, den unvermeidlichen Ausgang hinaus zu schieben. Manchmal kämpfte ihre Bitterkeit jede andere Empfindung nieder und brach offen hervor: und manchmal war der köstliche Trank, den sie schlürfte, zum erstenmal in ihrem Leben schlürfte, so süß, so berückend süß, daß die Bitterkeit niedergekämpft wurde, und daß sie ihr Herz abschloß vor jeder Erinnerung an das Unrecht, dessen sie sich in unweiblichem Thun schuldig machte.

Eines Tages trat sie zu ihrer Tante ins Zimmer, mit einem Seegrasbüschel in der Hand, dessen Zweige seltsam ineinander verflochten waren. Ihre Augen senkten sich zu Boden und ihre Lippen verzogen sich in wunderlicher, träumerischer Verlorenheit zu sanften Bogenlinien. In der Bucht lag ein kleines Boot, das ihren Namen trug, und während der letzten verflossenen Stunde hatte sie das Steuer gehalten, während Karl Seymour gerudert hatte. In dem goldenen Nebel, der über den Wassern ruhte, waren sie umher getrieben, Meer und Himmel vor sich, die purpurnen Felsen und die Welt hinter sich. In den Pausen, die in ihr träumendes Sinnen getreten waren, hatte Käthe den Wunsch im Herzen gefühlt, sie möchten so dahintreiben auf ewig und untergehen in dem Purpur und Gold am jenseitigen Horizont.

Als sie den Fuß in das Zimmer setzte, da waren ihre Gedanken bei seinem Gesicht, wie es schweigend die ganze letzte Zeit über auf ihr geruht hatte. Genau das, was eines Mannes Angesicht einem Weibe zuweilen erzählt, hatte sein Gesicht ihr erzählt, und vielleicht – vielleicht hatte ihr Antlitz ihm teilweise Antwort gegeben. Sie liebte ihn. Sie hatten sich daraus kein Hehl gemacht vom ersten Augenblicke an, und ein paarmal war's ihr zuviel geworden zum Tragen und die ganze Wahrheit schimmerte hervor in der sanften Röte, die ihre Wangen färbte, und in dem Niederschlag der tief und dicht gesäumten weißen Lider. Er hatte nicht gesprochen, er hatte bloß auf seinen Rudern geruht und das Boot treiben lassen, dieweil er in ihr abgewendetes Gesicht geblickt hatte: und sie konnte des schwachen, leidenschaftlichen Bebens des Mundes, der für gewöhnlich so ruhig war, nicht vergessen, – ja, sie meinte, daß sie dieses Beben nie, nie im Leben würde vergessen können!« –

Mrs. Montgomery blickte auf, als Käthe in das Zimmer trat. Ein Ausdruck kalten Forschens lag in ihrem Wesen, in ihrer Weise.

»Wo bist Du gewesen?« fragte sie.

»Ich bin mit Mr. Seymour im Boote gefahren,« gab Käthe gleichgültig zur Antwort, während sie sich die Handschuhe auszog.

Ein paar Augenblicke lang herrschte Schweigen. Käthe legte das Seegras zu ihrer Pflanzensammlung. Als sie sich umdrehte, in der Absicht, aus dem Zimmer zu gehen, nahm ihre Tante wieder das Wort.

»Wenn Du Dich umgekleidet hast, möchte ich bitten, daß Du wieder herunterkommst. Ich habe mit Dir zu sprechen.«

Käthe drehte sich mit ruhigem Lächeln um.

»Ich kann ja gleich jetzt dableiben,« sagte sie. »Was wünschest Du mir denn zu sagen?«

Ihre Tante hielt die Augen eigensinnig auf ihre Stickerei geheftet. Nach einer Weile erst blickte sie auf.

»Käthe,« sagte sie, »ich möchte Dir sagen, was ich schon an die tausendmal zuvor gesagt habe. Du gehst zu weit.«

Käthes Augenbrauen rückten unwillkürlich um einige Linien höher, aber sie äußerte kein Wort.

»Im vorliegenden Falle,« sprach die Dame weiter, »gehst Du zu weit, viel zu weit, als die Rücksicht auf Deine eigene Ruhe gestatten will. Du bist ja keineswegs sentimental beanlagt; aber Du weißt so gut wie ich, daß dieser Mann Dir mehr ist, als irgend welcher andere. Ich wundere mich auch gar nicht darüber. Er ist ein Mann, der weit über seine Stellung hinausragt, und das ist natürlich sehr schade; trotz allem solltest Du aber klug genug sein, besseres zu thun, als Dir irgendwelche ernste Gedanken über ihn zu erlauben. Blumen und Gedichte und Bilder sind ja alles Dinge, die sehr nett und schön sind; aber ein Mann kann seine Augen und sein Hirn nicht brauchen, wie dieser Mann es thut, ohne einen gewissen Eindruck hervorzubringen. Gestern Abend küßte er Deine Hand. Ich sah ihn da gerade an. Und als ihr zusammen Walzer tanztet, da konnten Deine Augen ganz unmöglich noch eindringlicher zu ihm emporgerichtet sein, als in jenem Augenblicke. Du weißt, welcher Art Deine Stellung ist – und weißt – nun, weißt auch, daß so etwas sich für Dich nicht recht schicken mag.«

Es würde nicht leicht sein, die Beschreibung der verschiedenen Arten des Ausdrucks versuchen zu wollen, die über Käthe Davenants Gesicht glitten, während sie dieser Rede ihr Ohr lieh. Zuerst war es stolzer Trotz, dann bitterer Groll und zuletzt Kälte, unnahbare Kälte.

»Ja,« sagte sie, »ich weiß, daß sich so etwas für mich nicht schicken will. Ich kenne meine Stellung so gut, wie Sie sie kennen, und verstehe sie vollständig. Ich weiß, wozu mich meine Lebensführung geschickt gemacht hat, und weiß, daß ich mich für die vor mir liegende Zukunft bereiten muß. Wir haben, glaube ich, hierüber vordem gesprochen, und es hat immer zu dem nämlichen Ende geführt. Ich danke Ihnen, daß Sie mir die Gefahr, in der ich mich befinde, vor Augen rücken; aber wie Sie sagen, ich bin ganz und gar nicht sentimentaler Natur, und es sieht wohl kaum darnach aus, als wenn ich mich einer romantischen Schwäche schuldig machen würde. Nehmen Sie mir nicht übel, daß ich einigermaßen herb und bitter bin. Wahrscheinlich habe ich mich aber vergessen und gestattete mir einmal, Träumen nachzuhängen, wie sie nur bessere und reichere Damen zu hegen befugt sind.«

Ihre Tante zuckte resigniert die Achseln.

»Ich dachte doch nicht, daß die Sache so schlimm wäre, wie sie ist,« sagte sie satirisch, – »ich muß freilich sagen: Du bist wirklich ein bißchen herb und bitter. Freilich ist das keine Sache, die mich persönlich betrifft. Wer weiß, alles in allem genommen thätest Du vielleicht besser, Mr. Seymour zu heiraten, sobald Du Dich in Unterhaltungen finden kannst mit dem Fleischer und Dir vom Bäcker Antworten anhören magst. Im Verlaufe von zehn Jahren wird er, das darf man wohl annehmen, ein gefeierter Künstler sein und mittlerweile, weißt Du, kannst Du Dich aus der Gesellschaft zurückziehen, die Aufsicht über Deine beiden Dienstmädchen selbst führen und Deine Toiletten bei einer Modistin dritter Güte machen lassen. Du dürftest nach einiger Zeit Deine Bekanntschaften nicht vermissen, und einmal grob angelassen zu werden, ist am Ende auch so 'was Schreckliches nicht. Sodann, Du weißt ja doch: was wollen dergleichen bagatellmäßige Opfer gegenüber häuslicher Glückseligkeit bedeuten?«

»Ist das alles, was Sie zu sagen wünschten?« fragte Käthe nach dem kurzen Schweigen, das auf die Ansprache Ihrer Ladyschaft folgte. »Sofern dies der Fall ist, meine ich, kann ich wohl nun hinausgehen. Sie wissen ja, Tante, daß wir heute bei Farnhams zu Mittag speisen, und ich möchte mich gern, bevor ich mich ankleide, ein wenig ausruhen.«

»Nun, ganz fertig bin ich noch nicht,« lautete die Erwiderung. »Ich möchte Dir nämlich noch sagen, daß Mr. Crozier heute Morgen vorgesprochen und sich ganz besonders nach Dir erkundigt hat. Ich habe ihm gesagt, daß er uns heute Abend bei Farnhams treffen dürfte.«

Über Käthes Gesicht glitt eine jähe Blässe.

»Daß er nach Newport gekommen, war mir nicht bekannt,« sagte sie.

»Er ist gestern angekommen. Aber, Käthe! wie thöricht von Dir, diesen Mann von der Hand zu weisen! Er ist seine zwei Millionen wert.«

»War das thöricht von mir?« sprach Käthe. »Nun, wäre Mr. Crozier statt zwei, fünfzig Millionen wert gewesen, so würden Sie gesagt haben, ich wäre sehr klug. Vielleicht ist's ja aber damit noch nicht zu spät,« – und sie stieß ein kurzes, abgerissenes, rücksichtsloses Lachen aus, das sich recht unangenehm, fast schrecklich anhörte.

Ihre Tante sprach kein Wort mehr. Sie kannte ihre schöne Nichte gut genug, um zu wissen, daß in solcher Laune mit ihr nicht gut Kirschen essen war.

Käthe begab sich in merkwürdiger Gemütsstimmung nach ihrem Zimmer hinauf. Sie setzte sich dort nieder und sah den Dingen, wie sie sich nunmehr fügten, ins Auge. Daß sie Karl Seymour liebte, wußte sie: aber ihre Liebe war nicht gleich der seinigen: denn dieselbe war nicht imstande, sie um seinetwillen mit allem anderen sonst auszusöhnen. Damit, daß ihre Erfahrung ihr das Verständnis dafür eröffnete, daß die Zeit kommen würde, wo ein Opfer gleich nichts sein würde, damit war nicht gerechnet worden. Ein blinder Instinkt verlieh ihr die zarten, weiblichem Denken und Empfinden gemäßen Gedanken, die sie durchzuckten, aber die Beweggründe, die ihr Leben beherrscht und gelenkt hatten, hielten sie mit kalter Hand zurück. Sie war bitter und widerspenstig unter dem Joch, das auf ihr lastete, aber es abzuschütteln vermochte sie nicht. Sie hatte über Sentimentalität gelacht seit ihren ersten Mädchenjahren, und seit neun Jahren hatte sie an nichts anderes gedacht, als an das eine Ziel, an ihre Schönheit, zu welchem ihre weitblickenden Verwandten sie erzogen hatte. So klug aber Mrs. Montgomery war: das hatte sie nicht vorausgesehen. Sie hatte keine Gewissensbeängstigungen gefühlt, es hatte sich keine verbitternde Klage in ihrem Herzen gerührt, es war kein Kampf um die Herrschaft geführt worden zwischen Verstand und Herzen, so lange sie zu denken vermochte, und darum betrachtete sie Käthes Gelüste zu Auflehnung nur als Symptome von hysterischen Zufällen, ohne ihnen demzufolge irgendwelche ernstere Beachtung zu teil werden zu lassen.

Es kam ihr nicht in den Sinn, daß die zehn in harmloser Kindlichkeit verlebten Jahre wohl oder übel ihre Spuren hinterlassen mußten ... Und diese zehn Jahre waren spurlos thatsächlich nicht vergangen.


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