Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Die Uhrenwendels

Ach, lustigen Gesang und heiteres Hüpfen über Dielen und Stiegen hatte der Michelshof schon weiß wie lang nicht mehr erlebt. Von der jungen Bäuerin flutete Licht aus in alle Räume und alle Gesichter; auch die mürrischen der alten Magd und des grauen Knechtes wetterleuchteten. Das Lachen will geübt sein. Es kamen junge Gehilfen in den Hof, Mägde und Hirtenbuben, und kaum ein Tag verging, da nicht zwei, drei Geschwister der Sixta vom Wendelshof über den Berg herkamen, an der Fülle der Dinge, die nun der Schwester gehörten, sich zu freuen und auch schaffen zu helfen mit heiterer Lust. Sixta belohnte sie stets; denn sie halfen in der Zeit nicht den Eltern beim Verdienste, die Buben nicht beim Uhrenrädchenfeilen oder beim Kettenmachen, einer tüfteligen Arbeit, da Ringchen um Ringchen sauber ineinandergeheftet werden mußte. Die Mädchen flochten sonst Stroh, wovon die Mutter Hüte und Taschen nähte. Auch wenn die ganze Familie von der Hahnenkraht ab bis in die sinkende Nacht bei der Heimarbeit hockte, langte es nur für ein bescheidenes Auskommen. Indes rutschte der Mutter doch hie und da ein Batzen in den Sparstrumpf; denn sie trug die Waren zum Packer hinab, oft auch von Haus zu Haus, und bekam das Geld zuerst in die Finger, ehe es der Wendelin in seinen Raritätentrog verschloß, den niemand anzurühren wagte. Das war eine große, schön geschnitzte Truhe, 16 die man auf merkwürdige Weise schließen konnte. Nur der Vater kannte das Geheimnis.

Der Uhrenwendel, ein lustig aussehender Mann, bekam im Laufe der Zeit ein merkwürdiges Vertrauen zu Markus und dieser zu ihm. Markus brachte eines Abends seine Flinte zu ihm, um das Beschläg am Kolben, das sich durch den Gebrauch gelockert hatte, befestigen zu lassen. Da gerieten sie zum erstenmal tief ins Gespräch, und Wendel, den Markus stets für einen am Uhrmachersstuhl festgeleimten Menschen gehalten, sprang in der Stube herum wie ein Wiedehopf, dem er auch wegen seines widerspenstigen Haarzwirbels am Hinterkopf ähnlich sah. Auch die schmalrückige, dünngeflügelte Nase, die schnabelartig aus dem engstirnigen Gesicht heraussprang, trug zu dem Vergleich bei. Und nicht genug, stand auch der Kopf über dünnem, beweglichem Hals und wölbte sich hinten weit über den Nacken vor. Alles an dem Menschen war schmal, feingliedrig und in die Länge gezogen, so der Schädel, so die Hände und Füße. Wenn er nicht zu klein an Wuchs gewesen wäre, hätte man ihn für einen Schoß aus edelstem Blut halten können. Wendelin war für gewöhnlich nicht gesprächig, das heißt, er flüsterte fast immer mit sich selber. Gegen andere zeigte er ein freundliches, zuweilen schüchternes Wesen, das ihm einen Ausdruck von Vornehmheit gab, so, als wäre er im alten schimmelgrauen Bauernhaus durchaus nicht am rechten Platz und trüge eine Sehnsucht in seinen stillen Augen heimlich durch die Zeiten.

Eigentlich hätten die Uhrenwendels wohlständiger leben müssen, trotz der vielen Kinder. Es ging doch etwas ein, wenn alle schafften, aber da floß manches Geld einer brotlosen Leidenschaft zu, deren Opfer der Wendelin seit langem war. Man munkelte nur davon, der Wendelin treibe ein geheimes Geschäft, zu dem er oft in die Stadt müsse. Er trug stets Briefe fort und kam wieder mit Briefen und Büchern beladen heim, saß nächtelang allein in der Stube, den Tisch voll Drucksachen vor sich, und schrieb geheimnisvolle Dinge auf. Niemand im Hause durfte ihn stören, sonst wurde das zarte Männchen sackgrob. Am Tag waren alle geheimnisvollen Dinge verschwunden, in die große Geheimtruhe versenkt. Manchmal händelte die Frau mit dem Manne und nannte ihn weinend einen Narren, der auf gottlosem Weg wandle und Elend ins Haus bringe, ehe 17 man daran denke. Aber Wendel verschloß sein sonst so freundliches Herz und schlug die Stubentür zu, die sorgenvolle Frau ihrem Gram überlassend. Indes verging kaum eine Stunde, so lief Frau Amei wieder rüstig und heiter umher, rundlich und flink, und man konnte ihre tiefe Stimme lachen hören, als schlüge eine volle Glocke an in großer Ferne.

Markus fühlte sich wohl im Wendelhaus, so von Wärme und Güte umgeben wie nie im Leben. Er dachte oft vor sich hin: »Ein gutes Weib aus gutem Hause geehelicht ist mehr wert, als das Große Los gewinnen mit einer kuhreichen Bauerntochter.«

Wie im Uhrenwendelhaus pfiffen nun auch im Michelshof die goldengelben Kanarienvögel in grünbelaubten Fensterrahmen voll strotzender Blattpflanzen und reichblühender Büsche der Fleißigen Lies. Dem ernsten Markus blätterten die dunklen Schalen über der Seele ab, und Helle hob sein ganzes Wesen. Er bereute es, daß er keine Lieder konnte; den Wald hätte er damit durchschmettert. Mit der Zeit würde er sie ja lernen; denn es gab Sonntagabende im Uhrenwendelhaus, wo die ganze Familie mit heller Stimme sang, Vater, Mutter und Kinder, so jauchzend und natürlich und vielfältig, dennoch aber in geordnetem Chor, wie die Singvögel in Haus und Wald. Es gab sogar regelrechte Gesangproben, in denen der Wendel die Geige strich mit einer neuen Weise, nachdem er die andern im Sprechchor wie in der Schule den Wortlaut hatte hersagen lassen, bis alle sie auswendig konnten: Soldatenlieder, Liebeslieder, Choräle, Vaterlandslieder, wie es gerade kam. Sixta, welche eine hohe Lerchenstimme besaß, führte die Knaben an, deren Stimmen noch ungebrochen waren, die Mutter sang mit den andern eine Terz tiefer, und Wendelin begleitete das Ganze auf sehr eigenartige Weise, mit bald tiefer, baßartiger Untermalung wie das feierliche Raunen der Orgel, bald stieg er in zierlichen Trillern und Figuren über alle empor, weich und köstlich aufjubelnd wie Engelsmusik. Das war nicht alles, was an Merkwürdigkeiten im Wendelshofe sein Wesen trieb. Sooft Markus kam, erlebte er etwas Neues. Ein Zauber lag über allem, was drinnen dinglich und dinglos war. Selbst der Geruch des Hauses fiel einem auf, der von den vielen Kräutersäcken herkam, die im Hausgang an der Decke hingen. Arnika 18 und Pimpernell, Pfefferminz, Kamillen, Lavendel, Lindenblüten, Thymian und Goldrute, alle Kräuter und Blüten, die auf dem Schwarzwald wuchsen, würzten mit ihrem Duft das Haus bis unters Dach. An Sonntagen wurden sie gesammelt und getrocknet, wurde die Hausapotheke frisch versorgt und der übrige Vorrat auf dem Markt in Buchenbronn verkauft. Man konnte sich nicht denken, woher die wackere Frau Amei die Zeit stahl, für all die Dinge Sorge zu tragen. Sie strickte an dunklen Winter- und sommerlichen Regentagen auch die Strümpfe für ihre Familie und die einiger Großbauern, auch für den Pfarrer in Buchenbronn, und sie spann das Garn für die Aussteuer ihrer Mädchen, besorgte die Äcker, pflegte das Vieh, hegte den blumenreichen Garten: sie arbeitete, sang und betete. Markus sagte einmal zu der wusseligen Frau: »Mutter, wie Ihr gibt's keine Frau mehr auf dem Wald.«

»Behüt' mich Gott«, entgegnete sie lustig, »die Euere, Götz, ist besser.«

So war sie. In Verlegenheit brachte sie keiner, sie traf, wenn sie strafte, mit mildem Wort schlimmer als mit Schlägen, sie lobte leichter mit einem Lachen als mit langem Satz. Unter Fremden sprach sie fast nichts, sie lächelte leise und beobachtete still, eine mütterliche Würde und Güte ging von ihr aus, die sie jedem liebenswert machte und auf andere Menschen einen Zwang ausübte, sich zu beherrschen. Sie schien sich nie zu vergessen. Selbst wenn sie weinte über Wendels kostspielige Heimlichkeiten und ein paar anklagende Worte sagte, wurde sie nicht laut und wüst. Die einzige Leidenschaft, die ihr so tief im Blute steckte, daß sie an keiner Dreitaktmusik vorüberkam, war das Tanzen.

»Wenn sie gestorben ist, muß man ihr die Füße zusammenbinden«, sagte Wendel neckend, »denn das Buchenbronner Sterbeglöcklein schlägt einszweidrei, einszweidrei, und das könnt' ihr die ewige Ruhe rauben.« 19

 


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