Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Verschlossene Seelen

Eines Tages traf Hebenstreit mit Markus Götz zusammen. Die Tür wurde mitten im Nachmittag, als der Lehrer im »Adler« vesperte, heftig und laut nach Bauernart aufgestoßen, und in die stille, nur vom Mückensummen durchorgelte Wirtsstube trat der Michelshofer, setzte sich an das untere Ende des Tisches, an dem Albin saß, und grüßte diesen hart und knapp. Darauf trank er ein Glas Bier hastig aus und starrte in den abstehenden Schaum des zweiten. Die Adlerwirtin sprach ein paar verschlafene Worte mit ihm. Ihre Gespräche drehten sich am liebsten um das Wetter und um die Klatschereien, die über den Wald von Mund zu Mund liefen. Sie wärmte aber auch da meistens alte Suppen auf. Kochen, das muß gesagt sein, verstand sie ausgezeichnet, sie kochte aber in Wahrheit zu fein abgeschmeckt für die rauhen Wälderzungen; gewürdigt wurde diese Kunst nur von den oberen Zehntausend im Städtchen: von Notar, Apotheker, Arzt, Bürgermeister und Steuereinnehmer. Der Förster aß gern viel räßer, er schwang das Pfeffer- und Salzfaß grimmig über jede Speise, und der Pfarrer, ganz entgegen der üblichen Einschätzung der Eßkunst dieses Standes, war bloß Pflanzenkostler. Die guten Handwerksmeister brachten es zum Frühschoppen oder beim Vesper in den meisten Fällen nur zu einem saueren Leberle oder Nierle oder zu den von den Bauern mit Ekel abgelehnten »Kuttle«.

Daß die Wirtin sonst eine langweilige, zuweilen schwermütige Frau war, kümmerte niemand besonders, sie stellte nur Gutes den Gästen vor. So schlief auch die Unterhaltung mit dem Michelshofbauern stracks ein, die Wirtin verschwand leise schnaubend und stöhnend hinter der Schenke. Die Stube schien leer wie ein ausgeblasenes Ei, in dem gefangene Mücken schwirren. Der Lehrer aß längst nicht mehr, sondern saß vor seinem Glas und sandte vorsichtig Blicke zu Mariens Vater hinüber.

Zwei Bauern traten ein, deren Kuhgespanne draußen warteten. Sie gehörten ins Schiltebachtal. Auch sie saßen an den Tisch nach kurzem: »Isch's erlaubt?« neben den 125 Michelshofer. Der Franzbauer, ein ausgemergelter, ältlicher Mann, legte nach einem scharfen, schweifenden Blick über die anderen sein Spiel Karten mit kleinem Klapf in die Mitte des Tisches. Keiner fragte den andern, ob er Lust habe, es war selbstverständlich, daß der Michelshofer und der Lehrer mithielten. Zögernd, aber der Lehrer sah die zitternde Gier in den mageren, braunen Händen, langte Markus Götz nach den Karten, mischelte, ließ abheben und gab. Markus gewann. Er lachte nach jeder Runde kurz und hart auf. Der Lehrer verlor ständig. Da sagte Markus zu ihm mit blinzelndem Blick: »Glück in der Liebe.«

Dem Albin Hebenstreit stürmte helles Rot ins Gesicht, doch er faßte sich rasch: »Es ist nicht sicher!« gab er knapp zurück.

»Sell glaub ich«, sagte der Bauer und legte den Kopf leicht nach hinten mit geschlossenen Augen, aber schwirrenden Lidern, genau wie Marie es tat, so aufreizend hochmütig.

Hebenstreit gefiel dieser leidenschaftlich verschlossene Mann. Das war Stil, Kraft, Geheimnis trotz allem. Er schwärmte bei sich über den wilden, stolzen Kerl, er war auf der Suche nach solchen Menschen, die von Schicksäligkeit umwittert lebten und neben dem Alltag herschritten wie königliche Gefangene. In diesen Leuten steckte etwas, das auszuforschen die Quellen der Seele offenbaren mußte.

Sie spielten stundenlang. Es gab nicht die geringste Gelegenheit, mit dem Michelshofer auch nur ein Wort zu wechseln. Der gewann so hartnäckig, daß er blaß war, graublaß vor Erregung. Die beiden anderen Bauern hockten da wie zu altem Leder zusammengeschrumpelt und sogen an kalten Pfeifen. Ihre Augen funkelten wie die wilder Katzen, klein und bösartig. Ihre schmalen Nasen schnitten in die Luft wie Habichtsschnäbel. Keiner sprach mehr. Sie spielten, als triebe sie ein gut aufgezogenes Uhrwerk, Klapf auf Klapf, die Karten schwirrten scharf beim Geben, die Runde war mit böser Feindschaft geladen.

Albin Hebenstreit unterlag dem furchtbaren Zwang dieses »Perpetuum mobile«, er war nichts als der vierte Mann des Spieles, er dachte nicht einmal daran, aufzustehen und davonzugehen, obwohl er sonst kaum Karten in die Hand nahm. Markus Götz gewann in grausiger Sicherheit. Sie wurden jetzt 126 alle zittrig und tückisch, aber es nützte nichts, der Götz gewann. Die Adlerwirtin brachte ihnen lautlos Doppelschnäpse. Keiner trank. Die Karten wuchsen zäh an ihre Finger. Das Spiel wandelte sich auf einmal. Vorhin flogen die Karten hastig ab, jetzt gab es einen Kampf um ihre Hergabe. Jeder besann sich dumpf, triebmäßig voller Wehr gegen den Gewinner; aber Markus Götz gewann. Man wußte nicht, war es noch Mitternacht oder graute bald der Morgen. Die Wirtin kam nicht mehr ab und zu, das Licht in der Erdölhängelampe sank ab, das Öl versiegte, und der Wiechen stank. Die Spieler waren jetzt so weit, daß sie die Augen nur noch von ihren Karten zu Markus Götzens Gesicht hasten ließen. Dem hing die große Locke feucht in der Stirn zwischen den glosenden Augen. In seinen eingepreßten Mundwinkeln blinkte es naß, vor ihm lag ein Haufen Geld. Die Lampe erlosch, im Zylinder sang die abflauende Hitze. Die Bauern ließen endlich die Hände sinken, saßen eine Weile stumm und reglos. Vor den Fenstern wehte die Nacht auseinander. Sie erhoben sich fast gleichzeitig, ächzten und gossen den Schnaps hinab. Markus strich das Geld ein und verließ als erster die Stube. Albin taumelte übern Hof in das Nachbarhaus, das sein Schulhaus war. Die beiden Bauern rissen Wagen und Kühe aus dem Stall und holperten in die Ferne, an Markus vorüber. Es dachte keiner daran, ihn zum Mitfahren aufzufordern. Er ging im gewöhnlichen Schritt und war stumpf wie ein müdes Tier. Er fand heim und sah seiner Frau verwachtes und verweintes Gesicht. Er warf ihr das Geld auf den Tisch: »Für das Kalb«, sagte er heiser und ging in die Kammer, seine guten Kleider gegen die Arbeitskleider zu vertauschen.

In dieser Nacht hatte das Geschick des Markus Götz sich endgültig dem Niedergang zugewendet.

*

»Ich will deinen Vater vom Spiel abbringen«, sagte Albin wenige Abende später zu Marie. »Er spielt euch sonst zum Hof hinaus.«

Aber Marie gab zur Antwort: »Geht dich das was an? Mein Vater ist recht, und spielen tun alle.«

»So wie er keiner«, stritt Albin, »er behext die andern, er 127 verdirbt sie, indem er mit ihnen verdirbt. Jetzt verliert er stets, und wenn er dabei ist, gewinnt immer nur ein und derselbe, solange sie auch sitzen. Man glaubt an Teufelei oder an Falschspiel. Dein Vater ist in Gefahr und ihr mit.«

Marie wurde wohl blaß, jedoch warf sie den Kopf zurück, bewegte rasch die Augenlider und wiederholte: »Was geht das dich an, der Vater ist recht.«

Sie konnte nicht anders, als Albin quälen. Warum verließ er sie nicht? Oder sie ihn nicht? Was strebten sie immer zusammen, auch wenn keines vom andern wußte, daß es unterwegs sei auf der Hochstraße?

In Wirklichkeit schämte sich Marie über den Vater. Sie hielt ihm in Gedanken Strafreden und Predigten, schalt bei sich die Mutter läßlich, weil sie nie ein Wort des Vorwurfes zu dem Bauern sagte, sondern nur in trauriger Stille an ihm vorbeiging. Zu diesem ruhigen Gesicht der Mutter konnte der Vater nicht in Reue zurückkehren, es sah aus, als achte sie ihn nicht mehr, als sei sein Kommen und Gehen völlig gleichgültig. Sie rüstete der Magdalen ihren Brautstaat, sie und der Sebald wollten und mußten heiraten. Sixta hatte in rauher Stunde den alten Erlenmooser zur Vernunft gebracht, er gab jetzt die Heirat zu und zog ins Leibding. Man durfte mit der Hochzeit nicht mehr zu lange warten; denn Magdalenens Mieder wurde zu eng. Sebald hatte mit Markus Götz kurze Arbeit gehabt. Der Bauer hatte ihn nur scharf angesehen, stumm von Kopf zu Fuß, und gesagt: »Es ist recht.«

Am Abend dann hatte er sich Magdalena gegenüber seltsam benommen. Sie goß im Garten den jungen Salat. Da trat Markus nahe hinter sie und sagte mild wie noch nie: »Es soll an nichts fehlen bei deiner Hochzeit, Älteste.«

»Vater«, brachte Magdalen weinend vor Überraschung heraus und lehnte sich an ihn.

Jedoch er schob sie ab, nicht barsch, aber mit verlegenem Unwillen. »Mach keine Sachen«, murmelte er und blieb seit Wochen zum erstenmal abends daheim.

Magdalen berichtete dieses Erlebnis mit glühendem Gesicht der Mutter und Marie. Sixta schossen Tränen über den zitternden Mund, jedoch Marie sagte herb: »Den Vater, den kennt keiner.« 128

Am selben Abend mußte sie von Albin Hebenstreit hören: »Euer Vater geht an der Einsamkeit zugrunde, die in ihm steckt.«

»Wie, wir sind doch alle um ihn, wir sind beisammen, mehr als die auf anderen Höfen?« sagte Marie, doch wußte sie genau, wie recht Albin hatte.

Wenn man sich noch so Mühe gab, man konnte ihm nicht nahen. Albin hatte versucht, dem Bauern nahezukommen, doch der verschloß sich. Die Leute erzählten ihm vom Fluch, der auf dem Götzengeschlecht laste. Er lachte sie aus, das gäbe es ja gar nicht, doch fror es ihn am Herzen. Mit Marie kam er auch nicht vorwärts. Sie war heiß im Blut, so heiß, daß es sich wie Kälte anfühlte. Und wenn er sie küßte, verlor sie sich in seinen Armen. Aber er konnte nicht mehr von ihr lassen. Äußerlich zeigte er sich von Mal zu Mal besonnener und weniger flammend; das hielt zwar schwer, doch erreichte er, daß sie ihm vertraute und geschmeidiger wurde in den Gesprächen, ihm nicht mehr so oft widersprach; sie lernte lauschen.

Es blieb natürlich nicht aus, daß die beiden gesehen wurden und man sich über die Höfe weg erzählte, des Michelshofers Zweite streiche mit dem Hungerleider herum. Damals wurde kaum anders gesprochen von den Lehrern und auch von den Pfarrern auf dem Wald. Die Leute meinten das nicht bös, es klang eher mitleidig und verwundert, daß sich ein Mann mit solchen brotlosen Künsten abgab. Nirgends wurden auch so widerwillig die Kinder in die Schule geschickt als auf den großen Höfen, obschon der Unterricht durch Gesetz auf das Mindestmaß beschränkt blieb in den sogenannten Hirtenschulen und ein Teil der Kinder morgens, der andere mittags lernen mußte, damit immer jemand übrigblieb, das Vieh zu hüten.

In den Hirtenschulen geht es zu wie in einem Taubenschlag. Wenn das Vieh ausgeführt wird um Pfingsten herum, streichen mit kleiner Habseligkeit, frisch gesträhltem Haar und schäbigem Sonntagsanzug die Hüterbuben ins Sommergebiet. Sie kommen aus Tirol, wenn sie nicht armen Häuslern im Tal oder sonstwo in der Gemarkung gehören. Am dritten Tag schon sehen sie ungewaschen und igelköpfig aus, gehen barfuß und haben fast nichts auf dem Leibe. Es sind drollige Burschen, meist durch alle Wässerlein gewaschen, lernen mit Mühe Lesen 129 und Schreiben, leichter schon das Singen. Entweder gibt das Sonderlinge oder Strolche, wenn sie älter sind. Geweckte Kerlchen kommen meistens nicht vorwärts, weil sie zu müde sind, wenn sie nach schwerer Stallarbeit vom Morgengrauen an um sieben Uhr in die Schulbank sinken und stets am Einschlafen verhindert werden müssen. Die meisten besitzen auch nicht einmal ein eigenes Bett, schlafen beim Knecht, nicht selten sogar im Heu. Sie sehen fast immer ein wenig blaurot verfroren aus; denn in der Frühe und abends, wenn sie einfahren, ist es kalt auf der Weide. Der Sommer bleibt nicht lange mit seinen heißen Tagen und lauen Nächten. Man kann nicht sagen, der Bauer behandle die Buben schlecht. Er gibt sich mit seinen eigenen auch nicht viel mehr Mühe. Es waren ganz wenig Kinder so gut gehalten wie die des Michelshofes, über denen Sixtas straffes Regiment waltete, auch was die Reinlichkeit und Kleidung anbetraf. Sie litt auch beim Gesinde keine Schlamperei. Und eben weil man wußte, wie eitel die Michelshoferin auf gutes Aussehen und reine Sitte der Kinder hielt, verstand man nicht, warum sie es duldete, daß Marie sich an den Hebenstreit vergab, der ja trotz seiner Armut niemals ein Bauernmädchen heiraten würde. Es sah nicht gut aus, wenn die Frau Lehrer im Städtchen Buchenbronn breit in der Tracht daherkam, um bei Festen womöglich neben Frau Notar oder Frau Ratschreiber, die in schwarzer Seide knisterten, zu sitzen. Das hätte sich nicht geschickt. Und dem Aussehen nach war Albin Hebenstreit doch ein feiner Mann, gescheit und tüchtig, er wäre bei Bürgerstöchtern wohl nicht übel aufgenommen worden, wenn er geworben hätte. Er aber beachtete keine und lief des Abends aus dem Ort gegen das Schiltebachtal hin. Und die Michelshofer Marie schritt Sonntags in die Kirche, aufrecht und die Füße zierlich setzend, stolz wie ein Pfau. Ach Gott, der Geldsack ging doch in viele Teile später, und wer weiß, ob nicht der Markus Götz an seinen letzten Heller kommen könnte durch das ungattige Spielen mit Karten und Würfeln.

Die Wendelsgroßmutter, alt und däppelig allmählich, sprach zu Sixta über Mariens Freundschaft mit Hebenstreit. Doch Sixta wehrte ab. Das solle ihre Sorge ganz allein sein. Marie tue gern das Gegenteil von dem, was man von ihr verlange, drum dürfe man nicht so mir nichts, dir nichts ihr Gelauf 130 verdonnern. Im übrigen sei nicht gut leben mit dem Mädchen, dahinter würde Hebenstreit schnell kommen und dann abhängen.

»Ja, aber Marie ist sauber, schön, muß man sagen«, warnte Mutter Wendel, es schossen ihr, seit sie alt war, leicht Tränen in die Augen; ihre Enkelkinder liebte sie abgöttisch, sie ertrug es kaum, daß Sixta die Tochter, wie sie glaubte, ungewarnt in ihr Unglück rennen ließ.

Sixtas ältester Bruder saß dabei, bastelte an einem Uhrwerk herum und sagte: »Eher soll Sixta auf Markus achten, der so wild spielt, daß die Landjäger ihm aufpassen. Die Marie ist gescheit und sicher, sie folgt euch nicht, nur sich. Ich habe sie neulich mit ihrem Hebenstreit beim größten Krach erwischt. Aber der Marks wird ein Lumpores, wenn meine Schwester nicht mit ihm redet, Magdalen erzählt so schon, daß es kein Wort mehr zwischen euch gibt. Man soll nichts unversucht lassen in Güte und Liebe.«

»O du eindürmliger Stündler«, sagte Sixta nur und ging von dannen. Sie ertrug es nicht, daß irgend jemand die traurigen und gefährlichen Dinge, die im Michelshof heimlich lauerten, berührte. Sie tat so, als ahne sie nichts, und stand doch in ratlosem Trotz gerade vor dem Wesen ihres Mannes.

Er schaffte sein Sach, ging nur noch selten auf die Jagd, freilich dann ohne Heimkehr für zwei, drei Tage, so daß man bebte vor Angst, er habe Schaden gelitten. Er ging in die Kirche, auf die Märkte, war der gewissenhafteste Bauer ringsum. Doch redete er mit niemand mehr, als er mußte. Mit Sixta kaum, mit den Kindern gar nicht. Sie hätte sich daran gewöhnen müssen, trotzdem das Wort an ihn zu richten, ihm zu erzählen, aber sie brachte es nicht fertig. Seit Lips ihr die Augen geöffnet, fiel es ihr schwer, dem Bauern warm zu begegnen. Wenn sie ihn nur an einem Zipfelchen sah, wurde ihre Zunge hart wie Stahl. Nie schaute der Mann sie fragend an, nie lachte er ihr zu. Sie war doch nicht schuld an Andresens Tod?

Vielleicht, wenn der Schneider Albiez noch lebte, hätte er Markus wieder zurechtgebracht wie damals nach dem Krieg. Doch seit einem Jahr lag der schon auf dem Kirchhof neben 131 dem Wendelin, der auch rasch weggestorben war und nun doch sein Truhengeheimnis mit ins Grab genommen hatte. Verbittert gab sich Wendelin dem Tode hin, nach dem er mondelang halbirr gerufen. Und der stille, älteste Sohn Adam führte die Uhrenmacherei weiter, auf eine altmodische, längst überholte Art; denn in Furtwangen und Triberg schafften sie in großen Fabriken an Maschinen. Hurtig und genau ging das vor sich; am Samstagabend wurde klingender Lohn heimgetragen, sicheres Geld, womit man rechnen konnte.

*

Eine neue Zeit kam auf den Wald. Das Strohflechten lohnte sich kaum mehr. Die Glashütten wurden verlassen. Die Kleinbauern schickten ihre Kinder in die Fabriken, jedes trug blankes Geld heim, glatt verdient. Die Webstühle waren zwecklos geworden, seit es Fabrikwebereien gab, das Spinnrad stumm; denn die Spinnereien schafften rascher und feiner. Die Mädchen, die dorthin zum Verdienen gingen, wurden blaß und schmächtig, aber das paßte ganz gut zu ihren städtischen Kleidern, gegen die sie die schwerfällige Tracht vertauschten. Sonntags sah man jetzt in der Buchenbronner Kirche immer mehr Hüte, jedes fünfzehnjährige Gecksle glaubte etwas Besseres und Feineres zu bedeuten, wenn ihm ein Strohhut mit rosarotem oder himmelblauem Band überm eitlen Köpfchen schwebte. Und man hörte sie hin und wieder das sonderbare Wort Mode aussprechen, das für sie einen Zauber zu verbergen schien. Sie spitzten die des Schriftdeutschen ungewohnten Lippen und zierten sich, ihr Alemannisch ursprünglich zu sprechen, und sagten bei jedem neuen Flänken, den sie an sich hängten: »Sä, das ist jetzt Modi.«

In den Großbauernhöfen dachte indes noch kaum eine Frau oder ein Mädchen daran, die Tracht abzulegen, sie hielten zäh daran fest, ihre Würde wäre von ihnen abgefallen mit dem schönen, alten Zeug, das die Großmütter schon getragen. Sie sahen alle noch aus wie auf den Bildern der Kirners und Mosers, der Ganthers und Reichs, jener Schwarzwälder Maler, und die Bildnisse der Alten hätten gut für die der Enkelinnen gelten können.

Sixta und Magdalen hatten die ganze Aussteuer aus 132 selbstgesponnenem Tuch in eine Truhe gesammelt, gewebt wurde es Stück für Stück auf dem Webstuhl des Weberjobbi, der mit seiner ganzen Familie in einem kleinen Seitentälchen des Schiltebachtales hauste und Tag wie Nacht das Schiffchen in Bewegung hielt. Seine Frau, die halbblinde Aurelia, gehörte früher nach Neukirch zu den Musselinstickerinnen. Auch diese Heimarbeit feierte einst große Blüte im schwärzesten Schwarzwald. Kluge Unternehmer aus der benachbarten Schweiz, aus St. Gallen und auch aus Appenzell, nützten die Fingergeschicklichkeit der Wälderinnen tüchtig aus. Nur die Leidenschaftlichkeit, mit der die Schwarzwälder an jede tüftelige Arbeit herangingen, konnte erklären, daß bei mangelhaftem Licht in düstern Kammern oft diese Stickereien von großer Schönheit und Zartheit waren. Besessen hockten die Mädchen über ihrer Arbeit. Aufs Feld wollte keine mehr, die das Sticken angefangen; denn die Hände durften nicht rauh werden. Die Schwindsucht hielt Einkehr in gesunden Familien und auch eine gewisse Lockerung der Sitten. Diese Mädchen wollten natürlich auch von dem zarten Stoff ein gesticktes Hemd tragen, Blusen und Schürzen. Sie »verbändelten« ihr im Grunde sauer verdientes Geld. Von der Putzsucht bis zum Leichtsinn ist nur ein Schritt. Das Amt mußte gegen leichtes Stickerinnenvolk einschreiten und sogar Kleidervorschriften geben. Und auch dem Vorschußunwesen steuern, nahmen doch die Mädchen Geld im voraus an für noch nicht beendete Arbeiten, verbrauchten es und gerieten in Schulden. Es gab für die betroffenen Gemeinden manchmal haarsträubende Zustände. Die Musselinstickerei auf dem Schwarzwald schlief schließlich ein. Die Männer waren auch dagegen; denn sie hatten es satt, allein auf den Äckern herumzuschürken und weißhändige, zimperliche Weiber daheim sitzen zu haben. Eine dieser Stickerinnen war noch das alte Weberweib, das gern von den Herrlichkeiten ihrer Zeit erzählte, so, als hätten dort die Mädchen als Prinzessinnen gelebt, mit Polstern unter den Füßen und Kissen im Rücken.

»Ja, Pfeifendeckel«, konnte der Jobbi ihr den lustigen Wasserfall der Erzählung grob absperren: »Drum sind deine Bein dürr wie Bohnenstecken und dein Rücken krumm, daß dir die Nase am Boden anstoßt, wenn du laufst, und das Geld hat dir den Rocksack abgerissen vor lauter Schwere, als 133 du geheiratet hast, so daß der Schlenz ganz übel zu der gestickten Blümleinsbluse gepaßt hat.«

Man muß wissen, die Aurelia hatte zu denen gehört, die gern das Geld verbändelten, um an der Kirchweih schön angezogen zu sein, und die den Burschen ein Geschenk nicht vorenthielt, beispielsweise eine neue Pfeife, silberne Westenknöpfe, gestickte Hosenträger, schwere Nickeluhrketten und manchen Schoppen. An der Aurelia mußte der Jobbi um eines Kindes willen hängenbleiben. Er war ein ehrlicher Kerl und ein frommer Mensch, dem die Versuchung genaht in Gestalt der damals so hübschen, lustigen und freigebigen Aurelia Löffler, und der ihr erlegen ist, um mit dem Mut eines festen Kerls darnach sein Schicksal zu empfangen. Er trug das bekannte Kreuz auf dem Rücken, von dem auf den köstlichen, mit Bleischrauben verschlossenen Schnapsfläschchen aus der Glashütte in Äule zu lesen ist, von gemalten gelben und roten Rosen anmutig kindlich umrankt:

»Das Kreuz, es wär' mir nicht zu schwer,
wenn nur das böse Weib nicht wär'.«

Aus der Lustgret war schnell eine Schlampgret und eine keifende Trotzgret geworden, für die der fleißige Weber oft genug dem Wort der Bibel handgreiflichen Sinn geben mußte: »Wen der Herr liebhat, den züchtigt er.«

Sie konnte tagelang nach solcher Selbsthilfe des wackeren Mannes die beste Frau sein, willig und still, und das Schiffchen sprang noch einmal so gut durch den Zettel, daß es ein Stück gab. Sie mußten beide alt werden und als gutes Ehepaar gelten, das drei Söhne aufzog, Prachtkerle, Soldaten, Weber. Freilich zwei gingen in die Fabrik. Die Stube war beängstigend eng geworden für die Riesen.

Jobbis Arbeit ging auch nicht aus, als viele Bäuerinnen ihren Hanf und Flachs in die Fabrik gaben, um sich die Leinwandstücke weben zu lassen, immer noch kamen genug, die ihm und dem Alten treu blieben. Es gab manche darunter, die gegen die Fabrik mißtrauisch waren, weil sie glaubten, man tausche ihr selbstgepflegtes Gewächs gegen minderen Faden um, drum behielten sie es lieber unter den Augen.

Jobbi wob Sixtas schöngesponnene Ware besonders tadellos; 134 denn er trug eine ganz heimliche, keusche Liebe zu der schönen Bäuerin im Herzen. »Sie ist bloß etwas für den Feiertag«, sagte Jobbi halb schmerzlich, halb schelmisch in sich hinein, wenn er sich einer Sünde zieh und sich vorhielt, wie verheiratet er sei, nicht eben schön, aber brav. Er sah ja auch nach der Kirche, daß mancher große Bauer, ob jung oder alt, verstohlene, wohlgefällige Blicke auf die Michelshoferin warf, die gar nicht alterte und von einer stillen Freundlichkeit war, wenn sie einer grüßte. Und Saprament, dachte Jobbi oft, solche Töchter zu besitzen, solche stolzen Weiber wie die Magdalen und die Marie! Und die andern zwei, die hinterher kamen, zierlich wie junge Weiden! Der Markus Götz schien mit Blindheit geschlagen, verzog den Mund nie zu einer Freundlichkeit, tat kalt und als wäre er ein unglücklicher Mensch. Man konnte sich ja schon denken, daß eine Frau wie Sixta wußte, was sie wollte, und gern ihren Willen durchsetzte. Aber sollte sie doch – er, wenn er solch ein Weib hätte, von schreiben würde er sich! Ha ja, was man hat, das will man nicht, und was man will, das hat man nicht. Ist eben ein Hans im Schnakenloch, dieser Markus, das waren die Götzen früher schon, und die Bruders und die Fallers, mit denen sie versippt sind, erst recht. Bei denen ist oft mehr als ein Rädle im Kopf losgewesen.

Daran dachte Jobbi gern herum, wenn das Schifflein hurtig mit dem Sixtaschen Garn sprang. Wenn dann die Bäuerin wirklich aus seinen Träumen heraus in die Stube trat, mit dem milden Lachen in der Stimme sagte: »Grüß Gott, Meister, lauft's amend?«, so stand er verlegen und stotterte die Antwort, gerade so wie er es früher in der Lehre getan, wenn er etwas gebost hatte.

 


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