Hermann Eris Busse
Bauernadel
Hermann Eris Busse

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Begegnung

Mittlerweile dämmerte es zu. Markus näherte sich dem Moortümpel, der von seinem Wald umschlossen war. Er spannte die Gehörsinne an, ganz lusternder Jäger, und machte die Füße leicht wie Federn. Man ging sowieso schon sehr leise auf dem weichen Nadelteppich des inneren Waldweges. Dieser führte am Tümpel vorbei als Hochpfad im weiten Bogen nach Buchenbronn und in einer Abzweigung nach der Uhrenstadt Furtwangen. Markus hörte knacken im mürben Moorgesträuch, ein Pfaunzen, Schnurzen und zartes Quieken, und plötzlich hoppelte es an ihm durch in rasender Eile, groß und klein, ein Rudel Sauen. Die hohen Rücken schnellten auf und nieder, und husch, war der Tanz verschwunden!

Der geprellte Jäger kam gerade zum ersten Aufschnaufen nach dem Schrecken, da ereignete sich wieder etwas im Abendwald. Eine hohe, klare Männerstimme sang heitere Reihen von Tönen. Man sah aber niemand. Die Stimme kam näher, verlor an überirdischem Zauber, da sie in ein keckes Lied hinüberschwenkte. Die klare Luft trug Zeile um Zeile zu Markus. Zudem kannte er den Sang: 48

Wenn wir unsre grauen Mäntel
auf ein badisch Mädel schwenken,
ei so, ei so fühl' ich keinen Schmerz,
redlich, redlich ist das deutsche Herz.

Mac Mahon, du Feldmarschalle,
dich erkennt man über alle,
wolltest, wolltest ziehn nach Berlin,
stehn wir, stehn wir Deutsche vor Paris.

Markus blieb stehen und lauschte. Ein lustiger Geselle schien da das Wild im Walde ganz harmlos zu erregen. Er sang immer lauter, das starke Klingen im Widerhall freute ihn scheint's. Seinen Tritt hörte man noch nicht. Aber das Singen kam näher:

Zu Haslach gräbt man Silbererz,
bei Freiburg wächst der Wein.
Im Schwarzwald schöne Mädchen:
Ein Badner möcht' ich sein.

Drum grüß dich Gott, mein Badnerland,
du Perl im deutschen, deutschen Land,
frisch auf, frisch auf, frisch auf, frisch auf,
mein Badnerland.

Markus war versucht, mit einzustimmen. Er war so gespannt, wer ihm nun in den nächsten Augenblicken entgegenkomme. Vielleicht ein Landstreicher, vielleicht ein Bursch aus der Fremde. Aber Soldat war der und gern.

In Karlsruh' ist die Residenz,
in Mannheim die Fabrik,
in Rastatt ist die Festung,
und das ist Badens Glück.

Drum grüß dich Gott, mein Badnerland,
du Perl im deutschen, deutschen Land,
frisch auf, frisch auf, frisch auf, frisch auf,
mein Badnerland.

Da blieb die Stimme weg, und zu gleicher Zeit, als Markus den Wandernden entdeckte, sah dieser auch den Bauern, wie er still, fast lauernd hinter der leichten Wegbiegung stand, das Gewehr in den Händen. Aber er schritt dennoch weiter, zumal 49 Markus seinen Prügel über die Achsel warf und leise den Kehrreim des Leib- und Magenliedes der badischen Soldaten und Studenten pfiff, der dem erschrockenen Sänger in der Kehle steckengeblieben war. Nun merkte Markus, daß der Geselle hinkte, nicht schwer, aber doch merklich, daß er aber trotzdem im Takte schritt wie ein Soldat. Auch trug er eine Holzmütze. Seltsamer Schatten kühlte das Herz des Jägers, es schien ihm, als begegne er sich selbst, genau so groß, so hager kam der andere daher und am selben Beine knappend wie Markus früher, dazu die Holzmütze. Das unheimliche Gefühl verstärkte sich noch, weil auf einmal die Dämmerung dunkler wurde und kein Laut im Waldesumkreis lebte als der dumpfe Hinktakt des fremden Soldaten. Markus dünkte es eine Ewigkeit, bis der andere so nahe war, daß man sein Gesicht erkennen konnte.

Da löste der den Bann: »Ha, wenn Ihr, Jäger, Euere Flint' nicht hättet, müßt' ich meinen, ich lief' auf einen Spiegel zu oder auf mein eigen Gespenst. Seit drei Stunden dipple ich und treff' auf keine Menschenseele. Grüß Gott!«

»Grüß Gott!«

»Zur Linken seh' ich Lichter blinken«, sang der Wanderer, »sagt, was ist das für ein Hof da unten, und wo erreich' ich das nächste Obdach, mein verheiter Knochen tut nicht mehr mit.«

»Glaub's schon«, sagte Markus. »Mir gehört der Michelshof am Schiltebach drunten, Nachtlager geben wir auch, wenn wir trauen können, vorab Kriegsverletzten.«

So ging der Fremde fröhlich mit, dankbar plaudernd an des ernsten Bauern Seite. Als dieser schwieg, als auch dem Fröhlichen das Wort ausgegangen war, sang der Soldat weiter, mit gedämpfter Stimme zwar:

Ein Schifflein sah ich fahren,
Kapitän und Leutnant
drinnen waren geladen,
drei brave Kompanien Soldaten,
Kapitän, Leutnant, Fähnrich, Sergeant,
nimm das Mädel, nimm das Mädel bei der Hand.
Soldaten, Kameraden . . . 50

Markus sang auf einmal mit, seine spröde, des Singens seit langem entwöhnte Stimme brach dunkel und stark in den hohen Tenor des Begleiters. Flüchtig zog es ihm durch den Sinn: Was wird Sixta für eine Freude haben an diesem losen Zeisig, der ihr ins Haus gesungen kommt; denn bei der dritten Strophe des Liedes waren sie schon ganz in der Nähe des Hofes, und die Bäuerin, samt den Kindern, trat neugierig unter die Stalltür, zu sehen, wer so lustig ankehre. Auch Knecht und Magd horchten auf, weil sie des Bauern Stimme erkannten, und hielten im Schaffen inne.

So betraten nun die zwei mit ihren Soldatenkappen den Hof, Schritt im Schritt und lachenden Gesichtes, der letzte Ton war eben verklungen. Der fremde Soldat sagte zu Sixta ein artiges Wort, das sie erröten machte, und Markus wischte verlegen das silberne Beschläg seiner Fürstenflinte mit dem Rockärmel blank. Und so saß ein wie aus blauem Himmel hergeflogener Vogel groß und lebendig in dem Kanarien- und Zeisiggezwitscher der Michelshofstube, tat auf heitere Weise, als wäre er schon immer um die Schüssel mit den Bauersleuten gesessen, betete zuerst wie die anderen, schwieg ein Weilchen darauf und warf dann erst den Kindern lustige Blicke und nicht lang nachher fröhliche Worte zu. Die sahen auf den Vater; denn Sprechen und Lachen am Tisch war nicht Sitte, aber der lächelte selber, obschon er nicht vom Löffel aufschaute und auch nichts sagte.

Sixta mahnte leise: »Esset.« Der Gesell tat es, gleich den Kindern; er führte eifrig den Löffel zum Munde und biß in die mehligen Kartoffeln mit großer Eßlust. Danach machte er sich, so müde er war, nützlich im Stalle und saß in der Stube noch eine Weile auf der Ofenbank.

Sixta hefelte Brotteig an und schob die Mulde unter den Ofen, damit die Masse gut versäuere während der Nacht. Die Zwillingsmädchen, übermütige, gescheite Dinglein, blond und schwarz, merkten gleich, daß der Fremde gern ein Späßlein mache, der auch schon mit Sprüchen und Versen Schabernack trieb, daß das helle Gelächter der Kinder kaum aufhörte. Er gab Rätsel auf, die selbst die Großen zu knacken versuchten, aber Markus löste nur eines, die anderen verriet der Schalksknecht nicht. 51

I will di nudle,
i will di bumpernelle,
daß der muß der Buch (Bauch) ufschwelle.

Daß dies der Brotteig sein müsse, erriet nur Sixta. Sie machte dann mit leuchtendem Gesicht wie eine Sonne gütig dem Fest ein Ende.

»Gut Nacht mitnander. Morgen kräht der Gockel früh.«

»Bleibet, so lang es Euch paßt, wir haben schon Arbeit«, sagte der Bauer zum Fremden, »wenn Ihr schaffen wollt, heißt's.«

»Warum nit? Ich bin froh um einen Dienst, dazu wollt ich ja kommen.«

Und über den großen Michelshof gingen in stillen, klaren Bahnen die Sterne und lächelnde Träume.

 


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