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Markus Götz blieb fortan auf seiner Stube der gute Kerl, den die Kameraden an diesem sonderbaren Sonntag erkennen konnten, und schmiß sein gutes Bauerngeld, an dem der Schweiß der Arbeit hing, mit vollen Händen unter sie, das heißt, er ließ ihnen Wein und Bier und Würste dafür 33 auffahren, sooft es ging. Die Herrlichkeit dauerte indes nicht lange. Gerade als Markus anfing, auch mit dem Schnauzbart von Feldwebel Fühlung zu finden, in jener geltungsbedürftigen Art, die ihn plötzlich befallen hatte, wurde er Bursche bei dem Leutnant, zugleich zum Gefreiten ernannt und zog mit diesem dem Regiment nach, das nach Straßburg marschierte.
Das Schicksal des Markus wechselte von Stund an in kleinen Zuckungen, so daß er wie im Traume und völlig von sich selbst abgesondert die ersten Kriegswochen erlebte, immer im Neuen, unbegreiflich bewegt, fortgestoßen, hingedrängt, herumgeschwungen. Bursche blieb er nicht lange, denn der Leutnant fiel. Man spielte Markus schwierige Streifen zu, schickte ihn mit Erkundungsbefehlen in schier gewissen Tod. Wo es brenzlig war, stand Markus Götz nahe an der Glut. Er sollte die Kastanien aus dem Feuer holen. Aber neben, vor und hinter ihm bissen die Kameraden ins Gras. Ein Turko zückte das Messer auf seine Schläfe, Markus entwich; ein Rothos schwang den Chassepotkolben über seinem Haupte, Markus sprang im letzten Augenblick zur Seite. Es war ihm, als befehle ständig eine Stimme: »Markus, Markus!« und er müsse dann das tun, was ihn der Gefahr entzöge. Er schien gefeit. Offiziere und Mannschaften glaubten, ob sie wollten oder nicht, an diese unerklärlich geisterhafte Gefeitheit des Schwarzwälders. Unfehlbar auch traf jede Kugel aus seinem Gewehr dem Feind ins Leben, er hob es, scheinbar ohne zu zielen, und traf. Ein ewiges Lächeln schien um seinen Mund erstarrt, aber gutmütig war das nicht. Weib und Kinder, Hof und Wald versanken wieder ins Dunkel, Markus gedachte ihrer nicht. Dumpf schlief er, und lauernd wachte er. Die andern sangen, er lächelte. Die vielen betranken sich, er rührte kein Glas an. Kein Tropfen des vollblütigen Burgunders netzte ihm die Lippen. Er ist ein Dämon, raunte mancher, und wer es gesagt bekam, glaubte daran.
Man zog zu blutigen Siegen, freilich Siege waren dies, wie selten errungen, zäh, schwer, mit Aufbietung aller Kraft. Tote besäten die Felder, Verwundete durchstöhnten die Nächte, Pferde rasten im Wahnsinn in die Weite. Und nachts schlichen Diebe über das Feld des Grauens.
Nie sandte er Nachricht heim, nie traf ihn solche an. Wie 34 auch? Keiner wußte, wo er sich befand. Verschollen war ihm die Heimat. Einem Tier gleich, schlich und sprang er durch das Grauen des Krieges. An der Lisaine traf ihn endlich Unheil; der Gefeite wurde verletzt und kam, nachdem er durch Lazarette gestoßen, dumpf und stumpf nach Freiburg zurück. Er hinkte am linken Bein, unmerklich fast und ohne Beschwerde: ein Fuchs, der aus dem Eisen geschlüpft, ein Wolf, dem wütenden Hieb der Bauernmistgabel entronnen, eben ein Tier mit der Gier zu leben, nur um da zu sein.
So kehrte Markus Götz heim. Staubig, hungrig und mit lechzender Kehle brach er des Nachts die Haustür auf, weil niemand ihn hörte und der Hund nach ein paar sinnlos freudigen Blafflauten nur noch zärtlich den Herrn umwinselte. Markus warf seinen Körper gegen die Tür, bis sie aus der Falle fuhr, und tastete sich in die Stube, die voll dicker Finsternis und Dumpfheit war.
Mit schwacher Stimme rief sein Weib aus der Kammer: »Markus, bist du es?«
Er sprang wie ein Panther durch die Stube voll namenloser Angst. Warum rief sie mit so leiser Stimme und kam nicht? Sein schlimmes Bein schmerzte heftig vom Sprunge; er öffnete mit leisem Stöhnen die Kammertür und ging mühsam die drei Stufen hinauf, die dahinter lagen. Ein fades Öllicht beleuchtete kaum das Lager. Sixta richtete sich nicht einmal auf. Sie lag still.
»Krank bist du?« brachte Markus heraus und trat nahe an das Bett.
»Unglück im Haus?«
»Ach«, sagte Sixta leise, »kein Unglück, Marks, bloß ein neues Kind, ein Mädle, ist notgetauft, heißt Salomea, heut mittag auf die Welt gekommen, um zwölf Uhr.«
»Und niemand bleibt bei dir?«
»Morgen in der frühesten Frühe will die Hebamm wieder da sein, beim Nachbar wurde sie plötzlich nötig, die Weißerslina will auch ihr Kind gehoben haben.«
Markus sah, daß Sixta lächelte, er bückte sich und gab ihr auf dies Lächeln einen Kuß.
»Ich hab' Hunger«, sagte er im Aufrichten, »und mein Hals wächst zu vor Durst.« 35
Das letzte Wort fiel schon wieder in die Stube. Mit schweren Schritten ging er nun in die Küche, labte sich gierig und kehrte dann in die Stube zurück. Sixta hörte, daß er alle Uhren aufzog, hörte mit Schrecken seine ungleichen Schritte, so, als habe er einen Stelzfuß, und harrte gespannt, bis er wieder eintrat. Aber der Bauer, unruhig und hastig schien es ihr, polterte über die Dielen, schlug die Stubentür zu und schritt anscheinend in den Stall hinüber. Geraume Zeit blieb es still. Die Bäuerin hörte vor Anstrengung nur noch ein Läuten im Ohr, wie von vielen Kirchen her. Endlich wieder der ungleiche Schritt, jetzt gemach, schwer über ihr auf der Heubühne. Er prüft alles, dachte sie. Das hätte wahrhaftig Zeit gehabt! Endlich kehrte er in die Kammer zurück mit der Laterne. Er leuchtete den Zwillingen und dem Buben in die Gesichter, blies das Licht aus und zog die Kleider ab. Kaum lag er neben Sixta, schlief er schon. Sie hatte sich nicht getraut, wegen seines seltsamen Schrittes zu fragen.