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Vierunddreißigstes Kapitel

Nach seiner Unterredung mit dem irischen Lord wartete Mountjoy zwei Tage in der Hoffnung, etwas von Iris zu hören, aber es kam kein Brief. Hatte es Mr. Vimpany unterlassen, das Schreiben weiter zu besorgen, das er ihm anvertraut hatte?

Am dritten Tag schrieb Hugh selbst, um sich darnach zu erkundigen.

Der Doktor sendete den Brief zurück, den Hugh unter seiner Adresse an Miß Henley geschrieben hatte, und beklagte sich in seiner Antwort bitter über die undankbare Weise, mit der er behandelt worden sei. Miß Henley hatte ihm ihre neue Adresse in London nicht angegeben, und Lord Harry hatte ganz plötzlich Redburn Road verlassen und nur mit wenigen nichtssagenden Worten sich von ihm verabschiedet; das war alles. Mr. Vimpany stellte nicht in Abrede, daß er für seine ärztlichen Bemühungen bezahlt worden sei; aber er möchte doch fragen, ob er nichts für seine Freundlichkeit verdient hätte. War es recht, daß jemand eines andern Gastfreundschaft annahm und ihn dann wie einen Fremden behandelte? – »Ich bin fertig mit den beiden, und ich empfehle Ihnen, mein lieber Herr, meinem Beispiel zu folgen.« In diesen Worten äußerte der ärgerliche und nüchterne Doktor seine Gefühle und gab Hugh seine guten Ratschläge.

Mountjoy legte den Brief in großer Mutlosigkeit beiseite.

Seine letzte schwache Hoffnung, die Hochzeit zu verhindern, hing davon ab, ob es ihm wohl noch möglich sein würde, mit Iris in Verbindung zu treten. Und nun war sie für ihn vollständig verloren, als ob sie an das andere Ende der Welt geflohen wäre. Es hätte vielleicht möglich sein können, ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen, wenn man Lord Harry genau beobachtet hätte; aber auch er war verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Die kostbaren Stunden und Tage gingen vorüber, und Hugh war vollständig ratlos.

Von der Angst und der Ungewißheit gepeinigt, blieb er immer noch in seinem Hotel in London. Mehr als einmal entschloß er sich, den Kampf aufzugeben und nach seiner schönen Besitzung in Schottland zurückzukehren; mehr als einmal verschob er diese Reise wieder. Manchmal fürchtete er, von Iris zu hören, wenn sie ihm schrieb, daß sie schon verheiratet wäre; dann fühlte er sich wieder beleidigt und gekränkt durch die Vernachlässigung, welche sie ihm durch ihr Stillschweigen zu teil werden ließ. Befand sie sich in seiner Nähe, oder war sie weit von ihm entfernt? Verweilte sie noch in England, oder hatte sie ihrem Vaterlande schon den Rücken gewendet? Wer konnte es wissen?

So waren mehrere traurige Tage in Hangen und Bangen verflossen, als ein Brief eintraf, der in einer ihm unbekannten Handschrift an Mountjoy adressirt war und den Pariser Poststempel trug. Die Schrift ließ ihn vermuten, daß der Brief von Lord Harry herrührte.

Sein erster Gedanke war, den Brief ungelesen ins Feuer zu werfen. Es konnte kaum noch ein Zweifel obwalten, welches die Nachrichten waren, die er enthielt, nachdem eine so lange Zeit vergangen war. Konnte er es ruhig hinnehmen, daß ihm Iris' Verheiratung gerade von dem Mann, der nun ihr Gatte war, mitgeteilt wurde? – Niemals; es lag etwas Erniedrigendes in dem bloßen Gedanken. Er war zu diesem Schluß gekommen; und was that er trotz alledem? – Er las den Brief.

Lord Harry schrieb in den Ausdrücken der größten Höflichkeit und bedauerte, daß ihn Umstände verhindert hätten, Mr. Mountjoy einen Besuch zu machen, bevor er London verließ. Nach der Unterredung, welche in Mr. Vimpanys Hause stattgefunden hätte, halte er es jedoch für seine Pflicht, Mr. Mountjoy mitzuteilen, daß er sein Leben versichert habe, und er wolle auch noch hinzufügen, für eine bedeutende Summe, für eine Summe, die vollständig genügend sei, seiner Gattin ein sorgenfreies Leben zu sichern, im Fall sie ihn überleben sollte. Lady Harry sende ihm ihre besten Grüße; sie würde in der nächsten Zeit selbst an ihren alten und ergebenen Freund schreiben. Inzwischen wolle er schließen, indem er nochmals den Ausdruck seiner tiefsten Verpflichtung Mr. Mountjoy gegenüber wiederhole.

Hugh sah noch einmal auf die erste Seite des Briefes zurück, um nach der Adresse des Schreibers zu suchen; sie lautete einfach: Paris. Die Absicht, eine fernere Korrespondenz oder eine persönliche Begegnung zu verhindern, konnte nicht leicht deutlicher ausgedrückt werden. Im nächsten Moment flog der Brief ins Feuer.

Zwei Tage später bekam Hugh nun direkte Nachricht von Iris. Sie drückte ihm ebenfalls ihr Bedauern über ihre so plötzliche Abreise aus England aus, fügte jedoch hinzu, daß es auf ihr Betreiben geschehen sei. Eine Bemerkung, welche Lord Harry im Laufe eines Gespräches entschlüpft sei, habe in ihr die Furcht wachgerufen, daß er noch immer von den politischen Verschwörern bedroht sei, mit denen er sich in so unvernünftiger Weise eingelassen habe. Infolge dessen habe sie ihn dazu gebracht, ihr die volle Wahrheit zu bekennen, und darauf hin auf einer sofortigen Abreise bestanden. Sie und ihr Gatte hätten ihren Aufenthalt in Paris genommen; Lord Harry habe in dieser Stadt Freunde, deren Einfluß von großer Wichtigkeit für seine Vermögensverhältnisse sein könne. Dann folgten einige Sätze, in denen die Schreiberin ihrer dankbaren Erinnerung an alles das Ausdruck gab, was Hugh in der letzten Zeit für sie gethan. Sie sprach auch den sehnlichsten Wunsch aus, daß sie von Zeit zu Zeit durch Briefe von einander hören möchten. Sie könne nicht wagen, unter den gegenwärtigen Umständen auf das Vergnügen zu rechnen, einen Besuch von ihm zu empfangen; sie hoffe jedoch, daß er es über sich gewinnen würde, ihr zu schreiben; er solle seine Briefe nach Paris poste restante schicken.

In einem Nachtrag waren noch wenige Worte hinzugefügt, welche sich auf Mr. Vimpany bezogen. Hugh wurde gebeten, auf keinerlei Erkundigungen Antwort zu geben, welche dieser schlechte Mensch über sie oder ihren Gatten etwa einzuziehen wagen würde. Früher sei sie dem Doktor dankbar gewesen für seine Bemühungen als Arzt um Rhoda Bennet. Aber seitdem habe sein Benehmen gegen seine Frau und die Ansichten, die er in Gesprächen mit Lord Harry geäußert habe, sie davon überzeugt, daß er ein Mensch ohne alle Grundsätze sei. Jeder weitere Verkehr mit ihm müsse, so viel an ihr liege, ein für allemal aufhören.

Als Mountjoy diesen Brief gelesen, hatte er die Empfindung: den beantwortest du nie! Er glaubte, obgleich er sich darin vollständig irrte, daß Iris ihn unter der Aufsicht ihres Mannes geschrieben habe.

Wieder dachte er daran, nach Schottland zurückzukehren, und schob es doch immer wieder hinaus.

Er fand plötzlich allerhand an seinem Besitztum auszusetzen. Die Lage war zu einsam, seine nächsten Nachbarn waren nur einfache Fischersleute. In geringer Entfernung lagen allerdings hie und da zerstreut einige wenige Häuser, die von früheren Kaufleuten, die sich zur Ruhe gesetzt hatten, bewohnt wurden; nur in weiterer Entfernung befand sich der Landsitz eines vornehmen Mannes, der aber immer abwesend war, da sein Gesundheitszustand das Klima von Schottland nicht vertrug. Die Aussichten auf ein so einsames Leben an der Küste des Solway Firth schreckten Mountjoy jetzt zurück.

Er beschloß daher, den Versuch zu machen, ob das gesellschaftliche Leben in London im stande sein würde, die trüben Gedanken zu zerstreuen, die ihn bedrückten. Bekannte, die er bisher vollständig vernachlässigt hatte, waren angenehm überrascht, als ihnen ihr junger und reicher Freund wieder einen Besuch machte. Er nahm teil an Diners und Soupers: in allen Müttern und Töchtern erregte er Hoffnungen dadurch, daß er den Einladungen zu Bällen folgte. Er erschien auch wieder in seinem Klub. Bot ihm dieses Leben nun wirklich die erwartete Zerstreuung? War dabei irgend welches Vergnügen? – Nein! Er spielte nur eine Rolle und fand es eine schwere und undankbare Aufgabe, den Schein aufrecht zu erhalten. Nach einer kurzen Zeit des Glanzes sah ihn die Gesellschaft nicht wieder.

Nachdem er so von neuem sich selbst überlassen war, genoß er endlich einmal einen angenehmen Abend in London; es war der Abend, an dem er sich trotz aller Einwendungen, die er selbst dagegen erhob, an Iris zu schreiben entschloß.


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