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Und nicht scheut in Furcht das schüchterne Reh,
Wenn zu seinem Gemach ich mich stehle; Und theu'r ist die Maiviole mir, Und den Bach besuch' ich, der rieselt hier, Daß die Blume mir labe die Seele. |
Bryant. |
Die Arche, wie man die schwimmende Behausung der Hutter's gemeinhin nannte, war ein sehr einfaches Werk. Eine große Fläche oder Fähre bildete den schwimmenden Theil des Fahrzeugs, und in dessen Mitte, die ganze Breite, und etwa zwei Dritttheile der Länge einnehmend, stand ein niedriges Gerüste, in seinem Bau dem Castell ähnlich, obwohl von so leichtem Material, daß es kaum einer Flintenkugel widerstand. Da die Seiten des platten Fahrzeuges etwas höher waren als gewöhnlich, und das Innere der Cajüte oder der Hütte nicht höher war, als die Bequemlichkeit durchaus erforderte; so nahm sich der ungewöhnliche Aufsatz weder sehr plump aus, noch fiel er sehr ins Auge. Kurz das Ganze war nicht viel verschieden von einem modernen Kanalboot, obwohl roher gebaut, von größerer Breite als gewöhnlich, und an den mit Borke bedeckten Balken doch die Spuren der Wildniß an sich tragend. Die Fähre war jedoch mit einiger Geschicklichkeit zusammengesetzt, für ihre Stärke verhältnißmäßig leicht und gut zu handhaben. Die Cajüte war in zwei Gemächer getheilt, deren eines als Wohnzimmer und Schlafstätte für den Vater diente, das andere aber den Töchtern zur Benützung überlassen war. Eine sehr einfache Einrichtung diente als die Küche, die auf dem einen Ende der Fähre angebracht war, und von der Cajüte entfernt, frei und offen dastand; denn die Arche überhaupt war eine Sommerwohnung.
Das Versteck, in dem sie lag, läßt sich ebenso leicht erklären. An manchen Stellen des See's und Flusses, wo die Ufer steil und hoch waren, überhingen die kleineren Bäume und die größeren Gebüsche, wie schon erwähnt, das Wasser gänzlich und ihre Zweige tauchten sich nicht selten ganz darein ein. Hin und wieder wuchsen sie in beinahe horizontalen Linien dreißig bis vierzig Fuß seitlich herein. Da das Wasser durchgehends am tiefsten war an den Küsten, wo die Ufer am höchsten und am meisten sich dem Senkrechten näherten, war es Huttern nicht schwer gefallen, die Arche unter ein solches versteckendes Obdach zu lenken, wo sie vor Anker lag, und wo man sie nicht sollte bemerken können; denn nach seiner Ansicht erforderte die Sicherheit solche Vorsichtsmaßregeln. Nachdem sie einmal unter den Bäumen und Gebüschen war, bewirkten einige an den Enden der Zweige befestigte Steine, daß sie sich tief genug in den Fluß hinunterbogen; und einige abgehauene Büsche, gehörig vertheilt, thaten das Uebrige. Der Leser hat schon gesehen, daß dieß Versteck vollständig genug war, um zwei an die Wälder gewöhnte Männer zu täuschen, die doch gerade auf die Entdeckung der verborgenen Arche aus waren, und dieß werden Solche leicht begreifen, welche bekannt sind mit der wuchernden Ueppigkeit und Dichtheit eines jungfräulichen amerikanischen Waldes, zumal auf reichem und gutem Boden.
Die Entdeckung der Arche machte sehr verschiedene Eindrücke auf unsre beiden Abenteurer. Sobald das Canoe an die geeignete Oeffnung hinangebracht werden konnte, sprang Hurry an Bord, und war nach einer Minute schon tief verwickelt in ein munteres, gewissermaßen scheltendes Gespräch mit Judith, allem Anschein nach das Daseyn der ganzen übrigen Welt vergessend. Nicht so Wildtödter. Er betrat die Arche mit langsamem, vorsichtigem Schritt und prüfte jede Einrichtung des Verstecks mit neugierigem, forschendem Auge. Allerdings warf er einen bewundernden Blick auf Judith, den ihm ihre glänzende und eigenthümliche Schönheit abgewann; aber selbst diese konnte ihn nur einen Augenblick abhalten, dem Interesse, das ihm Hutter's schlaue Einrichtungen einflößten, nachzugeben. Schritt für Schritt besichtigte er die Konstruktion der eigenthümlichen Behausung, erforschte die Stärke und Festigkeit derselben, versicherte sich der Vertheidigungsmittel, und stellte alle die Untersuchungen an, die sich von selbst einem Mann darboten, dessen Gedanken hauptsächlich mit solchen Kunstgriffen und Hülfsmitteln sich beschäftigten. Auch das versteckende Obdach ward nicht außer Acht gelassen. Er untersuchte es genau nach seiner ganzen Beschaffenheit und mehr als einmal wurde sein Beifall in hörbaren Lobsprüchen laut. Da die Sitten der Grenzmänner eine solche Ungezwungenheit gestatteten, schritt er durch die Gemächer, wie früher im Castell, öffnete eine Thüre, und trat auf das Ende der Fähre, entgegengesetzt dem, wo er Hurry und Judith verlassen hatte. Hier traf er die andere Schwester mit einer groben Nadelarbeit beschäftigt, unter dem belaubten Baldachin des Schutzdachs sitzend.
Da Wildtödters Besichtigung und Prüfung nunmehr beendigt war, ließ er den Kolben seiner Büchse sinken und wandte sich, mit beiden Händen auf den Lauf sich stützend, zu dem Mädchen mit einem Interesse, welches die ausgezeichnete Schönheit ihrer Schwester nicht in ihm geweckt hatte. Er hatte sich aus Hurry's Aeußerungen so viel abgenommen, daß Hetty dafür galt, weniger Einsicht zu besitzen, als gewöhnlich menschlichen Wesen zugetheilt ist; und seine indianische Bildung hatte ihn gelehrt, diejenigen, die so von der Vorsehung heimgesucht waren, mit ungewöhnlicher Zartheit zu behandeln. Auch lag in der äußern Erscheinung bei Hetty Hutter Nichts, was, wie so oft der Fall ist, das Interesse hätte schwächen können, das ihr Zustand erregte. Blödsinnig konnte man sie nicht eigentlich nennen, denn ihr Geist war nur gerade so weit schwach, daß er die meisten jener Züge verlor, welche mit den Eigenschaften der berechnenden Schlauheit zusammenhängen, dagegen seine Aufrichtigkeit und Liebe zur Wahrheit behielt. Es war öfters in Bezug auf dieß Mädchen von den Wenigen, die sie gesehen, und welche genugsame Einsicht zum richtigen Unterscheiden besaßen, bemerkt worden, daß ihr Erkennen des Rechten beinahe instinktmäßig und intuitiv schien, während ihr Widerwillen gegen das Unrecht einen so auszeichnenden Zug ihres Gemüths ausmachte, daß sie gleichsam in einer Atmosphäre reiner Sittlichkeit sich bewegte; und diese Eigenthümlichkeiten trifft man nicht selten bei schwachsinnig genannten Menschen; gleich als hätte Gott den bösen Geistern gewehrt, in ein so schutzloses Gebiet einzudringen, mit der gnädigen Absicht, einen unmittelbaren Schutz denjenigen angedeihen zu lassen, welche ohne die gewöhnlichen Kräfte und Hülfsmittel der menschlichen Natur geblieben waren. Auch ihre Person war angenehm, da sie ihrer Schwester stark glich, von welcher sie ein gedämpftes und bescheidnes Nachbild zu seyn schien. Wenn sie Nichts von Judiths Glanz besaß, so verfehlte doch der ruhige, friedliche, beinahe heilige Ausdruck ihres sanften Gesichts selten, den Betrachter für sie einzunehmen; und Wenige sahen sie länger, ohne eine tiefere und bleibende Theilnahme für das Mädchen zu fühlen. Sie hatte für gewöhnlich keine Farbe, auch war ihr einfacher Geist nicht im Stand, Bilder aufzurufen, die ihre Wange hätten aufleuchten machen; aber sie behauptete eine ihr so angeborne Sittsamkeit, daß sie dadurch beinahe zu der arglosen Reinheit eines für menschliche Schwächen unzugänglichen Gemüthes erhoben wurde. Harmlos, unschuldig, ohne Mißtrauen sowohl von Natur als vermöge ihrer Lebensweise, hatte die Vorsehung sie dennoch gegen Anfechtungen beschirmt durch eine Art von sittlichem Heiligenschein, »den Wind zu sänftigen dem geschornen Lamme,« wie das Sprüchwort sagt.
»Ihr seyd Hetty Hutter,« sagte Wildtödter, in der Art, wie man sich selbst unbewußt eine Frage macht, und zwar mit einer sanften Güte in Ton und Wesen, die ganz geeignet war, ihm das Vertrauen der so Angeredeten zu gewinnen – »Hurry Harry hat mir von Euch gesagt, und ich weiß, Ihr müßt das Kind seyn.«
»Ja, ich bin Hetty Hutter,« versetzte das Mädchen mit leiser, süßer Stimme, welche durch die Natur und einige dazugekommene Erziehung vor Gemeinheit des Tons und des Ausdrucks bewahrt geblieben war; »ich bin Hetty, der Judith Hutter Schwester und Thomas Hutter's jüngste Tochter.«
»So weiß ich denn Eure Geschichte, denn Hurry Harry plaudert tüchtig und er geht frei heraus mit seinen Reden, wenn er auf andrer Leute Angelegenheiten zu sprechen kommt. Ihr bringt den größten Theil Eures Lebens auf dem See zu, Hetty.«
»Ja wohl, Mutter ist todt; Vater ist aus auf's Fallenstellen, und Judith und ich bleiben zu Hause. Was ist Euer Name?«
»Das ist eine Frage, die sich leichter thun als beantworten läßt, junges Weib; in Betracht, daß ich noch so jung bin, und doch schon mehr Namen getragen habe, als manche der größten Häuptlinge in ganz Amerika.«
»Aber Ihr habt doch einen Namen? Ihr werft doch nicht einen Namen weg, bevor Ihr auf ehrliche Weise zu einem andern gekommen?«
»Ich hoffe so, Mädchen, ich hoffe so. Meine Namen sind mir natürlich gekommen, und ich denke, derjenige, den ich jetzt trage, wird nicht von langer Dauer seyn, denn die Delawaren bestimmen selten den wahren Namen und Titel eines Mannes fest, bis zu der Zeit, wo er Gelegenheit gehabt, sein wahres Wesen im Rath oder auf dem Kriegspfad zu zeigen, was mir noch nie zu Theil geworden ist; angesehen, erstlich, daß ich, nicht als Rothhaut geboren, kein Recht habe, in ihren Versammlungen zu sitzen, und viel zu niedrig bin, als daß ich von den Vornehmen meiner Farbe sollte um meine Meinung befragt werden; und für's Zweite, weil dieß der erste Krieg ist, der in meine Zeit gefallen, und noch kein Feind weit genug in die Colonie eingebrochen, der durch einen auch längeren Arm als der meinige zu erreichen gewesen wäre.«
»Sagt mir Eure Namen,« erwiederte Hetty, ihn arglos anschauend, »und vielleicht sage ich Euch dann Euren Charakter.«
»Darin liegt einige Wahrheit, ich will es nicht läugnen, obgleich es oft fehl trifft. Die Menschen täuschen sich im Charakter Andrer und geben ihnen häufig Namen, die sie in keiner Weise verdienen. Die Wahrheit hievon könnt Ihr sehen an den Mingo-Namen, die, in ihrer Sprache, dieselben Dinge bezeichnen, wie die Delawaren-Namen – so sagt man mir wenigstens, denn ich weiß Wenig von diesem Stamm, außer durchs Gerücht – und Niemand kann sagen, daß sie eine ebenso redliche und gerade Nation sind. Ich lege daher kein sehr großes Gewicht auf Namen.«
»Sagt mir alle Eure Namen,« wiederholte das Mädchen ernst, denn ihr Gemüth war zu einfältig, um die Dinge von den Namen zu scheiden, die sie tragen, und sie legte einem Namen große Wichtigkeit bei. »Ich möchte wissen, was ich von Euch zu denken habe.«
»Nun, gewiß; ich habe Nichts dagegen und Ihr sollt sie alle erfahren. Für's Erste denn, bin ich ein Christ und weiß geboren, wie Ihr, und meine Eltern hatten einen Namen, der sich vom Vater auf den Sohn vererbte, als ein Theil ihrer Gaben und Ausstattung. Mein Vater hieß Bumppo; und ich ward natürlich genannt wie er, und der mir gegebene Name war Nathaniel, oder Natty, wie die meisten Leute ihn abzukürzen beliebten.«
«Ja, ja – Natty – und Hetty –« unterbrach ihn rasch das Mädchen, und schaute wieder mit einem Lächeln von ihrer Arbeit auf, »Ihr seyd Natty und ich bin Hetty – obgleich Ihr Bumppo heißt, und ich Hutter. Bumppo ist nicht so hübsch wie Hutter, oder doch?«
»Nun, das kommt auf der Leute Geschmack an. Bumppo klingt nicht erhaben, ich geb' es zu, und doch haben sich Menschen damit durch die Welt geschlagen. Ich lief jedoch nicht sehr lange unter diesem Namen; denn die Delawaren entdeckten bald, oder glaubten zu entdecken, daß ich dem Lügen nicht ergeben war, und sie nannten mich zuerst: ›Geradzunge‹.«
»Das ist ein guter Name« unterbrach ihn Hetty ernst und in bestimmtem Tone; »sagt mir doch nicht, es wohne in den Namen keine Kraft und Tugend!«
»Ich sage das nicht, denn vielleicht verdiente ich den Namen, da Lügen bei mir nicht, wie bei Manchen, in Gunst sind. Nach einiger Zeit entdeckten sie, daß ich rasch zu Fuß war, und da nannten sie mich: ›die Taube‹; denn dieser Vogel hat, wie Ihr wißt, eine schnelle Schwinge und fliegt in gerader Richtung.«
»Das war ein hübscher Name!« rief Hetty: »Tauben sind hübsche Vögel.«
»Die meisten Dinge, die Gott geschaffen, sind hübsch, in ihrer Art, mein gutes Mädchen, obgleich sie dann von den Menschen entstellt und verkehrt werden, so daß sie ihre Natur wie ihre äußere Erscheinung ändern. Vom Botschafttragen und vom Aufspüren blinder Fährten brachte ich es endlich dahin, den Jägern folgen zu dürfen, da man glaubte, ich sey rascher und sichrer in Auffindung des Wildes als die meisten jungen Burschen, und da nannten sie mich ›Schlappohr‹, weil ich, wie sie sagten, die Spürkraft eines Hundes besäße.«
»Der Name ist nicht so hübsch,« bemerkte Hetty. »Ich hoffe, den behieltet Ihr nicht lange.«
»Nicht länger, als bis ich reich genug war, eine Büchse zu kaufen,« erwiederte der Andere, und sein sonst so gelassenes und ruhiges Wesen verrieth doch einigen Stolz; »da zeigte sich's, daß ich einen Wigwam mit Wildpret zu versehen vermochte; und bald bekam ich den Namen ›Wildtödter‹, den ich jetzt noch trage; – ein niedriger Name, nach der Ansicht von Manchen, die mehr Werth in den Skalp eines Mitmenschen setzen, als in das Geweih eines Hirsches.«
»Nun, Wildtödter, zu diesen gehöre ich nicht,« versetzte Hetty arglos. »Judith liebt sich Soldaten und schimmernde Kleider und schöne Federn; aber mir gelten alle die Nichts. Sie sagt, die Officiere seyen vornehm und munter, und führen eine so sanfte Sprache: aber mich machen sie schaudern, denn ihr Beruf ist, ihre Mitmenschen zu tödten. Euer Beruf gefällt mir besser; und Euer letzter Name ist ein recht guter; – besser als Natty Bumppo.«
»Das ist ganz Eurer Gemüthsart gemäß und natürlich, Hetty, und gerade so, wie ich es erwartet. Man sagt mir, Eure Schwester sey schön – ungemein schön für eine Sterbliche; und die Schönheit macht geneigt, Bewunderung zu suchen.«
»Habt Ihr Judith nie gesehen?« fragte das Mädchen mit raschem Ernst; »wenn dieß ist, so geht sogleich und beschaut sie. Selbst Hurry Harry ist nicht hübscher anzusehen, obgleich sie ein Weib ist, und er ein Mann.«
Wildtödter betrachtete einen Augenblick das Mädchen mit Theilnahme. Ihr blasses Gesicht hatte sich ein wenig geröthet, und ihr gewöhnlich so mildes und sanftes Auge geflammt bei jenen Worten, die ihre innern Regungen verriethen.
»Ja, Hurry Harry,« murmelte er vor sich hin, indem er durch die Cajüte nach dem andern Ende der Arche schritt; »das kommt vom guten Aussehen, wenn nicht auch eine leichtfertige Zunge ihren Antheil daran hat. Es ist leicht zu sehen, wohin sich die Gefühle des armen Geschöpfes neigen, wie es nun auch mit der Judith stehen mag.«
Aber eine Unterbrechung erlitten die Galanterie Hurry's – die Koketterie seiner Geliebten – das Nachdenken Wildtödters und die zärtlichen Gefühle Hetty's durch das plötzliche Erscheinen des Canoe's, das den Besitzer der Arche brachte, in der schmalen Oeffnung zwischen den Gebüschen, die als eine Art Wassergraben seiner festen Stellung diente. Es schien, daß Hutter, oder Floating Tom, wie ihn alle Jäger vertraulich nannten, welche mit seiner Lebensart bekannt waren, das Canoe Hurry's erkannt hatte, denn er zeigte durchaus kein Erstaunen, ihn auf der Fähre zu finden. Im Gegentheil war seine Begrüßung der Art, daß sie nicht nur Zufriedenheit verrieth, sondern selbst Freude, gemischt mit etwas Verdruß darüber, daß er nicht einige Tage früher gekommen.
»Ich erwartete Euch vorige Woche,« sagte er in halb brummendem, halb freundlich begrüßendem Tone, »und war ungemein verdrießlich, daß Ihr nicht kamet. Es kam ein eilender Bote durch, um die Jäger aller Gattungen zu benachrichtigen, daß die Colonie und die Canada's wieder in Unruhe und Hader seyen; und ich fühlte mich gar einsam in diesen Gebirgen, mit drei Skalpen, die ich zu bewachen habe, und nur zwei Armen, sie zu schützen.«
»Das ist natürlich,« versetzte March; »und es hieß dieß nur als Vater fühlen. Ohne Zweifel, wenn ich zwei Töchter hätte wie Judith und Hetty, wüßte ich aus eigner Erfahrung dieselbe Geschichte zu erzählen, obwohl ich in der Regel ebenso zufrieden bin, wenn der nächste Nachbar fünfzig Meilen weit von mir entfernt, als wenn er innerhalb Rufesweite in meiner Nähe ist.«
»Trotzdem mochtet Ihr nicht allein in die Wildniß kommen, nachdem Ihr wußtet, daß die Wilden in Canada sich wahrscheinlich regen werden,« versetzte Hutter, einen halb mißtrauischen und zugleich forschenden Blick auf Wildtödter werfend.
»Warum sollte ich auch? Man sagt, ein schlechter Begleiter auf einer Reise hilft doch den Weg verkürzen, und diesen jungen Mann rechne ich für einen recht guten. Es ist Wildtödter, alter Tom, ein berufener Jäger unter den Delawaren, dazu als Christ geboren und erzogen wie Ihr und ich. Der Junge ist vielleicht nicht vollkommen, aber es gibt schlechtere Männer in dem Land, wo er herkommt, und wahrscheinlich findet er in dieser Gegend der Welt Manchen, der nicht besser ist. Sollten wir in den Fall kommen, unsre Fallen und unser Gebiet vertheidigen zu müssen, so wird er uns Dienste leisten und Nahrung anschaffen; denn er ist ein ganzer Wildpretschütze.«
»Junger Mann, Ihr seyd willkommen,« brummte Tom, eine harte knöcherne Hand dem Jüngling zum Pfand seiner Aufrichtigkeit hinstreckend; »in solchen Zeiten ist ein Bleichgesicht das Gesicht eines Freundes, und ich zähle auf Euch als einen Beistand. Kinder machen manchmal ein männliches Herz schwach, und diese meine zwei Töchter machen mir mehr Unruhe, als alle meine Fallen, Häute und Rechte im Land.«
»Das ist natürlich!« rief Hurry. »Ja, Wildtödter, Ihr und ich wissen das noch nicht aus Erfahrung; aber, Alles zusammengenommen, sehe ich das als natürlich an. Wenn wir Töchter hätten, ist es mehr als wahrscheinlich, daß wir auch solche Gefühle hätten; und ich schätze den Mann, der sie bekennt. Was Judith betrifft, Alter, so schreibe ich mich sofort als ihr Soldat ein, und hier ist Wildtödter, um Euch Hetty beschützen zu helfen.«
»Großen Dank Euch, Meister March,« versetzte die Schöne mit einer vollen, metallreichen Stimme, und mit einer Richtigkeit des Ausdrucks und der Betonung, die sie überhaupt mit ihrer Schwester theilte, und welche bewies, daß sie mehr Unterricht genossen, als ihres Vaters Lebensweise und äußere Erscheinung eigentlich vermuthen ließen: »großen Dank Euch; aber Judith Hutter besitzt so viel Einsicht und Erfahrung, daß sie sich mehr auf sich selbst verläßt, als auf gut aussehende Landstreicher wie Ihr. Sollte es nöthig werden, den Wilden entgegen zu treten, so landet Ihr mit meinem Vater, statt Euch in Hütten zu verschlupfen, unter dem Vorwand, uns Weiber zu vertheidigen, und –«
»Mädchen, Mädchen,« fiel ihr der Vater in's Wort, »zügle Deine glatte, kecke Zunge und höre die Wahrheit an. Schon sind Wilde am Ufer des See's und Niemand kann sagen, wie nahe sie uns in diesem Augenblick seyn mögen, oder wann wir Mehr von ihnen zu hören bekommen!«
»Wenn dieß wahr ist, Meister Hutter,« sagte Hurry, in dessen Mienen ein Wechsel eintrat, der verrieth, wie ernstlich er die Nachricht nahm, obgleich Nichts von unmännlicher Unruhe zeugte; »wenn dieß wahr ist, so befindet sich Eure Arche in der ungünstigsten Stellung; denn obschon das Schutzdach Wildtödter und mich täuschte, würde sie doch kaum übersehen werden von einem Vollblut-Indianer, der ernstlich auf die Jagd nach Skalpen ausginge.«
»Ich denke wie Ihr, Hurry, und wünsche von ganzem Herzen, wir lägen in diesem Augenblicke anderswo, als in diesem engen, krummen Fluß, der viele Vortheile für ein Versteck darbietet, aber den Entdeckten beinahe sicheres Verderben bringt. Zudem sind uns die Wilden nahe, und die Schwierigkeit ist, aus dem Fluß herauszukommen, ohne zusammengeschossen zu werden wie Wild, das am Trinkplatz steht!«
»Seyd Ihr gewiß, Meister Hutter, daß die Rothhäute, die Ihr fürchtet, wirkliche Kanadier sind?« fragte Wildtödter mit bescheidenem aber ernstem Wesen. »Habt Ihr Einen gesehen? und könnt Ihr ihre Bemalung beschreiben?«
»Ich bin auf Anzeichen gestoßen, daß sie in der Nähe sind, habe aber Keinen gesehen. Ich war eine Meile oder so stromabwärts, um nach meinen Fallen zu sehen, als ich auf eine frische Spur stieß, welche über das Ende eines Morastes ging und nach Norden zu wies. Der Mann war noch nicht eine Stunde des Weges gekommen, und ich erkannte die Fußtapfe als die eines Indianers an der Gestalt des Fußes und der Zehen, selbst noch ehe ich einen vertragenen Moccasin fand, den der Eigenthümer als unbrauchbar weggeworfen. Und dann fand ich die Stelle, wo er Halt machte, um sich einen neuen zu verfertigen, nur ein paar Schritte von dem entfernt, wo er den alten weggeworfen.«
»Das sieht einer Rothhaut auf dem Kriegspfad nicht sonderlich gleich!« versetzte der Andere mit Kopfschütteln. »Ein erfahrner Krieger wenigstens hätte solche Anzeichen seiner Wanderung verbrannt, oder begraben, oder im Fluß versenkt; und Eure Fährte ist höchst wahrscheinlich eine ganz friedliche. Aber der Moccasin dürfte mich vielleicht sehr beruhigen, wenn Ihr daran gedacht habt, ihn mitzunehmen. Ich bin selbst hieher gekommen, um einen jungen Häuptling zu treffen; und sein Weg läge so ziemlich in der von Euch bezeichneten Richtung. Vielleicht waren die Fußtapfen von ihm.«
»Hurry Harry, Ihr seyd, hoff' ich, genau bekannt mit diesem jungen Manne, der Zusammenkünfte mit Wilden hat in einer Gegend des Landes, wo er nie früher gewesen?« fragte Hutter in einem Ton und mit einer Art, welche den Beweggrund seiner Frage deutlich verriethen, da solche rohe Menschen sich selten aus Zartgefühl bedenken, ihre Gedanken und Gefühle zu verrathen. »Verrath ist eine indianische Tugend: und die Weißen, die viel unter ihren Stämmen leben, nehmen bald ihre Gewohnheiten und Kniffe an.«
»Wahr – wahr wie das Evangelium, alter Tom; aber nicht anwendbar auf Wildtödter, der ein junger Mann voll Wahrhaftigkeit ist, wenn er auch sonst keine Empfehlung hätte. Ich will für seine Redlichkeit bürgen, wenn ich auch von seiner Herzhaftigkeit im Gefecht nichts sagen kann.«
»Ich möchte wohl wissen, was er in dieser abgelegenen Gegend zu schaffen und zu bestellen hat?«
»Das ist bald erzählt, Meister Hutter,« sagte der junge Mann mit der ruhigen Fassung Dessen, der ein reines Gewissen hat; »ich glaube auch selbst, daß Ihr das Recht habt, darnach zu fragen. Der Vater von zwei solchen Töchtern, der einen See inne hat, so wie Ihr, hat das gleiche Recht, nach dem Thun und Treiben eines Fremden in seiner Nähe sich zu erkundigen, wie die Colonie befugt wäre, nach dem Grund zu fragen, warum die Franzmänner mehr Regimenter als gewöhnlich an den Grenzen aufstellten. Nein, nein, ich bestreite Euch das Recht nicht, zu wissen, warum ein Fremder in Eure Behausung oder in Eure Gegend kommt, in so ernsten Zeiten wie die jetzigen sind.«
»Wenn dieß Eure Gesinnung ist, Freund, so laßt mich Eure Geschichte hören ohne weitere Worte.«
»Sie ist bald erzählt, wie ich schon gesagt, und treulich werde ich sie Euch erzählen. Ich bin ein junger Mann und bis jetzt noch nie auf dem Kriegspfad gewesen, aber sobald die Nachricht bei den Delawaren eintraf, daß Wampum und eine Streitaxt dem Stamme übersandt werden würden, so wünschten sie, daß ich unter die Leute meiner Farbe ginge und mich für sie genau nach dem Stand der Sachen erkundigte. Das that ich; und als ich nach meiner Rückkehr meinen Bericht den Häuptlingen abgestattet, traf ich einen Officier der Krone am Schoharie, der an einige der befreundeten Stämme, die weiter westlich wohnen, Geld zu übermachen hatte. Dieß schien Chingachgook, einem jungen Häuptling, der noch nie einen Feind getroffen, und mir, eine gute Gelegenheit, in Gesellschaft auf unsern ersten Kriegspfad zu gehen; und ein alter Delaware gab uns an, daß wir uns am Felsen in der Nähe des Ausgangs von diesem See treffen sollten. Ich will nicht läugnen, daß Chingachgook noch einen andern Zweck hatte, aber dieser betrifft Keinen der hier Anwesenden, und ist sein Geheimniß nicht das meinige; daher sage ich hierüber nichts weiter.«
»Es betrifft ein junges Weib,« fiel ihm Judith hastig in's Wort; dann lachte sie über ihren eignen Ungestüm, und hatte sogar so viel Grazie, ein wenig zu erröthen über die Art, wie sie ihre Geneigtheit, ein solches Motiv zu vermuthen, verrathen hatte. »Wenn es weder Krieg noch Jagd ist, so muß es Liebe seyn.«
»Ja, es kommt den Jungen und Schönen, die so viel von diesen Gefühlen hören, leicht in den Sinn, zu glauben, sie müssen den meisten Handlungen und Schritten zu Grunde liegen; aber ich sage über diesen Punkt nichts. Chingachgook soll mich an diesem Felsen treffen, morgen Abend, eine Stunde vor Sonnenuntergang, worauf wir unsern Weg zusammen fortsetzen wollen, Niemand störend, als des Königs Feinde, die nach Recht und Gesetz auch die unsrigen sind. Da ich Hurry seit langem kannte, da er einst in unsern Jagdgebieten Fallen stellte, und ihm nun am Schoharie begegnete, als er gerade im Begriff stand, auf seine Sommerzüge aufzubrechen, verabredeten wir, mit einander zu reisen, nicht sowohl aus Furcht vor den Mingo's, als aus guter Cameradschaft, und um uns, wie er sagt, den langen Weg zu verkürzen.«
»Und Ihr meint, die Spur, die ich gesehen, sey vielleicht die Eures Freundes gewesen, der vor seiner Zeit eingetroffen?« sagte Hutter.
»Das ist mein Gedanke, der irrig, aber auch richtig seyn kann. Wenn ich aber den Moccasin sähe, so wollte ich in einer Minute entscheiden, ob er nach der Art der Delawaren gefertigt ist, oder nicht.«
»Nun, da ist er,« sagte die schnell besonnene Judith, die schon nach dem Canoe gegangen war, ihn zu holen; »gebt uns an, was er sagt: Freund oder Feind, Ihr seht ehrlich aus; und ich glaube Alles was Ihr sagt, was auch Vater davon denken mag.«
»Das ist deine Art, Jude, immer Freunde da aufzufinden, wo ich Feinde argwohne,« brummte Tom; »aber sprecht nur, junger Mann, und sagt uns was Ihr von dem Moccasin denkt.«
»Der ist kein Delawaren-Machwerk,« versetzte Wildtödter, indem er mit umsichtigem Auge die abgetragene und weggeworfene Fußbedeckung prüfte; »ich bin zu jung auf dem Kriegspfade, um meine Ansicht ganz bestimmt auszusprechen, aber ich würde sagen: dieser Moccasin sieht nördlich aus, und kommt von jenseits der großen Seen.«
»Wenn dieß der Fall ist, sollten wir keine Minute länger als nothwendig ist, hier liegen bleiben,« sagte Hutter, indem er einen Blick durch das Laub des Schutzdaches warf, als besorgte er schon die Anwesenheit eines Feindes auf der andern Küste des engen und krumm fließenden Stromes. »Es fehlt nur noch eine Stunde oder so bis Nacht, und im Dunkel Bewegungen zu machen, ohne ein Geräusch, das uns verrathen müßte, wäre unmöglich. Habt Ihr nicht das Echo einer Feuerwaffe in den Bergen gehört, vor einer halben Stunde?«
»Ja, Alter, und die Feuerwaffe selbst,« versetzte Hurry, der jetzt die Unbesonnenheit fühlte, deren er sich schuldig gemacht; »diese ward auf meiner eignen Schulter abgefeuert.«
»Ich besorgte, es komme von den französischen Indianern her; immerhin kann es sie aufmerksam machen, und ein Mittel für sie seyn, uns zu entdecken. Ihr thatet übel, in Kriegszeiten zu feuern, wenn nicht der Fall dringend war.«
»So fange ich an selbst zu denken, Oheim Tom; und doch, wenn Einer sich nicht getrauen darf, seine Büchse abzuschießen in einer Wildniß von tausend Geviertmeilen, damit nicht irgend ein Feind es höre: was nützt es, eine zu tragen?«
Hutter hielt jetzt eine lange Berathung mit seinen beiden Gästen, worin die Betheiligten zu einem richtigen Begriff von ihrer Lage gelangten. Er erklärte, welche Schwierigkeit der Versuch haben würde, die Arche im Dunkel aus einem so engen und raschen Fluß herauszubringen, ohne ein Geräusch, das unfehlbar das Ohr der Indianer erreichen und sie aufmerksam machen müßte. Die etwa in der Nachbarschaft Herumstreifenden würden sich in der Nähe des Flusses oder des See's halten; aber jener hatte an vielen Stellen des Ufers morastige Stellen, und war so gekrümmt und so von Buschwerk eingefaßt, daß es bei Tag ganz wohl möglich war, Bewegungen darauf zu machen, ohne viel Gefahr, gesehen zu werden. Mehr war vielleicht vom Ohr zu besorgen, als vom Auge, zumal so lange sie sich in den kurzen, engen, überdachten Strecken des Flusses befanden.
»Ich begebe mich nie in diesen Versteck, der für meine Fallen sehr günstig gelegen, und vor neugierigen Augen sicherer ist als der See, ohne für Mittel zu sorgen, auch wieder heraus zu kommen,« fuhr der seltsame Mann in seiner Auseinandersetzung fort, »und das geschieht leichter durch Ziehen und Zucken, als durch Rudern und Rucken. Mein Anker liegt oberhalb der Ausströmung im offnen See; und hier ist, wie Ihr seht, ein Seil, uns dorthinauf zu ziehen. Ohne ein solches Mittel wäre es für Ein Paar Hände ein schweres Stück Arbeit, ein Fahrzeug wie dieses stromaufwärts zu bringen. Auch habe ich eine Art Hebebock, der gelegentlich das Ziehen erleichtert. Jude kann das Ruder am Hintertheil so gut handhaben wie ich selbst; und wenn wir keinen Feind fürchten, macht es uns wenig Mühe und Sorge, aus dem Fluß heraus zu kommen.«
»Was würden wir gewinnen, Meister Hutter, durch eine Aenderung unserer Stellung?« fragte Wildtödter mit großem Ernst; »dieß hier ist ein sichrer Versteck, und vom Innern dieser Cajüte aus ließe sich eine tüchtige Vertheidigung bewerkstelligen. Ich habe noch nie an einem Gefecht Theil genommen, außer in Ueberlieferungen; aber mir scheint, wir könnten mit solchen Palisaden vor uns, wie diese, zwanzig Mingo's zurückschlagen.«
»Ja, ja, Ihr habt nie an Gefechten Theil genommen, außer in Überlieferungen, das ist klar genug, junger Mann! Habt Ihr je eine so breite Wasserfläche wie die dort oben gesehen, ehe Ihr mit Hurry hieher kamet?«
»Das kann ich allerdings nicht behaupten,« antwortete Wildtödter bescheiden. »Die Jugend ist die Zeit zu lernen; und ich bin weit entfernt von dem Wunsche, meine Stimme im Rath zu erheben, ehe sie durch Erfahrung dazu berechtigt ist.«
»Gut denn, ich will Euch die Nachtheile des Fechtens in dieser Stellung erklären, und den Vortheil, den offnen See zu gewinnen. Hier, könnt Ihr sehen, wüßten die Wilden, wohin jeden Schuß zielen; und es wäre eine zu verwegene Hoffnung, daß nicht einige ihren Weg durch die Lücken der Dielen finden sollten. Und wir dagegen hätten auf Nichts zu zielen, als auf einen Wald. Dann sind wir auch hier nicht sicher vorm Feuer, und die Borke dieses Dachs ist nicht viel besser als eben so viel Kienholz. Auch könnte man in meiner Abwesenheit in das Castell eindringen und es plündern, und alle meine Besitzthümer überfallen und zerstören. Einmal auf dem See können wir nur in Booten oder auf Flößen angegriffen werden – haben alle Vortheile über den Feind – und können das Castell mit der Arche schützen. Versteht Ihr diese Gründe, mein Junge?«
»Es klingt gut; ja, es klingt vernünftig; und ich will nicht widersprechen.«
»Nun gut, alter Tom,« schrie Hurry, »wenn wir einmal von der Stelle wollen, je eher wir den Anfang machen, desto eher werden wir wissen, ob wir unsre Skalpe als Nachtmützen behalten, oder nicht.«
Da dieser Vorschlag für sich deutlich war, bestritt Niemand seine Richtigkeit. Nach einer kurzen vorgängigen Erörterung trafen jetzt die drei Männer allen Ernstes ihre Vorbereitungen, die Arche in Bewegung zu setzen. Die leichten Befestigungen waren rasch gelöst, und durch Ziehen an dem Taue ward die schwerfällige Masse langsam aus dem Versteck herausgewunden. Sobald sie von den Hemmungen durch die Zweige frei war, glitt sie in den Fluß, ganz dicht an dem westlichen Ufer hinstreifend, vermöge der Gewalt der Strömung. Keine Seele an Bord hörte das Prasseln der Zweige, als die Cajüte an den Büschen und Bäumen des westlichen Ufers anstieß, ohne ein Gefühl von Unbehagen; denn Niemand wußte, in welchem Augenblick oder an welcher Stelle ein versteckter, mörderischer Feind sich zeigen dürfte. Vielleicht trug das dämmernde Licht, das noch durch das Laubdach oben sich durchkämpfte, oder seinen Weg durch die schmale, bandartige Oeffnung fand, welche in der Luft oben den Lauf des unten strömenden Flusses zu bezeichnen schien, dazu bei, den Anschein von Gefahr zu vermehren; denn es war fast nur eben hinreichend, die Gegenstände sichtbar zu machen, ohne auf Einen Blick ihre Umrisse erkennen zu lassen. Obgleich die Sonne noch nicht ganz untergegangen war, hatte sie doch ihre unmittelbaren Strahlen vom Thal zurückgezogen; und die Tinten des Abends begannen schon die unbedeckt liegenden Gegenstände zu überschweben, während, was im Schatten der Wälder lag, dadurch noch trüber und düsterer wurde.
Keine Unterbrechung jedoch störte die Bewegung der Arche, und während die Männer fortwährend an dem Tau zogen, rückte sie stetig aufwärts; die große Breite der Fähre ließ sie nicht tief ins Wasser einsinken und machte, daß sie der Strömung des raschen Elements, das unter ihr hinfloß, keinen großen Widerstand entgegensetzte. Auch hatte Hutter eine Vorsichtsmaßregel angewendet, die ihn die Erfahrung gelehrt, die einem Seemann Ehre gemacht hätte, und gänzlich die Hindernisse und Widerwärtigkeiten beseitigte, welche ihnen sonst aus den kurzen Windungen des Flusses entstanden wären. Beim Hinabfahren der Arche wurden große Steine, an das Tau befestigt, mitten im Fluß versenkt, und bildeten Lokalanker, deren jeder vor dem Schleppen mittelst der weiter oben befindlichen geschützt wurde, bis der alleroberste erreicht war, der seinen Halt an dem eigentlichen Anker hatte, welcher recht im See lag. Mittelst dieser Auskunft bewegte sich die Arche aufwärts, frei und unbelästigt von den Hemmnissen des Ufers, gegen das sie sonst bei jeder Windung unvermeidlich hingetrieben, und dadurch Verlegenheiten verursacht haben würde, die Hutter allein nur mit größter Mühe oder gar nicht hätte überwinden können.
Gefördert durch diese Vorsicht und gespornt durch die Furcht, entdeckt zu werden, zogen Floating Tom und seine beiden athletischen Genossen die Arche stromaufwärts mit so großer Geschwindigkeit, als nur immer die Stärke des Taues zuließ. Bei jeder Krümmung des Flusses wurde ein Stein aus der Tiefe emporgehoben, wo sich dann die Richtung der Fähre dem weiter oben liegenden Steine zu änderte. In solcher Weise, mit diesem eigens eingerichteten Fahrwasser oder Canal, wie ein Matrose es hätte nennen können, fuhr Hutter stromaufwärts, gelegentlich mit leiser und vorsichtiger Stimme seine Freunde ermahnend, ihre Anstrengung zu verdoppeln, und dann wieder im geeigneten Falle sie warnend vor Kraftäußerungen, welche in gewissen Augenblicken durch Uebermaß des Eifers Alles gefährden konnten. Trotz ihrer langen, vertrauten Bekanntschaft mit den Wäldern fühlten sie doch Alle durch den düstern Charakter des verschatteten Flusses ihr Unbehagen vermehrt; und als die Arche die erste Windung im Susquehannah erreichte, und das Auge der breiteren Ausdehnung des See's ansichtig wurde, fühlten Alle eine Herzenserleichterung, die vielleicht Keiner gerne gestanden hätte. Hier ward der letzte Stein aus der Tiefe gehoben, und das Tau führte jetzt gerade auf den Anker zu, der, wie Hutter angegeben, über der Ausmündung des Flusses aus geworfen worden war.
»Gott sey Dank!« rief Hurry, » hier ist doch Tageslicht, und wir werden bald im Fall seyn, unsre Feinde zu sehen, wenn Wir etwas von ihnen spüren sollten.«
»Das ist Mehr, als Ihr oder irgend ein Mensch sagen kann,« brummte Hutter. »Es gibt keinen Platz, so geeignet eine Truppe zu verstecken, wie das Ufer um die Mündung; und der Augenblick, wo wir an jenen Bäumen vorbeifahren, und ins offne Wasser gelangen, wird der gefahrdrohendste Zeitpunkt seyn, weil da der Feind noch einen Versteck hat, während wir ihn verlieren. Judith, Mädchen, Du und Hetty überlaßt jetzt das Ruder sich selbst und geht in die Cajüte hinein, und hütet Euch, Eure Gesichter an einem Fenster zu zeigen; denn diejenigen, die sie erblickten, würden sich nicht dabei aufhalten, ihre Schönheit zu rühmen. Und jetzt, Hurry, wollen wir selbst in dieß äußere Gemach treten, und durch die Thüre an dem Tau ziehen, wo wir Alle wenigstens vor einem ersten Ueberfall sicher seyn werden. Freund Wildtödter, da die Strömung jetzt gelinder ist, und das Tau den erforderlichen Zug hat, so viel die Vorsicht gestattet, geht Ihr beständig von Fenster zu Fenster herum, hütet Euch aber, Euren Kopf sehen zu lassen, wenn Euch Euer Leben lieb ist. Niemand weiß, wann oder wo wir von unsern Nachbarn hören werden.«
Wildtödter gehorchte mit einer Empfindung, die Nichts von Furcht an sich hatte, wohl aber das ganze Interesse einer neuen und höchst aufregenden Situation. Zum erstenmal in seinem Leben war er in der Nähe von Feinden, oder hatte doch guten Grund dieß zu glauben, und dazu noch unter Umständen, wo das Schauderhafte indianischer Ueberfälle und Listen ihm nahe gerückt war. Als er seine Stellung an einem Fenster einnahm, fuhr die Arche gerade durch die schmalste Stelle des Flusses – den Punkt, wo das Wasser erst in das eigentliche Strombett sich ergoß, und wo die oben dicht verschlungenen Bäume das Wasser in einen Bogen von Grün sich ergießen machten; – ein diesem Lande vielleicht so eigenthümlicher, auszeichnender Zug, als in der Schweiz der Umstand, daß die Flüsse im buchstäblichen Sinne aus Kammern von Eis hervorbrechen.
Die Arche ging eben an der letzten Krümmung dieser belaubten Pforte vorbei, als Wildtödter, nachdem er Alles untersucht, was vom östlichen Ufer des Flusses zu sehen war, durch das Gemach schritt, um vom gegenüber liegenden Fenster aus nach dem westlichen zu schauen. Seine Ankunft bei dieser Oeffnung war sehr zur rechten Zeit, denn kaum hatte er sein Auge einer Spalte genähert, als sich ihm ein Anblick darbot, der eine so junge und unerfahrene Schildwache wohl bestürzen konnte. Ein junger Baum beugte sich über das Wasser beinah in einem Halbzirkel, der zuerst zum Licht emporgewachsen, dann von der Wucht des Schnees diese gedrückte Stellung angenommen hatte, – ein Umstand, den man in den amerikanischen Wäldern häufig findet. Auf diesem Baum waren bereits nicht weniger als sechs Indianer erschienen, und Andre standen bereit, ihnen zu folgen, sobald Raum würde; Alle waren sichtlich gemeint, auf dem Stamm herauszulaufen und auf das Dach der Arche zu springen, so wie diese unten vorbeiführe. Dieß wäre nicht schwierig auszuführen gewesen, da die Beugung des Baumes das Schreiten darauf erleichterte, die Aeste in der Nähe den Händen Halt genug gaben, und der Fall zu unbedeutend war, um Besorgniß einzuflößen. Als Wildtödter zuerst diese Truppe erblickte, trat sie gerade aus dem Versteck hervor, und stieg an dem Baum empor, da, wo er der Erde am nächsten und bei weitem am schwierigsten zu übersteigen war; und seine Bekanntschaft mit den Sitten der Indianer zeigte ihm auf Einen Blick, daß sie Alle in ihrer Kriegsbemalung waren, und einem feindlichen Stamm angehörten.
»Zieht, Hurry,« schrie er, »zieht, so lieb Euch Euer Leben und Judith Hutter ist! Zieht, Mann! zieht!«
Dieser Aufruf erging an einen Mann, der, wie Wildtödter wußte, Riesenkräfte besaß. Er war so ernst und feierlich, daß Hutter und March wohl fühlten, er sey nicht umsonst ergangen, und sie strengten in Einem Augenblick zugleich alle ihre Kräfte an dem Tau an, und in einem höchst kritischen Zeitpunkt: die Fähre verdoppelte ihre Bewegung, und schien unter dem Baum weg zu gleiten, als wüßte sie, welche Gefahr über ihr schwebte. Die Indianer, bemerkend, daß sie entdeckt waren, stießen ihr fürchterliches Kriegsgeheul aus, eilten auf dem Baume vorwärts, und sprangen verzweifelten Muthes auf ihre sicher geglaubte Beute los. Es waren ihrer sechs auf dem Baum, und Alle machten den Versuch. Alle, außer dem Anführer, fielen in den Fluß, mehr oder minder entfernt von der Arche, je nachdem sie früher oder später an den Platz des Absprungs kamen. Der Häuptling, der den gefährlichen ersten Posten eingenommen, und so früher zum Sprung kam als die Uebrigen, erreichte noch die Fähre gerade am Hintertheil. Der Sprung wurde so ziemlich höher als er vermuthet hatte, er ward leicht betäubt, und blieb einen Augenblick halb gebeugt und seiner Lage nicht recht bewußt. In diesem Augenblick stürzte Judith aus der Cajüte hervor, ihre Schönheit noch erhöht durch die Aufregung dieses kecken Beginnens, wodurch ihre Wange von hohem Purpur überzogen wurde, und all ihre Kraft mit gewaltiger Anstrengung zusammenraffend, stieß sie den Eindringling über den Rand der Fähre hinaus, kopfüber in den Fluß. Nicht sobald hatte sie diese entschlossene That ausgeführt, als das Weib wieder sein Recht behauptete; Judith schaute über den Spiegel hinaus, um zu sehen, was aus dem Manne geworden, und der Ausdruck ihrer Augen milderte sich zur Theilnahme; dann flammte ihre Wange, halb vor Schaam, halb vor Ueberraschung über ihre eigne Verwegenheit; und dann lachte sie in ihrer lustigen und holdseligen Art. Alles dieß ging in weniger als einer Minute vor, als sich der Arm Wildtödters um ihren Leib schlang, und sie sich rasch unter den Schutz der Cajüte zurückgezogen sah. Dieser Rückzug geschah nicht zu bald. Kaum waren Beide in Sicherheit, als der Wald sich mit gellendem Geschrei erfüllte, und Kugeln an die Planken zu schlagen anfingen.
Da die Arche diese ganze Weile her sich rasch bewegt hatte, war sie, nachdem diese Ereignisse vorüber, schon der Gefahr der Verfolgung entgangen; und die Wilden hörten, sobald der erste Ausbruch ihres Zorns vorüber, auf, zu feuern, in der Ueberzeugung, daß sie ihre Munition vergeblich verschwendeten. Als die Arche an ihren Anker herankam, lichtete Hutter diesen so, daß er den Gang von jener nicht störte; und da sie jetzt außer dem Bereich der Strömung sich befanden, setzte das Fahrzeug seine Richtung fort, bis sie ganz im offenen See waren, obwohl noch dem Land so nahe, daß es gefährlich gewesen wäre, sich einer Büchsenkugel bloß zu stellen. Hutter und March holten zwei kleine Ruderschaufeln hervor, und unter dem Schutz der Cajüte drängten sie bald die Arche weit genug von dem Ufer weg, um ihren Feinden alle Lust zu einem weitern Versuch, ihnen ein Leid zuzufügen, zu benehmen.