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An zwei Steintafeln, vor ihr hingebreitet,
Lehnt ihre Brust sie, härter selbst als Stein; Da schlief der Richter, der den Lohn bereitet Dem Unrecht und dem Recht mit Trost und Pein; Da hing all unsrer Schulden Buch und Schein, Drauf Gut, Bös, Leben, Tod war angeschrieben; So rein ist nie ein sterblich Herz geblieben, Dem Lesung dieses Buchs nicht Angstschweiß ausgetrieben. |
Giles Fletcher. |
»Wir haben etwas Unbesonnenes gethan, Schlange – ja, Judith, wir haben Etwas Unbesonnenes gethan, daß wir ohne einen andern Zweck, als Eitelkeit, tödteten,« rief Wildtödter, als der Delaware den gewaltigen Vogel an den Flügeln emporhielt, während dieser die sterbenden Augen auf seine Feinde geheftet hielt mit jenem Blick, welchen die Hülflosen immer auf ihre Verderber werfen. »Es ziemte mehr zwei Knaben, ihr Gelüste in dieser unbesonnenen Weise zu büßen, als zwei Männern auf dem Kriegspfad, wenn es auch ihr erster ist. Ach Gott! nun, zur Strafe will ich Euch sogleich verlassen, und wenn ich mich allein bei den blutgierigen Mingo's sehe, ist es mehr als wahrscheinlich, daß ich Gelegenheit finden werde, zu bedenken, daß das Leben süß ist, selbst den Thieren des Waldes und den Vögeln der Luft. Da, Judith, da ist Killdeer; nehmt ihn wieder zurück, und bewahrt ihn auf für eine Hand, die würdiger ist, ein solches Gewehr zu besitzen.«
»Ich weiß keine, die so würdig ist, als die Eurige, Wildtödter,« versetzte hastig das Mädchen; »keine als die Eurige soll die Büchse haben.«
»Wenn es auf die Geschicklichkeit ankäme, möchtet Ihr schon Recht haben, Mädchen, aber wir sollten wissen, wann Feuerwaffen gebrauchen und nicht blos wie. Ich habe das Erste noch nicht gelernt, wie es scheint, so behaltet die Büchse, bis ich es habe. Der Anblick eines sterbenden und gequälten Geschöpfes, wenn es auch nur ein Vogel ist, bringt einen Mann auf heilsame Gedanken, der nicht weiß, wie bald sein eignes Stündlein kommen mag, und der ziemlich sicher voraus sieht, daß es vor Sonnenuntergang kommen wird; ich wollte alle meine eiteln Empfindungen, und meinen Stolz auf Hand und Auge hingeben, wenn nur dieser arme Adler wieder auf seinem Horst bei seinen Jungen wäre, den Herrn preisend, wie wir Allem nach annehmen müssen, für seine Gesundheit und Stärke!«
Die Zuhörenden waren betroffen über diesen Ausbruch plötzlicher Reue bei dem Jäger, und dazu noch über eine so gewöhnliche, wenn schon unbesonnene und gewissermaßen muthwillige That, daß die Menschen sich selten dabei aufhalten, ihre Folgen zu erwägen, oder die physischen Leiden, welche sie dem hülflosen, verfolgten Geschöpf zuzieht. Der Delaware verstand, was Jener sagte, obwohl schwerlich die Gefühle, aus welchen jene Worte hervorgingen, und um die Bedenklichkeit zu beseitigen, zog er sein scharfes Messer und trennte den Kopf des armen Vogels vom Rumpfe.
»Was ist es doch um die Macht!« fuhr der Jäger fort, »und was ist es darum, sie zu haben, und nicht zu wissen, wie sie benützen! Es ist kein Wunder, Judith, daß die Mächtigen so oft ihren Pflichten untreu werden, wenn es selbst den Geringen und Niedrigen so hart ankommt, zu thun was Recht ist, und zu unterlassen, was Unrecht ist. Und dann, wie Eine üble Handlung andre nach sich zieht! Wäre jetzt nicht dieser mein Urlaub, der mich bald zu den Mingo's zurückführt, so würde ich dieser Creatur Nest finden, wenn ich vierzehn Tage die Wälder durchstreifte – obgleich ein Adlernest bald gefunden ist von Solchen, welche des Vogels Natur verstehen – aber ich würde eher vierzehn Tage herumstreifen, als ablassen es zu suchen, nur um auch den Jungen ihr Leiden abzukürzen.«
»Es freut mich, das von Euch zu hören, Wildtödter,« bemerkte Hetty, »und Gott wird eher Eure Betrübniß über Eure That ansehen, als die Sünde selbst. Ich dachte, wie sündhaft es sey, harmlose Vögel zu tödten, gerade während Ihr schosset, und wollte es Euch sagen; aber ich weiß nicht, wie es kam – ich war so begierig, zu sehen, ob Ihr einen Adler in solcher Höhe treffen könntet, daß ich ganz vergaß zu sprechen, bis das Unheil geschehen war.«
»Das ist es; das ist es gerade, meine gute Hetty. Wir können Alle unsre Fehler und Verirrungen sehen, wenn es zu spät ist, sie ungeschehen zu machen! Indeß, ich bin froh, daß Ihr Nichts gesagt, denn ich glaube, in jenem Augenblick gerade hätten auch ein paar Worte mich nicht abgehalten; und so blieb die Sünde doch nur in ihrer einfachen Nacktheit, und nicht noch erschwert durch Nichtachtung von abmahnenden Warnungen. Nun, nun, bittere Gedanken sind immer eine schwere Last, aber zu gewissen Zeiten eine noch schwerere als sonst.«
Wenig ahnte Wildtödter, während er so Gefühlen sich hingab, die dem Manne so natürlich und so streng im Einklang mit seinen unverfälschten und richtigen Grundsätzen waren, daß nach dem Plane der unerforschlichen Vorsehung, welche so gleichmäßig und doch so geheimnißvoll alle Begebenheiten mit ihrem Mantel bedeckt, eben der Fehler, wegen dessen er sich zu streng zu tadeln geneigt war, das Mittel werden sollte, sein Schicksal auf Erden zu bestimmen. Die Art, wie, und den Augenblick, wo er die Wirkung dieses Vorfalls zu fühlen bekam, anzugeben, wäre hier zu frühe; man wird dieß im Laufe der folgenden Kapitel erfahren. Der junge Mann aber verließ jetzt langsam die Arche, wie Einer, der sich über seine Missethaten bekümmert, und setzte sich schweigend auf der Plattform nieder. Mittlerweile war die Sonne schon ziemlich hoch gestiegen, und ihre Erscheinung, zusammen genommen mit seinen dermaligen Empfindungen, bestimmte ihn, sich zum Weggehen anzuschicken. Der Delaware setzte das Canoe für seinen Freund in Bereitschaft, sobald er seine Absicht erfuhr, und Hist war geschäftig, die wenigen Vorkehrungen zu treffen, die man für seine Behaglichkeit nothwendig erachtete. Alles dieß geschah ohne Schaustellung von Gefühlen, aber in einer solchen Weise, daß Wildtödter die Beweggründe völlig erkannte und ebenso geneigt war, sie zu würdigen. Nachdem Alles fertig war, kehrten Beide zu Judith und Hetty zurück, deren Keine sich von der Stelle gerührt hatte, wo der junge Jäger saß.
»Die besten Freunde müssen sich oft trennen,« begann der Letztere, als er die ganze Gesellschaft um ihn her gruppirt sah. «Ja, Freundschaft kann Nichts ändern an den Wegen der Vorsehung; und mögen unsre Gefühle seyn welche sie wollen, wir müssen scheiden. Ich habe oft gedacht, es gebe Augenblicke, wo unsre Worte länger im Gemüthe haften als gewöhnlich, und wo man eines Rathes eingedenk bleibt, gerade weil der Mund, der ihn gibt, schwerlich ihn wieder geben wird. Niemand weiß, was in der Welt sich zutragen mag! und daher mag es gerathen seyn, wenn Freunde sich trennen in der wahrscheinlichen Aussicht, daß die Trennung lange währen kann – daß sie sich ein paar freundliche Worte sagen als eine Art von Angedenken. Wenn Alle bis auf Eines in die Arche treten wollen, will ich mit Jedem der Reihe nach sprechen, und was Mehr ist, auch anhören, was Ihr zur Erwiederung etwa zu sagen habt; denn das ist ein elender Rathgeber, der nicht ebenso auch nähme, wie gäbe.«
Da man die Absicht des Redenden verstand, entfernten sich sogleich nach seinem Wunsche die beiden Indianer, die beiden Schwestern aber blieben noch bei dem jungen Manne stehen. Ein Blick Wildtödters veranlaßte Judith, sich zu äußern.
»Ihr könnt Hetty Euern Rath ertheilen während Ihr landet,« sagte sie hastig; »ich habe den Plan, daß sie Euch an die Küste begleite.«
»Ist das klug, Judith? Es ist wahr, daß unter gewöhnlichen Umständen ein schwacher Geist ein großer Schirm und Schutz ist unter den Rothhäuten; aber wenn ihre Gefühle aufgeregt und sie auf Rache erpicht sind, ist schwer zu sagen, was geschehen mag. Zudem –«
»Was wollt Ihr sagen, Wildtödter?« fragte Judith, deren Weichheit in Benehmen und Stimme beinahe bis zur Rührung und Zärtlichkeit stieg, obgleich sie kräftig kämpfte, ihre Gemüthsbewegungen und Besorgnisse niederzuhalten.
»Nun, weiter Nichts, als daß es Anblicke und Thaten gibt, von welchen selbst eine so wenig mit Vernunft und Gedächtniß Begabte, wie Hetty hier, besser nicht Zeugin ist. So würdet Ihr wohl thun, Judith, mich allein landen zu lassen und Eure Schwester zurück zu behalten.«
»Seyd ohne Sorge um mich, Wildtödter,« fiel Hetty ein, welche genug von der Besprechung verstand, um ihre Abzweckung im Allgemeinen zu begreifen: »ich bin schwachsinnig, und das, sagen sie, ist ein Vorwand, überall hin zu gehen; und was dadurch nicht entschuldigt, das würde übersehen werden in Betracht der Bibel, die ich immer mit mir führe. Es ist wunderbar, Judith, wie alle Arten von Menschen, die Fallensteller wie die Jäger, Rothe wie Weiße, Mingo's wie Delawaren, die Bibel fürchten und ihr Ehrfurcht beweisen.«
»Ich denke, Du hast nicht den mindesten Grund, eine Mißhandlung zu befürchten, Hetty,« versetzte die Schwester, »und daher werde ich darauf bestehen, daß Du mit unserm Freund ins Lager der Huronen gehst. Daß Du dorthin gehst, kann Dir selbst keinen Schaden bringen, und könnte für Wildtödter sehr nützlich seyn.«
»Dieß ist kein Augenblick zum Streiten, Judith; und so sollt Ihr in der Sache Euern Willen haben,« versetzte der junge Mann. »Macht Euch fertig, Hetty, und geht in das Canoe, denn ich habe Eurer Schwester ein paar Abschiedsworte zu sagen, die Euch Nichts helfen können.«
Judith und ihr Genosse blieben schweigend, bis Hetty gehorcht und sie allein gelassen hatte, worauf Wildtödter den Gegenstand aufnahm, als ob er durch ein gewöhnliches Begebniß wäre unterbrochen worden, und in sehr bündiger Weise.
»Worte, die man beim Abschied spricht, und die vielleicht die letzten sind, die man von einem Freunde hört, vergißt man nicht sobald,« wiederholte er, »und so, Judith, gedenke ich zu Euch zu sprechen wie ein Bruder, angesehen, daß ich nicht alt genug bin, Euer Vater zu seyn. Erstlich wünsche ich Euch zu warnen vor Euern Feinden, von welchen zwei, kann man sagen, sich an Eure Fersen heften und Euern Weg besetzt halten. Der erste ist: ungewöhnlich gutes Aussehen, was ein so gefährlicher Feind für manches junge Weib ist, als ein ganzer Schwarm Mingo's, und große Wachsamkeit erheischt, nicht in Bezug auf Bewunderung und Preis, sondern auf Mißtrauen und Täuschung. Ja, gutes Aussehen kann durch Täuschung berückt und auch überlistet werden. Um dieß zu begreifen, dürft Ihr Euch nur erinnern, daß es schmilzt, wie der Schnee, und einmal dahin, kehrt es nie wieder. Die Jahrszeiten kommen und gehen, Judith, und wenn wir Winter haben, mit Sturm und Kälte, und Frühling, mit Frösten und entlaubten Bäumen, haben wir auch Sommer, mit seiner Sonne und prächtigem blauem Himmel, und Herbst mit seinen Früchten, und einem Gewand, über den Wald ausgebreitet, wie es keine Schönheit der Stadt in allen Läden Amerika's zusammensuchen könnte. Die Erde ist in einem ewigen Kreislauf begriffen, und die Güte Gottes führt wieder das Angenehme zurück, wenn wir des Unangenehmen Genug gehabt haben. Aber nicht ebenso ist es mit dem guten Aussehen. Das ist nur für eine kurze Zeit in der Jugend verliehen, um benutzt und nicht mißbraucht zu werden: und da ich nie ein Mädchen sah, gegen das die Vorsehung so gütig gewesen wäre, wie gegen Euch, Judith, in diesem Punkte, warne ich Euch, gleichsam mit dem letzten Hauche meines Mundes, daß Ihr Euch hütet vor dem Feinde; Freund oder Feind, je nachdem wir mit der Gabe umgehen.«
Es war Judith so angenehm, diese unzweideutige Anerkennung ihrer persönlichen Reize zu vernehmen, daß sie dem Manne, aus dessen Munde sie kam, er hätte seyn mögen wer er wollte, Viel verziehen hätte. Aber in diesem Augenblick, und in Kraft eines weit edleren Gefühls von ihrer Seite, wäre es für Wildtödter sehr schwer gewesen, sie ernstlich zu beleidigen; und sie lieh ihm mit einer Geduld ihr Ohr, von welcher zu hören sie, wenn man ihr nur acht Tage zuvor dieß hätte vorhersagen wollen, mit Entrüstung sich würde gesträubt haben.
»Ich verstehe Eure Meinung, Wildtödter,« versetzte das Mädchen mit einer Milde und Demuth, welche den Andern ein Wenig überraschte, »und hoffe mir, was Ihr sagt, zu Nutze machen zu können. Aber Ihr habt nur Einen der Feinde genannt, die ich zu fürchten habe; Wer, oder Was, ist der andere.«
»Der andere entweicht vor Eurem guten Verstand und Urtheil, wie ich finde, Judith; ja, er ist nicht so gefährlich, wie ich dachte. Indeß, da ich einmal den Gegenstand berührt habe, ist es wohl das Beste, redlich Alles zu Ende zu sagen. Der erste Feind, gegen den Ihr wachsam seyn müßt, wie ich Euch schon gesagt, Judith, ist ein ungewöhnlich gutes Aussehen, und der zweite ist: ein ungewöhnliches Bewußtseyn dieses Umstands. Wenn das erste schlimm ist, so bessert das zweite die Sache in keiner Weise, was Wohlfahrt und Seelenfrieden betrifft.«
Wie lange der junge Mann in seiner einfachen und arglosen, aber wohlgemeinten Weise noch fortgefahren haben würde, ist schwer zu sagen, wäre er nicht dadurch unterbrochen worden, daß seine Zuhörerin in Thränen ausbrach, und sich einer Gefühlsaufwallung hingab, die nur um so gewaltsamer war, mit je größerer Anstrengung sie sie bisher unterdrückt hatte. Zuerst war ihr Schluchzen so heftig und unbändig, daß Wildtödter nicht wenig erschrack, und voll Reue ward von dem Augenblick an, wo er bemerkte, wie viel größer die Wirkung seiner Worte war, als er erwartet hatte. Selbst strenge und in ihren Anmuthungen weitgehende Menschen werden gewöhnlich begütigt und befriedigt durch die Zeichen der Zerknirschung, aber Wildtödters Gemüth bedurfte gar keiner so starken Beweise von Rührung, um zum lebhaften Mitgefühl der Betrübniß des Mädchens gestimmt zu werden. Er stand auf, als hätte ihn eine Natter gestochen, und die Töne der Mutter, die ihr Kind tröstet, sind kaum sanfter und begütigender als seine Stimme und seine Worte waren, wie er jetzt seine Reue darüber aussprach, so weit gegangen zu seyn.
»Es war gut gemeint, Judith,« sagte er, »aber es war nicht die Absicht, Euch so sehr wehe zu thun. Ich habe es mit meinem Rath übertrieben, wie ich sehe; ja, ich habe es übertrieben, und ich bitte Euch deßhalb dringend um Verzeihung. Freundschaft ist ein entsetzliches Ding! Manchmal schilt sie uns, daß wir nicht Genug gethan haben; und dann wieder macht sie uns Vorwürfe, daß wir zu Viel gethan. Wie dem sey, ich gestehe, daß ich zu weit gegangen bin, und da ich eine wirkliche und lebhafte Achtung für Euch habe, erkläre ich dieß mit Freuden, insofern es beweist, wie viel besser Ihr seyd, als Euch meine Eitelkeit und Einbildung dafür hielt.«
Jetzt zog Judith die Hände von ihrem Angesicht zurück, ihre Thränen hatten aufgehört, und sie ließ eine so gewinnende Miene blicken mit dem Lächeln, das sie wahrhaft strahlend machte, daß der junge Mann sie einen Augenblick mit sprachlosem Entzücken anstarrte.
»Sagt Nichts weiter, Wildtödter,« entgegnete sie hastig, »es peinigt mich, wenn ich höre, wie Ihr Euch selbst tadelt. Ich erkenne meine Schwäche nur um so besser, nunmehr ich sehe, daß Ihr sie entdeckt habt; die Lehre, so bitter ich sie einen Augenblick empfunden habe, soll nicht vergessen werden. Wir wollen nicht länger von diesen Dingen sprechen, denn ich fühle mich nicht stark genug dazu, und ich möchte nicht, daß der Delaware, oder Hist, oder auch Hetty meine Schwäche bemerkten. Fahrt wohl, Wildtödter! möge Gott Euch segnen und schützen, wie Euer redliches Herz Segen und Schutz verdient, und wie ich es zuversichtlich hoffe!«
Judith hatte so weit wieder die Ueberlegenheit gewonnen, die eigentlich ihrer bessern Bildung, ihrem hochfliegenden Geiste und ihren ausnehmenden persönlichen Vorzügen zukam, daß sie die so zufällig erlangte Gewalt über den Andern behauptete, und wirklich jedes Zurückkommen auf einen Gesprächsgegenstand verhinderte, der eben so seltsam war unterbrochen, als seltsam eingeleitet worden. Der junge Mann ließ ihr ganz ihren Willen, und als sie seine harte Hand mit ihren beiden Händen drückte, widersetzte er sich nicht, sondern ergab sich in diese Huldigung so ruhig und mit einer Alles so in der Ordnung findenden Art, wie ein Fürst einen ähnlichen Tribut von einem Unterthan, oder die Geliebte von ihrem Anbeter würde hingenommen haben. Die Gefühlsaufwallung hatte das Angesicht des Mädchens geröthet und ihr ganzes Wesen erleuchtet, und ihre Schönheit war nie strahlender, als da sie dem Jüngling einen Abschiedsblick zuwarf. Dieser Blick war voll ängstlicher Besorgniß, Interesses, und zarten Mitleids. Im nächsten Augenblick flog sie in die Cajüte und ward nicht mehr gesehen; doch sprach sie von einem Fenster aus zu Hist, um ihr zu sagen, daß ihr Freund sie jetzt erwarte.
»Ihr kennt Rothhaut-Natur und Rothhaut-Bräuche hinlänglich, Wah-ta!-Wah, um die Lage zu verstehen, in der ich bin in Betreff dieses Urlaubs,« begann der Jäger in der Delawarensprache, sobald das geduldige und unterwürfige Mädchen aus diesem Volke still zu ihm herangetreten war; »Ihr werdet daher am besten begreifen, wie unwahrscheinlich es ist, daß ich je wieder mit Euch rede. Ich habe nur Wenig zu sagen; aber dieß Wenige gibt mir ein langer Aufenthalt unter Eurem Volke, und genaue Beobachtung und Erkundigung seiner Gebräuche ein. Das Leben eines Weibes ist hart und mühselig im besten Falle, aber ich muß gestehen, obgleich ich nicht zu Gunsten meiner Farbe eingenommen bin, daß es härter ist unter den rothen Männern, als unter den Bleichgesichtern. Das ist ein Punkt, dessen die Christen sich wohl rühmen dürfen, wenn Rühmen und Prahlen in irgend einer Form und Weise fürs Christenthum sich geziemt, was ich jedoch bezweifle. Wie dem sey, alle Weiber haben ihre Prüfungen. Rothe Weiber haben die ihrigen in der natürlichen Weise, wie ich es nennen möchte, während sie die weißen Weiber so zu sagen inokulirt bekommen. Tragt Eure Last wie sich's geziemt, Hist, und bedenkt, wenn sie auch etwas beschwerlich seyn sollte, wie viel leichter sie doch ist als die der meisten Indianerinnen. Ich kenne Schlange wohl – was ich nennen darf: von Herzen, und er wird nie ein Tyrann seyn gegen Jemand, den er liebt, obwohl er erwarten wird, selbst als Mohikan'scher Häuptling behandelt zu werden. Es werden wolkige Tage über Eure Hütte kommen, denke ich mir, denn die treten ein bei allen Gebräuchen und unter allen Völkern; aber wenn man die Fenster des Herzens offen hält, wird immer Raum für den Sonnenschein bleiben, hineinzudringen. Ihr selbst seyd der Abkömmling eines großen Stammes, und so Chingachgook auch. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß je Eines diesen Umstand vergessen und Etwas, Eure Voreltern Entehrendes thun sollte. Aber dennoch, die Neigung ist eine zarte Pflanze, und gedeiht nie lange, wenn sie mit Thränen begossen wird. Laßt die Erde um Euer eheliches Glück herum von dem Thau der Freundlichkeit befeuchtet werden!«
»Mein bleicher Bruder ist sehr weise; Wah wird in ihrem Herzen Alles bewahren, was seine Weisheit ihr sagt.«
»Das ist einsichtig und weiblich gesprochen, Hist, Aufmerksamkeit beim Anhören eines guten Raths, und Kraft und Beharrlichkeit in der Befolgung, das ist der große Schutz eines Weibes. Und jetzt bittet Schlange, herzukommen und einen Augenblick mit mir zu sprechen, und nehmt mit Euch alle meine besten Wünsche und Gebete. Ich werde an Euch denken, Hist, und an Euern künftigen Gatten, geschehe was da wolle, und Euch Gutes gönnen hier und Jenseits, sey nun das letztere nach den Ideen der Indianer, oder nach der christlichen Lehre gestaltet.«
Hist vergoß keine Thränen beim Abschied. Sie ward aufrecht erhalten durch die hochsinnige Entschlossenheit eines über seine Handlungsweise entschiedenen Gemüthes; aber ihre dunkeln Augen leuchteten von den Gefühlen, die in ihrem Innern glühten, und ihr hübsches Gesicht strahlte in einem Ausdruck von Entschlossenheit, der in auffallendem und eigenthümlichem Contrast zu seiner gewöhnlichen Sanftheit stand. Es stand nur eine Minute an, bis der Delaware mit dem leichten, geräuschlosen Tritt eines Indianers zu seinem Freund herantrat.
»Kommt hieher, Schlange, hieher, mehr den Weibern aus dem Gesicht,« begann Wildtödter, »denn ich habe Euch Einiges zu sagen, was nicht einmal geargwohnt, viel weniger gehört werden darf. Ihr versteht die Natur der Urlaube und der Mingo's zu gut, um darüber im Zweifel und in der Ungewißheit zu seyn, was geschehen wird, wenn ich in das Lager zurückkehre. Ueber die zwei Punkte daher werden wenige Worte weit ausreichen. Erstlich, Häuptling, wünsche ich Euch Etwas zu sagen über Hist, und über die Weise, wie Ihr rothen Männer Eure Weiber behandelt. Ich denke, es ist den Gaben Eures Volkes gemäß, daß die Weiber arbeiten und die Männer jagen; aber es gibt in allen Dingen ein Maß und Ziel. Was das Jagen betrifft, so sehe ich keinen Grund, warum dem sollten Grenzen gesteckt werden, aber Hist kommt von einem zu guten Stamme, als daß sie sich wie ein gemeines Weib placken sollte. Einem von Euern Mitteln und Euerm Stand kann es nie an Korn, oder Kartoffeln, oder irgend Etwas fehlen, was das Feld trägt; daher hoffe ich, wird nie Euer Weib die Hacke in die Hand nehmen müssen. Ihr wißt, ich bin nicht ganz ein Bettler, und Alles was ich habe, an Munition, Häuten, Waffen oder Caliko's schenke ich an Hist, sollte ich nicht zu Ende des Sommers zurückkommen, um es anzusprechen. Das wird dem Mädchen auf lange Zeit zu Statten kommen und die Arbeit für sie abkaufen. Ich denke, ich brauche Euch nicht zu empfehlen, das Mädchen zu lieben, denn das thut Ihr schon, und Wen der Mann wahrhaft liebt, den wird er wohl auch gut halten und pflegen. Dennoch kann es Nichts schaden, wenn ich Euch erinnere, daß freundliche Worte nie im Herzen wurmen, wohl aber bittere. Ich weiß, Ihr seyd ein Mann, Schlange, der weniger dazu gemacht ist, in seiner Hütte zu schwatzen, als am Rathsfeuer zu sprechen; aber achtlose Augenblicke können uns Alle überraschen, und die Uebung in freundlicher Behandlung und freundlichen Worten ist ein wunderbar gutes Mittel, Frieden in einem Hause, wie auf einer Jagd zu erhalten.«
»Meine Ohren sind offen,« erwiederte der Delaware ernst; »die Worte meines Bruders sind so tief eingedrungen, daß sie nie mehr herausfallen können. Sie sind wie Ringe, die kein Ende haben, und nicht herausweichen können. Er spreche weiter; der Gesang des Zaunkönigs und die Stimme eines Freundes werden Einem nie zu Viel.«
»Ich will etwas länger sprechen, Häuptling, aber Ihr werdet es entschuldigen in Betracht alter Kameradschaft, falls ich jetzt von mir selbst rede. Wenn das Schlimmste zum Schlimmsten kommt, wird von mir schwerlich Viel mehr übrig bleiben, als Asche; somit wäre ein Grab überflüssig und eine Art Eitelkeit. Auf diesen Punkt bin ich nicht sonderlich versessen, obgleich es nicht übel wäre, die Ueberbleibsel von dem Holzstoß anzusehen, und sollten sich noch Knochen oder sonst Stücke finden, so wäre es anständiger, sie zu sammeln und zu begraben, als sie liegen zu lassen, daß die Wölfe daran nagten und darüber heulten. Diese Sachen machen am Ende keinen großen Unterschied, aber Männer von weißem Blut und christlichem Gefühl haben doch eher eine Gabe für Gräber.«
»Es soll geschehen, wie mein Bruder sagt,« versetzte der Indianer ernst. »Wenn sein Gemüth voll ist, leere er es aus in die Brust eines Freundes.«
»Dank Euch, Schlange; mein Gemüth ist leicht genug, ja, es ist ziemlich leicht. Ideen drängen sich wohl auf, an die ich freilich gewöhnlich nicht denke, es ist wahr; aber wenn ich gegen die einen ankämpfe, und den andern Luft mache, wird am Ende Alles in Ordnung kommen. Ein Ding jedoch ist, Häuptling, das mir unvernünftig scheint, und gegen die Natur, obgleich die Missionäre es als wahr gelten lassen; und bei meiner Religion und Farbe fühle ich mich verpflichtet, ihnen zu glauben. Sie sagen, ein Indianer möge den Leib martern und peinigen nach Herzensgelüsten, und skalpiren und schneiden, und reißen und brennen, und alle seine Erfindungsgabe und Teufelei aufbieten, bis Nichts übrig bleibt als die Asche, und diese nach den vier Winden des Himmels verstreuen: dennoch, wenn die Posaune Gottes erschalle, werde sich Alles wieder zusammenfinden, und der Mensch werde wieder in seinem Fleisch dastehen, dieselbe Creatur im Aussehen, wenn auch nicht im Gefühl, wie zuvor, eh' er mißhandelt worden!«
»Die Missionäre sind gute Männer; sie meinen es gut,« versetzte der Delaware höflich; »sie sind keine großen Aerzte. Sie glauben Alles, was sie sagen, Wildtödter; das ist kein Grund, daß Krieger und Redner ganz Ohr seyn sollten. Wenn Chingachgook den Vater Tamenunds in seinem Skalp und Bemalung und Kriegslocke stehen sehen wird, dann wird er den Missionären glauben.«
»Sehen ist Glauben, gewiß. Ach ja! und Einer von uns sieht vielleicht dieß Alles eher als wir gedacht hätten. Ich verstehe Eure Meinung in Betreff von Tamenunds Vater, und die Idee ist eine bündige Idee. Tamenund ist jetzt ein alter Mann, wir wollen sagen achtzig, wohlgezählt; und sein Vater ward skalpirt und gemartert, als der jetzige Prophet ein junger Bursch war. Ja, wenn man das geschehen sähe, dann wäre es nicht mehr schwer, Allem Glauben zu schenken, was die Missionäre sagen. Indeß ich bin jetzt nicht gegen ihre Ansicht; denn Ihr müßt wissen, Schlange, daß der große Grundsatz des Christenthums ist: zu glauben ohne zu sehen; und ein Mann sollte immer nach seiner Religion und seinen Grundsätzen handeln, seyen sie welche sie wollen.«
»Das ist sonderbar für eine weise Nation.« sagte der Delaware mit Nachdruck. »Der rothe Mann schaut scharf hin, um zu sehen und zu verstehen.«
»Ja, das ist plausibel und dem menschlichen Stolz angenehm, aber es ist nicht so tief als es scheint. Wenn wir Alles verständen, was wir sehen, Schlange, so wäre es nicht nur klug, sondern auch sicher, jedem Ding unsern Glauben zu versagen, das wir unbegreiflich finden; aber wo es so viele Dinge gibt, von denen wir gar Nichts zu verstehen bekennen müssen, so nützt es Wenig und hat keinen vernünftigen Grund, bedenklich zu seyn gerade in Einem Punkt. Was mich betrifft, Delaware, meine Gedanken sind nicht alle bei der Jagd gewesen, wenn wir in unsrer Jugend auf Jagd und Kundschaft auszogen. Manche Stunde habe ich ganz angenehm zugebracht mit dem, was man bei meinem Volke Beschaulichkeit nennt. Bei solchen Gelegenheiten ist der Geist thätig, obschon der Körper träg und gleichgültig scheint. Ein offner Platz auf einem Berg, wo man Erde und Himmel weithin übersieht, ist ein höchst gutgewählter Ort für einen Mann, um eine richtige Idee von der Macht Manitou's und von seiner eignen Kleinheit zu bekommen. Zu solchen Zeiten hat man keine große Neigung, sich an kleinen Schwierigkeiten im Begreifen zu stoßen, da so große da sind, sie zu verbergen. Zu solchen Zeiten kommt mich das Glauben leicht genug an; und wenn der Herr zuerst den Menschen aus Erde machte, wie sie mir sagen, daß in der Bibel geschrieben stehe, und dann im Tod ihn in Staub verwandelt, sehe ich keine große Schwierigkeit darin, daß er ihm wieder zu seinem Leibe verhilft, obgleich davon Nichts als Asche übrig geblieben. Diese Dinge liegen über unser Verständniß hinaus, wie nahe sie unsern Gefühlen liegen mögen, und wirklich liegen. Aber von allen Lehren, Schlange, ist, die mich am meisten stört und mein Gemüth in Unruhe versetzt, diejenige, welche uns glauben heißt: ein Bleichgesicht komme in einen Himmel, und eine Rothhaut in einen andern; sie möchte im Tod diejenigen trennen, die viel zusammen lebten, und einander im Leben herzlich liebten.«
»Lehren die Missionäre ihre weißen Brüder dieß glauben?« fragte der Indianer mit gemessenem Ernst. »Die Delawaren glauben, daß gute Männer und tapfere Krieger mit einander jagen werden in denselben luftigen Wäldern, welchem Stamme sie auch angehören mögen; daß alle ungerechten Indianer und Feigen mit den Hunden und Wölfen herumkriechen müssen, um Wildpret für ihre Hütten zu bekommen.«
»Es ist wunderbar, wie mancherlei Einbildungen die Menschen haben, Glück und Elend betreffend in einem andern Leben!« rief der Jäger aus, hingerissen von der Macht seiner eignen Gedanken. »Einige glauben an Feuer und Flammen, und Andere halten es für Strafe, mit den Wölfen und Hunden zu essen. Dann wieder bilden sich Einige ein, der Himmel sey nur die Befriedigung ihrer irdischen Wünsche, während Andere ihn sich ganz voll Gold und glänzender Lichter denken! Nun, ich habe meine eigne Idee in dieser Sache, Schlange, und zwar diese. So oft ich Unrecht gethan, habe ich in der Regel gefunden, daß es von einer Blindheit des Geistes herrührte, welche mich hinderte, das Rechte zu sehen und wenn das Gesicht wieder gekehrt war, dann kam Kummer und Reue. Nun bilde ich mir ein, daß nach dem Tod, wenn der Körper abgelegt, oder, wenn überhaupt noch gebraucht, gereinigt und von seinen Bedürfnissen und Wünschen befreit ist, der Geist alle Dinge in ihrem wahren Licht sieht, und nie gegen Wahrheit und Gerechtigkeit blind wird. Wenn dieß der Fall, schaut man Alles, was man im Leben gethan, so klar, wie die Sonne am Mittag; das Gute bringt Freude, und das Böse Kummer. Daran ist nichts Unvernünftiges, sondern es ist der Erfahrung jedes Menschen gemäß.«
»Ich glaubte, die Bleichgesichter hielten alle Menschen für Sünder, Wer soll dann je den Himmel der Weißen finden?«
»Das ist sinnreich, aber es trifft nicht mit den Lehren der Missionäre zusammen. Ihr werdet eines Tags, ich zweifle nicht, ein Christ werden, und dann wird Euch Alles klar einleuchten. Ihr müßt wissen, Schlange, daß eine große That der Rettung und Erlösung vollbracht worden ist, die mit Gottes Hülfe alle Menschen in Stand setzt, Vergebung zu finden für ihre Sündhaftigkeit, und das ist das Wesentliche der Religion der Weißen. Ich kann mich nicht aufhalten, weitläuftiger hierüber mit Euch zu sprechen, denn Hist wartet im Canoe, und der Urlaub ruft mich weg; aber die Zeit wird, hoffe ich, kommen, wo Ihr das fühlen werdet; denn gefühlt muß es am Ende doch werden, mehr als mit dem Verstande ergründet. Ach weh! nun, Delaware, da ist meine Hand. Ihr wißt, es ist die eines Freundes, und werdet sie als solche schütteln, obgleich sie Euch nicht halb so viel Gutes erwiesen, als ich gewünscht hätte!«
Der Indianer ergriff die dargebotene Hand, und erwiederte den Druck mit Wärme. Dann wieder seinen erworbenen Stoicismus annehmend, den man so häufig für angeborne Gleichgültigkeit hielt, stand er mit Fassung und Zurückhaltung auf, und schickte sich an, von seinem Freunde mit aller Würde sich zu trennen. Wildtödter jedoch war natürlicher; und er hätte sich wohl gar Nichts daraus gemacht, seinen Gefühlen ganz freien Lauf zu lassen, hätte ihn nicht das Benehmen und die Sprache Judiths vor einer kleinen Weile mit geheimer, obwohl unbestimmter Besorgniß vor einer Scene erfüllt. Er war zu bescheiden, um die Wahrheit hinsichtlich der wahren Gefühle dieses schönen Mädchens zu ahnen, während er zu gut beobachtete, als daß er nicht ihren innern Kampf hätte bemerken sollen, der sie so oft einer Entdeckung ihres Geheimnisses so nahe gebracht hatte. Daß etwas Außerordentliches in ihrer Brust sich verberge, war ihm augenfällig genug; und vermöge eines männlichen Zartgefühls, das der feinsten und höchsten Bildung Ehre gemacht haben würde, scheute er zurück vor einer Offenbarung dieses Geheimnisses, welche später das Mädchen selbst hätte reuen können. Daher beschloß er jetzt aufzubrechen, und das ohne weitere Kundgebung von Gefühlen von seiner Seite oder von Andern.
»Gott segne Euch! Schlange – Gott segne Euch!« rief der Jäger, als das Canoe von der Plattform abstieß, »Euer Manitou und mein Gott allein weiß, wann und wo wir uns wieder sehen; ich werde es für einen großen Segen und für eine reichliche Belohnung des wenigen Guten ansehen, das ich etwa auf Erden gethan, wenn es uns vergönnt seyn wird, im andern Leben einander zu erkennen und mit einander zu verkehren, wie wir in diesen lustigen Wäldern vor uns so lange gethan haben!«
Chingachgook winkte mit der Hand – das leichte Tuch, das er trug, über den Kopf ziehend, wie ein Römer seinen Schmerz in seinen Gewändern verbarg, entfernte er sich langsam in die Arche, um allein seinem Kummer und seinen Gedanken nachzuhängen. Wildtödter sprach nicht eher wieder, als bis das Canoe halbwegs am Lande war. Dann hörte er plötzlich auf zu rudern, hiezu veranlaßt durch Hetty, welche das Schweigen mit ihrer sanften, musikalischen Stimme unterbrach.
»Warum geht Ihr zu den Huronen zurück, Wildtödter?« fragte das Mädchen. »Sie sagen, ich sei schwachsinnig, und Solchen thun sie nie ein Leid; aber Ihr habt so viel Verstand als Hurry Harry, und noch mehr, meint Judith, obgleich ich nicht einsehe, wie das möglich ist.«
»Ach, Hetty, ehe wir landen, muß ich mich noch ein Wenig mit Euch besprechen, Kind; und das über Sachen, welche vornemlich Eure Wohlfahrt betreffen. Stellt Euer Rudern ein, oder vielmehr, damit nicht die Mingo's meinen, wir machen Anschläge und Complotte, und uns darnach behandeln, taucht nur so ganz leicht Eure Schaufel ein, und gebt dem Canoe nur ganz wenig Bewegung und nicht mehr. Das ist gerade die Idee und die Bewegung. Ich sehe, Ihr seyd anstellig genug auf den Augenschein, und wäret wohl zu brauchen bei einer List und Täuschung, wenn das jetzt recht wäre, eine zu versuchen – das ist gerade die Idee und die Bewegung! Ach weh! Trug und eine falsche Zunge sind böse Sachen, und geziemen sich gar nicht für unsere Farbe, Hetty; aber es ist eine Lust und eine Genugthuung, die schlauen Ränke einer Rothhaut zu vereiteln in dem Kampf eines rechtmäßigen Kriegers. Meine Bahn ist kurz gewesen und wird wohl bald ein Ende haben; aber ich kann sehen, daß die Wanderungen eines Kriegers doch nicht ganz zwischen Gestrüppe und Schwierigkeiten hin gehen. Der Kriegspfad hat auch eine glänzende Seite, so gut wie die meisten andern Dinge, wenn wir nur die Weisheit haben, sie zu sehen, und die Großmuth, es zu gestehen.«
»Und warum sollte Euer Kriegspfad, wie Ihr es nennt, seinem Ende so nahe seyn, Wildtödter?«
»Weil, mein gutes Mädchen, mein Urlaub seinem Ende so nahe ist. Vermuthlich werden beide so ziemlich miteinander zu Ende gehen, was die Zeit betrifft – eines folgt dem andern ganz natürlich auf der Ferse.«
»Ich verstehe Eure Meinung nicht, Wildtödter,« versetzte das Mädchen, etwas verwirrt darein schauend. »Mutter sagte immer, die Leute sollten mit mir deutlicher sprechen, als mit den meisten Andern, weil ich schwachsinnig sey. Die Schwachsinnigen fassen nicht so leicht, wie die, die Verstand haben.«
»Nun denn, Hetty, die einfache Wahrheit ist diese. Ihr wißt, daß ich dermalen ein Gefangner von den Huronen bin, und Gefangene nicht in Allem nach ihrem Belieben thun können –«
»Aber wie könnt Ihr ein Gefangner seyn,« unterbrach ihn lebhaft das Mädchen, »da Ihr doch hier auf dem See seyd, in Vaters Rinden-Canoe, und die Indianer in den Wäldern, und gar kein Canoe haben? Das kann nicht wahr seyn, Wildtödter!«
»Ich wünschte von ganzem Herzen und ganzer Seele, Hetty, daß Ihr Recht hättet, und ich Unrecht, statt daß Ihr jetzt Unrecht habt, und ich der Wahrheit nur zu nahe bin. So frei ich Euren Augen scheine, Mädchen, bin ich doch in Wirklichkeit an Händen und Füßen gebunden.«
»Ha, es ist wirklich ein großes Unglück, keinen Verstand zu haben! Ich kann nun einmal nicht sehen noch verstehen, daß Ihr irgend wie ein Gefangner oder gebunden seyd. Wenn Ihr gebunden seyd, womit sind denn Eure Hände und Füße gefesselt?«
»Mit einem Urlaub, Mädchen; das ist ein Band, das fester bindet als irgend eine Kette, diese kann man brechen, aber jenen nicht. Bei Seilen und Ketten kann man sich mit Messern und Listen und Schlauheit helfen; aber ein Urlaub kann weder durchschnitten, noch durchfeilt, noch abgestreift werden.«
»Was für eine Art Ding ist denn ein Urlaub, wenn er stärker ist als Hanf oder Eisen? Ich habe noch nie einen Urlaub gesehen.«
»Ich hoffe, Ihr bekommt nie einen zu fühlen, Mädchen; das Bindende bei diesen Sachen liegt ganz in den Gefühlen, und muß daher gefühlt, nicht gesehen werden. Ihr versteht doch wohl, glaube ich, was es heißt, ein Versprechen zu geben, gute kleine Hetty?«
»Gewiß. Ein Versprechen heißt: Ihr wollet etwas thun, und das bindet Euch so gut als Euer Wort. Mutter hielt immer ihre Versprechen gegen mich und dann sagte sie, es wäre eine Sünde, wenn ich nicht meine Versprechen gegen sie und gegen Jedermann sonst hielte.«
»Ihr habt eine gute Mutter gehabt, in manchen Beziehungen, Kind, was sie auch in andern gewesen seyn mag. Ja, das ist ein Versprechen, und wie Ihr sagt, muß es gehalten werden. Nun bin ich vorige Nacht in die Hände der Mingo's gefallen, und sie ließen mich los, um meine Freunde zu sehen, und Botschaften zu schicken zu den Leuten meiner Farbe, falls von ihnen an meinem Schicksal Theil nehmen, unter der Bedingung, daß ich zurück sey, wenn die Sonne heute mitten am Himmel steht, und erdulde, was ihr Haß und Rachsucht von Qualen ersinnen kann, zur Sühne für das Leben des Kriegers, der von meiner Büchse fiel, wie auch für das des jungen Weibes, das Hurry erschossen hat, und für andere Widerwärtigkeiten, die ihnen auf dem See und um ihn herum zugestoßen sind. Was man ein Versprechen nennt zwischen Mutter und Tochter, oder auch zwischen Fremden in den Ansiedlungen, wird ein Urlaub genannt, wenn ein Soldat gegen einen andern auf dem Kriegspfad sich dadurch bindet. Und jetzt, denke ich, begreift Ihr meine Lage, Hetty!«
Das Mädchen gab einige Zeit keine Antwort, aber sie hörte ganz auf zu rudern, als ob die neue Idee ihren Geist zu sehr angriffe, um ihr noch eine andere Beschäftigung zu gestatten. Dann setzte sie das Zwiegespräch ernstlich und mit Bekümmerniß fort.
»Meint Ihr, die Huronen werden das Herz haben, zu thun was Ihr sagt, Wildtödter?« fragte sie. »Ich habe sie freundlich und unschädlich gefunden.«
»Das ist schon wahr, was ein Wesen wie Euch anbelangt, Hetty; aber eine ganz andere Sache ist es, wenn es einem offenen Feind gilt, der noch dazu der Besitzer einer ziemlich sichern Büchse ist. Ich sage nicht, daß sie einen besondern Haß gegen mich tragen wegen gewisser Thaten, die ich schon verrichtet, denn das wäre gleichsam am Rande des Grabes geprahlt, aber es ist keine Eitelkeit, wenn ich glaube, daß sie wissen, wie einer ihrer tapfersten und schlausten Häuptlinge durch meine Hand fiel. Da dieß der Fall ist, würde sich der Stamm Vorwürfe machen, wenn er ermangelte, den Geist eines Bleichgesichts dem Geist ihres rothen Bruders zur Gesellschaft nachzuschicken; vorausgesetzt natürlich, daß er ihn einholen kann. Ich erwarte keine Gnade und Barmherzigkeit von ihnen, Hetty; und mein vornehmster Kummer ist, daß ein solches Unglück mir auf meinem ersten Kriegspfade zustoßen mußte; daß es früher oder später einmal komme, das erwartet jeder Soldat und ist darauf gefaßt.«
»Die Huronen sollen Euch kein Leid thun, Wildtödter!« rief das Mädchen in großer Aufregung. »Es ist sündhaft ebensowohl als grausam; ich habe hier die Bibel, ihnen das zu sagen. Meint Ihr ich würde dazu hinstehen und Euch martern sehen?«
»Ich hoffe nicht, meine gute Hetty, ich hoffe nicht; und daher erwarte ich, Ihr werdet, wenn der Augenblick kommt, Euch entfernen; und nicht Zeugin seyn eines Schauspiels, wo Ihr doch nicht helfen könnt, und das Euch betrüben würde. Aber ich habe nicht darum das Rudern eingestellt, um von meinen Bekümmernissen und Nöthen zu schwatzen, sondern um ein wenig offen mit Euch von Euren Angelegenheiten zu reden, Mädchen.«
»Was könnt Ihr mir zu sagen haben, Wildtödter! Seit Mutter starb, reden Wenige mit mir von solchen Dingen!«
»Um so schlimmer, armes Mädchen: ja, es ist um so schlimmer, denn mit Einer von Eurem Gemüthszustand sollte man häufig sprechen, damit sie den Schlingen und Tücken dieser sündhaften Welt entgehe. Ihr habt den Hurry Harry nicht so bald vergessen, Mädchen, denke ich mir!«
»Ich! – Ich Henry March vergessen!« rief Hetty auffahrend. »Wie sollte ich ihn vergessen, Wildtödter, da er unser Freund ist; und uns erst vorige Nacht verließ. Der große, glänzende Stern, welchen Mutter so gern betrachtete, war gerade über dem Wipfel der großen Fichte dort, auf dem Berg, als Hurry in das Canoe stieg; und als Ihr ihn auf dem Vorsprung bei der östlichen Bucht ans Land setztet, stand er nicht um mehr als die Länge von Judith's schönstem Band darüber.«
»Und wie könnt Ihr wissen, wie lang ich fort war, oder wie weit ich fuhr, um Hurry zu landen, da Ihr nicht bei uns waret, und die Entfernung so groß ist, der Nacht zu geschweigen?«
»Oh! ich wußte es doch ganz genau,« versetzte Hetty mit Bestimmtheit, »Es gibt mehr als Eine Weise, Zeit und Entfernung zu messen. Wenn das Gemüth recht bei einer Sache betheiligt ist, so ist es besser als jede Uhr. Meines ist schwach, aber es geht sicher genug in Allem, was den armen Hurry Harry betrifft. Judith wird nimmermehr den March heirathen, Wildtödter.«
»Das ist der Punkt, Hetty, das ist eben der Punkt auf den ich kommen möchte. Ihr wißt, denke ich, daß es bei jungen Leuten natürlich ist, daß sie wohlwollende Gefühle für einander haben, zumal wenn das Eine ein Jüngling, das Andere ein Mädchen ist. Nun muß Eine von Euren Jahren und Eurem Gemüth, Mädchen, die weder Vater noch Mutter hat, und in einer Wildniß lebt, wohin nur Jäger und Fallensteller kommen, auf ihrer Hut seyn gegen Uebel, von denen sie kaum träumt!«
»Was kann Arges daran seyn, gut zu denken von einem Mitgeschöpf,« versetzte Hetty einfach, obgleich das verrätherische Blut ihr in die Wangen stieg, trotz einer Reinheit des Geistes, bei der sie kaum wußte, woher dieß Erröthen kam; »die Bibel gebietet uns, die zu lieben, die uns verächtlich behandeln, und warum nicht diejenigen, die das nicht thun?«
»Ach, Hetty! Die Liebe der Missionäre ist nicht die Art von Wohlgefallen, die ich meine. Antwortet mir auf Eines, Kind: glaubt Ihr Geist und Verstand genug zu haben, Weib und Mutter zu werden?«
»Das ist keine Frage, die einem Mädchen vorzulegen geziemt, Wildtödter, und ich werde sie nicht beantworten,« versetzte das Mädchen im Ton des Vorwurfs – etwa wie ein Vater oder eine Mutter ein Kind tadelt wegen einer Unbescheidenheit. »Wenn Ihr Etwas über Hurry zu sagen habt, so will ich das hören; aber Ihr müßt nicht schlimm von ihm sprechen; er ist abwesend, und es ist nicht schön, schlimm von Abwesenden zu sprechen.«
»Eure Mutter hat Euch so viel gute Lehren gegeben, Hetty, daß meine Besorgnisse Eurethalben nicht mehr so groß sind wie früher. Dennoch muß ein Mädchen ohne Eltern, in Eurem Gemüthszustand, und nicht ohne Schönheit, immer in Gefahr seyn in einer so gesetzlosen Gegend wie diese. Ich möchte Nichts zum Nachtheil Hurry's sagen, der in der Hauptsache kein übler Mann ist für Einen von seinem Beruf, aber Ihr solltet Eines wissen, was zu hören Euch vielleicht gar nicht angenehm ist, aber Euch doch gesagt werden muß. March hat eine desperate Neigung für Eure Schwester Judith.«
»Nun, und was weiter? Jedermann bewundert Judith, sie ist so schön, und Hurry hat mir oft und viel gesagt, wie sehr er wünsche sie zu heirathen. Aber das wird nie geschehen, denn Judith mag den Hurry nicht. Sie hat einen Andern gern, und spricht von dem im Schlafe; aber Ihr dürft mich nicht fragen, Wer es ist, denn alles Gold in König Georg's Krone und alle Juwelen dazu, würden mich nicht versuchen, Euch seinen Namen zu sagen. Wenn Schwestern nicht Geheimnisse von einander bewahren können, Wer soll es dann?«
»Gewiß; ich wünsche gar nicht, daß Ihr mir es sagt, Hetty, auch würde es einen Sterbenden Nichts nützen, es zu wissen. Was die Zunge spricht, wenn der Geist schläft, dafür ist weder Kopf noch Herz verantwortlich.«
»Ich wollte ich wüßte, warum Judith im Schlafe so viel von Officieren und redlichen Herzen und falschen Zungen redet; aber ich denke, sie sagt es mir nicht gern, weil ich schwachsinnig bin. Ist es nicht sonderbar, Wildtödter, daß Judith den Hurry nicht mag – der doch der tüchtigstaussehende Junge ist, der je an den See kommt, und so schön wie sie selbst. Vater sagte immer, sie würden das hübscheste Paar in der Gegend seyn, obgleich Mutter an March so wenig Gefallen hatte als Judith. Man kann nicht wissen, was kommen wird, sagt man, bis die Dinge wirklich geschehen.«
»Ach, weh! Nun, arme Hetty, es hilft nicht Viel, zu Solchen zu sprechen, die Einen nicht verstehen können, und so will ich Nichts weiter von dem sagen, wovon ich mit Euch reden wollte, obwohl es mir schwer auf der Seele liegt. Rührt die Ruder wieder, Mädchen, und wir wollen dem Lande zu steuern, denn die Sonne steht schon hoch und mein Urlaub ist beinahe zu Ende.«
Das Canoe glitt jetzt dahin, und steuerte dem Punkte zu, wo Wildtödter genau wußte, daß seine Feinde ihn erwarteten, und wo er schon zu fürchten anfing nicht mehr zur rechten Zeit einzutreffen, um das Pfand seines Wortes zu lösen. Hetty jedoch, die seine Ungeduld bemerkte, ohne ihren Grund sehr klar zu begreifen, unterstützte ihn so kräftig in seiner Anstrengung, daß ihre rechtzeitige Ankunft bald nicht mehr zweifelhaft war. Dann, und erst dann, ließ der junge Mann in seiner Arbeit am Ruder etwas nach, und Hetty fing wieder an in ihrer einfachen, zutraulichen Weise zu plaudern, obwohl Nichts weiter zur Sprache kam, was zu berichten sich der Mühe verlohnte.