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VI.

 

Die rauschenden Fluthen durchschneidet das Schiff,
Jetzt ankert es fröhlich auf felsigem Riff.
Und jubelnd ertönet der Männer Freude.
Sie jauchzen und fragen: »Geht's bald wieder in's Weite?«

W. Scott.

 

 

Noch dauerte es einige Minuten, ehe das Jauchzen und Jubeln auf dem Ariel nachließ, als sein Befehlshaber wieder an Bord war. Barnstable beantwortete die Glückwünsche der Offiziere mit einem herzlichen Drucke der Hand, und ließ die Freude der Mannschaft ein Wenig austoben. Dann winkte er gebietend Ruhe.

»Ich danke Euch, Kinder, für Euren guten Willen,« sagte er, als Alle um ihn in tiefer Aufmerksamkeit herum standen. »Sie haben uns derb gejagt, und hättet Ihr uns eine Viertelstunde noch gehn lassen, so waren wir hin. Der Bursche ist ein königlicher Kutter. Er hat jetzt ein Bischen nachgelassen, mit dem Winde zu gehn: allein Lust zum Fechten zeigt er doch. Mindestens zieht er die Segel ein, und das deutet darauf hin. Zum Glück für uns hat Manuel alle seine Soldaten an der Küste mit, ohne daß ich übrigens weiß, was er damit getan hat; sonst wäre unser Verdeck wie mit Rindvieh besetzt. Jetzt aber haben wir freie Hand, guten Wind und passables Wasser. Gewissermaßen heischt es die National-Ehre, dem Patron Eines anzuhängen, und darum also kein Wort weiter darüber! Wir müssen an ihn, und sehen, ob wir unser Frühstück verdienen können.«

Dieser kurzen seemännischen Anrede jauchzte das Schiffsvolk völligen Beifall zu. Die jüngern Matrosen brannten vor Begierde, zu kämpfen. Einige ältere meinten, mit außerordentlicher Freude, und unter tausend Flüchen, daß ihr Kapitain, wenn so etwas vonnöthen wäre, reden könnte, wie ein Lexikon, das je das Meer passiert hätte.

Während dessen war der Ariel mit allen Segeln soweit gegangen, als möglich, um den Wind zu fassen. Als er im vollen Laufe war, sah man auf der Küste hin die Engländer. Barnstable schaute mit dem Glase bald nach dem Kutter, bald nach der Küste.

»Wenn Griffith in den Felsen da steckt;« sagte er endlich, »so soll er eine Unterhaltung mit so wenig Worten abgemacht sehn, als möglich ist; der Kutter müßte denn andern Sinnes geworden seyn, und einen andern Weg nehmen wollen. Was denkst Du, Merry?«.

»Ich wünschte von Herzen,« erwiederte der furchtlose Kadet, »daß der Lieutnant an Bord wäre. Es scheint, als wäre die Küste in Aufstand, und Gott weiß, wie es ihm geht, wenn er gefangen wird. Die Behandlung, welche die gefangenen Amerikaner von den hochgebildeten Engländern ertragen mußten, war unbeschreiblich furchtbar, ohngefähr wie die der Griechen, wenn sie den Türken in die Hände fallen. Sie hießen ja, wie diese, Rebellen; und war einer legitimen, oder, wie damals der Kunstausdruck war, loyalen Gewalt, nicht Alles gegen solche erlaubt? D. Ueb. Was den Burschen unter'm Winde dort anbelangt; so wird er wohl begreifen lernen, daß mit dem Boote vom Ariel leichter anzubinden war, als mit dem Papa selbst. Aber er ist ein guter Segler. Es ist die Frage, ob er Stand hält!«

»Kein Zweifel daran!« sagte Barnstable. »Er sucht von der Küste wegzukommen, und das zeigt, daß er Grütze im Kopfe hat. Uebrigens hat er ja eine Brille aufgesetzt, und gesehn, zu welchem Stamm der wilden Yankees wir gehören. Gieb Acht! Er wird gleich mit dem Winde vorkommen, und ein Paar Stücke Eisen herschicken, damit wir wissen, wo er steckt! Ja, Dein erster Lieutnant ist mein Busenfreund, aber, Merry, es ist uns doch lieber, daß er heut' auf dem Lande ist, als wenn er hier auf dem Verdecke wäre. Ich möchte nicht, daß ein Anderer auf dem Ariel kommandirte. Doch jetzt, Kadet, laßt die Trommel tönen. Alles fertig! All' auf's Verdeck!«

Der Bursche, welcher unter dem Gewichte seines melodienreichen Instrumentes fast kaum fortkonnte, hatte dies Kommando schon lange erwartet, und ließ sich die Ordre vom Kadet nicht erst wiederholen. Sein Drum-da-da, drum-drum wirbelte so kräftig, daß es tausend Leute aus dem tiefsten Schlafe hätte wecken, und zum Ergreifen der Waffen mit Einem Male rufen können. Die Mannschaft des Ariel's war in kleinen Haufen beisammen, und begukte das feindliche Schiff, gegenseitig scherzend. Alles wartete nun auf den gewöhnlichen Befehl, zu den Kanonen zu eilen. Kaum hörten sie den ersten Trommelschlag, als Alles zu den verschiedenen Posten schritt, wohin der Dienst einen Jeden rief. Die Kanonen wurden von jungen, kräftigen Leuten umzingelt; einige Matrosen stellten sich mit Musketen auf; die Offiziere hatten den Säbel in der Hand, Pistolen im Gürtel. Barnstable ging festen Schrittes auf dem kleinen Hinterdeck auf und ab. Sein Sprachrohr hing am kleinen Finger. Gelegentlich nahm er das Fernrohr vor die Augen, das er gewöhnlich unter dem Arme hatte. Am Hauptmaste befand sich sein Säbel. Ein Paar derbe Pistolen hatte er im Gürtel. Musketen, Enter-Piken, bloße Säbel waren auf verschiedenen Orten des Verdecks geordnet. Jetzt lachte kein Matrose mehr. Wer sprach, that es nur leise gegen das Ohr des Andern hin.

Der feindliche Kutter suchte immer weiter von der Küste fortzukommen, bis er wohl eine halbe Stunde davon war. Dann zog er mehrere Segel ein, und als er den Wind gewonnen hatte, feuerte er eine Kugel in der dem Ariel entgegengesetzten Linie ab.

»Da wollt' ich doch einen Centner Stockfisch gegen die beste Tonne Porter wetten, wie er je in England gebraut wurde,« rief Barnstable seinem Tom zu, »daß der Bursche glaubt, ein Yankeeschooner könne fliehen, falls er nicht mehr den Wind hat! Wenn er mit uns reden will – warum kommt er denn nicht ein Bischen näher?«

Der Beischiffsführer hatte seine Vorbereitung zum Kampfe mit mehr Umsicht und Vorsicht getroffen, als irgend ein Mann im Schiffe. Wie die Trommel gerührt wurde, warf er Jacke, Weste und Hemde vom Leibe, als sey er unter Amerika's Sonne, und sehe voraus, daß es hier einem Unternehmen gelte, zu dem alle Kräfte nöthig wären. Es war bekannt, daß er ein Vorrecht auf dem Ariel habe. Die Mannschaft betrachtete seine Meinung wie ein Orakel, und Kommendant hörte sie stets mit nicht wenig Achtung an. Sein Benehmen erregte daher kein Erstaunen. Jetzt stand er an seinem langen Feuerrohr, die braunen Arme auf der Brust gekreuzt, die von der Sonne ganz blutroth gefärbt waren. Sein graues Haar flatterte im Winde. Hoch ragte die kräftige Gestalt über die Köpfe aller Andern dahin.

»Er geht mit dem Winde, als wär's sein Schooßhund!« gab er seinem Lieutnant zur Antwort. »Allein er wird's bald bleiben lassen! Und wenn er nicht will; so wollen wir's schon machen, daß er ein Bischen abkommt.«

»Gerade drauf!« rief jetzt donnernd Barnstable. »Immer dicht hinterdrein! Der Bursche läuft gut, langer Tom. Wir sind ihm noch nahe genug. Wenn er so fortmacht, kommt die Nacht heran, bevor wir uns ihm an Bord legen können.«

»Ja, ja!« sagte Tom, »Die Kutter haben eine große Menge Segel, wenn es auch aussieht, als hätten sie nicht viele. Sie können immer ein Besansegel nach dem andern auf Hauptsegel setzen. Aber es hält nicht schwer, ein Paar Löcher hinein zu machen: dann wird er schon mit Laufen nachlassen.«

»Der Gedanke ist gut!« meinte Barnstable. »Ich bin freilich in Angst, daß die Fregatte dazu kommt, und möchte darum nicht gern viel Lärm machen. Aber rede doch ein Wörtchen mit ihm. Wir wollen sehen, was er zur Antwort giebt.«

»Ja, ja!« war Tom's Gegenrede, als er sich zu Boden warf, daß der Kopf mit seiner Kanone ganz gleich stand. Nach mehreren Befehlen und schnellen Bewegungen, um jene stellen, legte er rasch die Lunte auf's Zündloch. Ein ungeheuer Qualm fuhr aus der Mündung heraus. Ihm folgte ein Feuerstrom, bis endlich jener dem Winde wich, und wie eine Wolke durch die Masten hinauf, hinaus in die Luft trieb, wo er sich mit den Dünsten mischte, die vor dem frischen Seewinde hintrieben.

Zwar beobachtete manches neugierige Auge das schöne Schauspiel auf den Klippen: aber auf dem Ariel hatte es zu wenig den Reiz der Neuheit, um den Blick eines einzigen Matrosen von der viel wichtigern Frage abzuziehn, welche Wirkung der Schuß auf den Kutter äußern würde. Barnstable sprang schnell auf eine Kanone und schaute mit Eifer hin, als die Kugel fortging. Der lange Tom selbst zog sich in gleicher Absicht aus dem Bereich des Dampfes, legte einen langen Arm auf seinen Namensvetter, und stützte sich mit der andern Hand auf's Verdeck, wo er durch eine entgegengesetzte Stückpforte in einer Lage schaute, deren Nachahmung Mancher für unmöglich gehalten hätte.

»Nun da fliegen die Lumpen!« schrie Barnstable. »Bravo, Master Coffin! So richtig hast Du noch kein Stück Eisen den Engländern in Rippen gejagt; gieb ihm noch einen Bissen! Wenn er Lust hat, wollen wir eine Partie à la Boule mit ihm spielen.«

»Ja, ja!« entgegnete der Bootsführer, der, so wie er die Wirkung dieses Schusses wahrnahm, wieder bei der Hand war, ein Stück aufs Neue zu laden. »Wenn er noch eine halbe Stunde Stich hält; so will ich ihn so herunter bringen, daß wir darauf kommen, und mit jedem einzelnen Manne reden können.«

Jetzt hörte man zum ersten Male die Trommel auf dem englischen Schiffe über das Wasser herüber die Töne wiederholen, die auf dem Ariel schon längst Alles auf's Verdeck gebracht hatten.

»Ah, Du hast ihn munter gemacht!« jubelte Barnstable. »Nun wird er mehr von sich hören lassen. Immer rüttele ihn vollends auf, Tom!«

»Wir wollen ihn schon aufrütteln, oder ganz einschläfern,« entgegnete der bedächtige Bootsführer, der sich nie zu übereilen gewohnt war, und wenn auch sein Kommendant trieb. »Meine Schüsse sind wie die Meerschweine. Es kommt immer einer hinter dem andern. – Ein Bischen seitwärts! Sie prellt Euch sonst auf die Schienbeine zurück. – Je, Du verdammter Satan, willst Du gleich meine Harpune lassen?«

»Was hast Du denn, Tom,« rief Barnstable; »ist denn Dein Tom stumm geworden?«

»Je, da spielt die Heidelerche mit meiner Harpune in den Wasserlöchern mir nichts dir nichts, und wenn ich sie nachher brauche; so ist sie keinen Schuß Pulver werth!«

»Ei, laß den Jungen! Sende ihn nachher zu mir, und ich will ihn schon abputzen. Schicke nur den Engländern ein Stückchen Eisen!«

»Ich brauche den Jungen, er muß mir die Patronen zulangen!« versetzte brummend der alte Seemann. »Aber seyd so gut und reibt ihm so dann und wann die Ohren, wenn er für Euch in's Magazin geht. Er wird dann doch etwas lernen, und der Schooner hernach um so besser gehn. So ein junges Häringsgesicht! Sich mit Dingen abzugeben, die er nicht versteht! Wenn Deine Eltern doch mehr Geld auf Deine Erziehung gewandt, und weniger für Deinen Putz weggegeben hätten! Dann wärest Du doch ein Ehrenmann neben unser Einem geworden!«

»Hurrah, Tom! Hurrah!« rief Barnstable ungeduldig. »Will denn Dein Namensvetter nicht das Maul aufthun?«

»Ja doch, ja! 's ist Alles schon fertig!« brummte der Alte. – »Ein Bischen nach unten! – So. – So ein verdammter, sapermentischer Pavian! – Immer noch ein Bischen herunter! – Gieb die Lunte her! Jetzt will ich ihn bezahlen! – Feuer!l«

Dies war das Zeichen zum Kampf. Denn da der Schuß, wie Tom beabsichtigt hatte, fast in derselben Richtung ging; so fand ihn der Feind doch zu derb, um ihn so ohne Antwort hinzunehmen, und so wurde der zweite Schuß des Ariel's von der Alacrity mit einer vollen Lage erwiedert. Sie ging in einer guten Richtung. Aber das Geschütz des Kutters war zu leicht, um in solcher Ferne wirksam zu seyn; und als ein oder zwei matte Kugeln an den Wänden des Schooners anprallten, um dann, ohne Schaden zu thun, in's Wasser zu fallen; bemerkte der Beischiffsführer, dessen gute Laune in dem Maße wiederkehrte, als der Kampf lebhafter wurde, mit der gewöhnlichen Gleichgültigkeit:

»Das sind freundschaftliche Kläpse! Denkt der Engländer denn, daß wir ihn salutiren wollen«?

»Mache ihn nur vollends munter, Tom! Jeder Schuß trägt dazu bei, daß er mehr die Augen aufreibt!« rief Barnstable, und rieb sich selbst freudig die Hände, als wäre ihm der Erfolg schon ausgemacht.

Bis jetzt hatte der Bootsführer samt seinen Leuten auf dem Ariel allein zu thun gehabt. Die Leute an den kleinern Stücken standen als ruhige Beobachter. Allein nach zehn oder funfzehn Minuten sah der Kommendant der Alacrity, den der gewichtige Schuß gewitzigt hatte, wohl ein, daß es ihm nicht länger möglich war, dem Kampf auszuweichen, wenn er es auch selbst wünschte. Er entschloß sich also, ihn als Ehrenmann anzunehmen, und steuerte muthig in der Richtung, die ihn am Geschwindesten mit seinem Feinde zusammenbrachte, ohne sein Schiff der Gefahr auszusetzen, vom Feuer bestrichen zu werden. Barnstable's Adlerauge beobachtete mit dem Fernrohr jede Bewegung. Als beide Fahrzeuge einander näher waren, befahl er, eine volle Lage zu geben. Jetzt wurde der Kampf auf beiden Seiten hitziger. Der Wind vermochte nicht, die Rauchwolken wegzuführen, die den Kanonen entstiegen, und sich über des Ariels Masten häuften und den Pfad bezeichneten, den er nahm, um dem Feind unmittelbar die Spitze zu bieten. Das Geschrei der jungen Matrosen, während sie ihre Werkzeuge des Todes bedienten, wurde immer heftiger und wilder. Nur der Bootsführer fuhr immer so still und ruhig fort, als arbeite er in seinem gewöhnlichen Berufe. Barnstable war ungewöhnlich fest und gelassen. Er behauptete den Ernst eines Mannes, von dem der Ausgang des Kampfes abhängt, während sein schwarzes Auge Feuer sprühte.

»Zielt gut!« donnerte er gelegentlich, daß man es durch alle Kanonenschüsse hindurch hörte. »Denkt nicht an ihre Segel! Haltet auf die Masten und Wände!«

Der Engländer benahm sich indessen als braver Mann. Er hatte durch die bisherige Kanonade bedeutenden Verlust erlitten: denn sein kleineres Geschütz erlaubte ihm nicht, dem Feinde zu antworten. Allein jetzt bemühte er sich, den Fehler, den er begangen hatte, indem er den Kampf annahm, auf die beste Weise gut zu machen. Allmälig waren beide Schiffe einander so nahe, daß sie von Einer Rauchwolke umschattet wurden. Sie verhüllte sie dermaaßen, daß die neugierigen, so theilnehmendem Beobachter des Kampfes auf den Klippen keines mehr sehn konnten. Der Donner der Kanonen mischte sich nun mit dem Knattern der Pistolen und Musketen. Was die Soldaten auf der Küste mit pochenden Herzen wahrnahmen, waren die Blitze, die aus den Kanonen durch die grauen Wolken fuhren, welche die Streiter verbargen. Mehrere Minuten voll peinlicher Ungewißheit schwanden, ohne daß man dort die Fahne zu sehen vermochte, welcher der Sieg verblieben war.

Das Feuer des Ariel's war lebhafter und stärker, weil er weniger gelitten hatte und seine Leute minder angestrengt waren. Der Kutter entschloß sich darum verzweiflungsvoll zum Entern, und Mann gegen Mann zu kämpfen. Barnstable hatte diesen Gedanken geahnet, und begriff recht gut, was den feindlichen Kommendanten dazu bestimmen mußte. Allein auch er war nicht der Mann, der alle Vortheile kaltblütig berechnete, wenn Stolz und Tapferkeit ihn zu einem Wagstück verleiteten. So kam er also seinem Feinde auf halbem Wege entgegen, und als die Schiffe gegeneinander liefen, hing der Stern des Schooners mit dem Vordertheil des Kutters durch die vereinten Bemühungen beider Parteien in einem Augenblick an einander. Die Stimme des englischen Kommendanten ward nun deutlich durch den Lärm hindurch gehört. Er schrie seine Leute an, ihm zu folgen.

»Hierher!« rief Barnstable den Seinigen durch sein Sprachrohr zu. »Hierher! Immer dem Steuerbord zu!«

Es war der letzte Befehl, den der tapfere, junge Seemann mit diesem Instrument gab, denn in dem nämlichen Augenblick warf er es weit von sich hin und griff nach dem Säbel, um nach dem Punkte hinzufliegen, wo der Feind seine Hauptanstrengung machte. Flüche, Schimpfreden wechselten nun auf beiden Seiten. Die Kanonen schwiegen; sie konnten nicht mehr entscheiden. Aber desto mehr hörte man die Flinten- und Pistolenschüsse.

»Werft sie von ihrem Verdeck herab!« schrie der Engländer, als er auf seinem Vorderdeck mit einem Dutzend Tapferer erschien. »Werfet die Hunde von Rebellen in die See!«

»Hierher, Matrosen!« donnerte Barnstable, und feuerte sein Pistol auf den Feind ab. »Laßt nicht Einen übrig, der wieder Grog trinken kann!«

Eine furchtbare, allgemeine Salve, die diesem Aufruf folgte, vollzog Barnstable's Befehl fast wörtlich. Der Kommendant der Alacrity sah, daß er allein stand. Wild flog er auf sein Deck zurück, um seine Leute wieder heran zu bringen.

»Hinüber! Alles hinüber! Jung und Alt! All' mit einander!« hallte Barnstable's Stimme, und er sprang seinen Leuten voraus, als ein kräftiger Arm die Eile des unerschrockenen Seemanns durchkreuzte. Bevor er sich losmachen konnte, war er von der unwiderstehlichen Kraft seines Beischiffsführers gewaltsam auf sein Schiff zurückgebracht.

»Das Fischlein will's ausmachen!« sagte Tom. »Es wäre nicht gescheidt von Euch gehandelt, in den Bereich von seinem Schweife zu kommen. Aber ich will der Sache gleich ein Ende machen, und ihm Eins mit meiner Harpune versetzen.«

Und ohne eine Antwort zu erwarten, schritt er dahin, setzte an, und wollte eben an den feindlichen Bord springen, als eine Welle beide Schiffe etwas von einander riß, und er mit großem Geräusch ins Wasser stürzte. Da in dem Augenblicke wohl zwanzig Flinten- und Pistolenschüsse fielen, glaubte Alles auf dem Ariel, sein Fall sey Folge von einer Wunde, und Barnstable's wildes Auge, sein Zuruf machte sie doppelt wüthend.

»Rache für den langen Tom!« schrie er. »Der lange Tom ist todt!«

Und unwiderstehlich wälzte sich der Haufen vorwärts, und bahnte sich mit vielem Blutvergießen einen Weg auf das Vorderdeck der Alacrity. Der Engländer wurde überwältigt; noch aber war er unerschrocken. Er raffte sein Volk auf's Neue zusammen. Pikenstöße und Säbelhiebe fielen gegenseitig, und wer entfernter stand, schoß mit seiner Flinte oder Pistole d'rein.

Barnstable drang mit seinen Leuten immer vor, und wurde, selbst immer der Erste, ein Ziel seiner Feinde, die langsam vor seinem Anstürmen zurückwichen. Der Zufall hatte beide Kommendanten auf die entgegengesetzten Seiten des Kutters gebracht, und der Sieg schien jeder Partei, wo diese zwei Kämpfer den Streit in Person bestanden. Allein der Engländer sah, daß er sich zwar behaupte, aber sonst Alles verloren ging, und bemühte sich daher, den Kampf wieder herzustellen, indem er, von einem oder zwei seiner besten Leute begleitet, den Platz veränderte. Ein Matrose drängte voraus, und legte bereits auf Barnstable's Kopf an. Da schoß Merry unter den Streitern hin, und stieß ihm den Säbel in den Leib, daß er zu Boden stürzte. Mit schrecklichen Flüchen suchte der verwundete Soldat noch an dem jungen Kämpfer Rache zu nehmen. Doch furchtlos wich dieser seinem Kolbenschlage aus, und fuhr ihm mit dem Säbel durch die Brust.

»Hurrah!« rief Barnstable, ohne auf Weiteres zu achten, und nur vorwärts dringend, indem er vom Rande des Hinterdecks, von wenig Leuten unterstützt, Alles vor sich hertrieb. »Rache dem langen Tom, und Sieg!«

»Wir haben sie!« rief der Engländer. »Braucht Eure Piken! Wir haben sie zwischen zwei Feuern!«

Wahrscheinlich hätte der Kampf einen ganz andern Ausgang genommen, als die Umstände bisher erwarten ließen, wäre nicht in dem Augenblick eine wildaussehende Gestalt innerhalb der Wände des Kutters zum Vorschein gekommen, die aus der See heraufkletterte, und in der nächsten Minute auf dem Verdecke stand. Es war der lange Tom, dessen schwarzbraunes Gesicht durch seinen vorigen Unfall noch wilder aussah. Seine grauen Locken trieften von dem nassen Elemente, dem er entstiegen war. Er glich dem Neptun mit Dreizacke. Ohne zu reden, schwang er seine Harpune, und mit gewaltiger Kraft spießte er unglücklichen Engländer an den Mastbaumes seines eignen Schiffes.

»Alles zurück!« donnerte er mit einer Art Instinct, als der Streich vollführt war, und, indem er die Muskete eines gefallnen Matrosen ergriff, theilte er schreckliche und tödtliche Schläge dem Kolben gegen Alle aus, die ihm nahe kamen. Daß ein Bajonett an seiner Waffe war, beachtete er gar nicht. Der unglückliche Befehlshaber der Alacrity schwang den Säbel mit wahnsinniger Geberde. Sein Auge rollte furchtbar wild, von Todesangst ergriffen. Dann sank sein Haupt leblos auf die blutige Brust herab und neigte sich auf die Harpune: ein Schauspiel, das alle seine Leute muthlos machte. Einige Engländer standen in schweigendem Entsetzen als Zuschauer, wie auf denselben Punkt gefesselt. Die Meisten aber flohen unter's Verdeck, oder eilten, sich in den untersten Theilen des Schiffes zu verbergen, und ließen die Amerikaner im unbestrittenen Besitz ihres Schiffes.

Zwei Drittheile von der Besatzung desselben waren nach dem kurzen Gemetzel todt oder verwundet. Auch Barnstable hatte seinen Sieg nur mit dem Verluste mehrerer Tapfern erkauft. Die erste Freude über seine Prise war indessen nicht der Augenblick, wo so ein Opfer gewürdigt wurde! Lautes, wiederholtes Geschrei verkündigte den Jubel der Sieger. Als jedoch der Rausch nachließ, und die Besinnung zurückkehrte, gab Barnstable sogleich die Befehle, welche Menschlichkeit und seine Pflicht nothwendig machten. Die Schiffe wurden auseinander gebracht, die Todten und Verwundeten fortgeschafft. Der Sieger ging auf dem Deck der Prise in tiefes Nachdenken versunken auf und ab. Oft strich die Hand über die von Pulver geschwärzte und mit Blut gefärbte Stirn, während sein Auge die dichte Hülle von Rauch verfolgte, der über den Schiffen wie ein dunkler, dem Meere entsteigender Nebel schwebte. Bald ward der Mannschaft das Resultat seines Sinnens mitgetheilt.

»Zieht alle Eure Flaggen ein!« rief er. »Pflanzt die der Engländer wieder auf! Die Flagge des Feindes muß über der des Ariels flattern!«

Wenn die ganze englische Kanalflotte in halber Schußweite erschienen wäre, soviel Erstaunen hätte sie nicht erregt, als dieser außerordentliche Befehl. Die sich wundernden Seeleute hielten ihren mancherlei Arbeiten ein, um nach der sonderbaren Veränderung der Flaggen zu schauen, den Sinnbildern, die sie mit einer Art Ehrfurcht zu betrachten gewohnt waren. Gerade wagte aber doch Niemand das Verfahren zu tadeln, der lange Tom, der auf dem Hinterdeck der Prise stand, und eben sein biegsames, wieder herausgezogenes Harpuneneisen mit einer Sorgfalt und Arbeitsamkeit gerade machte, als sey es zur Behauptung des Schiffes vonnöthen. Gleich Andern, hörte auch er zu klopfen auf, als er diesen Befehl hörte, und nahm keinen Anstand, seinen Verdruß kund zu thun.

»Wenn die Engländer noch nicht genug haben, und denken, die Sache ist noch nicht ausgemacht:« brummte er, »so wollen wir noch einmal anfangen. Da sie ein Paar Arme weniger haben, können sie ein Boot an's Land schicken und eine Ladung von dem faulen Gewürme, den Soldaten, einnehmen, die dort, wie die rothen Eidechsen an der Küste hinkriechen und immer herguken nach uns. Wir wollen nochmals mit ihnen anbinden. Aber, Gott verdamm' mich! wenn ich einsehe, wozu es nützt, daß sie so abgetrumpft sind, und dies nun das Ende vom ganzen Liede ist.«

»Was hilft nun Dein Brummen, Du alter Seeteufel!« rief ihm Barnstable zu. »Wo sind denn unsere Freunde und Landsleute? Am Lande! Sollen wir sie am Galgen baumeln oder in Löchern verfaulen lassen?«

Der Beischiffsführer horchte mit großem Ernste zu. Als sein Kommendant fertig war, schlug er mit der breiten Hand auf den kräftigen Schenkel, daß es wie ein Pistolenschuß schallte.

»Ich sehe, wie das steht!« sagte er. »Ihr denkt, die Rothröcke haben unsern Herrn Griffith im Schlepptau. Nun, laßt den Schooner an die Küste gehn, Kapitain, und vor Anker legen, daß sie die lange Kanone erreichen kann. Mir gebt die Barke und fünf oder sechs Mann zum Rückenhalte. Die dorten müssen lange Beine haben, wenn sie in die weite See kommen, ehe ich sie in den Grund bohre.«

»Narr! denkst Du denn, die Paar Leute vom Boote können es mit funfzig Soldaten aufnehmen?«

»Soldaten?« wiederholte Tom, dessen Lebhaftigkeit durch den Kampf gewaltig gesteigert war, und schlug ein Schnippchen mit nicht zu beschreibender Verachtung. »Soviel geb' ich für alle die geputzten Männerchen. Ein Wallfisch könnte tausend solche Leute tödten, und hier steht der Mann, der wohl seine hundert Wallfische todt gemacht hat!«

»Pah! Du Spritzfisch! Wirst Du noch ein Prahlhans in Deinen alten Tagen?«

»Ei, Wahrheit reden, wie ein Logbuch, ist keine Prahlerei. Aber wenn Kapitain Barnstable glaubt, der alte Tom Coffin sey ein bloßes Sprachrohr; so laßt ihn nur sagen: Marsch ins Boot!«

»Nein, nein, mein alter Harpunenmann!« redete ihm Barnstable freundlich zu. »Ich kenne Dich zu gut, Du Bruder von Neptun! Aber warum sollen wir denn nicht den Engländern Staub in die Augen streuen, indem wir ihre Flagge annehmen, bis uns ein Umstand zur Befreiung unserer gefangenen Landsleute geführt hat?«

Der Bootsführer schüttelte den Kopf und dachte einen Augenblick nach, als käm' ihm ein neuer Gedanke in den Kopf.

»Ja, ja!« sagte er dann, »das ist Seemannsverstand; so tief wie die See! Laßt die Eidechsen die Mäuler bis zu den Augenbraunen aufsperren! Wenn sie endlich hören, daß die Yankees die Herren sind, werden sie sie schon wieder bis zu ihrer ledernen Halsbinde herunterziehn!«

Mit dieser Bemerkung war der Bootsführer ziemlich zufrieden gestellt, und die Wiederherstellung des schadhaft Gewordenen, die Sicherung der Prise, ging nun von seiner Seite ohne Unterbrechung fort. Die wenigen, nicht verwundeten Gefangenen wurden schnell auf den Ariel geschafft. Barnstable war eben damit beschäftigt, als ein ungewöhnlicher Lärm seinen Blick nach einem der Gänge zog, wo ein Paar seiner Matrosen einen Mann vor sich hertrieben, dessen Benehmen und Gestalt den furchtbarsten Schrecken verriethen. Er faßte die außerordentliche Erscheinung schweigend und staunend einen Augenblick näher ins Auge und rief dann:

»Wen haben wir denn da? Einen Dillettanten in dem Kampfe, einen Wunder suchenden Nichtstreiter, der gern seinem König dienen und vielleicht ein Gemälde entwerfen, oder ein Buch schreiben wollte, um sich selbst zu dienen? Wer seid Ihr denn? In welcher Eigenschaft dient Ihr auf dem Schiffe?«

Der Gefangene wagte kaum auf den Fragenden einen Seitenblick zu werfen. Er fürchtete, Griffith vor sich zu haben. Als er indessen sah, daß er dies Gesicht nicht kannte, fühlte er sein Vertrauen wieder belebt, und war im Stande, zu antworten:

»Ich komme durch Zufall hierher, weil ich am Bord des Kutters war, als sein Kommendant eben beschloß, mit Euch anzubinden. Er war außer Stand, mich an's Land zu setzen: aber ich hoffe, daß Ihr damit nicht anstehn werdet, da Eure Vermuthung, ich sey kein Streiter –«

»Vollkommen begründet ist!« unterbrach ihn Barnstable. »Es gehört kein Telescop dazu, Euch als solchen zu erkennen, und wenn man in dem Mastkorbe wäre. Allein aus gewissen wichtigen Gründen –«

Er hielt inne, um sich, auf ein Zeichen, das ihm Merry gab, zu diesem zu wenden.

»Das ist Dillon, der Vetter vom Oberst Howard; ich habe ihn oft gesehen, wenn er meiner Base Cecilie nachsegelte!« zischelte ihm Merry ins Ohr.

»Dillon!« rief Barnstable leise, und rieb vor Freuden die Hände. »Wie? Kit Dillon? Er mit dem Savannahgesicht, den schwarzen Augen, der schwarzen Haut? Aus Furcht ist er etwas weißer geworden. Nun das ist eine Prise, die in dem Augenblicke zwanzig Alacrity's aufwiegt!«

Der Gefangene war, als Barnstable so im Stillen jauchzte, in einiger Entfernung. Jetzt ging der Lieutnant auf ihn zu.

»Klugheit, und folglich meine Schuldigkeit, machen es nöthig, daß ich Euch eine kurze Zeit hier zurückhalte. Allein seid versichert, auf Seemannswort! was wir können, geschieht, Eure Gefangenschaft zu erleichtern.«

Einer Antwort kam er zuvor, indem er eine Verbeugung machte, und wieder die nöthigen Befehle für die Ordnung auf seinem Schiffe traf. In Kurzem ward ihm gemeldet, daß beide fortsegeln könnten, und vor den Wind gebracht seien. Langsam fuhren sie längs der Küste hin, als wollte der Kutter wieder in der Bai einlaufen, welche er diesen Morgen verlassen hatte. Indem man an die Küste kam, füllten die Soldaten oben auf den Klippen die Luft mit Freudengeschrei und Jauchzen. Barnstable zeigte auf die vom Winde bewegten Flaggen seiner Masten, und ließ seine Mannschaft auf's Freundschaftlichste antworten. Da die Entfernung bedeutend und, beim Mangel an Booten, keine weitere Mittheilung möglich war; so sahen erst die Soldaten einige Zeit den Schiffen zu, und verschwanden dann von den Klippen, ohne weiter von den kühnen Seeleuten gesehn zu werden. Stunde für Stunde ging während der beschwerlichen Fahrt gegen die entgegenstrebende Ebbe hin. Der kurze Tag neigte sich zu Ende, bevor sie in die bestimmte Bucht einliefen. Während so manchmal lavirt wurde, kam der Kutter, auf welchem Barnstable blieb, vor dem Wallfisch vorbei, der am Morgen getödtet worden war. Dieser trieb auf dem Wasser hin. Die Wogen spielten um die Fleischmasse, wie an einem Felsen. Manche schmarotzende Hayfische umringten sie bereits, um sich in den schutzlosen Körper zu theilen.

»Sieh' einmal, Coffin!« rief der Lieutnant, und zeigte darauf im Vorbeifahren. »Hier die breitnasigen Herren halten ein köstliches Mahl. Du hast die Christenpslicht versäumt, den Todten zu begraben!«

Der alte Seemann warf einen finstern Blick auf den todten Wallfisch.

»Hätte ich die Kreatur,« sagte er, »in Bostonbay, und auf der Sandy Point von Munny-Moy, da könnte sie mich zum Manne machen! Aber Reichthum und Ehre sind nur für die großen und gelehrten Leute, und für den armen Tom Coffin giebt es nichts, als rechts und links seine Segel zu stellen, und den noch übrigen Stürmen des Lebens auszuweichen, ohne daß seine alten Raaen brechen.«

»Nun, nun, langer Tom,« bemerkte der Lieutnant, »diese Felsen und Klippen können noch Deine Poesie Schiffbruch leiden lassen. Du wirst empfindsam!«

»Die Felsen können jedes Schiff vernichten, das gegen sie anläuft;« entgegnete Tom. »Was Poesie anbetrifft; so weiß ich nichts, als das alte gute Lied vom Kapitain Dillon. Es kann einem aber wohl schwermüthige Gedanken erregen, wenn man so einen Wallfisch von achtzig Tonnen Thran durch Hayfische verzehrt sieht. 's ist eine schreckliche Verschwendung! Ich habe wohl zweihundert solcher Kreaturen sterben sehen: aber die Portionen des armen, alten, langen Tom blieben immer so klein, wie sonst.«

Der Bootsführer ging auf's Hinterdeck, indessen das Schiff beim Wallfisch vorbeistrich, und setzte sich auf den Bord. Sein Gesicht ruhte finster auf der knochichten Hand, und das Auge sah fest auf den Gegenstand seiner Wünsche, so lange, als er noch in der Abendsonne glänzte. Bald spiegelte sich diese auf dem weißen Bauche; bald wurden ihre Strahlen von dem schwarzen, haarigen Rücken des Ungeheuers aufgenommen. Das Schiff steuerte indessen immer kräftig dem Hafen zu, wo man dem Scheine nach als unbesorgter Freund, und im freudigen Gefühl des Siegers vor Anker ging.

Einige fröhliche und zufriedene Zuschauer waren oben auf dem Klippenrande. Barnstable brachte seine Vorkehrungen, jeden Feind zu täuschen, zu Ende, und bemerkte gegen seine Leute, sie nun darauf gefaßt seyn müßten, die größte Unerschrockenheit und Thätigkeit zu äußern.


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