Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wär' ich ein mächt'ger Gott gewesen,
Ehr hätte sich das Meer verlaufen müssen,
Als daß es dieses gute Schiff verschlang.
Shakespeare.
Dillon's Arme wurden jetzt ihrer Banden entledigt, so wie Tom mit ihm die Barke bestiegen hatte, damit er gegen einen unglücklichen Zufall sich selbst helfen könne. Der Gefangene benutzte diese Gunst, sich in einen Winkel zu drücken, wo er in boshafter Wuth und kleinmüthiger Furcht vor der Zukunft über die vorgefallenen Dinge brütete.
Weder Barnstable noch Tom schienen die Absicht zu haben, ihn in seinen Betrachtungen zu stören. Beide hatten zu viel mit ihren düstern Besorgnissen zu thun, als daß sie unnöthige Worte gewechselt hätten. Der Eine sprach manchmal Einiges, als wollte er den Geist des Sturmes beschwören, wenn er so auf die Elemente schaute, die immer unruhiger wurden. Der Andere munterte von Zeit zu Zeit seine Leute auf. Sonst hörte man nichts, während die Wogen sausten, und der Wind düster heulte, der von dem großen deutschen Meere herüber kam.
Wohl mochte eine Stunde im Kampfe der kräftigen Matrosen gegen die wachsenden Wellen vergangen seyn, als die Barke die nördliche Zunge des gewünschten Hafens erreicht hatte, und nun aus dem stürmischen Meere längs ihren innern Ufern in die stillen Fluthen der Bai hinschoß. Hier hörte man noch das Pfeifen des Sturmes in den die Bai umgebenden Felsen, die dies Becken bildeten. Aber die tiefe Stille der Nacht deckte die glatte Fläche des Meeres überall. Die Schatten von den Bergen schienen sich wie ein dicker Nebel im Mittelpunkt der Bai zu vereinigen. Jedes Auge schaute unwillkührlich umher. Doch umsonst suchten die unruhigen Seeleute im dichten Dunkel das kleine Schiff zu entdecken.
»Alles ist hier still, wie der Tod!« sagte Barnstable, als seine Barke die stillen Fluthen durchschnitt.
»Gott gebe, daß es nicht die Stille des Todes ist!« seufzte der Bootsführer. – »Hier, hier liegt er!« setzte er gleich hinzu, aber leiser, als fürchte er, belauscht zu werden. »Hier liegt er, mehr Backbord hin. Seht nur in den lichten Streif links vom Nebel da; der Wald hier bleibt auf Steuerbords Seite. Da die große, schwarze Linie ist sein großer Mast; ich kenne ihn auf's Haar. Dort ist seine Nacht-Flagge; sie weht unter dem glänzenden Sterne. Ja, ja, Herr, unsere Sterne Die amerikanische Flagge führte 13 Sterne als Symbol der 13 vereinigten Provinzen. D. Ueb. glänzen noch, und tanzen mit den Sternen des Himmels! Gott segne den Ariel! Gott segne ihn! Er wogt so leicht und ruhig, wie eine Möwe, die schlafen will!«
»Ich glaube, es schläft Alles!« entgegnete Barnstable. – »Ha! beim Himmel! Wir kommen gerade zur rechten Zeit! Die Soldaten werden lebendig!«
Sein scharfes Auge hatte das Flimmern vorbeigehender Laternen entdeckt, und wie sie in der Batterie hin- und hergingen. Im nächsten Augenblicke hörte man auch schwach, aber deutlich auf dem Schooner lebendig werden. Der Lieutnant rieb sich die Hände mit einer Begeisterung, welche die meisten Leser nicht verstehen werden. Der lange Tom aber lächelte, so weit dies bei seinem Phlegma möglich seyn konnte. Es war Beiden die Gewißheit geworden, der Ariel sey noch in Sicherheit, und seine Mannschaft wachsam. Auf einmal trat der ganze Rumpf und alles Takelwerk des Schiffes unerwartet vor ihre Augen. Der Himmel, das stille Wasserbecken, die Hügel rings herum, wurden durch ein Licht erhellt, das schnell und lebhaft wie der stärkste Blitz kam. Barnstable und sein Beischiffsführer schienen mit übernatürlicher Kraft nach dem Schooner zu blicken. Doch ehe der Donner des schweren Geschützes von den Bergen wiederhallte, pfiff schon eine Kugel sausend über ihren Köpfen, gleich dem heulenden Orkane, dahin. Bald eilte sie über die Fläche des plätschernden Wassers, und krachte endlich von Felsen an Felsen an, große Stücke derselben da wegreißend.
»Der erste Schuß war schlecht gezielt, und das ist für den Angegriffenen immer ein gutes Zeichen!« sagte der alte Tom mit seiner philosophischen Kaltblütigkeit. »Der Rauch macht schlechte Brille, und die Nacht wird auch finster, wenn die Morgenwacht angeht.«
»Der Junge ist ein Wunder für seine Jahre!« rief der Lieutnant fröhlich. »Sieh Tom, er ist in der Finsterniß auf einer anderen Stelle vor Anker gegangen. Die Engländer in der Richtung gefeuert, wo er noch Abends lag. Wir ließen ihn in gerader zwischen der Batterie in jenem Felsen da. Was wäre aus dem Ariel geworden, wenn die Kugel in unser Verdeck getroffen hätte, und unter dem Wasser wieder herausgekommen wäre?«
»So wären wir in englischem Schlamm auf ewig versunken. Ein solcher Bursche hätte gleich eine ganze Reihe von unsern Rippen mitgenommen, und den Matrosen nicht Zeit gelassen, ein Vaterunser zu beten. – Legt an, Jungens!«
Es versteht sich, daß die Mannschaft der Barke während dieses Gesprächs nicht müssig gewesen war. Im Gegentheil wirkte der Anblick ihres Schiffs wie ein Zauberbild auf sie. Sie glaubten, alle Behutsamkeit sey nun unnöthig, und strengten die äußerste Kraft an, die sie denn auch, wie uns Tom's letzte Worte sagten, an des Ariels Seite brachte. Jeder Nerve von Barnstable war gespannt; die größte Furcht war der begründeten, lebhaften Hoffnung gewichen, glücklich zu entkommen. Indessen so berauschend das Gefühl war, doch übernahm er das Kommando sogleich mit der Ruhe und dem Ernste, die der Seemann im Augenblicke der größten Gefahr für das Nothwendigste hält.
Er sah recht gut, daß jede der schweren Kugeln, die der Feind von dem Felsen in die finstere Nacht hinsandte, den Untergang des leichtgebauten Ariels herbeiführen müßte, indem sie dem Wasser eine freie Bahn öffnete, der er nicht zu begegnen wußte. Seine Befehle entsprachen daher ganz der bedenklichen Lage, in der er sich befand, wurden aber so kaltblütig und fest gegeben, wie sie schnellen und lebhaften Gehorsam am Sichersten fördern. Bald ward von der Mannschaft der Anker in die Höhe gebracht. Mit Hülfe der langen Ruder kam der Ariel der Batterie gegenüber an's andere Ufer, das mit einer dicken Rauchwolke überzogen war. Jeder neue Schuß färbte diese mit matt erleuchtenden Strahlen, wie sie sich in den Dünsten bei der untergehenden Sonne abspiegeln.
So lange sich der Ariel unter dem Schutze der Küste halten konnte, war keine Gefahr zu fürchten. Aber Barnstable merkte wohl, daß außer dem Bereiche der Finsterniß, näher nach dem Kanale, der in den Ozean hinausleitete, die Kraft der Ruder nicht ausreiche, dem heftigen Winde zu begegnen, und die Finsternis dort nicht stark genug sey, die Bewegung vor dem Feinde zu verbergen. Der letztere hatte bereits auf der Küste längs hin einige Leute gesandt, die Lage des Schooners näher auszumitteln. Mit Einem Male verzichtete er daher auf alle List und Verborgenheit. Er gab Befehl, alle Segel aufzusetzen.
»Jetzt mögen sie das Aergste versuchen, Merry!« sagte er zu diesem in seiner lustigen Weise. »Wir sind nun weit genug von ihnen, daß ich denke, ihr altes Eisen wird über dem Wasser hinfahren. Und Narren haben wir ja nicht, hier auf dem Ariel!«
»Da müßten hinter der Batterie andere Artilleristen seyn, als die saubere Miliz, Rekruten und Volontairs;« erwiederte der furchtlose Kadet, »wenn sie dem muntern Ariel den Wind abschneiden wollten. Aber wozu habt Ihr uns denn wieder den Jonas an Bord gebracht? Seht einmal, wie er beim Lichte der Kajütenlampe da sitzt! Er blinzelt bei jedem Schusse, als erwartete er, daß die Kugel in sein eigenes häßliches, gelbes Gesicht einschlüge. Was haben wir denn für Nachricht von Herrn Griffith und dem Kapitain der Marine?«
»Nenne mir nicht den Schurken dort!« rief Barnstable, und griff so krampfhaft in Merry's Schulter, an der er erst vertraulich gelehnt hatte, daß dieser davon Schmerz fühlte. »Nenne mir ihn nicht, Merry! Ich muß jetzt alle Kräfte, alle Einsicht zusammen halten, und denke ich an diesen Schurken; so macht mich das für den Dienst unfähig. Allein – es wird eine Zeit kommen! – Jetzt macht fort, Junker; ich fühle, der Wind ist gut. Aber w-resizeir haben auch einen engen Weg zu durchschneiden!«
Der Kadet gehorchte dem Befehle, der in dem barschen, raschen Tone des Seemanns gegeben war, und er wußte wohl, daß der Abstand, welchen Alter und Rang zwischen ihm und Barnstable schufen, den der Letztere aber im Umgange so gern vergaß, jetzt wieder in seine Rechte gesetzt seyn sollte. Die Segel waren losgebunden und gestellt. Das Schiff näherte sich dem Kanal. Der Wind blies immer heftiger, und machte jetzt auf die Segel seine Kraft merkbar geltend. Der Bootsführer hatte bei der Abwesenheit der meisten Subalternoffiziere auf dem Vorderkastell die Rolle eines Mannes gespielt, der im Gefühl seines Alters, seiner Erfahrung, wohl weiß, er hat einiges Recht, bei solchen Umständen einen guten Rath zu geben, wenn auch nicht zu befehlen. So kam er jetzt hinter an's Steuerruder, wo sein Kommendant stand, und schien es darauf anzulegen, von ihm gesehn zu werden.
»Nun, Master Coffin,« fragte dieser, der wohl wußte, wie gern sein alter Beischiffsführer bei jeder wichtigen Gelegenheit mit ihm ein Wörtchen sprach; »was denkst Du denn von unserm Kreuzen hier? Die Leutchen dorten auf dem Berge machen viel Lärm: aber ich höre nicht einmal mehr ihre Kugeln pfeifen. Man sollte denken, sie könnten jetzt unsere Segel am breiten hellen Streife da seewärts hinein schimmern sehn.«
»Ei nun ja!« war seine Antwort, »sie sehn uns, und denken auch uns immer zu treffen. Aber wir kamen quer vorbei, bis jetzt zehn Knoten in der Minute. Sind wir erst gegenüber in einer Linie mit ihren Kanonen, da wollen wir sehen. Wer weiß, wir fühlen da mehr, als jetzt. Ein Zweiunddreißig-Pfünder verträgt sich nicht so leicht, als der Schuß aus einer Entenflinte oder Jagdbüchse.«
Barnstable ward über die Wahrheit dieser Bemerkung betroffen. Und doch war es unumgänglich nöthig, den Schooner in die Linie zu bringen, von welcher Tom gesprochen hatte. Er gab die Befehle dazu; das Schiff schoß nach der See so schnell hin, als wir es nur sagen konnten.
»Jetzt haben sie uns, oder nie!« rief er, als das Manöver vollendet war. »Gewinnen wir die nördliche Spitze vom Eingange; so sind wir im Freien, und in zehn Minuten können wir dann über der Königinn Anna Taschenkanone lachen, die, Du weißt es ja, alter Tom, eine Kugel von Dover nach Calais schickt.«
»Ich hab' halt von der Kanone gehört!« erwiederte der alte Bursche. »Es muß ein hübsches Stück gewesen seyn, wenn der Kanal sonst auch immer so breit war, wie jetzt. Aber, Kapitain, ich sehe jetzt etwas, das gefährlicher ist, als ein halbes Dutzend der schwersten Stückkugeln, die je eine halbe Meile weit gingen. Das Wasser füllt bereits unsere Speygatten an!«
»Nun, was ist da weiter? Hat es nicht oft genug die Kanonen bespült? Ist darum dem Ariel ein Raa geknickt, oder ein Riß im Kiele beigebracht worden?«
»Ja, ja, da habt Ihr Recht, wenn offene See da ist, die ein Mensch in dem Leben, um zu bestehen, allein braucht. Aber wenn wir den Fleischhackern entkommen sind, packt uns ein arger Nordost an, der jetzt ganz still seitwärts lauert; und den fürchte ich mehr, als alles Pulver und Blei auf der ganzen Insel.«
»Höre, Tom, die Kugeln sind gar nicht zu übersehen! Daß Dich! Die Kerls haben die Linie gefunden! Sie schicken ihr Eisen, daß es rings herum pfeift. Wir fahren tüchtig zu, aber ein Zweiunddreißig-Pfünder kann mit dem besten Winde, der je wehte, gleichen Schritt halten.«
Tom warf einen beobachtenden Blick nach der Batterie. Diese hatte ihr Feuer mit einer Heftigkeit eröffnet, daß man wohl sah, sie nehme ihr Ziel wahr.
»Es verlohnt sich nicht der Mühe, einer Kugel ausweichen zu wollen;« bemerkte er trocken. »Jede Kugel hat ihr Ziel, gerade wie ein Schiff bestimmt ist, unter einer gewissen Breite zu kreuzen. Aber vor Wind und Wetter muß sich der Seemann hüten. Dazu sind sie da. Da kann er Segel aufstecken und einziehen, wie der Fall nun ist. Die Landzunge dort südlich geht drei Meilen ins Meer hinaus. Dort nördlich liegen Klippen. Gegen sie mit dem Schiffe anzufahren, davor bewahre uns Gott!«
»Wir wollen den Ariel schon herausbringen, alter Knabe!« rief Barnstable. »Wozu haben wir denn Drei-Meilenstiefeln angezogen?«
»Ich habe Segler mit andern Stiefeln zu spät kommen sehn!« sagte der alte Tom tief seufzend. »Geht die See hohl und kommt die Fluth: wenn man mit dem Wind' an der Küste treibt, ist das nicht gut!«
Der Lieutnant wollte über dies Seemannsprüchlein eben recht herzlich lachen, als eine Kugel erst pfeifend dahinstrich, und dann sogleich im Holze krachte. Der nächste Augenblick brachte den Obertheil des Mastbaumes auf's Verdeck herab. Er schwebte mit dem Hauptsegel und dem langen Wimpel, das, wie der alte Tom sagte, Amerika's Sinnbild zu den Sternen des Himmels gesellte, erst einen Augenblick hoch in der Luft.
»Das war ein böser Schuß!« sagte Barnstable in der ersten Unruhe. Doch augenblicklich war Stimme und Benehmen gleich wieder gefaßt. Er gab Befehl, das Verdeck zu räumen und das flatternde Segel zu sichern.
Tom's traurige Ahnungen schienen zu schwinden, so wie er sah, daß es zu arbeiten gab. Er war der Erste von der Mannschaft, der dem Befehle Barnstable's nachkam. Der Verlust des ganzen Segelwerks vom Hauptmaste machte, daß der Ariel langsamer fuhr, daher es um so mehr Mühe kostete, den Punkt zu umsegeln, wo es, in einiger Entfernung, in's offene Meer hinausging. Endlich war dies Ziel durch seinen Muth, die Gelenkigkeit des Schiffes erreicht. Der Schooner flog mit dem Sturme, gegen den ihn nichts mehr schützte, dahin, und suchte sich nur soweit wie möglich von den Klippen entfernt zu halten. Was sich vom Segelwerk am Rumpfe des Hauptmastes noch aufspannen ließ, ward in Bewegung gesetzt.
In dem Augenblicke, wo der Ariel das kleine Vorgebürge im Rücken sah, schwieg die Batterie. Barnstable hatte jetzt blos den Blick auf den Horizont gerichtet. Bald merkte er, mit den Elementen sey, ganz wie es Tom prophezeit hatte, ein noch härterer Kampf zu bestehen. Als er den Schaden im Takelwerk, soweit es möglich war, wieder ausgebessert sah, nahm der Beischiffsführer wieder sein Plätzchen beim Lieutnant ein. Nach einer kleinen Pause, während der er mit Seemannsblicke das Tauwerk überschaute, knüpfte er das Gespräch wieder auf folgende Art an:
»Ja, ich sage, es wäre besser für uns, wenn die Kugel dem besten Mann auf dem Ariel das Bein genommen hätte, statt daß der Ariel das beste Bein verloren hat. Ein gut eingerefftes Topsegel kann zu seiner Zeit gut seyn, aber ist ein jämmerlich Ding, wenn das Schiff mit dem Winde gehn soll.«
»Aber was hast Du denn, Alter?« fragte der Kapitain ärgerlich. »Du siehst ja, daß der Ariel von der Küste fortkommt? Willst Du denn dem Sturm straks in den Rachen fahren, oder soll ich wenden und gerade auf den Strand laufen?«
»Ich will ja gar nichts; nichts, Kapitain Barnstable;« sagte der alte Seemann, traurig, daß sein Befehlshaber unwillig sey. »Ihr seyd ein wackerer Patron, wie je einer auf dem Decke war, wenn es galt, in die See zu stechen. Aber, als mir der Rothrock erzählte, daß der Ariel, vor seinem Anker liegend, sinken sollte; da ergriff mich ein Gefühl, wie ich es noch nie gehabt habe. Ich dachte, ich sähe ihn als Wrak; ja, und so deutlich stand er vor meinen Augen, wie der Stumpf von dem Maste da! Ach, ich bekenne es gern, – denn man kann ja eben so gut das Schiff, auf dem man lebt, als das Leben selbst lieben, – daß durch den Anblick mein ganzer Muth zu Wasser geworden ist.«
»Ei, so sey still, alter Seerabe!« rief Barnstable, mehr theilnehmend, als böse. »Mach nach vorn und sieh, daß Alles ordentlich gethan wird. – Doch halt, komm' einmal her, Tom! Wenn Du Gesichte von Wraks und Hayfischen und andern solchen allerliebsten Dingen hast; so behalt' sie hübsch in Deinem eignen dicken Hirnkasten, und laß keine Geisterstimme auf dem Vorderkastell laut werden. Die Jungens sehen so öfter nach dem Himmel, als mir recht ist. Da, nimm Dir ein Beispiel an dem muntern Merry, der sitzt auf Deinem Namensvetter, und singt, als wäre er der Discantist in seines Vaters Kirche!«
»Ach, Kapitain, Herr Merry ist ein Knabe. Er weiß nichts; er fürchtet also auch nichts. Doch ich will Euern Befehlen nachkommen und wenn die Leute wegen des Sturmes unruhig werden; so soll es nicht geschehen, weil sie den alten Tom davon reden hörten.«
Er zögerte aber doch einen Augenblick, ehe er ans Werk ging. Dann wagte er die Bitte:
»Kapitain Barnstable könnte mir den Gefallen thun, und den Kadet von der Kanone wegrufen. Ich habe nun die See befahren, so lange ich lebe, und weiß es daher, daß, wenn einer im Sturme singt, der Sturm dann um so heftiger gegen das Schiff wüthet: denn Er, welcher im Sturme dahinfährt, ist erzürnt, daß des Menschen Stimme gehört wird, wenn Er seinen Athem über das Wasser sendet.«
Barnstable war wirklich zweifelhaft, sollte er über seines Bootsmanns Aberglauben lachen, oder dem Eindrucke nachgeben, welchen der Ernst und das Feierliche, womit er sprach, in der jetzigen Lage auf ihn mit aller Kraft machten. Er bemühte sich, die abergläubischen Ahnungen, welche, (er fühlte das wohl,) sein eignes Herz ergriffen, los zu werden, und genügte dem braven Seemann insoweit, daß er den sorglosen Kadet von der Lavette zu sich hinrief. Die Achtung, die dem Hinterverdecke gezollt werden mußte, machte dem lustigen Liede, das dieser für sich sang, gleich ein Ende. Tom ging langsam nach dem Vorderkastell. Wie es schien, hatte ihn der Gedanke, so eine wichtige Sache durchgesetzt zu haben, sehr erheitert.
Der Ariel kämpfte fortwährend in den nächsten Stunden mit Sturm und Wetter. Endlich brach der Tag an, und erhellte die düstere Scene. Die unruhige Mannschaft konnte nun die eigentliche Gefahr besser durchschauen. So wie die Heftigkeit des Sturmes wuchs, hatte man immer mehr und mehr die Menge der Segel vermindert, bis am Ende nur soviel blieben, als unablässig nöthig waren, nicht gerade hülflos ans Land getrieben zu werden. Barnstable schaute nach dem Wetter mit einer gespannten Unruhe, die wohl zeigte, daß die Besorgniß des alten Beischiffsführers nicht länger für thöricht zu halten sey. In die See hinaussehend, gewahrte er grüne Wassermassen, von Schaum bekränzt, die sich mit einer dem Scheine nach unwiderstehlichen Gewalt dem Lande zuwälzten. Bisweilen schien die Luft von Edelsteinen geschmückt, wenn die Stralen der Morgensonne auf die Tausende von Tropfen fielen, die eine Woge der andern zusprützte. Blickte er auf's Land; so war die Aussicht noch niederschlagender. Die Klippen, kaum eine halbe Seemeile fern, wurden bisweilen von den großen Wassermassen bedeckt, die der wüthende Ozean, bis auf den Grund bewegt, in die Luft warf, als wollte er die Gränzen übersteigen, welche die Natur seiner Herrschaft gesetzt hat. Die ganze Küste von dem fernen Vorgebürge im Süden bis zu den wohlbekannten Klippen, welche sich in entgegengesetzter Richtung zeigten, bildete ein ungeheures Becken von Schaum, und das stolzeste Schiff, das je auf dem Meere schwamm, mußte, gerieth es in diese Brandung, seine Beute werden.
Indessen noch ging der Ariel leicht und sicher über die Fluthen, von ihnen getrieben, dahin. Oefters schien er in dem gähnenden Schlund zu versinken, der sich unter ihm aufthat, das kleine Fahrzeug zu empfangen. Das Gerücht, Gefahr sey wirklich da, hatte sich auf dem ganzen Schooner verbreitet. Die Mannschaft richtete den hoffnungslosen Blick auf die wenigen Segel, die der Sturm aufzusetzen erlaubte, und schaute dann wieder nach der dunkeln Küste, welche nur eine so traurige Wahl zu lassen schien. Selbst Dillon, zu welchem die Nachricht von der Gefahr ihren Weg gefunden hatte, raffte sich aus seinem verborgenen Winkel in der Kajüte auf, und ging schnell auf's Verdeck, mit gierigem Ohre jedes Wort belauschend, das den Lippen der bestürzten Seeleute entschlüpfte.
In diesem Augenblicke der drohenden Gefahr zeigte indessen der Beischiffsführer die größte Kaltblütigkeit und Ruhe. Was in Menschenkräften lag, das kleine Schiff vom Lande wegzubringen, war gethan, das wußte er. Seinem erfahrnen Auge war es auch klar, daß es umsonst gethan sey. Allein er sah sich selbst für eine Art von Bestandtheil des Schooners an, und war vollkommen vorbereitet, dessen Schicksal zu theilen, mochte es gut oder böse seyn.
Barnstable's sonst offene Stirn runzelte sich in düstere Falten. Aber nicht die Besorgniß für sein Schicksal brachte sie hervor; sie waren Folge der väterlichen Theilnahme, von der kein Befehlshaber eines Schiffes frei ist. Der Dienst der Mannschaft ging noch gleich ruhig und fest. Zwei der ältesten Seeleute hatten allerdings einen kleinen Versuch gemacht, die Angst im Innern hinunter zu trinken. Aber Barnstable forderte seine Pistolen in einem Tone, der ihrem Benehmen im Augenblick ein Ende machte. Das tödtliche Gewehr ward zwar nicht angerührt. Es blieb aber auf dem Orte liegen, wo es sein Bursche hingelegt hatte, und kein Zeichen von Insubordination kam noch weiter zum Vorschein. Einem Bewohner des festen Landes würde es schrecklich gewesen seyn, hätte er gesehn, welche Aufmerksamkeit dem kleinsten Dienste gewidmet blieb. Die Leute, welche, so schien es, an nichts zu denken hatten, als wie sie die wenigen Augenblicke ihres Daseyns dem Himmel weihen möchten, wurden unaufhörlich beordert, die unbedeutendsten Geschäfte zu verrichten. Taue wurden aufgerollt. Der kleinste Schaden, den gelegentlich eine Welle machte, wenn sie den niedrigen Bord des Ariel überstieg, ward ausgebessert, und das Alles so pünktlich und ordentlich, als läg' er in der Bay, die er eben verlassen hatte. Auf solche Weise behauptete die Herrschaft ihr Recht über die schweigende Mannschaft, nicht in der leeren Absicht, die ersterbende Macht noch einige Zeit länger zu üben; wohl aber die Einigkeit der Kräfte zu erhalten, die allein einen Stral der Hoffnung gewahren konnte.
»Gegen die See kann er unter den Lumpensegeln nicht halten!« sagte Barnstable düster zu seinem Bootsführer, der mit gekreuzten Armen, und einer kalten Ergebung sich auf der Gallerie des Hinterverdecks wiegte, während der Schooner vorn in die Fluthen tauchte, daß sie ihn bald in ihrem Busen begruben. »Der arme Kerl zittert, wie ein Kind, das in's Wasser gefallen ist!«
Tom seufzte tief und schüttelte das Haupt.
»Wenn wir,« bemerkte er endlich, »den Hauptmast eine Stunde länger behalten hätten, so kamen wir in's offene Meer, und gewannen den Wind. Aber so wie das jetzt ist, kann kein sterblicher Mensch das Schiff gegen den Wind bringen. Er treibt derb dem Lande zu. Ehe eine Stunde vergeht, hat er gestrandet, wenn es nicht Gottes Wille ist, daß die Winde zu blasen aufhören.«
»Es ist keine Hoffnung übrig, als der Anker. Unser Grundanker kann noch Rettung schaffen!«
Tom erwiederte mit feierlichem Ernste, wie ihn nur lange Erfahrung im Augenblicke großer Gefahr geben kann:
»Wenn unser erstes Kabeltau an den schwersten Anker geschlungen würde, dieses Meer würde ihn zerreißen, und sollte blos das leere Schiff davor liegen. Ein Nordost im deutschen Meere muß austoben. Wir haben den Sturm erst überstanden, wenn die Sonne hoch oben steht. Dann kann er nachlassen: denn die Winde scheinen oft der Herrlichkeit des Himmels ihre Ehrfurcht zu beweisen, und toben nicht, sobald die Sonne in ihrer Pracht leuchtet.«
»Wir müssen unsere Pflicht gegen uns und das Vaterland üben!« sagte Barnstable. »Geh, laß zwei Taue zusammensplitzen. Wir wollen beide Anker zusammen auswerfen, und sollten wir auch zweihundert und vierzig Faden haben. Vielleicht rettet dies doch. Sieh zu, daß Alles dazu in den Stand gesetzt wird. Laß die Masten kappen. Wir wollen dem Winde nichts, als das nackte Schiff lassen, darüber mag er wegrasen!«
»Ach, wenn wir blos mit dem Winde zu thun hätten:« rief der Alte, »dann möchten wir wohl die Sonne hinter jenem Berge sinken sehen. Aber was kann aller Hanf bei einem Schiffe helfen, das bis an den Vordermast schon Wasser zieht?«
Indessen ward der Befehl mit einer Art Verzweiflung ausgeführt, und als alle Vorbereitungen getroffen waren, sank der eigentliche, wie der Noth-Anker, in die Tiefe; die Axt arbeitete an dem, was noch von langen Masten da war. Die Späne, die Raaen bedeckten das Schiff: aber in dieser Scene der Gefahr machten sie keinen Eindruck. Schweigend warf der Matrose sie hoffnungslos, nur seiner Pflicht getreu, über Bord. Jedes Auge folgte den dahin schwimmenden Masten, als sie die Wogen fortführten. Wie in der Fieberhitze wollte Jeder sehen, was sich bei ihrem Anprallen an den Felsen, die so drohend entgegen traten, ereignen würde. Doch lange zuvor, ehe das Holz in die schäumende Brandung kam, wurde es vom wüthenden Elemente dem Blick entzogen!
Die ganze Mannschaft fühlte, daß dies das letzte Mittel gewesen sey. Mit jedem neuen tiefen Eintauchen des Ariel in's Meer, das gegen sein Vorderkastell anstürmte, mußte man fürchten, der Anker werde den Grund verlassen, oder sein Tau zerreißen.
Während die getäuschte Hoffnung sie so noch hinhielt, ging Dillon ungehindert und unbemerkt im Schiffe auf und ab. Sein rollendes Auge, seine keuchende Brust, seine gewundenen Hände, konnten unmöglich den Blick von Menschen auf sich ziehn, deren Gedanken nur mit Rettungsmitteln beschäftigt waren. Jetzt verfolgte er in wahrer, innerer Verzweiflung die Wogen, die über's Verdeck hinrollten. Er wagte sich in die Gruppe, die um Tom's Kanone versammelt war. Wilde Blicke, Rache drohend, fielen von allen Seiten auf ihn: allein er war zu bestürzt, um sie zu bemerken.
»Wenn Du der Welt überdrüßig bist;« sagte Tom zu ihm, »so brauchst Du nur zu den Matrosen zu gehn; die machen Dich bald todt. Nun, lange wird's mit Dir so nicht dauern, so wenig, wie mit mir. Brauchst Du aber noch ein Paar Augenblicke, die Rechnung von Deinem Leben abzumachen, ehe Du vor unsern Schöpfer gebracht wirst, und das Loggbuch dort ablesen hörst: so würde ich Dir rathen, Dich so dicht an Barnstable und an mich anzuschließen, als möglich.«
»Wollt Ihr mir versprechen, daß ich gerettet werde?« rief Dillon, der jetzt zum ersten Male, seit seiner neuen Gefangennehmung, einen theilnehmenden, freundlichen Ton zu hören glaubte. – »Ach, wenn Ihr das wolltet! Ich will Euch eine sorgenlose Zukunft bereiten! Ein reicher Mann sollt Ihr seyn, so lang' Ihr lebt!«
»Ja, leider habt Ihr nur, zum Nachtheile Eurer Seele, Euer Wort erst nicht gehalten!« versetzte Tom ernst und trocken, aber ohne Bitterkeit. »Ich kann jedoch selbst einem Wallfisch nicht mehr zu Leibe gehn, wenn er bereits sein Blut verliert.«
Dillon's Flehen wurde durch ein Schreckensgeschrei unterbrochen, das vom Vorderkastell ausging, und mit steigendem Entsetzen das Brüllen des Sturmes übertraf. Der Schooner stieg auf einer ungeheuern Welle hoch empor, dann bot er seine breite Seite der See dar, und trieb, wie eine Nußschaale auf dem Schaume eines Wasserfalls, nach den Klippen hin.
»Unser Grundanker ist hin;« sagte Tom mit seiner ruhigen, durch nichts mehr gestörten Weise. »Der Tod soll dem Ariel so leicht gemacht werden, wie es Menschenmöglich ist.«
Damit ergriff er das Steuerruder, und gab ihm eine Richtung, daß er wahrscheinlich mit dem Vordertheile zuerst gegen die Klippen kam.
Einen Augenblick lang verrieth Barnstables finstere Miene die ihn quälende Unruhe. Doch schnell war sie vorüber. Heiter rief er seinen Leuten zu:
»Frisch auf, Jungens! Für Euch ist noch Aussicht zur Rettung da! Das leichte Schiff wird uns dicht an die Klippen tragen. Es ist noch Ebbe da. Macht die Boote fertig, und paßt auf!«
Die zum Wallfischboote von Tom gehörige Mannschaft erwachte bei diesen Worten wie aus einem Traum. Schnell ward das kleine Fahrzeug heruntergelassen; Alle sprangen hinein, und hielten es durch kräftige Anstrengung in gehöriger Entfernung vom Schooner. »Der Beischiffsführer soll kommen! Der alte Tom soll kommen!« ward von allen Seiten gerufen. Aber Tom schüttelte den Kopf und sagte kein Wort. Immer hielt er das Steuerruder fest, und sah nach der Brandung, gegen welche der Ariel hintrieb. Das andere größere Boot auf dem Ariel ward von den Wellen in dem Augenblicke mitgenommen, wo man es eben hinablassen wollte. Die Anstrengung, die Thätigkeit der Matrosen machte diese für die Schrecknisse unempfindlich, die sich auf allen Seiten häuften.
Da lähmte der laute durchdringende Zuruf des Beischiffsführers: »Seht Euch vor! Rettet Euch!« alle Anstrengungen. Im nämlichen Augenblick ward der Ariel von einer Welle hoch emporgehoben, und auf einen Felsen geschleudert. Der Stoß war so heftig, daß er alle zu Boden warf, die den warnenden Zuruf nicht beachtet hatten. Allgemeiner Schrecken war die Folge davon. Einen Augenblick später glaubten die minder erfahrnen Seeleute, die Gefahr sey vorüber. Allein eine neue größere Welle hob das Schiff, um es noch ungestümer auf das Felsenriff fallen zu lassen. Sie ergoß sich über das Verdeck, und stürmte mit unwiderstehlicher Wuth darüber hin. Mit Entsetzen sahen die Matrosen ihr verlornes, aus den Händen gerissenes Boot gegen eine Klippe hinschießen, und als das Wasser sich einen Augenblick theilte, auch keinen Span davon übrig. Die letzte Woge hatte indessen den Ariel in eine Lage gebracht, wo sein Verdeck etwas gesicherter gegen die nachfolgenden war.
»Geht, meine Kinder, geht!« sagte Barnstable, als der schreckliche Augenblick der Ungewißheit vorüber war. »Ihr habt noch die Barke. Sie wird Euch doch bis an die Küste bringen. Stoßt ab! Gott segne Euch! Gott schütze Euch Alle! Ihr habt treu und redlich gedient, und ich denke, er wird Euch jetzt nicht verlassen. Stoßt ab, Freunde, weil noch ein ruhiger Augenblick ist!«
Die Matrosen warfen sich mit Einem Male in das kleine Fahrzeug, das unter der ungewöhnlichen Bürde fast sinken wollte. Doch, als sie sich ordneten, sahen sie Barnstable, Dillon, Merry und ihren Beischiffsführer noch auf dem Verdeck des Ariels. Barnstable ging ernst und düster auf den nassen Planken hin und her, während der Knabe unbeachtet an seinem Arme hing und umsonst flehte, daß er doch das Wrak verlassen möchte. Dillon näherte sich von Zeit zu Zeit der Seite, wo das Boot lag: allein die drohenden Blicke der Matrosen trieben den Verzweifelnden stets zurück. Tom saß auf dem Fuße des Boogspriets, und blieb immer gleich ruhig und ergeben. Jeden lauten wiederholten Zuruf der Mannschaft beantwortete er blos mit einer Bewegung der Hand nach dem Ufer.
»So hört mich doch!« flehte der Knabe, in Thränen ausbrechend. »Thut es Euretwegen, wenn Ihr es nicht meinetwegen thun wollt! Thut es in der Hoffnung auf Gottes Hülfe! Steigt in's Boot aus Liebe zu meiner Base Katharine!«
Der junge Lieutnant hielt mit Gehen inne. Er warf einen Blick auf die Klippen. Doch im nächsten Augenblicke sah er wieder die Trümmern seines Schiffes.
»Nein, Kind!« rief er, »wenn meine Stunde gekommen ist, will ich vor dem Schicksale nicht erbeben.«
»So hört doch auf die Leute, theurer Herr! Das Boot treibt längs dem Wrack, und sie schreien, daß sie ohne Euch nicht abstoßen wollen!«
Barnstable rief hinab, sie möchten den Knaben einnehmen, und versank dann wieder in Stillschweigen.
»Nun gut,« sagte Merry fest, »wenn es Pflicht ist, daß der Lieutnant auf dem Wracke bleibt; so muß es auch Pflicht für den Kadet seyn. – Stoßt ab! Weder Herr Barnstable, noch ich, verlassen das Schiff!«
»Knabe, Dein Leben ist meiner Wachsamkeit anvertraut!« rief der Lieutnant. »Von meinen Händen wirst Du zurückgefodert!« Und damit ergriff er den Widersträubenden, um ihn den auffangenden Matrosen hinabzugeben. »Fort mit Euch! Gott sey mit Euch! Ihr habt nur zu viel an Bord, um glücklich an's Land zu kommen!«
Noch zögerten die Matrosen: denn sie sahen den alten Tom festen Schrittes auf dem Verdecke hinwandeln, und hofften, er habe sich anders besonnen, und wollte auch den Lieutnant bereden, sich mit seinen Leuten zu vereinigen. Doch Tom machte es nun, wie Barnstable es gemacht hatte. Unvermuthet ergriff er den Lieutnant mit gewaltigem Arm, und warf ihn mit unwiderstehlicher Kraft über das Wrak hinab. Im nämlichen Augenblicke kappte er das Tau des Bootes, womit es am Ariel hing. Er erhob die breiten Hände gegen den Himmel. Mitten durch das Brüllen des Sturmes hörte man ihn rufen:
»Gottes Wille geschehe mit mir! Ich sah die erste Rippe zum Ariel legen, und werde so lange leben, daß ich auch die letzte aus seinem Rumpfe schwinden sehe. Dann mag ich mehr leben.«
Doch seine Kameraden, weit von ihm fortgeführt, hörten nur die Hälfte dessen, was er sprach. An ein Kommando auf dem Boote war nicht zu denken. Die Menge der Leute war zu groß, die Brandung zu heftig. Als nun dieses ihm so theure Fahrzeug noch einmal auf einer schäumenden Woge empor stieg, sah Tom es letzten Male. Es ward in die Tiefe geschleudert. In wenig Augenblicken kehrte es in tausend Trümmern zersplittert vom Felsen zurück. Noch immer stand er, wo er das Tau gekappt hatte, und gewahrte die Menge Köpfe und Hände, die bald nachher aus den Fluthen auftauchten. Einige machten kräftige und glückliche Anstrengungen, das Ufer zu erreichen, das mit der immer mehr eintretenden Ebbe sichtbar ward. Andere kämpften den wilden, hoffnungslosen Kampf mit unnützer Kraftäußerung. Der alte brave Seemann jauchzte aber laut auf, als er Barnstable aus der Brandung auftauchen und Merry's Gestalt von ihm auf dem Sand geborgen sah. Viele Matrosen kamen, Einer nach dem Andern, auf demselben Punkte, ganz erschöpft an. Nach andern sichern Stellen wurde Mancher von den Wellen eben so glücklich hingeführt. Doch als Tom sich wieder auf seinen Boogspriet setzte, konnte er sich nicht verhehlen, daß Mancher leblos gegen die Felsen hie und da mit einer Gewalt antrieb, die ihm wenig von menschlicher Gestalt übrig ließ.
Dillon und er waren nun auf dem Ariel noch allein. Der Erste war in stummer Verzweiflung Zeuge des ganzen geschilderten Auftritts gewesen. Doch das erstarrte Blut floß allmählig wieder zum Herzen. Er schmiegte sich an Tom mit dem Gefühl an, daß ein gränzenloses Unglück erträglicher ist, wenn es ein Anderer mit duldet.
»Wenn die Ebbe vollständig eingetreten ist,« sagte er mit einem Tone, der seine Furcht verrieth, so sehr auch die Worte wiederkehrende Hoffnung verkündeten, »da können wir doch an's Land gehen!«
»Es war Einer, aber nur Einer, für dessen Füße die Wasser wie ein trocknes Verdeck waren!« lautete des Bootsführers Gegenrede. »Und nur der, welcher Seine Macht hat, könnte von diesen Felsen nach dem Ufer gelangen!«
Der alte Seemann hielt inne. Er sah mit Verachtung und Mitleiden auf den Unglücksgefährten. Dann fuhr er andächtig fort:
»Hättest Du mehr an Ihn in gutem Wetter gedacht, Dein Schicksal wäre jetzt im Sturme weniger zu bedauern!«
»Glaubt Ihr denn wirklich, daß die Gefahr so groß sey?« fragte Dillon.
»Für Jeden, der Ursache hat, den Tod zu fürchten. – Horch! Hörst Du, wie es hohl daher brauset?«
»Es ist der Wind; er stößt gegen den Bauch des Schiffes!«
»Nein! Das ist der arme Ariel selbst, der den letzten Seufzer thut!« sagte Tom bewegt. »Das Wasser dringt durch's Verdeck herauf. Noch ein Paar Minuten, und das schönste Schiff, das je aus Holz gezimmert war, wird in Späne verwandelt seyn, die unter dem Beile des Zimmermanns fallen!«
»Wie?« schrie Dillon, »und Ihr bleibt darauf?«
»Um in meinem Sarge zu sterben, wenn es Gottes Wille ist!« entgegnete Tom. »Mir sind diese Wogen, was Dir das Land ist. Auf ihnen bin ich geboren, und habe immer gedacht, sie sollen mein Grab werden!«
»Aber ich! – Ich!« schrie Dillon furchtbar. »Ich bin nicht zum Sterben bereit! Ich kann nicht sterben! Ich will nicht sterben!«
»Arme Kreatur!« rief Tom für sich. »Du mußt gehn, wie wir Alle; wenn die Todtenwache abgerufen ist, kann keiner von der Musterung ausbleiben.«
»Ich kann schwimmen!« fuhr Dillon außer sich fort, und eilte nach der Seite des Wrackes. »Ist denn kein Stück Holz, kein Tau da, das ich mitnehmen kann?«
»Nichts; Alles ist mitgenommen, oder das Wasser hat es entführt. Willst Du darauf hinarbeiten, Dein Leben zu retten; so nimm ein reines Gewissen und muthiges Herz mit, und das Uebrige stelle Gott anheim!«
»Gott?« kreischte Dillon in wahnsinniger Wildheit. »Ich kenne Gott nicht! Gott kennt mich nicht!«
»Schweig!« donnerte ihm der Beischiffsführer in einem Tone zu, der den Elementen Friede zu gebieten schien. »Schweig, Gotteslästerer!«
Das dumpfe Brausen der Gewässer, innerhalb der Rippen vom Ariel, machte jetzt Dillon's Verzweiflung noch mehr rege. Er stürzte sich kopfüber in's Meer.
Die Wogen, von den Felsen der Küste zurückgeworfen, kehrten an manchen Punkten in Gegenströmungen zurück, wo gerade dazu der Raum war. In einer solchen Strömung lag der Ariel. Ohne dies zu wissen, hatte sich Dillon hineingestürzt. Hatten ihn die Fluthen ein Stück hingetrieben; so fing ihn der Strom auf, daß seine verzweifelte Anstrengung umsonst wurde. Er war ein gewandter, kräftiger Schwimmer. Lange und hartnäckig kämpfte er mit den Fluthen. Die Küste lag unmittelbar vor seinen Augen; in keiner großen Entfernung. Wie ein falsches Gaukelbild trieb sie ihn an, seine Anstrengungen zu verdoppeln, ohne daß er einen Schritt weiter kam. Der alte Seemann schaute anfangs gleichgültig und unbekümmert seinen Bewegungen zu. Er sah auf den ersten Anblick die Gefahr, und um sein Schicksal unbesorgt, rief er laut, daß es wohl am Ufer alle Matrosen hören konnten:
»Macht eine Wendung! klarirt aus der Strömung! Steuert südlich!«
Dillon hörte die Worte. Aber sein Kopf war zu sehr von Schreckensbildern ergriffen, um zu verstehn, was dies sagen wollte. Blindlings gehorchte er indeß dem Rufe. Er änderte seine Richtung. Noch einmal kam er mit dem Gesicht nach dem Schiffe. Geradeaus führte ihn die Strömung durch die Felsen, und er gerieth in einen Kanal, wo er nur mit den Wellen zu kämpfen hatte, deren Gewalt das Wrack bedeutend minderte. Während er mit einer Kraft ankämpfte, die doch zu schwach war, um den Widerstand zu überwältigen, den er vorfand, sah sich Tom überall nach einem Tau um. Aber nichts war zur Hand. Alles war mit den Raaen weggenommen, oder von den Wogen weggespült. So getäuscht fiel sein Auge wieder auf den verzweifelnden Dillon. So sehr der kaltblütige Alte an Schrecken gewöhnt war: so unwillkührlich zog er die Hand vor, als wollte er dem Blicke der Hoffnungslosigkeit ausweichen, dem er bei Dillon begegnet war. Als er einen Augenblick später wieder hinschaute, sah er das Schlachtopfer sinken. Noch immer regelmäßig, aber ohnmächtig kämpften mit dem Elemente Arme und Beine, das Wrack zu gewinnen, und das Leben zu erhalten, das er noch im letzten Augenblicke zur Reue so wenig benutzt hatte.
»Bald wird er Gott kennen lernen und erfahren, daß ihn Gott kennt!« sprach Tom leise. Aber in demselben Augenblicke wich der Ariel einer furchtbaren Welle. Ein allgemeines Krachen erfolgte. Balken und Planken stoben aus einander und strömten nach den Klippen. Mitten unter ihren Trümmern schwamm der Leichnam des treuen Beischiffsführers dahin!
Ende des zweiten Theils.