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XI.

 

Die Rache ihren Arm erhebt,
und jeder, der es sieht, erbebt!

Collins.

 

 

Allerdings hatte Tom Coffin keinen ordentlichen Plan entworfen, als er aus des Kapitains Zimmer ging, man müßte denn den festen Entschluß dafür nehmen, auf's Schnellste auf den Ariel zu kommen, und sein Geschick zu theilen, er möchte sinken oder flott bleiben. Allein, der ehrliche Seemann sah bald, daß dies in seiner Lage leichter ausgedacht, als auszuführen sey. Er würde minder Noth gehabt haben, ein Schiff aus den gefährlichen Klippen des Teufelskanals herauszubringen, als aus dem großen Labyrinth von Gängen, Gallerien und Zimmern zu kommen, in das er hineingerathen war. Er erinnerte sich wohl, wie er sich in seinem stillen Selbstgespräch ausdrückte, aus dem Hauptkanale in einen Nebenkanal gekommen zu seyn, aber ob er nun »Steuerbord oder Backbord gehalten habe,« das war seinem Gedächtniß gänzlich entfallen. Er war wirklich in dem Theile der Abtei, den der Oberste das Kloster nannte, und wo er, zum Glück für ihn, eben nicht auf Feinde stoßen konnte. Borroughcliffe's Zimmer war im ganzen Flügel das einzige, nicht zum Gebrauche der Mädchen bestimmte, und daß der Kapitain die Erlaubniß bekommen hatte, dies Heiligthum zu beziehen, gründete sich auf die Wahl, entweder ihn, oder Griffith nebst Manuel in die Nähe seiner Mündel zu bringen, falls er seine Gefangenen nicht auf eine Art einquartieren wollte, die er seines Namens unwerth geachtet hätte. Diese Verlegung des Hauptquartiers hatte für Tom einen doppelten Vortheil. Es verhinderte die schnelle Befreiung des geplagten Kapitains, und minderte die Gefahr für ihn selbst. An das Erstere dachte er indessen nicht, und der Gedanke an diese war Etwas, womit sich Tom's Kopf in keiner Art beschäftigte.

Indem er nothwendig längs der Mauer hintappte, kam er bald aus dem engen, finstern Gange in die Hauptgallerie, welche mit allen Zimmern des Hauptgebäudes in Verbindung stand. In einem fernen Winkel zog ihn eine offene Thüre an, aus der ein helles Licht schimmerte, und der alte Seemann war eben nicht weit gegangen, als er entdeckte, daß er dem Zimmer nahe, welches zuerst seine Neugierde so beschäftigte, und daß er auf dem nämlichen Wege sey, auf dem er in die Abtei gekommen war.

Ein Mann, der nur ängstlich an die Flucht gedacht hätte, würde gleich umgekehrt seyn, um auf einem andern Wege zu entkommen. Allein Tom hörte lustig den Ton der Gläser herausdringen, und glaubte, auch Griffith's Namen vernommen zu haben. Dies bestimmte ihn, weiter zugehn und zu lauschen. Der Leser wird wohl schon vermuthen, daß der alte Seemann gerade in der Nähe des Zimmers war, aus dem er auf Borroughcliffe's Stube gebracht wurde. Den Platz des Letztern hatte Dillon eingenommen. Oberst Howard saß am gewohnten Ende der Tafel. Tom stand so, daß ihn das Licht nicht traf, hinter der offenen Thüre. Der Oberst redete am Meisten. Er hatte augenscheinlich die Freude gehabt, von seinem Vetter einen genauern Bericht zu erhalten, wie der unbesorgte Feind überlistet worden sey.

»Eine feine Kriegslist!« jubelte er eben, als Tom sein Plätzchen einnahm. »Eine feine, edle Kriegslist! Sie hätte einen Cäsar in die Dinte gebracht! Der Cäsar muß ein gescheidter Kerl gewesen seyn; aber ich denke, Ihr wäret ihm doch über den Hals gekommen! Hängen will ich, Vetter, Ihr hättet den General Wolf zurückgeschlagen, wäret Ihr, statt Montcalm, in Quebek gewesen! Ach, Vetterchen, wir brauchen Euch in den Kolonieen mit dem Hermelinmantel über den Schultern! Leute, wie Du, Vetter Christoph, sind dort leider gar zu rar, um die Rechte Sr. Majestät zu vertheidigen!«

»Ach, wirklich, Eure Vorliebe traut mir Talente zu, die ich nicht besitze!« lispelte Dillon, und schlug die Augen nieder, weil ihm vielleicht das Bewußtseyn sagte: er sey solcher Theilnahme unwerth. Zum Mindesten heuchelte er große Demuth. »Die kleine ganz gerechte List –«

»Ei, darin liegt eben das Verdienstliche der ganzen Sache!« – fiel der Oberste mit dem freien offenen Wesen eines Mannes ein, der aller Verstellung und Hinterlist feind ist, und schob ihm die Bouteille zu. »Ihr wolltet nicht zu Lügen Eure Zuflucht nehmen; zu keinem Betrug, wie ihn jeder gemeine, schlechte Hund erdenken konnte. Ihr habt Euerm Feinde blos eine feine militairische, eine wahre klassische, ja – klassische Falle gelegt! Das ist der rechte Ausdruck dafür! Eine Falle, wie Pompejus, oder Markus Antonius, oder – oder – ach, Du weißt die Namen der alten Patrone besser zu nennen, als ich! Allein wenn Du den Wackersten nimmst, der je in Griechenland oder Rom lebte; ich sage doch, er war, im Vergleiche mit Dir, ein Dummkopf! Das ist ein wahrer spartanischer Zug! Einfach und rechtlich!«

Es war ein Glück für Dillon, daß die Lebhaftigkeit des alten Mannes den Kopf und Körper desselben in stete Bewegung brachte: denn es hielt den alten Tom ab, seinen, ihm in den Kopf aufgestiegenen Gedanken auszuführen, mit einer Pistole von Borroughcliffe den Schurken niederzuschießen. Vielleicht rettete diesen auch der Umstand, daß er sich vor Schaam so niederbeugte. Kurz, Tom erhielt Zeit, es sich überlegen.

»Ihr habt mir ja nichts von unsern Damen gesagt;« sprach Dillon nach einer kleinen Pause. »Sie haben doch die Unruhe des Tages auf eine des Namens Howard würdige Weise getragen?«

Der Oberst sah sich ringsum, als wollte er sich erst sicher seyn, daß er nicht belauscht würde. Dann erwiederte er leise:

»Ach, Dillon, sie kamen zu mir, gleich wie der rebellische Schurke Griffith in die Abtei eingebracht war! Wir hatten heute die Ehre, Miß Howard selbst im Speisezimmer zu sehn. Da war denn mein »lieber Onkel!« gar oft zu hören, und die Besorgniß geäußert, »daß ich mein Leben bei den Kämpfen und Scharmützeln der verzweifelten Menschen aussetzen könnte, welche gelandet seyen;« als ob ein alter Knabe, der den ganzen Krieg von 1756 bis 63 mitgemacht hat, sich vor ein Bischen Pulverdampf mehr, wie vor einer Prise Schnupftabak fürchtete. Allein einen alten Soldaten von seiner Pflicht abzubringen, soll schwer halten. Der Herr Griffith muß zum mindesten in den Tower! Nicht wahr, Dillon?«

»Es wäre wohl räthlich, ihn der bürgerlichen Behörde ohne Aufschub zu übergeben!«

»Dem Konstabler im Tower, dem Grafen Cornwallis, einem guten, loyalen Edelmann, der jetzt die Rebellen in meinem Geburtslande bekämpft!« rief der Oberst. »Das wären Repressalien, wie sie sich gehören!«

Damit sprang er auf.

»Doch,« setzte er mit vollem Gefühl des edlen Herzens hinzu, »ich will nicht, daß selbst der Großkonstabler von Tower in London den Besitzer von St. Ruth an Gastfreundschaft und Wohlwollen gegen seine Gefangenen übertreffe. Meine Befehle lauteten, ihnen auf ihr Zimmer die nöthigen Bedürfnisse zu liefern, und es ist nun meine Pflicht, zu sehen, wie meine Weisung befolgt worden ist. Auch muß das Zimmer für den Lieutnant Barnstable einzurichten. Er muß wohl bald eingebracht werden.«

»In einer Stunde spätestens!« sagte Dillon, und sah unruhig nach der Uhr.

»So laß uns aufbrechen, Vetter,« fuhr der Oberst fort, und ging nach der Thüre, die zu dem Zimmer der Gefangenen führte. »Wir haben indessen Pflichten der Artigkeit gegen die Damen, wie gegen die Unglücklichen, die dem Gesetze nicht gehorsam waren. Also, Christoph, geh' zu Cecilia, grüße sie freundlich von mir. Sie verdient es nicht, die trotzige Hexe. Allein sie ist meines Bruders Harry Kind; und bei der Gelegenheit sprich gleich für Deine eigene Sache. Markus Antonius war ein Peter gegen Dich in der Kriegskunst, und doch war er in der Liebe glücklich. Da war eine Königinn der Pyramiden –«

Die Thüre schloß sich hinter dem Obersten, und Dillon stand nun am Tische nachdenkend, ob er den ihm vom Vetter gegebenen Auftrag vollziehen sollte oder nicht.

Was so vorher zwischen Beiden gesprochen worden war, hatte Tom größtentheils nicht verstanden. Er wartete nur immer mit außerordentlicher Ungeduld, Etwas zu vernehmen, wodurch er in den Stand gesetzt würde, seinem gefangenen Offizier zu nützen. Bevor er noch Zeit hatte, zu entscheiden, was nun am Besten zu thun sey, beschloß Dillon plötzlich, sein Glück im Kloster zu versuchen. Er stürzte in zwei Zügen ein Paar Gläser Wein hinunter, ging vor dem lauernden Tom so dicht vorbei, daß er fast an ihn anstrich, und eilte nun raschen Schrittes die Gallerie hin, als ein Mann, den ein starker Entschluß beseelt, der aber sich selbst die eigne Schwäche verbergen will.

Tom besann sich nicht mehr. Er machte die Thüre, die Dillon hinter sich zurückwarf, vollends zu, um den Weg noch finsterer zu machen, und folgte dem Schalle von des Erstern Fußtritte, der auf dem steinernen Pflaster wiederhallte. Beim Gange, der zu dem Zimmer von Borroughcliffe führte, machte Dillon einen Augenblick Halt, entweder, weil er unentschlossen war, welchen Weg er einschlagen sollte, oder weil er den schweren Tritt des unvorsichtigen Bootsmannes hörte. War das Letztere der Fall, so nahm er ihn wahrscheinlich für das Echo des seinigen: denn er eilte endlich, ohne Etwas zu merken, weiter.

Das leichte Anklopfen Dillon's an der Thüre des Gesellschaftszimmers im Kloster ward durch die sanfte Stimme von Cecilia Howard erwiedert, die ein: Herein! rief. Nicht ohne einen Anstrich von Verlegenheit öffnete er, und ließ einen Augenblick die Thüre offen.

»Ich komme, Miß Howard,« begann er, »auf Befehl des Herrn Onkels, und, mit Eurer Erlaubniß, dem Wunsche –«

»Gütiger Himmel! Schütze uns!« schrie Cecilia, und sprang mit Entsetzen auf. »Sollen wir eingekerkert und gemordet werden?«

»Miß Howard wird mir doch nicht zutrauen –« sagte Dillon, sah indeß, daß nicht blos die verstörten Blicke von Cecilien, sondern auch von Katharinen und Alix Dunscombe auf einen andern Gegenstand gerichtet waren. Er drehte sich daher um, und gewahrte zu seinem großen Schrecken die Riesengestalt des Bootsführers hinter sich, der mit einem furchtbaren Blicke in feindlicher Stellung den einzigen Ein- und Ausgang besetzt hielt.

»Wenn hier gemordet werden soll;« nahm Tom das Wort, als er kaltblütig das erschrockene Häuflein gemustert hatte, »so muß es durch den Lügner hier seyn, sonst giebt's keinen Mörder hier. Von einem Manne, der so lange die See befahren, und mit so manchem Ungeheuer, Fisch und vierbeinig, angebunden hat, habt Ihr nicht zu fürchten, daß ihm unbekannt wäre, wie ein hülfloses Weib zu behandeln sey. Wer ihn kennt, wird allemal sagen, daß sich Tom Coffin gegen kein Weibsbild ein unhöfliches, und einem Seemann unanständiges Wort erlaubt hat.«

»Coffin?« rief Katharine aus, und sprang mit Vertrauen aus dem Winkel hervor, wohin der Schrecken sie und ihre Freundinnen getrieben hatte.

»Ja, Coffin,« fuhr der alte Bootsführer fort; indem sein finsteres Gesicht allmählig freundlicher wurde, als er in ihr klares Auge schaute. »Das ist ein feierlicher Name Coffin heißt eigentlich ein Sarg. D. Ueb., der an den Klippen, auf den Inseln, und überall gehört wird. Mein Vater war ein Coffin, und meine Mutter eine geborne Joy, und beide können mehr Plattfische zählen, als alle Leute auf unserer Insel, obschon die Worths, die Gar'ners und Swaines ihre Harpune und Lanze besser werfen und handhaben, wie irgend einer auf andern Seite vom Ozean.«

Katharine hörte diese Mittheilung von den Wallfischfängern in Nantucket freundlich an.

»Coffin!« rief sie dann wieder, »Du bist also der lange Tom?«

»Ei ja freilich, der lange Tom! Ich schäme mich des Namens auch nicht!« versetzte der Bootsmann, und sein wildes Gesicht ward immer freundlicher, als er das lebhafte Mädchen vor sich sah. »Der Himmel segne Euer schönes Antlitz und Euer schwarzes Auge, junges Frauensbild! Ihr habt also vom alten langen Tom gehört? Gewiß so über die Art, wie er einen Wallfisch trifft? Ja, jetzt bin ich alt und steif, Weibchen: aber wie ich so neunzehn Jahr zählte, führte ich den Reihtanz an, als einmal am Cap Cod so etwas los war; da hatt' ich auch ein Mädchen, fast so schön, als Ihr. Ja und das war, wie ich schon drei Wallfische harpunirt hatte.«

»Nein!« sagte Katharine, und trat dem betheerten Alten noch näher, während ihre Wangen höher glühten; »ich habe von Dir gehört, wie Du ein treuer Beischiffsführer bist; wie Du in allem unterrichtest, was ein Seemann wissen muß, wie Du der treue Gefährte und Freund von Richard Barnstable bist – ach! vielleicht kommst Du als Bote, oder bringst einen Brief von dem guten Mann!«

Der Name seines Befehlshabers drang kaum in Coffin's Ohr, und gleich war sein ganzes wildes Wesen mit der Erinnerung an denselben zurückgebracht. Er blickte den in sich zusammengekrochenen Dillon fest an. Mit einem rauhen, tiefen Tone, wie er dem Manne eigen ist, der den Elementen Trotz bot, bis er sich selbst ihre Wildheit zum Theil aneignete, fragte er ihn:

»Nun, Lügner! Sprich! Was brachte den alten Tom in diese Klippen und engen Kanäle? War es ein Brief? – Aber bei dem Herrn, der die Stürme blasen läßt, und dem armen Seemann lehrt, wie er über die weiten Gewässer dahin steuern soll, diese Nacht, Schurke, mußt Du auf den Planken des Ariels liegen! Und, ist es Gottes Wille, daß dies schöne Schiff vor Anker, wie ein altes Gerippe, sinken soll; so sollst Du in ihm schlafen, und zwar einen Schlaf, der kein Ende hat, bis alle Hände und Beine zum Tagewerke am jüngsten Gericht aufgerufen werden, wenn die längste Reise überstanden ist!«

Die außerordentliche Heftigkeit, die Sprache, die Geberde des alten Seemannes, die Kraft in seinem Befehle, der edle Zorn, der aus jedem Blicke des feurigen Auges sprach, und der Inhalt dessen, was er sprach; die lähmende Kraft, die das Alles aus Dillon äußerte, welcher sich wie ein verwundetes Weidthier krümmte, machten, daß die Mädchen einige Augenblick kein Wort wagten, und still und staunend zuschauten. Tom ging während dieser Pause auf sein zitterndes Opfer los, und indem er ihm die Arme auf den Rücken drehte, band er ihn mit einem Stricke an den breiten Gürtel, den er beständig um den Leib trug, so daß er den freien Gebrauch seiner Arme, seiner Waffe hatte, und doch Herr des Gefangenen blieb.

»Sicher hat Dir doch Barnstable nicht befohlen, gegen den Vetter meines Onkels, und unter dessen Dache solche Barbarei zu üben?« sagte Cecilie, die zuerst unter den Betäubten zur Besinnung kam. »Wirklich, Miß Plowden,« wendete sie sich bitter an Katharine, »Euer Freund hat sich auf sonderbare Art vergessen, wenn dieser Mann nach seinen Befehlen handelt.«

»Mein Freund würde weder seinem Bootsmanne noch sonst Jemandem den Auftrag geben, Etwas seiner Unwürdiges zu thun, Cousine Howard!« versetzte jene eben so empfindlich. –»Sprich, ehrlicher Seemann, warum behandelst Du den würdigen Herrn Dillon, den Vetter vom Obersten Howard, und ehrsamen Inwohner der Abtei von St. Ruth auf so empörende Weise?«

»Aber, Katharine –?« fiel Miß Howard ein.

»Aber Cecilia!« unterbrach sie jene wieder, »habe doch nur Geduld und laß den Mann reden. Er wird das ganze Räthsel lösen!«

Der Barkenführer begriff wohl, daß man eine Aufklärung über das, was er that, von ihm erwartete, und diesem Verlangen entsprach er mit einer Beredsamkeit, wie sie dem Gegenstande und seinen Gefühlen angemessen war. In wenig Worten, die nur durch seine Schiffssprache etwas dunkel wurden, schilderte er das Vertrauen, welches Barnstable auf Dillon gesetzt, und wie es der Letztere gemißbraucht hatte. Mit steigendem Erstaunen hörten alle zu. Cecilie konnte ihn kaum ausreden lassen, als sie rief:

»Und Oberst Howard! konnte Oberst Howard seinem verrätherischen Plane Gehör geben?«

»Ach, sie hielten gleichen Strich,« erwiederte Tom; »obschon der eine von den beiden Kreuzern schlecht wegkommen soll.«

»Selbst Borroughcliffe, roh und abgehärtet, wie ihn die Gewohnheit gestempelt zu haben scheint, würde über solche Schurkerei ergrimmen!« bemerkte Cecilia.

»Aber Barnstable!« konnte endlich Katharine fragen, als ihre Angst sich etwas minderte, »sagtest Du nicht, guter Tom, daß ihn Soldaten aufsuchten?«

»Freilich, freilich junges Frauensbild!« war des Bootsführers Antwort, mit wildem Blick auf Dillon. »Sie machen Jagd auf ihn. Allein er hat den Ankerplatz verändert, und wenn sie ihn auch finden sollten, seine langen Piken werden mit einem Dutzend Rothröcke bald fertig; sey nur der Herr der Stürme und der ruhigen See dem Schooner gnädig! Ach, junges Frauchen, er ist in den Augen eines alten Seemannes so holdselig zu schauen, als irgend ein Geschöpf von Eurer Art für einen jungen Mann seyn kann.«

»Nun, warum zögerst Du denn so? Mach' doch fort, ehrlicher Tom, und entdecke die Schurkerei Deinem Befehlshaber. Jetzt möchte doch noch nicht zu spät seyn! Warum stehst Du noch einen Augenblick an?«

»Ach, Gott, mein Schiff hat keinen Lootsen! Drei Faden tief würde ich in der dunkelsten Nacht über die Klippen von Nantucket durchkommen. Allein auf den Sandbänken bei dieser Fahrt blieb' ich sitzen. Ich muß da jemanden haben, der mir das Steuerruder führt.«

»Wenn es weiter nichts ist; so folge mir!« rief die ungestüme Katharine. »Ich will Dich auf einen Pfad bringen, der nach der See führt, ohne daß Du einer Wache zu nahe kommst!«

Bis zu diesem Augenblick hatte Dillon immer noch die geheime Hoffnung genährt, er werde befreit werden. Als er aber den Vorschlag vernahm; so fühlte er das Blut aus jedem Theile seiner zitternden Maschine nach dem Herzen zurücktreten. Es war ihm, als werde die letzte Hoffnung abgeschnitten. Er raffte sich aus der gebückten, zusammengedukten Stellung auf, die er vor Schaam und Furcht bis jetzt behauptet hatte, als sey er an den Ort gefesselt; näherte sich Cecilien, und rief mit allem Ausdrucke des Schreckens:

»O, willigt nicht ein, Miß Howard! Laßt mich nicht ein Opfer von dem wüthenden Manne werden! Euer Onkel, Euer würdiger Onkel hat ja mein Verfahren gebilligt, und ist dabei selbst thätig gewesen! Es war ja nichts, als eine gewöhnliche Kriegslist!«

»Mein Onkel kann sich unmöglich zu einem kalten überlegten Verrathe gesellt haben, wie der ist!« entgegnete ihm Cecilie kalt.

»Er hat's aber gethan!« winselte Dillon. »Ich schwöre beim –«

»Lügner!« donnerte ihm der Bootsführer im dumpfen Tone zu.

Dillon zitterte vor Angst und Schrecken, als die furchtbare Stimme in sein innerstes Herz drang. Doch die Finsterniß der Nacht, die einsamen Pfade der wilden Klippen, das stürmische Meer, kreuzten sich in seiner Phantasie. Die Furcht vor den Gefahren, denen er entgegen gehen sollte, indem er seinem kräftigen Feinde auf Gnade und Ungnade Preis gegeben war, bekam wieder die Oberhand.

»Hört mich einmal,« jammerte er, »hört mich einmal an, ich flehe darum, hört, Miß Howard! Bin ich denn nicht von Eurem Blute und aus Eurem Vaterlande? Wollt Ihr mich der wilden Wuth, der Bosheit, der Unbarmherzigkeit dieses Mannes Preis gegeben sehn, der mich mit dem Dinge da – ach Gott! – durchboren wird! O, wenn Ihr den Anblick gehabt hättet, den ich auf der Alacrity hatte! Ach, Miß Howard, hört mich! Bei der Liebe, die Ihr zu Eurem Schöpfer habt, bittet für mich! Herr Griffith soll frei werden – soll –«

»Lügner!« unterbrach ihn der Beischiffsführer.

»Was verspricht er?« fragte Cecilia und drehte sich nochmals nach dem elenden, gefangenen Wicht um.

»Nichts, was er halten will!« fiel Katharine ein. »Komm, ehrlicher Tom! Zum Mindesten will ich ein Führer seyn, dem Du trauen kannst!«

»Grausame, hartherzige Miß Plowden!« heulte der Gefesselte wieder. »Edle, sanfte Alix, wollt Ihr denn Eure Stimme nicht zu meinem Gunsten erheben? Euer Herz ist ja nicht durch eingebildete Gefahren derer, die Ihr liebt, abgehärtet!«

»An mich wendet Euch nicht!« entgegnete Alix, und ihr sanftes Auge heftete sich auf den Boden. »Euer Leben wird, hoffe ich, in keiner Gefahr seyn. Dem die Gewalt gegeben ist, bitte ich, daß er barmherzig sey, und Euch verschonen möge.«

»Fort!« sprach jetzt Tom und ergriff Dillon, den Hülflosen, beim Kragen, indem er ihn die Gallerie hinaus mehr trug, als führte. »Kommt ein Ton von Dir heraus, um den vierten Theil so stark, wie ihn ein junges Meerschwein hören läßt, wenn es zum ersten Mal Athem holt; so sollst Du, Schurke, noch einmal sehn, was auf der Alacrity vorgegangen ist. Meine Harpune hat eine gute Spitze, und der alte Arm weiß sie noch weit hinein zu treiben!«

Diese Drohung machte Dillon so still, daß er kaum Athem zu holen wagte. Er folgte mit seinem Führer Katharinen, die mit flüchtigem Schritte durch mehrere geheime Gänge voraus eilte, bis sie in wenig Minuten durch eine kleine Pforte in die freie Luft kamen. Ohne viel zu überlegen, führte sie den Bootsmann durch den Park zu einer andern Pforte, als ihn hereingebracht hatte, zeigte ihm den Pfad, der auf einer Wiese hinlief, und wünschte ihm ein Lebewohl mit einem Tone, der wohl zeigte, wie viel ihr an seiner Rettung gelegen sey. Wie ein ätherisches Wesen entschwand sie seinen Augen.

Einer Aufmunterung zur Eile bedurfte es für Tom jetzt nicht. Sein Weg lag klar und deutlich vor ihm. Er machte die Pistolen im Gürtel locker, warf die Harpune auf die Schulter, und schritt nun mit einer Hastigkeit dahin, daß sein Weggenosse alle Kräfte aufbieten mußte, um gleich zu kommen.

Ein oder zwei Mal wagte dieser ein oder ein Paar Worte. Allein ein donnerndes »Still!« des Bootsführers lehrte ihn einzuhalten, bis er sah, sie seyen den Klippen nahe. Hier machte er endlich den Versuch, die Freiheit zu erhalten, indem er ein großes Geschenk bot. Der alte Tom antwortete darauf nicht. Dies ließ den Gefangenen im Stillen glauben, solch' Anerbieten werde die verhoffte Wirkung thun. Allein ganz unerwartet fühlte er das spitzige, kalte Eisen der Harpune auf seiner Brust, zu der es schon durch die Weste gedrungen war.

»Lügner!« rief Tom. »Sprich noch ein Wort, und ich stoße sie Dir in's Herz!«

Von dem Augenblicke an war Dillon still, wie das Grab. Sie gelangten auf den Rand der Klippen, ohne auf die Soldaten zu stoßen, welche, um Barnstable aufzuheben, ausgeschickt waren, und der Ort, wo sie gelandet hatten, lag nicht mehr fern. Der alte Seemann hielt auf einer Klippe einen Augenblick an, und sein sachkundiges Auge schaute über die Fläche der vor ihm liegenden Gewässer. Die See schlummerte nicht mehr. Sie war schon in vollem Hohlgehen. Ihre brausenden Wogen rollten gegen den Fuß des Felsens, worauf er stand. Der weiße Schaum kränzte bereits die Wellen. Als Tom den ganzen östlichen Himmel gemustert hatte, seufzte er laut und tief. Er stieß den Schaft der Harpune heftig gegen die Erde; wandelte auf den Klippen fort, und ließ schreckliche Drohungen hören, die das Gewissen seines bleichen Begleiters wohl zu deuten wußte. Es bedünkte den Letzteren, daß sein wilder, zorniger Führer mit einer Art Sorglosigkeit den steilsten Rand des Abgrundes wähle. So gewagt war der Pfad, den er längs den Klippen, trotz der um diese Stunde herrschenden Finsterniß und des rauschenden Sturmes, dahin wandelte. Mehr als einmal kam das Leben des angebundenen Gefangenen in augenscheinliche Gefahr. Allein es war klar, der besorgte Bootsmann habe einen Grund, so anscheinend unbesonnen zu seyn.

Als sie die reichliche Hälfte von dem Punkte, wo Barnstable gelandet war, bis zu dem zurückgelegt hatten, auf welchem er Tom zu erwarten verabredete, ließen sich undeutliche Stimmen von ferne hören, wenn manchmal der Wind zu brausen einen Augenblick Anstand nahm. Der Beischiffsführer machte ebenfalls eine Pause. Er horchte eine Minute aufmerksam. Dann schien sein Entschluß gefaßt. Er wandte sich an Dillon. Gedämpft, aber fest und entschlossen, sagte er ihm:

»Ein Wort, und Du mußt sterben! Jetzt aber die Klippen hinab! Du mußt eine Seemannsleiter nehmen. Hier ist Platz zum Treten, und da zum Anklammern. Ich bitte Dich, klettere hinunter, oder ich werfe Dich in's Meer, wie einen todten Hund!«

»Gnade! Gnade!« flehte Dillon. »Das könnte ich am Tage nicht. In der Finsterniß wär' es mein Tod!«

»Hinunter oder ich –« sagte Tom noch einmal und nun wartete Dillon nicht länger, sondern stieg mit zitternden Beinen den gefährlichen, vor ihm liegenden Abgrund nieder. Der Bootsmann folgte mit einer Eile, die den Gefangenen ohne weiteres von dem Plätzchen wegdrängte, das er auf einer Klippe eingenommen hatte. Zu seinem Todesschrecken schwebte er jetzt der Luft. Sein Körper hing über der wogenden Fluth, die sich mit Gewalt gegen den Fuß der Felsen brach. Ein unwillkührlicher Schrei entfuhr Dillon, als er sich so von der kleinen Klippe geschoben sah. Es tönte durch das Brausen der Luft wie das Geheul eines Geistes im Sturme.

»Noch einmal schrei' so, und ich schneide Dein Tau durch!« sagte der Seemann entschlossen. »Dann bringt Dich vor dem jüngsten Tag nichts wieder in die Höhe!«

Stimmen und Fußtritte waren jetzt deutlich hören. Ein Haufen Bewaffneter erschien auf dem Rande des Felsens, der gerade über ihren Häuptern war.

»Ich hörte doch eine menschliche Stimme, wie wenn Einer in Gefahr ist!« sagte ein Soldat.

»Die Leute, welche wir aufsuchen sollen,« bemerkte der Sergeant Drill, »sind es unmöglich. Kein Anruf, wie ich ihn je gehört habe, glich diesem Schrei.«

»Sie sagen immer,« erinnerte eine Stimme, welche minder kriegerischen Geist verrieth, als die des ersten Sprechenden, »solcher Schrei werde im Sturm oft an der Küste gehört. Er soll von ertrunkenen Seeleuten herkommen.«

Einige der Soldaten, die es hörten, lachten, und auf Kosten ihres abergläubischen Kameraden wurden einige Späßchen gemacht. Allein wunderbare Wirkung that die Bemerkung doch selbst auf die ungläubigen Starkgeister: denn als noch ein Paar ähnliche Worte geäußert worden waren, entfernte sich die ganze Partei mit einer Eile, welche wohl aus dieser Ansicht entsprungen seyn mußte.

Der Bootsführer stand während der ganzen Zeit fest, wie das Felsenstück, das ihn trug, und bog sich, trotz dem, daß er Dillon in der Schwebe halten mußte, über den Felsen hinaus, um zu sehen, ob und wohin sie sich wendeten. Kaum hatte er dies erforscht; so zog er Dillon, der fast halbtodt war, wieder auf die Klippe, und trieb ihn vorwärts. Kein Wort ward in leeren Erörterungen vergeudet. In wenigen Minuten standen sie auf dem erwünschten Punkte, von dem Tom mit Seemannes Kraft hinabeilte, immer seinen Gefangenen nach sich ziehend. Jetzt spielten die Wogen zu ihren Füßen und deckten den Sand mit weißem Schaum. Tom hielt an und lugte in einer Linie über die Wellen nach dem Horizonte hin. Da sah er die Barke im Finstern außer dem Bereich der Brandung schaukeln.

»He da! ho ha! Ariel hier?« rief er mit einer Kraft, daß der wachsende Sturm den Ton der Ohren der schon weit entfernten Soldaten zuführte, und diese, sich vor ihm, weil sie ihn für übernatürlich hielten, fürchtend, um so rascher davon eilten.

»Wer ruft an?« ließ sich Barnstable's wohlbekanntes Rohr vernehmen.

»Einst Euer Meister, jetzt Euer Knecht!« antwortete der Beischiffsführer in selbsterfundener Parole.

»Er ist es!« rief der Lieutnant. »Macht hin, Jungens! Ihr müßt in die Brandung hinein!«

Tom nahm Dillon auf den Arm, und warf ihn wie einen Sack über die Schulter; dann watete er in den Schaum hinein, der vor der Barke hertrieb, und bevor Dillon ein Wörtchen hätte sagen können, sah er sich wieder an Barnstable's Seite.

»Wen bringst Du denn da?« fragte dieser den langen Tom. »Das ist nicht Griffith?«

»Hebt Euern Anker und stoßt ab!« befahl der Beischiffsführer seinen Matrosen. »Und wenn Ihr den Ariel lieb habt, Ihr Jungens; so rudert zu, solange Leben und Kräfte aushalten.«

Barnstable kannte seinen Tom. Er fragte weiter nicht, bis das Boot aus den Klippen war, und bald über die hohen Berge der Wellen, bald zwischen ihnen dahinglitt. Immer aber flog es mit Staunen erregender Geschwindigkeit dem Hafen zu, wo man den Ariel vor Anker gelassen hatte. Auf der kurzen Fahrt erzählte der Seemann seinem Befehlshaber mit wenigen, aber bittern Worten Dillon's Verrätherei und die Gefahr des Ariel.

»Die Soldaten sind nicht so rasch, wenn in der Nacht Appel geschlagen wird,« schloß er, »und wie ich so obenhin gehört habe, muß der Bote einen Umweg machen, um die Bucht zu umsegeln, aus der wir eben gekommen sind. Ohne den Nordost könnten wir wohl mit dem Ariel glücklich fortkommen. Nun, das ist eine Sache, die blos in Gottes Hand liegt! – Rudert nur zu, meine Kinder; rudert! In der Nacht hängt Alles von Euren Rudern ab!«

In tiefem Schweigen versunken, hörte Barnstable die unerwartete Erzählung an, die in Dillon's Ohr wie Grabgeläute tönte. Endlich machte sich die gepreßte Brust des Lieutnants Luft.

»Schurke!« rief er, »wenn ich Dich in die See würfe, zum Futter für die Fische, wer könnte mich tadeln? Doch geht mein Schooner unter; so soll er Dein Sarg seyn!«


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