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Samstag, 15. Juni, 15 Uhr
Wir betraten das alte Gebäude mit seinen verblaßten Marmorsäulen und seinen altmodischen, schmiedeeisernen Geländern. Wir gingen sofort in das Büro des Staatsanwalts im vierten Stock. Wie das ganze Gebäude, atmete auch das Büro den Hauch vergangener Zeiten.
Auf dem Boden lag ein rostroter Teppich; die Vorhänge, die an den Fenstern drapiert waren, hatten die gleiche Farbe. Mehrere große bequeme Sessel standen vor dem Schreibtisch des Staatsanwalts. Dieser Schreibtisch stand direkt unter den Fenstern. Rechts stand ein hochlehniger Drehstuhl. Außerdem standen verschiedene Aktenschränke in dem Zimmer und ein großer Safe. In der Mitte der östlichen Wand befand sich eine lederbezogene Tür, die mit großen Kupfernägeln beschlagen war und in einen langen schmalen Raum führte, der das Büro und das Wartezimmer miteinander verband. In diesem Raum saßen die Sekretärin und verschiedene Angestellte des Staatsanwalts.
Vance sah sich in dem Zimmer um. »Das also ist die Gebärmutter der staatlichen Justiz, oder?« Er trat an eins der Fenster und sah hinaus. »Und dort sind wohl die Verliese, wo die Opfer unserer Gesetzesgebung schmachten. Ein höchst unerfreulicher Anblick, Markham.«
Der Staatsanwalt hatte sich hinter seinem Schreibtisch niedergelassen und warf einen Blick auf die Notizen auf seiner Schreibunterlage. »Zwei meiner Leute erwarten mich«, bemerkte er, ohne aufzuschauen, »wenn ihr also so lieb wäret und euch da drüben niederließet, kann ich in meinen Bemühungen fortfahren, die Gesellschaft weiter zu unterminieren.« Er drückte auf einen Knopf unter seinem Schreibtisch. Daraufhin trat ein junger Mann mit einer dicken geschliffenen Hornbrille ein.
»Swacker, sagen Sie Phelps, er soll hereinkommen«, befahl Markham. »Und wenn Springer schon vom Essen zurück sein sollte, möchte ich auch ihn in ein paar Minuten sprechen.«
Der Sekretär verschwand, und einen Augenblick später erschien ein hochgewachsener, adlergesichtiger Mann mit hängenden Schultern und einem eigenartigen Gang.
»Was gibt's Neues?« fragte Markham.
»Also, Chef«, antwortete der Detektiv mit tiefer Stimme, »ich habe gerade etwas herausgefunden, was Sie jetzt gleich brauchen können. Nach meinem Bericht von heute mittag wartete ich noch ein wenig vor dem Haus von Captain Leacock, weil ich dachte, daß ich vom Hausmeister noch etwas erfahren könnte. Dabei flog ich dem Captain förmlich in die Arme, als er herauskam. Ich beschattete ihn, und er begab sich auf direktem Weg zu der Wohnung der Dame am Drive. Dort blieb er über eine Stunde. Als er wieder herausging, sah er besorgt aus.«
Markham überlegte einen Augenblick. »Das braucht überhaupt nichts zu bedeuten. Aber ich bin trotzdem froh, davon zu wissen. Die St. Claire wird in ein paar Minuten hier sein, und ich will mal sehen, was sie zu sagen hat – das wär's für den Augenblick. Sagen Sie Swacker, er soll Tracy hereinschicken.«
Tracy war das Gegenstück zu Phelps. Er war klein, etwas dick, und es umgab ihn eine Atmosphäre von einstudierter Höflichkeit.
»Guten Morgen, Chef«, begrüßte er Markham. »Ich habe gehört, daß die St. Clair heute nachmittag hier auftauchen soll. Ich bin auf einige Dinge gestoßen, die für das Verhör wichtig sein könnten.« Er schlug ein kleines Notizbuch auf.
»Ich dachte, ich könnte vielleicht einiges von ihrem Gesangslehrer erfahren, einem Italiener. Miß St. Clair ist eine seiner Lieblingsschülerinnen. Er sprach ohne weiteres mit mir, und es scheint, daß er Benson gut kannte. Benson hat oft bei Miß St. Clair's Proben zugehört, und manchmal holte er sie mit einem Taxi ab. Rinaldo – so heißt der Mann – glaubt, daß er sehr verliebt in das Mädchen gewesen ist. Letzten Winter, als sie eine kleine Rolle sang, war Rinaldo hinter den Kulissen und Benson schickte ihr so viele Blumen, um damit die Garderobe eines Stars zu füllen. Ich versuchte, noch mehr herauszufinden, aber entweder wußte Rinaldo nichts mehr, oder er tat so, als ob er nichts wüßte.« Tracy klappte sein Notizbuch zu und blickte auf: »Hilft Ihnen das weiter, Chef?«
»Bestimmt«, sagte Markham. »Machen Sie so weiter und berichten Sie mir um dieselbe Zeit am Montag.«
Tracy verbeugte sich, und als er hinausging, erschien der Sekretär wieder unter der Tür. »Sir, Springer ist jetzt da«, sagte er. »Soll ich ihn hereinschicken?« Der dritte Detektiv, nämlich Springer, strahlte die sichere Zuverlässigkeit eines schwerarbeitenden Buchhalters einer Bank aus. Er wirkte nicht originell, aber man hatte das Gefühl, daß er auch schwierige Aufgaben mit größter Zuverlässigkeit erledigen konnte. Markham zog einen Zettel aus der Tasche, auf dem er die Namen notiert hatte, die Major Benson ihm gegeben hatte. »Springer, da wohnt ein Mann unten in Long Island, den ich so schnell wie möglich sprechen möchte. Es hat mit dem Fall Benson zu tun, und ich möchte, daß Sie ihn finden und herbringen. Wenn Sie ihn im Telefonbuch finden, brauchen Sie nicht selbst hinzufahren. Er heißt Leander Pfyfe, und ich glaube, er wohnt am Port Washington.« Markham schrieb den Namen auf eine Karte und übergab sie dem Detektiv.
»Heute ist Samstag, wenn er also morgen in die Stadt kommen sollte, soll er nach mir im Club fragen. Ich bin nachmittags dort.«
Als Springer gegangen war, läutete Markham wieder nach seinem Sekretär und befahl, daß Miß St. Clair sofort zu ihm hereingeführt wird, wenn sie ankommt.
Kaum drei Minuten später kam der Sekretär wieder und kündigte die Ankunft von Miß St. Clair an.
Ich glaube, wir waren alle etwas verblüfft über die Show, die diese junge Frau abzog. Mit graziösem Schritt betrat sie langsam den Raum. Sie war klein und ausnehmend hübsch, obwohl ›hübsch‹ eigentlich nicht das richtige Wort ist, um sie zu beschreiben. Sie war von beinahe exotischer Schönheit. Ihre Augen waren besonders dunkel und lagen weit auseinander; ihre Nase war gerade und edel geschnitten, darüber eine breite Stirn. Ihre vollen Lippen sahen wie gemeißelt aus in ihrer Vollkommenheit. Nur ihr rundes festes Kinn war ein wenig zu schwer, aber es paßte zu ihr. Ihre Haltung verriet eine beachtliche Charakterstärke.
Markham erhob sich und verbeugte sich formvollendet. Er wies ihr einen bequemen gepolsterten Sessel direkt vor seinem Schreibtisch an. Mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken sah sie auf den Sessel, setzte sich jedoch dann auf einen Stuhl, der daneben stand.
»Es macht Ihnen sicher nichts aus«, sagte sie, »wenn ich mir für die Inquisition selbst meinen Stuhl aussuche.« Ihre Stimme war tief – die Stimme einer gut ausgebildeten Sängerin. Während sie sprach lächelte sie, aber es war kein verbindliches Lächeln: es war kalt und drückte ein wenig Überlegenheit aus.
»Miß St. Clair«, begann Markham sehr höflich, »der Mord an Mister Alvin Benson ist sehr eng mit Ihnen verbunden. Bevor ich entscheidende Schritte unternehme, habe ich Sie deshalb hierher gebeten, um ein paar Fragen an Sie zu stellen. Ich kann Ihnen deshalb versichern, daß es für Sie am besten sein wird, wenn Sie frei und offen antworten.«
Er hielt inne, und die Frau musterte ihn mit einem ironisch fragenden Blick.
»Sollte ich Ihnen für diesen großzügigen Rat danken?«
Markhams Stirnrunzeln vertiefte sich noch, als er auf die maschinengeschriebene Seite auf seinem Schreibtisch niedersah.
»Sie sind sich wahrscheinlich bewußt, daß Ihre Handschuhe und Ihre Handtasche am Morgen nach dem Mord in Mister Bensons Haus gefunden wurden?«
»Ich kann verstehen, wie Sie die Handtasche mit mir in Verbindung brachten«, sagte sie; »aber wie kommen Sie zu dem Schluß, daß auch die Handschuhe mir gehören?«
Markham sah sie scharf an. »Wollen Sie damit sagen, daß die Handschuhe nicht Ihnen gehören?«
»O, nein.« Sie lächelte ihn wieder an. »Ich wunderte mich nur, wie Sie darauf kommen, daß sie mir gehören, nachdem Sie weder meinen Geschmack von Handschuhen noch die Größe kennen.«
»Es sind also ihre Handschuhe?«
»Wenn sie von Tréfousse sind und Größe sechs haben, aus weißem Material und ellbogenlang sind, dann sind es meine. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, hätte ich sie schrecklich gern zurück.«
»Es tut mir leid«, sagte Markham, »aber es ist unumgänglich, daß ich Sie noch eine Weile behalte.«
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich rauche?« fragte sie.
Markham öffnete sofort die Schreibtischschublade und holte eine Schachtel Zigaretten heraus.
»Ich habe meine eigenen, vielen Dank«, sagte sie. »Aber ich hätte sehr gern meine Zigarettenspitze. Ich habe sie schrecklich vermißt.«
Markham zögerte. Man sah ihm an, daß ihm die Art der Frau nicht gefiel. »Ich will Sie Ihnen gern leihen«, sagte er. Er griff in eine andere Schublade des Schreibtisches und legte die Zigarettenspitze vor sie auf den Tisch.
»Also, Miß St. Clair«, sagte er und versuchte seine Haltung wiederzugewinnen, »würden Sie mir bitte erklären, wie diese Ihre persönlichen Sachen in Mister Bensons Salon gelangt sind?«
»Nein, Mister Markham, das werde ich nicht«, antwortete sie.
»Es wäre sehr viel besser, wenn Sie es täten«, bemerkte Markham. »Es wird Sie wohl kaum jemand um Ihre Situation beneiden, und die Anwesenheit Ihrer Sachen in Mister Bensons Raum ist längst nicht alles, was Sie direkt mit diesem Verbrechen in Verbindung bringt.«
Die Frau zog fragend die Augenbrauen hoch, und wieder erschien dieses winzige Lächeln in ihren Mundwinkeln. »Haben Sie etwa genügend Beweise, um mich dieses Mordes anzuklagen?«
Markham ignorierte diese Frage. »Soviel ich weiß, waren Sie sehr eng mit Mister Benson befreundet?«
»Das Auffinden meiner Handtasche und der Handschuhe in seiner Wohnung könnte einem zu dieser Annahme kommen lassen, oder nicht?«
»Er war doch tatsächlich sehr an Ihnen interessiert?« sagte Markham.
»Nun ja! Haben Sie mich hierher gerufen, um über die Aufmerksamkeiten dieses Gentleman zu diskutieren?«
Wieder überhörte Markham ihre Frage. »Miß St. Clair, wo waren Sie, nachdem Sie das Marseilles verlassen hatten und bis zu dem Zeitpunkt, als Sie nach Hause kamen; soviel ich weiß, war das nach ein Uhr nachts?«
»Sie sind einfach wunderbar!« rief sie aus. »Sie scheinen wirklich alles zu wissen. Nun, ich kann nur sagen, daß ich während dieser Zeit auf dem Heimweg war.«
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie dafür eine Stunde brauchten?«
»Ja, vielleicht ein paar Minuten mehr oder weniger.«
»Wie erklären Sie sich das?« fragte Markham, der langsam ungeduldiger wurde.
»Ich kann Ihnen das nicht erklären«, sagte sie, »außer damit, daß die Zeit eben verrinnt. Manchmal fliegt die Zeit vorbei.«
»Wenn Sie diese Einstellung nicht ablegen, fügen Sie sich nur weiteren Schaden zu«, warnte Markham, der stark irritiert wirkte.
»Es sieht fürchterlich verdächtig aus, ich weiß«, gab sie spöttisch zu. »Und dazu sage ich Ihnen folgendes: Wenn meine Gedanken fähig gewesen wären, Mr. Benson zu töten, dann wäre er schon lange tot.«
»Warum sind Sie dann mit ihm zusammen essen gegangen?«
»Diese Frage habe ich mir seither auch schon oft gestellt«, gab sie unumwunden zu. »Wir Frauen sind derartig impulsive Geschöpfe – immer tun wir Dinge, die wir besser nicht tun sollten. Aber ich weiß, was Sie denken: wenn ich die Absicht gehabt hätte, ihn zu erschießen, wäre ein gemeinsames Abendessen das richtige Vorspiel gewesen. Dachten Sie nicht in dieser Richtung? Ich nehme an, daß alle Mörderinnen zuerst mit ihren Opfern essen gehen.«
Während sie sprach, öffnete sie ihre Handtasche und betrachtete sich im Spiegel. Graziös ordnete sie sich ein paar Strähnen ihres Haares, das von einer wunderschönen, dunkelbraunen Farbe war. Zart betupfte sie mit dem kleinen Finger ihre Augenbrauen.
Nach einer kurzen Pause fragte Markham zornig: »Sie haben bei der Firma Benson und Benson mit ganz beträchtlichen Summen spekuliert, nicht wahr?«
Ein helles, musikalisches Lachen begrüßte diese Frage: »Ich merke, daß der gute Major sehr gesprächig gewesen sein muß. Jawohl, ich habe riskant spekuliert. Und auch das hätte ich eigentlich nicht tun sollen. Ich fürchte, daß ich habgierig bin.«
»Und stimmt es nicht auch, daß Sie letzthin große Verluste hinnehmen mußten – daß Mr. Alvin Benson sogar mehr Kapital verlangte und schließlich auf Ihre Sicherheiten zurückgriff?«
»Bei Gott, ich wünschte, es wäre nicht wahr«, sagte sie. »Aber sollte ich vielleicht Mr. Benson umgebracht haben, um ein Rachegefühl abzureagieren?« Sie lächelte maliziös.
»Ist es richtig, daß Captain Philip Leacock genau die gleiche Pistole besitzt, mit der Mr. Benson umgebracht wurde – einen automatischen fünfundvierziger Army-Colt?«
Bei der Nennung des Namens ihres Verlobten zuckte sie sichtlich zusammen und hielt die Luft an. Die Rolle, die sie bisher gespielt hatte, fiel von ihr ab und eine leichte Röte überzog ihre Wangen. »Ich habe mich niemals um die Marke oder das Kaliber von Captain Leacocks Waffen gekümmert.«
»Und stimmt es nicht«, bohrte Markham weiter, »daß Captain Leacock Ihnen die Waffe geliehen hat, als er Sie am Morgen vor dem Mordtag in Ihrer Wohnung besuchte?«
»Es ist ausgesprochen taktlos von Ihnen, Mr. Markham, sich in die persönlichen Angelegenheiten eines verlobten Paares zu mischen.«
Markham erhob sich. »Soll ich das etwa so verstehen, daß Sie sich weigern, meine Fragen zu beantworten?«
Sie schien nachzudenken. »Jawohl«, sagte sie. »Im Moment wüßte ich nichts, worüber ich mit Ihnen sprechen möchte.«
Markham beugte sich vor und legte beide Hände auf seine Schreibtischplatte. »Sind Sie sich über die möglichen Konsequenzen Ihrer Haltung bewußt?« fragte er. »Das, was ich über Ihre Verbindung mit dem Mordfall weiß und Ihrer Weigerung, bei der Aufklärung dieses Verbrechens mitzuhelfen, geben mir mehr Gründe als ich brauchte, um Sie festzunehmen.«
Sie lächelte den Staatsanwalt nur spöttisch an.
Markham wandte sich plötzlich um und griff in die Richtung des Knopfes unter seinem Schreibtisch. Aber gleichzeitig fiel sein Blick auf Vance; und seine Hand blieb unentschieden in der Luft hängen. Im Gesichtsausdruck von Vance war vorwurfsvolles Erstaunen.
Es vergingen einige Augenblicke spannungsgeladenen Schweigens. Dann öffnete Miß St. Clair langsam und ruhig ihre Handtasche und puderte sich die Nase. Als sie damit fertig war, hob sie den Blick wieder zum Staatsanwalt. »Nun, wollen Sie mich jetzt festnehmen?« fragte sie.
Markham betrachtete sie einen Augenblick. »Nein, heute noch nicht«, sagte er langsam. »Aber ich muß Sie bitten, New York vorläufig nicht zu verlassen. Und wenn Sie den Versuch machen, abzureisen, werde ich Sie ganz sicher festnehmen lassen. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt.« Er drückte auf einen Knopf, und der Sekretär erschien.
»Swacker, bitte geleiten Sie Miß St. Clair hinunter und rufen Sie ihr ein Taxi.«
Sie erhob sich und nickte Markham flüchtig zu. »Es war sehr nett von Ihnen, daß Sie mir meine Zigarettenspitze ausgeliehen haben«, sagte sie und legte sie wieder auf den Schreibtisch. Ohne ein weiteres Wort ging sie aus dem Zimmer.
Die Tür hatte sich noch nicht ganz hinter ihr geschlossen, als Markham auf einen anderen Knopf drückte. Ein paar Augenblicke später öffnete sich die Tür, die zum Korridor führte. Ein Mann mit grauem Haar und mittleren Alters erschien.
»Ben«, befahl Markham, »lassen Sie die Frau, die Swacker gerade hinunterbringt, beschatten. Behalten Sie sie im Auge; sie darf auf keinen Fall entwischen. Sie darf die Stadt nicht verlassen – verstehen Sie? Es handelt sich um diese St. Clair.«
Als der Mann gegangen war, wandte Markham sich um und fixierte Vance. »Was hältst du jetzt von deiner Miß Unschuld?« fragte er triumphierend.
»Nettes Ding, nicht wahr?« antwortete Vance trocken. »Höchst ungewöhnlich ihre Beherrschung. Und die will einen Berufskrieger heiraten! Na ja, über den Geschmack ... Weißt du, einen Augenblick lang hatte ich ernst Sorge, du würdest sie tatsächlich einlochen. Und wenn du das getan hättest, mein lieber Markham, hättest du es dein Leben lang bereut.«
»Ihre Haltung war aber nun wirklich nicht dazu angetan, an ihre Unschuld zu glauben«, protestierte Markham. »Sie spielte ihre Rolle so ungeheuer gerissen. Das war genau so, wie eine schuldige Frau reagieren könnte.«
»Jetzt hör mal zu«, sagte Vance, »ist dir eigentlich niemals der Gedanke gekommen, daß es ihr vollkommen gleich war, ob du sie nun für schuldig oder für unschuldig hieltest? Und daß sie tatsächlich ein bißchen enttäuscht war, als du sie einfach laufen ließest?«
»Also, so würde ich die Situation ja nun wirklich nicht beurteilen«, gab Markham zurück. »Ob nun schuldig oder unschuldig – es gibt wohl niemand, der eine Verhaftung von sich aus vorschlägt.«
»Übrigens«, fragte Vance, »wo war dieser beneidenswerte Kerl, während der Mord an Alvin geschah?«
»Glaubst du etwa, wir hätten uns nicht schon längst um diesen Fall gekümmert?« antwortete Markham gereizt. »Captain Leacock war in seiner eigenen Wohnung, und zwar die ganze Nacht von zwanzig Uhr an.«
»Tatsächlich?« fragte Vance ironisch. »Ein höchst häuslicher junger Mann!«
Wieder sah ihn Markham scharf an. »Jedenfalls«, meinte er dann, »bist du um das Vergnügen gekommen, Zeuge einer Demütigung zu werden, wie du anfänglich prophezeitest.«
Vance tat erstaunt. »Wirklich?« Dann setzte er besorgt hinzu: »Das Leben birgt so viele Enttäuschungen, weißt du.«