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Erster Teil. Wien

Auf der Höhe des Wienerbergs steht jene alte Denksäule, die unter dem Namen »Spinnerin am Kreuz« im Volk und als zweites Wahrzeichen Wiens auch auswärts ebenso bekannt ist als das erste: der Stephansturm, welcher – der Tradition nach – nicht höher ist als die Spitze dieses im reinsten deutschen Stil erbauten Denkmals, über dessen Ursprung und Bedeutung die verschiedensten Sagen erzählt werden.

siehe Bildunterschrift

Wien

Eine fromme Gattin, die den ritterlichen Gemahl jahrelang vergebens vom Kreuzzug zurückerwartete – so kündet eine von jenen Überlieferungen –, habe auf dem Wienerberg so lange gesponnen, bis sie vom Erlös ihres Fleißes dieses Denkmal gesetzt habe.

Eine andere Sage berichtet von einer Kaiserstochter Euphemia, welche Chorfrau im Frauenmünster zu Tule gewesen war und nach langem Siechtum plötzlich in der Verzückung glaubte, das Herz sei ihr geraubt worden und werde in einem goldenen Gefäß verschlossen gehalten; ein heimkehrender Pilger aber werde es ihr wiederbringen. Hierauf sei sie zu einem Gnadenbild gewallfahrt, ohne Erlösung zu finden; auf dem Rückweg aber habe sie auf der Höhe des Wienerbergs neben einem hölzernen Kruzifix die Tochter des Meiers gesehen, die vom Morgen bis zum Abend saß und spann, um durch den Erlös des Gesponnenen jedem vorbeikommenden Pilger einen Labetrunk zu schaffen. Bei diesem frommen Mädchen sei nun die Kaiserstochter geblieben und habe inbrünstig zu Gott gebetet. Als sie aber in ihr Kloster wiedergekehrt sei, habe sie plötzlich Erlösung ihres Leidens empfunden, und zur selben Stunde habe man ihr in einem goldenen Gefäß – das Herz ihres Vaters, des Kaisers, der fern am Rhein gestorben war, gebracht. »Romantisch-historische Skizzen aus Österreichs Vorzeit« von Emil ***, Wien 1837, Fr. Beck.

Eine dritte, gänzlich von den beiden früheren abweichende Sage über den Ursprung der Denksäule ist folgende, deren frisches Gepräge ihre Entstehung im Volk aufs lebhafteste bekundet: Ich verdanke die Kenntnis derselben meinem verewigten Freund, dem unvergeßlichen Volksdichter Ferdinand Raimund, der sie mir wenige Wochen vor seinem Tod auf der Höhe des Wienerbergs bei der Säule selbst erzählte.

Ein Müller namens Spinner stand bei der Hinrichtung eines Diebes im vordersten Kreis, der sich um das Hochgericht gebildet hatte, das nicht sehr fern seitab von der Spinnerin am Kreuz stand, und äußerte, während der arme Sünder die verhängnisvolle Leiter bestieg, vorwitzig und so laut, daß dieser es hören konnte, er möchte wohl wissen, wie dem auf der Leiter jetzt zumute sei.

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als der Verbrecher, der schon die Schlinge um den Hals trug, ausrief: »Halt! Ich habe noch etwas zu entdecken. Ich verschwieg meinen Mitschuldigen.« Staunen und Schweigen ringsum. Der arme Sünder aber weist von der Leiter herab kaltblütig auf den Müller und ruft: »Der ist's!«

Die Hinrichtung wird verschoben, der Müller gefaßt und ins Gefängnis gebracht. Da der Verbrecher seine Anklage nicht zurücknimmt, wird dem Müller der Prozeß gemacht und das Urteil gesprochen, und in Kameradschaft mit dem Verbrecher erreicht er bald darauf die Höhe des Wienerbergs und besteigt bleich vor Todesangst die verhängnisvolle Leiter.

»Weißt du nun, wie einem ist?« fragt ihn jetzt der andere und erklärt hierauf dem Richter und den Zuschauern, daß der vorwitzige Müller unschuldig sei und daß er selbst vor seinem Tod sich noch einen feinen Spaß gemacht habe.

Der Müller aber setzte aus Dankbarkeit für seine Rettung vom schmählichen Tod und zum ewigen Gedächtnis unfern der Richtstätte die Kreuzsäule, die nach ihm »Spinnerskreuz« genannt wurde. Gelehrte haben lange Zeit an der Benennung der Denksäule nicht weniger fabelhaft gedeutet als das Volk; die einen leiteten den Namen davon her, daß die Kreuzsäule die Gestalt einer Spinne habe, wie es auch nach der Verschiedenheit der Form spanische, burgundische, Andreas- und Sternkreuze gebe; wieder andere, daß des Volkes Mundart Fabiana in Biana und Wian verschmolzen, das Kreuz »'s Wiana Kreuz« (im Wiener Idiom!) genannt worden sei; endlich, daß es nach einem Erbauer Crispinus Pöllitzer (1547) »Crispinskreuz« getauft worden sei. Hormayrs »Geschichte Wiens«, 1. Jahrgang, 4. Bd., Heft 3, S. 45 f.; 2. Jahrgang, 4. Bd., Heft 1, S. 77 f.. Der Magistratsbeamte Schlager hat 1836 aus aufgefundenen Baurechnungen nachgewiesen, »Wiener Skizzen aus dem Mittelalter.« daß die unter dem Namen »Spinnerin am Kreuz« im Volk bekannte Denksäule von der Stadtbehörde Wiens 1452 und 1453 durch denselben trefflichen Meister Hans Buchsbaum, der den Bau des großen Turms am Stephansdom 1433 vollendete und 1450 den des unausgebaut gebliebenen begann, errichtet wurde, daß die Benennung, die zu manchen gelehrten Fabeln Anlaß gab, erst späteren Ursprungs ist und daß sämtliche Volkssagen wahrscheinlich nicht vor den letzten 60 bis 70 Jahren entstanden sind.

Die Säule ist im reinsten deutschen Baustil, wiewohl öfter von Grund auf restauriert worden, 6° 3½' (Wiener Maß) hoch. Von ihren Stufen aus bietet sich das reichste und schönste Rundgemälde der Kaiserstadt.

Das Getümmel der Hunderttausende, die ihre Straßen durchwimmeln, schallt nur gedämpft wie jenes geheimnisvolle Brausen des Meeres, wenn dessen Anblick dir noch eine geraume Strecke weit verborgen ist; im ganzen Stolz ihrer Pracht, ihrer Bedeutung, ihres Lebens zeigt sich die Metropole deinen Blicken, zu drei Seiten umfangen von den waldigen, mit Schlössern und Villen gekrönten Bergen gleich der ungeheuren Arena eines Amphitheaters; die zahllosen Bauten stehen darin an- und ineinandergedrängt wie ein Volk, das im Anschauen von Kampfspielen zu Stein wurde; und mitten daraus ragt wie ein unbezwungener Sieger in allen Kämpfen ernst und stolz gegen Himmel des Stephansdoms altersgrauer Riesenturm, auf dessen Scheitel Kreuz und Adler, der Schluß seiner Krone, im Mittagssonnenglanz schimmern. Neben ihm verschwinden die zahlreichen anderen Türme und Kuppeln der Kaiserstadt, nur die nächste in der Ebene fesselt dein Auge, es ist die der Karlskirche.

Wo eigentlich die Marken der Stadt beginnen, suchst du vergebens zu unterscheiden; alle Orte, nah und fern, mit ihren aus Gärten, Saaten und Rebenhügeln auftauchenden roten Dächern und zierlichen Türmen scheinen weniger Ausläufer, als neue Anbauten der Metropole zu sein, die fast nicht genug Raum findet, die gewaltigen Glieder auszustrecken. Erst gegen Westen zu kann der Blick sich auf den weiten Flächen von den mannigfachen Eindrücken der anmutigen Dörfer erholen, die sich wie Stationen auf einer Wallfahrt für Wiens lebensfrohe Bewohner in dem großen Park ausnehmen, den Wiens Umgebungen von Klosterneuburg an, Döbling, Heiligenstadt, Grinzing, Sievering, Dornbach, Schönbrunn, Hietzing entlang bis Mödling, zur herrlichen Brühl und zum kaiserlichen Lustschloß Laxenburg bilden. Kaum schmilzt der Schnee auf den Bergen, kaum beginnen die Wälder in frischem Grün zu prangen, so sind alle jene sanften Höhen, jene reizenden Täler, die dich so anheimeln, von Kolonien lustiger Wiener bevölkert, gleichsam nur Bestandteile Wiens selbst, das bis in die letzten Herbsttage, bis die letzten Trauben in Grinzing gekeltert sind, doppelt so groß als im Winter ist.

Der Wiener liebt die Natur und versteht die Kunst, sie zu genießen, doch macht er aus dieser Kunst kein Raffinement; er sucht sie mit reiner naiver Freude auf und verkümmert sie sich nicht selbst durch lange Voranstalten zum Genuß. Ein frischer Rasen – kann er keinen solchen finden, ein dürrer –, der Schatten eines Baumes und fröhliche Herzen, die mit ihm genießen, sind's, was ihm genügt; das letztere, die Mitfreude anderer, braucht er vor allem; so großstädtisch frisch er im immerwährenden Ab- und Zustrom eines großartigen Verkehrs sich erhält – der Kern seiner Frische ist das patriarchalische Element, das ihm angeboren ist und das durch keine Wechselbeziehungen im Weltleben verwischt werden kann. Auf der »Landpartie« bedarf die Familie keines Restaurants, sie führt ihren Proviant selbst mit, und ein willkommener Gast ist jeder, den sein Weg an der improvisierten Tafel ohne Tische und Stühle vorbeiführt. Die Schönheit der Umgebung seiner Vaterstadt gilt dem Wiener als großes Gemeingut, und er tut sich was drauf zugute, sie dem Fremden zu zeigen, dessen freudige Überraschung ihm der schönste Lohn für Gastfreundschaft dünkt.

Doch inniger noch als die Natur liebt der Wiener sein Wien. Es ist ihm sein Höchstes, sein Stolz, seine steinerne Bibel mit tausend und abertausend heiligen Blättern, die er sich nicht verunglimpfen läßt, die er in der Ferne so wenig vergißt wie der Alpenbewohner seine Gletscher und Ferner. Fragt ihr um den Grund dieser so festen, so treuen, so rührenden Liebe – so bleibt er euch die Antwort schuldig. Es ist nicht die weiche, wohlige Atmosphäre des glücklichen Leichtsinns, nicht der ewig wolkenlose Himmel der guten Laune; und nicht die engen, krummen, von Menschen vollgestopften Straßen sind es, aus deren Häusern bekannte Gesichter ihm zulächeln. Selbst sein Palladium, der alte ehrwürdige Stephan, ist es nicht, noch ist es das Zusammenströmen von Pracht und Luxus eines reichen, gewaltigen Adels, kein Gepränge und kein Besitz, – nichts von alledem ist es, was den Wiener, wo er auch sei, so stolz und freudig auf sein Wien macht, was ihn so fest daran bindet.

Doch – wenn er selbst es auch nicht weiß und, wenn er's wüßte, zu bescheiden wäre, es sich und anderen zu gestehen – es ist der mächtige Zauber des deutschen Gemüts, das sich in Wien in vorzugsweiser Ursprünglichkeit und Reinheit erhalten hat und das etwas Höheres ist als jene bloße sogenannte »Gemütlichkeit«, die man gemeinhin so gnädig ist, den Wienern zuzugestehen; ja, das deutsche Gemüt, das sich in Wien mitten in einem großartigen Verkehr mit den verschiedensten Volksstämmen: Slawen, Ungarn, Italienern, Griechen, unangefochten von der sittlichen Verderbnis, die sonst in großen Städten unvermeidlich ist, elastisch aufstrebend unter so vielen Drangsalen, die auf dem Volk im Laufe der Jahrhunderte gelastet haben, fort und fort behauptet, das in unverwüstlicher, schöpferischer Kraft sich aus sich selbst verjüngt. Nicht ohne diese Bedeutung des Wortes im Sinn zu haben, nannten wir Wien früher das Herz der Monarchie. Darum gibt es in Wien noch einzig von ganz Deutschland einen echten deutschen Volkshumor, wenn auch die dortige Volksbühne eingestürzt ist; einen positiven, poetischen Humor, der reich und üppig unmittelbar aus dem Gemüt quillt und durch dessen innere Gesundheit allein fortkommt, der im Moment schlägt und trifft, ohne sich vorher lange mit dem berechnenden Verstand in ein Detailgeschäft einlassen zu müssen, welcher die Spitze des Witzes schärfen und polieren soll. Eben dadurch, daß in Wien alles in engeren Familienkreisen sich gruppiert, welche die Beziehungen und Einflüsse des Weltlebens den einzelnen vermitteln, und daß selbst das öffentliche Leben in den Cafés die Signatur des vertraulichen Familienlebens trägt, ist dem Gemüt seine Weihe gesichert, und der Humor hält als Tempelhüter davor Wache, daß jene grämliche, prüde, kleinmeisterliche und geschminkte Spießbürgerlichkeit, die ihr so gerne »Gemütlichkeit« tauft, mit ihrer Medisance, mit ihren zugespitzten, fein ziselierten Redensarten, mit ihrem altjüngferlichen Verschämttun und ihrem boshaften Erratenlassen sich nicht in den schlichten deutschen Haushalt eindrängt, wo man über Tisch lieber die Röcke auszieht, als mit Glacéhandschuhen an den Händen ißt, wo der derbe freie Spaß, wenn er nur gesund ist, seinen Ehrenplatz in der Familie behauptet, wo man nicht bei schlechtem Tee schlechte Gedichte anhören mag und wo ein ehrlicher Kuß nicht so verpönt ist als mattseliges, heimliches Händedrücken unter dem Tisch. Das ist das eigenste Glück des Wieners, daß er sich von diesem Glück keine Rechenschaft zu geben weiß, daß er es genießt wie der muntere Vogel die Ähren, die Gott auf dem Feld wachsen läßt, daß er eben seinem innersten Wesen mit der kritischen Sonde noch nicht nahe kam, wie der Gesunde das Wesen der Gesundheit nicht zu definieren vermag; gewiß dies ist sein höchstes Glück – nicht jenes gepriesene und beneidete sinnliche Wohlleben, das für jeden Fremden mit dem Begriff Wien unzertrennlich ist.

Daß aber jener Zauber des deutschen Gemüts, das die Wiener, ohne es zu wissen, in seiner Ursprünglichkeit bewahren, der innerste Grund ihrer Anhänglichkeit an die Vaterstadt, ihres Heimwehs danach in der Fremde ist, dafür gibt die Vorliebe jedes Fremden, der je aus irgendeinem anderen deutschen Land nach Wien gekommen ist – eine Vorliebe, die bei manchen wie Heimweh nachtönt –, die schönste Bestätigung. Der Fremde fand ein Element seines Nationalcharakters, das ihm über manchen großartigen Lebens- und Staatsverhältnissen, über brausendem, betäubendem Weltverkehr und über so manchen glänzenden Schlacken der Zivilisation verlorengegangen ist, im vollen Glanz der Reinheit, in üppiger Jugendfrische – im Wiener Volk wieder und fühlte sich selber wieder jung und frisch. Hier ist noch eine Masse von unverdorbenen Bildungsstoffen, aus denen für das Gesamtleben des deutschen Volkes als ein eines und Ganzes, das Bedeutendste gewonnen und fruchtbringend angelegt werden kann.

Ehrfurcht vor dem Alter, Vertrauen, Treue und Hingebung bis zur Aufopferung, aber auch Leichtgläubigkeit und Festhalten an liebgewordenen Täuschungen; Lebhaftigkeit im Auffassen und fröhlicher Mut mitten unter ernsten Bedrängnissen (der Wiener Humor geht so lange um das Unglück herum, bis er diesem, wenn er auch keine gute Seite daran finden kann, doch wenigstens eine burleske abgewinnt); anderseits aber auch oft übertaumelnder Leichtsinn, Freude an der Schönheit der Form und darum leicht erregbare Empfänglichkeit für bildende Kunst, Poesie und Musik und ein feiner Geschmack, der selbst die Mode sich unterwirft; dagegen auch Befriedigung durch die blendende Außenseite, Neugier und volles Behagen an Schaugepränge jeder Art; Gastfreundschaft und Gasterei, ein echtes »Lebenlassen« und selbst leben; ein Drang, sich rasch auszuleben und im lustigen Dahinstürmen wie auf der Flucht soviel des Schönen sich noch anzueignen und ganz auszukosten, wie die Außenwelt bietet und die kleine Innenwelt des Ichs aufzunehmen vermag; Redlichkeit und Versöhnlichkeit, sobald die erste Aufwallung des Zorns vorüber ist; doch auch Unbesonnenheit, zu der ihn der Witz verleitet (er kann einen guten Einfall nicht lange auf der Zunge behalten) – dies sind ungefähr die Grundzüge zu dem Porträt des Wiener Volkes; einfach, treu und ohne Schmeichelei von seiten des Malers.

Im Widerschein des Leichenbrandes Marc Aurels In Carnuntum (Petronell), seinem Hauptquartier, schrieb der kaiserliche Philosoph an seinen Betrachtungen. – zu Tiberius' Zeiten bloß noch gemauertes Römerlager – zuerst in der Geschichte Die Sage spricht von einer Gründung Wiens lange vor der Roms durch Juden aus Phönizien, von einer zweiten durch Julius Cäsar (Juliabona), den sie in dem »Berghof« (auf dem Hohen Markt), der Wiens ältestes Haus genannt wird, walten läßt. (im Jahre 180) zeigt sich Vindobona (der Wenden Wohnung) als Stadt (Municipium, Oppidum). In Vindobonas Nähe scheint Marc Aurel den Übergang über die Donau erstritten zu haben, um die Markomannen und Quaden zu bekämpfen, gegen die ihm Jupiter pluvius oder (wie die Kirchenschriftsteller versichern) das Gebet der aus Christen bestehenden Legio XII. fulminatrix den Sieg erringen half. Kaiser Gallienus räumte um den Preis der schönen Barbarenjungfrau Pipa (Salonina) ihrem Vater, dem Markomannenkönig Attalus (?), einen Teil des oberen Pannonien ein, Vindobona wohl mit einbegriffen; noch redet eine in Wien gefundene Meilensäule von Gallienus' und Pipas Sohn, dem Fürsten der Jugend, P. Licinius Cornelius Valerianus, dem Wiederhersteller der Heerstraßen und Brücken. Unter Valentinian finden wir die römische Donauflotte, welche früher in Carnuntum stand, nach der Verwüstung dieses Waffenplatzes aber in Vindobona.

Nach dem Zerfall der Hunnenherrschaft erscheint Vindobona (Vindomina, Vindomana) im Besitz der Goten. Die Greuel der Völkerwanderung verschonen es nicht, ja selbst seinen Namen büßt es ein und wird vom fabianischen Standlager, das einst sich dort befunden hat, nun Favianis genannt. Am linken Ufer der Donau herrschen die Rugier mit Flaccitheus als König; Barbaren streifen wie hungernde Geier durch die öden Römerstädte; Hunger, Schwert, Flammen und wilde Leidenschaften toben von Ort zu Ort. Als Retter, Berater und Tröster, als Seher und Vater ritt in diese Nacht des Elends Severinus, der Gottesmann, der in Fabiana und außerhalb der Stadt (in Heiligenstadt) Bethäuser und Zellen baute; das freundliche Sievering unfern Heiligenstadt bewahrt noch heute seinen Namen. In die stille Zelle dieses segensreich wirkenden Glaubensboten trat der Heruler Jüngling Odoaker, der Kühnste und Gewaltigste seines Stammes, und empfing von jenem die Weissagung: das rauhe Vlies, das er jetzt noch trage, werde sich ihm in Italien in reichen Schmuck verwandeln. Kaum ein Jahrzehnt verfloß, so ging die Prophezeiung Severins in Erfüllung: am 23. August 476 begrüßte das Heer Odoaker, den Heruler, zu Ravenna als König von Italien, und der letzte römische Kaiser des Abendlandes, das Kind Romulus Augustinus, übergab dem Barbaren das Diadem. Als aber Odoakers Glück im Scheitelpunkt stand, sah Severin und weissagte dessen Untergang. Der Sohn des Rugierkönigs Flaccitheus, Feletheus (Fava), breitet seine Herrschaft auch am rechten Ufer der Donau aus, Fabiana fällt in seine Gewalt, Friedrich, sein Bruder, hält dort Hof – ihn ermordet sein Neffe; bald naht Odoaker an der Donau und zerstört das Rugierreich. Aber dem großen Gotenkönig Theoderich, dem Dietrich von Bern des Heldenlieds, erliegt bald auch Odoaker. Unter Theoderichs Herrschaft empfängt Fabiana mit Mamertinus, der früher römischer Tribun war, seinen ersten Bischof. Zwei Jahrhunderte lang danach, seit die Awaren die Donauländer überflutet haben, liegt tiefe Nacht über Fabianas Geschick; nur zwei Schüler des heiligen Rupert, dessen Namen Wiens älteste Kirche noch heute trägt, treten im Nimbus der Legende aus jener Nacht hervor.

Von Karl dem Großen berichtet die Überlieferung, daß er, nachdem er in achtjährigem Kampf die Awaren vertilgt hatte, in Fabiana die St.-Peters-Kirche gestiftet habe. Nicht fern von jener Zeit setzt die Sage auch die Gründung der Kirche Maria am Gestade (Maria Stiegen) auf der Anhöhe, an der damals die Donau vorbeifloß.

Als Arnulf die Magyaren gegen den gewaltigen Mährenkönig Swatopluk herbeigerufen hatte, brach aufs neue furchtbares Elend, wie einst in den Tagen der Hunnen und der Awaren, über die Donauländer herein, bis Heinrich der Finkler, der Städtebauer, nach neunjährigem Waffenstillstand bei Merseburg (933) die Magyarengewalt brach und Otto der Große auf dem Lechfeld bei Augsburg (955) sie vernichtete. Melk war von da an ihre Trutzburg an der Grenzmark, bis Leopold der Erlauchte, der Otto dem Großen einst auf der Jagd das Leben gerettet hatte, nach Jahren den dabei zerbrochenen Bogen des Kaisers dessen Nachfolger als Pfand kaiserlichen Versprechens vorwies und darauf die Grafschaft der Ostmark erhielt und die stolze Jungfrau Meddelika im Sturm gewann.

Unter Heinrich III. wurde Wien zum ersten Mal wieder genannt, als er auf der Fahrt gen Ungarn Fürstenrat gehalten hatte. Markgraf Leopold der Heilige besaß zwei Jagdhäuser in Wien. Sein Sohn Heinrich Jasomirgott zog sich aus der Ungarnschlacht an der Fischa (1146) nach dem Städtchen Wien zurück, »das einst Favianis geheißen«, wo er – außerhalb der Mauern – schon 1144 eine Kirche zu Ehren St. Stephans gegründet hatte, deren Bau der Meister Oktavian Falkner aus Krakau übernahm. Als 1147 die Kreuzfahrer, von Regensburg auf der Donau herabgekommen, in Wien Rast hielten, weihte Reimbert, der Bischof von Passau, das neue Gotteshaus ein. Zu Regensburg (1156) gab Markgraf Heinrich Jasomirgott das Herzogtum Bayern Kaiser Friedrich, dem Rotbart, für Heinrich den Löwen zurück und empfing dafür das Land ob der Enns und die Herzogwürde für Österreich; da baute er sich in der neuen Residenz ein Herzogschloß an jener Stelle, die noch heute der »Hof« genannt wird. Auch die Abtei der Schotten in Wien ist seine Stiftung (1158); dort wollte er und dort sollten seine Enkel ihre letzte Ruhestätte haben. Im Jahre 1165 sah Wien den gewaltigen Rotbart in seinen Mauern; später auch Heinrich den Löwen, als dieser seine Pilgerfahrt nach Palästina antrat, und zum zweiten, zum letztenmal (1189) den großen Staufenkaiser in gleicher Absicht, Heerschau haltend über die Scharen der Kreuzfahrer; Jasomirgotts Sohn Leopold, der Tugendhafte genannt, und sein Bruder Heinrich von Mödling »Durch Gottes Gnaden der, der ich bin!« schrieb er sich gern. folgten dem kaiserlichen Helden.

Vor den Mauern von Ptolemais wetteiferte Leopold mit dem ritterlichen König Englands an Tapferkeit. Da geschah es, daß er das weiße Kriegsgewand in Blut badete bis auf den Streifen des Gürtels; und von jener Stunde an hob er das rote Feld mit dem weißen Streifen vom herzoglichen Wappenrock ins Wappen des Landes. Als aber König Richard gewahrte, daß Leopold zuerst seine Fahne auf der erstürmten Zinne einsetzte, schwoll ihm das Löwenherz vor Neid und Zorn, und in rascher Tat warf er Österreichs Fahne von der Zinne in Staub und Blut hinab. Leopold schwor, ihm die Schmach zu gedenken, und er tat's. Ein zweiter Odysseus, von den Stürmen des Meeres und des Schicksals umhergetrieben, zog König Richard gar bald vom Morgenland heim. Schiffbrüchig erreichte er die dalmatinische Küste und wanderte als Templer verkleidet von Ort zu Ort, denn er wußte, daß Frankreich, daß die Deutschen ihm nachstellten, die Schmach von Ptolemais an ihm zu rächen. Der Glanz seines Geschmeides verrät ihn, da wird er zum Kaufmann aus der Normandie und hüllt sein Antlitz ins lange Gelock. Von seinem Gefolge getrennt, erreicht er endlich Wien, wo sein Todfeind Herzog Leopold herrscht, und herbergt in dem nahe vor der Stadt gelegenen Schifferdorf Erdberg, in dem herzoglichen Rüdenhaus, dem »Hirschpeunt«, vor dem das Volk auf der Eisbahn sich am Kegelspiel ergötzt. Den mittleren Kegel habe das Volk »König Richard« genannt; seit jener Zeit sei's, daß man jenen den Königskegel nenne. Sein treuer Diener bestellt indessen ein Schiff, das den König am anderen Tag über die Donau bringen soll; vom linken Ufer hofft er bald Böhmen, ein sicheres Asyl, zu erreichen. Doch den Diener verrät das fremde Gepräge der Münze und den König selber wertvolles Geschmeide. Eine andere Volkssage läßt den König in der Küche den Bratenspieß drehen. Er wird gefangen, und nach tapferer Gegenwehr gibt er nur dem Herzog selbst sein Schwert.

Auf der unnahbaren Felsenfeste Dürnstein an der Donau verwahrte Leopold die fürstliche Beute, der gewaltige Kuenringer bewachte ihm dort das Löwenherz. Dort von einer Felszacke zur anderen wie eine Gemse kletternd zeigt euch die Sage den treuen Sänger, der seinen König sucht. Endlich nahm Kaiser Heinrich VI. den ritterlichen König aus der Hand des Todfeindes; doch nicht milder war jetzt Richards Los: von einem Gefängnis mußte er ins andere wandern, nach Trifels und Worms, bis er endlich, nach dreizehn Monaten der Haft, für 150 000 Mark Silber sich die Freiheit erkaufte.

Leopold der Glorreiche, des Tugendhaften Sohn, den Heinrich von Ofterdingen die »Sonne«, in deutschen Landen nennt erweiterte und vergrößerte Wien immer mehr, erbaute sich eine neue Fürstenburg und erteilte der Bürgerschaft feste Satzungen; denn schon hatte auch der Handel Wien eine erhöhte Bedeutung und die nächsten Beziehungen zum Morgenland gegeben, und in frischer Kraft des Jugendlebens wetteiferte es mit Regensburg an Reichtum, Pracht und Verkehr, so daß der Dichter des Nibelungenliedes wohl mit Fug Wien als die Residenz des gewaltigen Hunnenkönigs Etzel nennen durfte, der dort sieben Tage lang Kriemhilds Hochzeit beging.

Unter der Herrschaft des letzten Babenbergers, Friedrichs des Streitbaren, sah auch Wien die phantastischen Spiele und Abenteuer Ulrichs von Lichtenstein, des ritterlichen Minnesängers, der als Königin Venus, in kostbaren schneeweißen Jungfrauenkleidern über dem Harnisch, von Edelsteinen strahlend, einen Mönch und ein windisches Weib (zwei vermummte edle Herren) zu seinen beiden Seiten, von zahlreichen Freunden und zierlich aufgeschmückten Knechten gefolgt, mit klingendem Spiel und flatternden Fahnen zu fröhlichen Kämpfen auffordernd und reiche Gaben verschwenderisch ausstreuend durch die Lande zog, das Reich der Liebe auszubreiten. Da wetteiferten die anmutigen Frauen Wiens an Kleiderpracht mit der verschleierten Königin, die auf stattlichem Roß an ihnen vorüberzog, und die mannhaftesten Ritter rannten in manchem Turnier wider ihn an. Penzing bei Wien führt von jener Zeit der Turniere seinen Namen. Das Feld, auf dem die Ritterspiele abgehalten wurden, hieß die Penzwiese (von »penzen« = tummeln). Unter jener Herrschaft des Streitbaren nannte Kaiser Friedrich II. (1237) Wien eine freie Stadt des Reichs und gab der Bürgerschaft die Goldene Bulle. Dreieinhalb Jahre lang wehrte sie sich gegen den Herzog, bis sie, durch Elend bezwungen, sich ihm endlich unterwarf. Als Friedrich der Streitbare in der Ungarnschlacht die kühne Seele ausgehaucht hatte (1246), wurde Wien zum zweiten Mal Reichsstadt (1247) und erhielt vom Kaiser Graf Otto von Eberstein zum Reichsverweser.

Die schreckliche Zeit des Zwischenreichs begann, in der statt eines höchsten Gebieters allenthalben die entfesselten Leidenschaften, Wahn und Treulosigkeit, Selbsthilfe, Verwirrung und Zerfall schalteten und walteten. Da richtet der junge Leu aus Böhmen sich auf und umkreist die herrenlosen Lande – Ottokar, jeder Zoll ein König, ein Held! Er faßt die Hand der Königswitwe Margarethe, der Schwester Friedrichs des Streitbaren, und die Zügel der Herrschaft über Österreich zugleich; Wien jauchzt ihm entgegen. Immer weiter breitet er sein Reich aus. Er wirft den Ungarnkönig in der Schlacht auf dem Marchfeld. Der Baum seines Glücks streckt die Kronen immer höher und höher, himmelan. Wien, durch schreckliche Feuersbrünste verheert, ersteht durch seine Vorsorge schöner und stattlicher aus der Asche, und sein Statthalter, Bruno von Olmütz, dem königlichen Herrn in Freud und Leid und bis in den Tod getreu, waltet dort segensreich. Welcher Glanz, welche Pracht der Feste in Wien, als Ottokar, der seine alternde erste Gemahlin verstoßen hat, die zweite, jüngere, schönere, die dunkeläugige Kunigunde, des Ungarnkönigs Nichte, von der Krönung zu Prag nach Wien bringt.

Aber schon lauert hinter all dieser Freude und Üppigkeit sein Schicksal auf ihn; schon zerrt die Nemesis am Saum seines Königsmantels, schon treibt sie – während er Milotas Tochter verführt, während er den alten Seifried von Mährenberg in falschem Argwohn foltern läßt, während Kunigunde in den Armen des schönen Sängers Zawisch von Rosenberg ihn verrät – seinen Reichsapfel wie einen rollenden Kreisel dahin. Am 31. Oktober 1273 wurde Rudolf von Habsburg in Aachen als römischer König gekrönt. Ottokar spottete im Übermut des Glückes und der Macht über den armen Grafen, verweigerte die Unterwerfung und die Rückgabe Österreichs und der Steiermark, Kärntens und Krains, versäumte die Reichstage, auf die Rudolf ihn berufen hatte, und bestritt endlich sogar die Gültigkeit der Königswahl.

Da erklärten die Fürsten des Reichs den Trotzigen aller Lehen verlustig, und der Reichskrieg begann. Bald stand Rudolf gerüstet vor Wien, das dem Böhmenkönig feste Treue hielt und sich sechs Wochen lang mutig verteidigte, bis Ottokar, seinen Stolz beugend und in der Zuversicht auf sich selber wankend, sich zum Vergleich, zur Huldigung entschloß. Doch nicht lange vermochte er die Demütigung, den inneren Grimm, vermochte er den stachelnden Hohn seiner Gattin zu ertragen. Der Treue Wiens sich zu versichern, dessen Bürgermeister Paltram Vatzo die Liebe zum alten Herrn noch fest im Herzen trug, gab Rudolf der Stadt die Reichsfreiheit, Bestätigung der alten Vorrechte und neue dazu; er vereinigte sich mit den Ungarn und Kumanen und bot dem König am 26. Oktober 1278 die Entscheidungsschlacht.

Abermals ist das Marchfeld der Walplatz, auf dem die eisernen Würfel fallen sollen. Sein Schicksal verblendet den kampferprobten Böhmenkönig, den Todfeind Milota, der Blutrache zu üben hat, über die Nachhut zu setzen. Die Schlacht entbrennt, beide Heeresmassen ringen mit Löwenmut gegeneinander. Wie auf hoher See die Wogen sich türmen und senken, so schwankt lange die Entscheidung. Schon liegen vierzehn Trautmannsdorfer für Rudolf in ihrem Blut, schon stürzt Rudolfs Streitroß, doch der königliche Reiter wirft den Angreifer in den Sand und beginnt den Kampf aufs neue; Markgraf von Hochbergs freudiger Ruf: »Die Feinde fliehn!« zerstößt ihren Mut.

Milota! Milota! Jetzt ist's, daß Ottokar deiner bedarf. Doch Milota denkt jetzt an seine Rache; er löst sie aus, dort holt er sie ein auf der Flucht. Wut und Verzweiflung wächst unter jedem Hufschlag. Gemetzel ringsum! Umsonst gebietet Rudolf, das Leben des Gegners zu schonen, der einen Preis auf Rudolfs Haupt gesetzt hat. »Mährenberg!« heißt die Losung. »Rache für Mährenbergs unschuldig vergossenes Blut!« Der junge Seifried von Mährenberg und der Schenk von Emerberg fordern es Ottokar ab. Er wehrt sich bis auf den letzten Atemzug; von siebzehn Wunden zerfleischt, erliegt er endlich.

Das war der Tag, an dem für Habsburg der Stern der künftigen Herrlichkeit aufging. Rudolf zog gen Wien und ließ dort Ottokars Leiche bei den Minoriten ausstellen. Im Jahre 1281 setzte er seinen Sohn Albrecht als Reichsverweser ein, 1283 (1. Juni) belehnte er ihn und seine männlichen Erben mit dem Herzogtum Österreich.

Albrechts strenges Regiment und der Schwaben Begünstigung erregten Mißfallen im Wiener Volk und, da der Herzog das Murren nicht hören mochte, Drohung und Gegentrotz. Die Zünfte sandten Boten in die Hofburg, mit der Forderung, die alten Freiheiten nicht zu verletzen. Da floh der Herzog auf das Schloß auf dem Kahlenberg und belagerte die Stadt. Hungersnot und Elend wüten; der Pöbel empört sich und erzwingt von den Häuptern des Widerstands Ausgleich mit dem Herzog. Mit Demütigung, Schmach und dem Verlust der wichtigsten alten Freiheitsbriefe wird jene endlich erkauft. Acht Jahre später zeigte das Wiener Volk bei einem Aufstand des Adels dem Herzog seine Treue und erlangte dafür manch frühere Privilegien von ihm zurück.

Als nach Albrechts Ermordung durch die Hand seines Neffen Johann von Schwaben die deutsche Krone an Heinrich von Luxemburg gekommen war, erhob sich ein neuer Aufstand des Adels, der aber schnell an der Klugheit Greif Zelms, des Hubmeisters, und an der Treue des Wiener Volkes scheiterte; Friedrich der Schöne gedachte es. Er gab den Wienern das Eisenbuch. Welch ein Jubel in Wien, als Friedrich, der bei Ampfing gegen Ludwig den Bayern Krone und Freiheit verloren hatte, dem sein Wort mehr als beide galt, nach langem Unglück in Wien wieder einzog und die treue Gattin umarmte, die sich um ihn blindgeweint hatte.

Von Friedrichs des Schönen Bruder, Otto dem Fröhlichen, und von seinem lustigen Hofhalt sind zwei Reliquien geblieben: das Volksbuch von den Schwänken Wigands von Theben, bekannter unter dem Namen des Pfaffen vom Kahlenberg, und das verstümmelte Grabmal des Neidhart Fuchs, der jenes Herrn anderer lustiger Rat war, vor dem Singertor der Stephanskirche in Wien. Von dem letzteren werden viele kurzweilige Abenteuer berichtet, die er mit den Bauern getrieben hatte und wovon er der Bauernfeind geheißen wurde; das bekannteste darunter jenes beim Veilchenfest, das Hans Sachs seinem Fastnachtsspiel »Der Neidhard mit dem Feygel« zugrunde gelegt hat. Unter den Schwänken Wigands, des Pfaffen vom Kahlenberg, ist folgender auch ernsteren Sinnes:

Herzog Ott' von Österreich
Trägt ein Kränzlein frischer Rosen,
Tanz und Fastnacht gleich
Gilt ihm Regiment und Reich,
Spiel soll freun den Friedelosen.

Herrschaft? Auch nur – Mummerei,
Froh begonnen, trüb geendet!
Schellenklang, Geschrei,
Schlechter Trost – dies Einerlei,
Da sich Frieden fortgewendet!

»Laßt mir«, ruft er aus im Groll,
»Wigand kommen, meinen Pfaffen;
Schwank und Kurzweil soll –
Weil das Herz mir unruhvoll,
Friedenbar – der Pfaff mir schaffen.«

Zu dem Herzog alsogleich
Kommt der Pfaff gar frisch gegangen.
»Ei, ums röm'sche Reich!
Herr, was seid Ihr trüb und bleich?
Rosen welk auf Haupt und Wangen?«

Spricht der Herzog drauf: »Ich bin
Unhold, weil ich, wie ich's meine,
Herrschte gern; darin
Widerstrebt mir jeder Sinn;
Sagt, wie ich sie all vereine!

Schafft ein Mittel doch dafür,
Kluger Pfarrherr, mir behende;
Daß von allen mir
Keiner widerstreb' hinfür,
Und mein Trübsinn stracks sich wende.«

Wigand spricht: »Ich will Euch gern
Guter Rat' ein Schock erteilen;
Aller Säumnis fern,
Möcht' ich solchen lieben Herrn
Wohl von aller Trübsal heilen.«

Und nun fährt er alsogleich
Ihn auf eines Berges Gipfel.
»Jetzt noch seid Ihr bleich,
Bald der besten Lehre reich.
Guckt mir auf der Kutte Zipfel.«

Sagt's der Pfaff und springt wie toll
Fort und kehret spät erst wieder,
Und die Kutte voll
Bringt er. »Merket auf, das soll
Bald Euch heilen. Schaut nur nieder!«

Schädel sind's vom Totenhaus,
Die der Pfaff herbeigetragen;
Aus der Kutt' heraus
Kollern sie anjetzt, im Braus
Bunt den Berg hinabgeschlagen.

»Lieber Herr, nun sehet hin!
Wie die Gecken Freisinn hegen!
In den Knochen drin
Steckt's! – Nach seinem eignen Sinn
jeder rollt auf eignen Wegen.

Tun sie so selbst nach dem Tod,
Zwingt Ihr sie auch nicht im Leben.
Wenn der Schädel droht,
Zwingt das Fleisch kein Machtgebot.
Brecht – die Rosen! Preßt – die Reben!«

Auch andere Schwanke erzählt man von ihm viele, wie er, noch als armer Student, mit des Herzogs Küchenmeister Stibor verkehrt und mit diesem, im falschen Verdacht, den Herzog Albrecht (Ottos Bruder) vergiftet zu haben, gefangen worden und darauf, als seine Unschuld an den Tag gekommen, die Pfarrei am Kahlenberg erhalten habe. Wie er dann einen reichen Bürger, der die Stelle für seinen Vetter gewollt und ihn dem Spott der Bauern durch sein Bild als Wolf, der den Schafen predigt, preiszugeben gesucht hatte, wie aber der Pfarrer den Maler gewonnen und den Widersacher dafür beschämt habe. Von jenem Anlaß soll das Wandbild an einem Haus in der Wallnerstraße, »Da der Wolf den Gänsen predigt«, herstammen. Wie er ein andermal sich vom Herzog Otto ausgebeten habe, seine Schuhe sich auf dessen Unkosten sohlen lassen zu dürfen, und sich dann die Schuhe mit Silber beschlagen ließ; wie er den Neidhart Fuchs durch den Esel in der Wiege beschämt habe.

Albrecht dem Lahmen, dem Bruder Friedrichs des Schönen, verdankte Wien in bezug auf Ordnung der städtischen Verhältnisse und auf Blüte des Handels und Gewerbefleißes viel; er stellte die »Große Handfeste« aus und sanktionierte den Bürgern das unantastbare Weihetum des Hauses, also daß Wien, obgleich durch furchtbare Plagen heimgesucht – durch Heuschreckenschwärme und Pest –, seinen Wohlstand ebenso immer reicher ausbreitete, als es an Bedeutung gewann.

In Albrechts Geist, doch mit größerer fürstlicher Pracht, wirkte sein Sohn Rudolf für Wien, zumal für den Kern des Volkes, den »dritten Stand«! Dem alten Adler im Wappen gab er vier Gesellen und nannte sich Erzherzog, auf goldenem Stuhl empfing er, im vollen Glanz der Fürstenwürde schimmernd, die Huldigung. Mit seinen Brüdern Albrecht und Leopold stiftete er am 12. März 1365, siebzehn Jahre, nachdem Kaiser Karl IV. die Prager Hochschule gegründet hatte, eine gleiche in Wien, mit einem Rektor, drei Dekanen und vier Prokuratoren der Nationen, in die der gesamte Klerus der Universität geteilt war, und stiftete mit jenen am 16. März 1365 die Propstei Allerheiligen in der St.-Stephans-Pfarre. Mit Recht nennt Österreichs Geschichte Rudolf den Stifter. Eine echt fürstliche Hinterlassenschaft seiner Frömmigkeit und seiner Prachtliebe ist jene Zierde, jenes Palladium Wiens: der neue Bau der Stephanskirche und der Stephansturm.

Wir haben früher die Zeit der Gründung des Stephansdoms unter dem Babenberger Herzog Heinrich Jasomirgott erwähnt; aus jener Zeit sind nur noch die Emporenkirche, das sogenannte »Riesentor« und die beiden »Heidentürme« aus den Bränden unter Ottokar und aus den späteren Umbauten übriggeblieben. Die nachfolgende Sage bezieht sich auf den ersten Meister Octavian Falkner aus Krakau.

I

Der Meister sitzt im Kämmerlein –
Mild blickt der Mond zum Fenster hinein –,
Der Meister eifrig sinnend wacht
In stiller, heil'ger Mitternacht;
Sieht auf die Risse unverwandt,
Richtmaß und Zirkel in der Hand,
Und sinnt und mißt und denkt und schafft
In regem Fleiß, mit rüst'ger Kraft,
Wie er zu best das Werk vollbringe,
Und bittet Gott, daß ihm's gelinge.

Da öffnet sich die Kammertür
Und tritt ein junger Gesell herfür,
Der grüßt den Meister ehrfurchtsvoll,
Wie Jugend Alter grüßen soll;
Langt aus dem Gürtel sein Wanderbuch,
Drin ward der Gesell empfohlen genug
Von manchem Meister in fernen Landen,
Die ihn geschickt und treu erfanden.
Der Meister, wie er jetzt vor sich
Sieht den Gesellen züchtiglich,
Die starke rüstige Gestalt
Rein, hold dabei, als wie man malt
Edle Jungfraun, blond das Haar,
Das Aug wie lautrer Himmel gar –
Da denkt er seiner Jugendzeit,
Sein altes Herz wird wieder weit,
Er fühlt in immer stärkern Schlägen
In Greisenbrust sich Jugend regen;
Je länger er ins Aug ihm blickt,
Je mächt'ger fühlt er sich verzückt,
Und klar nun plötzlich vor ihm steht,
Wonach er lang umsonst gespäht:
Der ganze Dom in voller Pracht,
Wie er den Menschen Freude macht,
Dem Herrn ein wohlgefällig Haus
Nimmt er vor seinem Geist sich aus,
Die Türme, die sich hoch erheben,
Wie Ird'sches soll gen Himmel streben,
Das Tor so ernst, als ging's hindurch
Wie durch das Grab zur ew'gen Burg
Des neuen Zions, über ihm
Apostel, Märt'rer, Cherubim.
Der Kunst tiefinnerst Symbolum
Sieht er in Klarheit jetzt ringsum,
Als ob er lang im Dunkel lag
Und plötzlich schaut' in hellen Tag. –
In seiner heil'gen Freude bringt
Dem Herrn zuerst er Dank und dingt
Sich den Gesellen dann zum Bau,
Bei dessen Anblick ihm genau
Das ganz Mysterium deutlich war,
Wie einem Kinde offenbar.

Er legt den Grund; bei jedem Schritt
Hilft der Geselle fleißig mit,
Als wüßt' er jeden Plan voraus,
Den sich der Meister lang zu Haus
Ersonnen und auf Pergament
Gezeichnet, den sonst niemand kennt.
Das Werk gedeiht und wächst empor
Wie rasch im Mai der Blumen Flor,
Ist ohne Makel, keusch und rein,
Als wär' es ein Gebet von Stein;
Und kaum drei Jahre sind verronnen,
So steht's vollbracht am Licht der Sonnen.

II

Hoch auf dem Dache prangt der Kranz,
Des Domes Nacht hellt Kerzenglanz,
Rings um den Dom und drinnen schart
Sich zahllos Volk, das Kreuzesfahrt
Antritt ans ferne Grab des Herrn;
Bei solchem Anlaß rastet's gern. –
Horch Glockenklang und Chorgesang!
Die Mauer kommt der Zug entlang
Und schreitet durch des Städtleins Tor
Schon an den neuen Dom hervor –
Die Fürsten, Ritter, mannigfalt,
Und Mann und Weib und jung und alt,
Das Volk aus Wien und das mit Lust
Das Kreuz des Herrn trägt auf der Brust –
Jedweder will zum Seelenheil
Des Weihesegens vollen Teil.
Dort, unterm Baldachine geht,
Gleichwie ein Fürst in Majestät,
Der Knecht des Herrn, der Volkeshirt,
Der jetzt die Kirche weihen wird;
Chorknaben wandeln ihm zur Seit'
In jungfräulicher Reinigkeit,
Und Silberglöcklein läuten hell
Sooft er hält an einer Stell',
Und allen, die da gläubig kamen,
Den Segen gibt in Christi Namen.

Der Meister aber liegt allein
Daheim im stillen Kämmerlein,
Hört nur von fern der Glocken Klang,
Gedämpft der Gläub'gen Chorgesang.
Wehklagt, daß er das Haus nicht schaut,
Das er dem höchsten Herrn gebaut,
In dieses Tages Morgenrot!
Doch er ist siech bis auf den Tod;
Er fühlt, seit er den Kranz gesetzt,
Zu End' sein Lebenstagwerk jetzt,
Ihn trägt der müde Fuß nicht mehr,
Und dennoch sehnt er sich so sehr,
Noch einmal seinen Dom zu schauen;
Dann mag ihn ja der Tod umgrauen.

Da öffnet sich die Kammertür,
Und sein Geselle tritt herfür,
So wie in jener Mondennacht,
Da er des Domes Plan vollbracht,
Noch zarter, reiner däucht er ihm,
Wie einer von den Seraphim,
Durchsichtig fast in hellem Glast,
Daß Grauen ihn bei Staunen faßt.
Jetzt tritt er vor den Meister hin
Und spricht: »Steh auf! Dein gläub'ger Sinn
Hat dir geholfen! Komm nur schnell,
Jung macht dich Gottes Gnadenquell;
Wer immerdar auf Ihn vertraut,
Der hat sein Haus auf Fels gebaut!«

Und gläubig steht der Meister auf,
Sein schwanker Gang wird schnell zum Lauf,
Das Aug wird hell, der Arm ist stark
Und in den Knochen frisches Mark.
Der Jüngling weist den Weg ihm vor,
Bald stehn sie vor des Domes Tor.

Und wie der Meister sein Werk ersieht,
Grad die Gemeinde niederkniet;
Er schaut geblendet, ruft hinan:
»O Herr, das hast du selbst getan,
Heil mir, daß ich dein Werkzeug war,
Nun ist das Symbolum mir klar!
Ich schaut's vor mir; nun sterb' ich gern.« –
Der Bischof hebt den Leib des Herrn,
Die Glöcklein klingen silberrein,
Der Jüngling strahlt wie Sonnenschein,
Der Meister aber war verschieden,
Gott geb' der Seele ew'gen Frieden!

Einen grellen Kontrast zu dieser Sage bildet jene im Volk weitaus bekanntere vom Meister und vom Lehrling, die sich an die Erbauung des zweiten, unvollendeten Turms knüpft und worauf man eine an der Stirnseite des Doms, über dem sogenannten »Riesentor« angebrachte halb erhabene Steinmetzarbeit bezieht, die einen Mann darstellt, der den einen verwundeten Fuß stützt. Auffallend ist, daß die weiter unten von uns zu erwähnende Sage mit bedeutenderen oder geringeren Varianten von den meisten Kirchenbauten des Mittelalters erzählt wird, bei denen in der Regel der »Böse« eine wichtige Rolle spielt. Vielleicht trug das Geheimnis, mit dem die alten Meister ihre Kunst vom Vater auf den Sohn in den Bauhütten vererbten, in der Einbildungskraft des Volkes dazu bei, daß es sich die Vollendung jener kühnen und staunenerregenden Bauwerke nicht ohne Beihilfe außermenschlicher Kräfte möglich dachte; und mochte, als die Kunst der alten Meister verloren schien, der Anblick des unvollendet Gelassenen dem religiösen Sinn der minder stark werkgläubigen Enkel nicht Grauen erwecken vor der Unzulänglichkeit des menschlichen Willens, der titanenhaft das Unerreichbare erstrebt und zur Strafe und Sühne mitten im Werk von höherer Hand niedergehalten wird? Die Auffassung jenes Dualismus zwischen Gott und Teufel, zwischen Himmel und Hölle, zwischen Askese und übertaumelnder Weltlust, der sich durch das ganze Mittelalter schlingt, dürfte zu noch näheren Aufschlüssen über die Grundwurzeln jener Sagen führen, in denen der Böse bei großen Bauten als heimlicher Werkmeister hilft; ihre humoristische Kehrseite, ihre Travestie finden sie in jenen anderen, in denen er durch irgendeinen oft nicht allzu feinen Schwank überlistet wird; so in der Sage vom Bau der Regensburger Brücke, an der Hund, Hahn und Henne, die der Böse statt Seelen empfing, als Wahrzeichen angebracht wurden; so auch in der Sage vom Rheingrafenstein, wo die kluge Gräfin den Esel als Burgkaplan verkleidet zum Fenster hinaussehen macht, dem der geprellte Teufel dann den Hals umdreht.

Der Erbauer des großen vollendeten Turms am Stephansdom (meldet die Sage), Meister Anton Pilgram aus Brünn, hatte eine schöne Tochter, die des jungen Gesellen Hans Buchsbaum Herz gewann. Buchsbaum, der früher Pilgrams Lehrling war, freite bei dem alten Meister um sie, aber dieser gab in seinem Stolz ihm den spöttischen Bescheid, er wolle sein Kind ihm wohl dann zum Weib geben, wenn dieser den zweiten Turm ganz gleich dem ersten zu bauen und zu vollenden hoffe, genau wie der erste vollendet sei. Buchsbaum aber nahm kecken Sinnes den Spott als Ernst und dachte, von Liebe, Kunstneid und Ehrgeiz gefoltert, Tag und Nacht nur daran, wie er den Meister beschäme und das Riesenwerk vollbringe. Da trat in böser Stunde der Altgeselle zu ihm und erbot sich, ihm die Geheimnisse der Kunst zu entdecken und ihm am Werk zu helfen. Buchsbaum schlug rasch entschlossen ein, und sein unsterblicher Teil war des sündigen Handels Preis. Der Bau wuchs in kurzer Frist hoch empor, und mit ihm wuchsen von Tag zu Tag Neid und Groll in des alten Meisters Brust, der sich im Geist von dem verachteten Lehrling schon überwunden sah. Er wollte dessen Triumph nicht erleben, und auch den Gedanken vermochte er nicht zu ertragen, daß ihm der Ruhm aus dem Grab geraubt werde und sich der Spott auf diesem lagern solle!

Da beschloß er die arge Tat. Er schlich des Nachts auf die Gerüste des zweiten Turms, der bereits fast bis zur Höhe des Dachs gediehen war, und legte dem Lehrling, der am frühen Morgen vor allen anderen zuerst an die Arbeit schritt, eine Falle. Als nun Buchsbaum am anderen Morgen auf die Gerüste kam, trat er arglos auf die Falle, die Gerüste brachen mit Donnerhall zusammen, und er stürzte in die Tiefe. Auf dem Bau des zweiten Turms aber lag ein Unsegen seit jener Missetat, und keinem anderen Meister gelang es, ihn zu vollenden. Das böse Gewissen brach dem alten Meister das Herz.

Eine andere Sage, in den »Romantisch-historischen Skizzen aus Österreichs Vorzeit« von Emil***, S. 219, verbindet Buchsbaums Fall mit der Baugeschichte des vollendeten großen Turms und berichtet auf folgende abweichende Weise:

»Nach einem heißen, schwülen Gewittertag, als die ersehnte Feierstunde schlug, verließen die Arbeiter fröhlich die Gerüste des zur Hälfte bereits vollendeten Turms der St.-Stephans-Kirche. Nur Hensel, der Junge, war noch damit beschäftigt, nachzusehen, ob die Baumaterialien, die Winden und Räder hinlänglich gegen den Ausbruch eines Sturms gesichert seien.

Meister Peter von Brachowitz, der den Riesenbau leitete, war schon etwas im Alter vorgerückt und verließ sich um so mehr auf den Jungen, als der Altgeselle nebst einer wenig vertrauenerregenden Physiognomie mehr geeignet war, Mißtrauen und Unmut unter den Arbeitern zu verbreiten, als Eintracht zu stiften. Ja es wollte dem Jungen sogar scheinen, daß jener absichtlich Unordnung herbeiführe, um den Bau aufzuhalten oder zu hintertreiben, da er den Arbeitern begreiflich machen wollte, daß solch ein schwindelerregender Bau Zeit- und Geldverschwendung sei, weil es in früheren Zeiten keine Kirchen, wohl aber Menschen gegeben habe, die recht gut ohne dieselben bestanden haben.

Hensel hütete sich, solches dem Meister bekannt zu machen, doch wenn hie und da ein Gerüst dem Einsturz nahte und die Arbeiter harter Verletzung ausgesetzt waren, geschah es jedesmal, daß Hensel es noch beizeiten entdeckte. Wenn die Uneinigkeit der Arbeiter in Zorn und Totschlag ausarten wollte, suchte es Hensel, der Junge, jedesmal dem Meister zu hinterbringen, der den Streit zu schlichten wußte. Hensel war deshalb dem Altgesellen ein Dorn im Auge. Wo er ihm nur schaden konnte, tat er es.

Obwohl es schon dunkel zu werden anfing, schien es dem Jungen doch, als ob er den Altgesellen auf einem der Gerüste erblickt hätte. Neugierig, zu sehen, was dieser so spät noch dort zu schaffen habe, bestieg er das hohe Gerüst, doch hatte er es kaum betreten, als es unter seinen Füßen zusammenstürzte. – Da eben der Mond aus einer Wolke trat, so sah Hensel, ehe seine Augen durch den Fall geschlossen wurden, hohnlächelnd die Gestalt des Altgesellen, doch um vieles größer als gewöhnlich. Auf seinem Hut nickte eine Hahnenfeder, und die Schürze, brennend rot, schien in einen Mantel umgestaltet.

Der Lärm durch den Sturz des Gerüstes zog den Meister und hilfeleistende Gesellen aus der Steinhütte herbei; und als man den Jungen aus den Trümmern hervorzog, durfte er von Glück sagen, daß er mit einem Beinbruch davonkam. Er war nämlich auf mehrere im unteren Gerüst befindliche Strohsäcke gefallen, deren man sich beim Hinaufwinden der Figuren und Verzierungen bediente. Der Altgeselle aber war seit dieser Stunde nicht mehr zu sehen. Hensel, der Junge, auch Henslein von Wurmitz genannt, trat vollkommen geheilt an seine Stelle, wurde später Peters Gehilfe und Polier, und nach Brachowitz' Tod förderte er als Meister Hans Buchsbaum den Bau dergestalt, daß am vierten Tag nach Michaelis 1483 bereits die Spitze des Turms gekrönt wurde.«

Wir wenden uns jetzt von den Sagen wieder zur Geschichte des Baus. Wir folgen hier meistenteils den Angaben Tschischkas, dem man eine sehr schätzbare Monographie des Stephansdoms und das reichhaltige Werk »Kunst und Altertum im österreichischen Kaiserstaat« verdankt. Der alte Teil der Kirche aus Jasomirgotts Zeit war schon 1326 durch die Kreuzkapelle, welche Ritter Ulrich von Tirna stiftete, vergrößert worden; die Seitenwände des neuen Baus sowie die Eligiuskapelle stammen von Albrecht dem Lahmen; fast die ganze jetzige Gestalt der Kirche, der neue Chorbau (am 7. April 1359 begonnen) sowie die Gründung der beiden Türme sind Rudolfs des Stifters Werk, das er, wohl in Ahnung seines allzu frühen Todes in der Blüte der Kraft, seinen Brüdern als teures Vermächtnis zur Vollendung übergab. Ein vaterländischer Dichter, M. F. von Canaval, singt In Hormayrs »Taschenbuch für vaterländische Geschichte«, Jahrgang 1828. also von »der Herzöge Schwur«:

Drei Herzöge wallen zum Stephansport,
Sich zu verbinden mit heiligem Wort;
Das Banner, auf dem fünf Adler schweben,
Sieht flatternd das Volk in die Lüfte sich heben.

Denn Rudolph zieht von dem Donaustrand
Zu Mailands blütumdufteten Land,
Zu holen, wo ewig die Bäume grünen,
Die Braut für Leupold, den Heldenkühnen.

Und Albrecht daneben, mit wallendem Haar,
Schaut trüb hinaus in der Ritter Schar.
Durchstürmet Leupold die Fülle der Freuden,
Fällt schwer ihm aufs Haupt das traurige Scheiden.

Und Rudolph hebt zum Himmel den Blick,
Mild schimmert die Sonne vom Turme zurück,
Und er senkt ihn hinab aus den goldigen Lüften
Zu des riesigen Domes dunklen Grüften.

Die Stirne düster, er also spricht:
»O lange schau' deine Mauern ich nicht!
O daß die finstere Ahnung trüge,
Die ich im bekümmerten Busen wiege!

So lebe denn wohl, du freundliches Wien!
Mög' deine Wohlfahrt stets höher blühn!
Und deine Bürger, so offen und bieder,
Die haltet in Ehren mir, liebe Brüder!

Dann aber hütet und achtet wohl
Mein jüngstes Kindlein, mein Tirol;
Ein Bauernkittel zwar, grob gewoben,
Doch seine Wärme wird mancher erproben.

Mir ward zu herrschen nur g'ringe Zeit,
Mein Sterben, ich fühl' es, ist nimmer weit;
Doch eins bedrängt mich mit tiefen Schmerzen,
Eins müßt ihr geloben, ihr Brüderherzen!

Nicht schmückte mein Haupt die Kaiserkron',
Doch fühl' ich mich Rudolphs Enkelsohn,
Und was mir versagt in der Länder Weiten,
Das wollt' ich im heimischen Östreich bereiten.

Bis in des Himmels wolkiges Blau
Wollt' ich heben des Domes Bau,
Ließ graben die Grüfte in seinen Tiefen,
Daß wir beisammen zur Urständ schliefen.

Und bis zur Urständ mag Glockenhall
Rufen die Frommen allüberall,
Und ewig der Vesper festliche Chöre
Sollten umtönen die Hochaltäre.

Mit redlichem Sinne war ich's gewillt;
Begonnen ist es, doch nicht erfüllt,
Und sollt' mich ereilen zu früh das Ende,
Dann leg' ich das Werk in eure Hände.«

Und Albrecht reicht ihm die Bruderhand:
»Mein heilig Wort, ich leg' es zum Pfand,
Denn Kirch' und Turm gehört uns dreien,
's ist Habsburger Bau, er soll gedeihen!«

Auf lombardischer Flur erlag Rudolf am 27. Juli desselben Jahres einem meuchlerischen Fieber.

Da schallen die Glocken vom Stephansturm,
Nicht kündend der Freude tobenden Sturm,
In dumpfen und langgehaltenen Tönen,
's klingt fast wie männlich Trauerstöhnen.

Im Innern hebt sich der Priester Gesang,
Nicht Dankeshymne empor sich schwang,
Das »De profundis« die Chorherren beten,
Indes sie zur fürstlichen Leiche treten.

Da steigt empor der deckende Stein,
Die Herzöge starren zur Gruft hinein,
Den Rudolph, den kühnen, den frommen Erbauer,
Soll empfahen zuerst des Gewölbes Mauer.

Und Albrecht blicket zu Leupold hin,
Klar wird dem Bruder des Bruders Sinn,
Bei des Toten Gebein, dem eisig kalten,
Geloben beide, den Schwur zu halten.

Meister Wenzla von Klosterneuburg begann den Bau des südlichen Turms. Bis zu des Meisters Tod im Jahre 1404 hatte das Riesenwerk, das Christoph Horn und Heinrich Kumpf mit künstlichen Steinmetzarbeiten schmückten, schon zwei Drittel seiner Höhe erreicht. Meister Peter von Brachowitz führte den Bau bis 1429 weiter, Hans Buchsbaum vollendete ihn; 1433, am vierten Tag nach Michaelis, krönte er die Spitze. Dieser Meister setzte auch den Bau der oberen Kirche fort und legte am Hippolytstag 1450 einen neuen Grundstein zum zweiten Turm, bei dessen Grundbau der Mörtel mit Wein gemischt worden sein soll; der Witz des Volkes taufte das saure Getränk, das nach allgemeinem Vorurteil dem Mörtel einen festeren Halt geben sollte, »Reifbeißer«. Buchsbaum starb 1454. Die Meister Leonhard Steinhauer, Lorenz Pfenning von Dresden, Seifried König von Konstanz, Georg Khlaig von Erfurt, Anton Pilgram von Brünn und Georg Hauser führten den Bau des zweiten Turms weiter. 1516 wurde der Bau eingestellt; und 1579 legte Hans Saphoy letzte Hand an den aus der Plattform sich erhebenden Aufsatz.

Unter der Herrschaft Albrechts III. wütete die Pest (1381) in Wien; 15 000 Opfer raffte sie dahin. Wien aber hatte sich neuer Begünstigungen für den Handel, neuer das Recht und die bürgerliche Ordnung sichernder Satzungen zu erfreuen; Albrecht bestätigte die beiden Jahrmärkte mit allen Freiheiten und neuen Spielen, verordnete Gleichheit der Rechte und Lasten und versetzte die Hochschule in die Nähe des Dominikanerklosters. Laxenburg ist seine Schöpfung. Damals lebte in Wien der Dichter Peter Suchenwirth, der von den »fünf Fürsten«, von »zweien Päpsten«, vom »Krieg der Fürsten und Städte« sang; es war jene Zeit, da an der Stelle des freien Helden- und Minnegesangs, der in Vergessenheit versank, durch Heinrich von Müglin und Muskatblüt die Innungen der Meistersänger sich zu erheben begannen.

Traurige Wirren breitete die Kirchenspaltung über alle deutschen Lande; in der Schweiz wankte Habsburgs Macht bei Sempach. In Böhmen, wo Johann Hus bereits die Fackel erhob, die nach anderthalb Jahrzehnten seinen Scheiterhaufen entzündete, waltete König Wenzel mit seinem »Gevatter«, dem Henker, und seinem Fanghund unfürstlich, unerträglich, halb verrückt. Sein Scheitel entehrte die Kaiserkrone, die er trug; und so entsetzten ihn denn die Fürsten des Reichs seiner Würde, und Sigmund, sein Bruder, schlug ihn in demselben Jahr (1402), als Timur um Bajessids Glieder die Ketten schmiedete, zum zweiten Mal in Haft; aus Prag wurde der gefangene Wenzel zu sicherem Gewahrsam nach Wien gebracht, wo die Herzöge Wilhelm der Schöne und Albrecht IV. herrschten. Fünfzehn Monate erlitt er da, im festen »Praghaus« am Kienmarkt, die Haft, bis ihn der Fischer Hans Gründet befreite. Das Praghaus stand an der Stadtmauer, und König Wenzel soll, so erzählt die Überlieferung, von dem Fischer, der ihm oft Grundeln zugetragen, ein seidenes Seil erhalten haben, das dieser auf bloßem Leib ins Gefängnis gebracht hatte. Daran ließ der König sich über die Stadtmauer herab. Ein Schiff zur Überfahrt über die Donau stand bei Stadlau bereit. Hanns von Lichtenstein harrte dort mit 50 wehrhaften Leuten und brachte den König glücklich nach Nikolsburg. – Eine andere Sage läßt den König aus dem Bad durch eine Magd Susanna gerettet werden.

Der Streit der beiden Brüder, der Herzöge Leopold und Ernst, um die Vormundschaft des Knaben Albrecht (der damals zum römisch-deutschen Kaiser erhöht worden ist) blieb auch in Wien nicht ohne blutige Rückwirkung. Während der Pöbel mit den Gewerken zu Leopold hielt, verteidigten die Wohlhabenden mit dem Rat Herzog Ernsts Partei. Der wackere Bürgermeister Konrad Vorlauf besiegelte seine Treue gegen Herzog Ernst als Vormund Albrechts mit Konrad Rampersdorfer und Hans Rock auf dem Blutgerüst (1408).

»Sie umarmten sich zärtlich«, erzählt Hormayr in seiner »Geschichte Wiens«, »der Nachrichter griff zuerst nach dem Ältesten, dem Rampersdorfer. Da trat aber der Bürgermeister Vorlauf, ein schöner, kühner Mann, hervor, mit lauter Stimme sprechend: ›Der Vorlauf war euer aller Vorläufer in dieser Sache, womit wir zwar nicht meinen konnten, den Tod zu verschulden, durch die bloße Treue gegen Albrecht, unseren rechten Herrn. Auch jetzt noch soll mein Name wahr bleiben durch die Tat. Euer Bürgermeister soll euer Vorläufer sein im Tod wie im Leben.‹ Damit warf er sich auf die Knie und empfahl die Seele Gott, des tödlichen Streiches gewärtig. Aber der Nachrichter stand erstarrt und bebend, vermochte nicht das Schwert zu zücken auf den verehrten Bürgermeister. Da wandte sich der Vorlauf noch einmal um: ›Zage nicht, und tue dein Amt! Ich verzeihe dir diesen Streich, den ich unschuldig leide, aber führe ihn herzhaft!‹

Die Leichen blieben auf dem Blutgerüst bis gegen Abend; dann wurden sie von den Ihrigen nach dem Stephansfriedhof gebracht.«

Noch heute ist des Bürgermeisters und seiner beiden Todesgefährten Grabstein aus rotem Marmor vor dem Sarkophag des Kaisers Friedrich IV. (III.) in der Stephanskirche zu sehen, und eine Metallinschrift verkündet noch heute ihre Tugenden und ihren unschuldigen Tod.

Mit grenzenlosem Jubel begrüßten die Wiener, nachdem aufs neue die Geißel Gottes, die Pest, über ihnen geschwebt hatte, ihren aus des Vormunds Gewalt befreiten jungen Herzog (1410), der in langer Herrschaft für die Aufrechterhaltung der Gerechtigkeit, für Ordnung und Sicherheit, für neues Aufblühen des Handels und der Schiffahrt segensreich wirkte.

Ein Fleck in seiner Regierung wie in den Jahrbüchern Wiens ist jedoch die große Judenverfolgung; 1421 wurden 110 Juden zu Erdberg verbrannt, alle Judenhäuser in Wien für städtisch erklärt; in dem Hochzeitsjubel, als Albrecht sich zu Wien mit der Kaisertochter Elisabeth vermählte (1422), verhallten die Todesseufzer der Gefolterten, die dem blutigen Wahn ihrer Zeit noch nicht als Sühn-, nur erst als Racheopfer fielen.

Inzwischen war die Kirchenversammlung zu Konstanz zusammengetreten, und

Die Flamme frißt ein Kaiserwort,
Man weiß nicht, ob's gewesen,
Doch Gottes Wort bleibt ewig fort,
In Flammen steht's zu lesen.

Zwar nahm der Henker Hus' Staub und blies ihn in alle vier Winde;

Doch Vöglein kamen allerhand
Geschäftig hergeflogen;
Sie wuschen rein am Seenstrand
Die Flüglein in den Wogen

Und stahlen treu des Hussen Staub
Und trugen treu den edlen Raub
Nach Böheim auf den Flügeln;
Sie luden ihn ab
In ein großes Grab,
Umschanzt von Wäldern und Hügeln.

Wo ist das Grab, wo er Ruhe fand,
Wer kann die Stätte mir nennen?
Es ist das ganze Böhmerland,
An Grabesruh zu kennen.
Ja, Freiheit ist zu Grab gebracht.
Da kam eine linde Maiennacht,
Recht gut zur Leichenfeier.
Manch Knösplein stand
Im Böhmerland,
Und seine Blüt' ward teuer.

Manch Knösplein schwoll, von Rache schwoll's,
Der Lenz hat's aufgeschlossen,
Er heischte gültig seines Zolls,
Tat auf die blut'gen Sprossen;
Und Rache wuchs allüberall,
Sie wuchs als dichter Blütenwall
Rings um des Landes Marken;
Gezeugt von Mut,
Geboren von Wut,
Und Blut macht sie erstarken.

Der Hussitenkrieg flammt in Böhmen auf; Ziska, der blinde Keulenschwinger, und die beiden Prokope stürmen vom Tabor und vom Horeb, ihren festen Burgen, über den Bergwall der Heimat hinaus, panischer Schrecken fliegt vor ihnen her. Mitleid verdient bei Freunden wie bei Feinden der Tod; umsonst des Kreuzheers Aufgebot, umsonst Hussitensteuer in ganz Österreich, umsonst der Kurfürsten Berufung nach Wien! Unversehens steht ein Prokop vor Wien (1428). Wie atmet es auf, als der Würger ebenso rasch, wie er gekommen war, wieder entschwindet! Noch heute aber wird in Wien der »Tabor« genannt, wo einst die Hussiten sich verschanzt haben.

Nach dem Tode Albrechts V. (als Kaiser Albrecht II.) erwachen aufs neue die Schrecken des Parteienkampfes um die Vormundschaft. Nach dem Tod des Gatten hatte Elisabeth, die Kaiserin, einen Sohn Ladislav geboren, zu dessen Vormund sie Albrecht – den sechsten seines Namens als Herzog von Österreich – bestellte. Dennoch floh sie mit Kind und Krone zu dessen Bruder Friedrich nach Neustadt, und Wien erklärte sich laut für Ladislavs Recht; nur die Proletarier standen für Albrecht. Doch auch Friedrich erwies sich eigennützig und zweideutig gegen Witwe und Waise und wollte weder die letztere noch die Krone aus seiner Gewalt lassen, da sie ihm als gute Geiseln galten. Von Ungarn und von Böhmen her wurde Wien durch Raubzüge und schwere Drangsal heimgesucht; Erdbeben, Pest, Ungewitter, Aufstand verheerten die Stadt, und doch verloren die Bürger weder die Lust an Pracht und Festen noch die Treue für Ladislav und den Mut, ihn zu befreien. Umsonst schreckte sie Starhemberg, Friedrichs verwegener Parteigänger. Sie zogen vor Neustadt, um diesen zu belagern und Ladislav zu befreien; nur Andreas Baumkirchers Heldentat auf der Zugbrücke des Wiener Tors in Neustadt rettete Kaiser Friedrich von der Schmach der Gefangenschaft. Endlich (1452) wurde die Versöhnung vermittelt und der junge Fürst von Friedrich freigegeben. Wie einen Messias empfing ihn das jubelnde Wien; die schönsten und vornehmsten Frauen küßten Albrechts geliebtem Sohn, dem königlichen Jüngling Ladislav, Hände und Füße; Freudenlieder erschollen überall, Gelage und Turniere wechselten ohne Unterlaß.

Ein Jahr vorher hatten die Straßen Wiens ein ganz anderes Bild geboten. Die Siege der Türken bei Warna und Kossowo hatten in den Herzen aller Gläubigen die Furcht vor dem nahen Reich des Antichrist wiedererweckt und aller Blicke auf Konstantinopel gelenkt, dessen Fall stündlich zu erwarten war. Da stieg auf die steinerne Kanzel an der Außenmauer der Stephanskirche in Wien der Mönch Johannes Capistranus, ein schwacher Greis, aber voll der Kraft des Herrn, durch die er, wohin er auf seiner Kreuzfahrt kam, Wunder tat und Sünder bekehrte. Die Räte der Stadt und die Meister der Hochschule empfingen den Mönch mit hoher Ehrfurcht am Tor der Stadt und führten ihn als Gottgesandten herein. Und als er gegen die Üppigkeit der Wiener, als er vom ewigen Strafgericht des Herrn, als er von der Schmach und Not der Christenheit predigte, da horchten sie ihm zu Tausenden in Tränen der Reue zu, da türmten die Spieler Würfel, Blätter und Brettspiele zum Scheiterhaufen zusammen und verbrannten alles zu Asche; da taten sich die Hoffärtigen ihre Kleiderpracht ab; da verließen die Reichsten, die Gewaltigsten, die Leichtsinnigsten, verließen weise Meister und edle Herren aus alten Geschlechtern freudig die flüchtigen Freuden der Welt, zogen das härene Gewand des seraphischen Vaters Franz von Assisi an und gürteten sich mit dem Strick oder griffen, von Begeisterung entflammt, zu den Waffen, um in offener Feldschlacht gegen den Erbfeind der Christenheit die Märtyrerpalme zu erringen. Von Capistran wird gesungen:

In seinen beiden Augen führt
Er Höll' und Himmelreich,
Und wen er ansieht, wird gerührt
Und geht in sich zugleich.

Und seine Stimme tönt jetzt hohl
So wie Posaunenklang,
Und mahnt jetzt an Drommeten wohl,
An Schlacht und Siegsgesang.

Wohl sechzigtausend schieden bald
Vom heimatlichen Herd,
Denn wo er predigt, wo er wallt,
Greift alles zu dem Schwert.

Und mit der gotterfüllten Schar,
Die Kreuzesfahn' erhöht,
Stellt er dem Hunyad sich dar
Zum Kampf mit Mohammed. »Johann Capistranus«, ein Balladenkranz von Johann Schön, im »Taschenbuch für vaterländische Geschichte für 1828«.

Nachdem Johannes Capistranus fast einen Monat lang in Wien die Herzen entzündet hatte, wallte er nach Brünn und von dort nach Ungarn, dem letzten Schauplatz seines Wirkens. Konstantinopel war gefallen (1453), der letzte christliche Kaiser des Morgenlandes hatte im Kampf ein ruhmwürdiges Ende gefunden, ob auch Rossehufe über die fürstliche Leiche dahinstampften. Der Sieger rückte mit mehr als anderthalbtausend Mann in stolzer Zuversicht gen Belgrad, die abendländische Welt dem Gesetz des Propheten zu unterwerfen; auf vierundzwanzig ungarische Meilen in der Runde zitterten alle Herzen vor dem Donner seiner Geschütze. Ihm gegenüber das Kreuzesheer, an Waffen schlecht bestellt, zusammengewürfelt aus allen Ständen, aber den gewaltigen Hunyad und Capistran an der Spitze! Schon gibt Hunyad selbst, der Mutige, die Feste verloren, da entrollt Capistran die Kreuzesfahne, schleudert die stürmenden Türken von den Zinnen in den Graben hinab und wagt – tausend Kreuzfahrer folgen ihm nach –, das Bild des Erlösers emporhebend, einen Ausfall: »Jesus! Jesus!« war sein Schlachtgeschrei.

Umsonst Mohammeds Wut und Tapferkeit. Mit hundert Wagen voll Verwundeten muß er bis Sofia fliehn. Drei Monate danach haucht der gottbegeisterte Mönch die kühne Seele aus. Die katholische Kirche hat seinen Namen denen der Heiligen beigesellt; Wien zeigt noch heute die steinerne Kanzel, von der herab er alle Herzen bewegte, und sein Bild, von Kaiser Karl VI. 1738 errichtet, wie er glorreich auf den Nacken der Überwundenen steht.

Unter der Regierung des jungen Ladislav zerrütteten die Parteiungen des übermütigen Grafen von Cilly und des schlauen Eytzinger, deren einer den anderen aus des Königs Gunst trieb, Wiens Frieden. Noch heftiger aber entbrannte der Bürgerkrieg, als nach Ladislavs frühem Tod Friedrich, der Kaiser, und die beiden Herzöge Albrecht und Sigismund um den Besitz des Landes und der Stadt gegeneinander stritten. Friedrich flüchtete aufs neue in das feste, »allzeit getreue« Neustadt, wo ihm seine Gemahlin Eleonora das Söhnlein Maximilian gebar. Schlechte Münze – »die Schinderlinge« genannt – überschwemmte damals Wien und erbitterte das Volk, das dem Kaiser Treue bewahrte, der seiner Hauptstadt Gemahlin und Kind anvertraute und den kaiserlichen Doppeladler ins Wappen aufzunehmen gestattete. Albrecht wieder gewann als rüstigen und schlauen Parteigänger den ehrgeizigen Wolfgang Holzer, Ratsherr und Hubmeister und später Münzmeister, dann durch offene Gewalt seiner Parteigenossen zum ersten Viertelsmeister erhoben. Als der Kaiser mit Kriegsvolk vor Wien gerückt war, gewann er erst am dritten Tag nach langer Unterhandlung mit den Aufwieglern und Aufrührern den Eintritt in die Burg. Bald darauf wurde Holzer zum Bürgermeister erwählt, und nicht lange stand es an, so stieg dessen Kühnheit so hoch, daß der Kaiser sich mit Eleonore und seinem Söhnlein in seiner Hofburg von den Wienern belagert sah. Manche Überlieferung knüpft sich an die Belagerung der Burg durch die Wiener, so jene von dem Hund im Korb und dem treuen Schneider Kronberger, der, als er von der Not der Kaiserin und des kleinen Prinzen Max in der Burg vernommen hatte, beschloß, mit seinem Sohn und seinem Hund nachts durch den Stadtgraben nach der Stadt zu schleichen und den Belagerten Lebensmittel zu bringen. Als Vater und Sohn mit solchen in den Stadtgraben gekommen waren, hatten sie ein Seil aus einem Fenster herabgelassen gesehen, einen Korb daran, und, Verrat befürchtend, ihren Hund in den Korb gesetzt, der Wache halten sollte, indessen sie die Lebensmittel in die Burg schaffen wollten. Da sei aber plötzlich der Hund mit dem Korb hinaufgezogen worden, und der alte Kronberger und sein Sohn in ihrem Schrecken auf geheimem Weg in die Burg geeilt. Der Hund aber habe die Verschwörer, die des Nachts die Burg überrumpeln wollten, durch sein Bellen verraten. Vergleiche Fuggers »Ehrenspiegel des Erzhauses Österreich«. Michael Beheims »Buch von den Wienern, in Reimweise gestellt«, 1461, enthält manche interessante Details über jene Epoche.

Der Böhmenkönig Podiebrad, der zum Entsatz herbeigeeilt war, erwirkte endlich den Frieden; die kaiserliche Familie verließ Wien, und Albrecht begann, voll Argwohn gegen Freund und Feind, ein grausames, unerträgliches Regiment in Wien.

Da erschrak auch Holzer und beschloß, den strengen Zwingherrn dem Kaiser zu verraten. Rasch rief er Kriegsvolk in die Stadt und betrieb die Verschwörung. Der Herzog ahnte nichts; doch als er den Anschlag erfuhr, wandte er sich an die Wiener selbst um Rettung; mit gutem Blut standen sie zu ihm gegen den Holzer. Holzers Kriegsvolk wird rücklings überfallen, zersprengt, in allen Gassen gewürgt oder gefangen, den Bürgermeister selber rettet sein rasches Roß, doch sein Schicksal treibt ihn bald aus dem sicheren Schloß Weideneck, wohin er sich geflüchtet hat, wieder nach Wien. In Nußdorf wird er erkannt, gefesselt und in die Stadt gebracht; Fluch und Hohn des Volkes verfolgen ihn, und binnen kurzem reißt ihm der Henker das treulose, verwegene Herz aus dem lebendigen Leib, den Vögeln des Himmels zum Fraß, und stellt seinen Kopf auf das Stubentor, seine gevierteilten Glieder auf die vier Heerstraßen. So grausam rächte Herzog Albrecht den doppelten Treubruch.

Doch selbst noch als er bald nach diesem Blutspruch jähen Todes gestorben war, hörten die Wirren der Parteien nicht auf. Aufs neue wurde dem Kaiser der Eintritt in Wien verweigert. Erst nach langen Vermittlungen und Bitten von Seiten der Bürger kam die Versöhnung zustande, wurde Acht und Bann aufgehoben, wurden die alten Freiheiten bestätigt; 1469 erwirkte Friedrich vom Heiligen Vater Paul II. die Wiederherstellung des Bistums von Fabiana für Wien.

Kaiser Friedrichs Zweideutigkeit bei der Erhöhung des Jagellonen Wladislaw auf den böhmischen Königsthron zog ihm den Zorn und die Rache des Heldenkönigs Matthias Corvinus aufs Haupt. Zweimal stand Corvin als Belagerer vor Wien und beide Male widerstand Wien mit preis würdiger Treue und Ausdauer; das zweite Mal Die Sage läßt Matthias Corvinus selbst verkleidet in die belagerte Stadt schleichen und in einer Herberge einkehren, deren Wirt, ein Ungar, auf die Frage: »Wann seid ihr gekommen?« von seinen Landsleuten die Antwort »Ma csak« (»erst heute«) erhalten habe; davon habe die Herberge in der Folge der Matschakerhof geheißen. half dem König die gräßliche Hungersnot, die innerhalb der Mauern wütete, die Tore sprengen. In kriegerischer Pracht, Herr fast des ganzen Landes unter der Enns bis auf das feste Neustadt und Krems, zog Matthias Corvinus in Wien ein; auf allen Plätzen loderten die Freudenfeuer. In der Kärntnerstraße baute er sich, die Wohnung im Kaiserschloß verschmähend, eine neue Burg, die nach den vielen Jagdschildereien später das »Hasenhaus« genannt wurde, und übte darin strenge und immer strengere Herrschaft. Die fünf letzten Jahre seines tatenreichen Lebens brachte er in Wien zu.

Als der berühmte »Lieblingssohn des Mars«, wie die Astrologen in den Sternen gelesen haben, »am Tage und in der Stunde des Mars« dem Tod erlegen war und der ritterliche Max heraneilte, die Stadt seiner Ahnen wiederzugewinnen, hielt ungarische Besatzung noch die Hofburg. Am 19. August 1490 erscholl dem geborenen Fürsten, den Wien mit Freuden empfangen hatte, das feierliche »Herr, Gott, dich loben wir« im Stephansdom.

Dort wo die Burg der Kaiser aufragt in alter Pracht,
Dort lagert König Maxens gewalt'ge Heeresmacht.
Denn drin hat der Magyar die letzte Kraft verschanzt
Und in die gewölbten Fenster sein Donnergeschütz gepflanzt.

Hier sandten Fürsten und Schranzen einst Gnadenblicke heraus,
Und wem solch einer gegolten, der eilte froher nach Haus.
Mit wem es jetzt liebäugelt aus diesen Fenstern nieder,
Auch der kehrt flugs zur Heimat mit pochendem Herzen wieder.

Die Burg wurde nach zehntägigem tapferem Widerstand von den Ungarn übergeben. Da trat Max, der bei der Belagerung verwundet worden war,

... zu ihrem Führer und drückt ihm sanft die Hand:
»Zieht hin, ihr edlen Streiter, in Frieden in euer Land,
Wenn Feinde gleich, doch ehr' ich solch kräftiges Geschlecht;
O kämpften einst vereint wir für ein Land und ein Recht!«

 

Vier Jahre später sah Wien das prachtvolle Beilager Maximilians mit Bianca von Mailand, »das in aller Freud' und Herrlichkeit ein ganzes Monat lang gewähret«. Fuggers »Ehrenspiegel des Erzhauses Österreich«. – Noch weit größere Pracht erlebte Wien einundzwanzig Jahre später, als der alte Kaiser am 22. Juli 1515 im Stephansdom jener Doppelheirat beiwohnte, durch die das Haus Habsburg die Reiche Ungarn und Böhmen für immer gewann. Anna, die Tochter des Königs Wladislaw von Ungarn und Böhmen und beider Reiche Erbin, heiratete Maximilians Enkel Ferdinand (I.), und Ludwig, Wladislaws Sohn (der bei Mohacz fiel), vermählte sich mit Maria, Ferdinands Schwester.

Ein Auflauf zwischen den Studenten und den Handwerkern bezeichnete das Jahr 1513. Der Witz des Volkes datiert von jener Zeit, da die Schneider sich vor den Studenten in ein Ofenloch verkrochen, die gleiche Benennung eines Gäßchens in der Stadt. Nach Maximilians Tod entstanden aufs neue Parteiwirren um die Regentschaft, bis auf dem Reichstag zu Worms Karl V. und Ferdinand I. die Reiche Habsburgs teilten und der letztere, Herr in Österreich und allen deutschen Erblanden, des Hauses strenges Gericht hielt. Der Reformation, die auch in Wien eifrige Anhänger gefunden hatte, stellte er ein nicht milderes geistliches Tribunal entgegen; zu Erdberg bei Wien flammte ein Autodafe.

In oder vor diese Zeit versetzt die Sage auch den Wundermann Theophrastus Paracelsus nach Wien, wo er in einer Herberge unfern des Roten Turms gewohnt und seinem ungestüm fordernden Wirt einen schlechten Pfennig in eitel Gold verwandelt habe, den dieser inbrünstig geküßt und wovon sein Haus den Namen »Küß den Pfennig« erhalten habe.

Am Abend des 27. September 1529 stand Suleiman, der Herrscher der Gläubigen, nachdem Ofen, Gran, Wissagrad teils durch Verrat, teils durch Feigheit der Verteidiger in seine Gewalt gefallen waren, mit ungeheurer Heeresmacht vor Wien. Wo heute noch bei Simmering das »Neugebäude« zu schauen ist, erhob sich sein goldschimmerndes Zelt, an Größe und Pracht ein Palast, von 12 000 Janitscharen bewacht. Wien lag von dem ungeheuren und lebendigen Netz seiner zahllosen Scharen umgarnt; bald, hoffte er, werde dieses zusammenschlagen, bald könne er über die Trümmer dieser Vormauer des Abendlands hinwegschreiten, bis an dessen ferne Meeressäume die Schrecken seines Namens und ein neues Weltreich auszubreiten. Fast zu leicht schien dem Stolzen das Blutwerk von Wiens Eroberung; er sah Wälle vor sich, die kaum sechs Schuh in der Dicke maßen, schlecht unterhalten, aller schützenden Vorwerke bar; verzagte Christen, die er aufgefangen hatte, berichteten ihm, Wien habe nur 2000 wehrhafte Männer als Besatzung und Mundvorrat sowie Kriegsbedarf kaum für zwei Monate. In sieben großen Lagern war der Türken Heeresmacht (einmal 120 000 Krieger mit 300 Geschützen und 20 000 Kamelen) verteilt, und 800 Schiffe sperrten die Donau und verbrannten die Brücken. Dieser furchtbaren Angriffsmacht konnte Wien nur 16 000 Krieger entgegensetzen, aber an ihrer Spitze stand der alte kampferprobte Held Graf Niklas Salm, oberster Feldhauptmann Österreichs, und neben ihm standen sein Zögling und Schwiegervater, der Freiherr Wilhelm von Rogendorf, der Eck von Reischach, der 3000 Mann Fußvolk, der Pfalzgraf Philipp, der vierzehn Fahnen Reichstruppen und hundert Reiter in die Stadt gebracht hatte, Abel von Holneck, Leonhard von Völs, Ulrich Leisser, Remprecht von Ebersdorf, Ernst von Landenstein, die Befehlshaber Niklas von Thurn, Hans Katzianer und manch andere aus edlen Geschlechtern – jeder einen Heerhaufen geltend an Mut und Ausdauer; dazu Wiens tapfere Bürgerschaft, durch Begeisterung fürs Höchste und Heiligste, für Freiheit und Vaterland, zur ehernen Mauer geworden – fester als jene steinerne, hinter der sie stand –, Weib und Kind, Glauben und Freiheit zu decken. Hans Grießenegger war ihr Feldhauptmann. Schon am zweiten Tag fielen dreieinhalbtausend von den Belagerten zum Kärntnertor aus und mähten zweihundert Türken nieder. Minder glücklich waren die Ausfälle am 29.September und am 2.Oktober.

Nicht durch Waffen allein, auch durch Elemente kämpfte Suleiman gegen Wien. Während er den Kärntnerturm beschoß, während in den Straßen vergiftete Pfeile hinsausten, während die Nacht im Meteorschimmer der Feuerpfeile zum Tag wurde, während Sturmleitern gefertigt und die Gräben mit Reisig ausgefüllt wurden, wühlten die Minengräber in vierzig Gängen sich in die Stadt und floß dieser in den Aquädukten vergiftetes Wasser zu (so sagt das Volk). An jenen Minenkrieg, da Christen und Türken unter der Erde sich würgten, knüpfte das Volk die Sage, daß Wache haltende Bäckerjungen im Keller den Feind, der schon bis zur Freiung vorgedrungen war, entdeckt haben, daß ihr alljährlicher Aufzug am Osterdienstag ihnen zum Gedächtnis der Rettung bewilligt sei und daß jenes Haus davon den Namen »Der Heidenschuß« erhalten habe. Alle Glocken schwiegen, alle Uhren standen still, daß im Kampf keiner an die rollenden Sekunden denke und als sei ohne Freiheit keine Zeit wie kein Leben.

Den vierten Ausfall tat Eck von Reischach mit 8000 Reisigen, die Feinde zu hinterschleichen. Schon war der Türken Verwirrung groß, als, durch einen unglücklichen Zufall betört, die Ausfallenden allzufrüh sich wandten, die Türken hinterdrein, bis an die Tore. Endlich gelingt es den Türken, eine Mine zu sprengen, eine breite Bresche bietet sich, mit wildem Ungestüm und Schlachtgeheul stürmen die Feinde hindurch. Schon wehen zwei Roßschweife stolz auf dem Wall. Doch Eck von Reischach und Hans Katzianer schleudern die voreiligen Siegeszeichen, schleudern mit diesen die Stürmenden hinab.

Am 8. Oktober flammt das hölzerne Bollwerk am Kärntnertor auf; doch rasch wächst statt dessen ein neues empor. Am 9. machen die Türken beim Clarenkloster Bresche und stürmen, Salm und Katzianer wehren sie ab; wie durch Zauber schließt sich schnell die Bresche, reckt sich hinter ihr eine neue Mauer empor. Am 11. beginnt der Sturm gegen das Stubentor um 8 Uhr des Morgens, eine Bresche füllt sich bis oben mit Leichen. Am 12. stürmen die Türken dreimal, bei jedem neuen Anlauf mit verdreifachter Wut, und nach jedem sinkt ihr Vertrauen auf den Sieg. Der Glaube an ihre Unüberwindlichkeit ist erschüttert; umsonst Suleimans Grimm, da auch Kälte und Mangel an Mundvorrat drängen; umsonst verspricht er jedem Janitscharen tausend Aspern; dem, der die Mauern zuerst ersteigt, dreißigtausend, ist's ein Schubaschi – eine Provinz.

Am 14. endlich fällt die Entscheidung. Der Wall am Kärntnertor hat eine Bresche, 45 Klafter breit; drei Kolonnen stürmen hinein. Um 3 Uhr mittags neuer Sturm – der letzte. Ein abspringender Stein trifft den ersten Kampfhelden Wiens, Niklas Salm; ein halbes Jahr später stirbt der Tapfere an der Wunde; sein Grab fand er im Dorotheenkloster. Eine Stunde nach diesem letzten Sturm beschließt Suleiman den Rückzug, seinen rasenden Grimm büßen alle gefangenen Christen in seinem Lager, die er erwürgen läßt, und büßt das flache Land ringsum, das er verheert. Wien aber atmet zu Jubel auf. Von den Wällen rollen Freudendonner; auf den Türmen schweigen die Glocken nicht länger, die Uhren stehen nicht mehr still. Durch Wien, in Wien ist das ganze deutsche Vaterland gerettet, frei!

Infolge der vielen Zerstörungen, welche Wien bei dieser Belagerung erlitten hatte, wurden Stadt und Burg mehrere Jahrzehnte lang neu hergestellt und trefflich befestigt. 1532 kamen Karl V. und Ferdinand I., 1551 die Jesuiten und 1552 Ferdinands Sohn Maximilian nach Wien, dessen neue Gestalt, Leben und Sitte gleichzeitig der Wiener Dichter Wolfgang Schmelzl 1548 schildert.

Pald in die Schottenaw kham ich,
Gross Herrn do warn in gulden khetten,
Sprengten auf Türcken und Genetten,
Härzschirten, triben ritterspil.
Dessgleichen Burger, Khaufleut vil
Spazirten, reutten hin und her
Indem ich höret schreyen seer,
Schaut mich offt umb, was das müst seyn
Do fuert man grosse Vass mit Wein ...

...

In dem ein Kauffmann zu mir spricht:
Ich merck wol, dass jr vor nit seit
Hie gewesen lebenzeit;
Wurdt jr sehen ein ander Gsträpl,
Mit fueren, tragen und gezäpl;

...

Auf ein Tag auss dieser Stat Wienn
Secht jr vil tausent leser ausgien,
Das lesen vier wochen werdt,
Täglich tausent fünffhundert pferdt,
Dreihundert wägen muss man han,
Die offt ein tag drey fuer than,
Und bringen zusamen disen Wein.

In den folgenden Reimen erzählt Wolfgang Schmelzl den bekannten Wiener Volkswitz von der Speckseite am Roten Turm:

... Hie oben secht ir ein pachen Bache = Schwein
Under dem Rotenthurn hangen,
Derhalben ist es angefangen,
Ob jemandt hin zeucht ein und auss,
Sein weyb nit furcht, sey Herr im Hauss –
Der mag den pachen herab nemen;
Ist aber bissher kainer khemen,
Hangt ehtlich hundert jar her.

Das Fremdengewühl beschreibt er so:

An das Lugeck kam ich ongfer,
Da tratten Kaufleut hin und her,
All Nacion in jr Klaidung;
Da wirt gehört manch sprach und zung,
Ich dacht, ich wer gen Babl khumen,
Wo alle sprach ein anfang gnummen,
Und hört ein seltzams Dräsch und gschray
Von schönen sprachen mancherlay,
Hebreisch, Griechisch und Lateinisch,
Teutsch, Frantzösisch, Türkisch, Spanisch,
Behaimisch, Windisch, Italianisch,
Hungarisch, guet Niederlandisch,
Natürlich Syrisch, Crabatisch,
Rätzisch, Polnisch und Chaldeisch,
Des Volcks auch was ein grosse meng,
Ich macht mich pald auss dem Gedreng.

Auf dem »Hohen Markt« findet er den Pranger und

... nit weit das Narrenkötterlein,
Wol verwaret mit eysen zeyn,
Drinn manchem offt lang wirdt die weil,
So er zu nachts erwischt in eyl,
Ob dann ein argwon auf jn geht,
Ein andre prob er gwisslich bsteht.

Als er die Stadt besichtigt, meint er:

... ien wer im Paradeiss,
Wie gwaltig höff' und hewser ich fandt,
Kaum gesehen in einem landt,
An hewsern aussen und innen gemäl,
Als werens eytel Fürsten säl,
Mit thürnen, festen giblmaurn,
Für Feind und Fewer wol für traurn; Die ziegldach gantz schön mit zinnen,
Schier bass erbaut in der erdt innen,

...

Alls Gmeur von gutem zeug und stain,
Die fenster wol mit eysen zain,
Toppelt vergattert allenthalben
Für einsteigen und aussfallen;
Der Voglsang so schön erschallt,
Als gieng ich in dem grünen waldt ...

...

Der Schmälzel kain besser schmalzgrueb fandt.
Ich lob dies ort für alle landt!
Hier seint vil singer, saitenspiel,
Allerley gsellschaft, freuden vil;
Mehr Musikos und instrument
Findt man gewiss an keinen endt.

Starke Schlagschatten zu diesen Sonnenblicken der Freude sind die Religionswirren in Wien unter Ferdinands I. Regierung. Das Sittenverderbnis in den Klöstern hatte den Zündstoff des Hasses in des Volkes Herzen gelegt; Luthers kühne Tat entflammte ihn, und von allen Seiten rauschte es rasch wie Windsbraut um den Brand. Bald hatte der alte Glauben, je eifriger die Ordensleute von der Gesellschaft Jesu ihn mit allen Waffen zu verteidigen und auszubreiten suchten, in Wien Schritt für Schritt nur die nackte Existenz, von allem Nimbus entblößt, zu wahren, Spott und Hohn zu ertragen. Das Einschreiten der Macht schien vergeblich. Allenthalben predigten die Verkündiger der neuen Lehre. Offen wurde die Vertreibung der Jesuiten gefordert. Im Landhaus saßen fast lauter Protestanten; in Hernals waltete fanatisch Helmhard Jörger. Die öffentlichen katholischen Prozessionen mußten eingestellt bleiben, weil das Volk die Priester mißhandelte; katholische Geistliche, welche Sterbenden das Sakrament brachten, konnten es nicht mehr wagen, ohne Sicherheitswache über die Straße zu gehen. Aufläufe und Tumulte, durch wechselseitigen Fanatismus hervorgerufen, waren an der Tagesordnung; erst unter Ferdinands Nachfolger, Maximilian II., stellte die von ihm den Ständen gegebene Religionsfreiheit 1574 gestattete er den protestantischen Gottesdienst im Landhaus und bei den Minoriten. auch in Wien den Frieden wieder her.

Zwei wohlbekannte Belustigungsorte der Wiener verdanken ihre Entstehung Maximilian II. – der Prater und Schönbrunn. Wo jetzt die fröhlichen Wiener alljährlich am ersten Mai den großen Wettlauf betrachten, wo sie neugierig um den neuen Bahnhof sich drängen; wo jetzt im Frühling die langen Reihen der Karossen in der prachtvollen Hauptallee bis zum Lusthaus hin Schritt für Schritt fahren, wo aus hundert Bosketts türkische Musik, Jubel und Lärm der Kinder erschallt, wo beim Wurstel wie in Schaukeln und Ringelspielen, wie vor den Tribünen der wandernden Bänkelsänger und in zahllosen Tavernen das Volk die Seligkeit seines »wahren Himmels« genießt – auf der ausgedehnten Donauinsel –, war vor Maximilian II. öder Wald, in dessen Besitz die Stadt Wien, das Stift Klosterneuburg, die Jesuiten, die Chorherren zu St. Dorothea, die Augustiner und die Himmelpförtnerinnen sich teilten. Maximilian erwarb von allen diesen einzelne Teile, um in diesem neuen Besitz, dem Prater, der Jagd oder der Einsamkeit pflegen zu können. Unter Rudolf II. wurde der Prater völlig geschlossen. Joseph I. eröffnete ihn den Equipagen des Adels, Joseph II. dem Volk. Gegen das Jahr 1570 erbaute sich Maximilian II. das Jagdschloß Schönbrunn; unter Rudolf II. hieß es nach dem Kriegszahlmeister Gattermayer, der es kaiserlicher Gunst verdankte, das Gatterschloß; Matthias erweiterte es, Joseph I. und Maria Theresia aber führten den prachtvollen Neubau aus, wie er noch heute steht.

1590 im September erlitt Wien die Schrecken eines Erdbebens, unter dessen Stößen die Spitze des Stephansturms sich neigte, der Turm der Jesuitenkirche zusammenstürzte und die Erde an mehreren Orten sich spaltete. 1606 traten in Wien die Stammglieder des Erzhauses zusammen und setzten, weil es allzuviel offenbar, daß »die römisch-kaiserliche Majestät, Ihr Herr Bruder und Vetter [Rudolf II.] aus denen bei Ihr zu unterschiedlichen Zeiten sich erzeigenden Gemütsblödigkeiten zur Regierung dero Königreiche nicht genugsam noch tauglich sich befinde«, dessen Bruder Matthias zum Regenten in Österreich ein; 1608 empfing dieser in Wien die Huldigung, 1611 hielt er dort prachtvolles Beilager mit Anna von Tirol und verlegte die Residenz, die Rudolf II. in Prag gehalten hatte, von da wieder nach der alten Kaiserstadt.

Im Juni des Jahres 1619 trotzte Graf Thurn, der Defensor der Protestanten Böhmens, im Einvernehmen mit den in Wien anwesenden evangelischen Ständen dem neuen Herrscher Ferdinand II., dem unbeugsamen Glaubenseiferer, vor der Hofburg. Inbrünstig flehend in seiner schweren Bedrängnis warf Ferdinand sich vor dem Bild des Gekreuzigten auf die Knie und vernahm von diesem die Trostworte: »Ferdinande, non te deseram!«

Gleich darauf drängten 16 Protestanten aus Österreichs Ständen in das Gemach, der Verwegenste faßte Ferdinand an den Knöpfen des Kleides und rief drohend, indem er ihm eine Schrift vorhielt: »Wirst du nicht unterschreiben?«

Da erschallte plötzlich draußen vor der Burg fröhliche Schlachtmusik. Rettung ist da aus Not und Schmach. Die Küraßreiter Bucquoys sind's, der Oberst Saint Hilaire brachte sie von Krems zu Schiff nach Wien; Wiens Bürger und Studenten öffneten ihnen schnell das Fischertor. Wie Spreu im Wind sind jetzt die Übermütigen verschwunden. Das Regiment Dampierres aber, das den Monarchen im entscheidenden Augenblick gerettet hatte, erhielt zu immerwährendem Gedächtnis das Recht, mit klingendem Spiel zu allen Zeiten durch die Stadt zu ziehen und auf dem Burgplatz drei Tage lang sein Werbezelt aufzuschlagen. Doch auch dem Himmel vergaß Ferdinand für seine wunderbare Rettung nicht zu danken; die zahlreichen Klöster Wiens aus seiner Zeit bezeugen es.

Die Schrecknisse des Dreißigjährigen Krieges gingen an dem lebensfrohen Wien bis auf eines vorüber, das zugleich den Anlaß zu einem Volksfest gab, desgleichen wohl kein zweites in Deutschland zu finden ist. Nach dem Sieg bei Jankau zog der kühne Torstenson in Eilmärschen nach Wien. Der Erzherzog Leopold Wilhelm konnte ihm nur geringe Heeresmacht entgegenstellen, doch die Studenten und Bürger Wiens halfen, wie immer rüstig zur Hand, dem Erzherzog getreulich, Torstensons Handstreich zu vereiteln. Leopolds Lager war in der Wolfsau, am alten Tabor; von da aus hielt er die kühnen Schweden in Schach.

Da geschah es am Morgen des St.-Brigitten-Tages, daß, als Leopold im Gebet kniete, eine schwedische Kanonenkugel in sein Zelt schlug, aber, wie durch ein Wunder von seinem Leib abgelenkt, ohne ihn zu verletzen, vor seinen Füßen niedersank. Zum Gedächtnis der Gefahr und der wunderbaren Rettung ließ Leopold auf derselben Stelle, wo sein Zelt gestanden hatte, eine Kapelle zu Ehren der Schutzheiligen des Tages erbauen, und seit jener Zeit wird in der Brigittenau alljährlich am Brigittentag ein Volksfest, der »Brigittenkirchtag«, begangen. Da strömen viele Tausende zusammen, reich und arm, jung und alt; alle huldigen nur der Freude des Augenblicks, und jeder fühlte sich vergnügter als ein König auf seinem Thron. Auf dem grünen Rasen schlagen ganze Familien Biwaks auf, während andere in vielen Hunderten von ephemeren Tavernen oder in dem bei der Kapelle erbauten Jägerhaus sich gütlich tun; jede Art von Vergnügen ist da entfesselt, und freigegeben und selbst in rasende Orgien wähnst du dich zuweilen wie durch einen Zauber mit hineingerissen. Eine Welt im kleinen – und doch groß genug, um alle Sinne zu betäuben – umgibt dich mit ihrem Brausen; es ist ein Karneval mitten im Sommer, bei dem jeder in derselben Maske, mit der er zur Welt kam, und doch wie ein Fastnachtsschwärmer erscheint; selbst das Elend tritt als possierliche Charge, als Narrenkönig auf, ein tolles Charivari von allen erdenklichen Instrumenten ist seine Heermusik, Hanswurst sein Marschall – Gaukler und Luftspringer, Menageriewärter und Kreuzerkomödianten sind sein geflickter Hofstaat. In dieser phantastischen Traum- und Zaubersphäre, in die du eingegangen bist, wähnst du dich fern der Gegenwart und der Kaiserstadt, wenn dein Blick nicht zufällig an irgendeiner freien Stelle der Au den alten ehrwürdigen Stephansturm gewahrt, der ernst in das Getümmel hereinstarrt, oder ein feines, blasses Gesicht aus dem Salon erhascht, das aus dem wild schäumenden Meer der stürmischen Volksfreude wie das eines verlorenen Schiffbrüchigen emportaucht.

Doch genug davon, und zurück zu der Geschichte der Kaiserstadt, die wir von der ersten historischen Spur bis zu den Übergängen, in der sie die Geschicke der Fürsten und des Landes auf dem Nacken tragen, bis zu jener Entwicklung des Bewußtseins ihrer Kraft und Selbständigkeit verfolgten, als sie, statt bloß mitfühlende Zuschauerin zu sein, selbst eine Rolle spielend, ihren Charakter festigte. In den ersten Vormundschaftszwisten stellte er sich auf die eigene Basis, bewegte sich anfangs nach den natürlichen Gesetzen des Widerstands, dann nach jenen der Vernunft, die das Rechte erkennt und durch dessen Verfechtung sich selbst sanktioniert. Immer aber zeigt sich das rasche Blut, zeigt sich bei aller Lebhaftigkeit das gesunde deutsche Gemüt, das bei Aufständen in den Ausschweifungen des Pöbels freilich nur verschlackt zutage kommt, aber in der Feuerprobe der Not sich echt erweist. Da wird der Leichtsinn zum Heldenmut, das frische, vorlaute Wesen lehnt sich an die nachhaltige Tat, und die diamanthelle und diamantstarke Treue, welche die Nacht gemeinsamer Not durchblitzt, ist nicht jener hündische Gehorsam des Sklaven gegen den Herrn, sondern die Liebe des Sohnes zum Vater, des Bruders zu den Geschwistern. In allen Nöten aber hat dieses Volk ein heilkräftiges Bad wie kein zweites in der Welt, aus dem es schnell mit gesundem Leib und mit verjüngten Kräften ersteht – den Humor.

Nicht mehr als hundertvierundfünfzig Jahre waren vergangen, seit die Wiener dem großen Suleiman, dem Schrecken der ganzen Christen, gezeigt hatten, was sie könnten, wenn sie nur wollten – und aufs neue hatte die Weltgeschichte durch eine Türkenbelagerung ihnen Gelegenheit gegeben, dies zu beweisen. Wenige Jahre vor dieser zweiten wurde Wien noch durch die große Pest heimgesucht (1679). Entsetzen und Elend töteten, wen jene selber nicht niederwarf. Von Januar bis November starben in der Altstadt und in den Vorstädten über 122 000 Menschen. Und doch wurden schon im nächsten Monat »nur allein im Stephansdom 95 Paare getraut«, Siehe Hormayrs »Geschichte Wiens«. und in »anderthalb Jahren hätte der Reisende keine Spur mehr von jener schrecklichen Strafrute des Himmels finden können.« Zum Gedächtnis dieser schweren Prüfung und der gnädigen Erlösung ließ Kaiser Leopold I. die Dreifaltigkeitssäule auf dem Graben errichten.

Kara Mustapha, Wir stützen uns bei Erzählung der zweiten türkischen Belagerung Wiens vorzugsweise auf die Geschichtswerke von Hormayr und Hammer-Purgstall. der Großwesir des Sultans Mohammed IV., hoffte in seinem Übermut, zu erreichen, was der große Suleiman nicht vermocht hatte, wovor dieser in schwerer Fluchweissagung gewarnt haben soll – Wien zur Hauptstadt seines künftigen Paschaliks zu machen. Mit furchtbarer Heeresmacht brach er auf; Mord, Raub, Brand und Verheerung zeichneten seine Spuren in Ungarn und Österreich. Bei der Nachricht von seinem Anzug flüchtete Kaiser Leopold II. mit der Kaiserin, dem jungen Kronprinzen und dem ganzen Hof am 7. Juli 1683 aus Wien; an oder über sechzigtausend, durch dieses Beispiel des Hofs ermutigt, drängten während eines halben Tages in wilder Eile nach; aber aus dem verwüsteten flachen Land, wo allenthalben die Feuersäulen emporstiegen, rettete sich dafür das Volk in die Stadt, daß der Kommandant, Ernst Rüdiger Graf von Starhemberg, die Tore schließen und die Brücken demolieren lassen mußte. Gering war die Besatzung der Stadt: die Linientruppen 13 866 Mann, die Bürgerschaft in acht Kompanien 2382, die Studenten unter Paul Sorbait, dem Leibarzt der Kaiserinwitwe, 700, die Niederlagsverwandten und Innungen 4012, die Hofbefreiten und Hofdiener 1000.

Wie klein war diese Macht gegen der Türken Überzahl! Am 14. Juli stand Kara Mustapha mit 200 000 Mann vor Wien; tags zuvor hatte Starhemberg die Vorstädte, nachdem die Bewohner ihre beste Habe draus gerettet hatten, in Brand stecken lassen. Im ungeheuren Halbmond vom rechten Ufer der Donau, von der Schwechat und dem Neugebäude an, wo einst Suleimans Zelt stand, über Inzersdorf, Schönbrunn, Hernais, Währing und Döbling bis Nußdorf am anderen Donauufer umklammerte das Türkenlager die Hoffnung und den Wall der Christenheit, das mutige Wien. Wieder verstummten wie bei der ersten Belagerung die Glocken bis auf eine zu St. Stephan, die »Angstern«. Kara Mustaphas grünes Zelt, von Gold und Edelsteinen funkelnd, erhob sich bei St. Ulrich, vor der Burg. Noch an demselben Tag brach in der Stadt selbst, im Schottenhof, ein Brand aus, der das Arsenal und den Pulvervorrat bedrohte; mit seltener Besonnenheit und unglaublichem Mut rettete der junge Guido von Starhemberg, der Neffe des Kommandanten, noch im letzten Augenblick die Stadt.

Inzwischen war auch der General Schulz, der bisher in der Leopoldstadt gestanden hatte, von den Türken überfallen und die Stadt nun ganz eingeschlossen worden; Prinz Karl von Lothringen war mit seinen Truppen über die Donau gezogen; bald flogen von den türkischen Batterien in der Leopoldstadt Bomben in die Stadt. Von den türkischen Bomben erhielt sich manche Tradition. »Eine fiel in einen Mörser auf der Burgbastei, entzündete ihn und brannte ihn gegen die feindlichen Laufgräben los.« Die Hauptangriffe der Türken waren gegen die Burg gerichtet. Am 23. Juli flogen die ersten Minen an den Spitzen der Gegenböschungen der Löwel und der Burgbastei auf; »im ganzen Verlauf der Belagerung wurden nicht mehr als 40 Minen von den Belagerern und von den Belagerten 10 Gegenminen gesprengt; aber der Ausfälle und Stürme Zahl und Heftigkeit und das unablässige Vorrücken der Laufgräben und Senken, das Entgegenarbeiten der Belagerten durch Blendungen und Schulterwehren im Graben, dann durch Verhaue und Abschnitte auf den schon teilweise eingenommenen Basteien und in dem Ravelin gaben das täglich wiederholte Schauspiel des hartnäckigsten Kampfes; achtzehnmal wurde gestürmt, vierundzwanzigmal fielen die Belagerten aus«. Siehe Hammer-Purgstall, »Geschichte des Osmanischen Reiches«, 2.Ausgabe, 3. Band. Die Studenten, auf den gefährlichsten Posten, taten fröhlichen Mutes Wunder der Tapferkeit; die Krieger, die Bürger wetteiferten, von schönem Neid erfüllt. Um eine Handvoll Erde wurde mehr als ein Kampf von solcher Erbitterung gestritten, als gält' es ein Königreich; nicht mehr mit Musketen, nein, mit Sensen, Schwertern, Knütteln, Fäusten erlegte und würgte Feind gegen Feind auf den Wällen und in den Gräben. Nicht geringeren Mut bewiesen die Boten und Kundschafter, die zum Herzog von Lothringen hinüber oder von ihm zurück die Donau durchschwammen oder verkleidet ins türkische Lager sich stahlen und den Belagerten wichtige Nachrichten daraus zurückbrachten. Der Pole Kulczycki aus Sambor, Kaufmann in Wien und Leutnant bei der Frankschen Freikompanie, durchwanderte in türkischen Kleidern, türkische Lieder singend, mit seinem Bedienten das ganze feindliche Lager, kam glücklich an den Kahlenberg und brachte ein Trostschreiben des Herzogs von Lothringen in die Stadt. Nach dem Entsatz wurde ihm zum Lohn seines Dienstes das Recht gegeben, ein Kaffeehaus (das erste in Wien) zu halten.

Über allen aber waltete der Kommandant Wiens, Rüdiger von Starhemberg, als hätte er hundert Leben. Jetzt spähte er von seiner Warte auf dem Stephansturm wie ein Adler aus seinem Horst ringsum auf den aufgerollten Schlachtplan; gleich darauf sah man ihn wie von Erz ausharrend im feindlichen Feuer, auf den Wällen, zum Kampf ermutigend und die Tapfersten lohnend oder das geringste Vergehen gegen Kriegszucht unerbittlich richtend; bald wieder an den Gegenminen, mit Ungeduld den dumpfen Erdstößen entgegenharrend; bald im Zeughaus; bald, ungebeugt durch Krankheit und Wunden, auf der Runde bei Tag und Nacht; bald mit dem edlen Bischof Kollonits, dem Schutzgeist der Bedrängten und Kranken, der Witwen und Waisen, in den Hospitälern.

Am 23., 24. und 26. August erneuerten die Türken die Stürme. Am vierzehnten Tag der Belagerung hatten sie den dritten Teil des Ravelins an der Löwelbastei erobert, aber zugleich sank ihr Mut, da »nach ihrem Kriegsglauben keine Belagerung über 40 Tage dauern soll«; am 3. September hatten sie das Ganze gewonnen. Am folgenden Tag flatterten bereits im Sturm aufgepflanzte Fähnlein auf der Burgbastei, doch das Geschütz der Belagerten schmetterte sie nieder. Umsonst versuchten sie am folgenden Tag volle 24 Stunden lang, die Scharte auszuwetzen. Am 6 September war die Katastrophe nahe, eine Mine unter der Löwelbastei flog auf, die Mauer von vierundzwanzig Schuh in der Dicke wich sechs Klafter weit aus dem Grund; doch Verzweiflung spornte die Verteidiger, und der Sturm wurde – um teuren Preis – abgeschlagen.

Als Kara Mustapha am 9. September seine Heerscharen musterte, fand er sie um ein Viertel schon verringert. Bald erhielt auch er Kunde, daß das christliche Heer zum Entsatz sich näherte; es bestand aus den Scharen des Königs von Polen, Johann Sobieski, und aus den Truppen von Sachsen, Franken und Bayern nebst mehreren in Böhmen geworbenen österreichischen Regimentern, die alle bei Krems am 8. September zusammenstießen und am 9. und 10. September nach Klosterneuburg und dem Kahlenberg aufbrachen; alles in allem 84 800 Krieger mit 186 Geschützen. Kara Mustapha rückte aus dem bisherigen Lager und bereitete seine Scharen zur Schlacht: gegen den Dornbacher Wald und den Kahlenberg eine Hälfte, die andere Hälfte auf den Wienerberg.

In Wien stieg indessen die Not mit jeder Stunde. Gegen Abend des 11. schwamm ein Reiter über die Donau und brachte dem Herzog von Lothringen einen Brief Starhembergs, des kurzen Inhalts: »Keine Zeit mehr verlieren, gnädigster Herr! Ja keine Zeit mehr verlieren!« Raketengarben flogen vom Stephansturm auf, zum wiederholten Zeichen, daß »die Not am höchsten« sei; »Gott am nächsten« aber liest Wien in den Meteoren über dem Hermannskogel, und drei Kanonenschüsse von ebendort bestätigen den Trost: der Entsatz ist nahe! Auf jenen Bergen schon, Freunde und Feinde überschauend, harrt die Hilfe, liegt sie wie eine Gewitterwolke. Auf jenem Berg entdecken die Wiener die große Fahne der Befreier, das weiße Kreuz im roten Feld; sie unterscheiden das Glitzern der Waffen, die Regungen der Kolonnen, die Feuerzeichen. »Ein Augenblick trug die Freudenpost von Mund zu Mund. Ein Augenblick verkehrte die allgemeine Verzweiflung in lauten Jubel, Freunde und Feinde umarmten sich in heißen Tränen, in zitternder Freude. Die einen rannten in die Kirchen, dem Himmel zu danken, andere auf die Sammelplätze, jetzt schon mit Ungestüm einen Ausfall begehrend, viele, der immerfort tobenden feindlichen Kugeln und Bomben ganz unbekümmert, auf die Zinnen der Häuser, auf die Türme bei den Schotten, bei Mariastiegen.«

Der Morgen des 12. September – ein Sonntag – brach in heiterer Klarheit an. Der Kapuziner Bruder Marco d'Aviano las am Altar des Leopoldsberges die Messe, wobei der König von Polen ihm diente, und gab dem Heer den Segen. Nach beendetem Gottesdienst erteilte Sobieski seinem Sohn die Ritterwürde, »zum Andenken des größten Tages, den er erleben könne«, und sprach zu seinen Feldherrn, an den Sieg bei Chocim sie mahnend und daran, daß der bevorstehende Sieg nicht eine Stadt, sondern die ganze Christenheit rette. Als die Massen sich in Bewegung gesetzt hatten, als das ganze Gebirge von den Reihen der Schlachtlustigen wimmelte, freudiges Kriegsgeschrei und Musik weithin schallte und der Großwesir seinen Sinnen kaum traute, da wankte seine Zuversicht, und er raufte sich den Bart. Vom Boden auf raffen ihn endlich die Paschas von Diarbekir und Ofen und stellen ihn mit Gewalt an die Spitze der Janitscharen. Im Anblick und Duft des Blutes sucht er neuen Mut. Dreißigtausend Gefangene im Lager werden niedergemetzelt, da springt er im Rausch des Ingrimms auf, faßt die Fahne des Propheten und tritt in das Zentrum der Schlacht. Fünf Kanonenschüsse vom Kahlenberg geben das Zeichen. In den Berg- und Hügelschluchten von Nußdorf nach Heiligenstadt zieht sich das Gemetzel wie eine schwellende Riesenschlange, umkreist jeden Schutthaufen. Die große Türkenschanze über dem jähen Döblinger Hohlweg sendet sieben Stunden lang den Mord auf die Österreicher, bis die Sachsen der Janitscharenphalanx wie einem Panzertier gewandt in die Weichen fallen.

Um zwei Uhr mittags – bis dahin waren die Bayern und Franken, die das Zentrum bildeten, noch nicht des Kampfes habhaft geworden – wird 's im Dornbacher Wald lebendig. Zentauren gleich stürzen die Polen daraus hervor, immer von neuem wider die lebendige Mauer der Feinde und von ihr zurückprallend. Um vier Uhr rücken die Türken gegen die Vorstädte zurück, wenden plötzlich die Geschütze und betäuben durch den plötzlichen Angriff und treiben ein Regiment Lanzenreiter in die Flucht. Schon reißt es die anderen mit sich fort, schon wächst die Verwirrung. Jetzt wirft sich der Herzog von Lothringen – es ist halb fünf Uhr – mit ganzer Heeresmacht im wütenden Sturm auf den rechten Flügel der Feinde, gewinnt ihre große Batterie in Döbling; mit ihnen zugleich überschwemmt er Döbling; die Polen sammeln sich, drängen auf den Feind, drücken ihn bis in das Lager in der Rossau, so fest, daß ihm das Blut aus den Adern spritzt.

Inzwischen gewinnt Markgraf Ludwig von Baden den Paß bis vors Schottentor und bespricht mit Starhemberg einen Ausfall. Den ersten werfen die Türken zurück – den zweiten Ausfall aber halten sie, an der Brust und im Rücken zugleich gepreßt, daß einer den andern erdrückt, nicht aus. Wo ist Heil als in der Flucht? Luft! Der eine dahin, der andere dorthin! Auf und davon! Jeder Zuruf der Führer verhallt im Getümmel. Schmach? Ruhm? Sie unterscheiden's nicht mehr. Das Schicksal ist's, das unvermeidliche, das sie im Nacken fühlen, hinter den Fersen fühlen, das sie dahinreißt! Über den Wienerberg fliehen sie dahin – besinnungslos, unaufhaltsam.

Um sieben Uhr ist der Sieg der Christen entschieden; mehr als zehntausend Türken liegen erschlagen auf dem Walplatz; dreihundert Feuerschlünde, fünfzehntausend Zelte – das prachtvolle des Großwesirs drunter mit seiner geheimen Kanzlei – mit allen Schätzen und Waffen, Heerpauken und Fahnen sind der Sieger kostbare Beute; die Soldaten plündern nur Gold und Geschmeide, alles übrige – Lebensmittel, Herden, Kriegsbedarf, Leinwand, Leder, Pelze – bleibt den Wienern, die am andern Tag früh die Stadt, in der sie zwölf Wochen eingeschlossen gewesen, jubelnd und neugierig verlassen.

Der edle Bischof Kollonitz aber suchte auf dem Schlachtfeld die Verwundeten und die Christenkinder, die bei dem letzten Gemetzel etwa verschont geblieben waren; er fand deren sechshundert und sorgte mit väterlicher Treue für sie. Ein geringer Rest; denn 6000 Männer, 11 000 Weiber, 14 000 Mädchen, 50 000 Kinder waren in die Sklaverei fortgeschleppt worden.

Am 13. wurde das Stubentor wieder geöffnet, und Starhemberg ritt mit allen Befehlshabern zum König von Polen hinaus, der aus des Großwesirs Zelt ihm entgegenschritt und ihn als Bruder begrüßte. Beide durchwandelten alsdann die feindlichen Minen und Approchen und zogen endlich durchs Stubentor im Triumph in die Stadt, vom Jubel des befreiten Volks umschallt. In der Augustinerkirche wurde der Siegesgottesdienst gehalten, 300 Kanonenschüsse von den Wällen verkündeten dem flachen Land die Rettung. Am 14. kam Kaiser Leopold nach Nußdorf, ritt mit dem Herzog von Lothringen und mit Ernst Rüdiger von Starhemberg durch das Türkenlager und zog dann nach Wien. Im Stephansdom sang der Bischof das Tedeum. Am anderen Tag besuchte er den König von Polen im Lager.

Noch im Dezember desselben Jahres wurde Kara Mustapha zu Belgrad auf Befehl des Großherrn erdrosselt; fünf Jahre später schickte der Herzog von Lothringen nach Belgrads Fall das Haupt des Übermütigen dem Bischof Kollonitz. Noch heute bewahrt eine Nische im bürgerlichen Zeughaus Wiens dasselbe auf.

»... ein Kästlein,
Abenteuerlich geschmückt,
Draus, von seinem Rumpf geschieden,
Hohlen Augs ein Schädel blickt,
Eine rote Schnur daneben,
Kündend blutiges Gericht.« Wiener Poet.

Unglaublich schnell erholte sich Wien von den Verheerungen der Belagerung; an der Stelle der geschleiften oder beschädigten Häuser erhoben sich alsbald neue prachtvollere, daß der Raum fast zu eng wurde für all die Paläste und Klöster. Da gab der Kaiser das Privilegium des Burgfriedens, der sich zum ungeheuren Ring vom Roten Turm, vom Stubentor und Rennweg wie vom Kärntnertor bis Sankt Marx, dann vom Kärntnertor bis Margarethen, vom Burgtor bis an die Windmühle und die Straße von Ottakring, vom Augustinergarten bis zur Währinger Höhe, endlich von der Schlagbrücke bis zu den neuen Schanzen ausgeweitet hat. 1704 wurden, als infolge der Rakoczyschen Unruhen die Ungarn Wien bedrohten, die Vorstädte mit Wällen und Gräben, die »Linien« genannt, umgeben. 1688 wurde die Straßenbeleuchtung ins Werk gesetzt, 1702-1703 die Errichtung einer Bank in Wien beschlossen und bald darauf letztere von der Stadt übernommen.

Kaiser Joseph I. stiftete die Akademie der Bildenden Künste in Wien, Karl VI., unter dem das Bistum Wiens zum Erzbistum erhöht wurde, schuf durch Fischer von Erlach die Prachtbauten der Hofbibliothek und der Reichskanzlei und infolge eines Gelübdes beim Ausbruch der Pest die Karlskirche; der große Eugen von Savoyen das Belvedere auf dem Rennweg, wo sich jetzt die kaiserliche Bildergalerie befindet.

Durch Maria Theresia erstanden das Invalidenhaus und das neue Universitätsgebäude. In der Kar- und Osterwoche 1782 (unter des unsterblichen Joseph II. Regierung) besuchte Papst Pius VI. die Kaiserstadt. Wie segensreich Joseph II. gewaltet hat, erkennt jetzt erst die Nachwelt – gerechter als seine Mitwelt – immer freudiger an; was Wien an Vernunft und Recht ihm verdankt, sprach ein Wiener Poet, der Stolz des Vaterlandes, in begeisternden Strophen vor Josephs Bild aus, das der kaiserliche Neffe ihm 1806 durch Franz Zauner errichtete:

»Ruhig auf granitnem Sockel schwebt das Kaiserbild voll Glanz,
Um die Schläfen keine Krone, nur den selbsterrungnen Kranz!
Hoch zu Roß, das Antlitz lächelnd und empor die rechte Hand
Sanft erhoben, wie zum Segen, über sein geliebtes Land.

Ja, du bist es, weiser Joseph! Voll von Kraft und Mark und Klang,
So im Bilde von Metalle, wie dein Leben all entlang!
Dem getreu und kühn beharrlich, was als edel du erkannt,
Und an deinem großen Werke bauend fest mit eh'rner Hand!

Ein Despot bist du gewesen! Doch ein solcher, wie der Tag,
Dessen Sonne Nacht und Nebel neben sich nicht dulden mag;
Der zu dunklen Diebesklüften die verhaßte Leuchte trägt
Und mit goldner Hand ans Fenster langer Schläfer rastlos schlägt.

...

All Dein Ringen nach dem Lichte, all dein Tun in ernster Zeit,
Glich's nicht einer Hand von Eisen, die uns eine Rose beut?
Ein beharrlich ernstes Kämpfen um ein morgenrotes Land!
Drum, o legt ihm weich die Rose in die harte, eh'rne Hand.«

Schlichter, gleichwohl treffend, ist folgender Reim auf einem Haus am alten Fleischmarkt:

»Vergänglich ist dies Haus, doch Josephs Nachruhm nie,
Er gab uns Toleranz, Unsterblichkeit gab sie.«

Dies Wort »Toleranz« faßt wahrlich Josephs ganzes Sein, Streben und Wollen in einem Brennpunkt zusammen. Wähnt ihr sie im Kampfgetöse verschollen, die heilige Parole? Noch scharen sich die Edelsten um die alte Fahne; die Jugend, freudigen Hoffnungsmutes voll, schrieb drauf »Humanität« und folgt ihr begeistert mit nackter Brust in den Krieg gegen die dichten Kolonnen der Dunkelmänner, die Büffelschild an Büffelschild mit eisernen Haken einhängen, Nachtmützen auf den Köpfen und in den Köpfen den Wahn, sie trügen Tarnkappen, und weil sie nicht gesehen sein möchten, seien sie unsichtbar!

Zu früh in seiner Zeit, steht Joseph noch lebendig in der unsrigen und ficht unsere Schlachten mit. Was er gewollt hat, wirkt heute erst als Tat; was er bereits gab, was seine Mitwelt noch nicht begriff, mißbrauchte, verketzerte – Freiheit des Wortes und der Schrift, Anerkennung des Rechts, das »mit dem Menschen geboren wird« –: nur noch als heilige Hoffnung schwebt es jetzt den Besten in der Zukunft; aber die Durchgeistigung der Massen verbürgt die Notwendigkeit einstiger Erfüllung.

Joseph war deutsch durch und durch; in den Regententafeln heißt er der Zweite; in den Herzen des Volkes, in Deutschlands neuer Geschichte, an deren Schwelle er mit Friedrich dem Großen als Tempelwächter steht, ist er der Erste. Auch der Kaiserstadt – und nicht etwa bloß deshalb, weil er die Selbständigkeit derselben durch die Einsetzung ihres neuen »Magistrats« sanktionierte; von seiner Zeit eigentlich datiert Wiens neues Leben. In dem letzten Widerstand gegen die Türken war gleichsam der alte historische Charakter Wiens beschlossen; nach dem Entsatz hatte es seine Rolle ausgespielt; seine Selbstherrlichkeit, seine Kraft, seine Eigentümlichkeit verschwanden allmählich vor dem Glanz des Hofs, vor den Verwirrungen des deutschen Reiches. Unter Joseph aber regt sich, seit mancher Bann verschwunden ist, selbst im Übermut der jungen Freiheit, im Zerstören selbst, neue Gesittung. Mozarts Musik ist die Ouvertüre des neuen Lebens, bei dem das Volk nicht mehr ein geduldetes Publikum ist, sondern selbst mitspielt mit seinem ganzen üppigen, unerschöpflichen, allumfassenden Humor; war doch freier Spielraum gegeben! – es breitete in frischer Jugendkraft sich daraus aus; reifte doch jede Stunde neuer Stoff! – es ergriff ihn wie Zepter und Krone seines neuen Reiches. Alle attischen Elemente seines innersten Wesens kamen aus der böotischen Kruste zutage, die sich an ihm gebildet hatte. Alle Kraft des Denkens und Wollens, die bei anderen Völkern in großen Denkern, Dichtern, Künstlern als in einzelnen Stämmen sich sonderte, verteilte sich in Wien im ganzen Volk, das aus allem Fremdartigen, was der Verkehr mit den verschiedensten Nationen, aus allem Neuen, was der rasche Umschwung der Zeit ihm in den Schoß warf, mit unvergleichlichem Instinkt nur das sich aneignete, was seiner eigensten Natur zusagte, die es einesteils dadurch vielseitig und großartig ausweitete, andernteils in kompakter Eigentümlichkeit und stämmiger Gesundheit erhielt. So ist es nicht zu übersehen, daß unter Josephs Regierung (1781) in Wien das Volkstheater in der Leopoldstadt entstand, während auf dem Hof- und Nationaltheater Schröder die Schöpfungen Shakespeares an die Stelle der sogenannten Klassik Frankreichs und der Gottschedschen Schule setzte. Wiens Charakter entfaltete sich erst unter Joseph zu voller Blüte; daß aber jener in der Fülle seines Freimuts, seines Humors, seiner Lebensfreude an der alten Treue, der alten Herzhaftigkeit nichts eingebüßt hatte, bewies das Wiener Volk in den Tagen der Not und Gefahr unter Franz II.

Als Franz II. am 19. August 1792 von der Kaiserkrönung in Frankfurt am Main und der Königskrönung in Prag heimkehrte und zum Kärntnertor herein seinen feierlichen Einzug hielt, bezeugte statt aller Ehrenpforten, die er sich verbeten hatte, der von allen an den ehrwürdigen Stephansdom angebauten Häusern, Hütten und Boutiquen gereinigte Stephansplatz des Kaisers einfachen, hausväterlichen Sinn und seine Pietät für das Altherkömmliche, von den Vätern als teures Gut Ererbte. Ein Kupferstich mit der Ansicht des nun auf freiem Platz imposant sich zeigenden herrlichen Stephansdoms enthält die Aufschrift: »Dem Andenken Franz' II., neugekrönten römischen Kaisers, der durch Erweiterung und Verschönerung dieses Platzes, die Zierde seiner Hauptstadt, die Bequemlichkeit seiner Bürger, Ehrenbogen vorzog, gewidmet von den Bürgermeistern, Räten und der Bürgerschaft gemeiner Stadt Wien, im Jahre 1792.«

Den alten, feurigen, tatlustigen Nationalgeist der Wiener bewies das »Aufgebot«; 11 000 Männer erhoben sich, da dem Vaterland Gefahr drohte, zum Kampf; die Wiener »Freiwilligen«, Beamte und Studenten drunter, waren 1400 Mann stark. Als 1797 die Schlacht bei Rivoli geschlagen, das feste Mantua gefallen, Napoleon in der Steiermark eingedrungen und die Gefahr schon der Hauptstadt nahe war, wurde der Landsturm entboten und aufs neue das Aufgebot ausgeschrieben; binnen kurzem waren 37 000 aufgezeichnet, darunter über 1000 Studenten unter ihrem Rektor, Doktor Quarin, die Künstler der Akademie unter ihrem Direktor Schmutzer. Infolge der Friedenspräliminarien zu Leoben wurde jedoch das Aufgebot aufgelöst, bevor es Gelegenheit hatte, seinen Mut durch die Tat zu erproben.

Der 11. August 1804 ist der Geburtstag der erblichen Kaiserwürde Österreichs, welche Franz II., nunmehr der Erste, dekretierte.

»Am 7. Dezember vormittags wurde das Pragmatikalgesetz durch Regierungs- und magistratische Kommissäre, unter Trompeten- und Paukenschall und der Parade der Truppen und der Bürgerschaft proklamiert, in der Stadt am Hof, vom Balkon der Kirche, am Graben vom Balkon des Spielmannschen Hauses, in den Vorstädten auf den schicklichsten Plätzen von schön verzierten, rot und weiß, der Farbe Österreichs, behangenen Tribünen. – Während dieser feierlichen Verkündigung trat der Landmarschall Graf Saurau an der Spitze der Stände und zweier Deputierter der Stadt Wien vor den Thron zur Abstattung der ehrerbietigsten Glückwünsche. Tags darauf (8. Dezember) geschah der feierliche Einzug zum Tedeum nach St. Stephan aus der Burg über den Michaelerplatz durch die Herrengasse, über die Freyung, den Hof, den Graben und Stock im Eisen. Voraus in sechsspännigen, prächtigen Galawagen, jeder von 2 Läufern und 6 Bedienten in großer Gala begleitet, die k. k. Kämmerer, die geheimen Räte, der innere und äußere Hofstaat von allen vier Hofstäben in großer Gala, darauf die Wagen der kaiserlichen Familie, der Erzherzog Ferdinand mit seinen Herren Söhnen, den Erzherzögen Franz, Ferdinand und Maximilian, die Erzherzöge Johann, Ludwig, Rainer und Rudolf, von ihren Obersthofmeistern und Kämmerern zu Pferde begleitet, darauf im Imperialwagen Franz I., römisch-deutscher und Erbkaiser von Österreich, und die Kaiserin Maria Theresia, umgeben von den obersten Hofämtern und Gardekapitänen, die Trabantengarde zu beiden Seiten, die deutsche und ungarische Garde hinter dem Wagen, darauf die Obersthofmeisterin, die ›Dames de palais‹; ein Reiterregiment und ein Grenadierbataillon, die den Wagen schlossen. In den Straßen bildete das Militär Spalier; auf den Plätzen paradierte die Bürgerschaft. Im Stephansdom harrten des Monarchen die Ordensritter, die übrigen Geheimen Räte, Kämmerer und Truchsesse, die Regierung, die Stände, die Hochschule, der Magistrat. Eine Denkmünze verewigte dieses Ereignis, das zugleich in allen Vorstädten, von allen Konfessionen und Körperschaften begangen wurde.« – Hormayrs »Geschichte Wiens«.

Wien ist von nun an nicht mehr die Residenz eines Wahlkaisers, sondern der natürliche Mittelpunkt eines ungeheuren Kaiserstaates. Es hat seine Physiognomie nicht verändert, aber der unmittelbare, fast möchte man sagen: familiäre Bezug zu der Person des Monarchen und zu allen Kündern seines Hauses drückt ihm jetzt ein ganz eigentümliches Gepräge auf. Die Treue, die es früher der Idee der Majestät geweiht hatte, verinnigt sich jetzt ganz und gar den Personen. – Der Wiener dünkt sich wie einen Milchbruder jedes jungen Fürsten, der in Wien geboren ist oder erzogen wird; er kennt nichts Höheres als ihn, rankt sich in aller Ehrfurcht eigentlich nur an das rein Menschliche und tut vertraut. Wage es bei allem vorlauten Wesen der Wiener ein Fremder in Wien, ein Glied des Regentenhauses zu bespötteln! Mit welch rührender Anhänglichkeit hingen die Wiener an dem Herzog von Reichstadt! War er doch in Wien groß geworden, ein Enkel des Vater Franz, mit dem sie Freud und Leid redlich geteilt hatten. Und doch hatten Napoleons Einzug in Wien 1805, und das Walten der Franzosen dort keine freudige Stimmung erzeugt, obwohl der Held des Jahrhunderts selbst in der Proklamation an die Bewohner Wiens diesen die Gerechtigkeit widerfahren ließ, daß sie sein »Zutrauen gerechtfertigt, als er sich auf ihre Gefühle von Ehre, von Treue und Redlichkeit verließ«. Der Jubel, mit dem Wien nach Napoleons Abzug seinen rechten Kaiser empfing, charakterisiert es ebenso wie die christliche Barmherzigkeit, mit der es verwundete Freunde und Feinde als Brüder gepflegt hatte und mit der es bei aller Pracht und Feierlichkeit die Krone der Freuden darin suchte, eine Subskription für die Armen zu eröffnen, welche in wenigen Stunden an 50 000 Gulden betrug – Mitleid für fremdes Weh und Wohltätigkeit waren stets und sind noch heute die hellsten Sonnenblicke auf dem Bild des Wiener Volkes.

Was 1797 das Aufgebot, war in dem Ehrenjahr Tirols und der österreichischen Tapferkeit, dem Jahr von Aspern, 1809, die Landwehr. Am 9. Mai standen die Franzosen abermals vor den Toren der Kaiserstadt und bombardierten sie. Am 11. steckte sie die weiße Fahne auf. Der Feinde Walten in der eroberten Stadt war unerträglich; als Napoleons Geburtstag durch eine Illumination gefeiert werden mußte, zeigte ein Bürgerhaus in der Mariahilfer Vorstadt die großen, reich beleuchteten Anfangsbuchstaben: Z. W. A. N. G.; den Nähertretenden wurde aber auch die kleinere Schrift lesbar, und es hieß: Zur Weihe An Napoleons Geburtstag! – Eine wahrhaft shakespearesche Komik inmitten des großen Trauerspiels! Hormayrs »Geschichte Wiens«.

Eine ernstere Episode ereignete sich am 11. Oktober in Schönbrunn, wo Napoleon Hof hielt; Friedrich Staps, der Deutschland durch eine rasche Tat vom Feind des Vaterlandes befreien wollte, büßte den kühnen Vorsatz in Meidling durch die feindlichen Kugeln.

Der Jubel von 1804 und 1805 verzehnfachte sich 1809 bei der Rückkunft des Kaisers aus Ungarn, 1814 am 16. Juni bei dessen siegreicher Wiederkehr von Paris und 1826 bei seiner Genesung von gefährlicher Krankheit. Unter seiner zweiundvierzigjährigen Regierung gewann Wien durch eine Menge neuer Bauten (worunter das polytechnische Institut, das neue Burgtor, der Theseustempel, die Franzens- und die Ferdinandsbrücke usw.) sowie durch fortwährende Verschönerungen der Stadt und der Vorstädte, durch anmutige Gartenanlagen auf dem Glacis eine fast ganz neue Gestalt. Der Kongreß des Jahres 1814 schließt Wiens neuere Geschichte mit einem imposanten Tableau.

 

Nachdem wir versucht haben, die Geschichte der Kaiserstadt im flüchtigen Abriß wiederzugeben, wenden wir uns nun zu ihrer Betrachtung und wollen bei ihren vorzüglichsten Merkwürdigkeiten verweilen.

8700 Wiener Fuß hoch über der Fläche des Adriatischen Meeres breitet sich im Umkreis von 3½ deutschen Meilen das Terrain (8 600 000 Wiener Klafter) aus, auf dem die Stadt Wien, umgeben von 34 Vorstädten, sich erhebt; ein Arm der Donau scheidet die Leopoldstadt mit der Jägerzeile, dem Prater, dem Augarten und der Brigittenau von der Stadt – das Glacis mit seinen zahlreichen Alleen und Gartenanlagen die letztere von den diesseits der Donau gelegenen Vorstädten. Zwölf Tore führen in das Innere der Stadt, das prachtvollste – das Burgtor, von Peter Nobile (1822–24) nach dorischer Ordnung erbaut – mit fünf Durchfahrten und gegen die Stadt zu mit zwei Seitenflügeln; auf der Außenseite die Inschrift:

»Franciscus I., imperator Austriae«, auf der Innenseite den Wahlspruch: »Justitia regnorum fundamentum.«

Wir durchschreiten, von den Vorstädten kommend, des Tores Säulengang und finden uns nun auf dem großen Parade- oder Neuen Burgplatz, über den zwei breite Fahrwege und zu deren Seiten zwei treffliche Trottoirs für Fußgänger führen. Links schließt den Platz der Volksgarten mit dem geschmackvollen Theseustempel, in dessen Innerem Canovas Meisterwerk »Theseus, den Zentauren erlegend« Der Erbauer des Tempels, bei dessen Konstruktion die des Theseustempels in Athen zum Muster genommen wurde, ist Peter Nobile; die unterirdischen Gewölbe enthalten römische Altertümer, darunter viele aus der Umgebung von Vindobona und Carnuntum. Canova schuf die Theseusgruppe im Auftrag Napoleons, der sie für den Corso in Mailand bestimmt hatte, begann sie 1805 und vollendete sie 1819. – mit dem Café Curti und dem Paradiesgärtchen –, rechts der Hofgarten mit der Reiterstatue Kaiser Franz I. (Gemahl der Maria Theresia) von Balthasar Moll und mit dem durch architektonische Pracht und Pflanzenreichtum ausgezeichneten großen Treibhaus sich befinden. Vor uns aber zeigt sich die Kaiserburg, deren südliche Front, die breiteste, unter Kaiser Leopold I. erbaut, von Maria Theresia und Joseph II. bewohnt wurde und von dem jetzt regierenden Kaiser wieder bezogen worden ist. Am Ende dieser Front springt ein neuerer Flügel vor, der 1805 für große Hoffeierlichkeiten erbaute Rittersaal, an den sich der »Schweizerhof« (der Burg ältester Teil, in seiner jetzigen Form von Ferdinand I. erbaut und von Maria Theresia verschönert) schließt.

Wandeln wir jetzt durch den niederen, schmalen finsteren Torweg auf den inneren Burgplatz, den der Leopoldinische Bau und ihm gegenüber die durch Fischer von Erlach 1728 erbaute Reichskanzlei, der Schweizer Hof und der diesem gegenüberstehende Amalienhof umschließen! Seht ihr jenes Spiegelfenster im dritten Stockwerk des Schweizer Hofs? Sonst ging selten ein Wiener über den Platz, ohne hinaufzublicken, ob Vater Franz nicht hinter der Fensterscheibe stehe; das Wohl von dreiunddreißig Millionen Menschen lag in jenem Kabinett beschlossen, wo der Kaiser arbeitete. Die vier kolossalen Gruppen – Taten des Herkules – an der Reichskanzlei (deren Inneres große Gemälde von Peter Kraft [die Rückkehr Franz' I. nach Wien 1809 und 1814 und seine erste Ausfahrt nach seiner Genesung 1826] schmücken) sind eine Arbeit Lorenzo Matthielis.

Wenden wir uns nun durch das Tor des Schweizer Hofs, an der Schatzkammer und an der Burgkapelle vorbei (die ein Kruzifix von Raphael Donner bewahrt), und treten wir auf den Josephsplatz. Von drei Seiten umschließt ihn wahrhaft imposant ein Prachtbau, dessen Mitte die Hofbibliothek (gleichfalls von Fischer von Erlach, unter Karl VI.) mit ihrem 240 Fuß langen und 54 Fuß breiten großen Saal (mit Karls VI. Marmorstatue, umgeben von zwölf habsburgischen Kaisern) einnimmt. Die echte Zierde des Platzes aber ist Josephs II. Standbild. Franz Zauner goß die Statue des Kaisers 1800, das Pferd 1803. Im Gewand und mit der Haltung eines römischen Imperators sitzt Joseph, den Lorbeer um die Schläfe, auf einem ausschreitenden edlen Roß, mit der einen Hand dessen Zügel fassend, die andere zum Segen über sein Volk ausgestreckt. Das granitene Piedestal trägt zwei Basreliefs: »Die Förderung des Handels« und »Das Aufblühen des Ackerbaus«, sowie die beiden Inschriften: Josepho II. Aug. qui saluti publicae vixit non diu sed totus« – »Franciscus Rom. et Aust. Imp. ex fratre nepos alteri parenti posuit 1806«. An den vier Ecken stehen Granitpilaster mit Medaillons in Bronze, Ereignisse aus Josephs Leben und Regierung darstellend. Auf dem Josephsplatz ist der Eingang zur Reitschule, die ihre herrliche Fassade gegen den Michaelerplatz hin entfaltet und sich an das Hofburgtheater schließt. Auch die Reitschule wurde durch Fischer von Erlach gebaut – ein längliches Viereck, mit Säulen und Statuen verziert und von einer auf 46 Säulen ruhenden Galerie umfangen. Dicht an jenem gegenüberstehenden Flügel des Prachtbaus auf dem Josephsplatz (worin sich die zoologischen Sammlungen befinden) ist die Augustinerkirche, von Friedrich dem Schönen 1330 erbaut; hier predigten Abraham a Sancta Clara und der Dichter der Söhne des Thales und Luthers, Friedrich Ludwig Zacharias Werner.

Die Loretokapelle ist die Ruhestätte der Fürsten herzen wie die Kapuzinergruft jene der Fürsten leichen. In der freundlichen Totenkapelle befindet sich das Grabmal des Kaisers Leopold I., in der Kirche selbst das herrliche Monument der Erzherzogin Christina, Die südwestlichen Vorstädte Wiens verdanken ihr die große Wasserleitung. Gemahlin des Herzogs von Sachsen-Teschen – gewiß Canovas schönstes Werk –, eine 28 Fuß hohe Pyramide aus carrarischem Marmor, mit einer offenen Gruftpforte, zu der zwei Stufen hinaufführen, darüber die Inschrift: »Uxori optimae Albertus«; weiter oben die Glückseligkeit, schwebend, Christinas von der Ewigkeitsschlange umfangenes Bild (Basrelief) in den Armen, und ein schwebender Genius, der die Palme der Vollendung reicht. Auf den Stufen zur Gruftpforte liegt ein Teppich ausgebreitet. Die Tugend, mit dem Ölzweigkranz auf den gelösten Locken, trägt weinend die Urne mit Christinas Asche in die Gruft, zwei Mädchen mit Leichenfackeln und Blumengewinden vor und hinter ihr; auch die Wohltätigkeit, einen blinden armen Greis am Arm führend, von einem betenden Kind gefolgt, gibt den irdischen Resten das letzte Geleit. Links ruht ein Löwe, den Kopf schmerzvoll auf die gewaltigen Tatzen gesenkt, auf der obersten Stufe, hinter ihm der österreichische Wappenschild; ein trauernder Genius lehnt das Haupt und den einen Arm auf die Mähne des Löwen, indes der andere auf das Wappen Sachsens sinkt.

Das Augustinerkloster stößt an das prächtige Palais des Erzherzogs Carl (früher Herzog Alberts von Sachsen-Teschen), dessen Front gegen die Bastei sich an den Augustinergang und durch das Münz- und Antikenkabinett wieder an die Burg schließt.

Einen Blick noch, bevor wir von dieser scheiden, in die kaiserliche Schatzkammer! Eine Gruft voll weltgeschichtlicher Reliquien! Sind diese Zimmer, weil sie über der Erde liegen, drum weniger Gruft? Weil keine Leichen, keine Mumien, kein Staub darinnen sind – sondern nur Kleider, die noch nicht vermodert, Kronen, die noch nicht zerfallen, weniger Gruft? Waren die Leiber jener, die diese längst wieder Staub Gewordenen einst getragen, nicht auch nur Kleider, Königsmäntel, Kronen, in denen die Geschichte einst stolz und majestätisch umherwandelte und die sie wegwarf, um sich in neuen zu zeigen? Die ihr vor Staub zittert, werft euch, wenn ihr eingetreten seid, auf die Knie und betet an. Die ihr dem Geist Gottes huldigt, der in ewig frischer Jugendkraft die Geschlechter der Menschen zeugt und reift, richtet stolzer die Häupter empor, wenn ihr diese Reliquienkammer der Weltgeschichte betrachtet; laßt die Trostlosigkeit und Verzweiflung darüber, daß das Alte unwiederbringlich verloren, jenen Alten, an deren elender Ichsucht nichts verloren ist, und freut euch des »Werdenden, das ewig wirkt und lebt«, es »umfaß' euch mit der Liebe holden Schranken«! Die erhabene Ironie der Weltgeschichte umweht euch hier wie frischer Ostwind auf Bergeshöhen. Seht diesen Diamant, er heißt der »große« par excellence, der »Florentiner«, Er wiegt 133 Karat ½ Gran. er wurde vor sechzig Jahren auf 1 643 394 Gulden geschätzt; einst gehörte er Karl dem Kühnen, der ihn in der Schlacht bei Granson (1476) verlor; der Schweizer Bauer, der ihn fand, hielt ihn für ein Stück Glas und verkaufte ihn für einen Gulden! – Seht hier Wallensteins Horoskop und dort Timurs Schwert! Seht hier des römischen Kaisers Krönungsornat, die österreichische Hauskrone, die silberne Wiege des Königs von Rom, die eiserne Krone und den Krönungsmantel Napoleons und dort – die Schlüssel zu den Fürstensärgen in der Kaisergruft bei den Kapuzinern! Das sind die zermalmenden Epigramme der Weltgeschichte.

Auf! Hinaus ins frische, fröhliche Menschengewühl! Fort auf den Michaelerplatz, an der Michaelskirche vorüber, die Leopold der Glorreiche 1221 gegründet und Albrecht V. 1416 hergestellt hat. Die Gruppe des Portals »Der Sarg des Erzengels Michael über den Drachen« ist von Mathiele. In der Gruft liegt Metastasio begraben.

Rasch durch die drängenden Scharen der eleganten Welt, welche in den fashionablen Stunden Von 12 bis 13 Uhr. Die Zwölfuhrmesse zu St. Michael heißt (mit Recht) die elegante. auf diesem Korso Wiens, auf und nieder lustwandelnd, die neuesten Moden zeigt, an den geschmackvollen Läden vorbei, in denen der Luxus zur Schau gestellt ist. Über den Graben hin, an den beiden Cafézelten, unter denen man an Sommerabenden sitzt und Eis genießt; an der zum Andenken der Erlösung von der großen Pest (1679) von Leopold I. 1693 errichteten Dreifaltigkeitssäule vorbei zum Stock im Eisen und nach St. Stephan, dem kolossalen Palladium der Kaiserstadt!

Doch bevor wir bei diesem etwas länger verweilen, noch einige Augenblicke für den Stock im Eisen! In der Nische eines Hauses seht ihr einen nicht allzuhohen Stamm, der von oben bis unten mit Nägeln beschlagen ist, so daß er wahrhaft in einer eisernen Rinde steht; vielleicht ist von dem ursprünglichen Holz darunter längst keine Spur mehr da; jeder Schlossergeselle, der nach Wien kommt, schlage in diesen Stock einen Nagel, berichtet die Tradition; ein eiserner Reif mit künstlichem Schloß hält den Stock in der Nische. Es gibt ein schönes, sinniges Gedicht Spindlers »Damenzeitung«, 1830, Nr. 269. von diesem Stock im Eisen:

O lieber Stock im Eisen,
Du warst ein Baum zumal,
Mit Blättern und mit Zweigen
Im grünen Gartental.

Der Städter wohnt in Frieden
In hoher Häuser Nacht,
Seit dich hier anzuschmieden
Der Schlosser war bedacht.

Gleich einem müden Greisen
Was lehnst du am Gestein?
O lieber Stock im Eisen,
Wo sind die Zweige dein?

Es scheint der Mond herunter,
Der Stern auf Wolken hängt;
Die Nachtgespenster munter,
Der Mensch in Schlaf versenkt.

Die Eule weint, die Eiche
Hoch in den Winden saust,
Der Schlosser naht zum Streiche,
Die Axt in schwerer Faust.

Er leget an die Zweige
Die Axt rotglühend an –
Da weint der Stock im Eisen;
Was hat man dir getan?

»Herr Gott, auf meinen Zweigen
Der Vogel dich lobpries!
Der Schlosser heißt ihn schweigen
Und macht ihm ein Gebiß!«

Der Schlosser liegt im Flaume,
Vom schweren Handwerk müd,
Die Seele von dem Baume
Durchs Eisen glänzt und glüht.

In schauerlichen Weisen
Der Adler oben schreit;
»Macht flink aus Holz und Eisen
Einen Sarg, ihr Zimmerleut'!«

Und die vorüberreisen,
Viel Nägel schlagen ein;
O lieber Stock im Eisen,
Das ist die Rinde dein.

Es schaun den Stock im Traume
Die kleinen Junker an;
»Wer zog, wer zog dem Baume
Die schwarze Rüstung an?«

Eine Sage Vergleiche »Romantisch-historische Skizzen aus Österreichs Vorzeit« von Emil *** berichtet, daß in grauen Zeiten, nach Fabianas Verwüstung, sich bis an die Stelle, wo jetzt der Stock im Eisen ist, dichter Wald erstreckt habe. Markgraf Leopold der Heilige habe sich in der Gegend um Wien (wo jetzt das Esterhazysche Palais steht, in der Wallnerstraße) ein Jagdhaus erbaut. Als es der Vollendung nahe war, seien viele Arbeiter verabschiedet worden, darunter auch ein Schlosserlehrling, der sich auf dem Heimweg verirrt habe und unter einem Baum, den er, statt zu verlassen, immer wieder ins Gesicht bekam, trostlos niedergesunken sei. Dies sein Unglück aber habe er als eine Strafe des Himmels betrachtet, weil er beim Bau dem Meister einen zierlich gearbeiteten Nagel entwendet hatte, und da er weder den Nagel zurückzugeben noch ihn zu behalten gewagt habe, wollte er ihn in den Baum schlagen. Da sei aber plötzlich ein Mann in einem roten Mantel und mit einer roten Hahnenfeder am Hut vor ihm gestanden und habe ihn verhöhnt, daß er weder imstande sei, einen solchen Nagel noch ein Schloß zu verfertigen, das den Baum vor Axt und Säge schützen könne. Der Lehrling schlug ein Kreuz, fand bald den rechten Weg und gestand dem Meister sein Vergehen. Nachdem er seine Wanderschaft vollendet hatte, kam er wieder nach Wien und fand des Meisters Tochter zur Jungfrau erblüht, für die er in heftiger Liebe entbrannte; da er aber arm war, so konnte er keine Hoffnung fassen, sie zu erringen. Seine Geliebte sollte jedoch eines anderen Braut werden, und nun fiel ihm des Versuchers Hohn wieder ein; aber tugendhaft, wie er war, beschloß er, jedes andere Mittel zu verschmähen, wenn sein redliches Herz ihm ihren Besitz nicht erringen könne. Auch sie bezwang ihre Liebe und nahm sich fest vor, das Herz des Vaters durch Ungehorsam nicht zu betrüben. Dieser aber hatte ihre stille Neigung längst ergründet und führte ihr den Geliebten an demselben Tag, an dem er zum Meister aufgenommen wurde und in den Wald hinausziehen mußte, um den künstlich verfertigten Nagel neben dem seines Lehrherrn in den Baum zu schlagen, als Bräutigam zu. – Seit dieser Zeit nun habe jeder junge Meister und wandernde Geselle der Zunft einen Nagel in den Baum geschlagen, und in dieser eisernen Rinde sei er, nachdem der ganze Wald umgehauen worden war, als Wahrzeichen stehen geblieben.

Doch auch eine andere, schauerlichere Sage, ähnlich jener vom Bau des zweiten Turms am Stephansdom, wird von dem Stock im Eisen erzählt, wie der Besitz der Tochter des Meisters und das Meisterwerden für den Schlosserlehrling an das Verfertigen eines Schlüssels für ein künstliches Schloß am Baum geknüpft gewesen sei, das ein fremder Geselle zustande gebracht habe, als ein Preis dafür ausgeschrieben war, und der den Schlüssel hohnlachend in die Luft geworfen habe, daß dieser – zum Schrecken aller – nicht wieder zur Erde gefallen sei. Jener Fremde aber sei der Böse gewesen. Darnach habe der Rat der Stadt aufs neue einen Preis ausgeschrieben, wer den passenden Schlüssel zum Schloß fertige, und es habe der Böse den Lehrling betört, daß er sich ihm verschrieb, und er habe ihm den Schlüssel, den der Lehrling nie zustande brachte, gefertigt und sich nur ausbedungen, daß der Lehrling nie die Messe versäume, sonst sei dessen Leben und Seele ihm verfallen. – Der Lehrling habe in Reue und Gottesfurcht auch nie die Messe versäumt; nur eines Sonntag vormittags sei er in einen Weinkeller geraten und habe, von bösen Gesellen bezecht, fast die Messe vergessen. Plötzlich aber habe er sich aufgerafft, und als er schreckensbleich auf den Stephansplatz gekommen war, sei ihm eine alte Frau begegnet, die er fragte, ob die letzte Messe schon begonnen habe, und die habe ihm den Bescheid gegeben, daß der Segen schon vorbei sei. Da sei er verzweifelt in die Schenke zurückgestürzt und habe sein unsterbliches Teil verloren.

Jener Bescheid aber sei höllisches Trugwerk gewesen; erst als er sich dem Bösen ergeben habe, sei die Messe beendet worden.

Wir stehen auf dem Stephansplatz, vor uns der altersgraue Dom in seiner ganzen ehrwürdigen Pracht mit der Riesenpyramide wie ein erhabenes Epos; du zweifelst, ob du mehr die Kühnheit der Phantasie oder die Zierlichkeit in der Ausführung bewundern, ob du dem gewaltigen Menschenstolz oder dem Wundertäter – dem Glauben – die Kraft beimessen darfst, die ein solches fast übermenschliches Werk vollbracht hat. Der ganze Bau ist aus Sandsteinquadern aufgetürmt, und doch mahnt er dich mit seinen zahllosen Giebeln wie ebenso vielen Blütenzweigen und frischen Sprossen, mit seinem durchbrochenen Laubwerk, aus dem plötzlich abenteuerliche Tiergestalten hervorspringen, mit jenem ungeheuren Stamm, dessen Blütenkrone, der Sonne frei aufgeschlossen, Kreuz und Adler trägt – wie ein Wald, dessen tausend Stämme unten an den Wurzeln aneinandergewachsen sind; und, trittst du in sein Inneres, belebt das in Farben gesplitterte Licht jenes steinerne Volk von Engeln, Heiligen, Blutzeugen und Fürsten, blickst du zu den schlanken Schäften empor, die hoch oben, dem Auge fast unkenntlich, die Äste ineinanderschlingen, so wähnst du dich ins ferne Wunderland, in die Burg des heiligen Grals versetzt.

Der herrliche Bau ist in der Form eines lateinischen Kreuzes aufgeführt, dessen Balken die beiden großen Türme darstellen. Die Länge der Kirche beträgt 55 Klafter 3 Schuh, die größte Breite 37 Klafter, die Höhe der äußeren Mauern 13 Klafter 1 Fuß, die des Schiffes 14 Klafter 2 Schuh, die der Abseiten 11 Klafter 3 Schuh, die des großen Turms 72 Klafter 1 Schuh 3 Zoll, die des unvollendeten 34 Klafter 1 Schuh und die der Heidentürme 33 Klafter 4 Schuh Wiener Maß. Wir folgen hier den Angaben Tschischkas. Das Dach prangt wie der Rücken eines geschuppten Zauberungetüms, das sich sonnt, im Farbenglanz durch glasierte bunte Ziegel. Fünf Pforten führen in das Innere der Kirche: das sogenannte Riesentor, das nur selten bei besonderen Anlässen geöffnet wird, an der Stirnseite; das Primglöckleintor unter dem ausgebauten, das Adlertor unter dem unausgebauten Turm, jedes mit einer prachtvollen Vorhalle; zwischen beiden zwei andere Eingänge.

Treten wir zuerst vor das Riesentor, einen Rest des ältesten Baues. Über der westlichen Kirchenwand, in welcher er sich befindet, erheben sich die beiden »Heidentürme«, die des öfteren großen Feuersbrünsten widerstanden haben. »Ihre ganze Einrichtung«, bemerkt Primisser, »Die alten Kunstdenkmale Wiens.« »zeigt den im 12. und 13. Jahrhundert üblichen Stil: waagerechte Abteilungen teilen die Türme in vier Geschosse, die mit rund und spitz bedeckten Fenstern abwechselnd ausgefüllt sind; die spitzen, achteckigen Steindächer haben acht Giebel, mit Pflanzenknorren verziert; die leichte und zierliche Galerie aber, die auf sechzehn Tragsteinen ruht, sowie die Blumenknospe auf der Spitze sind offenbar durch spätere Hände hinzugefügt.« – Auch das hohe Fenster im reinsten deutschen Baustil über dem Riesentor sowie die Galerie, welche die Stirnwand abschließt, und die beiden Anbaue (die Außenwände der Eligius- und der Kreuzkapelle) gehören späterer Zeit an. An den Enden der letzteren stehen in zierlich bedachten Nischen die Statuen Rudolfs des Stifters und seiner Gemahlin Katharina. Das Riesentor vertieft sich in einer mehrere Fuß vorspringenden Halle mit sieben Säulen von den mannigfachst geformten Schäften und Kapitälen; darüber der Heiland, von zwei Engeln und den Aposteln umgeben. Über dem Fries der Außenwand der Torhalle liegen zwei Löwen, wie zum Sprung bereit, und weiter oben zeigen sich, zum Teil in Nischen, abenteuerliche, rätselhafte Steinbilder: der sogenannte verwundete Lehrling, ein Mann, der einem Löwen den Rachen aufreißt, und mehr dergleichen.

Die am schönsten ausgeführte Außenwand der Kirche ist die südliche, zu der wir uns jetzt wenden. Etwas hinter dem Anbau zurück, der sich an die Westseite schließt (der Eligiuskapelle), bis zum Turm zeigen sich sieben Fenster mit phantasiereich konstruierten Rosen, durch vier Strebepfeiler geschieden, über je zweien ein hoher pyramidaler Giebel, wovon leider nur einer in Steinmetzarbeit vollendet ist. An der herrlichen Vorhalle des Siegertors befindet sich das verstümmelte Grabmal des lustigen Rats Neidhard Fuchs, des Bauernfeindes; die Steinbilder sind kaum mehr zu erkennen. Im Feld über der inneren Tür der Halle seht ihr zwei Basreliefs, »Die Bekehrung und die Enthauptung des heiligen Paulus«. – Die Halle des Primglöckleintors enthält gleichfalls Steinbilder sowie die Fenster Glasgemälde (Figuren habsburgischer Fürsten).

Der hohe Chor beginnt unmittelbar hinter dem großen Turm; er teilt sich in einen Haupt- und zwei Nebenchöre. Nicht weit vom Turm sind an der Wand zwei schöne Werke alter Kunst eingefügt: »Christi Abschied von seiner Mutter«, das eine, vorzüglichere, vom Jahre 1517, ein Grabstein Jörg Sigenfelders, das andere, größere, von 1540, durch Johann Straub errichtet. – An der nördlichen Außenwand des Chors befindet sich ein großes, leider sehr verstümmeltes Hochrelief: »Die Kreuztragung Christi« (das Grabmal des Ratsherrn Hutstocker); auch in den Torsi noch läßt sich die vortreffliche Komposition erkennen; Konrad Vlauen aus Wien schuf dieses Werk. Zunächst daran erhebt sich Capristans steinerne Kanzel, und daneben zeigt sich in der offnen Totenkapelle ein ausdrucksvolles Kruzifix von Schnitzarbeit. Am Fuße des unausgebauten Turms, dessen Eingangshalle jener des großen entspricht, befindet sich das Grabmal des gekrönten Poeten Conrad Celtes.

Bald gelangen wir an der Langseite vorbei, zu der Vorhalle der dem Siegertor entsprechenden Pforte. Eine Zifferschrift an der Wand Von Rudolf dem Stifter erfunden, des Inhalts: Hier liegt begraben von Gottes Gnaden Herzog Rudolf der Stifter. und ein von den Berührungen der Gläubigen ganz gehöhlter Stein, auf den das Blut des Märtyrers Koloman geflossen ist, fallen uns zuerst ins Auge. Bald aber fesseln es die herrliche Struktur und die wohlerhaltenen, sinnig geordneten Steinbilder, Basreliefs und Ornamente der Halle. Die beiden Basreliefs über der inneren Pforte stellen den Tod und die Krönung der Mutter des Heilands dar; die doppelte Einfassung des Spitzbogens ist mit sechzehn Standbildern, jedes unter einem zierlich durchbrochenen Dach, geschmückt, in der Bogenwölbung mit zehn heiligen Frauen; unter diesen, gleichsam die Türe bewachend, Rudolf der Stifter und seine Gemahlin Katharina, beide mit ihren Wappenträgern; etwas über ihnen, in den Ecken der Gegenwände, Maria und Gabriel.

Treten wir durch diese Pforte in das Innere des Doms. In der zunächst vor uns liegenden Kreuzkapelle ist das Grabmal Prinz Eugens von Savoyen. Von dem großen Bild des Gekreuzigten erzählt das Volk, daß »dem Herrgott der Bart« wachse. Am Eingang der Kreuzkapelle ruht Cuspinian. Die Eligiuskapelle an der anderen Seite des großen Orgelchors über dem Riesentor ist die schönste des ganzen Doms; die Heiligenbilder, die bunten Fenster darin sind trefflich erhalten, zum Teil sehr glücklich wiederhergestellt; sie bewahrt auch das Gnadenbild »Die Hausmutter«, das früher die Himmelspförtnerinnen besessen hatten.

Schreiten wir jetzt gegen den Hochaltar zu. Fast mitten in der Unterkirche zieht die 27 Schuh 6 Zoll hohe Kanzel, einer der herrlichsten Reste alter deutscher Steinbildkunst unsere Aufmerksamkeit an. Wir geben ihre Beschreibung in Primissers Worten: »Die Brüstung, oder die eigentliche Kanzel, enthält nach außen vier mit durchbrochenem Zierwerk bedeckte Vertiefungen, aus denen wie aus Fenstern die hoch erhobenen, fast lebensgroßen Brustbilder der vier Kirchenlehrer, jeder in dem ihm zukommenden Ornat und die Arme auf Bücher gestützt, hervorschauen. Leider ist einer derselben durch eine neuere, äußerst schlechte Statue, die zur Seite eines Altars steht, ganz verdeckt. Die übrigen aber darf man nur recht aufmerksam betrachten, um den Meister der Büste Buchsbaums Primisser sagt irrtümlicherweise: Pilgrams. auch in ihnen wiederzuerkennen; so wahr und lebensvoll sind die Züge, so breit und großartig alle Teile der herrlichen Köpfe, so meisterlich das Ganze in Zeichnung und Ausführung! Diese Vertiefungen werden durch Pfeiler voneinander getrennt, vor denen kleine Heiligenbilder stehen. Der Fuß, der die Kanzel stützt, besteht aus mehreren freistehenden gotischen Pfeilern und Bogen, zwischen denen etwa zwanzig der zierlichsten kleinen Heiligenfiguren von sechs Zoll in der Höhe stehen, die aber leider größtenteils verstümmelt sind. Was noch übrig ist, zeugt von trefflicher Künstlerhand. Das Dach, besonders zierlich und leicht, in Einklang mit dem steinernen Unterteil, aus Holz geschnitzt, hat die Form eines achteckigen Gebäudes und ist mit einer hoch aufsteigenden Spitze gekrönt. In den Feldern des kleinen Gebäudes sind bildlich die sieben heiligen Sakramente dargestellt, zwischen jedem derselben aber steht ein zierlicher Turm, der wieder durch Gegenstreben mit dem Kern des Dachs in Verbindung steht. Das Treppengeländer, auf dessen Handgriffsfläche eine Reihe hinaufkriechender Eidechsen und Frösche abgebildet sind, ist schön durchbrochen und besteht aus gotischen Rosen und Kleeblättern, den so vielfach und immer neu benutzten Grundformen alter Bauzierden.«

Buchsbaums Brustbild zeigt sich unter der Treppe; unter seiner Leitung wurde das Kunstwerk durch die Steinmetze Andreas Grabner, Konrad von Himberg, Peter von Nürnberg, Georg Achmüller, Johann Pehem und Hans von Vartzheim ausgeführt. Unser Stahlstich zeigt diese Kanzel neben dem Altar am zweiten (auf dem Bild sichtbaren) Säulenbündel.

Nicht weit von der Kanzel, wenn wir einige Schritte links vorwärts wandeln, finden wir ein anderes schönes Denkmal Buchsbaums, einen kleinen Chor, auf dem früher eine Orgel stand. »Da, wo der Chorfuß aus der Knospe hervortritt, sieht man ein durch Alter und Staub geschwärztes, hoch erhobenes Brustbild eines alten Mannes, der aus einer genau mit dem Bau des Chorfußes zusammenhängenden fensterähnlichen Öffnung heraussieht. Er hält in der Rechten einen Zirkel, in der Linken ein Winkelmaß. Seine buschigen, langen Haare wallen über Stirn, Rücken und die Seiten des Hauptes herab, das mit einem vorn aufgestülpten Barett bedeckt ist. Sein Hals ist unbedeckt, das Oberkleid hat weite, faltige Ärmel, das Unterkleid, eine Art von Weste, ist an der Brust mit Schnüren oder Riemen zusammengeheftet. Das magere, unbärtige Gesicht hat ungemein sinnige, ausdrucksvolle, starke Züge, tiefliegende Augen, hervorragende Backenknochen, eingefallene Wangen, einen breiten Mund mit aufgeworfenen Lippen und ein sehr starkes Kinn«. Primisser. – Das ist das Porträt des edlen Meisters Hanns Buchsbaum, der den großen Turm vollendete und den zweiten begann; lange gab die Tradition dies sowie das früher erwähnte Brustbild unter der Kanzel für Pilgram aus.

siehe Bildunterschrift

Der Stephansdom

Schreiten wir nun in gerader Richtung vorwärts, dem Frauenaltar zu. An der Epistelseite desselben befinden sich die Grabmäler Herzog Rudolfs des Stifters und seiner Gemahlin Katharina (wahrscheinlich zu Anfang des 15. Jahrhunderts gefertigt). Wenden wir uns jetzt rechts zum Hochaltar. Jene große Marmorplatte vor dem Geländer des Chors bedeckt den Eingang zur Fürstengruft. Die Leichen Friedrichs des Schönen, Rudolfs des Stifters und seiner Gemahlin, Albrechts III., Albrechts IV., Albrechts VI. und mehrerer anderer und die Eingeweide der österreichischen Fürsten von Kaiser Matthias bis Franz I. – deren Körper bei den Kapuzinern, deren Herzen bei den Augustinern – ruhen hier. Den Chor zu beiden Seiten des Hochaltars schmücken die aus Holz geschnitzten Brustbilder der Wiener Bischöfe, an Kunstwert weit übertroffen durch die Schnitzwerke der weiter unten stehenden älteren Chorstühle – vielleicht ein Werk Jörg Sürlins, der 1469 die Chorstühle in Ulm mit Schnitzwerk verzierte; aus dem Monogramm I. S. auf den Wiener Stühlen glaubt man auf diesen trefflichen Meister schließen zu dürfen.

Vor dem Altar im Passionschor, wo am Karfreitag und am Karsamstag das heilige Grab, von zahllosen Kerzen umstrahlt, sich erhebt, steht eines der herrlichsten alten Kunstdenkmäler Wiens, das aus rotem Marmor gehauene Grabmal des Kaisers Friedrich IV. von Niklas Lerch aus Straßburg, der über zwanzig Jahre daran gearbeitet und es 1513 vollendet hat. Der Sarg, auf dessen Deckel der Kaiser im vollen Ornat liegt – um sein Szepter eine Rolle mit seinem bekannten, vielgedeuteten Denkspruch A. E. I. O. U. »Austria Erit In Orbe Ultima« oder »Austria Ejus Juste Omnia Vincet« oder »Aller Ehren Ist Oesterreich Voll«. (5 Schuh hoch, 12 Schuh 3 Zoll lang und 6 Schuh 4 Zoll breit) –, ruht auf einem 2 Schuh hohen Piedestal; ein Marmorgeländer, mit Säulchen und zahlreichen kleinen Figuren verziert, umgibt das Ganze. Siebenunddreißig Wappen schmücken den Sarkophag. In den Vertiefungen der Felder sind Friedrichs geistliche Stiftungen dargestellt. In dem Passionschor befinden sich auch die Ruhestätten des edlen, unschuldig gerichteten Bürgermeisters von Wien, Konrad Vorlauf, und seiner beiden Schicksalsgenossen sowie jene der Erzbischöfe Migazzi und Hohenwart und die des Nuntius Leardi.

Nach einer Wanderung durch die Hallen und Grüfte des Stephansdoms lohnt es wohl der Mühe, eine dritte anzutreten: nach den Türmen. In den beiden Heidentürmen hängen sechs Glocken, einst tönte hier auch die Fürstenglocke, die unter Kaiser Rudolf I. gegossen, unter Max I. umgegossen wurde und die Inschrift trug

Aes hoc campana
Nunquam denuntio vana,
Bellum vel festum
Flammam vel funus honestum.
Nomine me fudis
Conradus ab urbe Monaco.

A.D. 1279

und – die Bierglocke, die zum Schließen der Schenken mahnte.

Auf die Plattform des unausgebauten Turms, in dem die sogenannte »Große Pummerin«, eine Glocke von 208 Zentnern, hängt, führen zwei Steintreppen (244 Stufen) hinauf; zu dem großen, vollendeten eine Steintreppe von 553, dann eine hölzerne Stiege von 200 Stufen; die Spitze, welche seit dem Entsatz Wiens 1683 statt des früheren Halbmonds ein Kreuz auf der Krone des Doppeladlers trägt, ist nur auf Leitern zu erreichen. Auf zwei Drittel der Höhe (oberhalb der Uhr, deren Stundenzeiger 1 Klafter 4 Zoll lang ist) Die Uhr schlägt nur die ganzen Stunden. Das Volk knüpft daran die Überlieferung, sie schlüge deshalb das letzte Viertel nicht, weil die Türken 1683 sich gerühmt hätten, der Stadt Meister zu sein, bevor noch das letzte Viertel schlüge, und so habe man dieses ebendarum ganz unterlassen. befindet sich eine von zwölf pyramidalen Giebeln umfaßte Galerie; hier war's, wo Ernst Rüdiger Graf von Starhemberg bei der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken saß, um das Lager des Feindes zu erspähen. Ein vaterländischer Dichter, Johann Gabriel Seidl, singt von diesem rechten Luginsland:

Am Tage nach dem Türkensturm,
Den Wien bestanden hat,
Besah sich hoch vom Stephansturm
Der Rüdiger die Stadt.
Da lag sie, goldig überglänzt,
Die schöne Stadt, vor ihm,
Von Rebenhügeln reich umkränzt,
Umschirmt von Cherubim.

Des Kampfes Nebel war enteilt,
Der Himmel wieder blau,
Der Wunden schmerzlichste geheilt,
Lebendig Strom und Au.
Die Häuser standen friedlich da,
Die Glocken klangen rein,
Und alles schien, entfernt und nah,
Ein Freudenrausch zu sein.

Drauf sah, des Schauens nimmer satt,
Der Rüdiger hinab
Und dachte wohl, daß er der Stadt
Das alles wieder gab.
Sein ist der opfergleiche Rauch,
Der aus den Schloten schießt,
Sein Werk ist dieser Lebenshauch,
Der Isters Haupt umfließt!

Und alles, was er hört und schaut,
In Stadt und Strom und Flur,
Er kann sich's sagen, kühn und laut –
Ist seine Schöpfung nur;
Und selbst der Dom, von dem der Held
Sein Werk betrachten kann,
Trägt an das blaue Himmelszelt
Des Retters Ruhm hinan.

Welches Herz wird nicht höher schlagen, bei dem Anblick, der von hier sich bietet?! Dieses Häuserlabyrinth tief unten – wie schrumpfen die stolzen Paläste zusammen, die Menschen zu Puppen! Es ist leicht, auf diesem Standpunkt sich zum Tyrannen zu denken; aber göttlich ist's, die Menschen drunten, so klein sie scheinen, mit dem Auge des Herzens in ganzer Größe zu erkennen – dieses gute, treue, herrliche Volk!

Fünf Glocken hängen in dem Turm; die größte darunter ließ Kaiser Joseph I. 1711 durch den Stuckgießer Johann Achamer aus erobertem türkischem Geschütz gießen; sie wiegt 354 Zentner, ihr Klöppel außerdem 1300 Pfund; als sie aus der Gußstätte nach St.-Stephan gebracht wurde, waren ein eigener Wagen und eine von 200 Menschen gezogene Schleife zum Transport nötig. Sie ruht gewöhnlich auf zwei eichenen Balken, die, wenn sie geläutet werden soll, erst losgemacht werden müssen.

Wir verlassen jetzt den Stephansdom und wandeln an dem erzbischöflichen Palast vorüber durch die Bischofsgasse und die enge Passage der »Fleischbänke«, auf den »Hohen Markt«, in dessen Mitte sich über einer Gruppe »Die Vermählung der heiligen Jungfrau mit St. Joseph« (einem Werk Antonio Corradinis) ein offener Tempel erhebt, den Kaiser Leopold I. gelobte und Karl VI. 1732 durch Fischer erbauen und mit Springbrunnen versehen ließ. Die Ecke des Hohen Marktes zu den Tuchlauben bildet die »Schranne«; ein rotes marmornes Kruzifix steht an der Mauer zum Gedächtnis der Lästerung eines bekehrten und wieder abgefallenen Juden, der, zum Strang verurteilt, das Kruzifix zu Boden geschleudert hat und dafür in Erdberg verbrannt worden ist. In der Wipplingerstraße schreiten wir am Rathaus (dessen Springbrunnen im Hof die Gruppe »Perseus und Andromeda« von Raphael Donner schmückt) und an dem Haus zum »Stoß am Himmel« Noch mehrere andere, nicht minder abenteuerliche Häusernamen haben sich in Wien bis auf den heutigen Tag erhalten, so z. B. der »Schabdenrüssel« und der »Küßdenpfennig«. An dem letztgenannten Haus waren ein jetzt verschwundenes Gemälde – einen Mann darstellend, der einen goldenen Pfennig küßt – und folgende jetzt gleichfalls verschwundene Inschrift zu sehen:
»Der theure Theophrast, ein Alchemist vor allen,
Kam einst in dieses Haus und kunte nicht bezallen
Die Zech, die er genoss. Er trauet seiner Kunst,
Mit welcher er gewann viel grosser Herren Gunst.
Ein sicheres Gepräg vom schlechten Werth er nahme,
Tingirte es zu Gold; der Wirth von ihm bekame
Dies glänzende Metall. Er sagt, nimm dieses hin;
Ich zahl' ein Mehreres, als ich Dir schuldig bin.
Der Wirth ganz ausser sich bewundert solche Sache,
Den Pfenning küsse ich, zu Theophrast er sprache.
Von dieser Wunder-G'schicht, die in der Welt bekannt,
Den Nahmen führt dies Haus, zum Küssdenpfenning g'nannt.«
vorbei und finden uns dann vor dem zweitbedeutendsten Denkmal altdeutscher Baukunst in Wien, vor der Kirche Maria Stiegen, die – der Sage nach – schon 882 durch Schiffer gegründet worden ist und von 1357 bis 1805 dem Passauer Sprengel gehörte, 1809 in ein Getreidemagazin verwandelt und 1820, vollkommen restauriert, samt dem Passauer Hof der Redemptoristenkongregation zugewiesen wurde. Was die Konstruktion der Kirche selbst betrifft (sie hat nur ein Schiff ohne Abseiten, und die Breite steht im Mißverhältnis zur Länge), so steht sie hinter anderen im deutschen Baustil aufgeführten Gotteshäusern Wiens an Schönheit zurück. Ihr reich verzierter siebeneckiger Turm aber (30 Klafter hoch) zählt zu den Zierden der Kaiserstadt. Ein Abstecher auf unserem Rundgang, von Maria Stiegen, an der zu Ende des 13. Jahrhunderts erbauten Salvatorkirche vorbei, nach der St. Ruprechtskirche, liegt weniger im Interesse des Kunstfreundes als in dem des Geschichtsfreundes, da die Ruprechtskirche das älteste christliche Gotteshaus in Wien ist, obwohl seine jetzige Gestalt nicht mehr jener in der Überlieferung genannten Zeit der Stiftung (740) angehört.

Wenn wir uns von Maria Stiegen durch die Schwertfegergasse nach der »Hohen Brücke« wenden und dann links abbiegen, kommen wir an dem bürgerlichen Zeughaus vorbei auf einen der schönsten Plätze Wiens, Er mißt 51 Klafter in der Breite und 71 in der Länge. auf den »Hof«. Wohl verdient jenes Zeughaus einen Besuch, und wär's auch nur, den Schädel in der Hand zu wiegen, aus dessen Augenhöhlen einst ein flüchtiges Blinzeln hinreichte, daß Tausende für die Köpfe auf ihren Rümpfen zitterten – dieses öde, verwitterte Haus, in dem einst ein weltumkreisender Ehrgeiz von Unsterblichkeit träumte, jetzt der Spott jedes Kindes, das mit ihm wie mit der abgezogenen Haut einer Klapperschlange spielen mag: den Schädel des Wesirs Kara Mustapha; ein schöneres Denkmal als dies Memento mori bewahrst du, Wien, in jenem Geschütz, das Franz I. im Jahre nach dem Heldenkampf bei Aspern deiner Bürgertreue schenkte und das jetzt den Hof des bürgerlichen Zeughauses schmückt; ein Symbol dafür, daß Treue der Bürger zu Schutz und Trutz in den Tagen der Not der Fürsten beste Waffe Das kaiserliche Zeughaus, nicht minder sehenswert als das bürgerliche, ist in der Renngasse. Es bewahrt Gustav Adolfs Elenkoller und jene ungeheure Eisenkette (1600 Zentner schwer), welche die Osmanen 1529 der Donau anlegen wollten, um die Schifffahrt zu hemmen. ist.

Die Mitte des »Hofs« zieren eine hohe Säule mit dem Metallbild der Maria und zwei Brunnen mit Metallstandbildern (»Treue und Ackerbau« von Professor Fischer, 1812). Auf der einen Seite schließt den Platz das »Hofkriegsgebäude« mit der Pfarrkirche, von deren Balkon 1804 die erbliche Kaiserwürde Österreichs ausgerufen wurde. Ein Prachtbau der Jesuiten, erhebt sich das Hofkriegsgebäude auf der Stelle, wo einst die Hofburg dreier Babenberger, später der Münzhof und dann das Kloster der Weißen Brüder stand.

Durch die schmale Passage am »Heidenschuß« hinab führt der Weg zur Freyung und zu den Schotten. Heinrich Jasomirgott hatte den schottischen Mönchen 1155 auf jenem Platz Kirche und Kloster gebaut und der neuen Abtei zum Recht der eigenen Gerichtsbarkeit auch jenes der Freistätte (Freyung) des Klosterbanns gegeben. 1410 brannte das Kloster, dessen Zucht unter den letzten schottischen Äbten oft großes Ärgernis gegeben hatte, nieder, und deutsche Benediktiner wurden – nicht ohne hartnäckigen Widerstand der kampflustigen Schotten und Hiberner – in den Besitz der Abtei gesetzt; der alte Name aber blieb bis heute. Die jetzige Kirche wurde in der Mitte des 17. Jahrhunderts erbaut.

Von den Schotten wenden wir uns in die Herrengasse, an dem Palast der k. k. privilegierten Nationalbank vorbei, zu dem »Landhaus« der niederösterreichischen Stände, dessen Bau aus der Mitte des 16. Jahrhunderts datiert; wenn wir den Hof und das zweite Tor desselben durchschritten haben, finden wir uns dem einfachen Portal der alten Kirche zu Maria Schnee auf dem Minoritenplatz gegenüber. Herzog Leopold der Glorreiche erbaute und überwies Kirche und Kloster (das letztere ist jetzt zum Lokal der niederösterreichischen Regierung geworden) den Minderen Brüdern vom Orden des heiligen Franz von Assisi. Aus den furchtbaren Bränden 1256 und 1267 erhob sich die Kirche durch Ottokars königliche Freigebigkeit wieder; Maria Theresia ließ 1748 das Klostergebäude ausbessern und zum Teil neu erbauen; Joseph II. aber versetzte die Ordensbrüder in die Alstervorstadt und überwies die Kirche der italienischen Gemeinde.

Die Legende erzählt von dem großen Kruzifix dieser Kirche, das nach der Versetzung der Ordensbrüder in die Klosterkirche zu Wimpassing kam, es sei in den Zeiten Albrechts des Lahmen, da die Pest wütete, aus dem Orient die Donau stromauf geschwommen und bei der Rossau plötzlich gesehen worden; aber niemand habe vermocht, das Wunderbild ans Ufer zu bringen, bis ein Minorit es an seinem Gürtel gefaßt, ohne Mühe an Land und nach Sankt Stephan gebracht habe; am anderen Tag aber habe man das Kruzifix in der Minoritenkirche gesehen, und niemand sei im Zweifel gewesen, daß unsichtbare Hände es an jene Stelle getragen hätten, die es zum Heil der Gläubigen im voraus sich auserwählt habe.

Auch von einem Gottlosen erzählt die Legende, der, ohne vorher zu beichten, an einem Tage siebenmal den Leib des Herrn bei den Minoriten empfangen und den der Böse zur Strafe der Entweihung des Sakraments durch die Erde hinabgerafft habe; das Loch im Klostergang konnte über vierhundert Jahre nicht vermauert werden, bis Kaiser Josephs II. Befehl zu diesem Werk Arbeiter fand, denen es gelang.

In die Herrengasse zurückkommend und in gerader Richtung vorwärtsschreitend, durchmessen wir den Michaelerplatz und den Auslauf der oberen Breunerstraße und kommen durch die Neuburger und die Plankengasse auf den »Neuen Markt«, in dessen Mitte der Brunnen mit Raphael Donners herrlichen Figuren In der Mitte des Bassins die Klugheit; am Rand des Bassins die Donau, die Enns, die Traun und die March. (sämtlich aus Bleikomposition) unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Betrachtet dort das enge Pförtlein der schmucklosen Klosterkirche. Diese Pforte führt zu der Residenz des mächtigsten Herrschers auf Erden. Ihr lächelt, weil bei ihr keine goldbebänderten Trabanten vor den Fürstengemächern Wache halten, keine geschäftigen Lakaien hin und wider rennen, kein Gewühl von Bittenden in den Vorzimmern seht? Wo ist, fragt ihr, das Gezischel der Höflinge, wo der Jubel des Volkes? Statt des Hofstaates seht ihr die bärtigen Brüder in ihren braunen härenen Gewändern, die mit Demut sich gürten und die Häupter in Kapuzen verhüllen, damit das Gebrause des Ozeans »Welt« nicht das Schweigen der Wüste unterbreche, in die sie auf leichten Sandalen gezogen sind, nicht das eintönige Picken des Totenwurms, dessen langsames Geschäft sie belauschen, noch die dumpfen Litaneien, die sie beten, überschalle; während sie, jeder von ihnen wie ein getreuer Eckehard, in langen Kreisen die Residenz umwandeln. Es sind die Kronenwächter der Toten, die ihr im Chor kniend schaut, es sind die Hüter des Staubes, sie, die bei lebendigem Leib der Erde abgestorben sind. Ihr großes Kirchweihfest ist der Allerseelentag; da schließen sie als freundliche, lächelnde Wirte die Pforten ihrer Schatzkammern weit auf und laden die Lebenden zur Feier des Todes ein; da wandeln sie, wie Herolde der Auferstehung, zwischen den langen Reihen der Särge, in denen die Majestät und Herrlichkeit so vieler Herrscher als Mumien liegen; und beim roten Schein der Fackeln könnt ihr's in den glanzlosen Augensternen der Brüder wie die ersten Lichtstreifen des Morgens sehen, der nach der längsten Nacht siegreich das Osterbanner entfaltet. – Ihr steht in der Kaisergruft des Kapuzinerklosters, worin seit Matthias, der sie gestiftet, und dem glaubenseifrigen Ferdinand II., der sie gebaut hat, die deutschen Kaiser bis auf den letzten, für dessen Bild der Römer in Frankfurt noch Raum hatte, ruhen. Hier weilte oft und gern, bei Tag und Nacht, die große und fromme Maria Theresia, welche 1748 die alte Gruft durch eine neue für den Stamm Habsburg-Lothringen vergrößern ließ; nach ihres Gemahles Tod regelmäßig dreimal in der Woche; an einer eigenen Maschine ließ sie sich selbst, ohne fremde Beihilfe, hinab. Als sie am 2.. November 1780 sich wieder hinaufziehen wollte, blieb die Maschine dreimal stecken. Hormayrs »Geschichte Wiens«, 2. Jahrgang, Bd. 2. »Die Gruft will mich nicht mehr herauslassen«, meinte Maria Theresia ahnungsvoll; einen Monat später (am 3. Dezember) schloß sich ihr Sarg. Von dieser Kaisergruft war's, daß der edle Joseph jenen, die bei der Eröffnung des Augartens für das Publikum Bedenken trugen, daß der Kaiser nicht bei seinesgleichen weile, scherzend zur Antwort gab: »Wollt' ich immer nur bei meinesgleichen sein, so müßt' ich bei den Kapuzinern bleiben.« In dieser Gruft ruht der Sohn des Mannes, der unter der Weide von Sankt Helena schläft; umsonst sucht ihr auf seinem Sarg die Königskrone Roms, die einst über dem Scheitel des schlafenden Kindes schwebte.

Aus der Freistätte der Toten mitten ins Gewühl des Lebens – nur wenige Schritte! Drüben, wie zum Spott hingebaut, prunkt das stattliche Gebäude »Zur Mehlgrube«; wie manches Bacchanal scholl aus den Tanzsälen, aus den stillen Kabinetten dieses Hauses an die Mauern und Gewölbe hinüber, unter denen die Fürsten schlafen. Die Ruhenden sind den Jubel der Wiener gewöhnt, kein einziger wendet sich im Sarg. Der Fürst der Fürsten aber, der unten auf den Mausoleen thront, der blinde, scharfhörige Tod, vernimmt jenes Jauchzen, vernimmt jene lustigen Tanzweisen gar wohl und mag den Fröhlichen die Spanne Zeit noch gönnen. Hat doch auch er dem heiteren Volk oft genug schon zum großen Tanz aufgespielt – und zwar die Weisen Pest und Cholera –, sie hinausgelockt nach der schönen grünen Schmelz, nach dem öden Sankt Marx, Zwei große Kirchhöfe Wiens. daß sie dort vom Tanz sich abkühlten – unterm Rasen –, er, der einzige Demokrat im ganzen Kaiserstaat! Die Mehlgrube ist ein »Durchhaus« wie so viele andere in Wien, wie das nicht allzu ferne »Bürgerspital« Früher ein Klarissenkloster, dann seit der ersten Türkenbelagerung Spital und seit der Versetzung des letzteren nach Sankt Marx ein der Stadt gehöriges Mietshaus, dessen Miete jährlich an oder über 170 000 Gulden abwirft. – ein wahres Labyrinth von »Durchhäusern« mit seinen zehn Höfen, zwanzig Haupttreppen und dreieinhalbhundert Wohnungen; aber keines der vielen Durchhäuser rechtfertigt seine Benennung so treffend; so rasch wie durch die »Mehlgrube« ging selten jemand durchs Leben zum Tod, aus den heißen Armen einer Hetäre beim Tanz in die kalten des Grabes.

Wir stehen jetzt in der volkswimmelnden Kärntnerstraße und haben uns durch das Gewühl der Eiligen, die aneinander vorüberschießen, der Equipagen, Karren und der Reiter, durchzuschlagen, um durch die Rauhenstein- und die Ballgasse auf den Franziskanerplatz zu gelangen, wo eine schöne Brunnenstatue von Professor Fischer, »Moses, dem Felsen Wasser entlockend«, unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.

Unsere Wanderung zu den öffentlichen Monumenten der Altstadt Wien nähert sich jetzt ihrem Ende. Durch die Grünanger- und die Schulerstraße, durch die Wollzeile und unter dem Schwibbogen kommen wir an das Universitätsgebäude, dessen jetzige Gestalt (wie die ganze neue Organisation der Hochschule) von Maria Theresia datiert. Die Universitätskirche ist ein Werk der Jesuiten vom Jahre 1627, im schlechten Geschmack jener Zeit. Das Gebäude, worin sich die 80 000 Bände reiche Bibliothek der Hochschule befindet, ist von letzterer nicht sehr weit, unfern der Hauptmaut und der an diese stoßenden Kirche der unierten Griechen. Von da aus führt unser Weg zunächst zu der Predigermönchekirche und dem Kloster, die Leopold der Tugendhafte für die Tempelherren erbaute und Kaiser Ferdinand III. den Dominikanern, die sie seit 1226 besaßen, aus dem Schutt wiedererbaute.

Hier sei unser Rundgang durch Wien beendet. Viel wäre noch zu berichten von Wiens anderen Kirchen und Palästen, wenn unser Vorhaben nicht hauptsächlich darauf ausginge, auch in der monumentalen Physiognomie Wiens nur das Charakteristische aufzusuchen und auf den Zusammenhang der Denkmäler mit der Geschichte hinzuweisen. Deshalb umgingen wir die in der Mitte der Stadt gelegene St.-Peters-Kirche (durch Fischer von Erlach von 1702 bis 1712 erbaut), die Kirchen der Protestanten, der unierten und der nichtunierten Griechen und die neue prachtvolle Synagoge der Juden, die vielen Adelspaläste mit ihren reichen Kunstsammlungen; wogegen wir nachträglich noch das »Deutsche Haus« in der Singerstraße mit seiner einfach schönen und an Grabsteinen der Landkomture reichen Kapelle im deutschen Baustil erwähnen.

 

Zwischen der Stadt, von deren mit anmutigen Alleen bepflanzten Basteien zahlreichen Spaziergängern sich ein wechselreiches Panorama der Vorstädte bietet, und diesen letzteren liegt ein breiter, von Alleen durchschnittener Wiesenplan – das »Glacis«, die Elysischen Felder Wiens, der rechte Tummelplatz der Kinderfreuden und Kinderspiele – zwischen dem Stubentor und dem Karolinentor, wo die Mineralwasser-Trinkanstalt und das Kaffeehaus sich befinden; auch ein Sammelplatz der schönen, wenn auch nicht der unvermischt noblen Welt wie der Volksgarten.

Der Vorstädte, deren Häuser- und Menschenzahl bei weitem größer ist als die der eigentlichen Stadt Wien, sind 34, die im weiten Kreis die Stadt umfangen: Leopoldstadt, Jägerzeile, Unter den Weißgerbern, Erdberg, Landstraße, Wieden, Schaumburgerhof, Hungelbrunn, Laurenzergrund, Matzleinsdorf, Nikolsdorf, Margarethen, Reinprechtsdorf, Hundsturm, Gumpendorf, Magdalenagrund, Windmühle, Leimgrube, Mariahilf, Spittlberg, St. Ulrich, Neubau, Schottenfeld, Altlerchenfeld, Josefstadt, Strotzischer Grund, Alservorstadt, Breitenfeld, Michelbayrischer Grund, Himmelpfortgrund, Thury, Lichtental, Altan und Rossau.

In früheren Zeiten traten die Eigentümlichkeiten der Bewohner der verschiedenen Vorstädte schärfer hervor, von denen manche – wie die Landstraße, Gumpendorf (in beiden wurden römische Altertümer gefunden), Erdberg, die Leopoldstadt (früher der »Untere Werd« geheißen und bis 1699 bloß von Juden bewohnt), die Jägerzeile (im Mittelalter »Die Venedigeraue«), Margarethen (wo ein Schloß von Margarethe Maultasch von Tirol stand) und die Alservorstadt – geschichtliche Erinnerungen aufweisen können. Jetzt aber verwischen sich fast im gleichen Verhältnis mit der von Jahr zu Jahr zunehmenden Verschönerung der Straßen die früheren grellen Abstände der verschiedenen Rassen der Vorstädter; und diese letzteren gleichen sich allmählich gegen die Bewohner der Stadt Wien aus. Sonst, zumal als noch die große »Tierhetze« Ein eigenes Hetztheater (aus Holz} war für dieses Vergnügen erbaut; es brannte 1796 ab. ein Lieblingsvergnügen der Wiener war, hatten die Bewohner eines jeden »Grundes« Gleichbedeutend mit Vorstadt. einen Anstrich von Spießbürgerlichkeit, der ihnen ganz gut, wenn auch etwas drollig zu Gesicht stand; ihre Lokalobrigkeiten bis zu den »Grundwächtern« herab, die auf der Volksbühne eine Charaktermaske geworden sind, erhielten die kleinen Gemeindewesen in einer patriarchalischen Verwaltung aufrecht, und alle Tugenden wie alle Gemütlichkeit und alles Burleske zunftartiger Verfassungen kamen in dem vorstädtischen Volksleben zutage.

Seither aber haben sich viele Elemente des städtischen Treibens in die »Gründe« eingesenkt; höhere und niedere Beamte ziehen die angenehmeren, mit Gärten versehenen Wohnungen in den Vorstädten den teuren in der Stadt vor; ein rascherer Verkehr zwischen beiden ist erleichtert, die artigsten Vauxhalls haben sich in den Vorstädten aufgetan und locken die Bewohner der Stadt unablässig hinaus; die Eleganz und die Spekulation wetteifern; kurz, Städte und Vorstädte sind in diesem Augenblick bereits fast in ein schönes Ganzes verschmolzen. Es ist, als ob die Humanität Jahrzehnte lang still an dieser Vereinigung, die nun zutage kommt, gewirkt hätte; und wahrlich genug Segenswünsche der Armen, Arbeitsunfähigen und Kranken, der im Dienst des Vaterlands zu Krüppeln gewordenen greisen Krieger, unglücklicher Mütter und Findlinge stiegen seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts und während des jetzigen in jenen zahlreichen, fast sämtlich in den Vorstädten gelegenen Anstalten – die Wien reicher schmücken als all sein Glanz und Pomp, als all seine Feste und all seine Paläste – zum Himmel empor. Edler Joseph, du, den kein Lob deiner Verehrer so sehr ehrt wie die Verketzerung deines Strebens und Gedächtnisses durch die Finsterlinge; du echt deutscher Charakter mit dem echt österreichischen Herzen; der du zu der Himmelstochter Freiheit auch ihre Schwester Humanität beriefst, dein geliebtes Österreich als Cherubim zu betreuen – billig wird dein Name zuerst genannt, wenn von Wiens Anstalten der Milde die Rede ist. Hättest du der Kaiserstadt kein anderes Andenken hinterlassen als das Allgemeine Krankenhaus (in der Alservorstadt; für 2000 Leidende in Verbindung mit der Irrenanstalt und der Gebäranstalt), dessen Einrichtung ebenso praktisch als mit größtem Zartgefühl angelegt ist – dein Herz, Vater Joseph, würde nicht vergessen werden! Und jede heilige Hinterlassenschaft deiner Mutter Maria Theresia – so das Waisenhaus (in der Währinger Gasse) und das Taubstummeninstitut (auf der Wieden) – pflegtest du treu. Geschworener Feind jeder Macht, die nur das Alter heiligte, unversöhnlich dem Trotz materieller und geistiger Abgeschlossenheit und Ausschließlichkeit, sahst du, als du die Herbergen des Müßiggangs zerstörtest, mit dem Auge der Liebe auf die Freistätten des Elends, wo aufopfernde Liebe als höchstes Gebot der Christuslehre von wahrhaft barmherzigen Brüdern und Schwestern werktätig geübt wurde; auf die Pflanzschulen der Jugend durch Priester und fromme Frauen, die in der Erziehung fremder Kinder reichen Ersatz für die Entsagung auf eigene elterliche Freuden finden. O wahrlich, Joseph, dein Geist ruht noch heute auf Wien. Wer fühlt ihn nicht urkräftig im Blindeninstitut, in jenen Vereinen zur Unterstützung verschämter Armer und dürftiger Studenten, in den Kinderbewahranstalten? In den Fürsten wie im Volk wirkt er segensreich fort und fort. –

Wir erwähnten früher die Rassenverschiedenheiten der Vorstädter und daß die grellen Eigentümlichkeiten derselben heute allmählich ineinander, alle aber im großartigen Treiben der Stadt aufgehen. Zwei Vorstädte aber haben ihr Charakteristisches noch mehr oder minder bewahrt: die Leopoldstadt und das Alte Lerchenfeld.

Wenn du vom Rotenturmtor der Ferdinandsbrücke zuwandelst, siehst du am jenseitigen Ufer des Donaukanals die stattliche Reihe der Kaffeehäuser, vor denen Christen und Juden, Raizen und Serben, Griechen und Türken in bunter Reihe und in bunten Trachten behaglich schmauchend sitzen; an den Geländern des Brückenkopfes betrachtet müßiges Volk die Schwimmkünste der Hunde, deren Herren, drollige Käuze, ihre Spekulation so gut betreiben wie die Börsenmänner in Hamburg oder Frankfurt am Main. Der nicht allzu ferne große Gasthof »Zum Lamm« wimmelt von fashionablen Fremden, und die Wirtshäuser der großen Hauptstraße sind von Frachtfuhrleuten überfüllt; betäubender Lärm, Gedränge, nicht selten Streit und Handgemenge in jedem Winkel dieses engen Deltas, indessen geschmackvolle Equipagen nach der Jägerzeile und dem Prater dahinrollen und Omnibusse die Badelustigen nach der Schwimmschule und dem großen Freibad bringen. Die Lebhaftigkeit von ganz Wien scheint in diese schmale Doppelpassage zusammengedrängt zu sein und jede Berührung dem dichten Gewühl einen derben Volkswitz zu entlocken; der verführerische Leichtsinn schlüpft glatt durch jede Bresche der wandelnden Mauer.

Wer denkt, wenn der Lebensübermut so laut und toll sich überschlägt; wenn von Hunderten und aber Hunderten jeder nur von den Wogen der Augenblicke sich dahintreiben läßt; wenn die unersättliche Messalina Ichsucht, welke Wangen schminkt, um für unschuldige Freude zu gelten; wer nimmt sich da nur die Zeit, daran zu denken, daß nicht gar fern von diesem immerwährenden Faschingstreiben in dem Hospiz der Barmherzigen Brüder so mancher mit Not und Tod ringt? Ihr alle, die ihr die vollen Börsen zum Tanze im »Sperl«, zum üppigen Gelage, an die Kasse des Volkstheaters, in die Kaffeehäuser und Wirtschaften des Praters, in den Bahnhof tragt, die ihr in diesen geschmackvollen Equipagen sitzt und von dem morgigen Fest oder von der heute gelungenen Spekulation träumt – habt ihr – ganz unten im Grund eurer Börsen nicht einen Pfennig für einen Barmherzigen Bruder, auf den eure Lakaien und Jäger von den Kutschenschlägen so vornehm herabsehen, weil er in seiner schlechten schwarzen Kutte mit dem Ledergürtel, die Sammelbüchse in der Hand, sich so demütig und doch so unabweislich durch die bunten Reihen drängt? Entblößt die Häupter vor diesem Bettler, der für alles, was er der Geringsten einem an Liebe und Treue zuwendet, wahrlich schon hier auf Erden seinen reichen Ersatz findet – nicht an klingenden Schätzen, sondern an jenem der Liebe, der sich vermehrt, je mehr man davon ausgibt; nicht an Ehrentiteln, wohl aber an der Bedeutung jenes höchsten Ehrennamens, der alle Würden und allen Adel überragt, des Namens Mensch! – Das Institut der Barmherzigen Brüder, das bei 400 Kranke ohne Unterschied der Konfession aufnimmt (seit 1614 in der Leopoldstadt), ist der Stolz der Bewohner dieser Vorstadt, und dieser edle Stolz, ein werktätiger, charakterisiert die letzteren.

Der Leopoldstädter hat in seinem ganzen Wesen viel von der Behäbigkeit und Tüchtigkeit eines alten freien Reichsbürgers. Der Leopoldstädter tritt im Bewußtsein seines wohlgeordneten Besitzes und seines Gewerbefleißes sicher auf; die häufigen Wassernöte, welche die Insel, die er bewohnt, bedrohen, festigen ihm den Gemeinsinn, und der immerwährende frische Ab- und Zufluß des Verkehrs mit Fremden sowie die Verschiedenheit der Konfessionen, die sich in der Leopoldstadt zusammenfinden, erhalten seine Toleranz. Der »Hausherr« ist in Wien überhaupt eine Person von Gewicht; der Leopoldstädter Hausherr aber darf als der Treffkönig seiner Farbe betrachtet werden; während das in früheren Zeiten berüchtigte Fischervölkchen in seiner kernhaften, frischen Derbheit einen tüchtigen Kontrast dazu bildet.

Keinen geringen Einfluß auf die Entwicklung und Bewahrung der Selbständigkeit des Leopoldstädter Charakters hatte übrigens das Volkstheater. »Dies wäre das Leopoldstädter Theater?« fragst du verwundert, wenn du vor dem bescheidenen einstöckigen Haus stehst. »In diesen engen Räumen hätte der immer rüstige, nach allen Seiten hinausspringende Proteus, der Humor eines ganzen Volkes, Platz mit allen seinen irregulären Truppen?« Ach, das Haus scheint jetzt ein Bienenkorb, aus dem die Königin fortgeflogen ist, das stacheltragende, leicht beflügelte Volk der Witze hat sich in alle Welt zerstreut, und der Honig ist herausgenommen; ein armer Lebküchner legt manchmal in die leeren Zellen statt des frischen Honigs noch – einen Reiter oder Trompeter, aber seine geschmacklose Ware findet keine Käufer; für die Hummeln, die sich zuweilen hinein verirren, läßt der einst so fruchtbare Boden keine duftigen Zauberblumen mehr wachsen, und der Maschinist betrügt sie durch papierene, die er ihnen dafür hinstellt.

Du trittst in das Innere des Hauses; das sind noch dieselben dunklen, engen Räume wie ehedem. Das ist derselbe Hintergrund des Parterres, wo in der Blütezeit des Theaters gewisse verlorene Kinder ihre Plätze hatten, von denen man in guter Gesellschaft nicht gerne spricht und die – wenn die Tradition uns nicht täuscht – die Vergünstigung freien Eintritts genossen haben, welche auch jener Ungar auf denselben Rechtstitel hin in Anspruch nehmen wollte. Dort ist noch das Pult, vor dem der schneeweiße Kopf Wenzel Müllers so freundlich nach rechts und links nickte, wenn die Ouvertüre beginnen sollte. Das ist dieselbe Nobelgalerie, an deren Decke man aufrecht stehend mit dem Scheitel stößt; das sind dieselben Särge von Logen, in deren jeder sich oft zehn Personen einpferchten, um Raimunds »Bauer als Millionär« zum hundertsten Mal zu sehen. Auf jenen Galerien ruft man noch immer wie einst in den Zwischenakten »geselchte Würstel und Bier« aus; diese Ambrosia und dieser Nektar sind jetzt alles, was vom Himmel des Volkes geblieben ist. Der schöne Kranz, der einst den Altar des Humors schmückte, ist in Staub zerfallen, eine Blüte welkte nach der anderen daraus, zuerst Korntheuer, dann die Krones, dann Ignaz Schuster, dann die edelste von allen, Ferdinand Raimund. Einen Augenblick, lebensfrohe Wiener, schenkt diesen Toten; legt frische Kränze auf ihre Gräber; den reichsten aber, den der Frühling bietet, auf Raimunds Hügel in der holden Einsamkeit Gutensteins.

Der Urvater des Leopoldstädter Theaters war der brave Kasperl, der Sancho Pansa der Puppenkomödie, der heute bei Dr. Faust, morgen bei der frommen Genoveva, übermorgen bei dem tugendhaften Ritter Albrecht von Waldsee, der so gern »an den Ufern der spiegelhellen Donau« lustwandelt, in Diensten ist. Blickst du aber dem Schalk etwas hinter die Maske, so ist es kein anderer als der lustige Vogel Hanswurst, der, weil er im Heiligen Römischen Reich für vogelfrei erklärt worden ist, sich in eine Livree gesteckt hat. Bis auf seine gründliche Feigheit und seinen unsterblichen Hunger und Durst ist alles Maske an diesem Schlecker, besonders die Dummheit, hinter der er seine mit Acht und Bann belegte Verschmitztheit verbirgt. Sein Rücken ist, was die Prügel betrifft, die auf dieser breiten Tafel angeschrieben stehen, der Rücken eines ganzen Volkes, und seine kluge Albernheit büßt stets für die alberne Weisheit seines Herrn, den er zehnmal übersieht, vor dem er sich aber gleichwohl duckt.

Der »Thaddädl« löste ihn ab. Der Thaddädl ist ein Lehrjunge, dumm, feig, boshaft, genäschig, der Inbegriff aller Unarten. Der Thaddädl (der Schauspieler Hasenhut brachte ihn zu Ehren) quiekt wie Polichinell, ohne dessen Doppelhöcker zu haben. Von Kasperl erbte er die ausschließliche Prügelbefähigung, und doch hält er das ganze Genre der bürgerlichen Posse kräftig zusammen; er ist die personifizierte Trivialität.

Die Travestie verdrängte ihn von der Alleinherrschaft, welche er ausübte und der zweiten bürgerlichen Komödie vermachte. Die Travestie ist schon kecker und witziger als die alte Kasperl- und Thaddädl-Posse; sie gliedert ihre Stoffe zu Charakteren aus, sie verlegt sich zuerst auf die Effekte des Kontrastes, und obwohl sie die Beihilfe der Garderobe nicht verschmäht, so vermittelt sie diese doch mit dem Komischen der Situation. Sie nötigt den Vater Jupiter, mit der Schlafmütze auf dem Kopf und der Tabakspfeife im Mund zum Himmelsfenster herauszusehen und bringt zur Abwechslung einen Perückenmacherjungen in den Olymp oder den Prinzen Hamlet aus Dänemark auf den Tandelmarkt. Trödelmarkt.

Die zweite bürgerliche Komödie tat einen Schritt weiter; aber mit diesem Schritt stand sie bereits mitten im Volksleben; das Proszenium der Volksbühne wich auseinander und schloß sich als Rahmen um das ganze Volk; das Publikum im Parterre sah sich selbst im großen Spiegel der Bühne mit allen seinen Drôlerien, in seiner ganzen Spießbürgerlichkeit wieder und applaudierte seine eigenen ergötzlichen Kapriolen. Staberl, der Sohn des Ofenlochs, Bürger, Dekreter und Parapluiemacher, stand als rhodischer Koloß im Vordergrund, und zwischen seinen Beinen tummelten sich, wie das Volk der Liliputaner um den Riesen Gulliver, die groben Hausmeister, die Fiaker als Marquis, die lustigen Schuster, die eleganten Bräumeisterinnen, die hübschen Köchinnen, die überall hinausgeworfenen Faktotums, Musikanten und was des Gelichters sonst noch ist. Aber inwendig im Staberl steckte der gute Hausgeist Ignaz Schuster mit seinem trockenen Gesicht. Als Carl sich verstaberlte, gewann die Maske eine ganz andere Bedeutung und rückte aus der Sphäre, für die sie erschaffen war. Carls Staberl ist kein Wiener Bürger, sondern der Kosmopolit Hanswurst wieder, welch letzterer später in dem Bataillonschirurgus Schelle einen nachgeborenen Bruder von sehr schwächlicher Konstitution bekam. Nestroys neueste Kinder haben einen noch verdächtigeren Geburtsort als das Ofenloch – nämlich die Kloake.

Auf den Schultern der Travestie und der zweiten bürgerlichen Komödie schwang sich mit buntschillernden Fittichen das Zaubermärchen auf, das Kind einer Fee und eines geborenen Wieners, vielleicht eines Friseurs oder eines Seiltänzers oder sonst eines luftigen Gesellen. Von der Mutter hat es die ausgedehnteste vornehme Verwandtschaft mit Geistern, Kobolden, Magiern aller Nationen – hier einen Vetter in Donaueschingen, dort einen in Varaždin –, vom Vater hat es die Wiener Lieder, den Wiener Witz, das Wiener Gemüt und die Anhänglichkeit an den Stephansturm und an die schönen Ufer des Kanals. Wenn es vor deinen Blicken den geheimnisvollen Vorhang lüftet, so siehst du die Kaffeehäuser des Feenlandes, wo Geister Billard spielen und weiße Schokolade trinken; das nasse Wolkenbett, in dem der gutmütigste aller Fürsten den kapriziösen vier Jahreszeiten den Text liest; oder du siehst gar Wien in einem anderen Weltteil oder die Mesalliance einer Fee mit einem Haarbeutelschneider; es bringt dich in Länder, von denen du nie gedacht hast, daß sie existierten, z.B. in solche, wo man die Wahrheit spricht; Menschen werden vor deinen Augen in Pudel verwandelt, und plötzlich umschallt dich gar das trostreiche Lied »Es ist alles eins, es ist alles eins, ob wir Geld haben oder keins«, oder es schöpft dir einen Becher aus dem Quell der Vergessenheit. Trink ihn nicht! Fülle dir lieber einen Becher voll des ältesten Gumpoldskirchners und sprenge die Libation auf das Grab in Gutenstein. Den Manen Ferdinand Raimunds, der, als Mensch edel, rein, untadelhaft, ein Ehrenmann im vollen Klang, als darstellender Künstler originell und genial, als dramatischer Volksdichter nach dem Höchsten ringend, von keinem seiner Zeitgenossen erreicht und übertroffen wurde; der die Volksbühne von der Gemeinheit zu reinigen und zum würdigen Tempel des Humors zu weihen strebte; den das deutsche Gemüt im Norden wie im Süden verstand; dessen sinnige Lieder ein Gemeingut des ganzen Volkes geworden sind und zu bleiben verdienen – Friede seiner Asche! Eine Freundesträne seinem Angedenken! Mit ihm ging die Volksbühne unter.

Zwei Hauptfesttage der Leopoldstadt sind der Erste Mai und der Annentag. An beiden ist der Prater, am ersten auch der Augarten das Ziel der lebensfrohen Wiener, und die Jägerzeile gleicht dann einem mit Menschen dicht besäten Wallfahrtsweg. Am Ersten Mai gilt es, die Wettläufer in der Hauptallee zu sehen, am Annentag ist es Ehrenpflicht für jeden Wiener, zur Feier – nicht der heiligen Anna, sondern einer speziellen schönen Nanni (und deren besitzt Wien so viele, daß es den Mantel der heiligen Ursula damit versorgen könnte) nach Kräften beizutragen. Der Annentag im Prater ist der zweite Teil des Brigittenkirchtags, und Stuwer, der unglückliche Stuwer, dessen Vater und Großvater schon Lustfeuerwerker waren und dem Witzkobold der Wiener so manchen Anlaß zu guten Einfällen gaben, verklärt am späten Abend die vielen Freuden des Tages durch sein prächtigstes Feuerwerk – wenn ihm (was in Wien beinahe sprichwörtlich geworden ist) das Wasser keinen Strich durch die Rechnung macht; in der jüngsten Zeit ist der arme Stuwer auf einen guten Gedanken gekommen, den Neckegeist des Wassers zu versöhnen: er gibt nämlich Feuerwerke auf dem Wasser oder, wie er sie nennt, »Wasserfeuerwerke«, und seitdem ist der Witz im Kredit gefallen, daß ein neuer Rock, in dessen Kragen ein heimtückischer Schneider ein Feuerwerksprogramm einnäht, dem Besitzer beim ersten Ausgang eine tüchtige Taufe zuzieht.

Gegenüber dem der Leopoldstadt eigenen Charakter reichsbürgerlicher Solidität bei allem großstädtischen Prunk zeigt sich das »Alte Lerchenfeld« mit seiner durch die Linie getrennten Fortsetzung, dem »Neulerchenfeld«, und mit Hernals, wo der vielbesuchte Kalvarienberg ist, durchwegs plebejisch, ebenso in der Mundart, wie in den Sitten der Bewohner und durch jene Klasse des Volkes, die im Besuch dieser Gegend Vergnügen sucht und findet. Das sind die Proletarier Wiens mit Weib und Kind und die lustigen durstigen Soldaten des Regiments Deutschmeister – meist Kinder von Alt- oder von Neulerchenfeld, welche weder die Staubwirbel noch das schlechte Bier scheuen, um sich in der unabsehbaren, ununterbrochenen Reihe von Gasthäusern zu ergötzen, denen die Wirtsgärten gegenüberliegen. In der Fastenzeit mußt du an Sonntagen Lerchenfeld, mußt du das Dorf Hernals besuchen; dann ist die Gesellschaft, die du dort triffst, gemischt, dann verschmähen nämlich auch anständige Leute es nicht, sich durch das Labyrinth von Ellenbogen zu drängen.

Der Hernalser Kalvarienberg ist das Ziel oder der Vorwand aller; auf dem Nachhauseweg entschlägt die Lust sich jeder drückenden Fessel. Wie lockt die betäubende Musik aus allen Gärten; in jedem Augenblick neigt dir ein wandernder Bäcker seinen Stock mit Fastenbrezeln dicht vor die Nase hin, oder du siehst ihn diesen von weitem wie ein Feldzeichen, wie einen Kommandostab aus dem dichtesten Gewühl über alle Köpfe herausstrecken, und wenn du in die Fenster blickst, siehst du über allen Tischen in den Wirtsstuben Festons von Fastenbrezeln herabhängen, und fast an jedem Haus bietet ein Garkoch seine dampfende Ware im offenen Laden aus. Kinder mit Spielzeug und Bildern – am Wallfahrtsort gekauft – hemmen jauchzend die Passage, oder der Vater, ein Handwerker oder Subalternbeamter, nimmt sie auf den einen, den Hund auf den andern Arm und bricht der teuren Last und seiner Hausehre, die ihn zu verlieren fürchtet, gegen den Volksstrom Bahn. Von hüben, von drüben, von nah und fern – Pfiffe, Zurufe, Losungszeichen. Hin und wieder die Rasse der Schusterjungen mit schlechten Absichten auf Brezeln und Wurst oder mit einem Schalkstreich auf den nächstbesten ehrsamen Spießbürger im Kopf, Soldaten mit ihren Liebchen, Gauner und Glücksritter und hie und da ein armer blinder Mann mit Geige oder Flöte, den niemand beachtet als die Hunde, die sich um ihn herumbalgen; und in diesem ganzen Chaos nun das Gebraus des Lerchenfelder Dialekts, den selbst der Wiener kaum versteht!

Und wie dieses Treiben, so ist auch der Lerchenfelder: derb, grob, eine immerwährende lebendige Opposition gegen den Anstand in Kleidern und Sitte, necklustig und zu Händeln schnell bereit, sorglos in Armut und geneigter zur Faulheit als zur Arbeit und beim Genuß nicht auf Maß und Ziel bedacht – kurz der Lazzarone und der Eckensteher Wiens in einer Person.

Das Leben und Treiben in den übrigen Vorstädten bildet den Übergang zwischen den beiden Extremen der Leopoldstadt und des Lerchenfelds. Die denkwürdigsten öffentlichen Gebäude in den Vorstädten mögen hier eine kurze Erwähnung finden.

In der Josefstadt ziehen die Klosterkirche der um die Gymnasialbildung der Jugend vielfach verdienten Väter der frommen Schulen (Piaristen), 1698 erbaut, das Blindeninstitut und der Auerspergsche Palast die Aufmerksamkeit an. – Das Josefstädter Theater konnte in den verschiedensten Epochen seiner Blüte nie eine volkstümliche Bedeutung erringen; nur einmal war es diesem Ziel nahe, als Raimund seinen »Verschwender« auf demselben in Szene setzte. Unter Henslers Direktion hatte es früher durch beliebte drollige Pantomimen sich ein bestimmtes Publikum gewonnen.

Die Alservorstadt hat eine Reihe von humanen Anstalten aufzuweisen wie wenige andere: das Zivilkrankenhaus, das Irrenhaus, das Findelhaus, das Waisenhaus, das Mädchenpensionat (die wir alle bereits früher erwähnten), dann die beiden anderen herrlichen Stiftungen Josephs II., die Josephinische Akademie mit ihrer berühmten Wachspräparatensammlung (von Fontana und Moscagni) und das Militärgarnisonshauptspital, sowie das Versorgungshaus; die Gewehrfabrik und das imposante neue Kriminalgerichtshaus breiten ihre Fronten gegen das Glacis aus.

In der Rossau befinden sich der lichtensteinische Gartenpalast mit der herrlichen Galerie (reich an kostbaren Bildern von Rubens und Van Dyck) und die kaiserliche Porzellanfabrik, jedem Fremden sehenswert.

Die Vorstadt St. Ulrich schmückt der Palast der adeligen ungarischen Leibgarde (ein Werk Fischer von Erlachs); der Gelehrte wendet sich dem Ordenshaus der »Altgläubigen« zu (wie das Volk die armenischen Mönche von der Regel Antons des Einsiedlers nennt), welche seit ihrer Vertreibung aus Triest 1810 das früher den Kapuzinern gehörige Kloster bewohnen, dort eine große Druckerei (meist für morgenländische Schriften) unterhalten und armenische Kinder erziehen.

Auf dem Spittlberg befindet sich, dem neuen Burgtor gegenüber, das stattliche Gebäude der kaiserlich-königlichen Stallungen (von Karl VI. 1725 errichtet); in Mariahilf die Kirche mit dem Gnadenbild, von dem manche Legende erzählt wird, und der Eszterházysche Gartenpalast mit der ausgezeichneten Gemäldegalerie und den Bildwerken Canovas, Thorwaldsens und Schadows.

In der Vorstadt Laimgrube zeigt sich uns die Ingenieurakademie; an der Wien das durch Schikaneder, den Erbauer, durch Palffy und Carl, den jetzigen Direktor, bekannte Theater, das einst durch die Talente der dabei angestellten Künstler mit dem Hofburgtheater wetteifern konnte, dann Staberls und später vierfüßiger Künstler Tummelplatz wurde und jetzt den besten noch lebenden Lokalkomiker Wiens, Wenzel Scholz, neben Carl und Nestroy aufzuweisen hat. Scholz, der in jeder Rolle derselbe ist und doch in jeder den verstocktesten Hypochonder zum Lachen bringt, in dessen innerstes Wesen das Komische so verwachsen sein muß, daß er, ohne daß er die Arme regt, ohne daß er ein Wort spricht, auf das Zwerchfell des Publikums wirkt; Scholz, der, ohne genial zu sein, doch so durchwegs originell ist, der wie die personifizierte Dummheit aussieht, vor deren Naivität all euer Verstand zuschanden wird – Scholz hat einen wahren Instinkt für die Parodie. Ein größerer Gegensatz als Carl neben Scholz läßt sich kaum denken. Scholz als »Klapperl«, als Grundwächter, als Jago (im travestierten Othello), als Damian Stutzel, als nachtwandelnder Seiler (in »Die beiden Nachtwandler«) mit seiner gravitätischen und doch etwas ängstlichen Dummheit, mit seiner grenzenlosen Trockenheit und Gutmütigkeit, die nur um so drolliger erscheint, wenn sie aus dem Gleichgewicht gerüttelt wird, wenn diese ganze phlegmatische Natur endlich einmal stutzig wird, aufbegehrt und poltert – und Carl, dem noch im Alter statt Blut Feuer in den Adern kreisen mag, dessen Beweglichkeit den Zuschauer fast verwirrt, der in jeder Sekunde von improvisierten Witzen und Wortspielen sprudelt, der Übermut selbst, der sich nicht bedenkt, das Publikum selbst zu necken! – Das Dreiblatt schließt Nestroy, der sich der Volksbühne mit Beifall, aber zum Nachteil der letzteren bemächtigte, da er sich bloß auf die Spekulation beschränkt. Als Schauspieler ist Nestroy nicht ohne Talent, aber ohne Originalität und seiner Manier bereits ganz und gar verfallen. Das Theater an der Wien hat den industriösen Carl reich gemacht, und doch erlangte es nie eine echt volkstümliche Bedeutung. Eine solche nahm Carl übrigens auch nie in Aussicht; er spekulierte bloß von Tag zu Tag auf den Wechsel, auf die Mode, und kein Mittel war ihm je zu schlecht, zu seinem Ziel, dem pekuniären Vorteil, zu gelangen. Es lag nur an ihm, den Geschmack zu veredeln; aber er verschlechterte ihn lieber, weil das Gemeine dem großen Haufen überall gleich verständlich und willkommen ist.

Die Wieden ist reich an schönen öffentlichen Gebäuden. Zwei der schönsten bieten sich dem Auge nicht weit voneinander: die Karlskirche und das Polytechnische Institut, beide mit den Fronten gegen den Wienfluß und das Glacis. Kaiser Karl VI. ließ die erstere infolge eines Gelöbnisses bei drohender Nähe der Pest durch Martinolli nach Fischer von Erlachs Plan im neueren italienischen Stil erbauen. Elf breite Stufen führen zu dem schönen Portal hinan, zu dessen Seiten sich zwei Turmsäulen, mit Basreliefs aus dem Leben des heiligen Karl Borromäus von oben bis unten bedeckt, erheben. Auf dem Giebelfeld sieht man (im Basrelief) Wien, durch die Pest bedrängt. Eine achteckige Kuppel mit einer Laterne überwölbt die freundliche Rotunde. Das Denkmal des vaterländischen Dichters Heinrich von Collin (von Sautner, unter Fügers und Zauners Leitung gearbeitet) schmückt die Wand eines Seitenaltars. – Die Fassade des Polytechnischen Instituts (1815 vollendet) nimmt in großartiger Einfachheit die ganze Breite eines geräumigen freien Platzes ein. Das Institut bewahrt sehenswerte mineralogische, zoologische, physikalische und Modellsammlungen; die interessanteste von allen ist die der Nationalfabriksprodukte Österreichs. – Nicht weit vom Polytechnischen Institut dehnt sich das Starhembergsche Freihaus, 300 Wohnungen umfassend, aus. In der Favoritenstraße befinden sich das Taubstummeninstitut und die Theresianische Ritterakademie (früher das kaiserliche Lustschloß, die Favorite), von Maria Theresia 1745 zur Bildung junger Edelleute gestiftet.

Die Landstraße, die der Wiener Neustädter Kanal durchschneidet, schmücken das Invalidenhaus (mit Peter Kraffts Gemälden der Schlachten von Aspern und Leipzig Man kennt das erste durch Rahls, das letztere durch Scotts Kupferstich. und der »Kreuzabnahme« von Raphael Donner in der Hauskapelle), das Hospital der Elisabethinerinnen, das Veterinärinstitut (früher ein Garten der Jesuiten), das neue Montaneum (ein Werk des geschickten Architekten Kornhäusel, der auch das Stiftsgebäude in Klosterneuburg ausbaute), der Botanische Garten der Universität (unter Maria Theresia angelegt), das Belvedere und das große Spital zu Sankt Marx an der Linie.

Der Sieger bei Zenta, Blindheim und Malplaquet, Prinz Eugen von Savoyen, ließ sich auf der Anhöhe, von der sich eine wunderherrliche Übersicht der Kaiserstadt bietet, von 1705 bis 1724 durch den Hofarchitekten von Hildebrand den Doppelpalast Belvedere erbauen, dessen unterer Teil, worin sich jetzt die deutsche Garde und die Ambraser Sammlung befinden, gegen den Rennweg, dessen oberer (das Hauptgebäude) an der Linie liegt; ein ausgedehnter Garten im altfranzösischen Geschmack, mit dem Prachtstil der Bauten harmonierend, verbindet beide. Nach Eugens Tod (1736) erbte seine Nichte Victorine, vermählte Herzogin von Sachsen-Hildburghausen, das Belvedere; ihr Gemahl überließ es für eine Leibrente dem kaiserlichen Hof. Joseph II. verlegte die unter Maximilian I. entstandenen, durch Rudolf II. und Karl VI. vergrößerten Gemäldesammlungen, die sich früher in der Schatzkammer, in der Stallburg, und an mehreren anderen Orten befanden, in das Belvedere. Jene merkwürdige Sammlung von Rüstungen und Waffen, von Kunstwerken und Kuriositäten, Handschriften, Büchern und Geräten (das kostbarste darunter, Benvenuto Cellinis »Salzfaß«, war eine Stiftung Ferdinands von Tirol, des Gatten der schönen Philippine Welser) wurde im Jahr 1806 vom Schloß Ambras in Tirol in das untere Belvedere gebracht. – Das obere Belvedere ist ein längliches Viereck mit vier Pavillons an den Enden – breite Stufen führen zu einer Doppeltreppe hinan, von der man in den durch Chianini, Fanti und Carloni dekorierten Marmorsaal tritt, an dessen Wänden, Decke und Estrich jene ganze verschwenderische Pracht, wie sie zur Zeit der Erbauung beliebt war, ausgelegt ist. Von diesem Mittelsaal öffnen sich die Aussichten in die Säle der Flügel, deren jeder sieben Zimmer nebst zwei Kabinetten umfaßt. Der linke Flügel bewahrt die Gemälde der niederländischen Schule mit den großen Prachtstücken von Rubens (die Wunder des heiligen Ignazius und des heiligen Franz Xaver), der rechte die Werke aus den italienischen Malerschulen. Das obere Stockwerk (auf jeder Seite vier Zimmer umfassend) enthält Werke aus der altdeutschen, der altitalienischen und der altniederländischen Schule, aus den Epochen der Geschmacksumwandlung bis zur neueren und neuesten Zeit.

Hier ist der Ort, die Richtung zu beachten, der die Bildende Kunst in Wien jetzt nachgeht, und der Künstler zu gedenken, deren Talente der Kaiserstadt Ehre machen.

Im Jahre 1705 eröffnete Kaiser Joseph I. die Akademie der Bildenden Künste, deren Stiftung schon unter Leopold I. beantragt worden war. Unter Maria Theresia erhielt sie eine Zeichnungs- und Kupferstecherschule, eine Bossier- und Graveurschule. Sie befindet sich in der Annagasse in dem ehemaligen Noviziatsgebäude der Jesuiten und umfaßt jetzt Schulen der Malerei, der Bildhauerei, der Kupferstecherkunst und der Mosaikarbeit, der Architektur, der Gravierkunst – und zur Anwendung der Kunst auf Manufakturen –, eine Bibliothek und eine Galerie (Vermächtnis des Grafen Lamberg), mit deren Aufsicht der geniale Maler Fürich betraut ist. Ein Vergleich der Mittel, welche der Akademie zu Gebote stehen, und der zahlreichen Talente, die in Wien zu finden sind, mit den Leistungen der Akademie muß zu deren Nachteil ausfallen. Denn im ganzen Wirken derselben entdeckt der Blick des unbefangenen Beobachters ein Schwanken und eine Unentschiedenheit über das Wesen und die Zwecke der Kunst, woraus sich am Ende keine geringe Verwirrung und als letzter Ausweg ein krasser Materialismus ergibt, welcher, schon an und für sich verwerflich und betrübend, noch schlimmere Aussichten in die Zukunft öffnet, zumal wenn man in Anschlag bringt, daß durch Kunstausstellungen im allgemeinen und durch das Übergewicht der Mode in Wien insbesondere das junge Talent allzuleicht in Versuchung geführt wird.

Wandelt durch die Straßen der Kaiserstadt und vergleicht die Gemälde auf den Aushängeschilden, die seit geraumer Zeit Mode geworden sind. Die Besitzer der reichen Kaufläden wetteifern untereinander, sich durch Schönheit, Pracht oder Kunstwert dieser Malereien wechselseitig zu überbieten; gewiß keine Stadt Europas kann eine ähnliche Kunstausstellung in den Straßen aufweisen. Welch ein weites Feld ist hier dem Talent geboten, sich zu entfalten; wie erfolgreich könnte der Einfluß der Akademie auf die ästhetische Bildung des Volkes, auf die Verfeinerung des Geschmacks wirken! Welch ein schönes Vorbild gab Kupelwieser Um Kupelwieser, der bei seinem Auftreten die schönsten Hoffnungen anregte, in der Folge aber sich leider einer finsteren pietistischen Richtung völlig hingab, hat der würdige, geistreiche und aufgeklärte Prälat von Klosterneuburg, Jakob Ruttenstock, der ihm für die Stiftskirche zwei Gemälde: »Der heilige Leopold« (überlebensgroß) und »Maria Geburt« (Altarblatt) auftrug, großes Verdienst. durch seinen »Jungen Tobias« auf dem Laden der Apotheke am Graben, durch seine Tafeln vor der Apotheke in der Wollzeile! Die meisten dieser öffentlichen Gemälde erfreuen den Vorübergehenden durch die Sicherheit der Haltung, durch die Gewandtheit der Ausführung.

Dünkt euch diese Art der Öffentlichkeit zu gering, um eure Aufmerksamkeit, eure Sorgfalt und Pflege darauf zu wenden? Bedenkt ihr nicht, daß die Kunst zu allen Zeiten durch die Öffentlichkeit einen mächtigen Antrieb erhielt, oder ist es weniger ehrenvoll, ein vollendetes Kunstwerk auf der Straße der Beschauung von Tausenden auszusetzen, als ein dürftiges Genrebild, ein antik oder romantisch drapiertes Modell, eine nackte Abstraktion für eine Kunstausstellung zu fertigen, damit das Bild einst in einem Kabinett prangen könne? Oder fürchtet ihr, die Würde der Kunst werde auf dem Wege solcher Veröffentlichung der Mode sich unterordnen? Leider wird sie es (der Anfang ist bereits gemacht), leider wird sich die Empfänglichkeit des Volkes fürs Schöne, wird sich die Strebkraft der Künstler in trübseliger Gleichgültigkeit allmählich abstumpfen, wenn ihr mit vornehmer Prüderie auf diese Vermittlung der Kunst mit dem Leben, der Existenz der Künstler mit ihrem Talent, herabblickend, euren einseitigen unfruchtbaren Theorien eigensinnig nachwandelt. Die schlimmen Folgen zeigen sich bereits. Die bedeutendsten Talente wenden sich entweder, um selbständig zu bleiben, dem Ausland zu, oder sie sehen sich, wenn sie in der geliebten Heimat bleiben und ihren Lebensunterhalt daselbst fristen wollen, gezwungen, sich mit Porträts, Landschaften, Genrebildern zu beschäftigen; wandelt doch an den Werken der vaterländischen Maler im Belvedere vorbei, und seht, wie wenige historische Bilder von Originalität ihr finden werdet. Wohl findet ihr da Schnorr von Carolsfeld, Fürich, Ammerling, Petter, Dittenberger. Wo aber sind die Cartoons des kräftigen L. Schulz, wo die sinnigen Zeichnungen Steinles? Und überdem ist Schnorr in einer einseitigen Weltanschauung und Kupelwieser in Asketik verharscht, Petter steif und Ammerling, Ammerling machte sein Glück erst in London. Ganz unbemittelt kam er dahin, um sich dort auszubilden; doch fand er allenthalben Hindernisse und Rivalität und verzweifelte fast, je aus der Masse auftauchen zu können. In bitterer Not kam er öfter ins österreichische Gesandtschaftshotel, wo ihm einstmals der Kopf des Portiers in einer malerischen Stellung auffiel. Er malt ihn und läßt das Bild der Stube. Fürst Esterházy, der zufällig in diese kommt, sieht es, ist davon entzückt und läßt es in seinem Salon aufstellen, wo es allgemeine Bewunderung erregt. Man erkundigt sich nun nach dem Künstler, und dessen Glück ist gemacht. der treffliche Porträtmaler, nicht immer in seiner Sphäre, Danhauser aber, so reich begabt er ist, noch nicht einig mit sich über das Wesen der modernen Kunst; erst bei seinem »Prasser« kam er auf den rechten Weg, auf die Vergeistigung des Genres und dessen Vermittlung zum modernen Leben. Sein Altarblatt für Erlau (vom Erzbischof Pyrker bestellt, seit 1835 dort erhöht) hat bei vielen einzelnen Schönheiten geringeren Wert, woran freilich weniger der Künstler als die mancherlei Veränderung in der Auffassung des Stoffes und des Haupthelden, die ihm auferlegt wurden, Schuld tragen. Rahl, Heinrich Schwemminger, Leander Russ, Steinle sind fast die einzigen Jüngeren, die sich wacker halten.

Man sieht, wie sich bei der Nichtbeachtung der Historienmalerei, bei der Begriffsverwirrung über das Höchste der Kunst in der Akademie und bei der mystisch-asketischen Richtung eines kleinen Kreises von Künstlern allmählich auch von seiten der Künstler, die in ihrer isolierten Stellung überdem bloß auf sich selbst angewiesen sind, eine Gleichgültigkeit herausstellen mußte, die notwendig zur Verflachung der Kunst überhaupt hinführt; wie aber auch anderseits Porträt, Landschaft und Genre, diese ergiebigen Felder, immer fleißiger angebaut werden und treffliche Früchte bringen konnten. Im Porträt sind Ammerling und Waldmüller, deren Manieren sich wie zwei Pole abstoßen, Schlesinger, Ender, Adolph und Robert Theer, in der Landschaft (wo die Vedute die Komposition zu verdrängen droht) Th. Ender, Gaurmann, Alt, Geyling, Jos. Schwemminger, Höger, Gerstmüller, im Genre Danhauser, Heinrich, Ranftl, Waldmüller, Fendi bedeutend. Das Stilleben wird fleißig bebaut, dagegen die Marine fast ganz vernachlässigt. Im Kupfer- und Stahlstich zeichnen sich Stöber, Rahl, Hyrtl, Kowatsch, Passini, Axmann aus, im Holzschnitt Bl. Höfel. Die Plastik finden wir fast bedeutungslos hinter der Malerei versteckt; Professor Schaller, dem man das Denkmal Hofers verdankt, leistet hier das Bedeutendste; nach ihm ist Hirschheiter zu nennen; der talentvolle Geiger mußte sich aus Mangel an Unterstützung darauf verlegen – Pfeifenköpfe in Meerschaum zu schneiden.

 

Das geistige Leben in der Kaiserstadt bewegt sich von Jahr zu Jahr in immer weiteren Entwicklungs- und Wirkungskreisen und durchdringt die Gesamtmasse der bürgerlichen Gesellschaft immer mehr. Zunächst sind es jene Radien der geistigen Macht des Jahrhunderts, die unmittelbar oder mittelbar ins praktische Leben, in die diplomatischen Verhältnisse, in die Verwaltung und in die Humanität eingreifen, welchen die Aufmerksamkeit und die Tatkraft sich zuwenden: die Naturwissenschaften, die Arzneikunde, die Rechtsgelehrsamkeit und Kameralistik, endlich das Studium der Sprachen, zumal der morgenländischen. Auf diese Arme des großen Stroms verteilt sich die Erziehung und die Forschung, Geschichte, Spekulation und Poesie treten dagegen in den Hintergrund, und während wir, in bezug auf jene, Erziehung und Forschung nach den unabänderlichen Gesetzen eines großartig ausgegliederten Mechanismus sich bewegen sehen, müssen wir den wenigen, aber um so tüchtigeren Naturen gleichfalls unsere hohe Achtung zollen, welche, gleichsam außerhalb der schützenden Grenzmarken stehend, innerhalb deren dem Talent Begünstigung und Ermunterung vom Staat wird, auf keiner anderen Basis als der ihres Berufes, ihrer Begeisterung und ihrer Willenskraft für die Ehre des Vaterlands rüstig wirken. Wollten wir die vom Staat als Mittelpunkt der Idee ausgehenden Gesetze, nach welchen sich das geistige Leben in Wien entwickelt – wenn auch nur in flüchtigen Umrissen –, in diesen Blättern wiederzugeben und alle Phasen des letzteren selbst nach kleinerem Maßstab hier nachzuzeichnen versuchen, so würden wir die Grenzen überschreiten, welche wir selbst um unsere Aufgabe gezogen haben; wir haben hier nicht Fragen zu erörtern, die in das Wesen des Staates eingreifen, sondern begnügen uns gerne damit, ein getreues Panorama der Gegenwart auf dem Hintergrund der Geschichte und Sage aufzurollen, und es sind nur die Anschauung und die Beobachtung, nicht die wissenschaftliche Erörterung, wozu wir einladen durften.

Es ist kein Zweifel, daß Wien als der Brennpunkt des geistigen Lebens in den deutschen Bestandteilen der Monarchie betrachtet werden darf, wiewohl es nicht – wie Paris die bewegenden Kräfte ganz Frankreichs verschlingt und sozusagen alle Individualitäten in einen einzigen lebendigen Organismus verwandelt – die Strebungen in den deutschen Provinzen in gleicher Weise an sich zieht; die letzteren sowohl als die Hauptstädte der nicht deutschen Bestandteile des Kaiserstaats wirken wohltätig auf das geistige Leben in Wien zurück, und auf solche Art erhält sich ein großartiger Wechselverkehr zwischen den Nationalitäten, bei welchem jede gewinnt. In gleichem Verhältnis steht in Wien selbst die Produktivität des Geistes mit der Empfänglichkeit, Aneignung und Durchbildung, und es stellt sich bei aller Naivität, die dem Kern des Volkes eigen ist, ein von Tag zu Tag sich schärfer ausprägendes Bewußtsein sowie eine immer deutlicher ins Auge fallende Annäherung der Stände heraus, die für das Wachstum und das Erstarken des Volkes als einer moralischen Person von Wichtigkeit ist.

Wie frisch aber die Empfänglichkeit für geistigen Fortschritt in Wien ist, beweist der blühende Zustand des dortigen Buchhandels, bei dem das Sortimentsgeschäft die Hauptrolle spielt. Der Adel und die höheren Klassen des Bürgerstandes wirken einander hier in die Hände, und der aufgeklärte Klerus der Hochstifte wetteifert mit beiden um die Ehre, die er früher fast ausschließlich besaß. Bei aller verschwenderischen Pracht, mit der sich die Elite des Adels in Wien 24 fürstliche, an 70 gräfliche und 60 freiherrliche Familien sind in Wien (wie Tschischka versichert) ansässig, den niederen Adel ungerechnet. so gern umgibt, setzt sie keinen geringen Teil ihres Stolzes darein, mit einheimischer Literatur wie mit allen fremden Literaturen stets im lebendigsten Rapport zu stehen; der ausgezeichnete Gelehrte und Dichter, er möge was immer für einer Nation angehören, ist in den ersten Salons stets ein willkommener, geehrter Gast. Ebenso denkt die Geldaristokratie, welche in Wien nicht jenen häßlichen Spekulationsteint hat wie in anderen großen Städten; sie fragt den Fremden, der sein Kapital im Kopf trägt, nicht nach Familienbeziehungen und etwaigen Verwandtschaftsgraden, noch mißt sie ihn von oben herab, noch rechnet sie ihm ihre Gesellschaft als Glück an; sondern sie empfängt ihn und den geistigen Fortschritt mit jener Herzlichkeit, welche allen Klassen des Volkes in gleichem Maße eigen ist. Selbst die Unverschämtheit jener Touristen, die vom Bilder- und Skizzenhandel leben und genossene Gastfreundschaft hinterher durch Indiskretion vergelten (eine Erfahrung, welche den Wienern oft genug zuteil wird), macht diese nicht scheu und mißtrauisch, viel weniger die Lebensfreude sie gleichgültig gegenüber geistigen Interessen. Zurückhaltender und ausschließlicher, weil beschränkter und darum dünkelhafter, im allgemeinen indifferent ist – in der Mehrzahl – der mittlere Beamtenstand. Der Klerus dagegen (sowohl die Welt- als die Stiftsgeistlichen) begreift seine Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft und die Bedingung seiner Existenz und Bedeutung durchwegs vorurteilsfrei und nimmt die neuesten Erscheinungen des geistigen Lebens außerhalb Österreichs zu unbefangener Würdigung, Verarbeitung und Ausgleich gegen seine eigenen Verhältnisse in sich auf. Dieser Klasse der Geistlichkeit ist jener blinde Fanatismus fremd, der in Jahrhunderte zurück reicht; sie vindiziert den Formen des Kultus die höhere Bedeutung auf dem Wege der Vernunft und der allgemeinen Weltbildung. Der Bürgerstand rückt eigentlich erst in seinem Nachwuchs dem geistigen Gesamtleben näher, letzterer aber dafür um so rascher und sicherer.

Und so rundet sich uns ein erfreuliches Bild ab, ein Bild des rüstigen Strebens, das jeder in der Wirklichkeit wiederfinden wird, wenn er diese – nicht flüchtig und mit ungeschwächten Augen, ohne Hilfe einer geborgten Brille – betrachten will. Es ist eine Rüstigkeit, wie sie nur frischer Jugend entströmt; wenn aber irgendein Volk unverwüstlicher Jugend sich erfreut, so ist's gewiß das österreichische, so ist's das Wiener Volk. Der Dichtername Grün ist ein Symbol, das die jugendliche Kernkraft des ganzen Volkes ausdrückt.

Bedürfte die Behauptung noch eines anderen Beweises, so könnt ihr diesen in tausend Liedern auf allen Straßen, in allen Höfen und Häusern hören. Das Alter singt nicht, dem Alter, wenn es grämlich und zurückgezogen in der Ecke kauert, ist die Musik verhaßt. Wien aber ist die Stadt der Musik; als ob in der Kaiserstadt jeden Tag ein Kaiser gekrönt würde, hallt sie immerdar von Melodien wider. Das Leben, die Kunst und die Religion reichen sich dazu die Hände. Das Leben verlangt jene üppigen Weisen aus Huons Horn, von deren Tönen Leib und Seele wollüstig erbeben, die bis in die innersten Fasern des Lebens hinein zittern, die das südlich-feurige Blut rascher durch die Pulse jagen und auf die Wangen jenen Schmelz der Hingebung an den flüchtigen Augenblick hinzaubern, der so lockend und – wenn ihr euch fragt, ob er das Abendrot des Lebens oder schon das Morgenrot des Todes ist – doch so rührend ist. Die Kunst der Musik wird wie ein Kultus gepflegt, im vaterländischen Konservatorium, Unter den Tuchlauben steht das Gebäude der Gesellschaft der Musikfreunde im österreichischen Kaiserstaat, welche (1813 gegründet) an 100 Zöglinge unterrichtet. im Hofopernhaus nächst dem Kärntnertor, in den Konzertsälen. Wien ist das Eldorado fremder Virtuosen und Meister und – wir glauben nicht zuviel zu sagen – ein Tribunal, vor dem der oft vielleicht bloß zufällig entstandene Ruf sich ausweisen muß, bevor er auf Dauer Anspruch machen darf; denn der Wiener wächst im immerwährenden Genuß der Meisterwerke aller Zeiten auf, und seine Artigkeit gegen Fremde, seine schnelle Begeisterung hindern ihn nicht, dem fein gebildeten Geschmack der Mode für länger, als der erste Eindruck währt, zu huldigen oder gar sich von ihr beherrschen zu lassen. In den zahlreichen Kirchen Wiens hört auch der Arme aus den untersten Ständen jene klassischen Werke der Tonkunst, welche die Religion, die sie hervorgerufen hat, in ihre Unsterblichkeit hüllt.

Eine solch geistige Regsamkeit, die, wie wir andeuteten, nach allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft hin Beziehungen anknüpft und fortspinnt, kann auch für die Schaubühne nicht gleichgültig bleiben; ja diese ist ihr ein Lebensbedürfnis. Wir sprechen hier nicht von der Volkskomödie, bei der der Stoff die Hauptsache ist, sondern von dem Hofburgtheater, in dem die Veranschaulichung der Idee durch die höchste Formvollendung erstrebt und erreicht wird und das die Sitte der feinen Gesellschaft Wiens ebenso treu reflektiert als die Volksbühne das Wesen der unteren Stände. Das Hofburgtheater ist der öffentliche Salon, in dem sich alle Gebildeten Wiens zusammenfinden, das klassische Forum der Urbanität, auf welchem Kunst und Leben sich ergänzen. Keine andere deutsche Bühne kann so viele Talente aufweisen, keine verteilt diese so zweckmäßig, auf keiner waltet wie auf dem Hofburgtheater der gute Geist harmonischer Ineinanderordnung zum schönen Ganzen.

 

Wir haben früher von dem aufgeklärten Priesterstand gesprochen; die flüchtige Skizze desselben charakterisiert auch das religiöse Leben in Wien von der Lichtseite; wir können nicht verschweigen, daß es auch Schattenpartien hat, die sich aber meist über die unteren Klassen des Volkes hinziehen. Im ganzen läßt die in Wien aus allen Herzen und unter allen Verhältnissen zum Licht aufstrebende Lebensfreude; läßt jenes heilige Vermächtnis Josephs II., die Toleranz; läßt der Weltverkehr und die immer mächtiger werdende Weltbildung; läßt endlich die immerwährende Ebbe und Flut der verschiedenartigsten Nationalitäten den geistesmörderischen Mystizismus, ob er auch hie und da sich in seinen dunklen Höhlen rege, nicht zu Kräften kommen, und er muß sich meist mit Opfern begnügen, an welchen die bürgerliche Gesellschaft nicht viel verliert. Bei allem Leichtsinn lebt im Wiener Volk eine so gesunde, unverwüstliche Ehrlichkeit, daß selbst die Frivolität sich nicht bis zu jener Verderbtheit hinab verirrt, die man sonst in großen Städten leider antrifft und aus der sich der Blasé in dumpfer Verzweiflung in das andere Extrem rettet. Dem tiefen Gemüt und der heiteren Weltanschauung der Wiener paßt kein Kultus so gut als der katholische; wenn die Wiener die heiligen Gräber, das Fronleichnamsfest verlören, würden sie bald aufhören, Wiener zu sein; die religiösen Feste sind für Wien Nationalfeste geworden. Wir können uns nicht enthalten, die vernehmlichsten religiösen Feierlichkeiten in Wien in kurzen Abrissen hier aufzuzeichnen.

Der Weihnachtsabend – das Fest der Kinder, an dem selbst der Greis so gern sich wieder als Kind fühlt und gibt, wenn der Engel des Friedens von Haus zu Haus wandelt und das Siegel der Verheißung auf jede Schwelle drückt, daß die Familie, durch so süßen Bann in ihrem Weihetum gefangengehalten, an die Weltsorgen nicht denkt, die draußen lauern – hat in Wien den Nikolausabend zum humoristischen Prolog. Eine in Wien heimische Legende erzählt von einem Knaben, den die Türken bei ihrem Einfall in Österreich mit sich in die Sklaverei geschleppt haben und den Sankt Nikolaus, der Kinderfreund, den tiefbekümmerten Eltern, die zu ihm als ihrem Schutzpatron inbrünstig gebetet hatten, unverhofft frisch und gesund wiedergebracht hat. Die Sitte, am Nikolausabend den Kindern zu bescheren, ist älter als diese Legende und findet sich auch in anderen katholischen Städten. In Wien, wo weder das Christkind noch die Heiligen Drei Könige jetzt noch wie früher in Person erscheinen, hat Nikolaus sein Recht gleichwohl nicht aufgegeben; er kommt mit schneeweißem Bart, im langen Talar, die goldpapierene Mitra auf dem Haupt, den Hirtenstab in der Hand; hinter ihm Ruprecht, sein Knecht (in Wien »Krampus« genannt), ein zottiger Geselle, mit klirrenden Ketten an Händen und Füßen, feurigen Augen, einer langen blutroten Zunge und einem mächtigen Schweif, eine Rute und einen Sack im Arm; so könnt ihr Herrn und Diener in tausend Ebenbildern alljährlich am Nikolaustag (6. Dezember) in den Buden auf dem Graben und der Freyung sehen. Die Kinder sitzen des Abends im Kreis; da pocht es an der Tür, der Vater ruft »Herein«, und Sankt Nikolaus tritt mit seinem Knecht in die Stube. Nun beginnt das Gericht über die Kinder. Sankt Nikolaus erkundigt sich, indessen Krampus mit den Ketten rasselt, bei den Eltern, ob die Kinder fromm, fleißig und gehorsam gewesen wären, und läßt sich von ihnen das Vaterunser oder das Credo aufsagen, die Schularbeiten werden gezeigt und geprüft. Ist Sankt Nikolaus zufrieden, so langt er in den Sack und teilt (mit frommen Sprüchen) seine Gaben aus. Ist er es nicht, so gibt er dem Knecht Befehl, den Schuldigen zu fassen. Nur die Fürbitten der Eltern retten für diesmal das Kind, Sankt Nikolaus läßt sich erweichen und begnügt sich damit, einstweilen dem Kind statt der schönen Bescherung die vergoldete Rute zu hinterlassen, dann hält er ihm eine erbauliche Rede und verläßt den kleinen Kreis.

Den Schluß des Weihnachtsabends macht in Wien der Besuch der Christmette um Mitternacht. Du kannst dich eines eigentümlichen Gefühls, als kreisten Geister um dich und über dir, nicht erwehren, wenn du in den ungeheuren Räumen der Stephanskirche, deren Grabesnacht die Lichter am Hochaltar wie verlöschende Sterne erhellen, die zwölf dröhnenden Glockenschläge vernimmst und nun der Gottesdienst beginnt. Da denkst du unwillkürlich an die Sage von der Messe der Toten und daß, wer ihr beiwohnte, diesen verfallen ist.

Der Neujahrstag hat viel von seinem Pomp verloren, seit die Humanität die lästige Sitte des Glückwunsches verdrängte und man sich für eine Kleinigkeit (zum Besten der Armen) von dieser loskauft.

In der »stillen Woche« (der Karwoche) sind vom Palmsonntag ab, an dem jeder seinen Zweig zur Weihe in die Kirche bringt, sämtliche Theater Wiens geschlossen und alle öffentlichen Vergnügungen eingestellt. Die Kirchen werden für den Aufbau des Heiligen Grabes gerüstet. Am Gründonnerstag »wandern die Glocken nach Rom«, von wo sie erst am Abend des Karsamstags nach dem Auferstehungsfest wiederkommen; statt ihrer schallen allenthalben die »Ratschen« (Klappern). Am Nachmittag des Gründonnerstag beginnen in den Kirchen die »Pumpermetten« und »Lamentationen«. Am Karfreitag sind alle Altäre ihres Schmucks entkleidet, alle Kruzifixe und Bilder mit schwarzem Flor und Tüchern verhängt; vor dem Hochaltar liegt auf einem Teppich ein Bild des Gekreuzigten, zu dem sich die Gläubigen hindrängen, um die Wundenmale zu küssen und dabei für die Armen zu opfern. In einer Abseite oder einer bestimmten Kapelle, deren Fenster mit schwarzen Tüchern verhängt sind, zeigt sich das Heilige Grab in Felsen mit lebensgroßen Figuren; hoch über dem Grab prangt das Marterholz, mit dem Leichentuch umwunden, mit Speer, Nägeln, Dornenkrone, Schwamm, Rohr und Würfeln. Zahllose Kerzen und Lampen umschimmern das hochwürdige Gut mit dem Leib des Herrn. Am Vormittag des Karsamstags wird vor den Kirchentüren der »Judas verbrannt«, da drängen sich die Abergläubischen streitend um die Kohlen und Brände. Am Nachmittag des Karsamstags wird in jeder Pfarrkirche der Leib des Herrn zur symbolischen Feier der Auferstehung erhoben. Auf allen Türmen schallen jetzt wieder die Glocken, die ganze Gemeinde ordnet sich mit brennenden Kerzen und Fahnen zur Prozession, unter einem Baldachin wandelt der Priester mit dem hochwürdigen Gut aus dem Gotteshaus auf die Straße hinaus und hält den Umzug. Die Gemeinde stimmt das schöne alte Osterlied »Der Heiland ist erstanden« mit dem Refrain »Hallelujah!« an. Wo der Priester still steht und den Segen erteilt, wirft sich alles betend zur Erde und klopft an die Brust. Wenn die Prozession in der Kirche wieder angelangt ist, prangen alle Altäre bereits im schönsten Schmuck und im vollen Kerzenschimmer, das hochwürdige Gut aufzunehmen; dann wird das »Herr Gott, wir loben dich« unter Trompeten und Paukenschall angestimmt, und nach dem letzten Segen ist das Auferstehungsfest beendet.

Der Fronleichnamstag ist ein wahres Frühlingsfest. Dann sind alle Straßen mit Blumen bestreut, alle Häuser bis hoch hinauf mit Maien bedeckt. An vier Orten an der Dreifaltigkeitssäule: auf dem Graben, am Schwarzenbergschen Palais auf dem Neuen Markt, auf dem Lobkowitzplatz und auf dem Michaelerplatz sind unter freiem Himmel Altäre errichtet, voll der duftigsten Blumen, von den schönsten Südgewächsen beschattet. Die Prozession, welche, von Sankt Stephan ausgehend, die Hauptstraßen Wiens durchzieht und nach Sankt Stephan zum Hochamt wiederkehrt, hat an Pracht nirgends ihresgleichen. Da seht ihr die kaiserliche Familie, umgeben von allen Würdenträgern und Hofbedienten, in reichster Gala, die Lehrer der Hochschule mit dem Rektor und den Dekanen, von den Pedellen mit ihren altertümlichen Stäben begleitet, der Magistrat mit dem Bürgermeister an der Spitze; jene ungarische Edelgarde, davon jeder einzelne ein König scheint auf seinem schnaubenden, von Gold und Silber schimmernden, mit dem Tigerfell bedeckten stolzen Roß, der Reigerbusch mit diamantener Agraffe auf dem Kalpag, der Dolman starrend von Gold, die Brust voller Orden, der Säbel von Juwelen strahlend; den Erzbischof, angetan mit dem Pallium, mit dem Heiligtum, unterm prächtigen Himmeldach, umgeben von Chorknaben, welche Weihrauchgefäße und silberne Glöcklein schwingen oder Kreuze und Fähnlein tragen, sowie von den betenden Domherren und der anderen Geistlichkeit des Erzstifts zu Sankt Stephan, eine Ehrenwache, die grüne Reiser auf den Tschakos trägt, zu beiden Seiten; ihr seht die Leutpriester aller Pfarren der Stadt und der Vorstädte mit Fahnen und Gemeinden, die sämtlichen geistlichen Orden und frommen Brüderschaften mit Fahnen und blumengeschmückten Kruzifixen, die Zünfte und das Handwerk mit ihren Standarten, die langen Reihen der Waisenkinder, paarweise geordnet in sauberen Festkleidern, die armen Pfründner, die Sängerknaben der Konvikte, die Mädchen der verschiedenen Pfarrgemeinden, schneeweiß gekleidet, mit Blumenkörben, deren bunte Fülle sie dem Fürsten der Liebe, dessen Frühlingsherrschaft heute gefeiert wird, zu Ehren rings ausstreuen; eine Truppenabteilung beschließt den Zug, der zwischen Spalieren von Linien- und Bürgermilitär dahinwallt. An jedem von den vier Altären wird Halt gemacht, und der Erzbischof liest, von den Priestern und Leviten bedient, das Evangelium, und Böllergeknall mahnt nah und fern an die Verkündigung der frohen Botschaft, an die Erlösung der Menschheit und der Natur. Nach dem Hochamt im Stephansdom ist die Feier, die etwa 6 Stunden dauert, zu Ende, und das Militär defiliert, nachdem sich alle übrigen Teilnehmer zerstreut haben, zum Schluß auf dem Hof am Hofkriegsgebäude vorüber. – Am Sonntag nach dem Fronleichnamsdonnerstag wiederholt jede Pfarre in den Vorstädten das Fest im kleinen.

Eine andere Festlichkeit ist das Abschiedsgeleit sowie der Empfang der Prozession, welche alljährlich von Wien nach dem Gnadenort Mariazell in der Steiermark zieht. Sie wurde in Gustav Adolfs Todesjahr (1632) gestiftet. Viele Tausende wallfahren, keine Mühe des Weges noch die Last des Alters oder des Siechtums scheuend, ein Gelübde zu lösen, nach jener Kirche im steirischen Hochland. Im Passionschor zu Sankt Stephan empfangen sie ihre Fahne, und dorthin bringen sie diese, mit Tannenreisig und Alpenblumen geschmückt, zurück. Jeder Pilger ziert seinen Stab mit bunten Bändern und Blüten und bringt seinen Lieben, die ihm »einen schönen Gruß an die Muttergottes in Mariazell« mitgaben, ein Heiligenbild, einen geweihten Wachsstock oder sonst ein Andenken von dort mit.

In der Firmwoche (zu Pfingsten) ist der Teil des Stephansplatzes vom unausgebauten Turm bis zum Bischofshof und zur Bischofsgasse hinab mit Kindern besät, welche, das Sakrament der Firmung zu empfangen, von nah und fern herbeigebracht werden; alle im schönsten Putz und hinter ihnen die ehrenfesten Firmpaten, die Taschen schon voll von Geschenken für die Kinder. Wenn die heilige Handlung vorbei ist, bricht der Jubel der Firmlinge los, welche die Geschenke ihrer Paten in Empfang nehmen und von diesen mit Met und Lebkuchen bewirtet werden. Des Nachmittags wimmeln der Prater und alle Lustorte Wiens von ihnen. Da dürfen sie im Ringelspiel so viele Ringe von der Scheibe stechen, als ihnen gelüstet, der Bajazzo macht dann vor der Bude seine einladenden Spaße nicht umsonst; es ist, als sollten sie, da sie von der Kindheit Abschied nehmen, alle Freuden derselben noch einmal im vollsten Maß genießen, wie ja auch im Nonnenkloster der Tag, wenn die abgeschnittenen Locken der Gottesbraut auf die Marmorplatte niederfallen, ein Festtag ist, an dem das Weltleben zum letztenmal in die geweihte Einöde der Klausur dringen darf.

Der Allerseelentag ist allenthalben eine Verlobungsvorfeier des frischen blühenden Lebens mit dem Tod, ein Fest der Pietät und der Hoffnung zugleich; nicht der Verwesung – dem Wiedersehen sind ja all jene Grabesblumen, Grabeskränze und Grabeskerzen geweiht, und die Schmerzesträne preßt auch schon die als Ahnung in euch lebendige Seligkeit des ersten Kusses nach dem Tod aus euren Augen. O sprecht ihnen nur zu, den Ruhenden unter dem Rasen, euren lebensheißen Herzen mit so rührendem Glauben, mit so inniger Hoffnung, mit so treuer Liebe legt nur an die Gräber; sie fühlen die raschen Schläge durch die dünne Rinde; seht, wie sie durch Blumen euch Antwort zunicken!

Die Lücken dieses Festkalenders füllt der Wiener reichlich genug aus. Die vielen Säle in der Altstadt und in den Vorstädten, die Wirtsgärten in den letzteren und am Saum des Glacis, der Volksgarten, der Prater, der Tivoli und die Landpartien bieten ihm hinlänglichen Anlaß. Überall Musik, überall Freude, mit mehr oder weniger Aufwand von Luxus. Ihr kennt die Kämpfe zwischen der weißen und der roten Rose, zwischen Welfen und Waiblingern; habt ihr aber nie von der Rivalität des »Sperls« In der Leopoldstadt. mit der »Birne« Auf der Landstraße. gehört? Ihre Feldherren sind keine Geringeren als Strauß und Lanner; ihre Feldlager heißen sie »Assembléen«. Vor sechs Jahren arrangierte das Restaurant im Augarten die erste und kündigte sie als das Fest »im Hafen von Venedig« an. Ein Prospekt, den Dogenpalast darstellend, schloß die magisch erleuchtete große Allee; die Säle waren feenhaft geschmückt, und mit Recht durfte er die folgenden als »Elfenfest«, als »Armidens Zaubergärten« ankündigen.

Ein Annenfest im Gasthof »Zur Birne« gehört zu dem Prachtvollsten, was eure raffinierte Phantasie ersinnen kann. Habt ihr euch durch den unansehnlichen Hof, durch die niederen Vorgemächer glücklich zurechtgefunden und seid in den Garten getreten, so ist euer Auge, wohin es sich wenden mag, durch Glanz und Farben geblendet. Jeder Gang ist illuminiert, der Strahl des Springbrunnens dünkt euch im Widerschein der Lampen über ihm nur ein Strahl von Licht, der aus der Erde emporschießt. Ihr blickt auf, da zieht ein transparenter Luftballon über euren Köpfen dahin; ihr wendet euch, da streckt ein Flammentelegraf seine leuchtenden Arme aus und verschränkt sie gravitätisch zu dem Monogramm (Anna). In dem Gebüsch, in das ihr einbiegt, treibt Polichinell seine Schwanke; in dem Laubengang tritt euch ein langbärtiger Grieche entgegen, der euch, schlau blinzelnd, Rosenöl anbietet. Der geschmackvolle Tanzsaal ist durch die köstlichsten Südgewächse in einen duftigen Hain verwandelt; oben aber, auf der Tribüne, steht wie ein Imperator Johann Strauß, diese Hoffmannsche Figur mit dem Negergesicht, eine Locke hängt ihm auf die Stirn herein; er schüttelt sich und faßt, noch einmal sein Reich überschauend, die Geige. Alles hält vor Erwartung den Atem an, denn er will jetzt seine neuesten Walzer vortragen. Scharf setzt er den Bogen an wie einen Kommandostab; sein Haupt neigt sich zur Linken; sein ganzer Körper scheint galvanisch zu zittern. Da erklingt der erste Ton, melancholisch, unheimlich. Ihr glaubt auf einem Kirchhof zu sein. Da springt plötzlich der Humor auf das Leichenfeld, aus allen Büschen kommen die leichtfüßigen Elfen hervorgeraschelt und schlingen den Reigen. Umsonst sträubt ihr euch. Ihr müßt mit hinein. Wie Bacchanten reißt es euch fort. Jetzt gönnt der Zauberer euch Rast; im schmelzenden Moll atmet ihr wieder auf; aber unversehens stürmt die ganze Macht des Zaubers wieder auf euch ein, der Boden weicht unter euren Füßen, eure Zehen gleiten auf Wellenspitzen dahin; jetzt brausen die Töne, anschwellend, sich verdichtend, als Orkan um euch, schleudern euch himmelhoch und in die Tiefe – da verstummt alles, und der Spuk ist zerstoben. Hundertstimmiger Beifall lohnt den Meister; dieser aber wendet sich und neigt kaum merklich das Haupt und ist hinter üppigen Oleandern und Orangenbäumen verschwunden. An manchen Tagen werdet ihr in der Tat verwirrt, wohin ihr euch wenden sollt, wenn ihr an einer Straßenecke steht und die ellenlangen Ankündigungen, eine über der anderen, gewahrt, eine lockender als die andere. Hier winkt euch Domayer zu seinem Kasino nach Hietzing hinaus, wo die schwarzen Zigeuner, Mark und Bein erschütternde Weisen spielend, an den Gittern des fashionablen Gartens wie Geächtete vorüberziehen. Aber nicht diese sind's, die Domayer euch verspricht – sondern Strauß. Lanners Name daneben lockt euch nach Ober-Sankt-Veit, Morellys nach Fünfhaus, und gar die der zahllosen anderen Musikdirektoren, deren jeder seinen Ruf und sein Publikum hat, Mayer, Benda, Kraft, Drahanek, oder jene unaussprechlichen der Chefs von Militärmusiken, Massak, Knofl, Niemczek, Wiscoczil und wie sie alle heißen, die zu behalten ihr ein besseres Gedächtnis brauchtet als Cäsar!

Oder ihr wollt mit Bekannten eine Landpartie machen. Hunderte von Gesellschaftswagen und die Fiakervereine stehen euch für eine Kleinigkeit zu Diensten; oder zieht ihr es vor, bis an die Linie zu gehen, so schwingt euch auf einen »Zeisler« oder werft euch einem »Linienbauer« in die Arme, obwohl ihr dabei, wenn euch in solchem Fuhrwerk ein Stadtfiaker unterwegs begegnet, euer Ansehen in Gefahr setzt. Heiligenstadt mit seinem Bad, Sievering, Döbling, Weidling am Bach mit ihren Weinbergen, Dornbach und der reizende Galitzenberg, Penzing, Hütteldorf, wo euch des jovialen Dichters Castelli Villa gastlich winkt, Meidling, Sankt Veit, Laxenburg, die Brühl, weiterhin Baden – ihr dürft nur wählen; überall findet ihr frohe Menschen, überall entdeckt ihr Originale, wie sie euch sonst nirgends begegnen, scharf geschnittene Burlesken, die ihr auf der Volksbühne für Geschöpfe der Einbildungskraft halten würdet; wenn ihr Touristen von Profession seid, so skizziert sie im Portefeuille; sie nehmen euch nichts übel, aber macht um Himmels willen in ihrer Gesellschaft keine zweideutigen Bemerkungen über irgendeine Person, die sie lieben und verehren, sonst halten sie euch für ein Geschöpf, das nicht unter honette Leute gehört, und es geht euch schlimm. Vergeßt überhaupt, wenn ihr nach Wien kommt, vor allen Dingen nur nicht, das Herz mitzubringen; dann seid ihr jedem Wiener willkommen und werdet das Herz des Wieners gewiß nie vergessen!

Zweiter Teil. Die Donau


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