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Niederalteich ist die erste interessante Stätte, welche wir auf der Donaufahrt von Deggendorf her erblicken. Am linken Ufer des Stromes, in der von dem Ohe-Flüßchen durchschnittenen Ebene, zu der sich das zurückweichende Vorgebirge des Böhmerwalds abflacht, zeigen sich die ausgedehnten Gebäude und die zwiefach getürmte stattliche Kirche der einst weit genannten, uralten Abtei, einer Stiftung Odilos II. vom Jahre 731, der zwölf Mönche von Reichenau hierher versetzte. Die Ungarn verwüsteten das Kloster, Heinrich, Herzog von Bayern, und Kaiser Otto stellten es wieder her, begabten es reich und überließen es Benediktinern. Das Kloster rühmte sich vieler seltener Reliquien und frommer Männer, die in seinen Zellen Gott dienten, des heiligen Gotthard, zu dessen Geburtshaus in Reichersdorf gewallfahrt wurde, des frommen Landgrafen Günther von Hessen, der zuerst in Niederalteich Mönch, später Einsiedler wurde, des heiligen Thiemo, Ratmund u.a.m. Doch nicht lange blieben Gottesfurcht und Demut im Konvent; im Jahre 1282 fiel der sittenstrenge Abt Volkmar meuchlings durch die Geschosse der zuchtlosen Brüder; der Abt Johann Heinrich, dem das üppige Leben der Konventualen ein Greuel war, verließ mit wenigen Gleichgesinnten das Kloster und wollte auf dem Haustein neue Zellen gründen.
Im Dreißigjährigen Krieg zerstörten die Schweden Niederalteich durch Brand, doch prächtiger erhob es sich wieder. Der durch fromme Schenkungen seit Karl dem Großen angewachsene Reichtum des Klosters war sprichwörtlich geworden; seine Einkünfte betrugen 100 000 Gulden, zu seinen Besitztümern gehörten auch die Wachau, die wir auf unserer Donaufahrt noch kennenlernen werden, und Ried am Riederberg. Gleichwohl drohte dem Kloster durch die Verschwendungslust des üppigen Abtes Ziegler, der einen jährlichen Aufwand von 90 000 Gulden machte, Verarmung, so daß dieser sich zur Abdankung gezwungen sah. – Etwas tiefer im Land, nördlich von Niederalteich, liegt Hengersberg, wo einst die Donau vorbeifloß; gegenüber von Niederalteich das Kirchdorf Thundorf.
Bei Gindlau und Aicha krümmt sich der Strom südwärts, und wir gewahren nun am fruchtbaren rechten Ufer, eine halbe Stunde landeinwärts an einer Höhe, das Städtchen Osterhofen, dessen Namen die Überlieferung von einem am Ostersonntag über die Ungarn erfochtenen Sieg herleitet, und hinter demselben die prachtvollen Gebäude des Prämonstratenserstiftes, unfern der Siegesstätte – der Osterwiese – auf der Stelle, wo früher eine fürstliche Pfalz gestanden, die Herzog Odilo in ein Kloster umgeschaffen hatte; die Grafen von Hals, des Klosters Schirmvögte, fanden in dessen Gruft ihre Ruhestätte. Mehrere Mönche von Osterhofen, die 1210 auswanderten, kamen nach dem Kloster Schlägel in Österreich ob der Enns, von dessen wunderbarem Stiftungsanlaß uns die Legende berichtet. – Am entgegengesetzten Ufer zeigen sich auf einem jähen Hügel die Trümmer des einst den Puechbergen gehörigen Schlosses Winzer, das Trencks Panduren, der Schrecken Bayerns, 1740 zerstörten. Weiterhin zeigen sich am linken Ufer die Dörfer Flintsbach, Neßlbach und Leufen, am rechten, landeinwärts, liegt Künzing (die Castra quintana der Römer); hier lebt noch das Andenken des heiligen Severin, der durch das Kreuz den angeschwollenen Bach in sein Bett zurückscheuchte und durch sein Gebet den Priester Sylvin vom Tode erweckte.
Am linken Ufer zeigen sich jetzt das Schloß Kreuzberg und der Markt Hofkirchen, wo in alten Zeiten die Ortenburger Grafen – jedem Donauschiffer ein Schrecken – von ihrem festen Schloß aus das Recht der »Grundruhr« übten, das ihnen ein willkommener Anlaß war, die Schiffe mit Übermacht anzufallen und auf die Sandbänke zu treiben, um sich der reichen Ladung zu bemeistern. Später wurde Hofkirchen der Fugger Eigentum. Jene Ortenburger gründeten am gegenüberliegenden Ufer, wo die große Ebene aufhört und herrliche bewaldete Höhen, denen des linken Ufers entsprechend, den Fluß lieblich umdämmen, den Markt Pleinting.
Das Stromtal entfaltet allmählich die ganze Fülle und Mannigfaltigkeit seiner Reize. An der Pforte desselben steht die Ruine Hilgartsberg, einer schönen trauernden Witwe gleich, die ihren starken Schirmherrn verloren hat; noch ist's so lange nicht her, daß unselige Ökonomie den herrlichen Wartturm untergrub – um dessen Quader verwenden zu können. Im Mittelalter war Hilgartsberg, das noch im vorigen Jahrhundert freundliche Weinberge umgaben, ein Raubschloß; im Jahre 1740 steckten es die Panduren in Brand.
Gegenüber sehen wir Einöd, weiterhin das Wallfahrtskirchlein Maria Baum und Vilshofen im Winkel, den die Vils mit der Donau, in die sie hier mündet, bildet; von der Römerstraße berührt, deren Spuren auf dem hinter der Stadt sich erhebenden Berg gewiesen werden. Vilshofen (die Villa quintanica der Römer) soll durch Rapoto den Ortenburger im 11. Jahrhundert Wälle und Stadtgerechtsame erhalten haben. Von den Kriegen Friedrichs des Schönen und Ludwigs des Bayern bis zu den Freiheitskämpfen der Bayern in den Jahren 1705 und 1706 ist Vilshofens Geschichte nur eine Reihe von Kriegsnöten. Aus jenen Tagen leuchtet die Treue der Blutzeugen noch hell wie Sonnenglanz in die Gegenwart; der Markt Aidenbach bei Vilshofen ist ein zweites Sendling.
Der Oberst d'Argnan hatte Vilshofen, das nur mit anderthalbhundert Landesverteidigern besetzt war, überrumpelt und genommen; und sogleich erhoben sich die Bauern in der Gegend, um die Stadt von dem Feind des Vaterlands wieder zu befreien. Indessen rückte schon Kriechbaum von München her gen Vilshofen, d'Argnan zu Hilfe. Vereinigten sich beide, so traf die gute Sache ein entscheidender Schlag, und die besten Hoffnungen waren vernichtet. Deshalb erhielten Prielmaier, d'Oksfort und Zelli von dem Rat der Landesverteidiger in Braunau Befehl, dem Feind entgegenzugehen. Doch Dünkel und Verrat wirkten dem offen entgegen; diese Adeligen weigerten sich, zu gehorchen, bis endlich der Schützenoberst Meindl aufbrach. Indessen war Kriechbaum mit seinen Scharen bereits bis gen Vilshofen geeilt und griff ohne Verzug am 8. Jänner die Landesverteidiger (7000 an der Zahl) an, die ihn bei Aidenbach in einer günstigen Stellung erwarteten, auf einem Hügel, im Rücken durch den Wald gedeckt, vor sich einen Bach und Sumpfboden.
Aber ihrem Anführer, Johann Hoffmann, sank, wie er die Feinde in geschlossenen Reihen heranrücken sah, der Mut. In dumpfer Apathie stand er und ließ die Kaiserlichen gewähren. Als sie endlich ungehindert den Hügel hinanstürmten, wandte er sich zur Flucht in den Wald; viele folgten ihm in unseliger Verblendung, viele hielten stand und wehrten sich gegen die Feinde, die den Hügel vollends erstiegen, bis auf den letzten Mann. Bis die Nacht hereinbrach, würgten die Kaiserlichen unmenschlicher als bei Sendling. Und dennoch vermochte auch dieses Unglück weder den Mut noch die Hoffnungen des treuen Volkes zu beugen, und neue Scharen erhoben sich gegen die Übermacht der Unterdrücker – umsonst; es war beschlossen, daß das Volk den Kelch des Elends bis auf die Neige leere.
Vilshofen ist eine hübsche, freundliche Stadt, der man das viele Kriegsleid, das sie im Laufe der Zeiten erduldete, nicht ansieht; die Pfarrkirche gehörte früher einem Kollegiatsstift, dessen Chorherren die Devise »Allain« trugen. Diese bezieht sich auf die Stiftung desselben durch den Ritter Heinrich Tuschl von Söldenau, der, schon bei Jahren, ein junges Weib nahm, das ihm ein Edelknabe entführte. Den Verlust beklagend und die Verlorenen suchend, durchwanderte er drei Jahre lang aller Herren Länder, bis er endlich beide in Welschland wiederfand. In der ersten Wut wollte er beide ermorden; doch nach besserer Überlegung verließ er sie voll tiefer Verachtung, ohne sich ihnen zu erkennen zu geben. Nach Hause gekommen, gründete er 1376 das Kollegiatsstift zu Vilshofen und schrieb unter den Stiftungsbrief den Reim:
»Zwei Hund an ein Bain;
Ich Tuschl bleib allain.«
Vilshofens Umgebung ist interessant: jener Markt Aidenbach, Ottenburg, des mächtigen Grafengeschlechts Wiege, und Aldersbach, die weiland Zisterzienserabtei.
Am linken Ufer gewahren wir, nachdem wir Vilshofen verlassen haben, Hackldorf und Windorf, am rechten Hausbach, Ottenham und Sandbach, wo das »Kachlet« – ein wildes Gefährt – der Schiffer Schrecken war; wie die Felsblöcke, welche die Schiffahrt hier so gefährlich machen und deren Sprengung jetzt im Werk ist, in die Donau gekommen sind, erzählt die Sage also: Als Friedrich Rotbart mit vielem Volk das Kreuz genommen hatte, um Jerusalem zu befreien, habe der Böse, darüber erzürnt, auf der hohen Wand am rechten Ufer gelauert, einen Berg zum Wurf bereitgehalten, bis die Flotte der Kreuzfahrer in die Stromenge gekommen war; da wollte er den Felsberg auf sie herabschleudern und alle auf einmal vernichten. Aber der Bischof von Regensburg habe des Bösen Absicht erkannt und ihm das Pektorale entgegengehalten, da sei der Berg, in viele Blöcke zerborsten, in die Fluten gestürzt, ohne daß ein einziger ein Schiff der Kreuzfahrer versehrt hätte.
Wir fahren nun zwischen Seestetten und Gaishofen durch; am rechten Ufer sehen wir den steinernen Löwen, den die Bewohner des Unterdonaukreises, König Max I., der die Straße längs des Stromes anlegte, zum Andenken auf den jähen Felsen hinstellten. Bei Heining wendet sich der Strom plötzlich, und schon entdecken wir im Grunde des Donautals die Türme Passaus, die Wälle und Zinnen der Veste Oberhaus; je näher wir Passau kommen, um so reizender entfaltet sich die Landschaft; dicht vor Passau liegt am rechten Ufer der Donau der Flecken St. Nikola, wo Bischof Altmann 1074 für regulierte Chorherren ein Stift gegründet hat, am linken der Lustort Eggendobel mit seinen beliebten »acht Seligkeiten«.
Man hat Passau, was seine Lage betrifft, häufig mit Koblenz verglichen – insofern jedoch zu unrecht, da die Lage Passaus jene von Koblenz an malerischen Reizen übertrifft. Drei Städte sind es, die im allgemeinen unter dem Namen Passau begriffen werden: das alte Bojodurum, die heutige Innstadt am rechten Ufer des grünen Inn, wo er in die Donau mündet; dann das eigentliche Passau auf der Landzunge zwischen Donau und dem Inn, wo die Römer das Kastell der batavischen Kohorte, die Castra batawa, hinbauten; und endlich die Ilzstadt auf dem felsigen Delta, das die Ilz, die von Norden her der Donau zueilt, mit dieser einschließt. Der Mariahilfberg – auf dessen Höhe die Wallfahrtskirche – am rechten Ufer des Inns und der Georgenberg – auf dessen Felsgipfel die Festung Oberhaus – gewähren dem Freund landschaftlicher Schönheiten die geeignetsten Standpunkte zur Anschauung; vom Georgenberg zumal genießt ihr eine entzückende, wechselreiche Aussicht über das waldumsäumte Stromtal des Inn, die Innstadt, den Mariahilfberg und St. Nikola, über das Donautal und hinab auf die perlenführende Ilz, die, von den Ruinen des Schlosses Hals herkommend, aus engem Tal ins breite Strombett mündet.
Passaus Geschichte reicht, wie wir bereits andeuteten, in die Zeiten der Römerherrschaft hinauf; die Welteroberer fanden am Inn die alte Bojenstätte und säumten nicht, sie zu befestigen, – ihr gegenüber erbauten sie die Batava castra; noch heute weist man euch die Überreste des römischen Machtbaus, die »Römerwehr« am Domplatz; auf römischen Fundamenten steht das Schloß »Am Ort«. Das Andenken des heiligen Severin lebt auch in Passau; in der Innstadt (dem Bojodurum) steht noch die Severinskirche auf der Stelle, wo jener fromme Mann Zellen für sich und seine Schüler erbaut hatte. Aus jenen Zellen hervor schritt er dem Alemannenkönig Gibold mit der Bitte entgegen, die Stadt zu verschonen, und dieser befahl, von dem ehrwürdigen Aussehen des Gottesmannes in tiefster Seele bewegt, die Freilassung aller gefangenen Römer; dort soll der Heilige auch die Zerstörung von Batavis prophezeit haben, die um das Jahr 475 durch Kunimund erfolgte, während die Bewohner der Ernte wegen die Stadt verlassen hatten.
Aus der langen Nacht der Barbarei, da alles Land ringsum eine Wüste war, taucht Passau mit dem Beginn des 8. Jahrhunderts wieder auf, als nach der Teilung Bojoariens unter die drei Söhne Theodos Theodoald »Pazowe« und diese aus den Trümmern der alten Batavis entstandene Stadt in Theodor einen Seelenhirten erhielt. Als die Awaren ungefähr zwei Jahrzehnte später Lorch bedrohten, flüchtete der dortige Bischof Wiwilo nach Passau und erhielt bei der Herstellung der Kirchenzucht in Bojoarien und der Teilung desselben in vier Sprengel daselbst das Bistum; von jener Zeit an behielt Passau fortwährend seine Seelenhirten, die jedoch erst durch Otto III. die Landeshoheit über die Stadt und deren Gebiet zugesprochen bekamen. Um jene Zeiten waltete in Passau der fromme, werktätige und mutige Bischof Pilgrim, dessen Andenken noch im Lied lebt, durch den das Bistum weltliche Macht und Besitz bis tief nach Österreich hinab vermehrt wurde.
Zur Zeit Friedrich Rotbarts versuchten die Bayern, Passau der weltlichen Macht des Bischofs für sich zu entwinden; 1258 besetzte der Böhmenkönig Ottokar, 1266 nahmen abermals die Bayern die Stadt; immer aber gelang es den Bischöfen, ihre Macht wieder zu erringen und zu behaupten, und noch heute, da sie seit 1805 Bayern wieder gehört, läßt sich, was die Physiognomie der Stadt betrifft, ihr historischer Charakter als der einer Bischofsstadt nicht verkennen. Wir unterlassen eine Aufzählung aller jener Leiden Passaus durch Hungersnot, Krieg und Brand, deren genaue Aufzeichnung den alten Chronisten so wichtig schien; den Höhepunkt seiner Geschichte scheint uns Passau im Jahre 1552 erreicht zu haben, als daselbst, infolge des Kriegsglücks, das den kühnen Moritz von Sachsen krönte, die Fürstenversammlung zusammentrat, in der der Vertrag vom 2. August zustande kam, worin versprochen wurde, »keinen des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses verwandten Stand, des Glaubens halber, zu vergewaltigen«; drei Jahre später erwuchs aufgrund dieses Passauer Vertrags der Religionsfriede.
Die Ilzstadt mit der Veste Oberhaus, der von Bischof Ulrich II. 1215–19 erbauten Zwingburg die auch Asyl der Passauer Bischöfe war, ist ein Zeuge der blutigen Intoleranz des Mittelalters; noch führt man euch, wenn ihr die Festung besucht, in den »Judenkeller«, wo in den Tagen des Fanatismus die Juden, die die Ilzstadt bewohnten, dem Hungertod überliefert wurden; die Wiedertäufer mußten ihren religiösen Wahn in einem anderen unterirdischen Kerker der Festung büßen; wäre jeder Seufzer, der je einem Unglücklichen auf Oberhaus sich entwunden hat, stets ein Wort gewesen, für Menschenohren zu hören wie für das Herz des Allerbarmers!
Die lebhafte Erinnerung an diese Barbarei führt uns zunächst zu jener an den Aberglauben. Wer hat nicht zuweilen schon von der in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges so berühmten Passauer Kunst gehört, durch die sich verzagte Kriegsleute gegen Hieb und Schuß fest machten? Einem Studenten oder Scharfrichter wird die Erfindung derselben zugeschrieben; sie bestand darin, daß der Mutlose einen Zettel verschluckte, auf dem kräftige Zaubersprüche und die Worte
Teufel, hilf mir,
Leib und Seel' geb' ich dir
aufgeschrieben waren; doch wirkte die Kraft des Zaubersegens erst nach Verlauf eines Tages; wer ihn verschluckt hatte und vor Ablauf dieser Frist starb, war dem Teufel verfallen; viele grausige Sagen werden von gottlosen Kriegsleuten erzählt, die sich der Passauer Kunst ergaben.
Der Charakter der Bewohner Passaus, wie sie jetzt sind, beschämt den geschichtlichen der Stadt und entspricht dem heiteren der Natur. Jene Judentöter und Wiedertäufer-Schlächter sind nicht mehr, und ihr dürft sie durchaus nicht geradezu als die Ahnen der jetzigen Generation betrachten; jene starben ohne geistige Zeugungskraft, und was jetzt in Passau lebt, hat mit den heillosen Tollheiten des Aberglaubens und des Fanatismus keine Gemeinschaft mehr. Gute Katholiken sind die Passauer, aber frohe, gesunde und fleißige Bürger obendrein wie jemals, und nicht leicht wird irgendwo in Bayern der ruhelos spukende Geist der sogenannten guten alten Zeit weniger Erlöser finden als in Passau – es müßten denn die »Drotteln« oder »Fexen« sein, deren wir manche hier finden.
Wunderlich! Fast von Vilshofen an erinnert uns das Äußere der Häuser an den Donauufern an die Alpengegenden Salzburgs – von Passau an bis beinahe Linz das häufigere Vorkommen jener Kretins, deren volkstümliche Bezeichnung wir früher aussprachen, nicht weniger. – Scheußlich, das Erhabenste in der Schöpfung – die Menschengestalt – so durchaus zum Vehikel der Bestialität herabgewürdigt zu sehen! Auf der Brücke, die Passau mit der Ilzstadt verbindet, seht ihr zwei solcher Geschöpfe verschiedenen Geschlechts, die sich wechselseits necken und höhnen! Vermögt ihr's, über die unbeholfenen Kapriolen derselben, über die tierischen Laute, die sie ausstoßen, zu lachen? Wir sind nicht zimperlich, und uns ekelt nicht leicht, aber diese Entwürdigung der edlen Menschengestalt empört uns; wir haben kein leichtfertiges Gewissen, aber wir halten es nicht bloß für eine Wohltat, sondern vielmehr für eine Pflicht gegen unsere Brüder und gegen den Geist der Gottheit, der den Tempel von Fleisch und Bein, in den er sich niedersenkt, heiligt, jene Geschöpfe auf was immer für eine Art aus dem Kreis der menschlichen Gesellschaft fortzuschaffen. – Fort jetzt von diesen Scheusalen! Erholen wir uns an dem Anblick der Natur, der Handels- und Gewerbetätigkeit, der wir in Passau allenthalben begegnen, und des monumentalen Charakters der Stadt.
In der Mitte der von der Donau und dem Inn ummarkten Landzunge steht auf einer Anhöhe, von der die Straßen wie enge Schluchten nach verschiedenen Seiten hin mehr oder minder jäh sich hinabsenken, die Domkirche und vor derselben auf dem Paradeplatz die ikonische Statue König Max' (stehend, im Krönungsanzug, die linke Hand zum Segen ausgestreckt), ein Denkmal der Volksliebe: »Wie die Geschichte seine Thaten, so möge dies Metall sein Bild den kommenden Geschlechtern überliefern«, sagt die Lapidarinschrift auf dem Piedestal; drei Meister aus Passau fertigten: Eichler die Zeichnung, Jorhan das Modell, Samassa den Guß dieser Erzstatue. Der Dom prangt leider nicht mehr mit jenen drei Türmen im reinen deutschen Baustil, wie wir ihn auf einem alten Kupferstich, der vor uns liegt, erblicken; die Feuersbrunst vom Jahre 1662 zerstörte diesen seiner Zeit vielbewunderten Bau bis auf den Chor, und der unseligen Wut unserer Ahnen vom 17. und 18. Jahrhundert, alles Überkommene den Anforderungen des Schnörkelgeschmacks entsprechend zu modernisieren, haben wir obendrein die möglichste Verkleisterung fast aller Reste jenes ursprünglich so schönen Kirchengebäudes zu verdanken. Dem Dom gegenüber befindet sich auf dem Paradeplatz das dem Postamt eingeräumte Gebäude, in dem 1552 der Passauer Vertrag abgeschlossen wurde. Außer diesen beiden ziehen in diesem Teil Passaus noch die Bischofsresidenz, das Rathaus, die Paulskirche, die mit dem Jesuitenkollegium verbundene Michaelskirche und das den englischen Fräulein eingeräumte Nonnenkloster Niedernburg unsere Aufmerksamkeit an; in der Innstadt die dicht am Ufer liegende Severinskirche und die Gertrudenkirche. Bevor wir unsere Donaureise abermals unterbrechen und das Gebiet des Inns stromaufwärts durchwandern, machen wir an der Ilz aufwärts einen Ausflug nach dem ungefähr eine Stunde von Passau entlegenen Flecken Hals, wo die Ilz, in raschen Krümmungen das Felsental durchrauschend, zwei Landzungen umschmiegt, auf deren einer das Schloß Hals thront, das Herrenhaus der mächtigen Grafen, die 1375 ausstarben. Am Fuß des Reschensteins mündet der vom Jahre 1827 bis 1831 durch Granit gesprengte Kanal der »Triftsperre«. Ein eigentümliches Landschaftsbild, das sich an dieser vor euren Blicken entfaltet – die wildschöne trotzige Natur erschaut ihr in schöner Eintracht mit den Trophäen ihrer Überwinderin, der Menschenkraft.
Wie ihr den Alpensohn auch mitten im großstädtischen Gewühl nicht so leicht verkennen könnt (unter all den blassen, von Leidenschaften und Gewohnheiten wechselseits ausgeglichenen Gesichtern sticht das gesunde Rot seiner Wangen, das er der reinen Bergluft und der Einfachheit der heimischen Sitten verdankt, sticht der kecke, stolze Blick gar mächtig hervor), so behauptet auch der Inn von seiner Heimat Der Inn entquillt in Graubünden, auf der südöstlichen Seite des Septimerberges, aus den Eisfeldern. Bald nimmt ihn ein Wildsee auf, durch den er sich Bahn bricht; dann springt er keck von Berg zu Berg bis auf die Fläche von Maloja herab, sammelt die Alpenbäche des Engadins, nimmt bei Innsbruck die Sill auf und eilt an Kufstein vorbei nach Bayern. bis zu seinem Brautbett hin seinen Charakter; am raschen Dahinstürmen, an der frischen Farbe seiner Fluten seht ihr's ihm gleich an, was für ein Landsmann er ist; so recht wie ein rüstiger Jüngling tritt er von Kufstein her aus dem Zauberland Tirol bei Oberaudorf ins Bayernland wie ein Mann in der Blüte der Schönheit und Kraft, der alle Frauenherzen unwiderstehlich mit sich fortreißt; zwei Nebenbuhlerinnen gleich eilen von verschiedenen Seiten in gleicher Richtung die wunderholde Bergjungfer, die Salzach, ihrem paradiesischen Salzburger Tal entflohen, und die seegrüne Alz, die ihr geheimnisvolles Vaterhaus, den Chiemsee, verlassen hat, ihm zu; seiner ungestümen Umarmung kann die Donau sich kaum erwehren, wie er sein ganzes Selbst an sie aufgibt – in ihr vergeht!
Von der Mündung des Inns an dessen linkem Ufer stromaufwärts wandernd, kommen wir nach dem mit stattlichen Türmen und Mauern das Land beherrschenden, weitläufig gebauten Schloß Neuburg, wo einst die Grafen von Neuburg, Lambach und Pütten saßen, und erblicken am gegenüberliegenden Ufer die Trümmer Wernsteins; dann gelangen wir nach dem Kloster Vornbach, wo der Inn sich mit Macht durch die Schlucht Karpfenstein zwängt, und weilen staunend vor Neuhaus, das hoch auf dem steilen, vom Strom umbrausten Felsen trotzt.
Dann besuchen wir die österreichische Grenzstadt Schärding, einst als Festung sehr wichtig, wo der Strom eine auf 11 massiven Pfeilern ruhende Brücke trägt, und gedenken daselbst des wackeren Gelehrten Michael Denis, der hier geboren wurde, und seiner vaterländischen Gesänge, gedenken auch des Martertodes, den hier Luthers Freund Lienhard Kaiser am 16. August 1527 auf dem Scheiterhaufen fand. Dieser war, so erzählt Zschokke, nachdem er sieben Jahre lang Pfarrhelfer zu Waizenkirchen gewesen und freier Grundsätze willen vom passauischen Domherrn Berger, seinem Pfarrherrn, angeklagt worden ist, nach Wittenberg zu Luther geflüchtet. Kindliche Liebe hatte ihn aber an das Sterbebett seines Vaters in die Heimat zurückgeführt. Hier verraten, brachte man ihn in die Veste Oberhaus ob Passau. Zehn Wochen lag er im Unflat des Kerkers unverhört. Dann wurde er seinen Richtern vorgestellt, um zum Tode verdammt zu werden. Vergebens weinten seine Brüder und eine hochbetagte Mutter zu den Füßen des Ketzerrichters Johannes Maier von Eck; vergebens baten Fürsten und Grafen für des guten Mannes Tage. Den Glauben, dem er unter den Qualen der Foltern treu geblieben war, verleugnete er auch nicht, als er gefesselt vor die offenen Schranken geführt wurde, wo Bischof Ernst, umringt von Weihbischöfen, Äbten und zahllosem Volk, saß, das Urteil zu sprechen. Es schrie ihn der Bischof an: »Widerrufe!« Bescheiden und fest sprach Lienhard: »Alles, nur nicht, was Gottes Wort sagt.« Da rissen sie ihm das priesterliche Gewand ab, schoren sein Haupt, deckten es mit einem zerfetzten Barettlein und seinen Leib mit schlechten Lumpen. Also überantworteten sie ihn dem weltlichen Arm des Landrichters von Schärding. Lienhard Kaiser ging heiteren Muts den Todesgang, schied tröstend von Mutter und Brüdern, legte sich auf den Holzstoß und betete für seine grausamen Richter. Noch sein Schmerzensschrei in den Flammen war Gebet. – Solcher Männer Gedächtnis in unseren Tagen zu erneuern, dünkt uns wichtig und Pflicht.
Zwischen Schärding und Braunau machen sich uns auf der österreichischen Seite Obernberg, Hagenau, auf der bayerischen Hartkirchen, Riedenburg und Simbach bemerkbar. Braunau breitet sich in einer schönen Ebene aus; über den Strom führt hier eine hölzerne Brücke aus österreichischem auf bayerisches Gebiet; die Pfarrkirche, aus Tuffsteinquadern erbaut, die Spitalkirche und das Rathaus fesseln bei einem Besuch Braunaus unsere Aufmerksamkeit. An dem Rathaus wie an dem Stadtturm und an der Außenseite der Stephanskirche wird das Bild des Ratsherrn und Stadthauptmanns Hans Steininger gezeigt, dessen Bart, in zwei Flechten herniederhängend, viereinhalb Ellen lang war und – so geht die Sage – seinen Tod veranlaßte, da er einstmals, vor Schrecken vom Tisch aufspringend, sich in denselben verwickelte, stürzte und den Hals brach; ein anderes Wahrzeichen Braunaus ist das »eiserne Roß«, das die Bürger zum Andenken an die Hungersnot während der Belagerung von 1742 auf einem hohen Dach aufrichten ließen. Braunau soll auf der Stelle des römischen Brundunum stehen, sein erster Bewohner ein Meyer Heinrich von Ranshofen gewesen sein.
Unsere nächste Raststation auf der Wanderung an den Ufern des Inns ist die heitere Stadt Neuötting, von wo aus wir zu dem uralten Gnadenbild der Muttergottes in Altötting, dem seit unvordenklichen Zeiten berühmtesten in Bayern, wallen, den Reihen der Pilger uns anschließend, die von allen Weltgegenden her nach dem auf einem freien Platz stehenden, mit Weihegeschenken reich begabten Kirchlein ziehen; St. Rupert selbst soll, wie die Überlieferung meldet, das Gnadenbild dort aufgestellt haben; gleichwohl predigte vor demselben, wie die Geschichte uns meldet, in den Tagen der Reformation Wolfgang Ruß gegen die Eitelkeit der Wallfahrten. In diesem Kirchlein war's, daß der Kurfürst Maximilian Emanuel von Kaiser Leopold einen kostbaren Degen empfing, denselben, von dem er nach der Befreiung Wiens von den Türken 1683 freudig ausrufen konnte: »Dieses Schwert, von Eurer Majestät Hand trage ich's, bleibe der Vertilgung aller Feinde des Christennamens und Eurer Majestät ewiglich geweiht.«
Die nächste geschichtlich interessante Raststätte, welche wir erreichen, ist das alte Mühldorf am linken Ufer des Inns; bis 1802 im Besitz der geistlichen Fürsten von Salzburg. Hier floh der sieggewohnte Böhmenkönig Ottokar, der schon Schärding und Neumarkt genommen und Ried durch Brand verwüstet hatte und des ganzen Vilsgaus Meister war, 1258 vor den herzoglichen Brüdern Heinrich und Ludwig über den Inn. Von dem Gedränge seines in grenzenloser Verwirrung ihm nacheilenden Heeres brach die hölzerne Innbrücke – 5000 ertranken; die ans Ufer schwammen, wurden von den Bayern mit Spießen in den Strom zurückgetrieben oder niedergehauen; die sich in die Stadt flüchteten, mußten sich nach vierzehntägiger Verteidigung ergeben; die vierte historische Freske in den Arkaden des Münchner Hofgartens stellt dieses Ereignis dar.
Die Erinnerung an den Sieg der Bayern bei Mühldorf gemahnt an einen anderen geschichtlich noch wichtigeren, an jenen auf den Feldern zwischen Mühldorf und Ampfing erfochtenen Ludwigs des Bayern, und wir wollen nicht versäumen, die Walstatt zu besuchen, auf der am 50. Gedächtnistag der Erhebung Rudolfs von Habsburg 1322 sein Enkel Friedrich der Schöne Krone und Freiheit verlor. An der Spitze seines Heeres hatte Ludwig den 60jährigen Schweppermann gestellt, der erst am Nachmittag vor der Schlacht im Lager ankam; am Abend breitete sich das bayerische Heer auf dem Schlachtfeld aus von Erharding über Massing und Mößling bis Mettenheim und Neufahrn, mit dem rechten Flügel über Ampfing hinaus. »Schweppermanns Absicht war wohl«, meint Hormayr, »Die Schlacht um das römische Reich bei Ampfing und Mühldorf. Taschenbuch für die vaterländische Geschichte für 1830.« In der obigen Erzählung folgen wir der Darstellung Hormayrs., »den Hauptangriff auf den rechten Flügel des Feindes zu tun, ihn gegen die Mitte und gegen den linken Flügel zu aufzurollen, wenn es ginge, von dem einzigen Rückzug auf die Mühldorfer Innbrücke wegzudrängen und in die unwegsamen Waldungen gegen Haslbach und Haun hineinzuwerfen.«
Das Heerbanner der Bayern trug der Schlüsselberg, auf dem linken Flügel standen die Böhmen unter ihrem König Johann, im zweiten Treffen hinter ihnen Herzog Heinrich von Niederbayern; in der Mitte die bayerischen und nordgauischen Ritter und Bürger; auf dem rechten Flügel die Oberbayern und die Reichshälfte unter Konrad von Baiersbrunn; Schweppermanns Schwager, Albrecht von Rindsmaul, befehligte einen eigenen fliegenden Haufen, um Friedrich im Auge zu behalten, zu ermüden und zu verwirren. Der Burggraf von Nürnberg besetzte, in österreichischen Farben, das Terrain jenseits der Isen; König Ludwig selbst hielt sich im einfachen blauen, mit weißen Kreuzen besäten Wappenrock in der Mitte des Heeres. Den rechten Flügel des feindlichen Heeres bildeten die Ungarn und die Reichshilfe unter Friedrichs des Schönen Anführung; die Heerhaufen der Österreicher und Steiermärker führten die Brüder Waldsee und der Marschall von Pillichsdorf an, umgeben von Friedrichs Bruder Heinrich und von dem Kärntner Herzog Heinrich; den äußersten linken Flügel bildeten die Bischöfler. Vor dem Beginn der Schlacht schlug Friedrich im goldenen Harnisch, den Kronhelm auf dem Haupt, 93 junge Edle zu Rittern.
Mit dem grauenden Tag begann die Schlacht, deren Erfolg den langen Kampf der Gegenkönige um die deutsche Krone beendigen sollte; die Kumanen eröffneten sie mit wildem Geheul, Pfeilschüssen und Angriffen auf die Böhmen; die österreichischen schweren Reiter rückten nach, bald waren die Böhmen geworfen, schon stürzte ihr König Johann, ein unbekannter Ritter zog ihn noch im rechten Augenblick unter dem Streitroß Pillichsdorfs hervor; schon begannen auch die Bayern über die Isen zu weichen, schon schwebte König Ludwig selbst in äußerster Gefahr (die tapferen Münchner Sauerbäcker retteten ihn), schon schien die Schlacht für ihn verloren, als Schweppermann den linken Flügel über die Isen zurückwandte, wodurch die Feinde sich plötzlich dem Sonnenschein wie dem Wind und dem Staub entgegengestellt fanden; zu gleicher Zeit rückte der Burggraf von Nürnberg mit seinen Scharen aus einem Waldtal an der Isen vor, die Friedrich, durch die österreichischen Fahnen und Farben getäuscht, für die erwarteten Hilfstruppen seines Bruders Leopold hielt; bald entdeckten die Österreicher an dem Gemetzel, das in ihren Reihen entstand, den Irrtum; doch da war die Schlacht schon entschieden. In ungeheurer Verwirrung drängten jetzt die Österreicher, von den Siegern verfolgt, an und über die Isen zurück; auf der großen Wiese, wo jetzt das Schloß Zangberg steht, wurden Heinrich von Kärnten und Heinrich, Friedrichs des Schönen Bruder, wurden die Edelsten aus Österreich, Steiermark und Salzburg gefangen; König Friedrich aber focht noch mannhaft fort, mit ihm standen Hektor von Trautmannsdorf (23 seines herrlichen Geschlechts lagen ritterlich treu auf ihren Schilden hingestreckt), Heilwig von Wurmbrand und der edle Marschall, der Pillichsdorf.
König Friedrich, meldet unser Gewährsmann, habe eben einen letzten, verzweifelten Angriff tun wollen über die Isen bei der später sogenannten Hirnmühle. Hier sei er auf den vom Himmelberg und aus den Hohlwegen herabkommenden fliegenden Haufen Albrechts von Rindsmaul gestoßen, der wütend auf ihn eingedrungen sei. Friedrichs Pferd stürzte, von Pfeilen durchbohrt, und begrub ihn zum Teil unter seiner Last. In dieser hilflosen Lage ergab er sich Rindsmaul, ihn fragend, zu wessen Haufen er gehöre. Und wie Herr Albrecht geantwortet habe, des Burggrafen von Nürnberg, ließ der unglückliche König diesen herbeirufen und übergab ihm sein Schwert. Friedrichs Gefangenschaft entschieden zu haben, rühmten sich viele. Er aber, darüber befragt, ließ sich die Schilder vorweisen, und den Büffelkopf mit dem Ring erblickend, sprach er: »Vor diesem Kuhmaul könnt' ich mich heute nimmermehr wehren.« Das war die rechte große Fangwiese (»Fachwiese« heißt sie ja noch heute), auf der Friedrich erlag.
Bekannt sind die Worte Ludwigs, als er dem gefangenen Gegenkönig die Hand reichte: »Wir sehen Euch gerne bei uns«; bekannter sind jene anderen zu Schweppermann bei Verteilung der Eier. Das Andenken des Sieges bewahren noch heute die auf dem Schlachtfeld eine halbe Viertelstunde oberhalb Ampfing durch Ludwig erbaute Kapelle und der Name des Weilers Wimpassing (»Wenn wir siegen!« – Gelübdeworte Ludwigs vor der Schlacht, wie die Überlieferung meldet) sowie jener der Kapelle Sattlern, wo Ludwigs Pferd strauchelte, als der König bei Görzen an der Vils ritt.
Die nächsten Orte, die wir an den Ufern des Inns finden, sind das alte Kraiburg, am Abhang eines Hügels, auf dem einst die Kronburg stand; von diesem Hügel bietet sich die weite Aussicht auf das Stromtal, da zeigen sich der Törringer altes Schloß Jettenbach, über dem Inn das weiland Kloster Au, gen Osten hinab das Schloß Guttenberg und zahlreiche Ortschaften auf der Fläche zerstreut. Wir verlassen jetzt für kurze Frist den Inn und wenden uns nach den früheren Klöstern Au und Gars, von da nach dem Flecken Haag, einst dem Mittelpunkt einer Grafschaft, deren erste Herren die Gurren von Haag waren, die einen springenden Schimmel im roten Feld im Wappen führten, dessen Ursprung die Schildsage auf die Bezwingung eines gewaltigen Räubers und den Dank bezieht, der dem Sieger zuteil geworden sei, »soviel Land zu besitzen, als er während eines Tages auf seinem Schimmel umreiten könnte«.
Den Gurren folgten im 13. Jahrhundert die edlen Frauenberger im Besitz der Grafschaft, Friedrich II. bestätigte 1245 Seifried Frauenberger das Erbe. Ein anderer Seifried Frauenberger stritt 1336 mit Hektor von Trautmannsdorf, wer besser von Adel sei, und zeigte, daß der seinige 213 Jahre alt sei; aber Hektor erwies dem seinigen ein Alter von 352 und erbot sich, für den Ruhm seines Geschlechts im Zweikampf einzustehen. Der Frauenberger erlag, und Hektor schenkte ihn als Gefangenen der Kaiserin, welche daraufhin die beiden Nebenbuhler miteinander versöhnte. Die Stiftung Thalkirchen bei München durch zwei Frauenberger zum Haag erwähnten wir bereits früher. Ein Schwert, wie Hans Frauenberger eines trug, mögt ihr in wenigen Rüstkammern finden; der Frauenberger hatte es in 27 Schlachten geschwungen und so viele Feinde als Tage im Jahr damit auf den Sand gestreckt; die Scheide des Schwerts aber war die Haut eines Franzosen, den der Frauenberger im Zweikampf erschlug, weil jener dem deutschen Volk öffentlich Hohn gesprochen hat. – Der Frauenberger Besitz in Bayern war groß; ihr Geschlecht erlosch 1566; da kam die Grafschaft an die Bayernherzöge.
Von Haag wandern wir westwärts weiter, um das Schlachtfeld bei Hohenlinden aufzusuchen. Der Anblick der von Wäldern umkränzten Flur, in deren Mitte das damals von den Franzosen besetzte Dorf stand, festigt aufs neue die Achtung vor Moreaus taktischer Kunst; denn das Terrain ist für eine Schlacht eher ungünstig als vorteilhaft, alles handelte sich darum, den linken Flügel der Österreicher rasch zu umgehen; dadurch entschied sich an jenem denkwürdigen 3. Dezember 1800 das Kriegsglück für den kühnen Obergeneral.
Von Hohenlinden wenden wir uns südlich, bis wir in Ebersberg auf die nach Wasserburg führende Hauptstraße stoßen. Ebersberg liegt in einem freundlichen Hügelland, durch das sich die Ebrach windet und das gen Norden der große Forst begrenzt; Sighart aus dem Geschlecht der Sempter Grafen erschlug auf einem jener Hügel unter einer Linde einen riesigen Eber und baute zum Gedächtnis seiner Gefahr im Kampf mit dem Tier um 878 auf jene Stelle eine Kapelle und ein Schloß, das er Ebersberg nannte und das sich später als tüchtiger Damm gegen die Ungarnflut erwies. Sein Sohn Rathold berief um 911 Chorherren nach St. Augustins Regel gen Ebersberg, an deren Statt im Jahre 990 Benediktiner das um 934 vollendete Klostergebäude bezogen. Das Geschlecht der Grafen von Sempt und Ebersberg erlosch 1045 mit Adalbero III. Unter Herzog Wilhelm V. erhielten die Jesuiten das von den Benediktinern ihnen überlassene Kloster, nach der Aufhebung des Ordens übergab der Kurfürst Karl Theodor dasselbe nebst der Kirche und der Hofmark dem Großpriorat der Johanniter.
Über Steinhöring setzen wir nun, dem Inn wieder zueilend, unsere Wanderung gen Wasserburg fort. Von der Höhe des Berges zeigen sich tief unter uns die Giebel des Schlosses und die Türme der Stadt, deren Häuserzeilen die schmale eiförmige Landzunge, die der rasch dahinbrausende Inn umspannt, hoch aufgeworfenen Furchen gleich durchziehen; ein ungeheurer Kessel ist's, in dessen Boden wir hinabblicken und dessen Wände schroff emporsteigen. Wohl heißt die Stadt zu Recht eine Wasser-Burg, denn nur durch einen schmalen, in früheren Zeiten stark befestigten Streifen Land, wo sonst der Hals und der Engpaß in die Stadt führten, hängt sie mit dem Bergrücken zusammen. Das Ansehen der Stadt ist altertümlich, aber freundlich, wozu die fast südliche Bauart der Häuser mit Hallengängen und hohen Außenwänden, welche die niedrigen Dächer verdecken, nicht wenig beiträgt. Die Erbauung der Burg auf der Anhöhe der Halbinsel wird dem Grafen Engelbert von Hall und Lindburg zugeschrieben, der von seinem nahe bei dem Kloster Attel gelegenen Schloß Lindburg um das Jahr 1087 hierher zog; das Geschlecht der frommen Grafen von Hall und Wasserburg, die manche Klöster Bayerns reich begabten, erlosch im 13. Jahrhundert mit Konrad, der den mit Verkündigung des Banns über Friedrich II. betrauten, in Bayern bedrohten päpstlichen Machtboten Albert aufnahm und deshalb 1247 von Herzog Ludwig in Wasserburg belagert wurde.
Nach Konrads Tod kamen die Grafschaft und die Stadt, welche bereits 1220 Mauern und Gräben hatte, an die Herzöge von Bayern. Wasserburg empfing von dem edlen und weisen Freund und Förderer deutschen Bürgertums, Ludwig dem Bayer, wie von seinen Nachfolgern Stephan I. und Stephan II., Friedrich und Johann, zumal von dem Ingolstädter Herzog Ludwig im Bart, große Gnadenerweise. Der letztgenannte verlegte 1420 die Kreistage hierher, die bis 1793 im Rathaus gehalten wurden, und verlieh von Neuburg aus 1439 der Stadt, »zur Belohnung der unerschütterlichen Treue und Tapferkeit, welche die Bürger bei der im Jahre 1422 durch Herzog Heinrich von Landshut unternommenen schweren Belagerung bewiesen hatten, den fürstlichen Marktzoll und den Scheibenpfennig von jeder über die Brücke hereinkommenden Salzscheibe«; noch heute bewahrt man in Wasserburg 500 von jenen mehr als 1400 steinernen Kugeln, die bei der Belagerung wohl die Mauern der Stadt, aber nicht den Mut der treuen Bürger zu erschüttern vermochten. Auch die Herzöge Georg der Reiche (1500), Albrecht IV. (1507), Wilhelm und Ludwig (1529) und der Kurfürst Maximilian I. (1630) bedachten Wasserburg mit Gnaden und Privilegien. Die St.-Jakobs-Kirche stammt aus dem Jahre 1255 und wurde 1634 erneuert; das Spital stiftete 1341 der Pfleger Zacharies von Hohenrain.
Das Saatkorn der Reformation fand in Wasserburg einen fruchtbaren Boden; der Pfarrer Michael Keller pflanzte es 1525 und entrann einer schweren Ahndung nur durch eilige Flucht auf das Schloß des Bürgermeisters Ulrich Rehlinger von Augsburg und von da nach der freien Reichsstadt; drei Pfarrhelfer dagegen wurden ergriffen und zum Tode verurteilt. Diese Strenge vermochte jedoch nicht mehr, als daß die Bürger sich hüteten, ihre Glaubensansichten offen zur Schau zu tragen, und immerfort verlangte das Volk, verlangten auch die Landstände bis zum Jahr 1557 den Genuß des Abendmahls unter beiden Gestalten; als das tridentinische Konzil diesen den Laien versagte, wanderten mehrere der wohlhabendsten Familien aus, vor allen die Gumpelzheimer nach Regensburg.
Auf einem Berg des linken Innufers zeigt sich uns, eine Stunde südlich von Wasserburg, in malerischer Lage das Benediktinerkloster Attel, eine Stiftung des Grafen Arnold von Dießen (um 1040), die Engelbert, Graf von Hall und Lindburg, erneuerte. Eine Wegstunde weiter ersteigen wir die Anhöhe, auf der Rott liegt, das Aventin für das Aurisium der Römer hält; eine Völkerschlacht mag in uralten Zeiten hier getobt haben – die im Munde der Anwohner noch nicht erloschene Benennung des »Streitangers« in der Nähe stützt die Sage; in Rott saß ein edles Geschlecht, das schon im 11. Jahrhundert ausstarb; dem Kloster fielen die sämtlichen Güter der Grafen durch ein frommes Gelöbnis anheim. – Am rechten Innufer gewahren wir Altenhohenau, einst ein Nonnenkloster, das Graf Konrad von Wasserburg 1235 gestiftet hat.
Wo die Mangfall von Westen her in den Inn mündet, liegt in der wasserreichen Ebene, die weithin von den Vorbergen des Hochlands begrenzt ist, Rosenheim – ein freundliches, reinliches Städtchen, in dessen Nähe, zumal zwischen Westerndorf und Langenpfunzen, römische Altertümer gefunden werden; der Römer Pons Oeni scheint dieser Gegend anzugehören. In höherem Grade als die kümmerlichen Reste römischer Gefäße, die man uns in Rosenheim zeigt, erregt die dortige Saline unsre Aufmerksamkeit; als im Jahre 1613 zu Reichenhall ein neuer Salzquell floß und die Umgebung nicht Brennholz genug liefern konnte, die ganze Sole zu versieden, gab Herzog Maximilians (des nachmaligen Kurfürsten) Hofkammerrat Oswald Schuß den Plan an, einen Teil der Sole durch Druck bis Siegsdorf zu leiten, in dessen Umgebung Brennholz in Hülle und Fülle war. Maximilian genehmigte den Plan und übertrug 1616 dem sinnreichen Hofbaumeister Simon Reifenstuhl dessen Ausführung. 1618 war die Soleleitung über Siegsdorf bis Traunstein bereits vollendet; König Max ließ diese von Siegsdorf über Bergen am südlichen Ufer des Chiemsees bis Rosenheim weiterführen. Rosenheim hat auch eine Heilquelle; da sich aber nur wirklich Kranke entschließen können, dort eine Saison zuzubringen, um die Wirkungen der Mineralquelle oder des Salzbads zu versuchen, so begreift sich's ohne Versicherung, daß das soziale Leben jenen Fremden, die sich im engen bürgerlichen Kreis, geschweige in den Freuden und Leiden des bayerischen Philistertums nicht behäbig zurechtzufinden verstehen, wenig Anziehendes darbietet. Im Badehaus zu Rosenheim bist du wie eine Perle aufgehoben, wie eine solche nämlich, die noch in der Muschel steckt; und wenn du durch üble Launen deiner Krankheit oder des Wetters abgehalten wirst, Ausflüge in die ferneren Umgebungen zu unternehmen, so magst du von Glück sagen, wenn du die Protektion des Badekönigs erlangst und einen um den anderen Tag philosophische Betrachtungen über die Heilkraft der Langeweile gegen chronische Leiden anstellen kannst; Studien dazu magst du mittags an der Table d'hôte oder abends an dem verstimmten Fortepiano im Badehaus anstellen. Doch wir wollen Rosenheim für jetzt als Raststation und Mittelpunkt betrachten, von wo aus sich Ausflüge an den Inn bis zur Tiroler Grenze, ins Priental und an den Chiemsee unternehmen lassen.
Am linken Ufer des Inns immerfort stromaufwärts wandernd, erreichen wir Pang, Pfraundorf, Redenfelden, Raubling und Kirchdorf, am rechten zeigt sich uns der alte Markt Neubeuern mit seinem Schloß, dessen Besitz nach zahlreichen Wechseln zu Ende des 17. Jahrhunderts den Preising zufiel. Schöner als der Anblick Neubeuerns ist der des stattlichen, weitläufigen Schlosses Brannenburg, das wir, am linken Strom weiter aufwärts dringend, am Fuß des Brannenbergs in einem ebenso fruchtbaren wie reizenden Tal erblicken; Schloß »Branberg« wird schon im 14. Jahrhundert erwähnt, sein erster Besitzer war Kaspar von Winzer, dann ging es an die Pienzenauer, an die Hund und endlich – wie Neubeuern – an die Preising über. – Nicht sehr fern ist die Stätte, wo sich einst die Felsenfesten der Falkensteiner Grafen erhoben, und der hohe Petersberg, auf dem Graf Berthold von Andechs und Dießen 1100 ein Kloster stiftete, das in den Fehden des Herzogs Ludwig I. mit Meinhard von Tirol 1296 zerstört wurde. Ein geborstenes Glied jener Burgenkette, die sich im Hochland fast in gleicher Richtung mit dem Lauf des Inn hinzieht, ist die Ruine Kirstein.
Am rechten Ufer des Inn zeigen sich uns Nußdorf und der Heuberg, an den sich das hohe Kranzhorn reiht, von dessen Spitze sich die Grenzscheide Bayerns und Tirols bis an den Inn herabzieht, zu dessen beiden Seiten die Berghöhen mächtig emporsteigen, am linken Ufer die Bergriesen: der Falger und der Windbann, am anderen der Wilde Barm, der Kleine und der Große Kaiser und der Breitelstein. Auf bayerischem Gebiet passieren wir Niederaudorf, den wilden Auerbach und Oberaudorf; in dem Felsenpaß bei Schloß Auerburg, das dem Füssener Friedensschluß von 1745 zufolge geschleift wurde, kämpften 1800 Franzosen und Österreicher; dem rüstigen Audorfer funkeln noch heute die Augen, wenn er dir davon erzählt. So nahe an der Grenze, wo der Inn mit Ungestüm von Tirol herstürmend das stille Tal durchwühlt, können wir es uns nicht versagen, noch einige Schritte weiter zu tun und das Zauberland zu betreten, dessen Riesengletscher wir so oft in Morgenglut sich röten sahen, zumal eine historisch interessante Stätte, die alte Felsenfestung Kufstein, uns winkt. Das »schöne Lied von Kopfstein in behamer schlacht weise« und das Lied »vom Benzenawer« klingen uns im Ohr. Sobald wir die »Klause« durchschritten, öffnet sich das herrliche Tal; unsere Blicke schweifen entzückt über die klaren Fluten des Bergstroms, über die Felsen dahin, auf denen die Festung, eine rechte Grenzhüterin der beiden Länder, thront, und von einem in Duft und Sonnenschimmer verklärten Bergesgipfel zum anderen, wie sie hintereinander sich auftürmen, überragt von den Mauern der Alpenkette. Über die Innbrücke, auf der es uns ganz südlich zumute wird, wandeln wir in das Innere der Stadt und begrüßen freudig die österreichischen Farben wieder. Nicht aller Wechselfälle der Geschichte wollen wir hier, im Genuß der Landschaft schwelgend, gedenken, wie oft Stadt und Feste von Bayern an Tirol, von Tirol an Bayern kamen; wohl aber des tapferen Pienzenauers, der sie gegen den kaiserlichen Gemsenjäger Max I. verteidigte; dort am linken Ufer des Inn, in der Kapelle der Elf, ruht jener wackere Kriegsmann.
Im bayerisch-pfälzischen Erbfolgekrieg hatte Herzog Albrecht IV. Kaiser Maximilian die Herrschaften Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg abgetreten und dieser sie sogleich besetzt, Hans Pienzenauer, dem die Bayernherzöge die Kommandantenstelle Kufsteins übergeben hatten, aufs neue mit derselben betrauend. Doch der Pienzenauer wollte, sobald er vom Krieg im Bayernland hörte, von den Erben des Pfalzgrafen Ruprecht nicht lassen noch Kufstein dem Kaiser übergeben. Da rückte der letztere selbst, ergrimmt über des Pienzenauers Trotz, vor die Feste und forderte ihn zur Übergabe auf. Umsonst! Der Pienzenauer weigerte sich, und der Kaiser ließ nun die Feste beschießen, aber da der Pienzenauer sie für unüberwindlich hielt, befahl er, um den Kaiser zu höhnen, seinen Leuten, den Staub von den Werken mit Besen ins Fürstenlager hinabzukehren. Da schwor Maximilian Rache, der ganzen Besatzung Tod und dem, der um Gnade für sie flehen würde, einen Backenstreich. Zwei mächtige Geschütze ließ er dann aus Innsbruck herbeischaffen, den »Purlepaus« und den »Weckauf von Österreich«; die schossen eine Bresche in die vierzehn Schuh dicken Mauern, die Besatzung mußte sich ergeben, und der Kaiser – hielt seinen Schwur. Der Pienzenauer und seine tapferen Gefährten wurden vor ihn gebracht und dem Tode geweiht. Der Pienzenauer wurde zuerst zum Block geführt (wie das alte Lied uns meldet):
Er war der allererste,
Den man füret hinein,
Sein wammes war geschnüret,
Man bracht sant Johannes wein;
»Hab' urlob, liebe welte,
Gesegn' dich laub und gras,
Hilf mich dann heut kein gelte,
So wird mir nimmer bass.«
Achtzehn thät man richten,
Den ein'n teil liess man stan,
Das recht thät man verlängern,
Herzog von Braunschwig hat's gethan,
Zum künig thet er eilen:
»Gnädiger künig hochgeborn,
Gebt mir die armen knechte,
Man hat den besten geschor'n.«
Do antwurt ihm der künig:
»Wir schwuren einen Eid,
Wer für einen thät bitten,
Dem würd ein backenstreich.«
Zorniglich ward er sehre,
Hub auf sein rechte Hand,
Dess lacht der Herzog von Braunschwig,
Den schlug er an sein Wang.
Da eilten die Fürsten, die mit dem Kaiser im Lager waren, auf die übrigen dem Tode geweihten Kriegsmänner zu und faßten sie schützend in die Arme. –
Von Kufstein wandern wir am rechten Ufer des Inn zurück, gelangen nach Ebbs und wenden uns dann ostwärts. Über gewaltige Bergrücken klimmen wir jetzt und steigen wieder in das wilde Sachranger Tal, das die Prien durchrauscht; plötzlich entdecken wir auf einem Berg, der mitten im fruchtbaren Talgrund sich erhebt, das freundliche Hohenaschau, Der Weg von Rosenheim nach Hohenaschau führt über Riedering und Frasdorf. zu dessen Füßen Hütten- und Hammerwerke erbaut sind; wie ein rechtes Asyl heimelt es uns an, von den hohen Bergrücken zu beiden Seiten umschanzt, deren gewaltigste die drei Kampen, drei Wächtern gleich, über den andern emporsteigen; die Wasser rauschen durchs Tal wie eilige Boten erspähter Kundschaft, und weithin vernimmst du aus den Hüttenwerken der gewaltigen Hämmer Gepoch und denkst mitten im Frieden, da würden Waffen zu Schutz und Trutz geschmiedet; das ist das Schloß, wohin die beiden Freiberger den kühnen Luther von Hohenschwangau her flüchteten; noch heute erzählen davon das Volk im Tal und der Kastellan, der euch die Räume des Schlosses weist, das durch Heirat von den Freibergern an die Preising kam.
Nicht weit von Hohenaschau, durch eine lachende Flur mit diesem verbunden, zeigt sich das Kirchdorf Niederaschau; anderthalb Stunden von jenem durch die Überlieferung zu einer »bayerischen Wartburg« geweihten Schloß an der unteren Prien steht Schloß Wildenwart, in früheren Zeiten gleichfalls Freiberger Besitz. Den Lauf der Prien abwärts folgend, erreichen wir an ihrem rechten Ufer den uralten Flecken Prien, den Aventin für das römische Pirunum hielt.
Wir nähern uns nun den Ufern des buchtenreichen Chiemsees, und alsbald besteigen wir einen Kahn und rudern frohgemut auf die Herreninsel zu. Da steigen im Süden über üppigen Fluren mit Weilern, über dunklen Wäldern die Bergreihen empor, die Hochriesen, jene Aschauer Burghüter – die drei Kampen –, die Berge bei Marquartstein; Alpenketten schließen sich gen Osten daran. Rasch gleitet der »Einbaum« über den Flutenspiegel dahin, und schon landen wir auf der Insel Herrenchiemsee, von wo aus einst die Zivilisation den ganzen Chiemgau durchdrang. Der griechische Mönch Dobda stiftete, wie die Sage meldet, unter Tassilos II. Herrschaft in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts auf diesem Eiland eine Schule, aus der bald darauf ein Kloster für Mönche nach St. Benedikts Regel entstand, das König Arnulf dem Erzhirten von Salzburg übergab und das in der Mitte des 10. Jahrhunderts durch die Ungarn zerstört wurde. Durch die Fürsorge Konrads I., des Erzbischofs von Salzburg, erhob es sich um 1131 wieder; Augustiner-Chorherren bezogen es, und ihr Propst erhielt die Würde eines Erzdiakons; 1215 stiftete der Erzbischof Eberhard II. von Salzburg das Bistum Chiemsee; Rüdiger von Radek wurde erster Bischof.
Nach kurzer Fahrt erreichen wir das Eiland Frauenchiemsee, das »königliche Stift«; älteren Ursprungs (wenn der Überlieferung zu trauen ist) als Herrenchiemsee und durch Tassilo II. reich begabt. Ludwig des Deutschen Tochter Irmengard wird uns als erste Äbtissin genannt, viele andere fürstlichen Frauen folgten ihr in dieser Würde, bei deren Übernahme die Neugewählte jedesmal eine Krone empfing, die sie bei allen Kirchenfesten trug. Lauscht, wenn ihr in abendlicher Feierruhe unter den alten Weiden sitzt, ob aus den dunklen alten Klostergängen nicht ein liebendes Paar hervortritt – ein Jüngling und eine Jungfrau, blaß von Angesicht, lange Klostergewänder nachschleifend. Hört ihr kein Flüstern? Laßt eure Blicke jenen beiden folgen, ob sie nicht ans Ufer des Sees, ob sie jetzt auf dessen Spiegel, in dem – einem zweiten Himmel – der Liebesstern schimmert, dahinwandeln? Das sind der Mönch und die Nonne, von denen euch die Leute auf Frauenchiemsee erzählen können. Der Mönch schwamm allnächtlich von Herrenchiemsee nach dem Fraueneiland hinüber, sooft er am Fenster der Nonne ein Lichtlein flimmern sah. In einer stürmischen Nacht aber erlosch die Flamme, und der Mönch sank unter; am anderen Morgen wurde seine Leiche am Ufer der Fraueninsel gefunden; die Nonnen – so endet die Sage – gönnten ihr mitleidig ein Grab.
Durchmessen wir jetzt, vom Fraueneiland abstoßend, den See, wo er am tiefsten und breitesten ist, in der Richtung gen Seebruck, wo die Alz an seiner nördlichen Spitze ihn verläßt. Frauenchiemsee südlich gegenüber münden die Rott und die Ach, die letztere unfern dem uralten Grabenstätt; Chieming und Ising an den Bergen liegen uns östlich.
Bei Seebruck treffen drei Straßenzüge zusammen: der Rosenheimer, der Troßberger und der Traunsteiner. Wir schlagen den zweiten ein und folgen dem Lauf der Alz bis Altenmarkt, wo die Traun, die von Traunstein her kommt, in die erstere mündet; da erscheinen uns auf einem Berg die ehemaligen Klostergebäude von Baumburg, dessen Stiftung auf folgendem Anlaß beruht. Der Graf von Marquartstein hatte die Tochter des Grafen Kuno von Mögling, Adelheid, entführt und wurde zwei Monate nach der Hochzeit unfern von seinem Schloß meuchlerisch erschlagen.
»Richter, laß mir Gnad' ergehen«,
Sprach der Ritter; »fromme Seelen,
Möchten sie mir Gnad' erflehen
Im Gebet vor Gottes Thron!
Üppig wächst der Baum der Sünden
Aus der Weltlust tiefem Grunde,
Bis die Last der eignen Früchte
Kron' und Äst' und Stamm erdrückt.
Wer die Burg auf Sand gebauet,
Hoffe nicht, daß sie bestehe,
Glaube, daß der Hallen Wölbung
Bald den Bauherrn selbst begräbt.
Wie der Baum brech' ich zusammen,
Wie die Burg werd' ich zertrümmert,
Baut aus meinem Schatz ein Kloster,
Baumburg
Auf der Stelle, wo sich das Kloster erhob, soll früher eine Burg gestanden sein. sei das Stift genannt.«
Seine Witwe Adelheid vermählte sich später mit dem Grafen Ulrich von Putten und, zum zweiten Mal Witwe geworden, mit dem Grafen Berengar von Sulzbach; vor ihrem Tod nahm sie diesem das Versprechen ab, daß er ihr dem ersten Gatten geleistetes Gelöbnis erfülle; Berengar hielt sein Wort und gründete das Kloster Baumburg für die Augustiner-Chorherren; 1156 wurde Adelheid darin begraben. Des Chorstifts-Erzdiakonats Sprengel reichte von Zell bei Ruhpolding bis Ötting, von Burghausen bis Althohenau; bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts fanden nur Adelige in seinen Zellen Aufnahme.
Nicht sehr weit von Altenmarkt und Baumburg stehen auf Felsen an der Traun die Reste der alten Burg Stein, von deren in den Felsen gehauenen geheimen Gängen, Treppen, Verliesen und Folterkammern das anwohnende Volk viel zu erzählen weiß; das Andenken des bayerischen Blaubarts, des Raubritters Heinz von Stein, vor dem kein schönes Mädchen weit und breit sicher war, ist zu Ende des vorigen Jahrhunderts durch ein damals beliebtes Volksschauspiel wieder aufgefrischt worden. – Weiter hinab an der Alz liegt der Markt Trostberg, von dem die Sage geht, daß in den Zeiten des Heidentums die Christen dort in einer alten Feste Zuflucht gefunden und den Ort deshalb Trostberg genannt hatten; von Tacherting aber, wo die Mutterkirche der ganzen Umgegend stand, wird erzählt, daß dort eine ungeheuer große Heidenstadt unter der Erde liege, die bis Ötting sich ausgedehnt habe! In der Tat bestätigen zahlreiche Ausgrabungen, daß in Tacherting eine Römerstadt gestanden haben muß.
Von Stein aus folgen wir nun dem Straßenzweig, der südöstlich ziemlich in gleicher Richtung mit dem Lauf der Traun nach Traunstein führt, das durch den Herzog (späteren Kurfürsten) Maximilian I. die bereits früher erwähnte Solenleitung erhielt. Die Straßen von Rosenheim und Reichenhall, von Salzburg und Wasserburg treffen hier zusammen. Über Siegsdorf (in dessen Nähe der Hochberg und der Kressenberg sind und von wo aus ein Ausflug nach Ruhpolding und Reit im Winkl den Landschafter reich belohnt) setzen wir unsere Reise nach Reichenhall fort. Zuerst erreichen wir Inzell, wo wir des Hochstaufen zur einen und des Rauschbergs zur anderen Seite der Straße ansichtig werden; abermals treten wir jetzt in die Zaubersphäre des Hochgebirges, in ein Tal, das die muntere Pinzgauerin, die Saalach, durcheilt und der Bergwall des Hochstaufen gen Norden verschanzt, im Süden erhebt sich der Predigtstuhl und über ihm der sagenreiche Untersberg; wir kommen nach dem uralten, durch Kriegs- und Elementendrangsale, besonders durch furchtbare Feuersbrünste bis in die neueste Zeit oft und hart geprüften und nach dem jüngsten furchtbaren Brand freundlicher denn je zuvor aus den Schutthaufen wiedererstandenen Städtchen Reichenhall. Drei Straßen münden hier: die Salzburger, die Berchtesgadener und die Tiroler. Die letztere führt über Schneizelreuth, Vorwerk, Melleck und Steinpaß nach Unken, in dessen Nähe das Heilbad von Oberrain ist; seid ihr rüstige Bergsteiger, so versäumt nicht, von Unken aus den Gipfel des Sonntagshorns zu besuchen; auch wird euch dort der majestätische Anblick des Staubbachs überraschen, der 100 Klafter tief von der Felswand niederdonnert. Dann kommt ihr in die enge Schlucht von Lofer, »Alles, was den einsamen Wanderer umgibt«, sagt Pillwein über das Tal von Lofer, »trägt dazu bei, seine Seele mit düsteren Bildern zu erfüllen, sogar die Namen der Orte und Flüsse. Hier ist ein Dörflein ›Höllenstein‹, ein ›Raben-‹, ein ›Mäusetal‹, dort fließen der Finster- und der Schwarzbach und andere Quellen traurig dahin. Auch den Bewohnern hat die Natur ihr Gepräge aufgedrückt. Sie sind ernsthaft und in sich gekehrt. Abenteuerliche Sagen, seit Jahrhunderten von dem Vater auf den Sohn fortgepflanzt, nähren diese Stimmung. Viel Gerede ist in diesen Gegenden von verborgenen Schätzen, die aber nur der unverdienten Dürftigkeit, der reinen Tugend und dem frommen Mut aufbewahrt sind. Auf der Kuppe des Pechhorns steht eine große silberne Kanne, die von Gold überfließt. Am Schlößlwald bewacht eine verwünschte Jungfrau, Ritter Lamprechts Tochter, mit schwarzen Hunden einen Schatz, den schon viele vergebens zu erobern versucht haben.« Siehe »Erzählungen und Volkssagen aus den Tagen der Vorzeit von dem Erzherzogtum ob der Enns und dem Herzogtum Salzburg«, Linz 1834. wo die Straße durch die Felsen gesprengt wurde, und in den Paß Strub. Von dort führt der Weg weiter über Waidring, Erpfendorf, St. Johann, Ellmau, Söll und Kundl nach Rattenberg.
Uns aber lockt es diesmal mächtig nach Berchtesgaden, und nicht allzulang sind wir von Reichenhall aus unterwegs, so nimmt uns schon das paradiesische Tal auf, das der Watzmann wie ein Hoherpriester überschaut, das die Achen durchrieselt und das sich gegen Schellenberg zu öffnet; schon gewahren wir den Untersberg und den Göhl, die es umfrieden, die Häuser auf den Bergeshöhen und tief im Grund; auf jedem Weg und Steg nicken uns rotwangige Gesichter freundlich zu, vor jeder Tür schaffen Kinder und Greise kunstfertig und unverdrossen am sauberen Schnitzwerk; dort unten in der Allee kommen emsige Bergleute aus den Gruben, und drüben schießt eben ein ungeheurer Wasserstrahl, im Sonnenlicht schimmernd, auf den Berg – der Kastellan zeigt wohl Fremden die Kraft jenes Reichenbachschen Meisterstücks, der Wassersäulenmaschine?
Laßt uns für wenige Stunden vom freundlichen Licht des Tages scheiden und in den Salzberg einfahren. Schnell sind wir in Bergleute umgewandelt, die Grubenlichter flammen – Glück auf! 500 Klafter tief fahren wir ein in den Schacht, von dem die zahlreichen »Schaftritte« wie so viele Adern auslaufen. Wie flimmern die Wände! Das Auge erblindet fast von dem Glanz der erleuchteten Salzkristallgrotten. Das sind die Zellen, in denen die Gnome geheimnisvoll schaffen und walten; horch, wie sie pochen und hämmern! Glückauf! ihnen nach, ob wir sie beim emsigen Treiben belauschen. – Halt! Wir stehen am Rand eines Kraters. Ein ungeheures Amphitheater liegt unabsehbar tief unter uns, ein Kranz von Fackeln umschlingt es oben, unten zeigen sich wandelnde Lichtlein wie Irrwische. Das Seil angefaßt! Mutig hinab! Wie im Traum finden wir uns plötzlich drunten im Boden des Kessels und blicken aufatmend empor – ein Kranz von blutrot leuchtenden Sternen schwebt über uns. Jetzt verlöschen sie, einer nach dem andern; uns wird zumute, als senke sich die schwarze Decke auf uns nieder; wie hilflose Kinder lassen wir uns an der Hand fassen und führen – eine Höhe hinan; tiefe Stille ringsum und Nacht – wie ein Grab. Da zerreißt ein Blitz die Nacht, furchtbar tagt es weit umher und wird mit dem nächsten Pulsschlag wieder Nacht; ein entsetzlicher Schlag; der Boden zittert unter unseren Sohlen, Dampf hüllt uns ein, beengt uns die Brust, wir stürzen zusammen, Donner rollen, als rüttle der Bergfürst im Grimm an den Pfosten und Säulen seines Hauses, daß die Decke berste und uns begrabe. – Allmählich wird es nun ruhiger, der Dampf verzieht sich, wir atmen freier, die Fackeln leuchten wieder, und lächelnd geleitet uns der Führer zu den Trümmern des Salzfelsens, den die Knappen eben durch Pulver gesprengt haben. Wir aber verlassen, gekräftigt in dem Gedanken, wie des Menschen Kraft und Mut im Kampf mit der Natur den Sieg erringt, das Bergwerk und begrüßen freudig das sonnige Tal, das uns nach den Wundern der Tiefe doppelt reizend erscheint.
In der friedlichen Einsamkeit des Klostergangs, wo das Gemüt sich so gern süßer Melancholie träumerisch hingibt, weilen wir jetzt und gedenken, an die Brüstung gelehnt, über die die Blütenbäume ihre Äste hereinreichen, der Stiftung und Kultivierung Berchtesgadens. Vergleiche »Geschichte des Fürstentums Berchtesgaden etc.« von Ritter Jos. Ernst von Koch-Sternfeld. Einst war dieses Tal, das uns jetzt wie ein herrlicher Garten umfängt, wo des Menschen Fleiß so rührig schafft, eine kalte, furchtbare Wildnis, nur vom flüchtigen Wild durchschweift, das die Hallgrafen, die auf Grafengnaden saßen, pirschten; bloß eine Jagdhütte stand darin.
Auf einer Jagd hinter Grafengaden war's, daß Engelbert II. von Lindburg, Derselbe, der das Kloster Attel herstellte und von Lindburg nach Wasserburg zog. der Sohn des Hallgrafen Engelbert I., in großer Gefahr ein Gelübde tat, dem heiligen Martin auf dem Weideplatz in jener Wildnis eine Kapelle zu bauen; seine Gattin Irmengard erfüllte das Gelübde und berief zu der neuerbauten Kapelle vier Klausner, die sich jedoch bei Einbruch des Winters vor grimmiger Kälte und den Anfällen wilder Tiere kaum zu schützen wußten. Der Tod Engelberts unterbrach Irmengard in der Vollendung ihres Vorhabens; ihre Tochter Adelheid, in erster Ehe mit dem Grafen Marquart von Marquartstein, in dritter mit Berengar von Sulzbach vermählt, beschwor den letzteren vor ihrem Tod, nicht bloß Baumburg zu stiften (wie wir bereits früher erwähnten), sondern auch die frommen Gelübde ihrer Mutter endlich zu erfüllen. Berengar berief zu diesem Zweck vier Priester und vier Laienbrüder von Raitenbuch zur Gründung von Baumburg und Berchtesgaden und brachte sie einstweilen in Baumburg unter; zu ihrem Propst wurde Eberwein ernannt, der einige Brüder in die Wildnis Berchtesgadens führte, um dort das Chorstift zu gründen. Sie bezogen die verlassene Zelle, aber die Schrecken der Natur – Meteore, Erdbeben und Orkane (Vorzeichen des Jüngsten Gerichts nach dem allgemeinen Volksglauben jener Zeit) – scheuchten sie alsbald zur Mutterkirche zurück, und Berengar beschloß, beide Stiftungen in Baumburg zu vereinigen.
Strenger überwachte der Erzbischof Konrad von Salzburg die Vollstreckung des letzten Willens Irmengards, und der Propst Eberwein zog nun selbst nach Berchtesgaden, wo er beharrlich fortkämpfte gegen die Wildnis und aus der verfallenen Martinszelle ein Kloster schuf. Im Jahre 1122 stand denn auf dem Wall zwischen dem Lockstein, dem Kälber- und dem Priesterstein bereits das Münster und wurde durch den Erzbischof Konrad zu Ehren Johannes des Täufers und des heiligen Petrus eingeweiht.
Von Berchtesgaden wandern wir nach dem weit berühmten Königssee. Gewaltige Felsblöcke sehen wir links und rechts vom Weg in der Gegend zerstreut, als hätten Riesen sie von den Bergrücken losgebröckelt und ihren Kindern zum Spielzeug hingeworfen. An der Pforte des Seetals stehen die Hütten der Anwohner; wir wählen uns unter den vielen im gedeckten Hafen stehenden Kähnen den passendsten aus und lassen uns in den See hineinrudern. Bald wendet sich unser Nachen um eine Ecke, und mit einem Mal finden wir uns jetzt mitten in einer Alpenseelandschaft, wie die Schweiz keine herrlichere aufzuweisen hat. Erhabene Feierruhe herrscht weithin um uns her; die Natur in der vollen Pracht ihrer Schönheit ist hier ein stummes Gebet, unwillkürlich entblößen wir die Häupter und beten schweigend den Unerforschlichen an. Wie die Morgensonne über die Fläche des Sees hinschimmert, ist es uns, als streute ein Engel, der über uns schwebt, Millionen Sterne darauf und als schriebe sein Hauch leuchtende Schriftzeichen auf den Spiegel; vor uns hebt der Watzmann sein mit der doppeltgehörnten Mitra gekröntes Haupt.
Wie wir so, in Schweigen versunken, auf ihn hinblicken und des Schauens nicht satt werden, weckt uns plötzlich ein Pistolenknall aus unseren Träumen. Der Schiffer lockt die Echos aus ihrer Felsenzelle. Grollend antworten sie, verstummen jetzt, erheben aufs neue im Zorn ihre Stimme; abermals Stille, schon fahren wir weiter, da rufen sie uns abermals warnend nach: »Warum stört ihr unseren Frieden? Wollt ihr, daß ich's dem Alten da hinten klage und die schlummernden Stürme entfeßle?«
Inzwischen legen wir an einem lieblichen Vorgebirge an, das in den See hinein sich abflacht, und besteigen einen Hügel, von dem aus wir landeinwärts dringen. Plötzlich finden wir uns in einer Schlucht, die uns das Weiterdringen verwehrt; ungeheure, steil aufragende Felswände neigen sich aneinander, und von hoch oben schießt tosend ein Wasserfall hernieder. Wir kehren auf unseren Landungsplatz zurück, besteigen unseren Nachen wieder und rudern nun, immer den Watzmann vor Augen, auf das Schlößchen St. Bartholomä zu, das uns vom jenseitigen Ufer her winkt. Die Kirche dort empfing schon 1134 ihre Weihe; der Propst Kajetan Anton von Nothaft und Weißenstein erbaute sich in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts dort das Jagdschloß; die Pröpste Berchtesgadens liebten den Königssee und hielten oft auf demselben stattliche Jagden; da wurde das Edelwild aus den Wäldern und von den Felsklippen herab in den See getrieben, und die fürstlichen Herren erlegten, auf zierlichen Kähnen sitzend, die auf der Flucht im See dahinschwimmenden Rehe und Hirsche, indessen fröhliche Jagdmusik ringsum erscholl. Von Bartholomä aus wandern wir zur Eiskapelle aufwärts, die von dem Watzmann und der Wilden Hechelwand umschanzt ist.
Noch einen Blick auf den Watzmann, ehe wir endlich unsere Rückfahrt antreten; seine Majestät hält uns mit mächtigen Banden. Wie mancher fromme Pilger erklomm schon seinen Gipfel; es wurde uns erzählt, daß ihrer viele ein großes hölzernes Kreuz hinaufgebracht und oben aufgerichtet hätten, denn das Bergvolk liebe auf den Höhen zu beten, und viele stiegen an Sonn- und Festtagen hinan, im kindlichen Glauben, dem großen Vater dort oben näher zu sein. Und nochmals geben wir uns auf der Rückfahrt allem Zauber dieser göttlichen Gegend hin, mit jedem Ruderschlag, der unseren Kahn zurückbringt, zählen wir den Herzschlag, den wir weniger leben werden.
Doch seht, am Landungsplatz erwartet uns schon die hübsche Tochter des Fischmeisters und überreicht uns einen Strauß zum Andenken. Alpenblumen sind's, die sie uns gibt; »schön Edelweiß« nennt sie die Dirne – Namen wie Gestalt recht märchenhaft; wir wollen sie sorglich aufheben, und wenn wir mitten im babylonischen Gewühl einer üppigen Stadt, mitten im Gebraus heuchlerischer Phrasen, mitten im Schwarm kalter, herzloser Wüstlinge, denen die Unschuld nur als eine schöne Zierblume gilt, zu prahlen, ein Mädchen finden, rein wie der Schnee auf den Alpen, so laßt uns ihr das märchenhafte Blümlein vom Königssee reichen. Es möge dann der Jungfrau wie ein Symbol, ein Talisman sein und sie selbst uns als schönes Edelweiß gelten, das wir wie die Verlassenschaft einer toten Mutter zu behüten haben.
Die Marmorwände des Untersbergs zur Linken, wandern wir nun durch Marktschellenberg und den Engpaß am Hangendenstein auf das Salzburger Gebiet. Seht ihr im Zwielicht nicht die »Wilden Frauen« auf den Klippen des Untersbergs sitzen, nicht ihre weißen Gewänder, ihre wallenden Haare? Vernehmt ihr nicht das leise Säuseln von den Felswänden herab? Das sind ihre Lieder, die sie, kommender Tage Geschicke prophezeiend, singen. Entdeckt ihr nicht auf den Weideplätzen zwischen den Herden hin und wieder auftauchend graue Männlein mit Netzen auf den Köpfen? Das sind die Zwerge vom Untersberg, die euch manche Kunde erzählen könnten, liebe Freunde, von den Kaisern und Fürsten, welche im Innern des Berges walten; aber euch fehlt (so meinen die Männlein wohl) der gläubige Sinn eurer Väter, mit denen sie gerne verkehrten; in Salzburg werdet ihr's von alten Leuten noch hören können, die es wieder von ihren Großvätern vernahmen, wie die Männer des Untersbergs in mancher Mitternacht in die Stadt wallten und im Dom ihren Gottesdienst hielten.
Jene Zeiten kommen nicht wieder, da der fromme Bürger von Reichenhall den Untersberg vor sich offen und über dem Eingang eine Schrift in silbernen Buchstaben in einer keinem Sterblichen verständlichen Schrift fand; ein uralter Mönch mit einem Schlüsselbund kam ihm entgegen, ein Buch lesend. Und nun tat sich auf einmal vor dem frommen Reichenhaller ein Tor im Berg auf, und wie er durch dasselbe schritt, kam er auf eine große, liebliche Wiese, darauf stand eine Kirche mit 200 Altären und 30 Orgeln, sechshundert Mönche sangen darin, und zahlloses Volk strömte zum Gottesdienst. Als dieser zu Ende war, führte der Mönch seinen Gast in dem Labyrinth des Berges umher; da fand er den großen Staufenkaiser Friedrich Rotbart, der einst das Erzstift Salzburg verwüstet und nun mit seinen Heerscharen drinnen verzaubert ist. Auch Karl den Großen sah der Reichenhaller einsam an einem Marmortisch sitzen, um den sein silberweißer Bart zweimal herumwuchs; schlingt er sich aber zum dritten Mal herum, dann erfüllt sich die Zeit der Verheißung.
Vielen anderen verstorbenen Fürsten und Herren ist der Reichenhaller danach begegnet, aber als er den Mönch fragte, was sie im Berg täten, bekam er einen Schlag aufs Gesicht und die Warnung: Ein Frevel sei's, um die Geheimnisse Gottes zu fragen. Danach schlug der Mönch seinem Gast viele Bücher auf und las ihm daraus von den Strafen der Gottlosigkeit und von den Greueln des Gerichtes, wie die wilden Tiere in Salzburg wieder hausen und Wölfe ihre Jungen hinter St. Ruperts Altar legen würden, und von zwei großen Schlachtfeldern, dem einen am Rhein und dem anderen auf dem Walserfeld Es breitet sich zwischen Salzburg (eine Stunde von der Stadt entfernt) und dem Untersberg aus; viele Reste der alten Römerstadt Juvavum wurden auf diesen Feldern ausgegraben. bei Salzburg, wo Barbarossa mit den Seinen aus dem Berg hervorkommen, streiten und siegen werde; dann zeigte der Mönch seinem Gast die zwölf Tore des Berges und an einem von ihnen einen verdorrten Birnbaum, der schon einmal umgehauen worden war und aus der Wurzel frisch getrieben hatte, wenn er aber noch einmal umgehauen worden wäre und nochmals Zweige und Früchte bekommen würde, werde ein Fürst von Bayern seinen Schild daran hängen und Bayern glorreich und groß machen; die Zeit, wann dies geschehe, habe einst Friedrich Rotbart Kaiser Ludwig in der Liebfrauenkirche zu München anvertraut.
Wohl heißt der himmelan ragende, ungeheure, drei Meilen im Umkreis messende Marmorsarg, in dessen Innerem soviel Herrlichkeit verschlossen ist, im Mund des Volkes mit Recht der »Wunderberg«; und wahrlich eine Wunderwelt tut sich vor euch auf, wenn ihr nach vierstündigem Hinanklimmen auf dem Berchtesgadener Hochthron (so heißt der höchste Gipfel des Untersbergs) steht und hinabblickt auf den Garten Gottes zu eueren Füßen.
Immer näher kommen wir jetzt der seit den Römertagen gepriesenen Stadt Salzburg; endlich erreichen wir sie und möchten auch hier ausrufen: »Ein Stück vom Himmel auf Erden!« Höchste Erhabenheit und lieblichste Anmut, in welcher anderen Landschaft des deutschen Vaterlands findet ihr sie so innig verbunden wie in diesem von steilen Bergen umschlossenen, weithin von majestätischen Alpen behüteten, vom brausenden Gebirgsstrom der Salzach belebten und gegen Norden zu ins gesegnete flache Fruchtland hinaus geöffneten Tal? Welch ein edler Geist spricht aus den prachtvollen Marmorbauten zu euch! Ihr wähnt auf italienischem Boden zu wandeln, wenn ihr an dem Dom, an dem Brunnen vorüberwallt. Von der Höhe des Mönchsbergs aber, wo die alte Trutzburg thront, redet die Geschichte zu euch hernieder; und endlich bekennt – ihr, die ihr den vollen Becher des Lebens so mit reinstem Behagen schlürft –, sagt, wo ließe sich's sanfter einschlummern und die lange, lange Nacht verträumen als in jenem grünen, kühlen Garten, über dem die Felswände hinansteigen, in jenen Arkaden des Petersfriedhofs?
Unser erster Gang sei auf die Salzachbrücke gerichtet; auf ihr zeigen sich uns die verschiedenen malerischen Partien der Stadt zum ersten Überblick: am linken Ufer der Mönchsberg mit der weitläufigen Feste Hohensalzburg, die Kuppel des Doms, die Türme der anderen Kirchen; am rechten Ufer die hohen Häuser, die in den Strom hinabblicken, hinter ihnen der ernst-heitere Kapuzinerberg. Und wie wir, über das Geländer der Brücke gebeugt, den raschen Lauf des Stroms verfolgen, dessen Wellenspitzen im Sonnenschein schimmern, gemahnt es uns wie an Märchen alter Zeiten, und wir gedenken der Sage von dem Wundermann Theophrastus Paracelsus, Wir teilten sie nach mündlichen Überlieferungen bereits in einem Blatt des Phönix mit; doch stehen wir nicht an, sie hier am gehörigen Ort wieder einzuschalten. dessen Gedächtnis noch eine Inschrift an einem Haus drüben bewahrt.
Als Theophrastus darin auf dem Totenbett lag, sprach er zu seinem Famulus: »Was meinst du, ob ich diesmal wieder aufstehe? Aber sage mir's aufrichtig, denn du weißt, daß ich in allen Stücken entschlossen bin und keine Furcht kenne. Also werde ich auch nicht zittern, wenn es einmal sein muß, denn ich habe von der Welt Reichtümern und Ehren immer dafür gehalten, daß sie nicht ewig bei unsereinem von Fleisch und Bein bleiben können; und was die anderen irdischen Freuden betrifft, so hab' ich mir nie viel daraus gemacht; wie du auch wissen magst, daß ich nie nach Weibergunst habe streben wollen.«
Der Famulus tat sich Gewalt an, um bei diesen Worten ernsthaft zu bleiben, denn er hatte den Schalk im Nacken und wußte gar wohl, warum sein Herr der Frauengunst stets aus dem Weg gegangen war; auch sah er, daß der Wunderdoktor sich selbst nicht mehr kurieren könne, und dachte schon daran, die vielen Tinkturen des Meisters zu erben, durch deren Verkauf er sich zeitlebens ein schönes Stück Geld werde erwerben können. Deshalb freute er sich heimlich auf seines Herrn Tod, stellte sich aber jetzt vor ihm recht betrübt und gab ihm zur Antwort: »Herr, Ihr seht so frisch und gesund aus wie irgendeiner und seid dicker als jemals; ich möchte darauf schwören: Ihr werdet noch lange leben, wofür ich Gott und alle Heiligen stündlich anrufe.«
Theophrastus Paracelsus, der durch seine Frage eigentlich nur die Würdigkeit seines Dieners hatte prüfen wollen, erkannte jetzt gleich dessen falsche Gesinnung, ließ sich aber nichts merken, sondern befahl ihm, eine Phiole vom Gesims herabzulangen, worin ein Elixier enthalten sei, durch das er das Zipperlein unfehlbar heilte; diese Phiole übergab er nun dem Famulus mit dem Auftrag, schnurstracks auf die Brücke zu gehen, dort das Fläschchen über das Geländer hinauszuhalten und zu zerschlagen, damit das Elixier in den Fluß liefe, denn es hätte noch eine andere geheimnisvolle Eigenschaft, die nicht jedermann kennen dürfe, weil sonst gar leicht großer Schaden dadurch angerichtet werden könnte.
Der Famulus gelobte seinem Herrn, den Auftrag gewissenhaft zu erfüllen, und ging hinaus. Als er aber kaum vor der Tür war, dachte er in seiner Untreue: »Das ist ein rechter Neidhart, der gern möchte, daß seine kostbaren Medikamente, durch die sich viel gewinnen läßt, keinem anderen als ihm Geld und Gut bringen sollen, deshalb will er sie lieber vernichten; denn das glaube ein Dümmerer, daß das Elixier noch eine unbekannte schädliche Kraft habe. Ist er aber nur erst tot, so kann ich die Leute, die das Zipperlein haben, wohl ebensogut kurieren als er, wenn ich die Tinktur habe, und ich gewinne dabei viel Geld.« So verschloß er denn die Phiole in seiner Kammer und ging dann nach einer kleinen Weile wieder zu dem Meister, ihn belügend, daß dessen Auftrag vollzogen sei.
Während er aber seinen Schelmenstreich beging, kam zu Theophrastus ein Nachbar, der ein noch größerer Schelm als der Famulus war; und wiewohl ihm Theophrastus einmal ein Kind aus der Taufe gehoben hatte, hegte jener Nachbar – weil er ein Feldscher war und voller Eifersucht auf die Wissenschaft des Doktors – schon lange einen bitteren Haß gegen ihn und konnte dessen Tod kaum erwarten. Er war auch eigentlich nur gekommen, um zu sehen, wie lange es der Gevatter Doktor wohl noch treiben werde und nebenbei, wo die Wundertinkturen stünden, damit er sich, sobald Theophrastus die Augen geschlossen habe, die besten davon mitnehmen könne. Theophrastus aber sah auch der Falschheit seines Gevatters sogleich auf den Grund und dachte ihm einen Streich zu spielen, doch stellte er sich demütig und versöhnlich wegen der Nähe des Todes und sprach zu ihm: »Gevatter, ich weiß wohl, daß ich bald sterben muß, und es täte mir leid, wenn wir in derselben Feindschaft voneinander kämen, in der wir einige Zeit miteinander lebten.«
Darauf sagte der Feldscher in falscher Freundlichkeit: »Ei, Gevatter, wo denkt Ihr hin? Erstens habt Ihr noch ein gutes Stück zu leben, und zum zweiten hab' ich für Euch eine aufrichtige Liebe; bestellt mir nur gleich einen Gefallen, wodurch ich sie Euch beweisen kann.«
Da bat Theophrastus den Gevatter, er möge ihm sein – des Gevatters – Konterfei herüberschicken und vor dem Bett aufstellen, damit er beim Sterben das Gesicht des Mannes vor Augen habe, mit dem er so lange in Unfrieden gelebt und versöhnt sterben möchte; doch sollte der Nachbar nicht eher wiederkommen, als bis Theophrastus ihn holen ließe. Das versprach denn der Gevatter, schickte sein Bild und überlegte mit seinem Weib, wie er's anstellen solle, um soviel als möglich von des Doktors Nachlaß zu bekommen.
Indessen war der Famulus wieder nach Hause gekommen und log seinem Herrn vor, wie er dessen Auftrag treulich bestellt habe. »Ich danke dir«, sprach Theophrastus sanft; »aber sage mir, was sahst du, nachdem du das Gefäß zerschlagen und den Inhalt ins Wasser gegossen hattest?«
»Gesehen? Nichts, lieber Herr!« antwortete der Famulus verblüfft. Da hob sich Theophrastus zürnend von seinem Sterbebett auf und rief: »Dann belogst du mich, du Schalk, und hast die Phiole nicht zerschlagen; geh augenblicklich wieder hin und tu, was ich dir befahl, sonst begegnet dir selber ein großes Unglück.«
Darüber erschrak nun der Famulus so sehr, daß er sich nicht lang besann, sondern die Phiole nahm und damit auf die Brücke ging.
Der Gevatter hatte indessen sein Konterfei dem Doktor geschickt und vor dessen Augen an der Wand aufhängen lassen; der Diener, der es gebracht hatte, ging darauf aus dem Zimmer, aber nicht aus dem Haus, sondern wartete, wie ihm der Feldscher befohlen hatte, im Flur, um diesem sogleich melden zu können, wann Theophrastus gestorben sei. Als nun der Doktor allein war, nahm er eine zierliche Bolzbüchse, die neben dem Bett stand, lud einen Bolzen hinein, zielte auf das Konterfei und schoß es mittendurch. Bald darauf wurde im Haus des Nachbars großes Wehklagen gehört, denn in jenem Augenblick war der Feldscher, wie er sich gerade mit seinem Weib über den Raub der Hinterlassenschaft des Doktors besprach, plötzlich tot vom Stuhl gefallen.
Der Famulus aber tat auf der Salzachbrücke genau das, was ihm sein Herr befohlen hatte, denn die Angst hatte ihn mit einem Mal ganz und gar rechtschaffen gemacht. Er hielt also die gläserne Phiole sorgfältig weit über das Geländer hinaus und zerschlug sie mit einem Stein, daß das Elixier in den Fluß rann. In demselben Augenblick schimmerte die ganze Oberfläche der Salzach wie gediegenes Gold, und der Famulus sah nun mit Schrecken, welchen Verlust er litt, denn diese Tinktur hatte (obwohl sie der Arznei gegen das Podagra so ähnlich sah, daß nur der Meister beide unterscheiden konnte), die geheime Kraft, alles in Gold zu verwandeln. Er raufte sich nun das Haar und wollte grade in den Fluß springen, als der Goldschimmer allmählich von den Wellen schwand und die Goldkörner in die Tiefe sanken. In der Hoffnung, noch eine solch kostbare Flasche zu finden, rannte er jetzt nach dem Haus des Meisters zurück. – Als er in dessen Krankenzimmer trat, merkte Theophrastus gleich an dem kreideweißen Gesicht, daß der Diener die Falschheit gebüßt habe, und fing zu lachen an. »Herr, Herr! ...« schrie der Famulus und wollte Auskunft.
Aber Theophrastus ließ ihn nicht weiterreden und sprach: »Ich sagte dir, es wäre dir ein Unglück, die geheime Kraft der Tinktur zu kennen; jawohl, ein Unglück wär's, wüßt' ich sie in der Hand eines Menschen wie du!«
Aber der Famulus faßte sich schnell und erwiderte heuchlerisch: »Herr, ich bekenne reumütig meine Unwürdigkeit; doch wer ist würdig auf Erden? Drum, wenn Ihr noch mehr solche Phiolen habt, so sagt mir, welche es sind, damit ich hingehe und sie alle vertilge.« »Es war die einzige, du Narr!« sprach Theophrastus. »Glaubst du, man braucht sie eimerweise?« Und nun lachte er über der Welt Narrheit und lachte in einem fort darüber, bis ihm der Atem ausging. – Er wurde stattlich begraben, wie es sich für einen in geheimen Wissenschaften so tief gelehrten Mann geziemte; die Salzach aber führt seit jener Stunde in ihrem Sand – Gold. –
Noch eines anderen Wundermannes Andenken lebt in der Salzburger Volkssage: das des Doktor Faust; es wird erzählt, daß er mit mehreren lustigen Gesellen auf seinem Zaubermantel in den fürstlichen Keller gefahren sei, und als der Kellermeister die ungebetenen Gäste mitten im Schlemmen überraschte und zur Rede stellte, habe der Zauberer kurzen Prozeß mit ihm gemacht, ihn umfaßt, in seinem Mantel auf und davongetragen und auf einer hohen Tanne mitten im Wald abgesetzt. –
Wir besteigen nun den Mönchsberg, um einen Überblick über Salzburg zu gewinnen, und besuchen zunächst, indem wir den Weg durchs Schartentor nehmen, die Feste Hohensalzburg, die Erzbischof Gebhard in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts erbaute und die Erzbischöfe Burkard, Leonhard und vorzüglich Matthäus Lang mit Türmen und neuen Werken verstärkten. Da sind aus alten Zeiten her noch die Zisterne aus den Tagen Matthäus Langs, das große Hornwerk, die Burgkapelle, der Feuerbogen, der Trompeterturm, der Reckturm, in dem sich die Folterkammern befanden. Von dieser Festung aus entfaltet sich das Rundgemälde Salzburgs und seiner Umgebung in vollster Pracht; nachdem wir sie verlassen haben, können wir nicht umhin, auf einer Kuppe des Mönchsbergs noch einmal im Anblick des Untersbergs, vor dem das Walserfeld sich ausbreitet, zu schwelgen.
Am Fuß des Mönchsbergs angelangt, besuchen wir vor allem den im Schutz der mächtigen Felsen gelegenen Friedhof zu St. Peter. In diesem Garten, wo durch Rupert den Heiligen die Anfänge Salzburgs entstanden sind, wo jeder Schritt über Geschichte geht und überall die Tradition Monumente der Vergangenheit überwacht, laßt uns der letzteren gedenken; ein Grabstein diene uns als Ruhebank; ein sinniger Brauch spricht zu unserem Gemüt, fast auf jedem Grabstein sehen wir eine Vertiefung in Form eines Herzens eingemeißelt, wie um Tränen Überlebender oder Weihwasser aufzunehmen, und wenn der Ruhende unter dem Stein keine Lieben mehr hat, die ihm die Christenpflicht erfüllen, tut's der Himmel selbst als treuer Totenwächter.
Manche Kunde von der alten Pracht und Herrlichkeit der Römerstadt Juvavum und wie Kaiser Hadrian sie verschönert und das feste Castrum auf dem Schloßberg erbaut hatte, wetterleuchten in spätere Zeiten hinüber. Aber ihre ganze Größe zerfiel unter der Geißel Gottes und später vollends unter den Streichen der Heruler; umsonst hatte der heilige Severin die Stadt gewarnt. Seht ihr dort in der Felswand die Zelle? Darin wohnte der heilige Maximus, in anderen Höhlen des Mönchsbergs verbargen sich seine frommen Genossen vor der Wut der Barbaren, die, wie die alte Inschrift besagt, die Stadt plünderten, viele Einwohner als Gefangene fortschleppten und den heiligen Maximus mit seinen Genossen ermordeten. Über ein Jahrhundert seit jener Zeit war die Stätte eine furchtbare Wildnis, bis der fränkische Mönch Rupert unter Waldanwuchs die bemoosten Trümmer der Römerstadt entdeckte und von Herzog Theodo die Erlaubnis erhielt, aus denselben ein Kloster und eine Kirche dem heiligen Petrus zu Ehren zu erbauen; dazu schenkte der Herzog dem eifrigen Glaubensboten ein Gebiet an der Salzach, den dritten Teil der Salzquelle und den zehnten von Salz und Zoll. Mit zwölf Benediktinermönchen unternahm Rupert die Kultivierung des Landes. Er sammelte die Gebeine der Märtyrer und erbaute über dem Grab des heiligen Maximus in der Mitte des Friedhofs ein Bethaus, das er St. Amandus und St. Margarethe weihte. Als es im 15. Jahrhundert baufällig geworden war und Einsturz drohte, ließ Rupert V., Abt von St. Peter, es abtragen und die Kapelle, wie sie jetzt steht, erbauen. In der Kreuzkapelle an der Wand des Mönchsbergs wohnte, in der Ägidienkapelle betete St. Rupert. Allmählich entstand das Kloster zu St. Peter, in das ihr vom Kirchhof aus tretet, wenn ihr an der alten Muttergotteskapelle (einer Stiftung des Babenbergers Leopold VII. vom Jahre 1228) vorüberwandelt; in der Kirche dieses Stifts ist Ruperts Grab und das Monument Michael Haydns, dessen Haus dicht an der entgegengesetzten Seite des Petersfriedhofs steht. Von dem ärmlichen Eckstübchen aus, in dem der Tonsetzer starb, überblickt ihr den Kirchhof. Michael Haydn wurde in der Kommunegruft neben dem alten Margarethenkirchlein begraben; sein Schüler, der Abt zu St. Peter, errichtete ihm das Monument. Rings um St. Ruperts Stiftung siedelten sich die ersten Bewohner der neuen Kolonie an, welche rasch emporblühte.
Unter Karl dem Großen wird »Salzpuruc« zum ersten Mal urkundlich erwähnt; durch ihn erhielt Bischof Arno 798 das erzbischöfliche Pallium von Rom; Arno eröffnet die Reihe der 64 geistlichen Fürsten, die das Salzburger Land beherrschten. – Am bedeutendsten ragen aus derselben hervor in den Zeiten der Staufenkaiser Konrad, der kühn den Bann über Friedrich Rotbart, seinen Neffen, sprach und durch alles Unglück, das über das Erzstift erging, ungebeugt im Asyl zu Admont starb, und der nicht minder energische Eberhard II. (1200–1246), der den Bannbrief des päpstlichen Machtboten Albert von Böhmen mit Füßen trat; in den Zeiten der Reformation Leonhard von Keutschach (1495–1519), dessen strenger Herrschaft die Bürgerschaft, nach reichsstädtischer Freiheit lüstern, sich zu entwinden suchte (noch heute wird vom »Schmeckenwitz« erzählt, dem einzigen von allen Bundesgenossen, der Verrat übte und des Erzbischofs Einladung zu jenem Gastmahl verschmäht hatte, von dem die Verschworenen, je zwei zu zwei aneinandergebunden, auf Karren geworfen und in den Kerker gebracht wurden), und Matthäus Lang, unter dem 1524 der Aufstand des über seine Zwingherrschaft ergrimmten Volkes im Pinzgau, im Rauriser Tal und im Pongau losbrach; die Leiden eines um des neuen Glaubens willen gefangenen Priesters hatten den ersten Anlaß gegeben; in seiner Felsenburg belagert, konnte der Fürst die Flüche des Volkes hören, einen Widerhall jenes »gräßlichen Naturschreis der Menschheit aus den tiefsten Ständen gegen die Unbarmherzigkeit der Unterjocher, welche, gering an Zahl, bisher den Namen des Volkes und die Wohltaten der bürgerlichen Verfassung allein genossen hatten«, wie Zschokke so schön wie wahr spricht.
Unter den Erzbischöfen Wolf Dietrich von Raittenau, Markus Sittikus und Paris Lodron (1587-1653) erhoben sich in Salzburg die meisten jener großen Bauwerke und Monumente, deren Charakter Pracht und Tüchtigkeit.
Im dritten Dezennium des vorigen Jahrhunderts bildet die große Auswanderung des Volkes um des Glaubens willen eine denkwürdige Epoche in Salzburgs Geschichte. Der glaubenseifrige Erzbischof Anton Eleutherius von Firmian hatte plötzlich die Kunde vernommen, daß eine ungeheure Anzahl von Bewohnern des Erzstifts – über 20 000, so wird berichtet –, welche äußerlich dem Kultus der Mutterkirche huldigten, insgeheim eines freien Glaubens pflegten; um jeden Preis versuchte nun der Seelenhirt die als abtrünnig Angegebenen wieder zu bekehren, doch die von Eigennutz und Parteileidenschaften bewegten Vollstrecker seiner Maßregeln entflammten durch Grausamkeit die Gemüter der Andersdenkenden erst recht zur Schwärmerei. Weitere Verstellung galt ihnen jetzt als Schmach und Sünde und das Bekenntnis ihrer religiösen Überzeugung als heiligste Pflicht. Als sie deshalb um so härter verfolgt wurden, erwiesen sie sich nur um so todesmutiger; als ihren Toten sogar die Ruhe in geweihter Erde versagt wurde, sangen sie in Gastein bei der Fronleichnamsprozession voller Begeisterung:
»Laßt euch zum Abfall nicht bewegen,
Wenn sie euch nicht in 'n Friedhof legen;
Gott macht' den ganzen Erdboden gut,
Da er vergoß sein heil'ges Blut,
Am Kreuz tropft's auf das Erdenreich,
Hat uns den ganzen Erdboden geweiht.«
Und weil sie kein geweihtes Grab in heimischer Erde finden sollten, zogen sie es vor, dieser für immer Lebewohl zu sagen. Aber auch die Erlaubnis zur Auswanderung wurde ihnen anfangs versagt; und als sie sich mit ihrer Bitte an Kaiser Karl VII. und an den Reichstag zu Regensburg wandten, sahen sie sich als Rebellen und Gotteslästerer verleumdet. Da kamen ihrer über hundert am 2. August 1731 in einem Wirtshaus zu Schwarzach zusammen und schworen, um einen Tisch geschart, auf dem ein Salzfaß stand, lieber zu sterben als ihrem Glauben treulos zu werden; zum Wahrzeichen drückte jeder die Schwörfinger ins Salz und genoß von diesem; davon hieß nun der Bund der der »Salzlecker«; noch heute erhalten ein Gemälde und eine Inschrift auf dem Tisch in Schwarzach das Andenken an jene Stunde.
Der Erzbischof erschrak, als er eine – übertriebene – Kunde von der beschworenen Verbrüderung erhielt, rief kaiserliches Kriegsvolk zu Hilfe und übertrug es seinem eigenen, sie zu Verantwortung zu ziehen. Da nahmen sich endlich die evangelischen Reichsstände der um des Glaubens willen Bedrängten an und wiesen auf die im Westfälischen Frieden bewilligten Verträge hin; der Erzbischof genehmigte endlich nach langen Gegenreden und mit manchen Bedingungen die Erlaubnis der Auswanderung. Mitten im Winter, bei Schnee und Sturm, verließen denn die ärmeren Klassen der Bekenner, Psalmen singend, ihre Heimat – Junge und Alte, Männer und Weiber, Gesunde und Kranke; die Reicheren folgten später diesem Beispiel und siedelten sich in Preußen, Hannover, Holland, ja sogar in anderen Weltteilen an.
Der letzte geistliche Fürst des Salzburger Landes war Hieronymus Graf von Colloredo. Im Lüneburger Frieden 1801 wurde das Erzstift säkularisiert und als Kurfürstentum Erzherzog Ferdinand zugeteilt; schon 1805 wechselte Salzburg abermals die Landesherren, es wurde österreichisch, 1809 bayerisch, 1814 endlich wieder österreichisch und dem Land ob der Enns einverleibt. –
Unsere Wanderungen durch die Straßen Salzburgs laßt uns an dem Haus beginnen, in dem Wolfgang Amadeus Mozart (1756) das Licht der Welt erblickte. Umsonst sucht ihr, wenn ihr auf den Platz vor der Lyzeumskirche kommt, auf dem dieser gegenüberstehenden Haus No. 225 den Namen Mozart in goldenen Lettern; doch Geduld – kehrt ihr einst wieder nach Salzburg, so begrüßt das Monument, für dessen Errichtung reich und arm jetzt im deutschen Vaterland mit Begeisterung sammelt; denn mit Recht durfte der Dichter von jenem hohen Meister singen:
Er wird, solange Herzen schlagen,
Der Liebling aller Herzen sein.
Mozarts Geburtshaus bietet einen Durchgang; betreten wir den schmalen Hof – seht die säulengestützten Gänge der Geschosse: da spielte der Knabe; blickt zum Speicher hinan, auf dem er die Saiten spannte! Wie ahnungsvoll ergreift es uns auf der Stätte, wo das Kind in reiner, unschuldiger Freude so glücklich war – wir wähnen, Klänge seiner ersten Kompositionen umsäuselten uns hier.
Von der Lyzeumskirche, einem nach Fischer von Erlachs Plan in Nachahmung antiken Stils aufgeführten Gebäude, wandeln wir zu dem Dom, den Santino Solari im Stil des Vatikans im 17. Jahrhundert erbaute; seine Marmorfassade kehrt er gegen den mit einer Mariensäule gezierten Domplatz; imposant ist die Wirkung der großartigen Einfachheit des Inneren, welches fünf Orgeln, darunter die Egedachersche, und die Monumente der Erbauer, der Erzbischöfe Markus Sittikus und Paris Lodron, enthält. Durch den Bogengang des Domplatzes blicken wir auf den Brunnen des Residenzplatzes hinaus, ein Werk Guidobalds von Thun aus dem Jahre 1668. Dann besuchen wir das Stift und die Kirche zu St. Peter und die durch ihr schönes Gewölbe ausgezeichnete Franziskanerkirche (jetzige Stadtpfarrkirche ). Auch die im neuitalienischen Geschmack von Kaspar Zuccalli erbaute Kajetanerkirche verdient unter den 16 Gotteshäusern Salzburgs unseren Besuch.
Zunächst aber wenden wir uns zu dem herrlichen Marstall, den Erzbischof Wolf Dietrich 1607 erbaute, und der Reitschule zu, einer großartigen Reliquie Ernest Thuns (von 1693); 110 Schritte in der Länge mißt die Arena der Sommerreitschule – der Mönchsberg, in den drei Galerien mit 36 Arkaden gehauen wurden, begrenzt sie. Dann wandeln wir zum Neutor, das Erzbischof Sigmund 1747, 415 Schuh in der Länge, durch die Felswand brechen ließ; die stolze Inschrift »Te saxa loquuntur« und Sigmunds Büste verewigen das Andenken des Erbauers. Auch einen Besuch der Winterresidenz wollen wir nicht versäumen; dann aber eilen wir auf den Kapuzinerberg, an dessen Fuß die Roseneggerschen Anlagen des Bürgelsteins sind, wo zahlreiche Altertümer ausgegraben werden.
Auf dem Berg aber gedenken wir der Sage von der Entstehung der St.-Johannes-Kirche. Zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts habe sich's zugetragen, daß zwei Bettler vor das Tor von Salzburg gekommen sind und um Einlaß gebeten haben; und als sie gefragt wurden, was sie in der Stadt beginnen wollten, gaben sie zur Antwort, sie suchten sich einen Herrn, der sie ihr Leben lang pflege. Als nun der Torwärter den Bürgermeister ans Tor geholt und dieser sie beide um ihre Hantierung befragt hatte, sagte der eine, er wäre aus Nazareth und nach seiner Profession ein Steinhauer und Wegmacher, und der andere, er sei ein Galiläer und Zeugmacher. Der Bürgermeister ließ die beiden nicht ein, aber ein vornehmer und frommer Bürger, Ludwig Dänkl mit Namen, der eben krank war, hatte durch seinen Knecht von ihnen gehört und schickte zum Bürgermeister, daß er sie einlasse; er, der Dänkl, wollte sie christlich pflegen.
Als nun die beiden Bettler zu dem kranken Dänkl kamen, sagte ihnen dieser, daß er sie zwar zu Hause nicht aufnehmen könnte, aber auf dem Berg ihnen eine Hütte bauen wollte. Die beiden dankten höflich und entdeckten ihm nun, daß sie Johannes der Täufer – der Wegmach er des Herrn – und Johannes der Evangelist – ein Zeugmacher (weil er eben ein Netz flickte, als der Herr ihn berief) – seien; darauf verschwanden sie. Dänkl aber genas zur selbigen Stunde und erbaute auf seinem Grund und Boden am Kapuzinerberg die St.-Johannes-Kirche.
Beim Anblick so reicher landschaftlicher Schönheit, wie wir solche vom Kapuzinerberg aus weithin erschauen, erwacht uns der Wandervogel in der Brust und schlägt darin die Schwingen so mächtig, daß wir meinen, wir müßten die Arme ausbreiten und leicht hinabfliegen von den Höhen ins Tal, über die Gründe hin, zu den Alpen empor und über die Wipfel der Wälder hinweg.
Frisch auf denn; was säumen wir noch? Nach Aigen hin, wo das freundliche Schlößlein des Fürsten von Schwarzenberg aus Baumgruppen uns hervorwinkt! Ein wundervoller Park nimmt uns auf; die Gartenkunst verzichtete hier auf den Triumph, ihre Selbständigkeit zur Schau zu legen, sie begnügte sich damit, ganz und gar der Natur zu dienen, die sich hier als ebenso erhabenes wie liebliches Kunstwerk zeigt; die Gartenkunst bahnte nur die Wege, hob die Wirkung des Vorhandenen durch Ausscheidung des fremdartig Störenden und öffnete Aussichten auf jene Bergriesen: den Watzmann und den Untersberg.
Diese Aussichten locken uns erst recht, den 2560 Fuß hohen Gaisberg zu besteigen, an dessen Fuß das idyllische Aigen liegt. In zwei Stunden erreichen wir des Gaisbergs Gipfel und sind Herren einer großartigen Landschaft, die ein Alpen-Amphitheater umschließt: den Hochstaufen, den Untersberg, den doppelhäuptigen Watzmann, den Hohen Göll, den Zug des Tennengebirges, hinter denen die Spitze des Großglockners und des Ankogels emporsteigen; blanke Seen leuchten in den Talgründen, und wie eine Silberschlange schimmernd, windet sich die Salzach vom Paß Lueg gen Salzburg herab.
Doch so viele Reize sättigen uns nicht, und wir suchen ein Gegenstück des Aigner Parks; wir finden dies in Hellbrunn. Da treffen wir auf jedem Schritt mit der altmodisch-gespreizten Gartenkunst zusammen und finden uns plötzlich wie im Traum in eine längst verschwundene Zeit zurückversetzt; Rokoko ringsum; wir triefen vom Witz des Wasserkünstlers; und daß nichts fehle, was uns die Erinnerung an den wunderlichen Geschmack vom 17. und 18. Jahrhundert verlebendige, sehen wir plötzlich ein Felsentheater, auf dem vorzeiten öfter gespielt worden ist.
Einen anderen Ausflug machen wir nach dem schönen Schloß Kleßheim, einen dritten nach Leopoldskron; in den Moorgründen, die sich von hier bis zum Untersberg hinziehen, soll, wie die Sage uns meldet, die alte Heidenstadt Helfenburg (so verdeutschte man Juvavum) ihrer Laster wegen versunken sein.
Wir scheiden von Salzburg, um an den Ufern der Salzach stromaufwärts zu wandern; doch nicht bis zu ihrem Ursprung wollen wir sie verfolgen, sondern nur bis Lend, wo die Straße von Gastein mündet, welche wir einschlagen werden. Allenthalben stoßen wir unterwegs auf einen frohen, rüstigen Menschenschlag, dessen körperliche Wohlbildung mit seiner gastlichen Freundlichkeit gegen Fremde im schönen Verhältnis steht – eine wohltuende Erscheinung, die wir auch schon in Berchtesgaden gewahrten, dessen Bewohner den Salzburgern wie Milchbrüder ähneln; von der Pietät des Volkes und seinem kindlichen Sinn zeugen die vielen »Vaterunserkreuze« an gefährlichen Stegen auf einfache und rührende Weise; vor solchen Kreuzen, an denen kunstlos bemalte Täfelchen Unglücks- oder (selten!) Rettungsgeschichten darstellen und Rosenkranzkügelchen an einem Draht befestigt sind, kniet so manch hübsches Alpenkind, so mancher rüstige Greis und betet andächtig für die armen Seelen der Verunglückten, als wären es die von Geschwistern, Eltern oder Kindern.
Um so unangenehmer betrifft uns zuweilen der Anblick der Kretins (»Fexen« im Volksmund), deren Zahl im Salzburgischen wie in Berchtesgaden leider nicht gering ist. In den schönsten Landschaftspartien verbittert uns ihr halb tierisches Treiben die frohe Stimmung und den vollen Genuß. Oft sind diese Unglücklichen still und bescheiden unter dem Fluch des Ekels und des Abscheus, den sie – nicht selten bis ins hohe Alter – tragen; oft aber auch ungestüm bis zum Grausen, tückisch und boshaft, als triebe sie ein Instinkt, sich an jedem einzelnen Mitglied der menschlichen Gesellschaft dafür zu rächen, daß sie aus dem Verband ausgestoßen sind. Das Volk ist im allgemeinen duldsam und mitleidig gegen sie; nur selten werden sie verhöhnt; und wenn bei der Narrenfastnacht in Salzburg nach alter Sitte ein »Fexenzug der Maxglaner« erschien, so wurde diese Benennung nur in unschuldiger Selbstpersiflage angewandt.
An Leopoldskron und Hellbrunn vorbeiwandernd, kommen wir durch Morzg, Anif, Niederalm und Kaltenhausen nach der alten, gewerbefleißigen Stadt Hallein, die, von dem salzreichen Dürrnberg beherrscht, am linken Salzachufer liegt. Am Abhang des Dürrnbergs, der sich 1067 Fuß hoch über Hallein erhebt und von dessen Höhe der Riesenbach niederstürzt, gewahren wir das Knappendörfchen mit seiner Marmorkirche.
Wir durchwandeln nun das Gebiet der weiland Grafschaft Kuchl, deren Herren am rechten Salzachufer im gleichnamigen Markt ihren Stammsitz und – wenigstens einige Zeit lang – in Golling ihren Wohnsitz hatten. Bei dem letztgenannten Markt begrüßen wir den Hohen Göll. Aus ihm stürzt der Schwarzenbach hervor und donnert, wo die Felsbrücke sich wölbt, majestätisch die steile Wand hinab. Einer alten Sage zufolge entspringt der Schwarzenbach aus dem Königssee, wo die Schiffer uns auf der Rückfahrt in einer Wand des rechten Ufers das »Kuchler Loch« wiesen, durch welches das Seewasser in den Berg ströme, um zwischen Kuchl und Golling als Schwarzenbach wieder hervorzukommen. Auch einen Besuch der »Öfen« (einer Schlucht von zusammengestürzten gewaltigen Felsen), welche die Salzach durchtost, wollen wir nicht versäumen. Auf dem Brunnecker Berg, der bei der Tuscherbrücke beginnt, liegt das Kirchlein Brunneck, neben dem eine Quelle rieselt; auf dieser Stelle hatten, wie eine alte Sage erzählt, Joseph und Maria mit dem Christkind Rast gehalten, und als sie dürsteten, sei die Quelle entsprungen. Jetzt nähern wir uns dem Paß Lueg, durch den der Weg in den Pongau führt; die Wände des Hagengebirges rechts und des Tennengebirges links rücken hier so nahe aneinander, daß wir, unwillkürlich aufatmend, sie im Geist schon über uns zusammenstürzen sehen; mit wollüstigem Grausen blicken wir in die Salzach hinab, die die Schlucht durchrauscht; vor uns nur der schmale Streifen der Straße, unter uns der Bergstrom, neben uns die ungeheuren Felswände! – Jetzt öffnet sich die Aussicht, und wie wir ins breitere Tal hinaustreten, gewahren wir auf einem mächtigen Felsen das Schloß Hohenwerfen, das der Erzbischof Gebhard, ein Graf von Helfenstein, 1076 gründete und Matthäus Lang 1525 stärker befestigte. Die Überlieferung erzählt von einem um des Glaubens willen auf Werfen gefangenen Bauern aus dem Lungau, der dort sechseinhalb Jahre lang kein Wort gesprochen habe, und als er nach zweiundzwanzig Jahren die Freiheit erhielt– ein Seitenstück zu dem Gefangenen von Chillon – diese verschmähte. Unter dem Schloß breitet sich Werfen an der Salzach aus, vom Tennengebirge und von den Hochalpen geschützt. Wir machen einen Ausflug ins enge Blühnbachtal, das, der Chronik zufolge, seinen Namen davon erhielt, weil Erzbischof Hartwig einem Grafen von Sponheim und Ottenburg, ein abgebrochenes Ästchen mitten im Winter in der Hand Keime, Blätter und Blüten getrieben hat.
Von Werfen kommen wir nach Bischofshofen, wo der heilige Rupert 580 die Pfarrkirche erbaut haben soll, nachdem schwebende Lichter zwei goldsuchenden Knechten, Tonazan und Ledi, das Grab des heiligen Maximilian dort gewiesen hatten; auf einer Anhöhe, von der der Gainfeldbach 400 Fuß in die Tiefe niederstürzt, steht die Georgenkirche; in der Nähe soll einst das »Götzenschloß« gewesen sein, ein nicht geheuerer Ort, wo feurige Hunde vergrabene Schätze bewachten; von Bischofshofen setzen wir unsere Wanderung über St. Johann nach Schwarzach fort, wo die Evangelischen schworen, und bald erreichen wir, nachdem wir den Fall der Gasteiner Ache gesehen haben, das malerisch gelegene Lend, wo die Golderze, meistens jene vom Gasteiner Radhausberg, in dem 1550 gegründeten Schmelzwerk verhüttet werden.
In Lend verlassen wir die Salzach, in die sich die Gasteiner Ache ergießt, und erklimmen den Klammpaß, der zwischen ungeheuren Felsenwänden hinaufführt. Wo er sich öffnet, sehen wir plötzlich wie durch einen Zauberschlag ein üppiges Fruchttal vor uns. Über Unterberg, Mayerhofen, Dorfgastein, Harbach und Laderding nähern wir uns dem Markt Hofgastein, dem Geburts- und Sterbeort des seiner Zeit weit gerühmten Christoph Weitmoser, der als armer Mann den Bergbau in Gastein begann – anfangs mit so schlechtem Erfolg, daß er, um zu Ostern Fleisch essen zu können, den Brautschleier seiner Hausfrau verpfänden mußte. Der Erzbischof von Salzburg lieh dem fleißigen Mann, als er dessen Mut und Beharrlichkeit erkannte, 100 Taler, damit er den Bergbau fortsetzen konnte; habe der Weitmoser kein Glück, so sei ihm die Zurückzahlung erlassen. Weitmosers Ausdauer aber krönte das Glück; bald war er so reich, daß Ritter und Grafen um seine Töchter warben; damals gab die Fundgrube »Krone« in Gastein, wie es heißt, eine jährliche Ausbeute von 20000 Dukaten. Aber schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Christoph Weitmoser starb 1558) verminderte sich die Ergiebigkeit der Gruben, und der Reichtum der Weitmoser zerfiel; die Sage davon gehört dem Radhausberg beim Wildbad Gastein an, das wir jetzt erreichen.
Dicht am Hang der Tauern furcht sich ein hochgelegenes Tal von Westen gen Osten; da stehen die wenigen Häuser in erhabener Felseinsamkeit, von der G.H. Schubert so wahr als schön sagt: »Mir hat der Anblick der großen Gasteiner Natur etwas im Herzen zurückgelassen, das mich immer grüßen läßt und mich immer wieder hinruft... Wenn man so an dem mächtigen, brausenden Wasserfall sitzt und in die gewaltige Natur umher hineinschaut, ist es einem, als mischten sich alle möglichen Stimmen der wilden Natur mit in das Brausen hinein; und das dampfende Rätsel aus der Tiefe, mitten aus dem Urgebirge heraus, gibt der Gegend für den Naturfreund noch einen tiefen, inhaltsvollen Sinn dazu.« Fünf heiße Quellen entspringen dort, deren Anblick den Leidenden schon durch Hoffnung heilt (und Hoffen ist ja auch ein Genesen); er senkt eine verwelkte Blume in den wundertätigen Quell, und in frischer Pracht blüht sie darin auf, und überall sieht er, so rauh ihm die Gegend auch dünken mag, die überschwellende, unbändige Liebeskraft der Natur zutage drängen.
In der Nähe des Spitals laßt uns einen Anblick genießen, der einzig in seiner Art ist; aus einer Schlucht hinter dem Radhausberg, an den der Feuersengberg sich im rechten Winkel reiht, stürzt wild tosend, daß uns die Sinne fast vergehen, die Ache hernieder, 270 Pariser Fuß in die Tiefe, des Staubbachs Tau fällt auf Häuser und Brücken ringsum immerzu; mitten im Wassersturz springt eine warme Quelle. Vom Pavillon und von der Eremitage am Reichebenberg öffnet sich uns die schönste Aussicht des Tals. Einst haben darin »wilde Männer« gelebt, so erzählt das Volk, die den Stallesenwald am Stubnerkogel neunmal absterben und wieder von Wurzel auf grün werden und die ungeheuren Felsgipfel wie kleine Kinder wachsen gesehen haben; die wohnten in einer Höhle, am Eingang der Klamm und bewarfen die Vorübergehenden mit Äpfeln; riesig war ihre Stärke, und die Menschen zitterten davor; aber die wilden Männer taten diesen gar oft auch Gutes.
Von der Entdeckung der Gasteiner Heilquellen erzählt die Legende folgendes: Zu Ende des siebenten Jahrhunderts sei es geschehen, daß Jäger einen Hirsch geschossen und das fliehende Tier bis zu dem Wasserfall verfolgt hätten. Dort hätten sie zwei fromme Klausner, Primus und Felizianus, gefunden und bei diesen das edle Tier, das in der warmen Quelle seine Wunden gepflegt habe. Aber erst manche Jahre später seien die Heilquellen im ganzen Pongau allgemein bekannt geworden durch drei Pilger, die den Landleuten den Pfad gewiesen hätten; den »drei Wallern« zu Ehren wurde auf der Höhe zwischen Klammstein und dem Bernkogel eine Kapelle erbaut, in der später (1619) ein wundertätiges Kruzifix erhöht wurde; der Kraft jener beiden frommen Klausner wurde es auch zugeschrieben, daß das Beginnen des Bösen, der die Quellen von Gastein nach St. Johann versetzen wollte, nicht gelang.
Wie der Segen des Radhausberges versiegte, berichtet die Sage in verschiedener Weise. Einst ist die reiche und hoffärtige Weitmoserin durch die Klamm geritten; da saß ein Bettelweib am Weg und bat sie um ein Almosen. Die Weitmoserin aber gab statt dessen nur Spott und Hohn. Da rief die Bettlerin Gottes Fluch über die unbarmherzige Reiche, daß der Segen des Berges versiege und ihr ganzes Geschlecht in Elend untergehen möge. Aber lachend und voller Übermut zog die Weitmoserin einen kostbaren Ring vom Finger, warf ihn in die Ache und rief: »Sowenig ich diesen Ring wiedersehe, so wenig wird dein Fluch, o Törin, sich je an mir erfüllen.«
Einige Zeit danach gab der reiche Weitmoser ein verschwenderisches Gelage, und eine große Forelle wurde dabei aufgetragen und vor die Hausfrau hingesetzt, und diese fand im Bauch des Fisches ihren Ring. Der Fluch der Bettlerin ging bald in Erfüllung, der Bergsegen schwand, und das Geschlecht der Weitmoser, deren Reichtum sprichwörtlich geworden war, verarmte.
Eine andere Sage schreibt das Versiegen der schon von den Römern bebauten Goldgruben dem Übermut der Knappen zu. Einst war ein Goldklumpen von mehr als einem Zentner Gewicht gefunden worden und großer Jubel darüber in den Gewerkschaften. Da gab's Gelage, bei denen jeder Knappe, des köstlichsten Weines voll, sich schon als Edelmann sah; mit silbernen Hufeisen warfen die Übermütigen nach dem Plattenziel, mit silbernen Kugeln schössen sie auf der Jagd; so sündigten sie alle, im Wahn, daß des Berges Segen unerschöpflich sei, und so arg verhärtete sie der Übermut, daß sie einem gemästeten lebendigen Ochsen die Haut abzogen.
Als einer die Grausamkeit schalt, riefen die andern: »Was liegt daran? Können wir's doch bezahlen und werden noch reicher werden, als wir jetzt sind, denn sowenig der geschundene Ochse noch brüllen und laufen kann, so wenig wird das Gold im Radhausberg sich mindern.«
Da brüllte das gepeinigte Tier dreimal und rannte in das Kötschachtal; am andern Tag aber, als die Knappen die Grube wieder befuhren, war die Goldader verschwunden.
Von einem anderen reichen Schacht aber auf der Erzwiese wird erzählt, daß er nur verborgen und wohl noch wiederzufinden sei; das ist der Schacht der »Frau Maierin«, die 1637 um des Glaubens willen von ihrem Mann getrennt wurde und auswandern mußte, zuvor aber jenen Schacht mit Quadersteinen verschlagen ließ.
Nachdem wir die malerischen Anlagen Gasteins besucht haben – jedes Plätzchen bietet dem Landschafter eine eigentümlich reizende Vedute-, durchwandern wir die ferneren Umgegenden; zuerst das Kötschachtal, dann das Anlauftal, wo der Sturz des Höhkarbachs und der Tauernfall unsere Bewunderung erregen und wir den Ankogel besteigen, der sich 10356 Fuß (Wiener Maß) über die Meeresfläche erhebt. Am reichsten belohnt uns ein Ausflug nach dem Naßfeld; an gewaltigen Wasserstürzen – dem Kesselfall, den Bärenfällen und dem Schleierfall – kommen wir vorbei und betreten nun die erhabene Felseneinsamkeit, in der alles Lebendige sich versteinert zu haben scheint – ein Asyl der Verzweiflung, Müttern offen, die alle ihre Kinder, Männern, die ihr Vaterland verloren haben, gut zu hausen ist da oben für sie, keines Menschen Stimme, keines Vogels froher Gesang schallt bis dort hinauf, dunkler wölbt sich der wolkenlose Himmel hier über ihnen, näher sind ihre trotzigen Scheitel den Blitzen, und das Heulen des Sturms, das Rollen des Donners schallt ihnen wie Musik, die letzten Regungen der erstarrenden Lebenskraft zu wecken, bis sie sich schweigend in die Majestät ihres Schmerzes hüllen und Stein werden, wie die Natur rings um sie. – Wir aber, die wir bis zum letzten Atemzug mit dem Geschick ringen wollen, steigen wieder zu den Wohnungen der Menschen hernieder und freuen uns jedes Abendsonnenstrahls und jedes Augenblicks, den wir ganz durchleben, und fühlen uns hier freier als in der Einsamkeit.
Von Golling aus, wohin wir von unserer Gasteiner Wanderung zurückkamen, wenden wir uns östlich in das herrliche Abtenauer Tal: über den Paß Gschütt kommen wir dann in das hochgelegene, etwa vier Wegstunden lange Alpental, das der wilde Gosaubach durchtost und einzeln liegende Höfe, von fleißigen Protestanten bewohnt, so recht traulich und heimelig machen und die gewaltigen Pfeiler des von Spielbichler 1757 für die Solenleitung erbauten, 70 Klafter langen Gosauzwangs schmücken; an den Wurzeln des Dachsteins breiten sich die beiden Gosauseen, der Vordere und der Hintere (oder Kreidensee), in paradiesischer, von Bergwäldern umfriedeter Einsamkeit aus. Wir befinden uns bereits im Salzkammergut– im engen Zauberkreis (von 11¾ Quadratmeilen), innerhalb dessen die ganze Erhabenheit, Lieblichkeit und Mannigfaltigkeit der Schweizer Natur zusammengedrängt ist.
Vom Gosautal wandern wir, an der Gosaumühle vorbei, an den Hallstätter See hinab. Schwarz wie der Grund eines Grabes liegt sein Spiegel vor uns; wie eines Grabes Wände steigen an seinen Ufern die Felsenmassen des Zwölferkogls, des Turmeckkogls und des Schafecks empor, und wie wir, in Gedanken versunken, auf die dunkle stille Wasserfläche hinstarren, ist es uns, als teilte sie sich allmählich und aus dem Grund stiege langsam und schweigend der Engel des Todes empor und höbe die Wasser wie einen ungeheuren schwarzen Mantel an sich herauf und wüchse mit ihnen bis zur Höhe der Berge – jetzt streckte er den Arm und das Schwert in der Faust weit aus, und die Tropfen fielen vom Schwert nieder, und das blasse Antlitz leuchte wie ein Gletscher im Mondenschimmer.
Doch plötzlich wird's sonnighell vor unseren Blicken, die ernsten Bilder unserer Phantasie verschwinden, und als ob Schleier gefallen wären, bewundern wir eine großartige Landschaft. Am jenseitigen Ufer des Sees entdecken wir freundliche Häuser, an die Abhänge himmelan ragender Berge hingebaut; wir besteigen einen Kahn und rudern in den See. Während wir der Erzählung der Fischer lauschen, wie drei Monde lang im Winter kein Sonnenstrahl auf den See und auf Hallstatt fällt – und in der Lahn gar vom Oktober bis zum März –, entfaltet sich das Bild in seiner ganzen erhabenen Schönheit. Die Schiffer nennen uns die Berge, die auf Hallstatt herabblicken: dort ragt der Salzberg am Hohen Plassen, jener weiße Streifen in der senkrecht tief eingefurchten Felsschlucht ist der Fall des Mühlbachs. In der Mitte des schwarzen Sees blicken wir um uns nach allen Seiten des großartigen Panoramas hin und horchen auf die Ratschläge der Schiffer, wie wir den Dachstein, der im Süden von Hallstatt sich erhebt, besteigen sollen: Über den Rudolfsturm dort auf dem Salzberg müßten wir, den der Kaiser Albrecht (1184) erbaut und ein anderer Kaiser, der letzte Ritter, besucht habe wie noch an einer Raststätte unterwegs zu lesen sei; viele Knochen von Kriegsleuten würden dort gefunden, dann über die Spraderbachwand und über die Tropfwand, dann kämen wir durch den Tiergarten und die Herrengasse, über die Ochsenwiesalm und das Taubenkar.
Während der Fahrt hat indessen die Lage des alten Hallstatt selbst, wo die Römer zahlreiche Spuren ihrer Anwesenheit hinterlassen haben, und besonders der Kirche in der im 12. Jahrhundert ein Konzil abgehalten worden ist, unsere Aufmerksamkeit gefesselt; und als wir endlich gelandet sind, gilt unser erster Besuch dem Gotteshaus, das uns von der Höhe so traulich gewunken hat, und den Schläfern, die sich, wie Kinder um die Mutter, rings um sie her sanft unter Rasen gelagert haben; vom Friedhof blicken wir hinüber nach dem hohen Sarstein, an dessen Fuß das Schlößlein Grub sich uns zeigt, das einst den Rittern von Eiseisberg gehörte.
Nach kurzer Rast brechen wir auf und folgen dem Führer, der uns zum Kessel und zum Hirschbrunnen geleitet, etwa ein Viertelstündchen vom Markt entfernt. Das sind zwei große Krater am Ufer des Sees, aus denen zuzeiten die Alpenwässer überströmen, die durch die Adern der Berge rinnen, wenn hoch oben am Dachsteingletscher der Schnee schmilzt. Dann weist uns der Führer den Weg zwischen Hallstatt und der Lahn ins Echerntal, durch einen harzduftigen Bergwald hinan; in des Hirlatz Felsenreich sind wir gekommen, dumpfes Getöse schallt uns entgegen; immer lauter wird's, je weiter wir vorwärtsdringen, und mit einem Mal überrascht uns der Anblick des Waldbachstrubs; da stürzt der Waldbach, zwiefach geteilt, aus der Schlucht in die Tiefe – ein ungestümer, vor Lust aufheulender Bote, den der Berggeist dem See zusendet.
In einer Stunde sind wir in Hallstatt zurück und halten weidliche Rast; denn eine weite, beschwerliche Wanderung ist's, die wir nun beginnen wollen. Dem Rat der Schiffer folgend, steigen wir die Felstreppen hinan, die zum Rudolfsturm führen, in dem der Bergmeister wohnt, und dann zu dem Berghaus, wo wir uns schnell in Knappen verwandeln, um den reichen Salzberg zu befahren, der einen Besuch wohl verdient. Er hat 16 Aufschläge und gibt eine jährliche Ausbeute von 2 Millionen Eimer Sole, von denen in der Lahner Salzpfanne täglich mehr als 1500 versotten werden.
Nachdem wir ihn wieder verlassen, schlagen wir den bereits angegebenen Weg nach dem Dachstein ein. Ermattet von beschwerlicher Wanderung langen wir auf dem ungeheuren Eismeer an, auf dem der Bergfürst seine Throne aufgerichtet hat: die Riesenpfeiler des Torsteins, das Hohe Kreuz, den Gjaidstein und das Dirndl; in drei Eisberge teilt sich der Gletscher, in das »Karlseisfeld«, das »Kleineis« und den »Toten Knecht«. Die Häupter entblößt! Wir fühlen den Odem des Ewigen, der denkt und will – und eine Welt vergeht! Wir Menschen bauen dir Tempel, Unerforschlicher! Was sind sie in all ihrer Pracht und Herrlichkeit, mit ihrem Bilderschmuck und mit ihren Hymnen, gegen diesen Tempel, in dessen Umkreis nur selten ein lebendes Wesen tritt? Als Zeugen deiner Allmacht stehen diese kahlköpfigen Riesen, deren Scheitel das Firmament tragen, und der Mensch fühlt hier seines Wesens ganze Erhabenheit, weil er sich ganz als dein Kind fühlt!
Von Hallstatt fahren wir wieder über den See und kommen nach Steeg, wo die Traun ihn verläßt; dann wandern wir über Goisern und Lauffen, wo der wilde Lauffenfall ist, nach Brunnleiten und über Reiterndorf nach dem Markt Ischl, dem fashionabelsten Bad des Erzherzogtums Österreich, wo sich seit den letzten zwei Dezennien die höchsten Klassen der Gesellschaft ein Sommerrendezvous geben; wunderlich genug nimmt sich die blasse, feine Physiognomie der Geburts- und Geldaristokratie der ewig jungen und frischen Alpennatur gegenüber aus; die bedächtig hinwandelnde, jeden Schritt zuvor messende Sitte der vornehmen Welt auf den Vorbergen der gewaltigen Gebirgsketten, die das von den schäumenden Wellen der Traun und der Ischl durchschnittene Tal umschließen; im Norden steigen über dem Höllengebirge der Höllkogel und der Wildenkogel empor, gen Nordosten blickt die Zimnitz ins Tal hinab, an die der Hainzen sich lehnt; südwestlich reiht sich an diesen das Kattergebirge, südöstlich erhebt sich der schon zu Leopolds des Glorreichen Zeit bebaute Salzberg 529 Klafter hoch, etwa ein Stündchen von dem Markt entfernt. Längs der Traun ziehen sich die einfachen Häuser in langer Reihe hin; auf einem Hügel thront die Nikolauskirche, deren Turm noch aus der Zeit Rudolfs I. von Habsburg stammt, zu der das Gotteshaus gegründet wurde; der Kirche gegenüber erblicken wir das neue Badehaus mit der Inschrift »In sale et sole omnia consistunt«, daneben das Pfannhaus; auf dem Wolfsbühel steht das Schlößl, ein Eigentum des Grafen Kollowrat.
Ringsum sind zahlreiche Plätze, zu denen die Gäste wandeln, um reizende Aussichten zu genießen, »Hygiens Gruß«, »Potokos Erbauung«, »Elisens Sitz«, »Karolinens Panorama«, die »Theresienhütte«, »Malfattis Himmel«, »Schmalnauers Hof«, die »Magyarenbank« und »Sophiens Sitz«, das »Belvedere«, »Eleonorens Einsamkeit«, der »Fürstenplatz«, der »Karolinenplatz« und so manche andere, deren Benennungen meistenteils an die erlauchten Personen aus dem Kaiserhaus erinnern, denen Ischl in den wenigen Jahren, seit es 1822 ein Badeort geworden ist, das rasche Aufblühen seines Wohlstands zu danken hat; dem Andenken des vielgeliebten Kaisers ist in Ischl der »Kaiser-Franzens-Alpenberg« und außerhalb des Marktes der »Kaiser-Franzens-Weg« geweiht (der auf der Soleleitung von der Kaltenbachau – in der der Rudolfsbrunnen springt und die Ruinen von Wildenstein stehen – nach Lauffen führt).
Ischl bildet so ziemlich den Mittelpunkt des Salzkammerguts, und so wollen wir denn von hier aus die malerisch interessantesten Partien desselben besuchen, zuerst den Traunsee, dann den Attersee und den Mondsee und hierauf längs des Wolfgangsees nach Salzburg zurückkehren, um wieder dem Lauf der Salzach abwärts bis zu ihrer Mündung in den Inn zu folgen.
Die Soleleitung ist unsere sichere Richtschnur, wenn wir im Trauntal weiterwandern, um Langbath und Ebensee zu erreichen, wo die Traun in den See stürzt, der von ihr seinen Namen empfängt und sich in einer Länge von 6310 Klaftern gen Norden zwischen den steilen Wänden des Hochgebirges bis an sanftere Waldhöhen hin ausbreitet. Bei Langbath senken sich die Hänge des Kranawettsattels ins enge Tal herein, vier Stunden bedürfen wir, um vom Langbather Kalvarienberg aus über den Mimmersberg, die Hohe Rast und das Gsoll, den höchsten Kogel jenes Gebirges, das dem Höllengebirge angehört, zu ersteigen und die beiden Langbathseen zu befahren, die am Fuße jenes Berges liegen.
Nach Langbath zurückgekehrt, besteigen wir einen Kahn und rudern auf dem Traunsee nordwärts. Da zeigen sich uns am rechten Ufer die majestätischen Felsenwände des Rötelsteins und des Traunsteins, der 890 Klafter hoch aus der dunkelgrünen Fläche des Sees emporsteigt; am nächsten gewahren wir die wild hinanstarrenden Zacken des Erlakogels und des Spitzsteins, links gipfelt der steile Sonnsteinspitz empor.
Plötzlich halten die Schiffer die Ruder ein und fragen uns, ob wir den See zum ersten Mal befahren. Da wir die Frage bejahen, kündigt uns der Älteste von ihnen mit feierlicher Miene an, daß wir die Taufe empfangen werden. Wir lächeln darüber und versichern unsererseits, daß wir zu nichts weniger Lust hätten, als auf Knall und Fall Wiedertäufer zu werden. Doch schon hat unser Schiffer das Haupt entblößt – sein junger Gehilfe folgt seinem Beispiel – und schickt sich ohne weiteres zu der Zeremonie an. Was wollen wir machen? Sind wir nicht in seiner Gewalt? Er aber heißt uns ohne Umstände die Hüte abzunehmen, dann faßt er mit possierlicher Würde eine Hand voll Wasser aus dem See, benetzt uns damit und spricht feierlich die Worte: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes taufe ich dich und dein Name soll sein Augustus von Hochkogel«; so naht er sich jedem von unserer Gesellschaft und tauft den einen »Konradus von Traunstein«, den andern »Josephus von Erlakogel« und eine Dame, deren Liebenswürdigkeit ihm eine Galanterie abzwingt, »Karoline von Schönberg«. Kurz, die örtliche Sitte muß ihr altes Recht behaupten, und es versteht sich von selbst, daß wir dem ketzerischen Wasserpfarrer die Stolgebühr nicht vorenthalten dürfen. Die Ruder werden nun wieder eingesetzt, und plötzlich überrascht uns der Anblick der uralten Hofmark Traunkirchen auf einem in den See hinausgestreckten Vorgebirge.
In einer kleinen Bucht landen wir und steigen zu der Kirche hinan, die zuerst dem Nonnenkloster Neumünster Eine Sage, der von Frauenchiemsee ähnelnd, schwebt auch um diese Stätte; Ritter Konrad von Eisenau liebte Lutgarde, eine Nonne in Traunkirchen, und schwamm in jeder Nacht zu ihr herüber, bis er in einer finsteren Nacht in den sturmempörten Wellen den Tod fand. und nach dessen Auflösung im siebzehnten Jahrhundert den Jesuiten bis zur Aufhebung ihres Ordens gehörte; die Schiffer hatten uns die Kirche als die schönste im ganzen Land beschrieben, doch wir finden unsere Erwartung ziemlich getäuscht, jede Erwartung hingegen übertroffen, da wir den See überblicken. Am rechten Ufer sehen wir, unsere Seefahrt fortsetzend, die gähnende Schlucht der Eisenau, am linken die der Viechtau, in der der Weststurm lauert, den die Schiffer so sehr fürchten. An demselben Ufer erheben sich das freundliche Schloß Ebenzweier, weiterhin Altmünster, in dessen Kirche der Herbersdorfer ruht, von dem die Bauern im Bauernkrieg sangen:
Von des Herbersdorf Joch und Tyrannei
und seiner großer Schinderei
mach uns, o lieber Herrgott, frei;
und weil es dann gilt die Seel' und Gut,
so gelt's auch unser Leib und Blut;
Gott geb' uns einen Heldenmut,
es muß sein.
Hinter der Kirche zieht sich die Römerstraße hin. Von Altmünster berichtet der Volksglaube, daß es der älteste Ort im ganzen Gau sei; am Kollmannsberg und auf dem Platz, wo jetzt die Kirche steht, hätten Heidentempel gestanden, die der Einsiedler Hieronymus zerstört habe, und von Hocheck bis an den Adlersberg hin habe sich eine große Stadt ausgedehnt; Kaiser Karl der Große aber habe die ersten Geistlichen hierhergebracht. Weiterhin zeigt sich das Schlößlein Ort, das mit dem aus dem Wasser emporsteigenden Seeschloß Ort durch eine Brücke zusammenhängt; am anderen Ufer zeigt sich uns mittlerweile das Dörflein Traundorf, der Freisitz Roith am Abhang des Roithbergs, von wo der Pfad zur Himmelreichswiese hinanführt, und das Schloß und Dorf Weyer.
Und nun liegt, wo die Traun den See wieder verläßt, das freundliche Städtchen Gmunden vor uns, im Halbkreis das nördliche Ufer des
Sees umschmiegend. Die Linzer Eisenbahn mündet hier und lädt zu rascher Fahrt ein. Die Pfarrkirche, wo jener Held des Bauern- und des Dreißigjährigen Krieges, der »Soldat« und »Schrammhans« par excellence, Gottfried Heinrich von Pappenheim,
Hascha, da kommt der unsinnig
Von Pappenheim geritten ganz grimmig,
Rennt über alle Zäun' und Gräben,
Daß ihm gleich die Haar' aufstäben,
Stellt sich, als war' er winnig,
Kein Prügel, kein Stecken
Will gegen ihn klecken,
Noch unsre Kolben spitzig,
Kein Büchsen, kein Degen,
Auch gar der Wundsegen;
Er ist uns viel zu witzig,
Ich glaub' fast ohn' all'n Zweifel,
Er sei selbst ganz der leidige Teufel.
So sangen die Bauern des Landes ob der Enns von ihm, ihrem Schrecken. seinen Schlachtdegen neben dem Hochaltar aufhing, sowie die Spitalkirche, das Rathaus, das Kapuzinerkloster verdienen wohl, daß wir sie besuchen. –
Das Ziel unseres zweiten Ausflugs von Ischl aus ist der nordwestlich gelegene Attersee, der größte im Salzkammergut; er mißt 10300 Klafter in der Länge, 1741 in der Breite, während der Traunsee nur 6310 in der Länge und 1570 in der Breite hat. In vier Stunden erreichen wir über Ebensee und durch das Weißenbachtal, an dem Zerrennhammer und dem Holzaufzug vorbei, seine reizenden Gestade; am südwestlichen liegt das idyllische Dorf Weißenbach, am nördlichen das Schlößchen Kammer, am östlichen Steinbach, wo die uralte Kirche unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, und Weyregg, wo 1830 römische Gebäude ausgegraben wurden. Wie auf dem Traunsee der Westwind aus der Viechtau, so ist auf dem Attersee der Südwind (volkstümlich Sunnawind) der Schrecken der Schiffer.
Von Weißenbach fahren wir nach Unterach, wo der Atterbach, aus dem Mondsee kommend, in den Attersee mündet, und wandern in einer dreiviertel Stunde an den ernsten Mondsee, dessen Einsamkeit die majestätischen Bergwände des Schafbergs, des Sagenreichen Drachensteins, des Schobers behüten. Wo jetzt am nördlichen Ufer das Wredesche Schloß steht, hatte Odilo, der Agilolfinger, 748 das einst weit berühmte Benediktinerkloster gegründet, dessen Kirche, ein schöner Bau im deutschen Stil, die Gebeine des frommen Abtes Konrad bewahrt, den 1145 seine Untertanen ermordeten.
Nicht weit vom Mondsee ist der Zeller See, von dessen Entstehung uns die Sage meldet, daß einst hier schönes Fruchtland gewesen sei mit einer Kirche und einem Schloß, in dem zwei Schwestern wohnten, deren eine so lang ein ruchloses Leben führte, bis des Himmels Langmut endlich erschöpft war; da sind das Schloß und die Kirche versunken, die wilden Wasser, die plötzlich hervorgeschossen und den See gebildet haben, decken nun beide zu. –
Den Weg von Ischl nach Salzburg durchmessend, kommen wir an den Wolfgangsee, von dessen himmelheiterem Blau die trunkenen Blicke sich nicht abwenden können. Drei Stunden in der Länge und eine in der Breite liegt der klare Spiegel vor uns, auf dem schwerbefrachtete Schiffe mit vollen Segeln schwimmen, über ihm steigt der Schafberg (5628 Fuß über der Meeresfläche) in die Wolken empor; die freundlichen Marktflecken St. Wolfgang (am nördlichen) und St. Gilgen (am westlichen Ufer) beleben die herrliche Szenerie.
Der See heißt ursprünglich Abersee, seinen jetzigen Namen empfing er von dem heiligen Wolfgang, der mit Piligrin von Passau die Ungarn bekehrte und, 972 zum Bischof von Regensburg geweiht, so segensreich dort wirkte, daß alles Volk daselbst ihn fast anbetete. Voll Demut entfloh er mit einem frommen Laienbruder auf den einsamen Falkenstein am Gestade des Abersees; dort baute er sich eine Klause und lebte in dieser Abgeschiedenheit bis zum Jahre 977. Noch heute zeigt man euch dort seine Höhle, den Brunnen, dem er gebot, den Felsen zu verlassen (die Pilger pflegen sich in der Quelle zu waschen), den »fallenden Berg«, den der Böse rollen wollte und der Heilige aufhielt, und im Stein die eingedrückten Spuren seines Hauptes und seiner Hände. Als er bei einem furchtbaren Gewitter seinen Genossen verloren hatte, suchte er sich eine andere Wohnung und warf auf der Stelle, wo er zu beten pflegte, das Beil, mit dem er die Gegend rodete, ins Tal; wo er es wiederfände, wollte er ein Bethaus bauen. Das Beil flog eine halbe Stunde weit auf jene Stelle, wo jetzt die Wolfgangkirche steht; den Ort, wo er den Wurf tat, bezeichnet eine Martersäule, und jenen, wo er, das Beil suchend, rastete, ein Stein, der seine eingedrückten Fußstapfen bewahrt. Das Kirchlein aber, bei dessen Bau die Anwohner ihm hilfreiche Hand leisteten, weihte er Johannes dem Täufer. Ein verirrter Jäger fand ihn endlich und brachte die Kunde nach Regensburg, wo die ganze Gemeinde sich darüber freute und dem geliebten Seelenhirten Boten mit der Bitte, er möchte wiederkehren, schickte. Er starb 994, wurde zu St. Emmeram begraben und 1032 heiliggesprochen. Zu seiner Siedelei wallten zahlreiche Pilger, und bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts wohnten Einsiedler, dem Beispiel des Heiligen nachfolgend, am Falkenstein.
Auch eine Minnesage schwebt über jenem Ort, von Rainulf dem Ritter, der sich hier um die Geliebte härmte, die der erzürnte Vater im tiefen Turm verschloß; nach langen Jahren vernahm er in seiner Einsamkeit ein leises Stöhnen und fand vor seiner Schwelle einen Pilger, der, um Aufnahme flehend, zu seinen Füßen lag; als er ihn in die Zelle trug, erkannte er im Pilger – die Geliebte, deren Vater gestorben war; und dankbar priesen nun beide die unerforschlichen Wege des Herrn.
Die dem heiligen Wolfgang zu Ehren in dem allmählich entstandenen Dorf 1084 neu erbaute Kirche wurde 1429 mit dem Ort ein Raub der Flammen, bald aber erhoben sich beide aus der Asche, der Neubau der Kirche wurde 1463 vollendet; die edle Struktur derselben verdient unsre Aufmerksamkeit, nicht minder der herrliche Flügelaltar in altem deutschem Stil mit vortrefflicher Schnitzarbeit (von Michael Pacher von Praumeck, von 1481) und mit Malereien im Geschmack Michel Wolgemuths; auch bewahrt die Kirche das Portatile des heiligen Wolfgang, sein Beil, seinen Krummstab und seinen Kelch und ein interessantes altes Evangeliarum. In der Kapelle neben der Kirche wird das vermeintliche Grab St. Wolfgangs gezeigt. Auch das 1695 neu hergestellte Pfarrgebäude, in dem Kaiser Leopold I. 1683 weilte, verdient einen Besuch wegen des schönen Brunnens von Metallguß mit St. Wolfgangs Bildsäule (ein Werk von Meister Leonhard zu Passau von 1515), welcher den Hof schmückt. Dicht an der Kirche erhebt sich der Kalvarienberg, von dem aus sich eine reizende Aussicht über den See hin und auf die schroffen Gebirge am gegenüberliegenden Ufer desselben auftut.
Gleich hinter dem Markt St. Wolfgang beginnt der Pfad, der durch herrliche Bergwälder und über Alpen, auf denen gastliche Sennhütten dem Wanderer offen stehen, zwischen großartigen Felspartien zum steil abgerissenen Gipfel des Schafbergs (im Volksmund der »Teufelsabbiß«) führt, von dem ihr das erhabene Labyrinth der Alpenzüge mit seinen leuchtenden Juwelen, den Seen, rings um euch überschaut und zur anderen Seite das schöne Bayernland, bei dunstfreiem Himmel und mit scharfen Augen sogar die Münchner Frauentürme am äußersten Saum des Horizonts erkennen könnt.
Am westlichen Ufer des Sees verweilen wir in St. Gilgen, um den reizenden Anblick des Sees nochmals zu genießen; dann steigen wir, der Poststraße folgend, die Berghöhen hinan, oft genug unterwegs zurückblickend auf die Landschaft, von der wir uns nicht trennen zu können glauben. Über Fuschl, wo ein kleiner See sich ausbreitet, und Hof setzen wir unsere Reise nach Salzburg fort, das wir endlich, sobald wir Gnigl erreicht haben, im Hintergrund des Zaubertals gewahren und mit freudigem Zuruf wieder begrüßen.
Von Salzburg aus schiffen wir auf der Salzach in kaum zwei Stunden nach der alten Stadt Laufen, die einst dem Erzstift Salzburg gehörte und jetzt Bayern einverleibt ist; am linken Ufer der Salzach breitet sich die Stadt aus, zwei Vorstädte am rechten Ufer des Stroms liegen auf österreichischem Gebiet; in dem Schloß, das der Salzburger Erzbischof Wolf Dietrich 1608 erbaute, hielten sonst die Salzburger geistlichen Fürsten im Herbst einige Wochen lang hof. Von den eigentümlichen Sitten und Bräuchen der Schifferzunft in Laufen wußte man viel zu erzählen, wie an 1200 – teils Männer, teils Weiber – derselben angehörig sind und wie beiderlei Geschlechter um den Preis der Geschicklichkeit gebuhlt haben, beim Schifferstechen sowohl, das sie in scharlachenen Kleidern begingen, als auch zur Winterzeit, auf dem Thespiskarren von Ort zu Ort ziehend.
Weiter hinab erreichen wir auf unserer Stromfahrt Tittmoning, gleichfalls am linken Ufer der Salzach. Auf dem alten Schloß, das auf einer felsigen Höhe die Stadt beherrscht, residierten öfter die Salzburger Erzbischöfe. In der Stadt verdiente die Pfarrkirche, die der Erzbischof Paris Lodron 1633 zur Kollegiatskirche erhoben hat, und die Augustinerkirche unsere Aufmerksamkeit.
Nicht allzulang sind wir wieder unterwegs, und schon sehen wir die Zinnen des Schlosses von Burghausen (eigentlich dreier Schlösser, worin, wie die Volkssage berichtet, drei feindliche Brüder gehaust haben). In diesem Schloß ließ Heinrich von Landshut, der karge Fürst, seinen Sohn Ludwig aufwachsen, mit diesem wurde darin auch dessen Vetter, der junge Albrecht von Brandenburg, erzogen; beide, die nachts sogar in einem Bett schliefen, haderten die ganze Zeit des Tages über eifrig miteinander. »Ihr Herren tragt einen Korb voll Unglück feil, Gott weiß, wo ihr ihn ausschütten werdet«, rief ihnen einst der Ritter Wilhelm von Rechberg zu – bei Giengen schütteten sie jenen Korb später (1462) aus.
In einem Turm dieses Schlosses verlebte der alte Ludwig im Bart den Rest seiner Tage als Gefangener – auch im Kerker und bis zum letzten Atemzug unbeugsam. »Hätt' mir das wer in meiner Jugend gesagt, daß ich gar soviel leiden sollt', ich glaub' nit, daß alle deutschen Fürsten mich dazu hätten bringen mögen«, sprach der unglückliche Greis, der die ruchlose Hand seines Sohnes, des Buckels, noch schwerer als den Haß seines alten Todfeindes Heinrich von Landshut empfunden hat; hier starb der Schwergeprüfte am 1. Mai 1447, eine Stunde nach Mitternacht.
In diesem Schloß bewahrten die Landshuter Herzöge ihren weit berühmten Schatz, für dessen Transport gen Neuburg an der Donau siebzig sechsspännige Wagen benötigt wurden.
Burghausen gegenüber am rechten Ufer der Salzach liegt Ach mit einer Wallfahrtskirche, deren Entstehung aus dem Jahre 1354 datiert, in dem das Gnadenbild der Mutter des Heilands, das Kind im linken Arm, eine Traube in der rechten Hand, auf der Salzach herabschwamm. Nicht weit unterhalb Burghausen, unfern Pandorf, ergießt sich die Salzach in den Inn; auf diesem schiffen wir nach Passau zurück und horchen den Erzählungen der Schiffsleute von den Sitten und Bräuchen der Anwohner dieses Stroms.
Mancher Aberglaube hat sich unter ihnen, besonders im Innkreis, erhalten; sie glauben noch steif und fest an das »Teufelausbrüten«, um durch des Bösen Hilfe reich zu werden; wer das wolle, der müsse Gott absagen, so werde er ein schwarzes Ei finden, das ein Hahn gelegt habe, das müsse er, die ewige Seligkeit abschwörend, neun Tage lang in der Achselhöhle tragen, in der neunten Nacht aber, mit dem zwölften Glockenschlag, werde der Böse aus dem Ei hervorspringen und ihm dienen. Auch das »Rauneln« (Chiromantie) wird in der Silvesternacht noch veranstaltet; so auch das »Kreisstehen« in der Christnacht. Um das Schloß Forchtenau, am »Hunnen(Ungarn) schlachtfeld«, tobt das »Wilde Gjaid«; der Schwarze Hund hetzt dort noch immer den gottlosen Grafen. Wie stark noch die Gewalt des Aberglaubens ist, entnehmen wir aus einer Erzählung von einem Bäcker, der zu einem »berufenen Mann« gekommen war, daß dieser ihn mit dem Bösen bekanntmache. Der Zauberer gebot seinem Klienten, wohl um seine Geduld auf die Probe zu stellen, eine geraume Zeit sich bis an den Hals in einem Ameisenhaufen im Wald zu begraben, ohne sich zu rühren, und – wer sollte es für möglich halten? – der Abergläubische bestand diese Probe, den Beweis lieferte sein gefundenes Skelett!
In Laufen hörten wir von der Sitte des gemeinen Volks, im Winter, Komödien aufführend, das Land zu durchwandern. Diese Sitte herrscht auch im Innkreis; am Dreikönigstag findet noch der Mummenschanz das »Sternsingen« statt, und in der Osterzeit wird in gereimter Zwiesprache der Streit des Sommers mit dem Winter und dessen Besiegung (vermittels einer derben Tracht Prügel) dargestellt. Pferderennen sind seit Jahrhunderten ein Lieblingsfest der Inn-Anwohner; seltener sind die Ochsenrennen und das Rennschlittenfahren; das »Gansreiten« (eine Tierquälerei) ist in neuerer Zeit ziemlich abgekommen, wogegen das »Ringelstechen«, das »Sacklaufen« und das »Hosenlaufen«, das »Bockschieben« (ein Kegelspiel, wobei ein burlesk geputzter, feister Bock der Preis ist), das »Ringen« und das »Eisschieben« noch üblich sind. Das »Breistehlen« ist eine Belustigung beim »Flachsriffeln«, die an eine spartanische Sitte erinnert; es handelt sich nämlich um die Kunst, die gestohlene Beute vor aller Augen schnell in Sicherheit zu bringen.