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Am Lusthaus des Praters besteigen wir wieder das Schiff, unsere Reise auf der Donau bis an die Grenze Ungarns fortzusetzen. Da breitet sich am rechten Ufer vor uns die weite Ebene bei Simmering aus, wo einst die Botschafter der Türken empfangen wurden; jetzt dient sie zu großen Manövern, und stattliche Pferdewettrennen werden auf ihr veranstaltet, zu denen die Wiener des 19. Jahrhunderts mit ebensolcher Lust und Neugier strömen wie ihre ehrsamen Urväter noch im des 16. Jahrhundert zum »Scharlachrennen« zu St. Marx (das nicht weit von Simmering entlegen), nur mit dem Unterschied, daß das Volk bei den Pferderennen heutzutage eine passive Rolle spielt, während es im Mittelalter die Hauptrolle hatte; welsche Kaufleute hatten jene Sitte nach Wien gebracht, und während der beiden Messen fanden denn auch jene »Scharlachrennen« statt, so benannt, weil ein Stück kostbares Scharlachtuch der erste Preis war; am Vorabend rief ein Herold auf der Schranne am Hohen Markt das Fest aus, und am Renntag selbst wurde auf dem Platz zu St. Marx das Scharlachtuch an einer hohen Säule befestigt, eine Straße, der »Rennweg«, trägt noch heute von der damaligen Richtung der Rennbahn ihren Namen. Bürgermeister und Ratsherren kamen im festlichen Zug zu Pferd heran, nahmen an einem Tisch vor dem Spital zu St. Marx Platz und verteilten dort die Preise. Auch ein Wettlaufen von Männern und Frauen war damit verbunden, der Preis dafür war zwei Stück Barchent. Zum Schluß des Festes tischte der Bürgermeister in seinem Haus allen Teilnehmern Wein und Brot (später bei wachsendem Luxus ein ordentliches Mittagsmahl) auf. Beim ersten Einbruch der Türken (1529) erlosch diese Sitte.
Eine Erinnerung an die Türkenzeit ist das von Rudolf II. aufgeführte »Neugebäude« bei Simmering, wo einst des großen Suleiman Zelt schimmerte, da er, das Haupt voller Riesenpläne, der Kaiserstadt drohte; sein Lager breitete sich bis gegen St. Marx aus.
Nicht weit von Simmering am rechten Ufer liegt Kaiserebersdorf, wo Napoleon 1809 im sogenannten Türmel- oder Schlegelhof sein Hauptquartier hatte; am linken umschließt ein Arm der Donau im weiten Bogen die Insel Lobau, von der er im Mai 1809 über die Donau setzte, die Schlacht auf den Feldern zwischen Aspern und Eßling zu liefern. Bei Schwechat, das unterhalb Kaiserebersdorf etwas ferner vom rechten Ufer steht, zeigt ein Denkmal die Zusammenkunft Kaiser Leopolds I. mit dem tapferen Polenkönig Johann Sobieski nach der Befreiung Wiens von den Türken.
An dem alten Mannswörth vorüberschiffend, kommen wir gen Fischamend (der Römerort Aequinoctium, das Vischkemunde des Mittelalters an der Mündung der Fischa), wo unter Friedrich IV. der Böhme Ludwenko sein Unwesen trieb. Fast dicht am rechten Ufer läuft von hier an bis Hainburg die Preßburger Poststraße. An demselben Ufer zeigt sich uns nun das Dorf Maria Elend, wo 1683 die Prinzen von Arenberg und von Savoyen in der Türkenschlacht fielen, am linken Ufer Orth, ein alter Markt mit einem Schloß, das Konrad der Frohnauer gewann, Wien und alles Land von Enns bis Baden von hier aus ängstigend, und das 1645 durch die Schweden eingenommen wurde; am rechten Ufer weiter hinab Regelsbrunn mit einer Ruine und Wildungsmauer, das die Sage den Tempelrittern zuweist, ein Stück des römischen Agger, der von Carnuntum herauf sich gegen Aequinoctium zog.
Allmählich nähern wir uns jetzt dem klassischen Boden, auf dem einst das römische Carnuntum, des oberen Pannoniens Metropole, stand. Von Petronell bis Hainburg gibt die Erde noch immer Zeugnis von der Römerherrschaft. Im gräflich Traunschen Schloßgarten zu Petronell und bis gegen Deutsch-Altenburg hin wurden und werden zahllose römische Altertümer ausgegraben; der Schüttkasten und der Schloßhof sind voll von solchen. Der Schüttkasten wurde, der Inschrift zufolge, »auf die von den Römern gelegten Grundmauern, mit ihren zugeführten Steinen und vielen unter dem Kaiser Konstantinus II. gebrannten Ziegeln« im Jahre 1774 aufgeführt. »Die große Stadt Troja« heißt das alte Carnuntum noch im Volksmund. In Carnuntum schrieb der kaiserliche Philosoph Marc Aurel seine Betrachtungen; zu Carnuntum wurden Septimius Severus und Licinius als Imperatoren begrüßt, Maximianus und Diokletianus weilten dort. Von den Tagen der Römer redet bei Petronell noch heute der Triumphbogen, den Augustus dem Tiber nach Pannoniens Bezwingung erbaute, das »Heidentor« nennt ihn das Volk.
Den Mithrasdienst im alten Carnuntum kündet ein jetzt in Wien aufbewahrter Denkstein. In Petronell verdient die interessante alte Kirche, die Karl der Große (dem die Sage auch die Gründung der Peterskirche in Wien zuschreibt) zu Ehren der heiligen Petronella erbaut haben soll, Aufmerksamkeit; eine andere Überlieferung läßt auch diese Kirche einst den Tempelherren gehört haben, die bei St. Johann saßen. Von Petronell an beginnen die Reste der alten Schanzen (wahrscheinlich aus dem Türkenkrieg von 1683), die sich bis an den Neusiedler See in Ungarn hinziehen.
Bald sehen wir jetzt Deutsch-Altenburg, in dessen Nähe auf einem mäßigen Hügel die im reinen deutschen Stil erbaute St.-Johanns-Kirche mit ihrem Turm und daneben der uralte niedere Rundtempel im altsächsischen Baustil unsre Aufmerksamkeit in hohem Grade erregen. In diesem Umkreis Carnuntums hatte wohl die »Legio XIV. gemina« ihr Quartier, hier erhoben sich einst prachtvolle Thermen und ein Kaiserpalast.
Gegenüber von Deutsch-Altenburg (am linken Ufer) liegt Stopfenreut; zwischen diesem Ort und Marchegg (wo im »Salmhof« der Verteidiger Wiens gegen die Türken, der greise Held Niklas Salm, 1530 an seinen Wunden starb) schlug Ottokar 1260 den Ungarnkönig Bela, dessen schöne und feurige Nichte Kunigunde im darauffolgenden Jahr, nach Margarethes Verstoßung, seine Gattin wurde. Achtzehn Jahre später (26. August 1278) ergoß sich eine zweite Schlacht von Marchegg bis Stillfried und Jedenspeigen, empfing Marchegg die Leiche Ottokars!
Von Deutsch-Altenburg erreichen wir in kurzer Zeit das Städtchen Hainburg, wo die römische Donauflotte ihren Hafen hatte, dessen Spuren man noch erkennen will. Im Rathaus wird ein römischer Altar bewahrt, der Römerturm hat ein Steinbild, das für Etzels Konterfei ausgegeben wird. Das Nibelungenlied erwähnt Hainburg – die Heunenburg –, wo Etzel mit Kriemhilde und seinen Recken, von Wien herkommend, Nachtruhe hielt: »In der alten Heimburg verblieb man über Nacht.« Simrocks Übersetzung, 22. Abenteuer.
In der alten Burg am Berg, die gegen Theben hinschaut, hielt die schwergeprüfte Witwe des in Apuliens Kerker gestorbenen römischen Königs Heinrich, Margarethe, die Schwester Friedrichs des Streitbaren, bereits siebenundvierzig Jahre zählend, ihr Beilager mit dem viel jüngeren, in der Blüte der Manneskraft stehenden Böhmenkönig Ottokar, der diesen Ehebund als Rechtstitel auf den Besitz Österreichs anwandte.
Unterhalb Hainburg, wo einst die Grenzburg, jetzt die Grenzmaut gegen Ungarn sich befindet, zeigt sich das Templerschloß und breitet sich das Schlachtfeld aus, auf dem der tapfere Graf Sighard von Sempt 907 im Kampf gegen die Ungarn blieb. Am linken Ufer aber, wo die March in die Donau mündet und die Länderscheide gegen das herrliche Ungarland bildet, zeigt sich uns der Markt Theben, und westlich von ihm blickt von kühn emporgipfelnden Felsen der Trümmerhaufen des Schlosses, wie ein durch Alter und ernste Geschicke ungebeugter und immer noch wie in den Tagen der Gewalt trotziger Wächter auf das Königreich weithin, dem die Donau, von Deutschlands Gauen Abschied nehmend, jetzt zuströmt. Deutscher Männer Brudergrüße bringe dem edlen Volk der Magyaren, Stromkönigin; und kühne Hoffnungen bringe den meeranwohnenden Völkern vom großen Weltverständnis, vor dem die Grenzmarken schwinden und das den Nationen durch Bewußtwerdung – Kraft und Freiheit gibt. Solche Wünsche nimm mit auf die Reise, deutsche Donau, und fahre wohl!