Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich ging nicht mehr zu Bette, sondern ich retuschierte meine bei Nacht entworfene Zeichnung und erwartete mit Ungeduld den Moment, wo ich nach dem Quai de l'Ecole mich werde begeben können. Wie langsam die Zeit verstrich! Es war mir ganz unmöglich, mir über die Gefühle Rechenschaft zu geben, welche mich bei der unbezwinglichen Sehnsucht nach Iza beseelten. War ich verliebt? Ganz bestimmt nicht. Ich konnte dies nicht sein in ein Mädchen, welches ich vielleicht in kurzem Kleidchen, Kinderstiefeln und mit hängendem Zopfe wiedersehen konnte.
Dieses Doppelwesen hatte mich die Liebe kennen gelehrt, ohne mich verliebt zu machen. Man muß in einem Alter sein, wo man Liebe zu fühlen vermag, um dieselbe auch einflößen zu können. Aber ich wußte tatsächlich nicht, wie ich die Zeit bis zum Mittag hinbringen sollte. Ich hatte zur Arbeit absolut keine Lust und befand mich in einem Zustand vollständiger Apathie. Der Himmel hätte über mir zusammenstürzen können, ohne daß ich es bemerkt hätte. Dabei war mein Kopf voll von den Ereignissen der letzten Nacht, welche anderen wohl recht unbedeutend erscheinen mußten, mich aber unaufhörlich beschäftigten. Ich bin eben so unglücklich veranlagt, daß ich mich in Extremen bewegen kann und niemals die goldene Mittelstraße des Lebens zu wandeln vermag. Ich wurde von den Leidenschaften stets ergriffen und beherrscht und war nie imstande, dieselben zu meistern. Die trüben und schmerzvollen Eindrücke meiner Jugend hatten diese Anlagen so verhängnisvoll zur Entwickelung gebracht, Anlagen, welchen ich alle Freuden und Erfolge meines Lebens verdanke, die aber auch alle Irrtümer und Fehlgriffe desselben verschuldeten. Ich ertrug diese in der Tat krankhafte Aufregung wie einen Vorboten zukünftiger Geschicke. Mich zog es nach dem Quai de l'Ecole hin mit jener geheimnisvollen Wahlverwandtschaft, welche Goethe entdeckt und sehr ausführlich beschrieben hat und an deren Existenz man nicht zweifeln kann.
Ich ging, unwiderstehlich angezogen, ein Kind besuchen, welches ich gestern noch nicht gekannt, das in einigen Tagen abreisen konnte und welches ich ohne Zweifel niemals mehr wiedersehen würde. Aber ich konnte es nicht unterlassen, sie nochmals zu sehen, und dies sobald wie möglich.
In meiner Sehnsucht hatte ich alle Schicklichkeitsrücksichten außer acht gelassen und es war Mittag, als ich die Schwelle des Hauses überschritt, in welchem Iza wohnte. Das Haus machte einen recht armseligen Eindruck, und jeder andere wäre erstaunt gewesen, daß ein so reizender Vogel sich ein so erbärmliches Nest ausgesucht hatte.
Aber die Schwalben nisten überall, und sie tragen in jedes Haus den Frühling und die Hoffnung hinein. Das Haus war schmal und tief, es hatte nur zwei Fenster Front, an deren grünlichen Fensterscheiben zerschlissene Gardinen hingen.
Die Portierloge, durch die große, grobgezeichnete Aufschrift: » Concierge« unter dem ersten Treppenabsatze als solche gekennzeichnet, konnte man in der Dunkelheit nur mit vieler Mühe finden, und man lief Gefahr dabei, mit dem Kopfe gegen das Guckfenster zu stoßen, hinter welchem ein menschliches Wesen vegetierte, dessen Geschlecht nur durch dessen Kleidung zu erkennen war, und das auf die steten Fragen gewohnheitsmäßig mit monotoner Stimme antwortete: »Erste Etage, zweite Etage, dritte Etage.« Auf meine Frage erhielt ich die Antwort: » Dritte Etage.«
Ich stieg die Treppen hinauf und mußte mich trotz meiner zwanzig Jahre an das eiserne Geländer halten, welches wie ein Pfropfenzieher sich diese steile Wendeltreppe entlang zog. Je höher man stieg, desto größer wurde die Dunkelheit. Dieses Haus war wie ein verkehrter Brunnen. Der Tag brach unten an.
Als ich endlich die dritte Etage erklommen, mußte ich mich mit den Händen vorwärts tappen, und ich rannte tatsächlich gegen die Türe, an welcher ich läuten sollte. Ich schöpfte vorerst Atem, und fand endlich den Glockenzug, welcher erst nach mehreren Versuchen läutete.
»Wer ist da?« rief hinter der Türe eine Stimme, welche ich sofort als diejenige des Pagen erkannte, und welche wie heller Glockenton durch das Vorzimmer schallte.
»Ich bin's, Pierre Clémenceau,« antwortete ich; »ich bringe Ihnen Ihr Bild.«
»Ah, ich bin gerade allein und im Begriffe, mich anzukleiden. – Warten Sie, bitte, einen Moment.« Und ich hörte das Klitsch-Klatsch zweier Pantöffelchen, welche auf dem Ziegelboden des Vorzimmers aufschlugen und sich von der Tür entfernten.
Ich mußte einige Sekunden warten, dann wurde die Türe, welche nach einem finstern Vorzimmer führte, geöffnet. Ich sah im ersten Augenblicke nichts als die dunklen Umrisse des jungen Mädchens, welche sich vom Fenster des ersten Zimmers abhoben. Ihre Silhouette schien auf diese Weise wie von einem Glorienschein umstrahlt. Um diesen zierlichen Kopf, dessen Züge in der Dunkelheit unkenntlich waren, hatte das üppige, goldene Haar eine Strahlenkrone gebildet, wie wir sie an den Heiligenbildern der griechischen Orthodoxen sehen.
»Mama ist ausgegangen,« sagte Iza zu mir, »treten Sie jedoch näher. Wir haben Sie so früh nicht erwartet.«
»Es ist aber schon Besuchszeit,« antwortete ich. »Beweis, auch Ihre Frau Mama ist bereits ausgegangen.«
»O, die ist in geschäftlicher Angelegenheit weggegangen. Bitte, bemühen Sie sich in den Salon.«
Das Zimmer, welches Salon genannt wurde, hatte die Aussicht auf den Quai. Es war mit schmutzigen, zum Teil zerrissenen, zum Teil geflickten Tapeten ausgestattet. An der Mittelwand hing über einem Piano, auf welchem Notenhefte in voller Unordnung herumlagen, ein großes, durch künstlerischen Wert nicht besonders hervorragendes Oelbild ohne Rahmen, welches einen ausländischen Offizier mit mächtigem Schnurrbart und einer ganzen Menge Orden und Ehrenkreuze darstellte. Ein kleines Tischchen aus Mahagoniholz, ein gelbes Damastsofa, ein hohes, rotes Plüschfauteuil, drei wackelige Lehnsessel, auf welchen man in steter Gefahr schwebte, herunterzufallen, am Fenster ein Nähtisch mit Stahlperlen und einem Zwirnknäuel in einer Bonbonniere, vor dem Kamin ein Teppich mit verschossenem Muster, auf dem Kamin eine Alabasteruhr mit zwei silbernen Leuchtern, denen gegenüber ein halbblinder Spiegel hing; dies bildete nebst kleinen, von der Sonne und der Feuchtigkeit rostig gewordenen Vorhängen die gesamte Einrichtung des »Salons«. Auf jedem Möbelstücke lag irgend ein Fetzen des Maskenkostüms, welches das Mädchen in ihrer Müdigkeit hingeworfen hatte. Und inmitten dieser Unordnung und dieses starrenden Schmutzes stand Iza, das heißt die Jugend, die Grazie, der blühende Lenz, das lachende Leben.
Sie war in einen langen Ueberwurf mit Schwanenkragen gehüllt, den sie mit der linken Hand über der Brust zusammenhielt, während sie mit der Rechten dessen Schleppe unaufhörlich in die Höhe hob, um nicht darüber zu stolpern. Man konnte leicht bemerken, daß Iza unter dieser Drapierung nichts als ihr Hemd und einen Unterrock trug, der trotz der Bemühungen des Mädchens, ihn zu verbergen, immerwährend zum Vorschein kam. Welche Kunst könnte die feinen und weichen Wellenlinien dieses wunderbar geschmeidigen Körpers wiedergeben, welche durch diese leichte, schmiegsame Hülle halb angedeutet, halb verraten wurden!
Iza stand in dem Alter, wo die Unschuld des Kindes mit der Schamhaftigkeit der Jungfrau im Kampfe liegt, und wo erstere infolge der Macht der Gewohnheit die Oberhand behält. Ihre Neugierde, das Bild zu sehen, ließ sie mitunter die Vorsicht vergessen, welche bei einem solchen Aufzuge doppelt geboten war. Als sie das Bild aus dem Umschlage nahm, öffnete sich dieser groteske Mantel und unwillkürlich bekam ich ihre noch unentwickelten Schultern und ihren Busen zu sehen. Bei einer raschen Bewegung, welche sie machte, um den hervorstehenden Unterrock zurückzuschieben, verlor sie einen Pantoffel, in welchen ihr nacktes Füßchen sofort wieder hineinschlüpfte wie ein Vogel in sein Nestchen. Endlich überdrüssig aller dieser nutzlosen Vorsichtsmaßregeln, nahm sie von einem Stuhl eine Tüllschärpe, befestigte dieselbe durch einen Knoten um ihre Hüfte und war so der Sorge um ihre Person enthoben.
»Schauen wir uns die Geschichte an! Kommen Sie,« rief sie ungeduldig und trat ans Fenster, um das Bild zu betrachten.
»Ach, wie schön,« rief sie aus, »wie schade, daß ich geschlafen habe! Man sieht jetzt meine Augen nicht.«
Dabei richtete sie ihre großen blauen Augen mit den edel geschwungenen braunen Wimpern auf mich – die Augen Minatis!
»Wir werden noch ein anderes machen,« erwiderte ich, »zwei andere, zehn, so viel Sie nur wollen.«
»Wann denn?«
»Wenn es Ihnen beliebt, sofort!«
»Aber nicht hier, hier ist es nicht hübsch. Wir wollen es in Ihrem Atelier machen.«
»Dann werde ich auch eine Büste von Ihnen verfertigen.«
»Wirklich?!«
»Jawohl.«
»Leider müssen wir aber bald von hier abreisen. Schon in acht Tagen.«
»Das ist mehr Zeit, als wir dazu brauchen.«
»Woraus wollen Sie meine Büste machen?«
»Aus Ton, den ich brennen werde.«
»Wie macht man denn das?«
Ich suchte ihr den Vorgang klar zu machen.
»Und Sie schicken mir dann die Büste?«
»Ganz bestimmt.«
»Nach Polen!«
»Nach Polen.«
»Sie wird doch nicht auf dem Wege zerbrechen?«
»Nein; aber ich könnte sie auch bis zu Ihrer Rückkehr in Verwahrung behalten.«
»Wir kommen aber nicht mehr zurück.«
»Niemals?«
»Nein, niemals. Ich verheirate mich dort unten.«
»Sie denken jetzt schon ans Heiraten?«
»Ich nicht; aber Mama spricht immer davon. – Wenn Sie auch meine Hände anbringen könnten. Das wäre fein! Die sind nämlich, wie mir scheint, besonders schön.«
Und sie zeigte mir ganz unbefangen ihre Hände, welche in der Tat bewundernswert waren: voll, nicht groß, schmal, mit rosigen Nägeln und feingliedrigen Fingern und mit einem so biegsamen Gelenk, daß es deren Beweglichkeit nach innen und außen ermöglichte; weiche, zarte Hände, vor denen man sich sorgfältiger hüten muß wie vor den Krallen des Tigers.
»Wie weiß sie sind,« sagte ich darauf. »Das findet man selten in Ihrem Alter.«
»Ich schlafe auch in Handschuhen! Mama gibt sich mit meinen Händen große Mühe. Sie sagt, diese bilden den wichtigsten Teil der Schönheit einer Frau, ebenso auch die Füße.«
Sie machte eine Bewegung, um mir auch ihren Fuß zu zeigen, zog ihn aber rasch wieder zurück.
Welche Vereinigung von kindlicher Treuherzigkeit, mädchenhafter Koketterie und weiblichem Stolze! Aber welche Liebenswürdigkeit in den Schwächen, und welche Grazie in den Vorzügen! Plötzlich sagte sie:
»Ja, aber bezahlen können wir Ihnen diese Büste nicht, denn wir sind nicht reich. Aber ich häkele Ihnen eine schöne Börse. Sehen Sie mal, wie hübsch ich solche Sachen mache.«
Während sie mir nun ihre kleinen Arbeiten zeigte, welchen man es schließlich ansah, aus was für Händen sie hervorgegangen, und während ich dieselben mit zerstreuten Blicken musterte, wurde die Tür mit großer Heftigkeit aufgestoßen. Ein Mann, welcher seine Frau bei einem Tete-a-tete überraschen will, braucht nicht ungestümer einzutreten. Es war die Mutter.
Ich sprang ganz erschrocken in die Höhe, während Iza nur flüchtig nach der Tür sah.
»Ach, du bist es, Mama!« sagte sie. »Wie heftig du aber eintrittst!«
»Die Portierfrau hat mir gesagt, daß ein junger Mann bei dir oben ist.«
»Was weiter?«
»Was weiter? Das schickt sich nicht.«
»Warum denn nicht?«
»Weil es sich nicht schickt. Ich begreife überhaupt nicht, warum der Herr um diese Zeit zu anständigen Damen kommt, die er eigentlich gar nicht kennt, und warum er mit einem jungen Mädchen allein bleibt, dessen Mutter nicht zu Hause ist.«
Ich stammelte einige Entschuldigungen.
Iza schnitt mir das Wort ab und schien der Mutter in polnischer Sprache einige Erklärungen zu geben. Die Gräfin beruhigte sich allmählich, nahm das Porträt und sagte zu ihrer Tochter:
»Geh' dich anziehen, Kleinchen. – Sie werden es, mein Herr, selbst wissen,« fuhr sie sodann fort und legte das Bild, ohne es anzusehen, auf den Tisch, »wie schnell ein Mädchen kompromittiert ist; eine Minute genügt hierzu. In unserer Lage kann uns der geringste Verdacht, die kleinste, hämische Bemerkung großen Schaden zufügen, soweit es sich nämlich um Iza handelt. Denn von mir ist jetzt nicht mehr die Rede. Hätte ich meine andere Tochter nicht stets so sorgfältig überwacht, so hätte sie niemals eine solche Partie gemacht, wie dies nun der Fall gewesen, und wie sie dessen auch würdig ist, da sie einer der ältesten und vornehmsten Familien des polnischen Adels angehört. Aber wir waren nicht reich, und in allen Landen, in Polen wie in Frankreich, ist das Geld die Hauptsache.
Mein Mann ist durch den letzten Aufstand in Polen zugrunde gerichtet worden. Er war für die Unabhängigkeit und Freiheit – er war ein Narr!
Der Kaiser von Rußland hat ihm die schönsten Anerbietungen gemacht. Er hat sie zurückgewiesen. Sein Bruder hat sie angenommen, und es ist ihm sehr gut bekommen. Er nimmt jetzt in St. Petersburg eine hoch angesehene Stellung ein. Er war der jüngere; aber seit dem Tode meines Jan (Jan hieß nämlich mein Gatte), ist er der einzige Träger dieses Namens. Unsere Güter wurden damals konfisziert. Ich habe mich, da ich als Finnländerin gar keine Veranlassung habe, polnischen Patriotismus zu treiben, an meinen Schwager gewendet, daß er beim Kaiser Schritte zu unseren Gunsten unternehme, und ich habe jetzt gute Nachrichten erhalten. Aus diesem Grunde reisen wir auch ab.
Meine ältere Tochter ist an einen sehr reichen Mann verheiratet; aber er hat sie ohne Mitgift genommen, und Sie wissen, welcher Verlaß auf Kinder ist, wenn sie einmal versorgt sind. Sie kümmert sich gar nicht um mich. Briefe kann ich von ihr bekommen, so viel ich will, aber leere Worte, leere Briefe! Auf diese Tochter kann ich gar nicht rechnen. Sie ist hübsch, aber lange nicht so hübsch wie Iza. Welche Triumphe hat sie hier gefeiert – hier, wie überall, wo wir waren! Dieses Kind wird eines Tages auf einem Thron sitzen. Ich weiß, was ich sage. Sie hat alle Eigenschaften zu einer Königin, und ich habe einen guten Plan.
In Rußland gehören die Verbindungen zwischen einem armen Mädchen und einem Prinzen nicht zu den Seltenheiten. Peter der Große hat eine Magd geheiratet, und er selbst war der Sohn einer Frau, welche fern vom Throne geboren und erst von seinem Vater unter die Edlen des Reiches aufgenommen worden ist. Meine Tochter ist von edler Abstammung, so edel wie die Radziwills und die Czartoryskis! Als sie noch klein war, spielte sie oft während eines Besuches des Kaisers in Warschau mit dessen Sohne. Sie waren damals allerdings noch Kinder, aber – ich weiß es aus guter Quelle – er hat sie noch nicht vergessen, und wenn er sie wiedersehen wird, werden die früheren Gefühle neuerdings in ihm erwachen. Das übrige ist ihre Sache und ein wenig auch wohl die meinige. Er ist allerdings nicht der Thronfolger, aber er hat ebensoviel Chancen wie jeder andere. In Rußland weiß man bei Hofe niemals, wer am Leben bleibt und wer stirbt. Schließlich wird man bei einem jüngeren Familienmitgliede weniger Schwierigkeiten machen und ohne Zweifel ihn nach dem Zuge seines Herzens seine Lebensgefährtin wählen lassen.
Die ganze Erziehung von Iza habe ich aus diesem Gesichtspunkte geleitet. Sie spricht, wie Sie sie da sehen, vier Sprachen: Französisch, Englisch, Polnisch und Russisch. A propos – Sie müssen mir ein hübsches Porträt von ihr machen. Das hier ist ja recht nett, aber es genügt nicht. Es muß größer, pompöser sein, damit ich es dem Prinzen wie zufällig zeigen kann. Ich habe da unten außer meinem Schwiegersohn noch einen andern guten Freund, welcher der erste wäre, meine Pläne zu durchkreuzen, wenn er von ihnen erfährt; aus purer Eifersüchtelei und Neid, anstatt einer solchen Verbindung Vorschub zu leisten, welche auch seinen Interessen förderlich wäre, denn Iza ist nicht das Weib dazu, um die Ihrigen zu vergessen. Sie ist herzensgut, sie hat Gemüt, arbeitet wie eine kleine Fee und entbehrt, ohne zu klagen.
Wir brauchen vor niemand zu erröten. Ich kann Ihnen, junger Freund, der Sie selbst um Ihr tägliches Brot arbeiten müssen, ruhig sagen, daß es, seit wir in Paris sind, Tage bei uns gegeben hat, wo wir nicht einen Sou hatten. Gut! Iza sang lustig weiter, und wir lebten oft von unserer Hände Arbeit. Eine Dobronowska, welche Börsen häkelt, um sie zu verkaufen! Sie werden mich nun fragen, warum wir unter solchen Umständen Bälle besuchen? Das arme Wurm muß sich ein wenig zerstreuen, und dann scheint Madame Lesperon sehr gute Beziehungen zu haben. Alle Leute, die wir dort kennen gelernt haben, können uns nützlich sein. Jüngst haben wir dort einen Theaterdirektor getroffen, welcher mir 4000 Franks jährlich anbot, wenn ich ihm meine Tochter zur Ausbildung überlasse. Sie hat nämlich eine sehr schöne Stimme. Er verpflichtete sich, mir diese Summe bis zu ihrem ersten Auftreten zu zahlen und sie nicht eher auftreten zu lassen, bis sie ganz gründlich ausgebildet sei. Er wolle für alles aufkommen, alle Kosten tragen und ihr die besten Lehrer halten. Ich habe diesen Antrag abgelehnt. Habe ich nicht Recht gehabt? Das Theater für ein Mädchen, wie sie es ist! Aber der Herr wußte nicht, mit wem er es eigentlich zu tun hatte. Ich erzähle Ihnen dies nur, damit Sie eine Ahnung davon haben, welchen Eindruck Iza gleich beim ersten Anblick macht. Unter uns gesagt, es wäre mir schon lieber, daß sie beim Theater mit einer Gage von 200 000 Franks ist, als sie an einen Einfaltspinsel verheiratet zu sehen, welcher sie nicht versteht. Können Sie sich Iza als die Frau eines kleinen Beamten vorstellen? Sie ist geboren, um zu glänzen, gleichviel wo, aber sicherlich auf dem Gipfel. Nur soll sie vorher nicht von sich reden machen, deswegen passe ich so auf. Sie ist die Unschuld selbst, und ich kann ruhig behaupten, daß sie bislang nichts gehört und nichts gesehen hat, was die Reinheit ihrer Seele hätte trüben können.
Auch ich habe, trotzdem ich sehr schön gewesen, niemals auch nur das geringste Abenteuer gehabt. Ich könnte mich sogar noch jetzt sehr gut wieder verheiraten, aber ich will nicht.
Sie werden es also nach allem sehr begreiflich finden, warum ich, als man mir sagte, Iza sei mit einem jungen Manne allein – ich wußte ja nicht, daß Sie es sind – aber selbst, wenn ich es gewußt hätte, wäre ich ebenso rasch die Treppe heraufgeflogen, denn erstens kenne ich Sie noch nicht genau und dann, die jungen Männer nehmen das Gute, wo sie es finden.
So oft wir uns auf der Straße sehen lassen – wir können uns nicht zu jedem Gange einen Wagen nehmen – steigt man uns nach. Iza sieht älter aus, als sie in der Tat ist, es fehlen noch zwei Monate zu vierzehn Jahren, aber sie ist eine kleine Dame und hat eine entzückende Figur. Ich sage Ihnen, ein Künstler würde sein Glück machen, wenn er ein solches Modell bekäme. Aber in den niederen Volksklassen, wo Sie gezwungen sind, Ihre Modelle zu holen, gibt es so was überhaupt nicht. Früher war das alles anders! Da standen die Damen der großen Gesellschaft den Malern ganz nackt Modell, aber heutzutage würde man darüber die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Aber es gibt eine gewisse Art von Schönheit, welche nur in der Aristokratie vorkommt. Izas Vater war auch ein Prachtkerl, der schönste Mann weit und breit. Hier hängt ein Porträt von ihm, welches ich immer mit mir führe, trotzdem es mir durch seine Größe mitunter beschwerlich gefallen ist. Den Rahmen habe ich schon verkauft, er war mir auch sehr beschwerlich, und dann mußte ich ihn, sowie auch manche andere Sachen verkaufen. Wissen Sie übrigens, woher ich soeben komme? Mein Gott, ich will es Ihnen sagen: direkt aus dem Leihhause. Das wird Ihnen auch erklären, warum ich so zeitig aus dem Hause gegangen bin. Ich war gezwungen, einen Schmuck zu versetzen, welchen der österreichische Botschafter meiner Tochter verehrt hat; sie hatte nämlich seiner Tochter eine ihrer kleinen Handarbeiten geschenkt. Ich weiß nicht, was ohne diesen Schmuck aus uns geworden wäre. Was ich Ihnen soeben gesagt habe, bleibt alles unter uns; ich würde vor Scham versinken, wenn jemand unsere Lage kennte. Wir erwarten ja auch das polnische Geld, aber bis dahin müssen wir doch auch leben!«
»Mein Gott, Madame,« sagte ich tief ergriffen, als ich endlich zu Worte kommen konnte, »ich bin nicht reich und kann die Armut besser wie jemand anders nachfühlen, da auch meine Mutter mit Glücksgütern nicht gesegnet ist. Aber ich verdiene immerhin schon ein Stück Geld, und wenn ich Ihnen irgendwie dienlich sein kann, so wird es mir in der Tat ein großes Vergnügen bereiten.«
»Sie sind sehr liebenswürdig,« erwiderte die Gräfin, indem sie mir die Hand drückte. »Für den Augenblick sind wir versorgt. Falls ich zu unserer Reise noch etwas brauchen werde, werde ich mich an Sie wenden. Ich verspreche es Ihnen. Glücklicherweise brauchen wir hier keine Miete zu zahlen. Diese Wohnung ist uns von einem alten Herrn, welchen ich vor Jahr und Tag gekannt habe, zur Verfügung gestellt worden. Der Herr ist nämlich leidend, und befindet sich im Winter stets im Süden bei seinem Sohne. Schön ist ja die Wohnung nicht, aber wir ersparen auf diese Weise dennoch ein hübsches Geld!«
Iza erschien in diesem Augenblick, ganz eingehüllt in Winterkleider.
Mutter und Tochter wollten ausgehen, und nun war also an der ersteren die Reihe, sich zur Promenade anzukleiden. Ich blieb zum zweiten Mal mit der Tochter allein, deren Gesichtsausdruck plötzlich einen gewissen Zug von Traurigkeit, ja sogar von Schmerz aufwies. Die großen Augen blickten ganz starr, die Wangen waren bleich und die halb geöffneten Lippen schienen sich zu entfärben. Sie setzte sich dem Fenster gegenüber, schaute in den trüben Tag hinaus und gab sich augenscheinlich alle Mühe, sich aufrecht zu halten.
In diesem Momente trat ihre Aehnlichkeit mit Minati noch frappanter hervor. Es überfiel mich eine furchtbare Angst bei dem Gedanken, daß sie eben so jung wie er sterben könne.
»Warum schauen Sie mich denn so scharf an?« fragte sie mich.
»Sie scheinen leidend,« erwiderte ich, »und das beunruhigt mich.«
»Es wird mir etwas schwindelig; das passiert mir immer, wenn ich nicht ausgeschlafen habe.«
»Warum besuchen Sie auch Bälle, wenn es Sie anstrengt?«
»Mama will es, und schließlich muß es sein.«
»Muß sein? Warum denn?«
»Ja, sehen Sie ...«
Sie unterbrach sich, ohne den Satz zu vollenden.
»Das ist auch nicht der einzige Grund,« fuhr ich fort; »Sie sehen einem meiner einstmaligen Schulkollegen überraschend ähnlich.«
»Einem Kollegen, einem Knaben?«
»Jawohl.«
»Ich danke für dieses Kompliment.«
»Aber einem Knaben, welcher schön wie ein Mädchen war.«
»Wie hieß er?«
»André Minati.«
»Was? Wo haben Sie den kennen gelernt? Wo denn?«
»In dem Institut des Herrn Fremin, wo wir zusammen waren und wo er gestorben ist.«
Iza rief laut: »Mama! Mama!«
»Was gibt's?« kam es aus dem Zimmer, wo sich die Gräfin befand.
Iza erzählte ihr in polnischer Sprache eine lange Geschichte, indem sie mich von der Seite anschaute, um sich dessen zu vergewissern, daß ich von ihrer Mitteilung nichts verstand. Die Vorsicht war unnötig, denn ich verstand tatsächlich nicht ein Wort. Die Mutter antwortete mit einem einsilbigen Worte, welches mir »Nein« zu bedeuten schien.
»Na also,« nahm Iza die Unterhaltung mit mir auf, als hätte sie ihrer Mutter nur eine Mitteilung zu machen gehabt, die mit unserem Gespräche in keiner Beziehung stand. »Na, ich fühle mich sogar geschmeichelt davon, daß ich einem Freunde von Ihnen ähnlich sehe. Desto länger werden Sie wohl auch meiner gedenken.«
Die Gräfin trat ein.
»Also gehen wir! Wir wollen zu Fuß gehen. Das wird dir gut tun?«
»Haben Sie schon«, wendete sie sich an mich, »Izas Hände gesehen?«
»Jawohl.«
»Die müssen Sie sich bei hellem Tageslicht ansehen.«
Und sie hob die Hände ihrer Tochter in die Höhe, hielt dieselben gegen das Licht und ließ mich deren in der Tat außerordentliche Durchsichtigkeit bewundern. Dann nahm sie dieselben zwischen ihre Hände, drückte einen wahrhaft inbrünstigen Kuß darauf und sagte mit zärtlichem Stolze:
»Du bist schön. Komm!«
Dieses Wort rief bei diesem Kinde eine fast wundertätige Wirkung hervor; die Wangen röteten sich, die Lippen lächelten wieder, alle Kraft schien zurückgekehrt zu sein.
»Halte dich an dem Geländer fest,« mahnte die Mutter, während wir die Treppe hinabstiegen.