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Es war am 2. März mittags, als Iza dicht verschleiert ganz leise in mein Atelier trat, ohne daß man die Türe, in welcher nach ihrem Wunsche der Schlüssel stecken geblieben, hatte gehen hören.
Das Gesicht mit einem schwarzen Spitzenschleier verhüllt, welcher dreimal um den Kopf geschlungen war, so daß auch der neugierigste Blick nicht durchdringen konnte, pflanzte sie sich stumm, unbeweglich, undurchdringlich, wie ein Bild des Verhängnisses vor mir auf, mit über der Brust gekreuzten Händen, welche den Zipfel des Schleiers festhielten. Ich betrachtete sie einen Augenblick, ohne meinen Platz verlassen zu können, so heftig pochte mein Herz. Dann nahm sie den Schleier ab, riß den Hut vom Kopfe, warf alles zur Erde und enthüllte ihr strahlendes Antlitz, welches heller zu leuchten schien als das Tageslicht um diese Stunde.
Wie war es nur möglich gewesen, daß man vor dieser himmlischen Erscheinung nicht niedergekniet war auf deren Weg zu mir! Wie war es möglich, daß man sie hatte das Ziel ihrer Reise erreichen lassen! Kam sie wirklich zu mir? Diese Grazie, dieser Glanz und diese Jugend, diese Augen und dieses Lächeln, diese Seele und dieser Geist – alles, alles gehörte mir, mir! Dies alles hatte sich entwickelt, sich entfaltet und belebt fünfhundert Meilen weit von mir, für mich, für mein Glück und für mein Genie! Welche Belohnung? Wie recht hatte ich gehabt, die Liebe zu respektieren und mich rein zu erhalten für diese Umarmung!
Sie war sich ganz ihrer Macht bewußt, und als sie mich so in Bewunderung versunken stehen sah, sagte sie mit ihrer früheren kindlichen Stimme:
»Findest du mich schön?«
Ich eilte auf sie zu, nahm sie in meine Arme, hob sie zu mir empor und bedeckte sie mit tausend Küssen.
»Seit acht langen Tagen habe ich diese Wand vor meinem Gesichte,« nahm Iza das Wort, auf den Schleier zeigend, »ich wollte nicht, daß mich jemand sehe. Ich glaubte, es wäre Verrat an dir, wenn ich mich ansehen ließe. Und du, wie schön bist du, o, du bist sehr schön. Wie wollen wir uns lieben! Wie gut du bist, daß du mich heiraten willst. Was wäre aus mir ohne dich geworden! Und deine Mutter, wo ist sie, damit ich sie umarme! Mein Zimmer steht wohl bereit? Aber ich stehe jetzt ganz allein auf der Welt. Das ist auch weit bequemer, um dich zu lieben. Wir werden doch recht bald heiraten! Ja? Ich habe alle meine Papiere mit, sie sind in Ordnung; siehst du, da sind sie. Sie waren für den anderen vorbereitet; du weißt, Serge! Der hatte nicht den Mut, seiner Familie zu trotzen! Welch prächtiger Einfall von ihm! Im letzten Moment hätte ich übrigens »Nein« gesagt. Wie wäre es mir ergangen, da ich dich liebte! Schnell, schnell, auf mein Zimmer, ich falle um vor Müdigkeit!«
Ich rief meine Mutter herbei. Iza warf sich mit kindlicher Anhänglichkeit um ihren Hals. Meine Mutter faßte sofort Liebe zu ihr. Sie führte sie auf ihr Zimmer, neben dem meinigen, über meinem Atelier.
»Sobald ich erwache,« sagte Iza, »werde ich mit dem Fuße auf den Boden klopfen. Arbeiten Sie, mein Herr, bis dahin.«
Sie gab mir einen Kuß auf die Stirn und schlief sodann bis gegen Abend.
Welch herrliches, angenehmes Leben führte ich zwei Monate lang! Denn so lange brauchten wir, um alle Papiere und dergleichen in Ordnung zu bringen.
Iza bewegte sich im Hause, als wäre sie hier erzogen worden, und als hätte sie es niemals verlassen. Ich lebte in ihrer Umgebung ein neues Leben. Sie war flink wie ein Vogel. Mitunter nahm sie mich plötzlich um den Hals und rief mir ins Ohr:
»Jetzt brauchen wir nur noch so und so viele Tage zu warten!«
Oder sie erwachte im Schlafe, klopfte mit dem Absatz ihres Pantoffels auf den Fußboden und schrie, daß ich es hörte:
»Gute Nacht, mein kleiner Freund!«
Ich antwortete stets, weil ich nur wenig schlief. Ich dachte stets an sie. Es war Tatsache: ich war ein Sklave der Liebe geworden.
Sie erzählte mir alles, was seit unserer Trennung sich ereignet und wie die Erinnerung an mich sie bei keinem Ereignisse ihres Lebens verlassen hätte. Ihre Mutter hatte sie nach Petersburg gebracht, in der Hoffnung, einer der Prinzen werde sich in sie verlieben; sie waren aber dort nicht einmal im Palais empfangen worden. Dann wurde sie an alle öffentlichen Orte geschleppt, bis zur Ermüdung. Später sollte in Warschau Serge ohne Vorwissen der Tochter in eine Falle gelockt werden. Man wäre aber beinahe in einen Prozeß verwickelt worden. Sodann kam die Theaterfrage an die Reihe. Schließlich von Not und Elend getrieben, wollte dieses Weib sie ganz einfach einem ungeheuer reichen alten Manne geben, oder richtiger gesagt, verkaufen, der ihr ein Vermögen zusicherte, und die Mutter hatte diesen niederträchtigen Handel ihrer Tochter vorgeschlagen. Nachdem ich so viel wußte, wollte Iza nichts mehr vor mir verheimlichen. Sie legte mir noch ein Geständnis ab, welches mich nun vollständig in dem Gedanken bestärkte, daß wir für einander bestimmt seien, und daß das Schicksal ein geheimnisvolles Band um uns gewoben. Sie sagte zu mir:
»Du erinnerst dich doch noch des Tages, an welchem du uns am Quai de l'Ecole zum ersten Male besuchtest? Du schautest mich damals aufmerksam an. Ich fragte dich nach der Ursache, da dein Blick mehr als Sympathie und Freundschaft verriet. Du antwortetest mir, eine außerordentliche Aehnlichkeit mit einem deiner früheren Kameraden falle dir auf. Er habe Minati geheißen und sei vor einigen Jahren gestorben. Ich richtete sofort einige polnische Worte an meine Mutter und fragte sie, ob ich dir sagen solle, daß wir den Vater des jungen Menschen gekannt haben. Sie antwortete: »Nein«. Ich habe bis jetzt mit dir über diese Sache nicht gesprochen. Ich bin André Minatis Schwester. Sein Vater wohnte drei Jahre hindurch in Warschau. Er war allem Anschein nach ein schöner Mann. Er besuchte sehr oft meinen Vater – vor meiner Geburt. Du siehst, ich habe keine Geheimnisse vor dir. Was geht es dich übrigens an! Es ist nur merkwürdig, nicht wahr?«
»Jawohl, aber woher weißt du alle diese Einzelheiten?«
»Als wir ruiniert waren, wandte sich meine Mutter an Herrn Minati. Ich schrieb damals den Brief. Wir haben aber niemals eine Antwort bekommen. In ihrem Zorn verschnappte sich die Mutter einmal vor mir und erzählte mir sodann die ganze Geschichte. Lange nachher haben wir erfahren, daß dieser Herr gestorben ist.«
Das Schicksal spielt oft mit aufgelegten Karten! Es war an mir, zurückzutreten. Ich dachte nicht im entferntesten daran.
Ich bekam wöchentlich zwei bis drei anonyme Briefe; sie enthielten nicht nur gegen die Gräfin, sondern auch gegen Iza die seltsamsten Verdächtigungen. Ich zeigte ihr alle, ausgenommen diejenigen, deren gemeine Beschimpfungen sie nicht verstanden hätte.
»Der kann von dieser Frau, der kann von jenem Fräulein sein,« erwiderte Iza mit der größten Seelenruhe. »Ich nehme es ihnen gar nicht übel, denn ich bin glücklich. Wenn du denselben Glauben schenkst, so heirate mich nicht. Noch ist es Zeit. Ich bleibe sodann bei deiner Mutter. Ich fühle mich hier wohl. Ich werde euch nicht genieren und große Ausgaben will ich euch auch nicht machen. Ich werde dein Modell sein, wenn du willst. Was liegt daran, wenn ich dich nur sehe! Willst du, daß ich deine Geliebte werde, um dir einen Beweis meiner Liebe zu geben!?«
»Rede nicht solches Zeug,« sagte ich, ihr den Mund mit meiner Hand verschließend, »so darf diejenige nicht sprechen, welche meine Frau werden wird.«
»Was willst du?« erwiderte Iza, »ich weiß, daß ein Mädchen mit einem Mann zusammenleben kann, ohne mit ihm verheiratet zu sein, und daß sie deshalb entehrt ist. Aber ich versichere dich, daß ich das noch nicht lange weiß, und daß ich auch bis heute nicht weiß, was dieses Wort eigentlich bedeuten soll. Wenn du mich nur liebst und mich bei dir behältst, so ist mir alles andere ganz gleichgültig.«
Unsere bevorstehende Vermählung wurde offiziell angezeigt; man sprach von derselben, wie man besonders in unsern Künstlerkreisen sich von allem unterhält und über alles spricht. Diese unerwartete Neuigkeit bot den verschiedenartigsten Gesprächsstoff und wurde mit den merkwürdigsten Kommentaren begleitet. Nach einem heiratete ich eine reiche Erbin, welche ich entführt hatte, nach dem anderen war ich das Opfer einer Abenteuerin geworden, welche meine bekannte Unschuld mißbraucht hatte. Für die einen war Iza eine ausländische Prinzessin, welche ich bis zum Wahnsinn in mich verliebt gemacht hatte, und die trotz des Widerspruchs ihrer Anverwandten sich mit mir vermählte; für die anderen war meine Braut ein stadtbekanntes Modell, welches seit Jahren sich in den Ateliers herumtrieb und ein Dutzend Liebhaber vor mir gehabt hatte.
In Paris ist jedermann, welcher über das Niveau des gewöhnlichen Haufens hinausragt, den Erfindungen und Nachreden des ersten besten Neuigkeitskrämers ausgesetzt. Aber glücklicherweise hat man in Paris nicht viel Zeit, und man kann sich nicht lange bei einer Angelegenheit, nicht einmal bei einer Verleumdung aufhalten. Tatsächlich war Iza unbekannt, sogar unsichtbar, da ich sie vor meiner Verheiratung niemandem vorgestellt hatte. Wir waren übrigens während dieser ganzen Zwischenzeit niemals, auch nicht einen Augenblick, allein. Wenn Iza in meinem Atelier erschien, so geschah es immer in Begleitung meiner Mutter. Ich war auch zu verliebt und anständig, um die Situation zu mißbrauchen, und erwartete sehnsuchtsvoll, aber mit Geduld, den Tag, an welchem Iza als meine Gattin mir angehören, mir ganz zu eigen sein sollte. Der Tag kam heran. Als wir die Kirche betraten, ging ein Murmeln der Bewunderung durch die Menge, die sogleich in lautes Bravorufen ausgebrochen wäre, hätte die Heiligkeit des Ortes sie nicht davon zurückgehalten. Sie müssen sich noch an diesen Eindruck erinnern, da Sie mein Trauzeuge waren.
Abenteuerin oder Prinzessin, Welt- oder Halbweltdame; Iza war für alle die schönste Erscheinung, welche sie jemals gesehen, und man feierte in ihr den Triumph der Schönheit, welche vereint war mit Jugend und einer Dezenz, die nicht geheuchelt sein konnte, und die es auch nicht war. Ich war stolz, ich wiederhole es, nicht allein darauf, daß ein solches Wesen mich liebte, sondern auch auf die Tat, die ich zu vollbringen im Begriffe stand. Mein Traum war in Erfüllung gegangen; ich hatte das mir gegebene Wort gehalten. Ich gab das seltene und edle Vorbild eines anständigen, angesehenen Mannes, der alles nur sich selbst verdankt und ohne Zwang und ohne Berechnung das Weib heimführt, welches ihm allein alles schuldig ist, und für welche er sich durch einen fast übersinnlichen Akt der Enthaltsamkeit keusch und rein an Geist und Leib erhalten hatte.